L 9 SO 388/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 10 SO 12/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 388/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.11.2020 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Bewilligung eines Zusatzakkus für ein elektrisches Rollstuhlzuggerät.

Bei dem am 00.00.1976 geborenen Kläger bestehen u.a. eine fortschreitende Osteochondrose der Wirbelsäule mit hohem Frakturrisiko und eine Neurodystrophie (Morbus Sudeck). Nach einem Gutachten des MDK Nordrhein vom 28.03.2018 ist die Gehfähigkeit des Klägers auf wenige Meter begrenzt und Treppensteigen ist nur noch wenige Stufen mit personeller Unterstützung möglich. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist dem Kläger auch mit personeller Hilfe nicht möglich. Das MDK-Gutachten empfiehlt den Pflegegrad 2. Der Kläger hat einen Schwerbehindertenausweis mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G, aG, B und RF. Er ist von der Beigeladenen zu 1) (AOK R) mit einem Elektrorollstuhl („E-Scooter“) und zwei Aktivrollstühlen versorgt worden.

Am 14.06.2018 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen zu 1) unter Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Verordnung die Übernahme der Kosten für ein „Attitude Hybrid Handbike“ iHv 8.679,86 €. Die Beigeladene zu 1) leitete den Antrag am 28.06.2018 unter Bezugnahme auf § 14 SGB IX an die Beklagte (Stadt N) als Sozialhilfeträger weiter. Der Kläger sei ausreichend mit dem Elektrorollstuhl und den Aktivrollstühlen versorgt, die jetzt beantragte Versorgung reiche über den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus. Nachdem sich der Kläger im Januar 2019 einer Operation an der Schulter unterzogen hatte, war das zunächst vorgesehene Handbike für ihn nicht mehr nutzbar. Der Kläger legte daraufhin ein Angebot für ein elektrisches Rollstuhlzuggerät „E-Pilot“ zum Preis von 5.909,48 € vor. Mit Bescheid vom 12.02.2019 übernahm die Beklagte - gestützt auf        § 14 SGB IX iVm § 33 SGB V - die Kosten für dieses Gerät. Sie erteilte dem Sanitätshaus „S GmbH“ einen entsprechenden Lieferauftrag und bat um Übermittlung der Rechnung. Gleichzeitig meldete sie einen Erstattungsanspruch bei der Beigeladenen zu 1) an.

Im Mai 2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Bezugnahme auf einen entsprechenden Kostenvoranschlag des Sanitätshauses die Bewilligung eines Ersatzakkus für das Rollstuhlzuggerät zum Preis von 904,40 €. Die Reichweite des Zuggeräts sei mit nur einem Akku für seine Zwecke nicht ausreichend. Mit Bescheid vom 08.08.2019 und Widerspruchsbescheid vom 19.12.2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die beantragte Versorgung zähle zu den Leistungen der Eingliederungshilfe iSd §§ 53, 54 SGB XII, §§ 55, 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 gF. Der Zusatzakku sei nicht notwendig. Das Grundbedürfnis des Klägers nach Mobilität sei auch ohne den Zusatzakku ausgeglichen. Der Kläger habe auch mit nur einem Akku die Möglichkeit, im Umkreis von 50 km Einkäufe, Arztbesuche und sonstige Aktivitäten durchzuführen. Um größere Strecken zurückzulegen, könne er den öffentlichen Nahverkehr nutzen. Es sei ihm möglich, das Rollstuhlzuggerät in einem Pkw zu transportieren und dadurch Akkustrom zu sparen sowie den Ladevorgang abzuwarten, da die erforderlichen Fahrten planbar seien.

Der Kläger hat am 07.01.2020 Klage erhoben. Er sei auf den Zusatzakku angewiesen. Ohne diesen habe das Rollstuhlzuggerät nur eine Reichweite von ca. 45 km, was nicht ausreichend sei. Er sei öfter im Stadtgebiet N unterwegs und es sei schon häufiger passiert, dass unterwegs der Akku leer gewesen sei. Den Zusatzakku würde er im Rucksack transportieren, um Reichweite zu gewinnen. Die Nutzung von Nahverkehrsmitteln sei ihm nicht möglich, da er mit dem Rollstuhl nicht in die Aufzüge passe und damit nicht zu den Bahnsteigen gelangen könne. Außerdem sei eine Mitnahme in der U-Bahn und in Bussen ausgeschlossen. Während der Auflade- und Reparaturzeiten könne er das Gerät außerdem nicht nutzen.

Das Sozialgericht hat nach einem Hinweis der Beklagten, dass ab dem 01.01.2020 der Beigeladene zu 2) (LVR Rheinland) für die Entscheidung zuständig sei, diesen als Beklagten zu 2) eingetragen.

Der Kläger hat beantragt,

„die Beklagte, hilfsweise den Beklagten zu 2), unter Abänderung des Bescheides vom 08.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2019 zu verurteilen, ihm einen Ersatzakku für sein E-Handbike zu bewilligen.“

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Notwendigkeit der beantragten Versorgung bestritten.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 18.11.2020 unter Abänderung des Bescheides vom 08.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2019 verurteilt, dem Kläger einen Ersatzakku für sein E-Handbike zu bewilligen. Die Beklagte sei nach § 14 SGB IX zuständig geworden. Der Kläger habe einen Anspruch auf Bewilligung des Zusatzakkus nach § 84 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 gF. Danach bestehe ein Anspruch auf Hilfsmittel, die erforderlich seien, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Nach § 84 Abs. 3 SGB IX würden auch Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht, soweit diese im Einzelfall erforderlich sei. Der Kläger sei auf eine solche Doppelausstattung mit einem Ersatzakku angewiesen, denn er habe nachvollziehbar geschildert, dass der Akku des Handbikes häufiger leer sei, insbesondere wenn er im Stadtgebiet N unterwegs sei und mehrere Stellen ansteuere. Eine Ausstattung des Klägers mit einem zweiten Akku sei erforderlich, um seinen Mobilitätswünschen gerecht zu werden und eine möglichst umfassende Eingliederung in die Gesellschaft zu erreichen.

Die Beklagte hat am 08.12.2020 Berufung eingelegt. Der Kläger sei mit dem Rollstuhlzuggerät und dem Elektrorollstuhl versorgt und ausreichend in der Lage, sich in der Stadt zu bewegen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 18.11.2020 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und hat mitgeteilt, den zweiten Akku bislang nicht angeschafft zu haben, da ihm insoweit die Mittel fehlten.

Der Senat hat mit Beschluss vom 21.06.2021 die Beigeladene zu 1) und den Beigeladenen zu 2) beigeladen.

Der Kläger ist im Juli 2021 nach Husum verzogen. Ab dem 01.10.2021 ist er nicht mehr Mitglied der AOK R, sondern der Techniker Krankenkasse.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Der Senat konnte trotz Abwesenheit des Klägers in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil der Kläger in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 2 Satz 1 SGG). Zwar hat der Kläger mit E-Mail vom 28.06.2022 mitteilen lassen, dass er zu der Verhandlung nicht erscheinen könne, weil er nicht reisefähig sei, er hat dies jedoch weder belegt, noch hat er beantragt, den Termin aufzuheben, so dass kein erheblicher Grund für eine Vertagung der Verhandlung iSd § 202 SGG, § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorlag (§ 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO).

II. Nur die Stadt N ist Beklagte und Berufungsklägerin. Soweit die Klage sich entsprechend dem Hinweis des Sozialgerichts hilfsweise auch gegen den LVR als Beklagten (jetziger Beigeladener zu 2) richtet, war diese Klage nicht zulässig, da es an einer Vorbefassung des Beigeladenen zu 2) mit dem streitigen Begehren fehlte. Nach dem Vorbringen des Klägers in der Berufung verfolgt er den Anspruch gegen den Beigeladenen zu 2) im Berufungsverfahren zutreffend nicht mehr als hilfsweise geltend gemachten Anspruch gegen einen weiteren Beklagten, sondern als alternativen Anspruch auf Verurteilung eines Beigeladenen gem. § 75 Abs. 5 SGG. Hierfür ist eine Vorbefassung nicht erforderlich (Fock in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. § 75 Rn. 22 mwN).

III. Streitgegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Versorgung mit dem beantragten Zusatzakku als Geldleistung iSd § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII (dazu BSG Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 24/11 R), den die Beklagte mit dem Bescheid vom 08.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2019 abgelehnt hat.

Ein Anspruch des Klägers auf Bewilligung des Zusatzakkus als Leistung der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX ist hingegen nicht Streitgegenstand. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist der Streitgegenstand identisch mit dem erhobenen prozessualen Anspruch und wird bestimmt durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck zu bringende Rechtsfolge sowie den Klagegrund, d.h. den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (ständige Rechtsprechung, vgl nur BSG Urteil vom 18.08.1999 – B 4 RA 25/99 B mwN; Haupt in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. § 123 Rn. 2). Die zur Begründung des Anspruchs herangezogene Anspruchsgrundlage gehört nicht zum Streitgegenstand, da diese weder das prozessuale Begehren noch den zu dessen Begründung herangezogenen Sachverhalt betrifft. Dies gilt auch, wenn die verschiedenen Anspruchsgrundlagen einen unterschiedlichen Tatsachenvortrag erfordern (BGH Urteil vom 18.07.2002 – III ZR 287/01).

Bei der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX in der ab dem 01.01.2020 gF handelt es sich im Verhältnis zur Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII in der bis zum 31.12.2019 gF jedoch nicht (lediglich) um eine unterschiedliche Begründung desselben prozessualen Anspruchs, sondern um eine andere, bislang nicht streitgegenständliche Leistung. Nach der Rechtsprechung des BSG (grundlegend BSG Urteil vom 28.01.2021 – B 8 SO 9/19 R) ist aufgrund der Neukonzipierung des Rechts der Eingliederungshilfe die ursprüngliche Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers für Eingliederungshilfeleistungen entfallen. Auch die Wirkung des § 14 SGB IX umfasst die neue Eingliederungshilfe nach dem SGB IX nicht (in diesem Sinne wohl auch Eicher in jurisPK-SGB XII, Anhang zu § 19 SGB XII, Rn. 2.6; aA insoweit LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 10.11.2020 – L 8 SO 84/20 ER). Das auf den Regelungen des Sechsten Kapitels des SGB XII begründete Rechtsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Sozialhilfeträger endete zum 31.12.2019. Der Sozialhilfeträger ist kein Rehabilitationsträger mehr (§ 6 SGB IX). Die Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX sind vielmehr ausdrücklich aus dem Recht der Sozialhilfe herausgelöst worden und werden auf Grundlage eines vom Gesetzgeber neu geschaffenen Leistungssystems von einem anderen Leistungsträger (Eingliederungshilfeträger) erbracht. Mit der Neuausrichtung der Eingliederungshilfe in Teil 2 des SGB IX und der strikten Trennung von Fachleistungen und Lebensunterhaltsleistungen als Grundprinzip ist ein vollständiger Systemwechsel erfolgt. Übergangsregelungen für die Zeit ab dem 01.01.2020, aus denen sich schließen ließe, dass der Eingliederungshilfeträger Funktionsnachfolger des Sozialhilfeträgers im bis zum 31.12.2019 begründeten Rechtsverhältnis geworden ist und die unter altem Recht begründeten Leistungsfälle unter Geltung des neuen Rechts nur fortgeführt werden, bestehen nicht. Die Einführung eines Antragserfordernisses für Eingliederungshilfeleistungen in § 108 Abs. 1 SGB IX zum 01.01.2020 bestätigt den strikten Systemwechsel, denn ein Antrag wird – anders als bei sonstigen antragsabhängigen Leistungen des SGB XII – auch erforderlich, wenn die begehrten Leistungen der Sache nach bis zum 31.12.2019 bezogen worden sind. Nicht entscheidend ist, ob sich die Rechtswirklichkeit für die Betroffenen nach der Rechtsänderung verändert darstellt. Leistungen der Eingliederungshilfe nach neuem Recht sind daher nach der Rechtsprechung des BSG nicht zulässiger Streitgegenstand eines Rechtsstreits, wenn der angegriffene Verwaltungsakt – wie hier – keine Regelung über Leistungen nach dem SGB IX enthält (BSG Beschluss vom 24.06.2021 – B 8 SO 19/20 B). Dies gilt – über den zitierten Beschluss des BSG hinaus – auch, wenn sich der Regelungsgegenstand des angefochtenen Bescheides nicht auf Eingliederungshilfe als Leistung der Sozialhilfe nach dem bis 31.12.2019 geltenden Recht beschränkt, sondern weitere mögliche Anspruchsgrundlagen für Teilhabeleistungen umfasst. Entscheidend ist allein, dass der angefochtene Bescheid keine Regelung zur Eingliederungshilfe nach dem SGB IX trifft.

IV. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht unter Abänderung des Bescheides vom 08.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2019 verurteilt, dem Kläger den Ersatzakku für das Rollstuhlzuggerät zu bewilligen.

1) Die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) gegen den Bescheid vom 08.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2019 ist bezogen auf den oben dargestellten Streitgegenstand zulässig. Namentlich hat sich der Bescheid nicht erledigt.

a) Nach § 39 Abs. 2 SGG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. In Betracht kommt hier nur eine Erledigung auf andere Weise. Eine solche tritt ein, wenn durch eine Änderung der Sach- oder Rechtslage für die getroffene Regelung kein Anwendungsbereich mehr verbleibt. Bei nachträglicher Änderung der Sach- oder Rechtslage ist damit maßgeblich, ob der Verwaltungsakt auch für den Fall geänderter Umstände noch Geltung beansprucht oder nicht. Waren Bestand oder Rechtswirkungen des Verwaltungsakts für den Adressaten erkennbar an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, wird er gegenstandslos, wenn diese Situation nicht mehr besteht (BSG Urteil vom 11.02.2015 – B 6 KA 7/14 R). Eine Erledigung kann hiernach eintreten, wenn ausschließlich Eingliederungshilfeleistungen nach dem bis zum 31.12.2019 geltenden Recht im Streit standen und der Bedarf bis zu diesem Zeitpunkt nicht gedeckt wurde. Denn ein derartiger Verwaltungsakt enthält keine Regelung über Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX, sondern sein Regelungsgegenstand beschränkt sich auf Eingliederungshilfe als Leistung der Sozialhilfe nach dem bis 31.12.2019 geltenden Recht. Wie ausgeführt, handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG bei der antragsabhängigen Eingliederungshilfe nach neuem Recht nicht mehr um materielle Sozialhilfe im Sinne einer existenzsichernden Leistung, sondern wegen des Herauslösens der Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialhilfe um ein gänzlich neues Leistungsrecht. Trotz bestehender Parallelen zu dem bis 31.12.2019 geltenden Recht ist damit eine systematisch andere Leistung im Streit, auch wenn der heutige Eingliederungshilfeträger nach Maßgabe des Landesrechts mit dem früheren Sozialhilfeträger identisch sein mag. Dies bedeutet zugleich, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt für die Zeit ab 01.01.2020 keine Wirkung mehr entfaltet (BSG Beschluss vom 24.06.2021 – B 8 SO 19/20 B).

b) Keine Erledigung tritt hingegen in Fällen ein, in denen ein Anspruch nicht nur nach dem Recht der Eingliederungshilfe (nach dem SGB XII oder dem SGB IX), sondern auch nach anderen Leistungsgesetzen – wie hier gem. § 33 SGB V – in Betracht kommt. Unabhängig von der Frage, ob auf den Antrag vom 14.06.2018 oder vom 16.04.2019 abgestellt wird, ist die Beklagte nach § 14 Abs. 2 SGB IX für die Leistungserbringung zuständig geworden. Für die Anwendung dieser Vorschrift genügt es, dass von einem Rehabilitationsträger Rehabilitationsleistungen beansprucht werden (BSG Urteile vom 04.04.2019 – B 8 SO 11/17 R, vom 26.10.2017 – B 8 SO 12/16 R und vom 25.09.2014 – B 8 SO 7/13 R). Bei der hier streitigen Leistung handelt es sich um eine Teilhabeleistung iSv § 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX, denn es geht dem behinderten Kläger um eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung. Die Beklagte war als örtlicher Träger der Sozialhilfe gem. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX aF bis zum 31.12.2019 Rehabilitationsträger. Eine durch § 14 SGB IX begründete Zuständigkeit erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger auf alle Rechtsgrundlagen, die in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (BSG Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 10/10 R). Die Beklagte ist damit insbesondere auch für die Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 5 Nr. 1 SGB IX zuständig geworden und auch insoweit ist ein Anspruch denkbar. Denn bei dem begehrten Ersatzakku handelt es sich – ebenso wie bei dem Zuggerät selbst, das die Beklagte in Anwendung von § 14 SGB IX auf der Grundlage des § 33 SGB V bewilligt hat – um ein Hilfsmittel. Ein solches dient als Leistung zur medizinischen Rehabilitation dem Ausgleich einer Behinderung iSv   § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn es seinem Zweck entsprechend die Auswirkungen der Behinderung beseitigt oder mindert und damit der Befriedigung eines Grundbedürfnisses dient (BSG Urteil vom 07.05.2020 – B 3 KR 7/19 R).

Kommt damit – wie vorliegend - ein Anspruch nicht nur nach dem Recht der Eingliederungshilfe (nach dem SGB XII oder dem SGB IX) in Frage, sondern auch nach anderen Leistungsgesetzen (hier § 33 SGB V), entfaltet ein entsprechender Ablehnungsbescheid weiterhin Wirkung und kann eine Erledigung durch die Rechtsänderung zum 01.01.2020 nicht angenommen werden. Die anderen in Frage kommenden Leistungsgesetze haben keinen mit dem Recht der Eingliederungshilfe vergleichbaren vollständigen Systemwechsel erfahren.

c) Der angefochtene Bescheid hat sich schließlich auch nicht teilweise – nur soweit der Anspruch auf Eingliederungshilfe gerichtet ist – erledigt. Denn eine solche Teilerledigung würde voraussetzen, dass der Bescheid getrennte Verfügungssätze enthält, deren Wirksamkeit iSd § 39 Abs. 2 SGB X zu unterschiedlichen Zeitpunkten entfallen kann. Der angefochtene Bescheid enthält jedoch nur eine Regelung iSd § 31 SGB X, nämlich die Ablehnung der Bewilligung des beantragten Zusatzakkus. Dass für diese Leistung unterschiedliche Rechtsgrundlagen in Betracht kommen, ist für den Regelungsgehalt des Bescheides unerheblich.

2) Eine Anspruchsbegründung nach den Vorschriften des Sechsten Kapitels des SGB XII in der bis zum 31.12.2019 gF ist nicht mehr möglich. Werden materielle Anspruchsvoraussetzungen eines sozialrechtlichen Leistungsgesetzes geändert, gilt nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts zwar grundsätzlich das Versicherungsfall- bzw. Leistungsfallprinzip. Hiernach ist ein Rechtssatz auf Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Spätere Änderungen eines Rechtssatzes sind danach für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandenen Lebensverhältnissen unerheblich, es sei denn, das Gesetz erstreckt seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse. Dementsprechend beurteilen sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse grundsätzlich nach dem Recht, das zur Zeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat (vgl. BSG Urteil vom 04.09.2013 –  B 10 EG 6/12 R). In diesem Sinne wird in der Rechtsprechung anlässlich des (mit der    Rechtsänderung in der Eingliederungshilfe vergleichbaren) Außerkrafttretens des BSHG und der Inkraftsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zum 01.01.2005 vertreten, dass einmalige Bedarfe, die noch zur Zeit der Geltung des BSHG entstanden waren, auch nach dessen Außerkrafttreten nach den Vorschriften dieses Gesetzes geprüft und ggfs. bewilligt werden müssen (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.02.2008 – L 7 SO 827/07). Demnach wäre im vorliegenden Verfahren grundsätzlich das bis zum 31.12.2019 geltende Recht anzuwenden, denn der Bedarf des Klägers ist im Jahr 2019 entstanden.

Das Versicherungsfall- bzw. Leistungsfallprinzip ist allerdings nicht anzuwenden, soweit später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt. Dann kommt der Grundsatz der Anwendung des neuen Rechts auch auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse zum Tragen. Welcher der genannten Grundsätze des intertemporalen Rechts zur Anwendung gelangt, richtet sich letztlich danach, wie das einschlägige Recht ausgestaltet bzw. auszulegen ist (BSG Urteil vom 04.09.2013 –  B 10 EG 6/12 R; Sächsisches LSG Urteil vom 15.09.2020 – L 8 SO 30/19).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das  Leistungsfallprinzip bei einmaligen Eingliederungsleistungen im Hinblick auf die Bedarfsbezogenheit des Eingliederungshilferechts zu modifizieren. Der Kläger macht einen aktuellen Eingliederungsbedarf geltend, der sich naturgemäß nach seinen derzeitigen Lebensverhältnissen richtet. Seit der Neukonzipierung der Eingliederungshilfe zum 01.01.2020 ist das alte Recht nur maßgeblich, wenn es sich um einen vor Inkrafttreten des neuen Rechts abgeschlossenen Sachverhalt handelt, beispielsweise weil der Bedarf bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts gedeckt worden ist und Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens ein Erstattungsanspruch ist oder ein Schuldbeitritt zu einer aus der Vergangenheit (vor dem 01.01.2020) resultierenden Verpflichtung angestrebt wird. Denn eine vor dem 01.01.2020 aufgrund eines abgeschlossenen Sachverhalts bereits bestehende Zahlungsverpflichtung des alten Eingliederungshilfeträgers geht durch die Neukonzipierung der Eingliederungshilfe nicht unter (Urteil des Senats vom 17.05.2021 – L 9 SO 271/19). Ist hingegen – wie vorliegend – ein aktuell fortwirkendes Leistungsbegehren, das nach einer aktuellen Bedarfssituation beurteilt werden muss, Streitgegenstand des Verfahrens, ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (so im Ergebnis auch Sächsisches LSG Urteil vom 15.09.2020 – L 8 SO 30/19).

3) Ein Anspruch auf der Grundlage des § 33 SGB V ist ebenfalls nicht gegeben. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Zwar ist der Kläger gesetzlich krankenversichert iS dieser Vorschrift und bei dem Zusatzakku als Bestandteil des Rollstuhlzuggeräts handelt es sich – wie bei dem Zuggerät selbst – um ein nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossenes Hilfsmittel, das grundsätzlich dem Ausgleich der bei dem Kläger bestehenden Behinderung zu dienen bestimmt ist. Leistungen zum Zweck des Behinderungsausgleichs sind jedoch nicht unbegrenzt von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu erbringen. Deren Aufgabenbereich ist im Rahmen der medizinischen Rehabilitation von den Aufgabenbereichen anderer Rehabilitationsträger und der Eigenverantwortung der Versicherten abzugrenzen. Im Bereich des Behinderungsausgleichs besteht eine Leistungszuständigkeit der GKV nur, wenn das Hilfsmittel der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens dient. Als ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist das Erschließen des Nahbereichs der Wohnung anerkannt. Maßgebend für den von der GKV insoweit zu gewährleistenden Behinderungsausgleich ist grundsätzlich der Bewegungsradius, den ein nicht behinderter Mensch üblicherweise noch zu Fuß erreicht. In den Nahbereich einbezogen ist zumindest der Raum, in dem die üblichen Alltagsgeschäfte in erforderlichem Umfang erledigt werden. Hierzu gehören nach einem abstrakten Maßstab die allgemeinen Versorgungswege (Einkauf, Post, Bank) ebenso wie die gesundheitserhaltenden Wege (Aufsuchen von Ärzten, Therapeuten, Apotheken) und auch elementare Freizeitwege. Das Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs darf dabei nicht zu eng gefasst werden in Bezug auf die Art und Weise, wie sich Versicherte den Nahbereich der Wohnung zumutbar und in angemessener Weise erschließen. Hinzu kommt ggfs. die Prüfung, ob eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität zur Wahrnehmung eines anderen Grundbedürfnisses notwendig ist. Dabei ist dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen volle Wirkung zu verschaffen. Dies bedeutet auch, dass die Leistung dem Leistungsberechtigten viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung der Lebensumstände lässt und die Selbstbestimmung fördert (BSG Urteil vom 07.05.2020 – B 3 KR 7/19 R).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist eine Versorgung des Klägers mit dem Zusatzakku iSd § 33 SGB V nicht geboten. Das von der Beklagten als Hilfsmittel bewilligte Zuggerät ermöglicht dem Kläger bereits eine Mobilität bis zu 50 km, was den Nahbereich seiner Wohnung weit übersteigt. Ein besonderes weiteres Grundbedürfnis, das nur mit dem Zusatzakku erschlossen werden könnte, macht der Kläger nicht geltend. Das Abwarten von Aufladezeiten ist dem Kläger zumutbar, zumal das Laden auch nachts erfolgen kann. Gelegentlich notwendige Reparaturen einzelner Bestandteile des Zuggerätes lassen sich auch mit dem Zusatzakku nicht ausschließen.

4) Wie ausgeführt kann die begehrte Verurteilung der Beklagten nicht auf § 113 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 3 SGB IX in der ab 01.01.2020 gF iVm § 84 SGB IX gestützt werden, da ein solcher Anspruch nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist. Eine Verurteilung der Beklagten und des seit dem 01.01.2020 leistungszuständigen Beigeladenen zu 2) (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AG-SGB IX NRW, § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) nach § 75 Abs. 5 SGG scheidet ebenso aus wie eine notwendige Beiladung des zuständigen Trägers der Eingliederungshilfe in Schleswig-Holstein nach § 75 Abs. 2 SGG.

Ungeachtet dessen weist der Senat darauf hin, dass für eine Verurteilung des jetzt zuständigen Eingliederungshilfeträgers schon der erforderliche Antrag und damit auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen fehlen, weshalb kein Anlass bestand, den Kläger in Anwendung von § 106 Abs. 1 Satz 1 SGG auf die Möglichkeit einer Klageänderung hinzuweisen.

Die Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX werden – wie ausgeführt – auf Antrag erbracht (§ 108 Abs. 1 Satz 1 SGB IX), dies frühestens ab dem Ersten des Monats der Antragstellung, wenn zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen bereits vorlagen (§ 108 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Eines Antrags bedarf es nur für solche Leistungen nicht, deren Bedarf  - anders als vorliegend - in dem Verfahren nach Kapitel 7 (Gesamtplanung) ermittelt worden ist (§ 108 Abs. 2 SGB IX). Der Kläger hat bislang ausdrücklich nur einen Antrag auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gestellt, dessen Wirkung mit dem 31.12.2019 endete. Nach dem 31.12.2019 hat der Kläger noch keinen Antrag iSd § 108 SGB IX auf Bewilligung des Zusatzakkus gestellt. Ein solcher Antrag liegt namentlich nicht in dem am 18.11.2020 in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts gestellten Sachantrag. Antrag iSd § 108 SGB IX ist – wie allgemein im Sozialrecht gem. § 16 SGB I - jede an den Leistungsträger gerichtete Willenserklärung, aus der sich ein Leistungsverlangen ergibt. Der Antrag ist formlos, daher entsprechend dem Grundsatz des § 9 SGB X insbesondere auch mündlich oder durch sonstiges (konkludentes) Handeln, möglich. An seinen Inhalt sind keine überspannten Anforderungen zu stellen. Sofern das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft, finden bei der Auslegung konkludenter Handlungen die Vorschriften des BGB Anwendung. Der entsprechend anwendbare § 133 BGB erfordert die Feststellung des (normativ) in Wahrheit Gewollten nach Maßgabe des Empfängerhorizonts (§ 157 BGB) auf der Grundlage aller im Einzelfall als einschlägig in Betracht kommenden Umstände. Maßgebend für die Auslegung eines Antrags ist daher – unter Berücksichtigung aller Umstände – der erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers. Die Auslegung hat nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung zu erfolgen. Danach ist, sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, davon auszugehen, dass der Antragsteller die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommenden Leistungen begehrt, unabhängig davon, welchen Ausdruck er gewählt hat (BSG Urteil vom 30.10.2014 – B 5 R 8/14 R mwN). Ein prozessualer Antrag, der keine Klageänderung iSd § 99 SGG beinhaltet, ist nach diesen Grundsätzen auch materiell-rechtlich als auf das bisher begründete Prozessrechtsverhältnis, also den bisherigen Streitgegenstand beschränkt auszulegen. Es kann dann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein prozessualer Antrag als materiell-rechtlicher Antrag nicht nur die bislang verfolgte Leistung, sondern auch weitere Leistungen beinhaltet, die bisher nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gewesen sind. Ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX ist – wie ausgeführt – bisher nicht Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens gewesen und muss daher vom Kläger unter Darlegung seiner aktuellen Verhältnisse erneut beantragt werden.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

VI. Die Revision war gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

 

Rechtskraft
Aus
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