S 1 BA 15/22 ER

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
SG Lüneburg (NSB)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Lüneburg (NSB)
Aktenzeichen
S 1 BA 15/22 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

1.) Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs/Rechtsmittels

                    gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.03.2022

                    wird angeordnet.

 

                2.) Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

   I.)

 

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Beitragsforderung i. H. v. insgesamt 57.770,15 €, die im Rahmen einer Betriebsprüfung gem. § 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB IV) für den Zeitraum vom 01.01.2017 - 31.12.2020 nacherhoben wurde.

Der Antragsteller (= Ast.) betreibt ein landwirtschaftliches Unternehmen (Heidelbeeranbau), Für die Ernte beschäftigt er Saisonarbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern. 

Vom 23.09.2021 – 02.03.2022 führte die Antragsgegnerin (= Ag.) beim Ast. eine Betriebsprüfung gem. § 28 p SGB IV durch. Nach Durchführung einer Anhörung (14.12.2021) forderte die Ag. mit dem Bescheid vom 02.03.2022 vom Ast. Beiträge i. H. v. insgesamt 57.770.15 € nach. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Prüfzeitraum diverse – im Bescheid im Einzelnen namentlich aufgeführte – Saisonarbeitskräfte unzutreffenderweise versicherungs- und beitragsrechtlich im Rahmen von versicherungsfreien geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen angemeldet und abgerechnet worden seien. Da das regelmäßig erzielte Arbeitsentgelt aus den jeweiligen Beschäftigungen die maßgebliche Grenze von 450,00 €/M überschritten habe, sei in Bezug auf die Frage einer geringfügigen Beschäftigung zu prüfen gewesen, ob die Beschäftigungsverhältnisse kurzfristig gewesen seien und keine Berufsmäßigkeit i. S. des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV vorgelegen habe. Vorliegend sei der Ast. als Arbeitgeber aber fälschlicherweise davon ausgegangen, dass keine Berufsmäßigkeit vorgelegen habe. Dies würde wiederum darauf beruhen, dass er seine Dokumentations- und Ermittlungspflichten verletzt habe: 

Der Arbeitgeber habe auf Verlangen dem prüfenden Rentenversicherungsträger Auskunft über die Art und Dauer der Beschäftigung, den Beschäftigungsort und das Arbeitsentgelt zu erteilen (§ 98 Abs. 1 SGB X). Wegen der Entrichtung von Beiträgen habe der Arbeitgeber über alle Tatsachen Auskunft zu geben, die für die Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge notwendig seien. Der Arbeitgeber habe für jeden Beschäftigten getrennt nach Kalenderjahren Entgeltunterlagen in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren (§ 28 f Abs. 1 SGB IV). Dies würde auch für die Entgeltunterlagen von geringfügigen Beschäftigungen gelten. Bei der Aufnahme einer kurzfristigen Beschäftigung müsse der Arbeitgeber außerdem im Wege der sog. vorausschauenden Betrachtungsweise eine Beurteilung über den sozialversicherungsrechtlichen Status treffen. Hierfür müsse er die für die Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses notwendigen Informationen vom Arbeitnehmer erfragen und diese zu den Lohnunterlagen nehmen. Aufzeichnungspflichtig seien alle Tatbestände, die für die Beurteilung der Versicherungspflicht/-freiheit sowie der Beitragsberechnung/-abrechnung und des Meldeverfahrens von Bedeutung seien. Die Aufzeichnungen müssten so beschaffen sein, dass sie von einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Entgeltabrechnung des Arbeitgebers vermitteln können. Die Angaben seien vollständig, richtig, in zeitlicher Reihenfolge und geordnet vorzunehmen. Die Nachweise seien nach § 28 b Abs. 1 S. 4 SGB IV i. V. m. § 8 Abs. 2 Beitragsverfahrensverordnung (= BVV) zu den Lohnunterlagen zu nehmen.

Anlässlich der Besprechung der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger am 06./07.05.1998 sei klargestellt worden, dass für die Beurteilung der Berufsmäßigkeit einer kurzfristigen Beschäftigung bei Beschäftigten aus dem Ausland keine strengeren Voraussetzungen als für inländische Arbeitnehmer gelten. Es sei somit auch bei der Beschäftigung von Saisonarbeitskräften zu prüfen, ob diese dem Kreis der Erwerbstätigen zuzuordnen seien. Sofern die Saisonarbeitskräfte in ihrem Herkunftsland als Arbeitnehmer beschäftigt seien, seien sie dort auch weiterhin versichert und würden auch hinsichtlich der in Deutschland ausgeübten Saisonarbeit den Rechtsvorschriften ihres Wohnstaates unterliegen (Art. 14 Nr. 2 Buchstabe b/Ziff i) VO EWG Nr. 1408/71). Die Zugehörigkeit zum System ihres Wohnstaates sei durch Vorlage der Bescheinigung A 1 nachzuweisen. In diesem Fall sei für die Saisonarbeitskräfte kein deutsches Recht anzuwenden.

Sofern jedoch die Saisonarbeitskräfte in ihrem Wohnstaat nicht beschäftigt seien, würden nach Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a VO EWG Nr. 1408/71 die deutschen Rechtsvorschriften gelten, so dass für diesen Personenkreis geprüft werden müsse, ob ggf. die Voraussetzung für eine geringfügige Beschäftigung vorlägen. Seit 1998 würde für Saisonarbeitskräfte aus dem (osteuropäischen) Ausland ein bundeseinheitlicher Fragebogen zur Verfügung stehen, durch den sichergestellt werden solle, dass die für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ausländischer Saisonarbeiter notwendigen Ermittlungen bereits zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses umfassend erfolgen und somit zu einem späteren Zeitpunkt grundsätzlich keine erneuten Ermittlungen anzustellen seien. Zwar müsse gem. § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB X) die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln. Sie würde auch die Art und den Umfang der Ermittlungen bestimmen, wobei sie alle für den Einzelfall bedeutsamen – auch für den Beteiligten günstige – Umstände berücksichtigen müsse. Entscheidend sei jedoch, dass eine vollständige und zutreffende Aufklärung des Sachverhalts gewährleistet sei. Der Amtsermittlungsgrundsatz könne allerdings nicht dazu führen, dass die Behörde erst durch eigene Ermittlungen im Nachhinein die Sachverhaltsbeurteilung des Arbeitgebers legitimiere. Dies sei vor allem dann von Bedeutung, wenn ein Umstand objektiv nicht zweifelsfrei belegt werden könne und somit die Aufklärung des Sachverhalts nicht gewährleistet sei. In derartigen Fällen müsse nach dem Grundsatz der objektiven Beweis- und Feststellungslast derjenige die Nachteile der Beweislosigkeit tragen, der aus diesen Umständen ein Recht für sich herleite. Die Feststellungslast für das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht trage zwar grundsätzlich derjenige, der sich auf ihr Bestehen berufe. Der Beweis für die die Versicherungspflicht/–freiheit tragenden Tatsachen könne aber nur geführt werden, wenn der Arbeitgeber seinen für den Beitragseinzug statuierten Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten nachkomme. Werde trotz nicht vorhandener oder unvollständiger Unterlagen geltend gemacht, dass Versicherungspflicht nicht bestanden habe, würde es zu einer Umkehr der Beweislast kommen (Bundessozialgericht <= BSG>, Urt. v. 17.12.1985 - 12 RK 30/83). Bei einer Verletzung der Aufzeichnungspflichten habe daher der Arbeitgeber die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit nachzuweisen.

Im vorliegenden Fall würden die Unterlagen nicht die Anforderungen an die Aufzeichnungspflichten erfüllen und könnten daher nicht als Nachweise für die Versicherungsfreiheit kurzfristiger Beschäftigungsverhältnisse anerkannt werden. Zur Durchführung der Betriebsprüfung seien vom Steuerberater des Ast. die Entgelt- und Beitragsabrechnungen sowie die Fragebögen zur Feststellung der Versicherungspflicht/-freiheit rumänischer und polnischer Saisonarbeitnehmer vorgelegt worden. Diese Fragebögen hätten aber unplausible Angaben enthalten. Die persönliche Lebens- und Erwerbssituation von Saisonarbeitskräften lasse sich nicht allein durch das bloße Ankreuzen von Feldern und Abstempeln mit (vermeintlich echten) Bestätigungstempeln belegen, wenn die Angaben grundsätzlich realitätsfremd oder im Gesamtkontext unplausibel seien. Der Arbeitgeber müsse die im Fragebogen enthaltenen Angaben vielmehr im Einzelfall prüfen und beurteilen, ob diese geeignet seien, die Voraussetzung einer kurzfristigen Beschäftigung vor allem mit Blick auf die Berufsmäßigkeit zu begründen. Dies sei jedoch dann nicht möglich, wenn die Angaben im Fragebogen nur „pro forma“ von unzuständigen Stellen bestätigt würden. Ebenso sei das Ankreuzen des Feldes „Hausfrau/Hausmann“ vom Arbeitgeber kritisch zu hinterfragen. Hausfrauen bzw. Hausmänner, die nicht zum Personenkreis der potentiellen Arbeitnehmer bzw. Arbeitssuchenden gehören würden, seien Personen, die im Rahmen einer in der privaten Sphäre liegenden Arbeitsteilung einen Haushalt für sich und andere Haushaltsmitglieder führen, die anstehenden Haushaltsarbeiten verrichten und im Gegenzug von einem oder mehreren Haushaltsmitgliedern unterhalten würden. Allein das Ankreuzen dieser Rubrik sei in diesen Fällen nicht geeignet, die wirtschaftliche Bedeutung der Beschäftigung im Einzelfall zu beleuchten, bzw. die Zugehörigkeit zum Kreis der potentiell Erwerbstätigen auszuschließen, da eine Differenzierung zwischen tatsächlichen Hausfrauen/Hausmännern und lediglich Erwerbslosen nicht vorgenommen werden könne. Das Ankreuzen des Feldes „Hausfrau/Hausmann“ müsse daher seitens des Arbeitgebers zu weiteren Ermittlungen führen, um den Sachverhalt zweifelsfrei aufzuklären und zu belegen. Geeignete Nachweise wären bspw. die Vorlage von entsprechenden Heiratsurkunden zusammen mit den Einkommensnachweisen der Ehegatten oder aber Arbeitsverträge und Entgeltbescheinigungen der Familienangehörigen, die nachweislich den identischen Wohnort bzw. die identische Meldeanschrift hätten. Einnahmen aus eigener Landwirtschaft ließen sich z. B. auch über Steuerbescheinigungen belegen. Da entsprechende ergänzende Ermittlungen nicht durchgeführt worden seien, sei davon auszugehen, dass die betroffenen Arbeitnehmer ihre Beschäftigungen im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt und somit im vollen Umfang der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterlegen hätten. Somit hätten die bisher nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Betriebsprüfung nachberechnet werden müssen.

Mit dem hiergegen am 30.03.2022 erhobenen Widerspruch wurde geltend gemacht, dass nicht nachvollzogen werden könne, warum die Fragebögen in den aufgeführten Fällen unplausible Angaben enthalten würden. In Punkt 6 des in Bezug genommenen Fragebogens werde nur gefragt, ob die betreffende Person „Hausfrau/Hausmann“ sei. Diese Frage sei durch einfaches Ankreuzen entweder mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Während für alle vorherige Fragen Bestätigungen einer offiziellen Stelle gefordert würden, sei dies in diesem Punkt gerade nicht vorgesehen. Der Ast. sei somit seinen Pflichten zu sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung ausländischer Saisonarbeiter in vollem Umfang nachgekommen und sei nicht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung angehalten gewesen. Über den Widerspruch ist noch nicht entschieden.

Außerdem beantragte der Ast. bei der Ag.  die Vollziehung der festgestellten Beitragsforderung bis zur Entscheidung über den Widerspruch auszusetzen. Diesen Antrag lehnte die Ag. mit dem Schreiben vom 06.04.2022 ab.

Am 25.04.2022 hat der Ast. beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg beantragt, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Ag. vom 02.03.2022 anzuordnen (S 1 BA 15/22 ER). Zur Begründung wurde auf das Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwiesen. Außerdem sei zu beachten, dass sogar nach Auffassung der Ag. für ausländische Saisonarbeitskräfte keine strengeren Voraussetzungen als für inländische Arbeitnehmer gelten dürften. Es sei jedoch nicht bekannt, dass inländische Saisonarbeitskräfte zur Überprüfung der Berufsmäßigkeit stets ihre Einkommensverhältnisse         offenlegen müssten. Dem würde auch die Wahrung des Steuergeheimnisses entgegenstehen. Außerdem würde die Vollziehung der Beitragsforderung eine besondere Härte darstellen, da der landwirtschaftliche Betrieb noch immer an der schlechten Ernte des Jahres 2021 (Befall durch die Kirschessigfliege) leiden würde.

 

Der Antragsteller beantragt,

 

    die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30.03.2022 gegen

    den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.03.2022 anzuordnen.

 

Die Antragsgegnerin beantragt,

 

    den Antrag abzulehnen,

 

Sie hält die Beitragsforderung für rechtmäßig.

Der Entscheidung wurden die Gerichtsakten und die Akten der Ag. zugrunde gelegt. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

 

                                                                         II.)

 

Dem Antrag, die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels gegen den Bescheid der Ag. vom 02.03.2022 anzuordnen, hat Erfolg.

Gem. § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen der Widerspruch oder die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Sofern der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist, kann das Gericht auch die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 86 b Abs. 1 S. 2 SGG). Hierbei handelt es sich um ein          gegenüber der Hauptsache selbständiges Verfahren, über welches das Gericht - nach einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sowie der wesentlichen Interessen - durch Beschluss entscheidet (§ 86 b Abs. 4 SGG; vgl. Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 13. Aufl., § 86 b, Rz. 7, 16 c). Durch eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes soll aber die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., § 86 b, Rz. 31).

Da Rechtsbehelfe gegen Beitragsbescheide - einschließlich der Nebenforderungen –grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung besitzen (§ 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG), ist der Anwendungsbereich des § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 SGG hier eröffnet. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Regelung des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG dazu dient, die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung zu sichern. Die Versicherungsträger sollen hierdurch davor geschützt werden, dass durch Einwendungen aller Art in einer Vielzahl von Fällen die für die Leistungen erforderlichen Beiträge letztlich nicht mehr in ausreichender Höhe erhoben werden können. Dem Vollzugsinteresse ist daher in den Fällen des § 86 a Abs. 2 SGG vom Gesetz grundsätzlich der Vorrang eingeräumt. Dies bedeutet, dass eine aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels gegen einen Beitragsbescheid nur dann angeordnet werden kann, wenn im Einzelfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (vgl. auch § 86 a Abs. 3 S. 2 SGG), wobei die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben muss (Meyer-Ladewig, a. a. O., § 86 b, Rz. 12 a, m. w. N.). Derartige Zweifel können dann vorliegen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg (Meyer-Ladewig, a. a. O., § 86 a, Rz. 27). Dies ist hier der Fall:

Gem. § 8 Abs. 1 SGB IV liegt eine geringfügige - und damit versicherungs- und beitragsfreie -  Beschäftigung vor, wenn

1.) das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 450,00 €

     nicht übersteigt,

 

2.) die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens 2 Monate

     oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus

     vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig

     ausgeübt wird und ihr Entgelt 450,00 € im Monat übersteigt.

 

Streitig ist vorliegend im Wesentlichen, ob die in dem angefochtenen Bescheid in Bezug genommenen Saisonarbeitskräfte ihre Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt haben. Eine solche Feststellung kann hier jedoch nicht getroffen werden, da aus den Angaben der jeweiligen Saisonarbeitskräfte in den Entgeltunterlagen und im Fragebogen sowie aus den sonstigen Umständen eine Berufsmäßigkeit nicht abgeleitet werden kann.

Der Ast. hat darüber hinaus auch nicht gegen seine Aufzeichnungspflichten verstoßen. Zwar hat der Arbeitgeber gem. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 BVV in den Entgeltunterlagen in Bezug auf den Beschäftigten die für die Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht maßgebenden Angaben aufzunehmen. Dies ist jedoch vorliegend erfolgt, da die bundeseinheitlichen Fragebögen ordnungsgemäß ausfüllt wurden und insbesondere die in Punkt 6 des Fragebogens aufgeworfene Frage, ob der/die Betreffende ein(e) Hausmann/Hausfrau sei, jeweils eindeutig beantwortet wurde. Damit wurde der Vorschrift des § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 BVV genüge getan. Es handelt sich insoweit um die Erfüllung von rein formellen Kriterien. Nach dem eigenen Vorbringen der Ag. soll nämlich gerade durch den bundeseinheitlichen Fragebogen für Saisonarbeitskräfte aus dem (osteuropäischen) Ausland sichergestellt (!) werden, dass die für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ausländischer Saisonarbeiter notwendigen Ermittlungen bereits zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses umfassend erfolgen und somit zu einem späteren Zeitpunkt grundsätzlich keine erneuten Ermittlungen anzustellen sind. Damit konkretisiert der Fragebogen aber auch den Umfang der erforderlichen Mitwirkung eines Arbeitgebers. Es kann daher dem Arbeitgeber hinterher nicht zum Nachteil gereichen, wenn er sich auf die ihm von Seiten der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger angebotene Konzeption des Fragebogens verlässt und davon ausgeht, dass mit der Beantwortung des Fragebogens keine weiteren Ermittlungen erforderlich sind. Die Auffassung der Ag. zu den Ermittlungspflichten des Arbeitgebers ist daher vor diesem Hintergrund in sich nicht schlüssig bzw. widersprüchlich und wirkt konstruiert. Sofern die Ag. der Auffassung ist, dass der bundeseinheitliche Fragebogen nicht alle Aspekte und Zweifelfragen abdeckt, wäre es an ihr gelegen, die Fragen zu präzisieren und dem Arbeitgeber im Vorfeld andere Tools anzubieten. Die Kammer schließt sich insoweit vollumfänglich der Argumentation des Ast. im Widerspruchsverfahren und im vorliegenden Rechtsstreit an.

Weiterhin bietet § 8 BVV bzw. das Gesetz keine ausreichende Grundlage, den Arbeitgeber zu komplexen rechtlichen Wertungen und weiteren umfangreichen Ermittlungen zu verpflichten. Die Ag. kann insbesondere einem Arbeitgeber nicht die Vorgabe machen, bestimmten Angaben im dem bundeseinheitlichen Fragebogen von vorneherein keinen Glauben zu schenken. Die Kammer hält dies zum eine für eine unzulässige, vorweggenommene Beweiswürdigung und zum anderen in Bezug auf osteuropäische Arbeitskräfte für diskriminierend. Ohne eine eindeutige und klare Rechtsgrundlage ist es außerdem einem Arbeitgeber auch nicht gestattet, die privaten Lebensumstände seiner Arbeitnehmer auszuforschen. Ebensowenig ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber seine persönlichen Verhältnisse zu offenbaren. Sofern die Ag. an dem Wahrheitsgehalt der Angaben der Saisonarbeitnehmer Zweifel hat, liegt es vielmehr ausschließlich in ihrem Kompetenzbereich, ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, wobei      allerdings auch sie die rechtlichen Vorgaben aufgrund von datenschutzrechtlichen Regelungen, des internationalen bzw. zwischenstaatlichen Rechts und der allgemeinen Grundsätze der      Beweiswürdigung, zu beachten hat. Die Ag. hat im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes die erforderlichen Ermittlungen selbst vorzunehmen und kann ihre Ermittlungspflichten nicht zur Gänze auf den Arbeitgeber abwälzen. Dieser ist keine Behörde i. S. des § 20 SGB X und dementsprechend in seinen Ermittlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Darlegungen in dem angefochtenen Bescheid stellen daher größtenteils eine unzutreffende Interpretation des Amtsermittlungsgrundsatzes dar.

Da somit kein Verstoß gegen die Aufzeichnungs-, Mitwirkungs- und Nachweispflichten vorliegt, kommt hier auch keine Umkehr der Beweis- und Feststellungslast in Betracht. Nach den vom BSG aufgestellten Grundsätzen trifft für den Fall, dass sich trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht mit der erforderlichen         Gewissheit feststellen lassen, die Feststellungslast (Beweislast) hinsichtlich der Regelmäßigkeit i. S. der Nr. 1 des § 8 Abs. 1 SGB IV und hinsichtlich des Grundtatbestandes der Nr. 2 des § 8 Abs. 1 SGB IV (Unterschreiten der darin genannten Zeitgrenzen) den Arbeitgeber. Demgegenüber trägt der Versicherungsträger die Feststellungslast für die Berufsmäßigkeit, die im Rahmen eines Streits um die Versicherungspflicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV eine die Geringfügigkeit möglicherweise ausschließende und damit den angefochtenen Beitragsbescheid stützende Tatsache darstellt (BSG, Urt. v. 11.05.1993 – 12 RK 23/91 –, SozR 3-2400 § 8 Nr. 3, SozR 3-2200 § 441 RVO Nr. 1, Rz. 25). Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung „es sei denn…“, die als Generalindikator für eine geänderte Beweislast dient. Der vorliegende Fall ist auch nicht vergleichbar, mit dem Sachverhalt, der dem Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.11.2018 (L 2/9 R 260/16) zugrunde lag. Zum einen handelte es sich hierbei um die Überprüfung einer Beitragsforderung im Rahmen des § 44 SGB X, der per se schon die Beweislast dem Adressaten des bestandskräftigen Bescheids zuordnet. Zum anderen hatte der dortige Kläger überhaupt keine Aufzeichnungen bezüglich der Berufsmäßigkeit der Saisonarbeitskräfte geführt und auch insoweit nicht substantiiert vorgetragen. Hier liegt jedoch die Situation völlig anders, da hier originäre Feststellungen der Versicherungs- und Beitragspflicht im Rahmen einer Betriebsprüfung streitig sind, die Unterlagen vollständig waren und die Saisonarbeitskräfte die Fragen in dem bundeseinheitlichen Fragebogen eindeutig beantwortet haben. 

Schließlich ist zu beachten, dass die Berufung auf den Grundsatz der objektiven Beweis- und Feststellungslast ohnehin erst dann möglich ist, wenn sich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten keine entsprechenden Feststellungen treffen lassen (BSG, Urt. v. 08.09.2010 – B 11 AL 4/09 R; Böttiger/Waschull in Diering/Timme, Kommentar zu SGB X, 4. Aufl. 2016, § 20 SGB X, Rz. 29, m. n. N.). Da die Behörde die Art und den Umfang der Ermittlungen selbst bestimmt, steht es ihr zwar grundsätzlich frei, den Angaben der Arbeitskräfte in den Fragebögen Glauben zu schenken. Sofern sie dies nicht möchte, hätte sie aber - auch wenn sie die Auffassung vertritt, dass den Ast. die Feststellungslast für das Kriterium der          Berufsmäßigkeit trifft - die von ihr für erforderlich gehaltenen Ermittlungen zunächst selbst durchführen bzw. nachholen müssen. Es ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Ag. in Ansehung der im Bescheid näher benannten Saisonarbeitskräfte die von ihr selbst für erforderlich gehaltenen Ermittlungen auch nur ansatzweise vorgenommen hat. Sie hat damit – bei Zugrundelegung ihrer eigenen Beweismaßstäbe - bei der Bescheiderteilung auch gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen.

Da somit eine Berufsmäßigkeit der im Prüfzeitraum beschäftigten Saisonarbeitskräfte nicht nachgewiesen ist, spricht deutlich mehr für den Erfolg des Rechtsmittels, als dagegen. Nach der summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage und dem Abwägungsprozess zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts und den Belangen des Ast. war daher vorliegend die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels bzw. die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids anzuordnen. Ob darüber hinaus der sofortige Einzug der Beitragsforderung zu einer unbilligen Härte führen würde, kann daher dahinstehen.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine Verletzung der Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten des Ast. nicht festgestellt werden kann, die Ag. die von ihr für notwendig gehaltenen Ermittlungen zur Feststellung der Berufsmäßigkeit der osteuropäischen Arbeitskräfte nicht auf den Ast. (Arbeitgeber) abwälzen konnte und eine Beweislastentscheidung erst dann zulässig ist, wenn die Ag. alle von ihr selbst für erforderlich gehaltenen Ermittlungen ausgeschöpft hat. Sofern sich die Ag. aufgrund von faktischen und rechtlichen Hürden, die internationalen Sachverhalten immanent zu sein pflegen, gehindert sehen sollte, entsprechende Ermittlungen vorzunehmen, ist zu beachten, dass Arbeitgeber erst recht keine entsprechenden Möglichkeiten besitzen. Es wird anheimgestellt, dass die Ag. für einen verbesserten Zugriff auf die Daten der ausländischen Saisonarbeitskräfte und die Etablierung von entsprechenden Datenverbindungen mit ausländischen Dienststellen bezüglich der Aufnahme entsprechender Rechtsgrundlagen in das EU-Recht bzw. die Sozialversicherungsabkommen bei den zuständigen Gremien vorstellig wird. Nach Auffassung der Kammer lässt sich die vorliegende Problematik ausländischer Saisonarbeitskräfte auf der Grundlage der bestehenden Vorschriften nicht in der von der Ag. praktizierten Weise einseitig zu Lasten der Arbeitgeber lösen. Es wären hierfür vielmehr andere präzise politische und rechtliche Vorgaben erforderlich.

Für den weiteren Verfahrensverlauf wird schließlich zu berücksichtigen sein, dass auch eine Abwälzung der notwendigen Sachverhaltsaufklärung auf das Sozialgericht unzulässig wäre. Zusätzlich zu den prozessualen Möglichkeiten nach § 131 Abs. 5 SGG und § 194 Abs. 4 SGG (vgl. Böttiger/Waschull, a. a. O., Rz. 5) muss die Behörde in diesem Fall damit rechnen, aufgrund des Veranlassungsprinzips unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits in angemessener Form an dessen Kosten beteiligt zu werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Rechtskraft
Aus
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