L 6 AS 1867/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AS 1430/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1867/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AS 17/22 R
Datum
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 11.11.2020 geändert, der Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 07.05.2018 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren noch über eine abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 01.07. bis zum 31.12.2016 und eine darauf gründende Erstattungsforderung i.H.v. 843,70 €.

Die 1959 geborene Klägerin ist selbstständig tätig als Dozentin u.a. für Kochkurse, die sie in verschiedenen Volkshochschulen anbietet. Für die Zeit ab dem 01.07.2013 wurde ihr von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zuerkannt, die seit dem 01.04.2014 laufend gezahlt wird. Sie ist Eigentümerin einer selbst bewohnten Eigentumswohnung, für die im streitigen Zeitraum Kosten i.H.v. 430,42 € geltend gemacht und anerkannt wurden. Die Klägerin erhielt in der Vergangenheit wiederkehrend Zahlungen von ihren Eltern, u.a. regelmäßig zu Beginn eines Halbjahres einen Betrag i.H.v. 4.000 €. Es existieren verschiedene schriftliche Vereinbarungen mit den Eltern über Darlehen. Darlehensverträge bestanden zudem mit der Sparkasse D und der N Lebensversicherungs-AG.

Am 16.06.2016 beantragte die Klägerin die Weitergewährung von Leistungen für die Zeit ab dem 01.07.2016. Dabei gab sie an, eine monatliche Rente i.H.v. 260,30 € zu beziehen, und reichte eine Übersicht über die Schätzung ihres Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit für die Zeit von Juli bis Dezember 2016 ein. Vorgelegt wurden auch zwei mit „Darlehensvertrag“ überschriebene Vereinbarungen zwischen der Klägerin und ihren Eltern vom 30.12. und 30.06.2015 über ein zinsloses Darlehen i.H.v. jeweils 4.000 €. Zu den Aufwendungen für das selbstgenutzte Wohneigentum legte die Klägerin die Abrechnung der Hausverwaltung vom 04.05.2016 über das Kalenderjahr 2015 sowie die Heizkostenabrechnung für das Jahr 2015 und den Wirtschaftsplan für das Jahr 2016 vor.

Mit Bescheid vom 04.07.2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig Leistungen für die Zeit vom 01.07 bis zum 31.12.2016 i.H.v. 374,26 € für den Monat Juli 2016 sowie i.H.v. jeweils 554 € für die Monate August bis Dezember 2016. Die Entscheidung erfolge insoweit vorläufig, als zukünftige bzw. noch nicht nachgewiesene Einkünfte auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angerechnet würden. Die Kosten der Unterkunft würden auf die maximal angemessenen Kosten gesenkt. Im Juli 2016 rechnete der Beklagte Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung i.H.v. 166,40 € an und kürzte zudem den Bedarf für die Kosten der Unterkunft um 46,82 €, so dass insoweit ein Bedarf i.H.v. 217,20 € berücksichtigt wurde. Der Beklagte rechnete Einkommen aus der Rentenzahlung i.H.v. 260,89 € sowie aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 29,44 € an und zog davon als Versicherungspauschale einen Betrag i.H.v. 20,62 € sowie einen weiteren Grundfreibetrag i.H.v. 22,77 € ab. Für den Zeitraum von August bis Dezember 2016 berücksichtigte der Beklagte Kosten der Unterkunft i.H.v. 383,60 € sowie Einkommen aus der Rente i.H.v. 260,89 € und aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 22,77 €, hiervon zog er einen Betrag i.H.v. 27,29 € als Versicherungspauschale sowie einen weiteren Freibetrag i.H.v. 22,77 € ab. Der Bescheid enthielt im Anhang u.a. einen Hinweis zur abschließenden Entscheidung: Diese erfolge auf Grundlage der abschließenden Angaben, hierfür solle die Klägerin den Vordruck „Abschließende EKS“ verwenden und für die abschließenden Zahlen Belege und Nachweise einreichen. Der Beklagte sei berechtigt, das Einkommen für den abgelaufenen Bewilligungszeitraum zu schätzen, wenn die Erklärung nicht innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums, spätestens jedoch bis zum 31.07.2016 vorliege. Der Beklagte verwies insoweit auf § 3 Abs. 6 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld (Alg-II-VO) und auf §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I). Mit weiterem Bescheid vom 04.07.2016 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung i.H.v. 166,40 € im Juli 2016 angerechnet werde.

Die Klägerin legte Widerspruch ein und rügte, dass Ausgaben für Bücher und Zeitschriften sowie die Versicherungspauschale nicht berücksichtigt seien, zudem habe sie die Heizkosten gesenkt.

Der Beklagte half dem Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2016 insoweit ab, als er für Juli 2016 Leistungen i.H.v. 587,48 € und für die Zeit von August bis Dezember 2016 i.H.v. 600,82 € monatlich gewährte; die Entscheidung über die Höhe der Leistungen ergehe weiterhin vorläufig. Im Übrigen wies er den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die Wohnung sei angemessen. Die Kürzung der Kosten der Unterkunft um monatlich 46,82 € sei somit aufzuheben. Die Anrechnung des Nebenkostenguthabens i.H.v. 166,40 € habe nicht im Juli 2016 erfolgen dürfen. Es seien zwei Einkommen monatlich angerechnet worden: Erstens das Durchschnittseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 22,77 €, zweitens Einkommen aus teilweiser Erwerbsminderungsrente i.H.v. 260,89 €. Abweichend von den Angaben der Klägerin würden die mit 80 € bezifferten Aufwendungen für Zeitschriften und Bücher unberücksichtigt gelassen. Es ergebe sich ein durchschnittliches anrechenbares Einkommen von monatlich 22,77 €, abzüglich der Versicherungspauschale i.H.v. 30 € verbleibe kein anzurechnendes Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit. Das Einkommen aus der teilweisen Erwerbsminderungsrente i.H.v. 260,89 € sei um den noch übrig bleibenden Betrag für die Versicherungsbeiträge zu bereinigen, es ergebe sich anzurechnendes Einkommen i.H.v. 253,66 €. Im Bescheid vom 04.07.2016 sei jedoch lediglich Einkommen i.H.v. 246,94 € und i.H.v. 233,60 € angerechnet worden. Im Rahmen der Änderung des vorläufigen Bescheides werde daher bis zur endgültigen Festsetzung weiterhin zugunsten der Klägerin in den einzelnen Zeiträumen nur ein geringeres Einkommen angerechnet. Der Beklagte führte zudem aus, dass aus dem Widerspruchsbescheid keine Bindungswirkung der Einkommenshöhe für die endgültige Festsetzung des Zeitraumes vom 01.07.2016 bis zum 31.12.2016 erwachse.

Die Klägerin reichte mit Schreiben vom 29.08.2016, bei dem Beklagten eingegangen am 30.08.2016, die Mitteilung der DRV über die Anpassung der Rentenhöhe ab dem 01.07.2016 auf 271,37 € monatlich ein.

Am 21.09.2016 hat sie Klage vor dem Sozialgericht (SG) Detmold erhoben mit dem Begehren, höhere Leistungen zu erhalten, insbesondere Aufwendungen für Zeitschriften, Bücher und Gebühren als Betriebsausgaben sowie die Tilgung von Darlehen zu berücksichtigen.

Mit Schreiben vom 20.03.2017, bei dem Beklagten eingegangen am 23.03.2017, hat die Klägerin Unterlagen zu Einnahmen und Ausgaben für den Zeitraum Juli bis Dezember 2016 bei dem Beklagten eingereicht, darunter u.a. das Formular „EKS“, in dem angekreuzt ist, es handele sich um die abschließenden Angaben.

Das SG hat am 11.10.2017 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem die Klägerin u.a. erklärt hat, dass sie Unterlagen zu den abschließenden Angaben des Einkommens im streitbefangenen Zeitraum bei dem Beklagten abgegeben habe. Das SG hat dem Beklagten aufgegeben mitzuteilen, ob eine endgültige Festsetzung möglich sei bzw. unmittelbar bevorstehe.

Mit E-Mail vom 24.11.2017 hat sich die Klägerin unmittelbar an den Beklagten gewandt und weitere Unterlagen für den streitigen Zeitraum vorgelegt, u.a. die Übersicht über Einnahmen und Ausgaben, in der auch Ausgaben für die Tilgung bestehender Darlehen angeführt sind, u.a. ein Betrag i.H.v. insgesamt 1.100 € mit dem Betreff „K v. 06/2015“. Die E-Mail lautet: „Wie eben telefonisch besprochen erhalten Sie in der Anlage noch einmal die abschl. Angaben für das 2. HJ 2016. Sie hatten gesagt, dass dies das einzige ist, was Ihnen für die Erstellung des abschließenden Bescheides noch fehlt und Ihnen sämtliche Unterlagen für die abschließende Bearbeitung für das 1. HJ 2016 vorliegen. Dann kann ja jetzt endlich die abschließende Bearbeitung vorgenommen werden.“

Mit Schreiben vom 24.11.2017 und 29.11.2017 hat der Beklagte die Klägerin zur Vorlage weiterer Unterlagen aufgefordert, wobei er im zweiten Schreiben darauf hingewiesen hat, dass er alle Positionen dem Grunde nach anerkannt habe, da alle Unterlagen vorlägen. Es bestehe einzig in dem Punkt „kurzfristiges Darlehen K“ als Einnahme und Ausgabe nebst den entsprechenden Valutazinsen dringender Klärungsbedarf. Mit Schreiben vom 20.02.2018 hat der Beklagte erneut mitgeteilt, auf die Vorlage der grundsätzlich notwendigen Unterlagen zu verzichten. Einzig und allein seien die Betriebseinnahmen bzw. -ausgaben aus den Darlehensverbindlichkeiten klärungsbedürftig. Mit E-Mail vom 09.03.2018 hat die Klägerin Unterlagen zur Darlehensvereinbarung mit der Mutter vom 30.06.2012, die einen handschriftlichen Rückzahlungsvermerk enthält, sowie zum Darlehenskonto bei der Sparkasse D, das im Oktober 2016 aufgelöst worden ist, bei dem Beklagten eingereicht.

Mit Bescheid vom 07.05.2018 hat der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 01.07. bis zum 31.12.2016 endgültig i.H.v. 457,98 € monatlich festgesetzt und ausgeführt, die vor-läufig erbrachten Leistungen seien gemäß § 41a Abs. 6 Satz 1 SGB II auf die abschließend festgestellten Leistungen anzurechnen. Gemäß § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II seien Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestünden, zu erstatten. Vorliegend ergebe sich ein Rückforderungsanspruch i.H.v. insgesamt 843,70 €. Bei der Festsetzung hat der Beklagte den Regelbedarf i.H.v. 404 € sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. 430,42 €, also einen Gesamtbedarf i.H.v. 834,42 € berücksichtigt. Auf diesen Bedarf hat er Erwerbseinkommen i.H.v. insgesamt 376,44 € angerechnet. Dabei ist er von einem Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 231,34 € monatlich ausgegangen, von dem er den Grundfreibetrag i.H.v. 100 € und einen Freibetrag gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.H.v. 26,27 €, also einen Gesamtfreibetrag i.H.v. 126,27 €, in Abzug gebracht hat. Zudem hat er das Einkommen aus der Rente i.H.v. 271,37 € angerechnet.

Die Klägerin hat mitgeteilt, da bei den Betriebsausgaben die Aufwendungen für Zeitschriften und Bücher anerkannt worden seien, sei dieser Punkt erledigt. Sie fordere aber die Anerkennung des Rückzahlungsbetrages i.H.v. 1.100 € als Betriebsausgabe. Sie habe im Juni 2012 ein zweckbestimmtes Darlehen erhalten. Dieses Geld habe sie für betriebliche Ausgaben gebraucht. Sie habe mit der Darlehensgeberin, ihrer Mutter, vereinbart, dass sie abweichend vom Vertrag das Darlehen dann zurückzahlen solle, sobald ihr das möglich sei. Im November und Dezember 2016 sei eine teilweise Rückzahlung möglich gewesen, so dass sie insgesamt 1.100 € habe tilgen können. Sie gehe davon aus, dass sie die Darlehensaufnahme dem Beklagten mitgeteilt habe und dass der Beklagte die Notwendigkeit geprüft habe. Wenn die Klägerin die vereinbarten Rückzahlungsfristen nicht habe einhalten können, habe sie es mit den Eltern besprochen, und man habe andere Termine vereinbart. Sie könne überhaupt erst bei der Erzielung von Gewinn ein Darlehen zurückzahlen. Sie ist zudem der Auffassung gewesen, dass die Kontoführungsgebühren und Überziehungszinsen in voller Höhe als Betriebsausgaben anzuerkennen seien, da sie durch die berufliche Tätigkeit verursacht würden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 04.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2016 in der Fassung des Festsetzungs- und Erstattungsbescheides vom 07.05.2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.07.2016 bis zum 31.12.2016 höhere Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nach dem SGB II zu bewilligen und den Festsetzung und Erstattungsbescheides vom 07.05.2018 insoweit aufzuheben, als ein Erstattungsbetrag i.H.v. 843,70 € geltend gemacht wird.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat seine endgültige Leistungsberechnung für zutreffend gehalten.

Das SG hat mit Urteil vom 11.11.2020 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es § 41a SGB II i.V.m. der Übergangsvorschrift nach § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II herangezogen und ausgeführt, die Vorläufigkeit der Leistungen sei wirksam verfügt worden, denn zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidungen hätten nur die Angaben der Klägerin zu den vorläufigen Betriebseinnahmen und -ausgaben als Entscheidungsgrundlage dienen können. Der Beklagte habe die Entscheidung über die Vorläufigkeit auch hinreichend begründet. Zu Recht habe er mit Bescheid vom 07.05.2016 den Leistungsanspruch festgesetzt, denn die Klägerin habe hierzu abschließende Angaben nach Ablauf des Bewilligungszeitraums zu ihren Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben unter Vorlage entsprechender Belege mit einer entsprechenden Anlage „EKS – abschließend –“ gemacht. Die endgültige Festsetzung sei im Übrigen auch dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig erfolgt.

Gegen das am 26.11.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24.12.2020 Berufung eingelegt und im Wesentlichen ergänzend zur Anerkennung der Rückzahlungen an die Mutter als Betriebsausgaben und zur Ernsthaftigkeit der Darlehensabrede vorgetragen. Gegen die Feststellung des Gesamtbedarfs i.H.v. 834,42 € erhebe sie keine Einwände. Zutreffend sei auch, dass ab dem 01.07.2016 ein erhöhter Rentenbetrag von 271,37 € bei der Einkommensanrechnung zugrunde zu legen sei.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, für den streitigen Zeitraum keine weiteren Leistungen geltend zu machen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 11.11.2020 zu ändern und den Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 07.05.2018 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen im Urteil des SG.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

A) Gegenstand des Verfahrens ist neben dem Urteil des SG vom 11.11.2020 (allein) der Bescheid vom 07.05.2018. Denn die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung nur noch gegen die darin verfügte Festsetzung niedrigerer als der ursprünglich bewilligten Leistungen und die Erstattung des sich daraus ergebenden Differenzbetrages (i.H.v. 843,70 €). Der streitgegenständliche Bescheid war gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand der ursprünglich gegen den Bescheid vom 04.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2016 gerichteten Klage geworden. Ihr weitergehendes Begehren auf Gewährung höherer Leistungen hat die Klägerin durch ihre Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 03.02.2022 zurückgenommen.

B) Die davon ausgehend gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet, weil die ihr zu Grunde liegende Klage zulässig und begründet ist.

I. Statthafte Klageart ist die – auch im Übrigen zulässig erhobene – Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG, weil die Klägerin ihr Klageziel – die Gewährung von Arbeitslosengeld II in der wie zunächst vorläufig bewilligten Höhe und die Aufhebung der Erstattungsverfügung – erreicht, wenn der Bescheid vom 07.05.2018 aufgehoben wird. Anders, als in der vom Bundessozialgericht (BSG) entschiedenen ähnlichen Konstellation, in der es die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage als statthaft angesehen hat (BSG, Urteil vom 08.02.2017, B 14 AS 22/16 R, juris Rn. 10), ist eine Korrektur der Entscheidung des Beklagten über die der Klägerin (abschließend) zustehenden Leistung im vorliegenden Fall nicht erforderlich, weil bereits ein (fiktiv) endgültiger Bescheid vorliegt (dazu unten II. 2.).

II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch den Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vom 07.05.2018 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, denn der Bescheid ist rechtswidrig, weil durch ihn Leistungen in geringerer Höhe als zunächst bewilligt festgesetzt werden und ein Betrag i.H.v. 843,70 € zur Erstattung verlangt wird

1. Die Voraussetzungen für eine abschließende Entscheidung über den Leistungsanspruch lagen zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht (mehr) vor. Maßgeblich ist insofern § 41a SGB II in der seit dem 01.08.2016 geltenden Fassung. Die Anwendung des insoweit neuen Rechts für die abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche für Bewilligungszeiträume, die vor dem 01.08.2016 noch nicht beendet waren, ordnet die Übergangsvorschrift gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II ausdrücklich an (vgl. auch BSG, Urteil vom 11.07.2019, B 14 AS 44/18 R, juris Rn. 16). Gemäß § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch, sofern die vorläufig bewilligte Leistung nicht der abschließend festzustellenden entspricht oder die leistungsberechtigte Person eine abschließende Entscheidung beantragt. Die aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen sind gemäß § 41a Abs. 6 Satz 1 SGB II auf die abschließend festgestellten Leistungen anzurechnen. Soweit im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht wurden, sind die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen, die für andere Kalendermonate dieses Bewilligungszeitraums nachzuzahlen wären; Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen, sind zu erstatten (§ 41a Abs. 6 Satz 2, 3 SGB II).

2. Einer abschließenden Feststellung niedrigerer Leistungen und einer darauf beruhenden Erstattungsforderung durch den Bescheid vom 07.05.2018 steht entgegen, dass die durch den Bescheid vom 04.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2016 vorläufig bewilligten Leistungen bereits seit dem 01.01.2018 als abschließend festgesetzt anzusehen sind.

Gemäß § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II gelten die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt, wenn innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung nach § 41a Abs. 3 SGB II ergeht. Dies gilt gemäß § 41a Abs. 5 Satz 2 SGB II nur dann nicht, wenn die leistungsberechtigte Person innerhalb dieser Frist eine abschließende Entscheidung beantragt (Nr. 1) oder der Leistungsanspruch aus einem anderen als dem nach § 41a Abs. 2 Satz 1 SGB II anzugebenden Grund nicht oder nur in geringerer Höhe als die vorläufigen Leistungen besteht und der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über den Leistungsanspruch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von diesen Tatsachen, spätestens aber nach Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der vorläufigen Entscheidung, abschließend entscheidet (Nr. 2).

a) Eine abschließende Entscheidung durch den Bescheid vom 07.05.2018 ist erst nach Ablauf der Frist gemäß § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II ergangen. Die Frist endete gemäß § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 2 SGB II bereits am 31.12.2017.

b) Ein Ausnahmetatbestand nach § 41a Abs. 5 Satz 2 SGB II, der dazu führen würde, dass die Fiktion der abschließenden Festsetzung nicht eintritt, ist nicht erfüllt. Die Klägerin hat weder einen Antrag auf abschließende Entscheidung gestellt [dazu aa)], noch besteht der Leistungsanspruch aus einem anderen als dem nach § 41a Abs. 2 Satz 1 SGB II anzugebenden Grund nur in geringerer Höhe [dazu bb)].

aa) Die Klägerin hat innerhalb der maßgeblichen Frist keinen Antrag auf abschließende Entscheidung i.S.d. § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II gestellt. Zwar hat sie am 23.03.2017 und am 24.11.2017 Unterlagen, darunter die Anlage EKS mit der angekreuzten Option „ab-schließende Angaben“, bei dem Beklagten eingereicht und auch formuliert, eine abschließende Bewilligung könne nun vorgenommen werden. Diese Handlungen und Erklärungen sind nach Überzeugung des Senats jedoch nicht als Antrag im Sinne des § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II auszulegen. Durch die Einreichung der Unterlagen hat die Klägerin (lediglich) die in dem vorläufigen Bewilligungsbescheid formulierten und in § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II geregelten Mitwirkungsanforderungen erfüllt. Die Tatbestände – und damit auch die Rechtsfolgen – des § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II einerseits und des § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II andererseits sind zu trennen. Weil der Tatbestand, der eine Ausnahme von der Endgültigkeitsfiktion gemäß § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II begründet, einen Antrag voraussetzt, muss ein solcher (unter Zugrundelegung des sog. objektiven Empfängerhorizontes) auch erkennbar gewollt sein. Denn ein Antrag im sozialrechtlichen Sinne ist eine einseitige, empfangsbedürftige, öffentlich-rechtliche Willenserklärung, die der Auslegung nach Maßgabe der auch im Zivilrecht geltenden Bestimmungen (insb. der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch) bedarf (vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 19.08.2010, B 14 AS 10/09 R, juris Rn. 23 f.; BSG, Urteil vom 26.02.2019, B 1 KR 24/18 R, juris Rn. 14). Die Mitteilung von Tatsachen allein stellt noch keinen Antrag im Rechtssinne dar; die Nachricht an die Behörde muss erkennbar auf die Herbeiführung der mit einem Antrag typischerweise angestrebten Rechtsfolge gerichtet sein (vgl. Spellbrink in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 16 SGB I, 112. EL Dezember 2020, Rn. 15). Dies ist hier nicht der Fall. Zwar existieren Vorschriften im Sozial(-versicherungs-)recht, die an bestimmte Handlungen die Fiktion der Antragstellung knüpfen (z.B. § 323 Abs. 1 Satz 2 SGB III; weitere Beispiele bei Spellbrink, a.a.O., Rn. 17). Eine solche Regelung enthält § 41a SGB II jedoch nicht. Die Einreichung von Unterlagen dient damit regelmäßig – und auch hier – nur der Erfüllung der durch § 41a Abs. 3 Satz 2 SGB II geregelten Verpflichtung zur Mitwirkung und damit der Abwendung der bei unzureichender Mitwirkung drohenden Folgen auf Grundlage des § 41a Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB II (dazu auch SG Lübeck, Urteil vom 08.09.2020, S 40 AS 877/18, juris Rn. 27). Ob in Fällen, in denen ein Antrag im Sinne des § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II zu einer für die leistungsberechtigte Person vorteilhaften Rechtsfolge führen würde, eine entsprechende Auslegung geboten wäre, muss hier nicht entschieden werden.

bb) Auch ein Fall des § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 SGB II liegt nicht vor. Der Leistungsanspruch besteht nicht aus einem anderen als dem nach § 41a Abs. 2 Satz 1 SGB II anzugebenden Grund nur in geringerer Höhe. Die im Bescheid vom 07.05.2018 festgesetzte geringere Höhe liegt in dem von dem Beklagten angenommenen – hier zunächst streitigen – höheren Einkommen begründet. Die Höhe der Einkünfte war als Grund der Vorläufigkeit sowohl im Ausgangsbescheid als auch im Widerspruchsbescheid angegeben. Sofern die Begründung der Vorläufigkeit auch dahingehend auszulegen sein könnte, dass sich diese allein auf die Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit, nicht jedoch auf die Höhe der Rente beziehen sollte – wofür indes nach der Begründung im Widerspruchsbescheid wenig spricht –, stünde auch dies dem Eintritt der Fiktion nicht entgegen. Denn dann hätte der Beklagte gemäß § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 SGB II innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von diesen (anderen) Tatsachen abschließend entscheiden müssen. Die Entscheidung durch Bescheid vom 07.05.2018 wäre insoweit jedoch zu spät erfolgt, weil dem Beklagten die ab dem 01.07.2016 zuerkannte Rentenhöhe seit dem 30.08.2016 bekannt war.

c) Dem Eintritt der Fiktion abschließend festgesetzter Leistungen steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die vorläufige Entscheidung noch nicht bestandskräftig, sondern Gegenstand der Klage vor dem SG gewesen ist (ausführlich Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.10.2010, L 12 AS 2055/18, juris-Rn. 36 ff., m.w.N.). Soweit in der Literatur vertreten wird, dass, solange ein vorläufiger Bescheid, gegen den ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, nicht bestandskräftig geworden ist, er nicht Grundlage einer fiktiven endgültigen Entscheidung sein könne (Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, Stand 25.01.2022, § 41a Rn. 65; Blüggel, jurisPR-SozR 17/2020 Anm. 1), ergibt sich dies jedenfalls nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift. § 41a Abs. 5 SGB II ist nach Auffassung des Senats einer einschränkenden Auslegung nicht zugänglich. Soweit die Frage aufgeworfen wird, ob der Gesetzgeber nicht nur die Situation habe regeln wollen, in der sich Jobcenter und Leistungsberechtigte gerade nicht rühren (Blüggel, jurisPR-SozR 17/2020 Anm. 1), so hat ein solcher Wille jedenfalls keinen Eingang in den Wortlaut des Gesetzes gefunden. Zudem erfordert das Gebot effektiven Rechtsschutzes eine solche einschränkende Auslegung nicht, denn der angefochtene Bescheid, der durch die Fiktion zu einem endgültigen wird, bleibt Gegenstand des Widerspruchs- oder (hier) Klageverfahrens und damit Gegenstand der Rechtmäßigkeitsprüfung (vgl. Kemper in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 41a Rn. 63 m.w.N.; a.A. Blüggel, jurisPR-SozR 17/2020 Anm. 1). Auch der Zweck der Regelung, Rechtssicherheit (vgl. dazu Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, Stand 25.01.2022, § 41a Rn. 94; Kemper in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 41a Rn. 64) ab dem in § 41a Abs. 5 SGB II definierten Zeitpunkt (mit den dort geregelten Ausnahmen) herzustellen, steht dem nicht entgegen. Die Endgültigkeitsfiktion soll zwar die unsichere Situation einer vorläufigen Bewilligung beenden. Es spricht aber nichts dafür, dass damit zugleich ein Grad an Rechtssicherheit eintreten soll, der über denjenigen eines endgültigen Bescheides hinausgeht, der noch innerhalb bestimmter Fristen durch den Adressaten anfechtbar oder (unter weiteren Voraussetzungen) durch die Behörde aufheb- oder zurücknehmbar ist.

3. Es kann vorliegend offen bleiben, ob der Beklagte den im Wege der Fiktion endgültig gewordenen Bewilligungsbescheid vom 04.07.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2016 auf Grundlage von § 45 oder § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) hätte (teilweise) zurücknehmen oder aufheben können (vgl. dazu etwa Kemper in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 41a Rn. 62, 65, 70, 73), denn eine Regelung zur Rücknahme oder Aufhebung trifft der Bescheid vom 07.05.2018 nicht. Die Erstattungsforderung kann sich daher auch nicht auf § 50 SGB X stützen.

C) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 183 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache. Zwar hat die Klägerin in der Berufung von der Verfolgung ihres Klageziels auf Zuerkennung höherer Leistungen abgesehen und ist insoweit im Ergebnis unterlegen. Das ursprüngliche Leistungsbegehren fällt jedoch, obzwar unbeziffert, aber im Wesentlichen auf die Anerkennung von Aufwendungen für Zeitschriften und Bücher als Betriebsausgaben gerichtet, im Vergleich zur Erstattungsforderung kaum ins Gewicht.

D) Die Revision wird zugelassen. Die Frage, ob die Fiktion gemäß § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II auch eintritt, wenn im Zeitpunkt des Ablaufs der Frist noch eine Klage gegen die vorläufige Entscheidung anhängig ist, hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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