L 9 U 345/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 77/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 345/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob im Wege einer Zugunstenentscheidung nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Ansprüche des Klägers des am 29.09.1961 geborenen aus einem Arbeitsunfall vom 05.09.2008 bestehen.

Der Kläger, welcher im Unfallzeitpunkt als selbstständiger Taxiunternehmer bei der Beklagten versichert war, zog sich bei dem genannten Arbeitsunfall eine folgenlos abgeklungene Distorsion der Halswirbelsäule 1. Grades und eine knöchern verheilte Schultereckgelenkssprengung links zu. Wegen unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit zahlte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 05.09.2008 bis zum 25.12.2008 Verletztengeld in Höhe von täglich 44,44 € (= 4.932,84 €). Der Kläger meldete das Gewerbe zum 26.06.2009 ab. Er bezieht sei dem 01.08.2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung

In einem auf Anforderung der Beklagten eingeholten Gutachten nahm der Facharzt K unter dem 22.05.2012 aufgrund der persistierenden Beschwerdeproblematik im Bereich der linken Schulter ohne Bewegungseinschränkung bei folgenlos ausgeheilter Zerrung der HWS eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. an. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente durch Bescheid vom 25.06.2012 ab. Durch weiteren Bescheid vom 28.08.2012 wurde Verletztengeld für die Zeit vom 05.09.2008 bis 25.12.2008 bewilligt. Die dagegen erhobenen Widersprüche wurden von der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 zurückgewiesen. Das anschließende Klageverfahren vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) endete durch mit Klagerücknahme vom 30.11.2016 (S 12 U 622/15).

Mit weiterem Bescheid vom 24.06.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folge eines weiteren Arbeitsunfalls vom 08.08.2015 ab.

Mit Schreiben vom 05.02.2019 wandte sich der Kläger an die Beklagte und beantragte bezüglich der Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.09.2008 eine Überprüfung nach § 44 SGB X. Er sei nach dem Unfall schwerbehindert geworden (Grad der Behinderung < GdB 100 >, erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr < Merkzeichen G >) und ab dem 01.09.2009 arbeitslos. Zudem sei er seit dem 01.02.2010 Rentner. Für die Zeit vom 05.09.2008 bis zum 01.09.2009 habe er keine Unterstützung erhalten. Er wolle sämtliche Geldleistungen bekommen.

Mit Bescheid vom 01.04.2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rücknahme der Bescheide vom 25.06.2012 und vom 28.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 ab und führte dazu aus, im Rahmen des Überprüfungsverfahrens habe sich nichts ergeben, was für die Unrichtigkeit der genannten Bescheide sprechen könnte. Es sei nicht ersichtlich, dass bei Erteilung der beiden Verwaltungsentscheidungen vom 25.06.2012 und vom 28.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 das Recht unrichtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Da der Kläger keine neuen wesentlichen Tatsachen oder Gesichtspunkte benannt habe, die unberücksichtigt geblieben seien, könne sich die Verwaltung ohne Weiteres auf die Bindungswirkung der genannten Bescheide berufen. Deshalb müsse der Antrag nach § 44 SGB X abgelehnt werden.

Dagegen erhob der Kläger am 08.04.2019 Widerspruch mit der Begründung, er habe wegen der Unfallfolgen lediglich eine Zahlung von 4.932,84 € erhalten; die Zahlung einer Rente sei abgelehnt worden. Er habe dann ein Studium des Journalismus gemacht und wolle hierfür Übergangsgeld bzw. sein Geld zurückbekommen. Hierzu legte der Kläger Gebührenquittungen der H Akademie für Fernstudien über bezahlte Unterrichtsgebühren für die Jahre 2013 und 2014 in Höhe von 806,40 € bzw. 230,40 € vor. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 12.12.2019 zurückgewiesen mit der Begründung, die Beklagte habe anlässlich des Arbeitsunfalls vom 05.09.2008 mit den Bescheiden vom 25.06.2012 und vom 28.08.2012 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015) über die Unfallfolgen sowie über die Ansprüche auf Zahlung des Verletztengeldes und die Gewährung einer Verletztenrente entschieden. Die genannten Bescheide seien mit der Rücknahme der diesbezüglichen Klage am 30.11.2016 bestandskräftig geworden. Mit seinem Überprüfungsantrag mache der Kläger jetzt sinngemäß die Zahlung von Schmerzensgeld, Verletztengeld, Übergangsgeld, Haushaltsführungsgeld, Abfindungsgeld und Verdienstausfallgeld geltend. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X dürfe ein bestandskräftiger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit jedoch nur zurückgenommen werden, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt aus gegangen worden sei und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden seien. Dieses Überprüfungsverfahren gliedere sich in drei Abschnitte: Ergebe sich im Rahmen eines Antrags auf Erlass eines Zugunstenbescheids nichts, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könne, dürfe sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung des früheren Verwaltungsaktes berufen. Wenn zwar neue Tatsachen oder neue Beweismittel benannt würden, die Prüfung aber ergebe, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte tatsächlich nicht vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich gewesen sind, dürfe sich die Verwaltung ebenfalls auf die Bindungswirkung berufen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führe, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse gegeben seien, die für die Entscheidung wesentlich seien, sei die Verwaltungsbehörde gehalten, ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Vorliegend ergäben sich aus dem Vorbringen des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass bei Erteilung der beiden Bescheide vom 25.06.2012 und vom 28.08.2012 für die Entscheidung wesentliche Tatsachen oder Gesichtspunkte unberücksichtigt geblieben seien. Damit könne nicht festgestellt werden, dass bei Erteilung dieser Bescheide das Recht unrichtig angewandt oder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden sei. Von einer vollumfänglichen Überprüfung der beiden Bescheide habe daher abgesehen werden können. Stattdessen berufe sich die Beklagte weiterhin auf die Bindungswirkung dieser Bescheide.

Am 20.12.2019 hat der Kläger beim SG eine Erklärung zur Beantragung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter anwaltlicher Beiordnung vorgelegt und dazu vorgetragen, er beanspruche wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.09.2008 weiterhin Übergangsgeld und die Übernahme der Aufwendungen für den Besuch der Journalismus-Schule (1.036,80 €). Im Übrigen wolle er darauf aufmerksam machen, dass er damals für seine Eigentumswohnung in H1 monatliche Raten von 570,00 € hätte aufbringen müssen. Zusätzlich habe er für zwei Fahrzeuge monatlich jeweils 560,00 € zahlen müssen. Bis heute seien somit noch 15.000 € offen. Er beanspruche daher von der Beklagten die Übernahme seines Verdienstausfalls bzw. einen Ausgleich für den Firmenverlust bzw. einen „Abstand“ für den Zeitraum vom 05.09.2008 bis zum 01.09.2009.

Sinngemäß hat der Kläger damit begehrt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2019 zu verurteilen, ihm unter Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide vom 25.6.2012 und vom 28.8.2012 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29.1.2015 wegen des Arbeitsunfalls vom 05.09.2008 weitere Leistungen in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch der Journalismus-Schule 2013/2014, Übergangsgeld, Verdienstausfall und „Abstand“ bzw. Ausgleich für den Verlust der Firma für die Zeit vom 05.08.2008 bis 01.09.2009, in der er keinen Cent von niemandem bekommen habe.

Das SG hat die Bewilligung von PKH unter anwaltlicher Beiordnung wegen fehlender Erfolgsaussichten der Klage (S 9 U 77/20) mit Beschluss vom 06.03.2020 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) ist erfolglos geblieben (Beschluss vom 14.10.2020 - L 12 U 1055/20 B -).

Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 14.01.2021 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, zu Gunsten des Klägers werde die Vorlage der PKH-Erklärung (20.12.2019) als Klageerhebung (§ 90 SGG) gewertet. Der Vorlage der PKH-Erklärung (20.12.2019) werde im Rahmen einer „Meistbegünstigung“ die Rechtsfolgen einer wirksamen Klageerhebung beigemessen. Streitgegenstand der Klage sei der Bescheid vom 01.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2019, durch den die Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide vom 25.06.2012 und vom 25.08.2012 (jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.1.2015) und die Gewährung der beanspruchten Leistungen aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 5.9.2008, vor allem Übernahme der Gebühren für die Journalismus-Schule, Verdienstausfall bzw. „Abstand“ für die Zeit vom 5.9.2008 bis zum 1.9.2009) abgelehnt wurde. 
Die fristgerecht erhobene Klage sei unzulässig, denn dem Kläger fehle die notwendige Beschwer, wenigstens bestehe aber für die Prozessführung kein Rechtsschutzbedürfnis. § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG ordne an, dass die sozialgerichtliche Anfechtungs- bzw. Verpflichtungslage nur zulässig ist, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein. Der Kläger sei beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). In ständiger Rechtsprechung gehe das BSG davon aus, dass die somit erforderliche Beschwer nur aber immer dann fehle, wenn offen zu Tage liegt, dass das geltend gemachte Recht unter Berücksichtigung des Klagevorbringens eindeutig nach keiner denkbaren Betrachtungsweise bestehen kann (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl, 2020, § 54 Rdnr. 14a). Vorliegend habe die Beklagte mit den Bescheiden vom 25.06.2012 und vom 28.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 abschließend über die Ansprüche des Klägers aus dem Arbeitsunfall vom 05.09.2008 entschieden. Mit der Klagerücknahme vom 30.11.2016 seien die genannten Bescheide bestandskräftig geworden, so dass bindend feststehe, dass der Kläger aus dem Arbeitsunfall vom 05.09.2008 für die von ihm angeführten Zeiträume (Ausgleich bzw. „Abstand“ für die Zeit vom 05.09.2008 bis zum 01.09.2009, Besuch der Journalismus-Schule in den Kalenderjahren 2013/2014) keine weitergehenden Ansprüche habe. Dies folge aus § 77 SGG. Etwas Anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn der Kläger die Rücknahme der im vorstehenden Absatz angeführten Bescheide beanspruchen könnte. Ob die diesbezüglichen Rücknahmevoraussetzungen aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfüllt seien, könne dahinstehen, denn selbst wenn die Klage insoweit erfolgreich wäre, ergäben sich hieraus zu Gunsten des Klägers nicht die von ihm reklamierten Zahlungsansprüche. Der Erfolg eines Überprüfungsverfahrens bewirke keinen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Nachzahlung der vorenthaltenen Sozialleistungen. Der Kläger habe seinen Überprüfungsantrag zu Anfang des Kalenderjahres 2019 gestellt. Dies habe zur Konsequenz, dass der Nachzahlungszeitraum, der sich aus einem positiven Ausgang des Überprüfungsverfahrens ergeben könnte, nur die Kalenderjahre 2018 bis 2015 umfasse. Somit stehe zweifelsfrei fest, dass der Kläger selbst bei einem Prozesserfolg keinen Anspruch auf Nachzahlung von Sozialleistungen für die Kalenderjahre vor 2015 erwerben könnte. In diesem Zusammenhang habe § 44 Abs. 4 SGB X den Charakter einer materiell-rechtlichen Anspruchsbeschränkung (Beck-Onlinekommentar zu § 44 SGB X, Rdnr. 31 sowie Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 44 Rdnr. 29); der Vierjahreszeitraum gelte „absolut“, so dass es nicht im Belieben bzw. Ermessen der jeweiligen Sozialleistungsbehörde stehe, ob sie sich auf den Fristablauf berufen möchte (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, online-Ausgabe, § 44 SGB X Rdnr. 54).

Aus dem Klagevorbringen des Klägers ergebe sich eindeutig, dass sich der materielle Streitgegenstand der Klage nur auf Zeiträume vor dem Kalenderjahr 2015 erstrecke. Denn der von ihm angeführte Besuch der Journalismus-Schule betreffe die Kalenderjahre 2013 und 2014; der reklamierte „Abstand“ bzw. Verdienstausfall bezieht sich nach dem ausdrücklichen Vorbringen des Klägers (nur) auf die Zeit bis zum 1.9.2009. Bei dieser Sachlage stehe zweifelsfrei fest, dass dem Kläger das mit der Klage verfolgte materielle Recht unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zustehen kann. Denn § 44 Abs. 4 SGB X steht einem Prozesserfolg auch auf Basis des eigenen Vorbringens des Klägers zwingend entgegen. Es liegt somit offen zu Tage, dass selbst ein zusprechendes Urteil die Situation des Klägers nicht mehr verbessern könnte. Die Klage sei daher unzulässig.

Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass die Klage zudem aus den Gründen der PKH-Entscheidung vom 6.3.2020 und der Beschwerdeentscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 14.10.2020 angeführt haben, auch unbegründet wäre.

Gegen den am 19.01.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21.01.2021 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben und zur Begründung im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Januar 2021 sowie den Bescheid vom 01.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 25.06.2012 und vom 25.08.2012, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2015, zu verpflichten, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.09.2008 weitere Leistungen (Übernahme der Kosten für den Besuch der Journalismus-Schule 2013/2014, Übergangsgeld, Verdienstausfall und „Abstand“ bzw. Ausgleich für den Verlust der Firma für die Zeit vom 05.09.2008 bis zum 01.09.2009) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.


Durch Beschluss vom 12.04.2021 hat der Senat das Verfahren gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Vorsitzenden zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, des SG und des LSG Baden-Württemberg (L 12 U 1055/20 B, L 12 U 2672/20 B) und auf die Senatsakte des vorliegenden Verfahrens verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft und insgesamt zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2019 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide vom Bescheide vom 25.06.2012 und vom 25.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015 und auf Gewährung weiterer Leistungen wegen der Folgen des Unfalls vom 05.09.2008.

Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Eines Verpflichtungsantrags, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihren früheren, dem Anspruch entgegenstehenden Bescheid selbst aufzuheben, bedarf es in einem Gerichtsverfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts nach § 44 SGB X nicht. Dass ein Verwaltungsakt nach Eintritt der Bindungswirkung nicht mehr vor Gericht angefochten, sondern nur noch im Zugunstenverfahren zurückgenommen werden kann und dass hierüber nach § 44 Abs. 3 SGB X die zuständige Verwaltungsbehörde entscheidet, rechtfertigt nicht den Schluss, dass auch im Prozess über die Ablehnung des Zugunstenantrags die Rücknahmeentscheidung nicht vom Gericht ersetzt werden kann. Vielmehr kann mit der Anfechtungsklage gegen den eine Zugunstenentscheidung ablehnenden Bescheid zugleich die Aufhebung des früheren, dem Klageanspruch entgegenstehenden (Ausgangs-)Bescheides unmittelbar durch das Gericht verlangt werden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 18). In Bezug auf die Leistungsklage ist die Verpflichtungsklage statthaft.

Rechtsgrundlage für die Überprüfung der bestandskräftigen Ablehnung der begehrten Unfallfolgen ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte. Nach § 44 Abs. 4 SGB X werden im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme bzw. Antragstellung erbracht. Der Zeitpunkt der Rücknahme wird dabei von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Bei einer Rücknahme auf Antrag tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den die Leistungen rückwirkend zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, wie bereits das LSG Baden-Württemberg im Beschluss vom 14.10.2020 (a.a.O.) ausgeführt hat:
„Die Beklagte hat danach in dem angefochtenen Bescheid vom 01.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2019 zu Recht eine Zurücknahme der beiden Verwaltungsakte vom 25.06.2012 (Ablehnung eines Anspruchs auf Rente wegen des Arbeitsunfalls vom 05.09.2008) und vom 28.08.2012 (Gewährung von Verletztengeld i.H.v. 4.932,84 € für die Zeit vom 05.09.2008 bis 25.12.2008) gemäß § 44 SGB X abgelehnt, weil der Kläger weder Anhaltspunkte dafür vorgebracht hat, dass Tatsachen oder Erkenntnisse, die für diese Entscheidung maßgeblich waren, bei Erlass der beiden Verwaltungsakte unberücksichtigt geblieben sind, noch solche Anhaltspunkte ersichtlich sind. Auch ist weder geltend gemacht worden noch erkennbar, dass die Beklagte das Recht unrichtig angewandt hat. Ergibt sich aber im Rahmen eines Antrages auf Erlass eines Zugunstenbescheids nichts, was für die Unrichtigkeit der in Bestandskraft erwachsenen Verwaltungsentscheidungen sprechen könnte, darf sich die Beklagte ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden. Danach durfte sich die Beklagte auf die Bindungswirkung berufen. Denn der Kläger hat seinen Überprüfungsantrag im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen damit begründet, dass er „alle Geldleistungen“ bekommen wolle. Auch im Klageverfahren hat er lediglich die ihm aufgrund des Arbeitsunfalls seiner Auffassung nach entstandenen Kosten beziffert. Soweit er darüber hinaus im Besonderen Leistungen für den Zeitraum vom 05.08.2008 bis 01.09.2009 geltend gemacht hat, steht dem bereits § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Auch die Beschwerdebegründung („Ich brauche mein Übergangsgeld“) enthält keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der im Streit stehenden Entscheidungen. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die ursprüngliche Entscheidung der Beklagten aus rechtlichen Gründen keinen Bestand haben könnte.“ Dem schließt sich der erkennende Senat an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf.

Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass auch nichts dafür erkennbar ist, dass der Kläger durch den Arbeitsunfall vom 05.09.2008 weitere gesundheitliche Schädigungen erlitten hat, für die er Geld- oder sonstige Leistungen beanspruchen könnte. Hierzu hat das LSG Baden-Württemberg in dem Parallelverfahren vor dem SG (S 12 U 1503/20 wegen Gewährung von Übergangsgeld sowie Übernahme der Kosten das in den Jahren 2013/2014 absolvierte Fernstudium Journalistik) durch Beschluss vom 21.12.2020 (L 12 U 2672/20 B) ausgeführt: „Gemessen an diesen Vorgaben sind im vorliegenden Fall, in welchem der Kläger Übergangsgeld und die Übernahme von Kosten seines Studiums begehrt, die Erfolgsaussichten zu verneinen. Die Beklagte hat insbesondere im Widerspruchsbescheid vom 27.05.2020 zutreffend dargelegt, weshalb dem Kläger aufgrund der beim Arbeitsunfall im September 2008 erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen von vornherein keine Leistungen zur Teilhabe gemäß § 35 Abs. 1 SGB VII zustehen, worauf der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt. Ausweislich der eingeholten medizinischen Stellungnahmen resultierte aus dem Arbeitsunfall eine folgenlos ausgeheilte Zerrung der Halswirbelsäule sowie eine knöchern vollständig konsolidierte Schultereckgelenkssprengung links, die zu einer Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 25.12.2008 geführt haben. Für darüberhinausgehende Folgen aufgrund des Arbeitsunfalls vom September 2008, die unter anderem Leistungen zur Teilhabe begründen könnten, liegen keine Anhaltspunkte vor. Darüber hinaus hat der Kläger das streitgegenständliche Studium im Jahre 2013 ohne vorherige Antragstellung bei der Beklagten oder Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben begonnen.
Soweit der Kläger darüber hinaus zumindest sinngemäß Übergangsgeld begehrt, scheitert dieser Anspruch bereits daran, dass der Kläger keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben infolge des Versicherungsfalls erhalten hat (§ 49 SGB VII).“ Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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