B 5 R 47/21 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 R 809/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 613/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 47/21 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bezieht ein Versicherter unmittelbar vor einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation Arbeitslosengeld II, ist für einen Anspruch auf Übergangsgeld ausreichend, dass in den letzten zwei Jahren vor Beantragung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aus dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit für zumindest sechs Monate Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind.

 

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. März 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

G r ü n d e :

I

 

1

Der klagende Grundsicherungsträger begehrt vom beklagten Rentenversicherungsträger die Erstattung von Leistungen nach dem SGB II iHv 1099,44 Euro, die er während einer zu Lasten der Beklagten durchgeführten stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme erbracht hat.

 

2

Auf ihren Antrag vom 25.1.2017 bewilligte die Beklagte der Versicherten M Leistun­gen zur medizinischen Rehabilitation für die Zeit vom 21.6.2017 bis zum 26.7.2017 (Bescheid vom 25.4.2017). Übergangsgeld (Übg) für die Dauer der Maßnahme gewährte die Beklagte nicht.

 

3

Im Versicherungsverlauf der Versicherten sind für die Zeit vom 12.5.2005 bis zum 31.1.2008 Pflichtbeitragszeiten wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld II (Alg II) hinterlegt. Vom 1.2.2008 bis zum 31.3.2011 wurden keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (RV) entrichtet. In diesem Zeitraum ist lediglich für den 1.11.2010 eine geringfügige Beschäftigung ohne Versi­cherungspflicht vermerkt. Seit dem 1.4.2011 stand die Versicherte erneut im ausschließlichen Bezug von Alg II.

 

4

Der Kläger meldete mit Schreiben vom 12.6.2017, 21.8.2017 und 22.8.2017 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an. Dieser setze sich aus 490,80 Euro für den Regelbedarf, 471,84 Euro für Kosten der Unterkunft und Heizung, 116,17 Euro für Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (KV) und 20,63 Euro für Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung (PV) zusammen. Die Beklagte lehnte die Zahlung ab, weil es an einem lückenlosen Bezug von Alg II bis zum Beginn der Rehabilitationsmaßnahme fehle.

 

5

Das SG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 18.9.2018). Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 3.3.2021 zurückgewiesen. Ein Erstattungsanspruch bestehe weder nach § 102 SGB X noch nach § 104 SGB X und insbesondere auch nicht auf der Grundlage von § 25 SGB II iVm einer entsprechenden Anwendung von § 102 SGB X. Zwar habe die Versicherte die Wartezeit von 15 Jahren als Voraussetzung für die Bewilligung einer Rehabi­litationsmaßnahme gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI erfüllt. Ihr stehe jedoch dem Grunde nach kein Anspruch auf Übg nach § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI zu, sodass es bei der Leis­tungszuständigkeit des Grundsicherungsträgers verbleibe. Die Vorschrift des § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI verlange für den Fall des Bezugs von Alg II vor Beginn der Rehabilitationsmaß­nahme, dass "zuvor" aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen Beiträge zur RV gezahlt worden seien. Erforderlich sei ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Vorbezug von beitrags­pflichtigem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen und dem Beginn der Rehabilitationsmaß­nahme. Ein solcher Zusammenhang fehle bei der Versicherten, die lediglich Pflichtbeitragszeiten für den Bezug von Alg II im Zeitraum vom 12.5.2005 bis zum 31.1.2008 und eine geringfügige Beschäftigung ohne Versicherungspflicht für einen Tag ‑ am 1.11.2010 ‑ aufzuweisen habe. Ent­gegen der Ansicht des Klägers könne für die Bestimmung der Bedeutung des Merkmals "zuvor" nicht auf den in § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI genannten Zeitraum von 15 Jahren abgestellt werden. Die in § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI normierten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen könnten auch ohne einen bestimmten zeitlichen Bezug zu einem beitragspflichtigen Beschäftigungsver­hältnis erfüllt sein. § 20 SGB VI gehe aber von einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen beitragspflichtiger Beschäftigung und Übg aus.

 

6

Mit seiner vom BSG zugelassenen Revision (Beschluss vom 21.10.2021) rügt der Kläger eine Verletzung materiellen Rechts. Das Berufungsgericht habe den Regelungsgehalt der Bestimmun­gen (§ 25 SGB II iVm § 102 SGB X, § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI, § 21 SGB VI), die dem geltend gemachten Erstattungsanspruch zugrunde lägen, verkannt. Es liege in der Natur der Leis­tung Alg II, dass durch das Übg keine direkte Kompensation von Entgelt- oder Einkommensaus­fall erfolge. Wenn ein Rückgriff auf die Frist des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI zur Bestimmung des Begriffs "zuvor" iS von § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI zulässig sei, müsse dies auch für die Frist aus § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI gelten. Da in beiden Fällen schon aus § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI zu verlangen sei, dass Beiträge aus Arbeitseinkommen oder -entgelt zur RV gezahlt wurden, bestehe auch kein Automatismus dahingehend, dass jede versicherte Person Übg beanspruchen könne.

 

7

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. März 2021 sowie des Sozialge­richts Bayreuth vom 18. September 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1099,44 Euro zu zahlen.

 

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

 

9

Sie hält die vorinstanzlichen Entscheidungen für zutreffend. Bei einem Rückgriff auf § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI wäre der in § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI normierte zeitliche Bezug weitgehend aufgelöst und bedeutungslos.

 

II

 

10

Die kraft Zulassung durch das BSG statthafte (§ 160 Abs 1 und 3 SGG) und zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG einen Erstat­tungsanspruch des Klägers nach § 25 Satz 3 SGB II iVm § 102 SGB X entsprechend in Höhe des an die Versicherte während der zu Lasten der Beklagten durchgeführten medizinischen Rehabi­litationsmaßnahme erbrachten Alg II von insgesamt 962,64 Euro verneint. Auch die vom Kläger während der Maßnahme gezahlten Beiträge zur KV und PV iHv insgesamt 136,80 Euro kann der Kläger nicht von der Beklagten gemäß § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II iVm § 335 Abs 2 und 5 SGB III ersetzt verlangen.

 

11

A. Einer notwendigen Beiladung der Versicherten nach § 75 Abs 2 SGG bedurfte es nicht. Sie hat Sozialleistungen in der zwischen den Leistungsträgern streitigen Höhe vom Kläger bereits erhal­ten. Diese kann sie ‑ unabhängig vom Ausgang des Erstattungsrechtsstreits ‑ weder nochmals von den Beteiligten beanspruchen noch kommt wegen § 107 Abs 1 SGB X in Betracht, dass sie dem Kläger die erbrachten Leistungen erstatten muss. Die Entscheidung über die Erstattungs­forderung hat mithin keine Auswirkungen auf ihre Rechtsposition. Es geht lediglich um die Ver­teilung leistungsrechtlicher Verpflichtungen zwischen den Leistungsträgern (vgl BSG Urteil vom 12.4.2017 ‑ B 13 R 14/16 R ‑ SozR 4‑4200 § 25 Nr 2 RdNr 12 mwN).

 

12

B. Gegenstand des Verfahrens ist zunächst der zulässigerweise mit der (echten) Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG, vgl BSG Urteil vom 8.3.2016 ‑ B 1 KR 27/15 R ‑ SozR 4‑3250 § 14 Nr 23 RdNr 7; BSG Urteil vom 12.4.2017 ‑ B 13 R 14/16 R ‑ SozR 4‑4200 § 25 Nr 2 RdNr 13) verfolgte Anspruch des Klägers auf Erstattung des Alg II, das er der Versicherten während der Teilnahme an einer von der Beklagten gewährten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme erbrachte.

 

13

I. Als Anspruchsgrundlage für dieses Erstattungsbegehren des Klägers kommt allein § 25 SGB II iVm § 102 SGB X entsprechend in Betracht.

 

14

Nach § 25 Satz 1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung der Neufas­sung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.5.2011 (BGBl I 850) erbringen die Träger der Leistungen nach dem SGB II die bisherigen Leistungen als Vorschuss auf die Leistungen der RV weiter, wenn Leistungsberechtigte dem Grunde nach Anspruch auf Übg bei medizinischen Leistungen der gesetzlichen RV haben. Die Vorschrift des § 25 Satz 1 SGB II kommt damit zur Anwendung, wenn ein Bezieher von Alg II dem Grunde nach Anspruch auf Übg hat, weil er von einem Träger der RV Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhält. Als Rechtsfolge erbringt in einem derartigen Fall der Grundsicherungsträger für den RV-Träger die "bisherigen Leistun­gen" vorschussweise weiter. Grund für diese Regelung ist, dass ein Trägerwechsel und damit eventuell einhergehende Lücken bei der Leistungsgewährung vermieden werden sollen (BSG Urteil vom 12.4.2017 ‑ B 13 R 14/16 R ‑ SozR 4‑4200 § 25 Nr 2 RdNr 16; BSG Beschluss vom 19.10.2011 ‑ B 13 R 241/11 B ‑ SozR 4‑4200 § 25 Nr 1 RdNr 13 unter Verweis auf die Beschluss­empfehlung und den Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 26.1.2005 zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozial­recht <Verwaltungsvereinfachungsgesetz>, BT‑Drucks 15/4751 S 44). Gemäß § 25 Satz 3 SGB II gilt § 102 SGB X entsprechend.

 

15

Nach § 102 Abs 1 SGB X hat ein Leistungsträger Anspruch auf Kostenerstattung, der aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Hierbei richtet sich gemäß § 102 Abs 2 SGB X der Erstattungsanspruch des vorleistenden Leistungsträgers nach den für ihn gel­tenden Rechtsvorschriften, ist also auf denjenigen Umfang beschränkt, in dem er zu Recht Leis­tungen gemäß § 25 Satz 1 SGB II erbracht hat (BSG Urteil vom 12.4.2017 ‑ B 13 R 14/16 R ‑ SozR 4‑4200 § 25 Nr 2 RdNr 15 mwN).

 

16

II. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Satz 1 SGB II sind nicht erfüllt. Die Versicherte hatte während der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vom 21.6.2017 bis zum 26.7.2017 gegen die Beklagte gemäß § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b iVm § 21 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VI keinen Anspruch auf Übg in Höhe des gezahlten Alg II.

 

17

1. Nach § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderun­gen ‑ Bundesteil­habegesetz ‑ BTHG vom 23.12.2016 (BGBl I 3234) haben Anspruch auf Übg Versicherte, die bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder sonstigen Leistungen zur Teilhabe unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder, wenn sie nicht arbeitsunfähig sind, unmittelbar vor Beginn der Leistungen Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übg, Kurzarbeitergeld, Alg, Alg II oder Mutterschaftsgeld bezogen haben und für die von dem der Sozialleistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen oder im Falle des Bezugs von Alg II zuvor aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen Beiträge zur RV gezahlt wor­den sind. § 21 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Verwal­tungsverein­fachungsgesetzes vom 21.3.2005 (BGBl I 818) bestimmt, dass Versicherte, die unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder, wenn sie nicht arbeitsunfähig sind, unmittel­bar vor Beginn der medizinischen Leistungen Alg II bezogen und die zuvor Pflichtbeiträge gezahlt haben, Übg bei medizinischen Leistungen in Höhe des Betrages des Alg II erhalten.

 

18

2. Zwar hat die Versicherte ‑ nach den für den Senat nach § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG ‑ wie von § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI vorausgesetzt, "unmittelbar" vor Beginn der stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme am 21.6.2017 Alg II bezo­gen, und zwar durchgehend seit dem 1.4.2011. Sie erfüllt aber nicht die weitere Voraussetzung des § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI für einen Anspruch auf Übg, dass "zuvor aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen Beiträge zur RV gezahlt worden sind". Erforderlich hierfür ist nicht ein nahtloser Übergang zwischen vorheriger Beitragsleistung zur gesetzlichen RV aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen und dem Alg II-Bezug, an den sich die Rehabilitationsmaßnahme anschließt (BSG Urteil vom 12.4.2017 ‑ B 13 R 14/16 R ‑ SozR 4‑4200 § 25 Nr 2 RdNr 23 ff). Gleichwohl bedarf es einer zeitlichen Eingrenzung, um sicherzustellen, dass vor dem Bezug von Übg noch eine hinreichende Verbindung zu einer Beitragsentrichtung zur gesetzlichen RV besteht. Zur näheren Bestimmung des durch das Wort "zuvor" umschriebenen Zeitrahmens liegt es nahe, die in § 11 SGB VI normierten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für medizini­sche Rehabilitationsleistungen der RV heranzuziehen. Danach genügt es jedenfalls für die not­wendige "Vorleistung" von Beiträgen zur RV aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, dass in den letzten zwei Jahren vor der Beantragung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation aus dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit (für zumindest sechs Kalendermonate) Beiträge zur RV entrichtet worden sind (vgl § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des 13. Senats (vgl BSG Urteil vom 12.4.2017 ‑ B 13 R 14/16 R ‑ SozR 4‑4200 § 25 Nr 2 RdNr 28) an (siehe auch BSG Urteil vom 7.4.2022 ‑ B 5 R 17/21 R ‑ zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

 

19

Dass eine solche zeitliche Eingrenzung vom Gesetzgeber gewollt ist, bestätigt die historische Entwicklung des Übg. Durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7.8.1974 wurde zum 1.10.1974 (BGBl I 1881) zunächst mit § 1241 Abs 4 RVO auch ein Übg-Anspruch für "sonstige Betreute" eingefügt. Jeder Rehabilitand während einer medizinischen Maßnahme hatte einen Anspruch auf ein Mindestübergangsgeld. Die Regelung sollte bei solchen Rehabilitanden zum Zuge kommen, die vor dem Beginn der Maßnahme kein versicherungspflich­tiges Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt hatten, wie zB Hausfrauen oder nicht erwerbs­tätige Rentner sowie freiwillig Versicherte, die Arbeitseinkommen erzielt hatten, deren aus den Beiträgen errechnetes Übg aber hinter dem Mindestbetrag zurück blieb (BT‑Drucks 7/1237 S 70 f). Bereits mit dem Gesetz zur Zwanzigsten Rentenanpassung und zur Verbesserung der Finanz­grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung ‑ Zwanzigstes Rentenanpassungsge­setz ‑ 20. RAG ‑ vom 27.6.1977 (BGBl I 1040) wurde zum 1.7.1977 die Vorschrift über das Min­destübergangsgeld in § 1241 Abs 4 RVO wieder gestrichen. Übg sollte nicht mehr an Rehabili­tanden gezahlt werden, die vor der Maßnahme kein in der Rentenversicherung versicherungs­pflichtiges Arbeitsentgelt erhalten und auch keine freiwilligen Beiträge entrichtet hatten (vgl BT‑Drucks 8/165 S 44; dazu BSG Urteil vom 21.6.1983 ‑ 4 RJ 39/82 ‑ SozR 2200 § 1240 Nr 11 = juris RdNr 9). Seitdem ist durchgehend für den Bezug von Übg bei Leistungen der medizinischen Rehabilitation eine Anknüpfung an vor Beginn der Maßnahme oder der Arbeitsunfähigkeit aus versicherungspflichtigem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen gezahlte Beiträge zur RV erfor­derlich. Dies hat der Gesetzgeber auch bei der Aufnahme des Alg II zum 1.1.2005 ausdrücklich bestimmt, indem er den Vorbezug von Alg II-Leistungen für den Anspruch auf Übg nur dann aus­reichen lässt, wenn "zuvor" und damit in einem zeitlichen Zusammenhang aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen Beiträge zur RV gezahlt wurden. Zwar hat er die erforderlich Zeitspanne nicht im Gesetz bestimmt, sie kann jedoch im Wege der Auslegung von der Rechtsprechung präzisiert werden (vgl BSG Urteil vom 12.4.2017 ‑ B 13 R 14/16 R ‑ SozR 4‑4200 § 25 Nr 2 RdNr 26).

 

20

Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Übg lagen bei der Versicherten demnach nicht vor. Im maßgeblichen Zweijahreszeitraum vor ihrem am 25.1.2017 bei der Beklagten gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation stand die Versicherte nicht in einer pflicht­versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit mit Pflichtbeiträgen zur RV aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen. Selbst wenn man den Zeitraum um Anrechnungszeiten wegen des Bezugs von Alg II verlängern wollte (§ 11 Abs 2 Satz 3 SGB VI), würde die Versicherte die Voraussetzun­gen für einen Anspruch auf Übg nicht erfüllen. In den zwei Jahren vor dem Zeitraum, in dem die Versicherte zuletzt Alg II bezog (1.4.2009 bis 31.3.2011), sind keinerlei Versicherungszeiten aus­gewiesen.

 

21

Soweit der Kläger nunmehr unter Verweis auf § 11 Abs 2 Satz 2 SGB VI für die Versicherte Pflichtbeitragszeiten für nicht erwerbsmäßige Pflege innerhalb des Zweijahreszeitraums vor Antragstellung geltend macht, führt auch dies zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist gemäß § 11 Abs 2 Satz 2 SGB VI bei Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer medizini­schen Rehabilitationsleistung § 55 Abs 2 SGB VI entsprechend anzuwenden. Nach § 55 Abs 2 Nr 2 SGB VI zählen, soweit ein Anspruch auf Rente eine bestimmte Anzahl an Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit voraussetzt, hierzu ua auch Pflichtbeiträge für nicht erwerbsmäßige Pflegepersonen iS des § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI. Dass der erkennende Senat im Anschluss an den 13. Senat des BSG die Vorschrift des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI zur Bestimmung des durch das Wort "zuvor" in § 20 Nr 3 Buchst b SGB VI umschriebenen Zeit­rahmens heranzieht, bedeutet jedoch nicht, dass alle Regelungen des § 11 Abs 2 SGB VI in die­sem Zusammenhang gleichermaßen Beachtung finden. Das LSG weist zutreffend darauf hin, dass die Vorschrift grundsätzlich nur die allgemeinen Voraussetzungen für Leistungen zur Teil­habe am Arbeitsleben und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation regelt, die von den besonderen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Übg zu unterscheiden sind (vgl zu § 45 SGB IX aF BSG Urteil vom 7.9.2010 ‑ B 5 R 104/08 R ‑ SozR 4‑3250 § 49 Nr 1 RdNr 11). Der Berücksichtigung von Pflichtbeitragszeiten für nicht erwerbsmäßige Pflege steht bei dem Anspruch auf Übg bereits der eindeutige Wortlaut des § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI entge­gen. Erforderlich sind danach Beiträge aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen.

 

22

Entgegen der Auffassung des Klägers ist zur Bestimmung des Begriffs "zuvor" auch nicht die in § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI normierte 15‑jährige Wartezeit heranzuziehen. Ein Rückgriff auf diese Regelung scheidet bereits aus systematischen Gründen aus. Gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI haben für Leistungen zur Teilhabe Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die bei Antragstellung die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben. Eine Vorgabe, in welchem Zeitrahmen die erforderlichen 15 Jahre an Beitrags- und Ersatzzeiten (vgl § 51 Abs 1 und 4, §§ 55, 250 SGB VI; siehe auch § 52 SGB VI) vorliegen müssen, folgt aus § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI nicht. Ausreichend ist vielmehr, dass bei Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe insgesamt eine Gesamtsumme von 15 Jahren an berücksichtigungsfähigen Zeiten vorliegt. Die Vorschrift bestimmt ‑ im Gegensatz zu § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI ‑ damit gerade keinen zeitlichen Rah­men für das Zurücklegen einer bestimmten Anzahl von Beitragszeiten. Die Wartezeit von 15 Jah­ren bezeichnet vielmehr einen Gesamtzeitraum, der die Mindestversicherungszeit darstellt (vgl zur Wartezeit als Mindestversicherungszeit § 34 Abs 1 SGB VI). Sie trägt damit vor allem dem Gedanken des Versicherungsprinzips Rechnung und fordert einen Mindesteinsatz in die Solidar­gemeinschaft der Versicherten vor Begründung eines Anspruchs (vgl Scharf in Mat­lok/Winkler, jurisPK-SGB VI, Stand 1.4.2021, § 51 RdNr 7). Bei der Erfüllung der 15‑jährigen Wartezeit in § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI kommt es daher auch nicht darauf an, dass bei Antragstel­lung eine gewisse zeitliche Nähe zum Erwerbsleben besteht (vgl BSG Urteil vom 12.3.2019 ‑ B 13 R 27/17 R ‑ SozR 4‑2600 § 10 Nr 4 RdNr 27 ff; Luthe in Mat­lok/Wink­ler, jurisPK-SGB VI, Stand 1.4.2021, § 11 RdNr 28).

 

23

Die Heranziehung eines Zeitrahmens von 15 Jahren würde zudem eine hinreichende zeitliche Verbindung zwischen der in § 20 Abs 1 Nr 3 Buchst b SGB VI geforderten Beitragsentrichtung aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zur gesetzlichen RV und dem Bezug von Übg nicht mehr gewährleisten. Würde man in Anlehnung an § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI eine Beitragsentrich­tung innerhalb der letzten 15 Jahre vor Antragstellung ausreichen lassen, könnten Bezieher von Alg II auch dann noch einen Anspruch auf Übg haben, wenn die Entrichtung von Beiträgen aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bereits sehr lange zurückliegt. Auf diese Konsequenz macht der Kläger selbst aufmerksam, indem er darauf verweist, dass sich auch bei einer Verlän­gerung des Zweijahreszeitraums wegen des Bezugs von Alg II eine erhebliche Zeitspanne zwi­schen der Beitragsentrichtung und der Beantragung einer medizinischen Rehabilitationsmaß­nahme ergeben könne. Dies spricht indes sowohl gegen eine Heranziehung des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VI als auch des Rechtsgedankens des § 11 Abs 2 Satz 3 SGB VI zur Bestimmung des Begriffs "zuvor". Ein zeitlicher Zusammenhang, auf den § 20 Nr 3 Buchst b SGB VI nach seinem Wortlaut abhebt, ist jedenfalls bei der Orientierung an einem 15‑Jahres-Zeitraum kaum noch her­stellbar. Verwischt würde damit letztlich der Unterschied zu den Personengruppen, für die zu keinem Zeitpunkt Versicherungspflicht bestand (zB Sozialhilfebezieher, freiwillig Versicherte ohne Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen; vgl zu § 1241 RVO aF auch BSG Urteil vom 21.6.1983 ‑ 4 RJ 39/82 ‑ SozR 2200 § 1240 Nr 11 ‑ juris RdNr 13).

 

24

C. Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der von ihm geltend gemachten Beiträge zur KV und PV iHv insgesamt 136,80 Euro nach Maßgabe der Regelung des § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II iVm § 335 Abs 2 und 5 SGB III besteht nicht. § 335 Abs 2 und 5 SGB III (in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschut­zes in der Arbeitslosenversicherung ‑ Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstär­kungsgesetz ‑ AWStG vom 18.7.2016, BGBl I 1710) setzen einen (anderweitigen) Erstattungs­anspruch voraus, der selbst gerade nicht die Beiträge zur KV und PV umfasst. Wie unter B II. ausgeführt, besteht ein solcher Anspruch auf Erstattung des während der Teilnahme der Versi­cherten an der von der Beklagten gewährten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme gezahlten Alg II nicht.

 

25

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

 

 

Rechtskraft
Aus
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