L 1 KR 293/21

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 30 KR 645/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 293/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 19/22 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Verzögerung der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit fällt nicht in die Verantwortungssphäre der Krankenkasse, sondern in die des Versicherten, wenn die verspätete Feststellung darauf beruht, dass ein rechtzeitig vereinbarter Arzttermin aufgrund einer überfüllten Arztpraxis vom Versicherten aus eigenem Entschluss heraus nicht wahrgenommen wird, weil er sich längere Wartezeiten nicht zumuten will.

     
   
 

 

      1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 5. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
      2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

T a t b e s t a n d

 

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Krankengeld über den 27.06.2017 hinaus.

 

Die 1964 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie stand in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, als sie am 13.10.2016 arbeitsunfähig erkrankte (pseudoradikuläres Lumbalsyndrom). Bis zum 23.11.2016 erhielt sie von ihrem Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Seit dem 24.11.2016 bezog sie von der Beklagten Krankengeld (kalendertäglich 17,26 € brutto / 15,17 € netto). Zum 06.03.2017 endete ihr Beschäftigungsverhältnis. Im Anschluss an den Krankengeldbezug wurden ihr vom zuständigen Jobcenter Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosgengeld II) gewährt.

 

Die behandelnde Hausarztpraxis (Praxis Dr. med. E....) stellte der Klägerin für die Zeit ab dem 13.10.2016 fortlaufend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) aus, wobei eine lückenlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (nur) bis zum 27.06.2017 erfolgte (AU-Bescheinigung vom 13.06.2017: arbeitsunfähig bis zum 27.06.2017).

 

Am 27.06.2017 (Dienstag) begab sich die Klägerin – eigenen Angaben zufolge mit einem entsprechenden Termin – zum Zwecke der Bescheinigung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit in die Arztpraxis. Dort war an diesem Tage ärztlicherseits nicht der Praxisinhaber (Herr Dr. med. E....), sondern allein die angestellte Ärztin (Frau Dipl.-Med.  Z....) anwesend. Die Klägerin musste bei Ankunft in der Praxis feststellen, dass diese völlig überfüllt war, so dass mit erheblichen Wartezeiten zu rechnen gewesen wäre. Dies wollte sich die Klägerin angesichts ihres Gesundheitszustands (Schmerzen) nicht zumuten, so dass sie die Praxis wieder verließ. Am Folgetag, dem 28.06.2017 (Mittwoch), war die Arztpraxis regulär geschlossen. Am 29.06.2017 (Donnerstag) begab sich die Klägerin erneut in die Praxis, wo nach ärztlicher Untersuchung das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde (AU-Bescheinigung vom 29.06.2017: arbeitsunfähig bis zum 20.07.2017; hieran anschließend weitere lückenlose AU-Bescheinigungen für den streitgegenständlichen Zeitraum).

 

Die Beklagte verfügte, dass das Krankengeld nur bis zum 27.06.2017 gewährt werde (Bescheid vom 04.07.2017, Widerspruchsbescheid vom 11.07.2018). Ab dem 28.06.2017 sei die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Dies deshalb, weil das Beschäftigungsverhältnis beendet gewesen sei und es für das Fortbestehen eines Anspruchs auf Krankengeld an der lückenlosen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit fehle. Mit AU-Bescheinigung vom 13.06.2017 sei Arbeitsunfähigkeit bis zum 27.06.2017 attestiert worden, dann erst wieder ab dem 29.06.2017 (mit AU-Bescheinigung vom selben Tage). Zur Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Krankengeld wäre es erforderlich gewesen, die Arbeitsunfähigkeit am nächsten Werktag nach Ablauf der vorausgehenden Bescheinigung erneut ärztlich feststellen zu lassen. Hieran fehle es. Die Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld habe daher mit Ablauf des 27.06.2017 geendet (Verweis auf §§ 44, 46, § 192 Abs. 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Ab dem 28.06.2017 bestehe kein Anspruch auf Krankengeld mehr.

 

Am 09.08.2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Dresden erhoben, mit der sie die Gewährung von Krankengeld über den 27.06.2017 hinaus beansprucht hat. Sie sei seit dem 13.10.2016 ununterbrochen (auch am 27.06, 28.06. und 29.06.2017) arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Es sei daher möglich – und auch sozialrechtlich geboten –, ihr über den 27.06.2017 hinaus Krankengeld zu gewähren, zumal sie am 27.06.2017 in der Arztpraxis gewesen sei und es dort auch zu einem kurzen Arzt-Patienten-Kontakt (am Praxistresen) mit der an diesem Tage anwesenden Ärztin gekommen sei.

 

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die (rechtzeitige) Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sei eine materiell-rechtliche Voraussetzung für das Entstehen bzw. den Fortbestand des Anspruchs auf Krankengeld. Hierfür bedürfe es einer ärztlichen Untersuchung, welche am 27.06.2017 nicht erfolgt sei. Es sei auch keine ärztliche Leistung für diesen Tag abgerechnet worden. Erst am 29.06.2017 – mithin verspätet – sei die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit nach ärztlicher Untersuchung bestätigt worden.

 

Das SG hat am 05.12.2019 mündlich zur Sache verhandelt, wobei die persönlich geladene Klägerin unter Verweis auf eine "ärztliche Bescheinigung zur Sporttauglichkeit", derzufolge aufgrund ihrer "psychischen und physischen Verfassung Bedenken gegen die Teilnahme an der Gerichtsverhandlung" bestünden, nicht zum Termin erschienen ist. Nach Vernehmung der angestellten Ärztin Frau Dipl.-Med.  Z.... als Zeugin hat das SG die Klage mit Urteil vom selben Tage abgewiesen. Zwar habe trotz der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses die Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld zunächst bis zum 27.06.2017 fortbestanden (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Für die Zeit ab 28.06.2017 fehle es jedoch an einer lückenlosen ärztlichen Feststellung des Fortbestehens von Arbeitsunfähigkeit. Diese sei erst am 29.06.2017 erfolgt; zu diesem Zeitpunkt sei die Klägerin jedoch nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Am 27.06.2017 sei keine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Zwar habe sich die Klägerin an diesem Tage in die Praxis begeben. Zu einer ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sei es jedoch nicht gekommen. Die Zeugin  Z.... habe die Situation in der Praxis an dem fraglichen Tage nachvollziehbar und glaubhaft geschildert. Hiernach sei es in der Praxis sehr voll gewesen. Sie – die Zeugin – habe, als sie das Arztzimmer kurz verlassen habe, die Klägerin, der es offensichtlich nicht gut gegangen sei, am Praxistresen stehen sehen. Sie – die Zeugin – habe allerdings nicht mit der Klägerin gesprochen. Fortgeschickt worden sei die Klägerin von ihr nicht; es werde grundsätzlich niemand fortgeschickt. Vielmehr werde die Praxistür um 11.00 Uhr geschlossen und würden dann alle wartenden Patienten nacheinander behandelt, wobei besonders behandlungsbedürftige Patienten auch vorgezogen würden. Dieser Aussage der Zeugin  Z...., so das SG, sei zu entnehmen, dass es am 27.06.2017 zu einer persönlichen Untersuchung der Klägerin nicht gekommen sei. Ein solcher persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt sei jedoch – auch nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Verweis auf BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris) – zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Fortbestehen des Anspruchs auf Krankengeld erforderlich. Ein Ausnahmefall, der es rechtfertigen könnte, von diesen Grundsätzen abzuweichen, liege nicht vor. Die Klägerin sei weder geschäftsunfähig, noch handlungsunfähig gewesen; vielmehr habe sie die Praxis am fraglichen Tag selbst aufgesucht. Sie habe die Praxis dann aus eigenem Antrieb wieder verlassen, weil es ihr zu voll gewesen sei und sie nicht habe warten wollen. Zu einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt mit Schilderung der Beschwerden und Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach ärztlicher Untersuchung sei es nicht gekommen. Dies sei dem Verantwortungsbereich der Klägerin zuzurechnen, die nicht alles in ihrer Macht Stehende getan habe, um eine entsprechende Feststellung zu erreichen. Denn aufgrund der Aussage der Zeugin Z.... stehe fest, dass die Klägerin am 27.06.2017 behandelt worden wäre, wenn sie die Praxis nicht wieder verlassen hätte. Angesichts ihres schlechten Allgemeinzustands hätte die Klägerin hierbei auch gegenüber anderen – früher erschienenen – Patienten vorgezogen werden können, was die Zeugin Z.... ebenfalls ausdrücklich bestätigt habe. Auch am 28.06.2017 sei kein Arzt-Patienten-Kontakt – ggf. in einer anderen Arztpraxis – erfolgt. Es liege somit keine Fallkonstellation vor, in der die unterbliebene Feststellung der Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse zuzurechnen sei. Vielmehr verbleibe es bei dem Grundsatz, dass die rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in den Verantwortungs- und Obliegenheitsbereich des Versicherten falle.

 

Gegen das Urteil des SG vom 05.12.2019 hat die Klägerin am 16.12.2019 Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Die Entscheidung des SG verkenne die aktuelle Rechtsprechung des BSG, wonach die sozialen Rechte der Versicherten möglichst weitgehend zu verwirklichen seien. Die Versagung des Krankengeldanspruchs bei ansonsten zweifelsfrei bestehender Arbeitsunfähigkeit unter Verweis auf eine fehlerhaft unterbliebene ärztliche AU-Feststellung komme hiernach nicht in Betracht, zumal ein Missbrauch oder praktische Schwierigkeiten bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vorliegend nicht zur Debatte stünden. Vielmehr habe die in der Praxis tätige Ärztin die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bei dem Arzt-Patienten-Kontakt am Thresen in der Praxis am 27.06.2017 persönlich und rechtzeitig festgestellt. Es sei einem Patienten im Übrigen nicht zuzumuten, sich in einer übervollen Praxis zu Lasten anderer Patienten "vorzudrängeln". Sie habe am 27.06.2017 und am 29.06.2017 alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihre Ansprüche zu wahren.

 

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 5. Dezember 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Juli 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Juli 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin über den 27. Juni 2017 hinaus Krankengeld zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Das Klagebegehren könne – auch auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des BSG – keinen Erfolg haben. Die Klägerin habe nicht alles in ihrer Macht Stehende getan, um die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit lückenlos feststellen zu lassen. Ein hinreichender Arzt-Patienten-Kontakt mit Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer ärztlicher Untersuchung habe am 27.06.2017 nicht stattgefunden. Die Klägerin sei von der Arztpraxis auch nicht weggeschickt worden, sondern habe diese aus eigenem Antrieb – weil es so voll gewesen sei und sie nicht habe warten wollen – verlassen. Dies sei kein Umstand, welcher der Krankenkasse zuzurechnen sei. Auch am 28.06.2017 sei kein Arzt-Patienten-Kontakt erfolgt. Erst am 29.06.2017 sei die Arbeitsunfähigkeit erneut ärztlich festgestellt worden; aufgrund der eingetretenen Lücke (keine ununterbrochene Feststellung der Arbeitsunfähigkeit) reiche dies jedoch zur Wahrung des Krankengeldanspruchs nicht aus.

 

Der Senat hat am 09.11.2021 durch die Berichterstatterin einen Termin zur Erörterung und Beweisaufnahme durchgeführt, in welchem zu den Abläufen in der Arztpraxis am 27.06.2017 sowohl die Klägerin persönlich gehört wurde als auch die an diesem Tag in der Praxis tätige Sprechstundenhilfe, Frau D...., als Zeugin vernommen wurde. Die Zeugin D.... hat angegeben, die Klägerin – trotz der (wie stets) überfüllten Praxis – nicht weggeschickt zu haben. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift zum Termin verwiesen.

 

Beigezogen waren die Verwaltungsvorgänge der Beklagten. Auf diese und auf die Gerichtsakte wird ergänzend Bezug genommen.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

 

1. Streitgegenständlich ist – neben der erstinstanzlichen Entscheidung des SG – der Bescheid vom 04.07.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.07.2018, mit dem die Beklagte die Gewährung von Krankengeld über den 27.06.2017 hinaus abgelehnt hat, weil die Klägerin ab dem 28.06.2017 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei. Gegen diesen Bescheid wendet sich die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG, mit der sie die Gewährung von Krankengeld über den 27.06.2017 hinaus bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 11.04.2018 begehrt, und die – als auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) gerichtet – keiner Bezifferung bedarf (BSG, Urteil vom 17.06.2021 – B 3 KR 2/19 R – juris Rn. 8).

 

Dem klägerischen Begehren fehlt nicht etwa deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil sich im Falle des Obsiegens im Verfahren im Hinblick auf die Erfüllungsfiktion des § 107 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – die Klägerin hat während des Streitzeitraumes Arbeitslosengeld II bezogen – kein Zahlungsanspruch zugunsten der Klägerin ergeben würde. Denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht ein schützenswertes Interesse des Versicherten an der Klärung, welche Sozialleistung ihm konkret zugestanden hat (BSG, Urteil vom 12.03.2013 – B 1 KR 7/12 R – juris Rn. 11).

 

2. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld über den 27.06.2017 hinaus.

 

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist § 44 Abs. 1 1. Alt. SGB V. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Anspruch entsteht von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der ab 23.07.2015 geltenden Fassung). Er bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage (§ 46 Satz 2 SGB V).

 

Bei – wie hier – zeitlich befristeten AU-Bescheinigungen und dementsprechender Krankengeldgewährung sind die Voraussetzungen des Krankengeldanspruchs für jeden Bewilligungsabschnitt erneut festzustellen (st. Rspr. – siehe nur BSG, Urteil vom 28.03.2019 – B 3 KR 22/17 R – juris Rn. 16 m.w.N.). Für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs ist es dabei erforderlich, dass die Arbeitsunfähigkeit bei Ablauf eines jeden Bewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird. Um einen ununterbrochenen Krankengeldbezug zu gewährleisten, hat dies spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen. Von der zum 11.05.2019 in Kraft getretenen Regelung des § 46 Satz 3 SGB V, nach der für Versicherte, deren Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V vom Bestand des Anspruchs auf Krankengeld abhängig ist, der Anspruch auf Krankengeld auch dann bestehen bleibt, wenn die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit nicht am nächsten Werktag im Sinne von Satz 2, aber spätestens innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird, kann die Klägerin im hier streitigen Zeitraum noch nicht profitieren, weil dieser (Neu-)Regelung keine Rückwirkung zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris Rn. 16 – zur vergleichbaren Fallkonstellation der zum 23.07.2015 in Kraft getretenen Änderungen durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz).

 

Die erneute Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hätte damit spätestens am 28.06.2017 (Mittwoch) erfolgen müssen. Dies ist indes nicht geschehen. Erst am 29.06.2017 wurde der Klägerin erneut Arbeitsunfähigkeit attestiert. Denn – anders als die Klägerin meint – ist die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kein bloßer rein praxisinterner Vorgang. Erforderlich ist ein Akt mit Außenwirkung, der sich in Form eines entsprechenden Schriftstücks ("Bescheinigung") manifestiert (BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris Rn. 18; Urteil vom 29.10.2020 – B 3 KR 6/20 R – juris Rn. 15).

 

Ob und in welchem Umfang der Versicherte bei erneuter ärztlicher Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit Krankengeld beanspruchen kann, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für das Krankengeld besteht (BSG, Urteil vom 28.03.2019 – B 3 KR 22/17 R – juris Rn. 16 m.w.N.; Urteil vom 17.06.2021 – B 3 KR 2/19 R – juris Rn. 9 m.w.N.). Hiernach bestand aufgrund des Krankengeldbezugs die Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zunächst fort (§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Dies jedoch nur bis zum 27.06.2017. Denn mangels lückenloser Feststellung der Arbeitsunfähigkeit konnte ab dem 29.06.2017 kein erneuter Krankengeldanspruch entstehen.

 

Eine Ausnahmekonstellation, die es gebieten würde, die Klägerin so zu stellen, als ob eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt wäre, liegt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nicht vor.

 

Die höchstrichterliche Rechtsprechung erkennt seit jeher Ausnahmen von dem Erfordernis der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an, wenn diese durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen sind. Derartiges hat das BSG in der Vergangenheit bejaht bei Fristversäumnissen wegen Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Versicherten, im Falle des verspäteten Zugangs der Arbeitsunfähigkeitsmeldung bei der Krankenkasse aufgrund von Organisationsmängeln, die diese selbst zu vertreten hat, für Fälle einer irrtümlichen Verneinung der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten aufgrund ärztlicher Fehlbeurteilung sowie bei einem von der Krankenkasse rechtsfehlerhaft bewerteten Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach Aufgabe des letzten Arbeitsplatzes (vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris Rn. 22 m.w.N.).

 

Diese Rechtsprechung hat das BSG zunächst dahingehend fortentwickelt, dass ein Ausnahmefall auch dann anzunehmen ist, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erreichen, diese dann aber wegen einer nichtmedizinisch begründeten Fehlvorstellung des Vertragsarztes unterbleibt (BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris Rn. 25 f.). Dies hat das BSG allerdings davon abhängig gemacht, dass es zumindest zu einem (rechtzeitigen) "Arzt-Patienten-Kontakt" gekommen sein müsse, den das BSG dahingehend präzisiert hat, dass der Versicherte, "den Arzt aufzusuchen und ihm seine Beschwerden vorzutragen hat". Unterbleibt dann die förmliche ärztliche AU-Feststellung, d.h. die Ausstellung einer formellen Bescheinigung, sei dies nicht dem Versicherten zuzurechnen, weil dieser in einer derartigen Fallkonstellation seiner Mitwirkungsobliegenheit Genüge getan habe (BSG, a.a.O., Rn. 26 ff.).

 

Eine weitere Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist – während des laufenden Berufungsverfahrens – dahingehend erfolgt, dass es einem rechtzeitig erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gleichsteht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten, es dazu aber aus dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist (BSG, Urteile vom 26.03.2020 – B 3 KR 9/19 R und B 3 KR 10/19 R – juris jeweils Rn. 22). Dies sei, so das BSG, typischerweise zu bejahen bei einer auf Wunsch des Vertragsarztes bzw. seines von ihm angeleiteten Praxispersonals erfolgten Verschiebung des vereinbarten rechtzeitigen Arzttermins in der (naheliegenden) Vorstellung, ein späterer Termin sei für den Versicherten leistungsrechtlich unschädlich, weil nach den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses auch die begrenzte rückwirkende ärztliche AU-Feststellung statthaft sei (BSG, a.a.O., Rn. 23).

 

Keine dieser Ausnahmekonstellationen liegt hier vor. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, welche sich der Senat zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG). Hiernach war die Klägerin beim Aufsuchen der Arztpraxis am 27.06.2017 weder handlungs- noch geschäftsunfähig. Zu einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung des BSG ist es an diesem Tage nicht gekommen. Auch insoweit folgt der Senat den erstinstanzlichen Ausführungen. Der bloße Blickkontakt der Zeugin Z.... mit der Klägerin am Praxistresen reicht insoweit nicht aus. Der Arzt-Patienten-Kontakt erfordert vielmehr eine ärztliche Untersuchung, in deren Rahmen der Versicherte seine Beschwerden vorträgt und der Arzt sich davon überzeugt, dass diese Beschwerden tatsächlich bestehen und zudem die Arbeitsunfähigkeit des Patienten begründen, was sodann förmlich zu bestätigen ist. Dies hat am 27.06.2017 nicht stattgefunden. Die im Rahmen des Berufungsverfahrens geführten Ermittlungen haben zudem ergeben, dass das Unterbleiben des rechtzeitigen Kontakts nicht auf Umständen beruht, die der Krankenkasse zuzurechnen wären. Nur in diesem Falle wäre die Lücke in der ärztlichen AU-Feststellung für den Versicherten unschädlich (BSG, Urteil vom 17.06.2021 – B 3 KR 2/19 R – juris Rn. 23.). Eine Zurechnung zu der Krankenkasse würde voraussetzen, dass die Ursache für die Verspätung des Arzt-Patienten-Kontakts in der Sphäre des Vertragsarztes – bzw. dessen Praxispersonals – wurzelt (BSG, Urteile vom 26.03.2020 – B 3 KR 9/19 R und B 3 KR 10/19 R – juris jeweils Rn. 23). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Untersuchungstermin wurde nicht auf Betreiben der Arztpraxis verschoben. Die Zeuginnen Z.... und D.... haben übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass – auch bei (wie stets) "übervoller" Praxis – kein Patient weggeschickt werde. Der Aussage der Zeugin Z.... ist zudem zu entnehmen, dass alle rechtzeitig erschienenen Patienten nach und nach "abgearbeitet", d.h. behandelt werden, wobei dringende Fälle auch vorgezogen werden. Die Entscheidung, die Praxis am 27.06.2017 wieder zu verlassen, hat die Klägerin, wie sie selbst bestätigt hat, aus eigenem Antrieb heraus getroffen. Dies deswegen, weil sie sich längere Wartezeiten aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands nicht zumuten wollte. Dies mag zwar subjektiv verständlich sein. Es handelt sich jedoch nicht um einen Aspekt, der der beklagten Krankenkasse zuzurechnen wäre. Weder die ausreichende Versorgung einer Region (hier: Ostsachsen) mit Haus- und Fachärzten noch die Art und Weise der Organisation der inneren Abläufe einer Arztpraxis (etwa: Patientenanzahl, Öffnungszeiten, Terminvergabesystem) fällt in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Beklagten. Da mithin keine in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Fallkonstellationen vorliegt, in denen von dem Erfordernis einer rechtzeitigen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abgesehen werden könnte, verbleibt es bei dem – auch vom BSG seiner Rechtsprechung weiterhin zugrunde gelegten – allgemeinen Grundsatz, dass es sich bei der rechtzeitigen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit um eine Obliegenheit des Versicherten handelt (BSG, Urteil vom 11.05.2017 – B 3 KR 22/15 R – juris Rn. 20; Urteil vom 29.10.2020 – B 3 KR 6/20 R – juris Rn. 23; Urteil vom 17.06.2021 – B 3 KR 2/19 R – juris Rn. 24). Dies bedeutet, dass die Folgen einer – sei sie auch unverschuldet – verspäteten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in die Verantwortungssphäre des Versicherten fallen und von diesem zu tragen sind.

 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

4. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache – insbesondere auch im Hinblick auf die zum 11.05.2019 in Kraft getretenen Neuregelung des § 46 Satz 3 SGB Vnicht zu.

 

Rechtskraft
Aus
Saved