S 26 AS 473/18

Sozialgericht
SG Hildesheim (NSB)
1. Instanz
SG Hildesheim (NSB)
Aktenzeichen
S 26 AS 473/18
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
 

Die Klage wird abgewiesen.

       Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

       Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerinnen erstreben im Wege des Überprüfungsverfahrens gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) – Grundsicherung für Arbeitssuchende – die Gewährung höherer Bedarfe für Unterkunft für die Zeit vom 01. Dezember 2017 bis zum 30. November 2018.

Die 1983 geborene, erwerbsfähige, alleinerziehende Klägerin zu 1. und ihr 2014 geborene Tochter, die Klägerin zu 2., bewohnten im streitigen Zeitraum eine 75 m² große Wohnung in der Hannoverschen Straße 147b in Göttingen zu einem monatlichen Kaltmietzins in Höhe von 550,-- Euro zuzüglich Nebenkosten von 48,50 Euro und Heizkosten von 101,50 Euro. Die Klägerin zu 2. bezog im streitigen Zeitraum Kindergeld und Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 150,-- Euro. Die Klägerinnen verfügten nicht über verwertbares Vermögen.

Die im Auftrag des Beklagten handelnde Stadt I. wies die Klägerin zu 1. mit Schreiben vom 11. Mai 2015 darauf hin, dass die Unterkunftskosten aus seiner Sicht unangemessen seien, er monatlich 402,-- Euro für angemessen halte und längstens für weitere 6 Monate bewilligt werden könnten.

Die Stadt I. bewilligte den Klägerinnen mit Bescheid vom 14. November 2017 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 12. Dezember 2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01. Dezember 2017 bis zum 30. November 2018 in Höhe von monatlich 945,89 Euro und berücksichtigte dabei Bedarfe für Unterkunft in Höhe von monatlich 528,-- Euro und die tatsächlichen Heizkosten.

Die Klägerinnen stellten am 23. Februar 2018 einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X bezüglich des Bescheides vom 12. Dezember 2017 und begründeten diesen damit, dass die Unterkunftskosten zu Unrecht in Ermangelung eines schlüssigen Konzeptes zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) nicht nach der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitsaufschlages von 10 Prozent bemessen worden seien.

Die Stadt I. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 06. März 2018 ab und begründete dies damit, dass ein schlüssiges Konzept vorliege, wie mit Widerspruchsbescheid vom 06. Februar 2017 erläutert worden sei.

Dagegen legten die Klägerinnen am 09. März 2017 Widerspruch ein, den wie damit begründeten, dass der Beklagte über kein schlüssiges Konzept verfüge. Aufgrund dessen sei die Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitsaufschlages von 10 Prozent anzuwenden.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2018 zurück und führte zur Begründung an, dass die Unterkunftskosten nach dem „Grundsicherungsrelevante Mietspiegel 2017“ der Firma U. unangemessen seien. Auch im Rahmen einer Gesamtangemessenheitsprüfung von Unterkunfts- und Heizkosten werde der Grenzwert überschritten. Es seien die angemessenen Heizkosten nach dem Bundesheizspiegel gewährt worden.

Dagegen haben die Klägerinnen am 20. April 2018 Klage erhoben.

Mit Änderungsbescheid vom 19. November 2021 hat der Beklagte die Anrechnung von Einkommen aus Darlehen für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. November 2019 aus der Berechnung herausgenommen.

Die Klägerinnen tragen zur Begründung der Klage vor:

Ihnen seien Bedarfe für Unterkunft nach der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitsaufschlages zu gewähren, weil der Beklagte nicht über ein schlüssiges Konzept verfüge. Der neu eingeführte „Grundsicherungsrelevante Mietspiegel 2017“ sei unschlüssig. Die von der Firma U. als beachtlich anerkannte Problemstellung werde zwar benannt, aber in der tatsächlichen Verarbeitung unzureichend oder nicht berücksichtigt. Problematisch sei, dass ein unteres Marktsegment nicht bestimmt und die Verfügbarkeit angemessener Wohnungen nicht untersucht werde. Die Vergleichsräume seien unzutreffend gebildet worden, für die Zusammenlegung von Mittelzentren mit ihrem Umland fehle eine Begründung. Nach einzelnen Beschlüssen im Eilverfahren sei zu bemängeln, dass J. und K. aufgrund ihrer Lage und Größe keinen eigenen Vergleichsraum bilden könnten. An der Befragung hätten mehrere Großvermieter nicht teilgenommen, was zu einer niedrigeren Abbildung des Mietniveaus führe. Es bestehe die Vermutung, dass die überproportionale Beteiligung der Q. die Stichprobengröße von 10 Prozent erreicht werden sollte. Bei den Kleinvermietern seien deutlich weniger als 10 Prozent des Bestands in die Beurteilung eingeflossen. Wohnungen, die von Wohngemeinschaften bewohnt werden, seien zu Unrecht ausgesondert worden. Die Stichprobe sei mit einer behaupteten Abbildung des Wohnungsmarktes von 10 Prozent nicht aussagekräftig und repräsentativ, weil dem kein qualifizierter Mietspiegel zugrunde gelegen habe und diese vorrangig auf Daten der Großvermieter bzw. v.a. eines Großvermieters beruhe. Der Beklagte habe Wohnungen von Groß- und Kleinvermietern nicht hinreichend definiert und erfasst, so dass die vorgenommene Gewichtung unrichtig sei. Die Darlegung der Berechnung der kalten Nebenkosten erscheine als kurz und unschlüssig. Die vorgenommene Inflationierung der Mieten könne die Mietentwicklung im gesamten Landkreis nicht zutreffend abbilden. Die Häufigkeitsverteilung nach Wohnungsgröße basiere auf einer in weiten Teilen nicht repräsentativen Erhebung, einer unzureichenden Gewichtung und einer unrichtigen Inflationierung. Die Ermittlung des Bedarfes an Mietwohnungen und die Anmietbarkeit für Leistungsempfänger seien unschlüssig. Die Darstellung von Angebot und Nachfrage in Abhängigkeit der Angemessenheitsgrenze sei unvollständig und nicht nachvollziehbar. Die Bildung einer Untergrenze aus dem 70. Perzentil der Bestandsmieten sei unzureichend und fehlerhaft. Insgesamt fuße das Konzept auf einer nicht repräsentativen Datengrundlage. Der Kläger wende sich nicht die Höhe der Gewährung der Heizkosten.

 

Die Klägerinnen beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2018 zu verpflichten, die Bescheide der Stadt I. vom 14. November und 12. Dezember 2017 teilweise zurückzunehmen und den Klägerinnen für die Zeit vom 01. Dezember 2017 bis zum 30. November 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft nach der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitsaufschlages von 10 Prozent zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

            die Klage abzuweisen.

Er trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide und die Stellungnahme der Firma U. vom 11. Januar 2022 vor:

Der „Grundsicherungsrelevante Mietspiegel 2017“ stelle ein schlüssiges Konzept dar und sei von der Methodenvielfalt gedeckt. Die Vergleichsräume seien zutreffend unter Berücksichtigung der Mittelbereiche der Regionalplanung gebildet worden. Nach dem sog. „Dresden-Urteil“ des BSG vom 18. November 2014 – B 4 AS 9/14 R – seien vorab keine Wohnwertmerkmale zu definieren und der Referenzpreis zu ermitteln. Die Stichprobe sei ausreichend, weil darauf abzustellen sei, dass die gleiche Chance der angeschriebenen Vermieter bestehe, in die Datenstichprobe zu gelangen. Es sei nicht entscheidend, ob die Stichprobe proportional sei oder die Eigentumsverhältnisse repräsentativ abbilde. Die Firma U. sei aufgrund des „Dresden-Urteils“ berechtigt, Wohnungen unzumutbarer Größe auszusondern. Eine starre Grenze von 10 Prozent des Wohnungsbestandes formuliere die Rechtsprechung des BSG nicht. Eine nicht notwendige Gewichtung erfolge allein im Interesse der Leistungsbezieher. Die Nebenkosten seien zutreffend erhoben und die Inflationsbereinigung zutreffend vorgenommen worden. Bei den Bestandsmieten seien 1.456 Fälle aufgrund fehlender Plausibilität der Daten ausgesondert worden. Die Ermittlung der Umzugswahrscheinlichkeit sei im Rahmen der Methodenfreiheit zutreffend erfolgt. Das Verhältnis der Groß- zu Kleinvermietern sei gewichtet worden und bilde die tatsächlichen Verhältnisse des Wohnungsmarktes ab. Im Übrigen sei die gewählte Einteilung sehr fehleranfällig, weil eine genaue Abgrenzung nicht möglich sei. So übernehmen größere Wohnungsverwaltungen auch einzelne Wohnungen von Kleivermietern, so dass diese Daten teilweise in den Wohneinheiten der Privatvermieter enthalten seien. Bei der gerichtlichen Prüfung eines Konzeptes handele es sich um eine nachvollziehende Kontrolle, die nur auf konkrete Einwendungen hin überprüfbar sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die zu den Parallelverfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der Bescheid der Stadt I. vom 06. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2018 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerinnen nicht in eigenen Rechten.

Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 44 SGB X in Verbindung mit § 40 Absatz 1 SGB II.

Nach § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Nach Satz 2 gilt dies nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

Der Überprüfungsantrag vom 23. Februar 2018 erfolgte innerhalb der Jahresfrist des § 40 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und war hinreichend bestimmt, weil er den zu überprüfenden Bescheid und die aus Sicht der Klägerinnen zu geringen Bedarfe für Unterkunft bezeichnete (vgl. grundlegend: Urteile des BSG vom 28. Oktober 2014 - B 14 AS 39/13 R - und 13. Februar 2014 - B 4 AS 22/13 R -).

Der Beklagte hat mit den Bescheiden vom 14. November und 12. Dezember 2017 das Recht nicht unrichtig angewandt und ist auch nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.

Die Klägerinnen haben zur Überzeugung der Kammer in der Zeit vom 01. Dezember 2017 bis zum 30. November 2018 keinen Anspruch auf Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts weiterer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Die erwerbsfähige, alleinerziehende Klägerin zu 1. und ihre Tochter, die Klägerin zu 2., sind im streitigen Zeitraum gemäß § 19 Absatz 1 SGB II leistungsberechtigt, weil sie über kein Einkommen oder Vermögen verfügte, um den laufenden Hilfebedarf zu decken. Zu Recht hat der Beklagte aus diesem Grund Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt.

Gemäß § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (Satz 3). Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre (Satz 4).

Der Streitgegenstand ist wirksam auf die Bedarfe für Unterkunft begrenzt worden. Dabei handelt es sich um eine abtrennbare, isoliert anfechtbare Verfügung (vgl. Urteile des BSG vom 06. August 2014 – B 4 AS 55/13 R -, 29. März 2007 - B 7b AS 2/06 R, 07. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - und 27. Februar 2008 - B 14 AS 23/07 R -). Die Prüfung der Angemessenheit hat aber für Unterkunfts- und Heizkosten jeweils getrennt zu erfolgen, so dass eine Gesamtangemessenheitsgrenze im Sinne einer erweiterten Produkttheorie abzulehnen ist (vgl. Urteile des BSG vom 02. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R - und 17. Dezember 2009 - B 4 AS 50/09 R -). Der Beklagte hat der Klägerin zu 1. mit Schreiben vom 11. Mai 2015 eine hinreichend bestimmte Absenkungsaufforderung zur Kenntnis gegeben, die erkennen ließ, dass er die Aufwendungen für Unterkunft als nicht kostenangemessen ansah unter Angabe des aus seiner Sicht angemessenen Wertes und Einräumung einer sechsmonatigen Absenkungsfrist. Der Beklagte hat die tatsächlichen Heizkosten gewährt, so dass die Höhe der Bedarfe für Heizung im vorliegenden Einzelfall nicht streitig ist.

Der Beklagte verfügt für den Vergleichsraum der Stadt I. zur Überzeugung der Kammer mit dem „Grundsicherungsrelevanten Mietspiegel 2017“ der Firma U. zur über ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Bedarfe für Unterkunft, das den Mindestvoraussetzungen der Anforderungen der Rechtsprechung des BSG im Rahmen der Methodenfreiheit entspricht.

Die Angemessenheit der Unterkunftskosten (Kaltmiete und kalte Nebenkosten) ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 07. November 2006 - B 7b AS 18/06 R -) in mehreren Schritten zu prüfen: Zunächst bedarf es der Feststellung, welche Größe die vom Hilfebedürftigen beziehungsweise von der Bedarfsgemeinschaft gemietete Wohnung aufweist; das heißt, zu ermitteln ist die Quadratmeterzahl der im Streitfall konkret betroffenen Wohnung. Bei der Wohnungsgröße ist jeweils auf die landesrechtlichen Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung abzustellen. Nach Feststellung der Wohnraumgröße ist als weiterer Faktor der Wohnungsstandard zu berücksichtigen. Angemessen sind nämlich die Aufwendungen für eine Wohnung nur dann, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Die Wohnung muss von daher hinsichtlich der aufgeführten Kriterien, die als Mietpreis bildenden Faktoren regelmäßig im Quadratmeterpreis ihren Niederschlag finden, im unteren Segment der nach der Größe der in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bildet. Als räumlicher Vergleichsmaßstab ist in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgebend, weil ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, im Regelfall von ihm nicht verlangt werden kann (vgl. Urteil des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R -). Die Prüfung der Angemessenheit ist aber nicht nur auf der Grundlage von marktüblichen Wohnungsmieten abstrakt vorzunehmen. Vielmehr muss die Behörde nach der Rechtsprechung des BSG in einem letzten Schritt eine konkrete Angemessenheitsprüfung vornehmen, nämlich ob dem Hilfebedürftigen eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung tatsächlich und konkret verfügbar und zugänglich ist. Besteht eine solche konkrete Unterkunftsalternative nicht, sind die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als konkret angemessen anzusehen (vgl. Urteil des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rd. 22).

Der Grundsicherungsträger hat nach der Rechtsprechung des BSG ein schlüssiges Konzept zu erstellen, welches nach dem Urteil des genannten Gerichtes vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R - folgende Kriterien aufzuweisen hat:

  • die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),
  • es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete <Vergleichbarkeit>, Differenzierung nach Wohnungsgröße,
  • Angaben über den Beobachtungszeitraum,
  • Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel),
  • Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
  • Validität der Datenerhebung,
  • Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
  • Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

 

(I)

Bei Bestimmung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft ist auf die angemessene Wohnungsgröße abzustellen (vgl. Urteil des BSG vom 07. November 2006 - B 7b AS 18/06 R -). In Niedersachsen sind die Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2003 -) in dem Runderlass vom 27. Juni 2003 geregelt (Nds. Ministerialblatt 2003, Heft 27, S. 580). Gemäß Ziffer B Nr. 11.2 der Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2003 - gilt bei Mietwohnungen für einen Zweipersonenhaushalt grundsätzlich eine Wohnfläche bis 60 m² als angemessen. Die von den Klägerinnen bewohnte Wohnung ist damit mit einer Wohnfläche von 75 m² unangemessen groß.

(II)

Zunächst ist im Rahmen des schlüssigen Konzeptes der örtliche Vergleichsraum zu bilden. Es ist notwendig, ausreichend große Räume der Wohnbebauung zu beschreiben, die aufgrund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden, wobei es im ländlichen Raum geboten sein kann, größere Gebiete als Vergleichsmaßstab zusammenzufassen (vgl. Urteil des BSG vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R -).

Der Beklagte hat die Stadt I. als Vergleichsraum herangezogen, was keinen rechtlichen Bedenken begegnet, zumal die Universitätsstadt einen ausreichend großen urbanen Raum der Bebauung mit einem homogenen Lebens- und Wohnbereich mit einem zum Umland klar abgrenzbaren Mietniveau bildet. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichtes (LSG) Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 02. April 2019 – L 6 AS 467/17 -, Beschluss vom 12. August 2014 – L 11 AS 647/14 B ER – und Urteil vom 29. April 2014 – L 7 AS 330/13 -) bildet die Stadt I. einen eigenständigen Vergleichsraum, ohne die (günstigeren) Umlandgemeinden J. und K. zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist allein auf den Vergleichsraum abzustellen, in welchem der Leistungsberechtigte wohnt. Die Einbeziehung anderer Vergleichsräume oder gar die Überprüfung sämtlicher Vergleichsräume eines Flächenlandkreises auf ihre Schlüssigkeit verbietet sich, weil dies irrelevant für die Beurteilung des Mietniveaus in der Wohngemeinde ist. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass im Falle der Einbeziehung der Gemeinden K. und J., woran im Übrigen das A & K – Gutachten u.a. gescheitert ist, der Angemessenheitswert für einen in der Stadt I. wohnenden Leistungsberechtigten absinken würde, so dass es für eine solche Prüfung am Rechtsschutzbedürfnis mangelt.

(III)

Die Ermittlung des nach Auffassung des Beklagten angemessenen Quadratmeterzinses für den angemessenen Wohnungsstandard für die Wohnungsgrößenklasse bis zu 60 m² gründet zur Überzeugung der Kammer auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des BSG. Letzteres definiert ein schlüssiges Konzept als ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (vgl. Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R -).

Zunächst ist festzustellen, dass von der Methodenfreiheit gedeckt ist, dass ein Grundsicherungsträger ein Konzept zur empirischen Ableitung der angemessenen Bruttokaltmiete unter Einbeziehung der Angebots- und Nachfrageseite wählt, wenn die für schlüssige Konzepte aufgestellten und entwicklungsoffenen Grundsätze eingehalten werden (vgl. Urteil des BSG vom 18. November 2014 – B 4 AS 9/14 R -). In diesem Kontext ist es auch zulässig, ein Konzept auf der Erhebung der Neuvertragsmieten aufzubauen, welche die realen Verhältnisse am Wohnungsmarkt wiedergeben, und die Angemessenheits- bzw. Kappungsgrenzen bedarfsbezogen und nicht normativ über einen Abgleich mit der Häufigkeit von Wohnungswechseln im jeweiligen Segment zu ermitteln bzw. hilfsweise zur Sicherung auf das 70. Perzentil der Bestandsmieten abzustellen.

Der Beklagte hat das Konzept, das der Firma U. für Dresden zugrunde lag, entsprechend modifiziert und an die Verhältnisse eines westdeutschen Flächenlandkreises angepasst. In diesem Kontext wurden die Leitplanken der ausufernden Rechtsprechung des BSG beachtet und eine nachvollziehbare Definition des Gegenstandes der Wohnungen vorgenommen. Dabei hat er auf die Verhältnisse des gesamten Wohnungsmarktes abgestellt, ohne eine Eingrenzung nach den Standards und den Wohnlagen vorzunehmen, so dass eine Ermittlung über den gesamten Vergleichsraum stattfand, welche eine Brennpunktbildung ausschließt. Denn ein verfahrensrechtliches Erfordernis, sämtliche Wohnwertmerkmale in einem vorgeschalteten Schritt abschließend zu definieren, besteht nicht, weil entscheidend ist, dass der Ausschluss von Wohnungen untersten Standards im Ergebnis beachtet worden ist (vgl. Urteil des BSG vom 18. November 2014 aaO.). Die gerichtliche Kontrolle ist bei Beachtung der Methodenfreiheit des Trägers eine solche nachvollziehender Natur (vgl. Urteil des BSG vom 05. August 2021 – B 4 AS 82/20 R -).

 

(1)

Der Beklagte hat von vornherein die Erhebung und Heranziehung der Daten von Wohnungen einfachsten Standards konzeptionell ausgeschlossen und sichergestellt, dass entsprechende Daten nicht in die Stichprobe gelangten. Nach dem Urteil des BSG vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R – (Rd. 24 juris) können Leistungsberechtigte nach dem SGB II auf Wohnungen mit besonders niedrigem Ausstattungsgrad (Wohnungen ohne Sammelheizung und/oder Duschbad) grundsätzlich nicht verwiesen werden. Zu diesem Aspekt besteht eine ständige Rechtsprechung des BSG, welches diese u.a. mit dem Urteil vom 18. November 2014, aaO., Rd. 18) und der Entscheidung vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 - (Rd. 36) fortgeführt hat. Das BSG formuliert nunmehr die Vorgabe, dass Mieten mit Substandards nicht in relevanter Weise von der Behörde bei Erstellung des Konzepts zugrunde gelegt sein dürfen.

Der Beklagte hat bereits mit den entsprechenden Abfragen an die Groß- und Kleinvermieter des Landkreises I. den Substandard von Wohnungen ermittelt und entsprechende Wohnungen konsequent ausgesondert, wobei es sich laut Konzeptpapier um 15 Wohnungen handelte. Aus der geringen Anzahl lässt sich bereits der Schluss ziehen, dass der einfachste Standard im Jahre 2017 im Landkreis I. statistisch nicht relevant war.

 

(2)

Darüber hinaus erscheint als nachvollziehbar und schlüssig, dass der Beklagte Wohnungen in Wohnheimen (9 Fälle), Wohngemeinschaften (37 Fälle), untervermietete Wohnungen (200 Fälle), Nettomieten mit zusätzlichen Serviceleistungen (16 Fälle), verbilligt überlassene Wohnungen (227 Fälle) und Wohnungen mit einer Wohnfläche von weniger als 22 m² (3 Fälle) ausgeschlossen und eine statistische Extremwertbereinigung (36 Fälle) vorgenommen hat. Es ist folgerichtig, dass diese Wohnungen nicht in die Stichprobe Eingang gefunden haben, weil sie nicht die tatsächlichen Verhältnisse am Wohnungsmarkt realitätsgetreu abbilden.

Wohnheimplätze werden oftmals subventioniert und spiegeln nicht den Marktpreis wider, zumal sie nicht für jeden Mieter zugänglich sind. Gleiches gilt für Wohngemeinschaften und untervermietete Wohnungen, die oft nicht marktgängig sind, und Mieten mit Serviceleistungen, die von sozialen Trägern angeboten werden. In diesem Kontext senken Wohnheimplätze eher den durchschnittlichen Mietpreis, wohingegen Wohngemeinschaften und untervermietete Wohnungen diesen wegen der geringen m²-Anzahl erhöhen können. Auf der anderen Seite hat der Beklagte am oberen Ende der Preisskala keine Mieten ausgeschlossen, insbesondere über gehobene Ausstattungsmerkmale, wie zum Beispiel einen Fahrstuhl oder hochwertige Ausstattung. Gleiches gilt für gehobene Wohnlagen, die nach der Stichprobentheorie eingeflossen und nicht eliminiert wurden. Der Beklagte hat konsequent aus dem unteren Segment verbilligte Wohnung herausgenommen, weil diese systematisch unterhalb des Marktpreises angeboten wurden. Dabei handelt es sich v.a. um Mietverhältnisse unter Verwandten oder Bekannten oder solche, die vergönnungsweise eingegangen wurden. Damit erfolgt eine deutliche Abgrenzung des Mietniveaus nach unten, was letztlich zu einer höheren Kappungsgrenze führt. Dieser Effekt war bereits im Rahmen des U.-Konzeptes für Dresden zu beobachten.

 

(3)

Hinsichtlich der Ermittlung der (kalten) Nebenkosten in den Fällen, in denen keine gesonderten Angaben vorlagen, hat der Beklagte jeweils den Mittelwert der Fälle einbezogen. Dies stößt aus Sicht der Kammer auf keine rechtlichen Bedenken. Das BSG hat mit Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 22/20 R – (Rd. 41) die Einbeziehung des Median aller Mieter als zulässig erachtet bzw. mit Urteil vom 12. Dezember 2017 – B 4 AS 33/16 R – den Einsatz möglichst örtlicher Nebenkostenübersichten verlangt. Zur Überzeugung des Gerichts spiegelt der Median des gesamten Wohnungsmarktes die örtlichen Verhältnisse im vorliegenden Einzelfall besser und realistischer wider als eine grobmaschige Bundes- oder Landesübersicht, da die Nebenkosten je nach Region stark differieren können. Da dies lediglich 1.237 Fälle betraf, bestand im Übrigen eine hinreichend valide Datengrundlage zur Ermittlung eines realistischen Median. Nicht bedenklich ist zudem die Hinzuaddition der dezentralen Warmwasserversorgung zu den Heizkosten. Letztlich kann die unvollständige Information der Vermieter nicht dazu führen, dass die Datenbasis zu gering wird, um eine taugliche Stichprobe für weitere Berechnungen zu gewinnen.

Auch die Inflationierung älterer Mieten begegnet keinen rechtlichen Bedenken, nachdem der Beklagte im Konzeptpapier die Berechnung transparent dargelegt hat. Auf diese Weise wurde das Dilemma einer zu geringen Datenbasis der Neuvertragmieten vermieden und ein preisbereinigtes Abbild des Wohnungsmarktes geschaffen, ohne dass ersichtlich ist, dass die Preissteigerung nicht realistisch abgebildet wurde. Insoweit ist auch die Argumentation des BSG zu beachten, dass Bestandsmieten durchaus das aktuelle Mietniveau am Wohnungsmarkt abbilden können (vgl. Urteil des BSG vom 03. September 2020 – B 14 AS 34/19 R -). Die zeitliche Begrenzung der Neuvertragsmieten stellt sicher, dass es nicht zu unrealistischen Verzerrungen kommt und auch dynamische Mietmärkte realitätsgerecht abgebildet werden. Das gewählte Verfahren basiert auf den überprüften Erfahrungen, welche die Firma U. im Dresdner Rechtsstreit gesammelt hat.

 

(4)

Der Beklagte hat zur Überzeugung der Kammer mit der ermittelten und bereinigten Datenprobe eine hinreichende Datenrepräsentativität außerhalb eines qualifizierten Mietspiegels hergestellt, die eine taugliche Grundlage für die realitätsgerechte Ermittlung der tatsächlichen Mietpreisverhältnisse auf dem örtlichen Wohnungsmarkt innerhalb des Vergleichsraums bildet.

Nach dem Urteil des BSG vom 03. September 2020 – B 14 AS 34/19 R – lässt sich aus § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II für das schlüssige Konzept eines Grundsicherungsträgers nicht herleiten, dass für eine hinreichende Datenrepräsentativität außerhalb eines qualifizierten Mietspiegels eine Datenbasis von mindestens 10 Prozent der Wohnungen des in Betracht zu ziehenden Wohnungsmarktes erforderlich ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Primärerhebungen auf der Basis von Zufallsstichproben die Größe und Struktur des Wohnungsmarktes verlässlich widerspiegeln, was nicht vom Umfang der Daten abhängt. Die vorliegende Problematik ergibt sich in den Fällen, in denen dem Konzept kein Mietspiegel zugrunde liegt, der bereits per se repräsentativ ist. Dies unterscheidet die vorliegende Fallkonstellation auch von dem „Dresden-Urteil“ des BSG und wirft unterschiedliche Folgeprobleme auf.

Insoweit sind die erhobenen Daten hinreichend repräsentativ, soweit sie in die Stichprobe eingeflossen sind und später entsprechend der Gesamtverhältnisse gewichtet wurden. Der Beklagte hat zu Recht eine Einteilung in verschiedene Schichten, wie die Vergleichsräume, Größe der Wohnungen, die Baualtersklassen und die Vermieterstrukturen vorgenommen, weil es sich dabei um preisbildende Falktoren für den lokalen Wohnungsmarkt handelt, die auch im Rahmen eines Mietspiegels Berücksichtigung finden, wobei dies hinsichtlich der Vermieterstruktur bis 2022 der Fall war. Die Anzahl der einbezogenen Wohnungen im Kreisgebiet beläuft sich auf 7.557, denen 81.018 Wohnungen laut Zensus gegenüberstehen. Hinzu treten noch die erhobenen Bestandsmieten von Leistungsbeziehern nach SGB II und SGB XII im Umfang von 15.445, wobei Überschneidungen nicht ausgeschlossen sind. Die ermittelte Datenbasis erweist sich als taugliche Berechnungsgrundlage, auch wenn sie – wie fast alle Stichproben – nicht proportional den Gesamtwohnungsmarkt widerspiegelt. Dies ist im Übrigen hinsichtlich der ungewichteten Rohdaten auch nicht erforderlich (vgl. Urteil des BSG vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R – (Rd. 24)). Das Konzept muss letztlich den Schluss zulassen, dass zur Referenzmiete Wohnungen tatsächlich verfügbar sind (vgl. Urteil des BSG vom 03. September 2020 – B 14 AS 34/19 -) und die Datenauswertung repräsentativ ist.

Das Herzstück des „Grundsicherungsrelevanten Mietspiegels“ bildet die Gewichtung der einzelnen bestimmten Schichten des Wohnungsmarkts im Sinne der Herstellung der Repräsentativität der Datenstichprobe. Bezüglich des maßgeblichen Mengengerüstes hat sich der Beklagte an dem Zensus bzw. an Sonderauswertungen orientiert, wobei aus Sicht der Kammer keine genauere Datensammlung verfügbar ist, die in einem höheren Maße geeignet gewesen wäre. Auf diese Weise hat der Beklagte die Datenprobe bezüglich der Wohnungsaltersklassen und der Vermieterstruktur entsprechend mathematisch-statistisch gewichtet, was ein anerkanntes Rechenverfahren im Sinne eines Dreisatzes darstellt und ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Aus Sicht der Kammer wurden die Grenzen der Gewichtungsmöglichkeit eingehalten, die sich danach bestimmen, dass zumindest eine Mindestfeldbesetzung sichergestellt ist, so dass die Stichprobe insoweit nicht von zufallsbedingten Faktoren abhängt. Insoweit ist es zulässig, sich auf die Stichprobentheorie zu berufen, nach der jeder Teilnehmer dieselbe Chance hat, in die Stichprobe zu gelangen (vgl. Urteil des BSG vom 03. September 2020 – B 14 AS 34/19 R – (Rd. 25)). Dies zugrunde gelegt, ist in diesem Kontext zu berücksichtigen, dass der Beklagte nicht die rechtliche Möglichkeit hat, einen Vermieter durch Verwaltungsakt zu verpflichten, ihm entsprechende Mietdaten zu übermitteln. Vor dieser Situation steht jeder Leistungsträger, der sich nicht auf einen qualifizierten Mietspiegel stützen kann. Vielmehr ist er auf die freiwillige Mitwirkung der Vermieter angewiesen, nachdem er sämtliche Kontaktdaten ermittelt hat. Die Kammer erkennt das (interessenbedingt zu erwartende) Übergewicht der Großvermieter gerade im Vergleichsraum I., hält aber die Anzahl der Kleinvermieterdaten nicht für derart eklatant gering, dass eine Verzerrung im Rahmen der Datenauswertung auftritt, die durch eine Gewichtung nicht mehr ausgeglichen werden könnte. Dies wäre nur der Fall, wenn die Ergebnisse der Ziehung derart gering wären, dass eine Einbeziehung dem Zufallsprinzip ohne Möglichkeit der Rückkopplung mit den tatsächlichen Verhältnissen folgt. Dieser Punkt ist jedenfalls bei 1.591 Datensätzen von Kleinvermietern bei einem Bestand von 20.723 nicht erreicht. Eine valide Datenbasis, die Grundlage einer Gewichtung werden kann, liegt mithin vor. Auch sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Großvermieter L. mit günstigeren Mietangeboten, den Marktpreis dauerhaft unterläuft oder gar ein kollusives Zusammenwirken mit dem Leistungsträger auch nur angedacht werden kann. Diesbezüglich hätte es näheren Vortrages bedurft, der über eine Beschreibung der Stichprobe hinausgeht. Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass die gezogenen Wohnungen der M. demjenigen Preisniveau entsprechend, welches auch die Angebote der übrigen Großvermieter prägt, zumal bei einem Bestand 4.531 Wohnungen gemeinsam mit der Wohnungsgenossenschaft Göttingen (4.486) durchaus von einer marktbeherrschenden Stellung ausgegangen werden kann, die sich eher steigernd auf das Mietenniveau auswirken könnte. Dass sich die N. an der Befragung nicht beteiligte, hat der Beklagte letztlich nicht zu vertreten, so dass auch insoweit auf die Stichprobentheorie zu verweisen ist.

Das BSG hat mit Urteil vom 05. August 2021 – B 4 AS 82/20 R – (Rd. 40) eine Gewichtung zwischen Klein- und Großvermietern grundsätzlich als zulässig angesehen, ohne nähere Kriterien zu formulieren, was offenbar (vorerst) der Instanzgerichtsbarkeit überlassen wird. Selbst der 6. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen wies mit Urteil vom 02. April 2019 – L 6 AS 467/17 – auf die – im Falle des A & K – Gutachtens nicht gegebene - Möglichkeit der Gewichtung der Stichprobe hin. In diesem Kontext geht die Kammer nicht davon aus, dass das Gewichtungsergebnis dadurch in statistisch erheblicher Weise gestört wird, dass eine quantitativ nicht abgrenzbare Anzahl einzelner Kleinvermieter ihre Immobilien von Großvermietern oder deren Wohnungsfirmen verwalten lassen. Denn die Preisgestaltung verbleibt im Einflussbereich der Kleinvermieter als mietvertragschließende Partei, zumal diese Konstellationen mengenmäßig nicht eingegrenzt und aufgeklärt werden können. Dass eine Differenzierung nach Sozialwohnungen nicht vorgenommen wurde, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass insoweit keine statistischen Erhebungen bestehen, die zur Bildung eines Mengengerüstes herangezogen werden könnten. Insoweit ist auch diesbezüglich auf die Stichprobentheorie zu verweisen.

 

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Der Beklagte hat mit Blick auf die gewichteten Neuvertragsmieten Flächenkorridore gebildet und dabei beachtet, dass nach der Produkttheorie auch größere Wohnungen kostenangemessen sein können. Demgegenüber hat er rechnerisch die Anmietwahrscheinlichkeit einer Wohnung gegenübergestellt und unter Einbeziehung der Nachfrageseite geprüft, zu welchem Kappungswert wie viele Wohnungen auf dem konkreten Wohnungsmarkt anmietbar sind.

Die rechnerische Ermittlung unter Einbeziehung der Integralrechnung ist von der Kammer auf ihre Schlüssigkeit untersucht worden und unter mathematisch-statistischen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Zunächst wurden die monatlichen Transaktionen auf dem regionalen Wohnungsmarkt erfasst und ihnen die Nachfrage durch Leistungsberechtigte nach dem SGB II und SGB XII in Konkurrenz zu anderen Gruppen von Geringverdienern unter Berücksichtigung der Leerstände und marktfähigen Wohnungen gegenübergestellt. Bei den Leerständen, die zudem in ländlichen Gebieten (zum Vorteil der Leistungsberechtigten) begrenzt wurden, durfte der Beklagte davon ausgehen, dass es sich hierbei nicht um Wohnungen einfachsten Standards handelte. Bereits einleitend ist festgestellt worden, dass bei einem Aussondern von 15 Substandardwohnungen aus der Stichprobe davon auszugehen ist, dass diese nicht in statistisch relevanter Anzahl im Landkreise I. im Jahre 2017 vorlagen. Diejenigen Bedarfsgemeinschaften, die kürzlich eine Absenkungsaufforderung erhalten haben, wurden mit 1/6 bei der Nachfrage berücksichtigt, weil diese nicht sofort umziehen (vgl. auch Urteil des Sächsischen LSG vom 19. Dezember 2013 - L 7 AS 637/12 – (Rd. 155)). Unangemessene Bestandsfälle hat der Beklagte mit 1/12 als nachfragerelevant bewertet, da es sich insoweit um Bedarfsgemeinschaften handelt, die unbeeindruckt von Absenkungsaufforderungen weiter eine unangemessen teure Wohnung bewohnen und möglicherweise Teile des Regelbedarfes oder Arbeitsverdienstes aufwenden, um in besseren Wohnlagen zu leben.

Aus der mathematischen Gleichung ergibt sich der Kurvenverlauf auf Seite 47 des Grundsicherungsrelevanten Mietspiegels. Der Beklagte hat in rechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise den Schnittpunkt der Kurven als Kappungsgrenze gewählt. Diese Einschätzung ist von der Methodenfreiheit gedeckt. Einer denkbaren, für Mieter günstigeren Kappungsgrenze steht aus Sicht der Kammer entgegen, dass der Beklagte bereits gehobene Mieten und Wohnlagen – auch nicht über die Extremwertkappung - ausgesondert und insbesondere nicht das anerkannte 20-Prozent-Perzentil der Angebotsmieten übernommen hat, so dass die akzeptierten Mieten bereits oberhalb dessen liegen, was im Rahmen anderer Konzepte als angemessen anzusehen ist. Die Großzügigkeit der Bemessung spiegelt sich auch im Vergleich zum A & K - Gutachten in der geringen Zahl derer wider, die unangemessen wohnen und zur Kostensenkung aufgefordert werden. Die Wahl der Kappungsgrenze bei einem höheren Mietpreis hätte dazu führen können, dass der Markt nachzieht und den Marktpreis an das grundsicherungsrechtlich angemessene Maß anpasst, zumal diese Marktbewegung dann mit Steuermitteln abgefangen werden müsste. Insoweit erscheint der gewählte Referenzwert als schlüssig und als sachgerecht, um jedem Leistungsbezieher ein Umzugsangebot pro Monat zu ermöglichen. Dass der Beklagte die Kappungsgrenzen je nach Wohnungsgröße gesondert ermittelt hat, wird den marktwirtschaftlichen Verhältnissen am Wohnungsmarkt gerecht und berücksichtigt das divergierende Maß an Angebot und Nachfrage je nach Wohnungsgrößensegment. Dies wird insbesondere bei den Wohnungen für Einpersonenhaushalte gerecht, deren Nachfrage auch durch die Flüchtlingszuwanderung ab 2015 und die hohe Anzahl Studierender maßgeblich bestimmt wird, deren Bedürfnisse allein auf Sonderwohnungsmärkten nicht zu befriedigen sind.

Zur Sicherung hat der Beklagte das Kriterium des 70. Perzentils der Bestandsmieten formuliert, das verhindert, dass eine hohe Anzahl an Kostensenkungsaufforderungen dazu führt, dass eine Vielzahl an Leistungsberechtigten umziehen müsste. In Anbetracht der Tatsache, dass das BSG bei Bestandsmieten den Spannenoberwert als Angemessenheitskriterium ansieht, ist dies nicht zu beanstanden, zumal der Abgleich zwischen den gewichteten Neuvertragsmieten und der Anmietungswahrscheinlichkeit garantiert, dass tatsächlich angemessene Wohnungen in ausreichender Anzahl anmietbar sind.

 

(6)

Die Anwendung des § 22 Absatz 10 SGB II führt zu keinem anderen Ergebnis, weil im vorliegenden Einzelfall auch die Gesamtangemessenheitsgrenze von Unterkunfts- und Heizung überschritten ist, zumal die Unterkunftskosten selbst nach dem Maßstab der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitsaufschlages von 10 Prozent unangemessen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.

 

Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer der Klägerinnen mit jeweils 303,60 Euro den Schwellenwert von 750,-- Euro nicht übersteigt. Die Berufung wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Rechtskraft
Aus
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