S 14 AL 32/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 14 AL 32/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. In formeller Hinsicht erfordert eine vorläufige Entscheidung nach § 328 Abs. 1 SGB III bereits nach den allgemeinen Vorgaben des § 33 Abs. 1 SGB X einen Verfügungssatz, der für den Empfänger ohne Zweifel die Vorläufigkeit des Bescheides deutlich macht.
2. Der alleinige Hinweis auf die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung im zweiten Absatz „ergänzender Hinweise“ im Anschluss an die Rechtsbehelfsbelehrung eines Bescheides kann nach seiner Begrifflichkeit und Stellung eine Vorläufigkeit nicht begründen.  
 

1.    Der Bescheid der Beklagten vom 09.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2022 wird aufgehoben. 

2.    Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 

 
Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die endgültige Festsetzung des Anspruches auf Saison-Kurzarbeitergeld (S-Kug) mit der Folge einer Rückforderung i.H.v. insgesamt 10.677,40 €. 

Die Klägerin mit Sitz in A-Stadt ist ein regionales Unternehmen im Bereich des Garten- und Landschaftsbaus. Als solches ist es, wie andere Unternehmen seiner Branche, regelmäßig von witterungsbedingtem Arbeitsausfall betroffen. Auf Antrag der Klägerin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2019 S-Kug und ergänzende Leistungen für Januar 2019 i.H.v. 4.039,59 €, mit Bescheid vom 26.03.2019 S-Kug und ergänzende Leistungen für Februar 2019 i.H.v. 4.825,79 € und mit Bescheid vom 06.05.2019 S-Kug und ergänzende Leistungen für März 2019 i.H.v. 2.137,28 €, insgesamt 11.002,66 € (S-Kug, Sozialversicherungsbeiträge, Mehraufwands-Wintergeld und Zuschuss-Wintergeld). Ob die Leistungsbewilligungen jeweils vorläufig erfolgten, ist zwischen den Beteiligten streitig. 

Mit Schreiben vom 24.07.2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass vor der endgültigen Entscheidung über den Anspruch ein Abgleich der Leistungsanträge mit den anspruchsbegründenden Unterlagen erforderlich sei. Hierzu bitte die Beklagte um Einreichung der in dem Schreiben benannten Unterlagen für den Arbeitnehmer G. K., woraufhin die Klägerin angeforderte Unterlagen an die Beklagte übersandte.

Dies aufgreifend teilte die Beklagte mit Schreiben vom 22.01.2020 mit, dass noch eine Übersicht der Bruttosoll-/istentgelt-Übersichten der Monate Februar und März 2019 für Herrn K. fehle. Hierauf reagierte die Klägerin mit E-Mail vom 30.01.2020. Unter dem Datum des 24.04.2020 reichte die Klägerin außerdem korrigierte Anträge auf S-Kug für die Monate Februar 2019 (4.818,03 € statt 4.825,79 €) und März 2019 (2.136,67 € statt 2.137,28 €) ein.

Weiterhin mit der Nachprüfung der bewilligten Ansprüche befasst, merkte die Beklagte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 21.07.2020 an, dass Überstunden bei den Ausfallstunden in Abzug zu bringen seien. Auch liege witterungsbedingter Arbeitsausfall nur dann vor, wenn an einem Arbeitstag mindestens eine Stunde der regelmäßigen betrieblichen Arbeitszeit ausfalle. Zudem habe die Klägerin mitgeteilt, dass der Arbeitnehmer H. D. im Zeitraum vom 01.03.2019 bis 08.03.2019 beschäftigt gewesen sei. Die Klägerin habe Herrn D. jedoch bereits zuvor „abgerechnet“ (Anm. des Gerichts: womit die Beklagte „abgemeldet“ meint). Die Beklagte bitte, den Arbeitsvertrag und die Kündigung des Herrn D. nebst Verdienst- und Arbeitszeitnachweisen sowie Korrekturanträge für den Zeitraum Januar bis März 2019 mit den korrigierten Verdienstnachweisen einzureichen. Keine Korrekturanträge, dafür die anderen angeforderten Unterlagen, wurden von der Klägerin in der Folge an die Beklagte übersandt.

Den Wortlaut ihres Schreibens vom 21.07.2020 nahezu wortgleich wiederholend, forderte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 07.06.2021 erneut auf, Korrekturanträge mit korrigierten Verdienstnachweisen für den Zeitraum von Januar bis März 2019 einzureichen und teilte der Klägerin mit Schreiben vom gleichen Tage mit, dass sie aufgrund der nicht vollständigen Vorlage von Unterlagen prüfen müssen, ob sie die Leistungsbewilligung ganz oder teilweise zurücknehmen müsse und die überzahlten Leistungen erstattet verlange. Hierzu erhielt die Klägerin Gelegenheit, sich innerhalb der zur erneuten Übersendung von Unterlagen gesetzten Frist, d.h. bis zum 21.06.2021, respektive bis zum 30.06.2021, zu äußern.

In ihrer E-Mail vom 30.06.2021 teilte die Klägerin nach Rücksprache mit ihrem Steuerbüro mit, dass im Hintergrund der Lohnabrechnung immer der Monatslohn i.H.v. 173 bzw. 179 Arbeitsstunden stehe. Außerhalb der Schlechtwetterzeit würden Überstunden ins Arbeitszeitkonto gestellt bzw. bei Fehlstunden aus diesem herausgenommen. Im Schlechtwetterzeitraum rechne man Überstunden an, womit sich der Anspruch auf Kurzarbeitergeld mindere. Jedenfalls würden fehlende Stunden nur bis zu den Tarifstunden aufgefüllt. Die Kündigung des Arbeitnehmers D. sei bei der Klägerin am 25.02.2019 eingegangen. Versehentlich sei im Zeitraum vom 25.02.2019 bis 28.02.2019 jeweils eine halbe Stunde Kurzarbeitergeld, insgesamt zwei Stunden, abgerechnet worden. In der beiliegenden Probeabrechnung habe man dies korrigiert und S-Kug nur bis zum 24.02.2019 abgerechnet. 

Mit Bescheid vom 06.01.2022 setzte die Beklagte die Höhe der Ansprüche auf S-Kug und/oder ergänzende Leistungen für die Anspruchsmonate Januar bis März 2019 endgültig fest. Es habe sich herausgestellt, dass der Klägerin ein geringerer Anspruch zugestanden habe als ursprünglich bewilligt. Gleichzeitig wurde die Klägerin aufgefordert, die erhaltenen Leistungen für die Monate Januar bis März 2019 in Höhe von insgesamt 10.677,40 € zu ersetzen. Dem Bescheid war kein Berechnungsbogen beigefügt. Für die Monate Januar und Februar 2019 habe man zwei Arbeitnehmer und im März 2019 einen Arbeitnehmer überprüft. Dabei sei festgestellt worden, dass in den Monaten von Januar bis März 2019 lediglich 0,5 Stunden witterungsbedingter Ausfall abgerechnet worden sei. Witterungsbedingter Ausfall liege jedoch dann vor, wenn dieser ausschließlich durch zwingende Witterungsgründe verursacht worden sei und an einem Arbeitstag mindestens 1 Stunde der regelmäßigen betrieblichen Arbeitszeit ausfalle. Des Weiteren sei festgestellt worden, dass der gekündigte Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung mit S-Kug abgerechnet worden sei. Die Klägerin habe mitgeteilt, dass die Kündigung am 25.02.2019 eingegangen sei, ohne einen Nachweis über den Zugang zu erbringen. Im Monat März 2019 seien Überstunden nicht von den Ausfallstunden abgezogen bzw. im Istentgelt berücksichtigt worden. Es sei insgesamt davon auszugehen, dass die Berechnung nicht nur bei den überprüften beiden Arbeitnehmern fehlerhaft sei, sondern auch bei weiteren Arbeitnehmern. Deshalb habe die Beklagte dreimal Korrekturanträge angefordert, welche die Klägerin jedoch nicht eingereicht habe.

Gegen den Bescheid vom 06.01.2022 erhob die Klägerin am 11.01.2022 Widerspruch. Es sei unzutreffend, dass in den Monaten Januar bis März 2019 lediglich 0,5 Stunden witterungsbedingter Ausfall abgerechnet worden seien. Für einen solchen Abzug im gegebenen Fall habe man jedoch Verständnis. In Bezug auf den Arbeitnehmer D. habe man alle Nachweise erbracht, insbesondere die Kündigung vorgelegt. Überstunden seien immer von den Ausfallstunden abgezogen worden, ebenso wie Resturlaub aus dem Vorjahr. Man verweise vollumfänglich auf die klägerische E-Mail vom 30.06.2021.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2022 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe die Voraussetzungen für das Bestehen eines Anspruches auf S-Kug und ergänzende Leistungen abschließend nicht nachweisen können. Sie sei mit Schreiben vom 21.07.2020, 25.02.2021 und 07.06.2021 gebeten worden, die fehlenden Unterlagen einzureichen und anschließend zur beabsichtigten Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen angehört worden, die erforderlichen Unterlagen habe die Klägerin nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt. Daher könne das Bestehen eines Anspruches nicht abschließend geprüft werden. Die Höhe des Anspruches sei daher zu Recht endgültig festgesetzt worden. 

Am 08.02.2022 hat die Klägerin im Wesentlichen unter Wiederholung ihres außergerichtlichen Vorbringens Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben. Sie ergänzt, dass der Rückforderungsbescheid der Beklagten auch deshalb rechtswidrig sei, weil die Beklagte zwar eine vorläufige Entscheidung über die Gewährung von S-Kug habe treffen können, der Verfügungssatz in den Bewilligungsbescheiden jedoch verwende die Formulierung „vorläufig“ nicht. Erst auf einem gesonderten Blatt werde auf die Vorläufigkeit hingewiesen. Dies genüge den Anforderungen an eine vorläufige Bewilligung jedoch nicht. Es erschließe sich der Klägerin darüber hinaus immer noch nicht, wie die Beklagte darauf komme, dass lediglich 0,5 Arbeitsstunden Schlechtwetterausfall abgerechnet worden seien. Den eingereichten Unterlagen seien wesentlich höhere Arbeitsausfallzeiten zu entnehmen. Der Beispielberechnung für den Arbeitnehmer K., wegen derer Inhalt das Gericht auf Bl. 28 ff. der Gerichtsakte verweist, könne entnommen werden, dass die Klägerin sowohl Urlaubstage als auch Stunden aus dem Arbeitszeitkonto zum Auffüllen bis zur Höhe der Tarifstunden verwendet habe. Zudem habe die Klägerin am 24.04.2020 Korrekturanträge für die Monate Januar bis März 2019 bei der Beklagten eingereicht. Dass die Beklagte mit Schreiben vom 30.06.2021 abermals nach Korrekturanträgen verlange, erscheine willkürlich.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 06.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2022 aufzuheben. 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

und verweist zur Begründung zunächst auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Nach ihrer Auffassung sind die Bewilligungsbescheide als lediglich vorläufig gekennzeichnet worden. In den jeweiligen Bescheiden werde darauf hingewiesen, dass die Leistung in vorläufiger Höhe gewährt werde, bis die Anträge mit den Arbeitszeit- und Lohnunterlagen verglichen worden sind. Nach Einreichung von Unterlagen durch die Klägerin habe die Beklagte Fehler festgestellt. Deshalb seien weitere Unterlagen angefordert worden. Die Klägerin habe jedoch keine Korrekturanträge vorgelegt. Bis heute fehle ein Nachweis über den Zugang der Kündigung des Arbeitnehmers D. Bei einer Fehlerfeststellung sei eine vollständige Prüfung durchzuführen. Mangels Einreichung von Korrekturanträgen habe jedoch keine vollständige Prüfung stattfinden können. Deshalb sei die Rückforderung des gewährten Kurzarbeitergeldes zu Recht erfolgt. Die von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 17.05.2022 übersandten Korrekturanträge und Abrechnungslisten für die Monate Januar bis März 2022 unter dem Datum des 12.05.2022 lägen der Beklagten unstreitig seit dem 28.04.2022 vor. Diese seien jedoch fehlerhaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf den Auszug der elektronischen Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.08.2022 Bezug genommen, welche allesamt Gegenstand der Entscheidung waren.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 Sozialgerichtgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 06.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Beklagte war mangels Vorliegens einer vorläufigen Entscheidung nicht berechtigt, die erbrachten Leistungen auf S-Kug endgültig festzusetzen und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückerstattet zu verlangen (hierzu I.). Auch liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der bewilligten Leistungen und damit einhergehende Erstattungsforderung nicht vor (hierzu II.).

I.
Gemäß § 101 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Zeit vom 1. Dezember bis zum 31. März (Schlechtwetterzeit) Anspruch auf S-Kug, wenn sie 1. in einem Betrieb beschäftigt sind, der dem Baugewerbe oder einem Wirtschaftszweig angehört, der von saisonbedingtem Arbeitsausfall betroffen ist, 2. der Arbeitsausfall nach Abs. 5 der Norm erheblich ist und 3. die betrieblichen Voraussetzungen des § 97 SGB III sowie die persönlichen Voraussetzungen des § 98 SGB III erfüllt sind. S-Kug wird unter Berufung auf die Norm des § 328 SGB III dabei in der Regel zunächst durch vorläufige Entscheidung erbracht. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III bestimmt beispielhaft, dass über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden kann, wenn zur Feststellung der Voraussetzungen des Anspruchs einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers auf Geldleistungen voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist, die Voraussetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen und die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Umstände, die einer sofortigen abschließenden Entscheidung entgegenstehen, nicht zu vertreten hat. Hierbei sind Umfang und Grund der Vorläufigkeit anzugeben, § 328 Abs. 1 S. 2 SGB III

Entspricht der vorläufige Bescheid nach Beseitigung der Ungewissheit dem endgültigen Ergebnis, so kann (Ermessen) der Bescheid für endgültig erklärt werden, worauf der Berechtigte nach entsprechender eigener Antragstellung einen Anspruch hat, § 328 Abs. 2 SGB III. Widerspricht die vorläufige Entscheidung dem endgültig festgestellten Ergebnis, so hat eine endgültige Entscheidung nach Maßgabe des § 328 Abs. 3 S. 1 sowie gegebenenfalls S. 2 Hs. 1 SGB III zu erfolgen (BSG, Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 31/14 R). Aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen sind gemäß § 328 Abs. 3 S. 1 SGB III auf die zustehenden Leistungen anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind aufgrund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten; aufgrund einer vorläufigen Entscheidung erbrachtes Kurzarbeitergeld und Wintergeld ist vom Arbeitgeber zurückzuzahlen, § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III

In formeller Hinsicht erfordert eine vorläufige Entscheidung nach § 328 Abs. 1 SGB III bereits nach den allgemeinen Vorgaben des § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) einen Verfügungssatz, der für den Empfänger ohne Zweifel die Vorläufigkeit des Bescheides deutlich macht. Aus dem Verfügungssatz selbst muss für den Empfänger vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will (BSG, Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R). Es muss damit klar erkennbar sein, dass es sich nur um eine Interimsregelung handelt (Schmidt-De Caluwe in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, Sozialgesetzbuch III, 7. Auflage 2021, § 328 Rn. 33), die unter dem Vorbehalt einer abschließenden Prüfung steht. Darüber hinaus verpflichtet § 328 Abs. 1 S. 2 SGB III speziell dazu, sowohl den Grund, als auch den Umfang der Vorläufigkeit im Bescheid anzugeben. Erforderlich ist damit zunächst die Benennung eines Grundes im Sinne des § 328 Abs. 1 Nr. 1 - 3 SGB III im Tenor des Bescheides, wenngleich Einzelheiten der Abgrenzung sinnvollerweise nur im Rahmen der Begründung ihren Platz finden können (Schmidt-De Caluwe in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, Sozialgesetzbuch III, 7. Auflage 2021, § 328 Rn. 34 mw.N.). 

Diesen Anforderungen genügen die Bescheide der Beklagten vom 20.02.2019, 26.03.2019 und 06.05.2019 nach Auffassung der erkennenden Kammer offensichtlich nicht. In den jeweiligen Bewilligungsbescheiden hat die Beklagte zunächst im Tenor des Verwaltungsaktes lediglich eine Entscheidung über die Tatsache und die Höhe der Bewilligung von S-Kug und ergänzenden Leistungen getroffen, ohne, dass auf die Vorläufigkeit der Entscheidung hingewiesen worden wäre. Auf den Tenor folgt sodann die Angabe der Kontoverbindung, auf welche die Leistungen überwiesen werden, hierauf der Hinweis, dass „gebeten wird, die nachstehend enthaltenen Hinweise bei der Auszahlung des S-Kug und ergänzenden Leistungen sowie bei der Erstellung weiterer Leistungsanträge zu beachten“. Diese seien „Bestandteil des Bescheides“. Hieran schließt sich bereits die Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten, eine Grußformel und der Hinweis, dass keine Unterschrift erforderlich sei. Erst auf der nächsten Seite hat die Beklagte in zwei Absätzen unter der Bezeichnung „Ergänzende Hinweise der Agentur für Arbeit“ Rechtsgrundlage und Bezeichnung einer Vorläufigkeit erstmals benannt. Dies allerdings ebenfalls nicht offenkundig, sondern in Formulierung und Formatierung nahezu verstohlen im zweiten Absatz der „Ergänzenden Hinweise“. Während im ersten Absatz darauf hingewiesen wird, dass Auszahlungsbeträge, die aus irgendwelchen Gründen nicht an die anspruchsberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgezahlt und überwiesen werden können, unaufgefordert unter Angabe des Grundes sowie weiterer benannter Daten an die Beklagte zurück zu überweisen sind, wird erst in der Mitte des zweiten Absatz darauf hingewiesen, dass der Leistungsantrag für den oben genannten Anspruchszeitraum mit den Arbeitszeit- und Lohnunterlagen noch nicht verglichen worden ist. Daher werde die Leistung durch vorläufige Entscheidung gewährt, wobei auf § 328 Abs. 1 Nr. 3 SGB III Bezug genommen wird. Zu Unrecht gezahlte Beträge seien an das vorstehend bezeichnete Konto der Beklagten zurückzuzahlen, sollte sich herausstellen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung dem Grunde oder der Höhe nach nicht vorgelegen haben oder entfallen sind.

Nach Auffassung des Gerichts ist der alleinige Hinweis auf eine vorläufige Leistungserbringung unter dem Punkt „Ergänzende Hinweise“ - der bereits nach seiner Begrifflichkeit „Hinweis“ erhebliche Zweifel am Regelungswillen der Beklagten aufkommen lässt - nicht geeignet, die Vorläufigkeit einer Regelung zu begründen, weil sie die Vorläufigkeit der Entscheidung für den Empfänger der Leistungen nicht hinreichend deutlich macht. Darüber hinaus ist nach Auffassung der Kammer zu beachten, dass dieser „Hinweis“ erst auf einer Zusatzseite zum Bescheid und hinter der Rechtsbehelfsbelehrung angebracht ist. Zwar führt das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung weder zur Rechtswidrigkeit, noch zur Nichtigkeit des jeweiligen Bescheides (vgl. bereits BSG, Urteil vom 23.06.1994 - 12 RK 82/92), allerdings zeigt schon allein die Stellung des „Hinweises“, dass die Tatsache der Vorläufigkeit fernab jeglichen Verfügungssatzes verortet worden ist. Zwar ist es möglich und in der Praxis durchaus gängig, Grund und Umfang der Vorläufigkeit in einem gesonderten Schreiben mitzuteilen (Schmidt-De Caluwe in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, Sozialgesetzbuch III, 7. Auflage 2021, § 328 Rn. 34), allerdings muss dann auch die Vorläufigkeit Ausdruck eines eigenen Verfügungssatzes sein. Dies ist vorliegend aus den vorstehend genannten Gründen offensichtlich nicht der Fall.

Rechtsfolge der fehlenden Vorläufigkeit der Entscheidungen vom 20.02.2019, 26.03.2019 und 06.05.2019 ist zunächst, dass die Beklagte keine endgültige Leistungsbewilligung nach § 328 Abs. 3 und 4 SGB III hat treffen können. Denn ein Bescheid, der die Vorläufigkeit nicht zweifelsfrei erkennen lässt, kommt bereits einer endgültigen Entscheidung gleich (vgl. BSG Urteil vom 28.11.2007 - B 11a AL 47/06 R und vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R). 

Ob eine mangels Vorläufigkeit fehlerhafte endgültige Festsetzung in eine Aufhebungsentscheidung nach den §§ 44 ff. SGB X umgedeutet werden kann, mag umstritten sein, musste vorliegend jedoch nicht entschieden werden, da die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach den §§ 44 ff. SGB X nicht gegeben sind. 

II.
Als mögliche Rechtsgrundlage für eine rückwirkende Aufhebung der bewilligten Leistungen kommt dabei vorliegend lediglich § 45 SGB X in Betracht, weil die Bewilligungsentscheidungen der Beklagten jeweils nach Ablauf des eigentlichen Leistungszeitraums erfolgt sind, sodass die Leistungsbewilligungen - wenn überhaupt - nur anfänglich rechtswidrig gewesen sein können. Eine Aufhebung einer Leistung für die Vergangenheit, auf dessen Bestand der Begünstige vertraut hat, setzt einen das Vertrauen ausschließende Gegebenheit nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 - 3 SGB X voraus. Diese kommen vorliegend jedoch alle nicht ernsthaft in Betracht. Weder hat das Gericht Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hätte, § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB X, noch dafür, dass der Verwaltungsakt bzw. die Verwaltungsakte auf Angaben beruht hätten, welche die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hätte oder aber, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und 3 SGB X. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Einlassung des Geschäftsführers der Klägerin, Herrn B. A., nicht gewusst zu haben, dass halbe Arbeitsausfallstunden nicht im Wege des S-Kug geltend gemacht werden können und auch nicht gewusst zu haben, dass für gekündigte Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung kein Anspruch mehr auf S-Kug geltend gemacht werden kann. Diesbezüglich hat der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts versichert, die Firma erst im Jahre 2018 übernommen zu haben, womit es sich um seine erste Antragstellung auf S-Kug gehandelt habe. Zuvor sei er nicht mit der Geltendmachung von S-Kug befasst gewesen. Auch hat das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass die steuerberatende Kanzlei, derer sich die Klägerin (teilweise) bedient hat, Angaben zu verantworten hätte, die sie grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hätte und welche sich die Klägerin im Ergebnis zurechnen lassen müsste. Hierbei ist insbesondere auch darauf hinzuweisen, dass keine Vermutungen dahingehend bestehen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Ausfallstunden nicht angefallen sind. Ob diese dann tatsächlich auch zu einem Anspruch auf S-Kug führen oder nicht, hat mit der zutreffenden Angabe an sich zunächst einmal nichts zu tun. Dass halbe Ausfallstunden nicht zu einem Anspruch auf S-Kug führen, ist keine Tatsache, die man nach Auffassung des Gerichts zwingend wissen muss.

Nicht aufzuklären war damit letztlich auch, wie sich der schließlich beschiedene Rückforderungsbetrag der Beklagten zu Stande setzt. Angemerkt sei an dieser Stelle lediglich, dass sich ein Rückforderungsbetrag i.H.v. 10.677,40 € im Rahmen einer „Nullfestsetzung“ jedenfalls aus der Höhe der ursprünglich bewilligten Leistungen (11.002,66 €) und auch unter Berücksichtigung der gestellten Korrekturanträge der Klägerin nicht ergibt.

Der Klage war vollumfänglich stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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