Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Streitsache ist durch Beschluss des BSG vom 18.08.2022 an das Landessozialgericht zurückverwiesen worden.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 30.08.2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 77.094,16 € festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit ist eine Forderung auf Rückerstattung einer geleisteten Krankenhausvergütung in Höhe von 77.094,16 € im Behandlungsfall der bei der Klägerin versicherten N im Zeitraum vom 11.02.2014 bis 19.10.2015.
Am 08.11.2018 ist ein als Klage bezeichnetes, undatiertes Schriftstück bei dem Sozialgericht (SG) Köln eingereicht worden, mit dem die Klägerin eine Forderung in Höhe von 77.094,16 € gegen den Beklagten geltend gemacht hat. Dieses Schriftstück ist nicht auf dem von der Klägerin üblicherweise verwendeten Briefkopf gedruckt, enthält kein Aktenzeichen, keinen Namen oder Kürzel eines Bearbeiters und keine Unterschrift. Weiterhin sind in dem Schriftstück bestimmte Textpassagen grau hinterlegt, im Einzelnen: Die Angabe des Sozialgerichts sowie dessen Fax-Nummer, Name und Anschrift des Beklagten, Name und Geburtsdatum der Versicherten, der Zeitraum des stationären Aufenthaltes, die die „KV-Nr.“ sowie der Rückforderungsbetrag. In dem Schriftstück wird Bezug genommen auf die angeblich anliegende Verwaltungsakte der Klägerin. Eine solche war dem Schriftstück jedoch nicht beigefügt.
Unter dem 28.12.2018 haben sich die Prozessbevollmächtigten für die Klägerin bestellt und den „Klageantrag“ hinsichtlich der Zinsen konkretisiert.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Klage sei am 08.11.2018 formwirksam erhoben worden. Aus der fehlenden Unterschrift, der fehlenden Verwendung eines Briefkopfs, der Nichtangabe eines Aktenzeichens und der fehlenden Angabe eines Verantwortlichen könne für sich genommen nicht geschlossen werde, dass es sich um einen bloßen Entwurf gehandelt habe.
Das SG Dortmund hat die wegen örtlicher Unzuständigkeit an sich verwiesene Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.08.2021 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
„…In diesem Rahmen hat das Gericht festgestellt, dass die Klage bereits unzulässig ist.
Die auf die Erstattung von nach Meinung der Klägerin überzahlter Krankenhausvergütung nebst Zahlung von Verzugszinsen gerichtete Klage ist als „echte“ (isolierte) Leistungsklage gem. § 54 Abs. 5 SGG statthaft, denn die Beteiligten bzw. Krankenkasse und Krankenhausträger befinden sich in einem Gleichordnungsverhältnis, in dem kein Verwaltungsakt zu ergehen hat. Ein Vorverfahren ist in einem solchen Fall nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten (st. Rspr.; vgl. zur Vergütungsklage des Krankenhausträgers etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. September 2008 – B 3 KR 15/07 R – juris (Rn. 10) m. w. N.; BSG, Urteil vom 19. April 2016 – B 1 KR 21/15 R – juris (Rn. 7) m. w. N.; vgl. zur Erstattungsklage der Krankenkasse etwa BSG, Urteil vom 21. April 2015 – B 1 KR 7/15 R – juris (Rn. 8) m. w. N.).
Die Klage ist jedoch deshalb unzulässig, weil es an einer dem gesetzlichen Schriftformerfordernis gem. § 90 SGG entsprechenden, wirksamen Klageerhebung fehlt.
Nach § 90 SGG ist die Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (hier irrelevant) oder „schriftlich“ zu erheben.
Folge eines Verstoßes gegen dieses Schriftformerfordernis ist die Unwirksamkeit der Klageerhebung (vgl. B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 90 Rn. 9). Die wirksame Klageerhebung ist eine jederzeit von Amts wegen zu prüfende Prozess- bzw. Sachurteilsvoraussetzung (vgl. a. a. O.). Eine unter Verstoß gegen zwingende Vorschriften wie das Schriftformerfordernis gem. § 90 SGG erhobene Klage wird nach Meinung der Kammer rechtshängig, ist aber durch Prozessurteil (als un-zulässig) abzuweisen (vgl. Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 90 SGG (Stand: 13.08.2020), Rn. 42 m. w. N.; vgl. auch Binder in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 90 Rn. 9; offenbar a. A. bzgl. der Rechtshängigkeit B. Schmidt a. a. O.).
An einer „schriftlichen“ Klage i. S. v. § 90 SGG fehlt es hier.
Die Schriftform soll gewährleisten, dass der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig bestimmt werden können und die Erklärung mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Was unter „schriftlich“ zu verstehen ist, ergibt sich aus dem SGG nicht. Die Vorschrift des § 126 BGB ist hierfür nicht heranzuziehen. Formvorschriften des bürgerlichen Rechts können wegen der Eigenständigkeit des Prozessrechts weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozesshandlungen angewendet werden. Das Merkmal der Schriftlichkeit schließt nach dem Sprachgebrauch nicht ohne weiteres notwendig die handschriftliche Unterzeichnung ein. Dennoch ist in der Regel auch im sozialgerichtlichen Verfahren die eigenhändige Unterschrift erforderlich, um die Erklärung zweifelsfrei zuordnen und zurechnen zu können. Zwar setzt § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG die eigenhändige Unterschrift zur Wirksamkeit der Klageerhebung nicht zwingend voraus („soll“), da bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit auch rechtsungewandte Personen Rechtsschutz suchen, allerdings ist erforderlich, dass sich aus dem eingereichten Schriftstück die Urheberschaft und der Wille des Klägers zur Einreichung der Klage anderweitig ergibt. So genügt beispielsweise die Einreichung von Fotokopien oder die Verwendung eines Faksimilestempels, wenn hierdurch der Kläger eindeutig zu identifizieren ist. Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist ein Beglaubigungsvermerk auf dem mit einem maschinenschriftlichen Namenszug versehenen Schriftsatz ausreichend (Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 90 SGG (Stand: 13.08.2020), Rn. 16-18 m. w. N.; vgl. zur Schriftform im Prozessrecht insbesondere auch BSG, Urteil vom 16. November 2000 – B 13 RJ 3/99 R – juris (Rn. 16 ff.) m. w. N.; vgl. auch Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 05. April 2000 – GmS-OGB 1/98 – juris und (auch zu den an Schriftstücke einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts oder einer Behörde zu stellenden Anforderungen) Beschluss vom 30. April 1979 – GmS-OGB 1/78 – juris).
Nach § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG ist zwar eine eigenhändige Unterschrift des Klägers bzw. der ihn vertretenden Person kein zwingender Inhalt der Klageschrift; insofern wird das Schriftformerfordernis aus § 90 SGG für sozialgerichtliche Klageverfahren ein wenig relativiert (vgl. Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 92 SGG (Stand: 18.05.2021), Rn. 44); in dieser Hinsicht gilt damit nicht exakt dasselbe wie für finanzgerichtliche Klagen (vgl. § 64 Abs. 1 FGO und § 65 FGO, der keine mit § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG vergleichbare einschränkende Regelung enthält; vgl. aus der Rechtsprechung des BFH etwa das Urteil vom 22. Juni 2010 – VIII R 38/08 – juris (Rn. 29-30)) und für verwaltungsgerichtliche Klagen (vgl. § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 82 VwGO, der ebenfalls keine vergleichbare Regelung enthält).
Jedoch ergibt sich aus dem Schriftformerfordernis für das sozialgerichtliche Verfahren jedenfalls, dass die Person des Handelnden (Urheber) identifizierbar sein muss (vgl. B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 90 Rn. 5 (a. E.) und weiter Rn. 5a ff.; Bayerisches LSG, Beschluss vom 25. November 2013 – L 16 AS 727/13 B ER – juris), und dass sich insgesamt aus dem Inhalt des eingereichten Schriftstücks (ggf. nebst Anlagen) hinreichend deutlich ergibt, dass der Kläger bzw. eine zu seiner Vertretung autorisierte Person einen Äußerungswillen besaß, also den Willen, das Schriftstück in den Rechtsverkehr zu bringen.
Zweck der Unterschrift (gem. § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG) ist nämlich die Identifizierung des Klägers. Sie ist dann entbehrlich, wenn sich aus sonstigen Umständen zweifelsfrei ergibt, dass die Klage mit Wissen und Wollen des Klägers oder Vertreters in den Rechts-verkehr gelangt ist. Es muss gewährleistet sein, dass nicht nur ein Entwurf, sondern eine gewollte Prozesserklärung vorliegt, ferner, dass die Erklärung von einer bestimmten Person herrührt und diese für den Inhalt die Verantwortung übernimmt (vgl. Föllmer a. a. O., Rn. 46).
Auch wenn die Schriftform nicht zwingend die handschriftliche Unterzeichnung erfordert und § 126 BGB nicht gilt, ermöglicht oft erst die Unterschrift die zweifelsfreie Zuordnung und Zurechnung einer Erklärung – weist also Urheberschaft und Rechtsverkehrswillen nach (vgl. Jaritz in: beck-online.GROSSKOMMENTAR (BeckOGK) zum SGG, Gesamt-Hrsg: Roos/Wahrendorf, Stand: 01.05.2021, § 90 Rn. 30). Eine Klage ohne eigenhändige Unterschrift ist daher nur wirksam, wenn die individuelle Zuordnung des Rechtsschutzbegehrens und die Unbedingtheit der Klageerhebung aus dem Inhalt des eingereichten Schriftstücks – ggf. im Wege der Auslegung – erkennbar ist. Die Schriftform erfordert also auch im sozialgerichtlichen Verfahren grds. die eigenhändige Unterschrift der klagenden Partei unter dem das Verfahren eröffnenden Schriftstück, kann aber ausnahmsweise fehlen, wenn sich auch ohne Unterschrift eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Rechtsverkehrswillen ergibt (vgl. Jaritz a. a. O., Rn. 31).
Der BFH führt in seinem o. g. Urteil vom 22. Juni 2010 – VIII R 38/08 – u. a. folgendes aus (juris: Rn. 30; Hervorhebungen nicht im Original): „Danach kann dem Zweck des § 64 Abs. 1 FGO auch auf andere Weise entsprochen werden als durch eigenhändige Unterzeichnung des maßgebenden Schriftstückes durch den Verfasser (…). So kann sich selbst aus einem nicht unterschriebenen bestimmenden Schriftsatz in Verbindung mit weiteren Unterlagen oder Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. …). Dementsprechend hat auch der BFH eine nur maschinenschriftlich unterschriebene Klageschrift wegen der auf den Streitfall bezogenen Klagebegründung und beigefügter Vorkorrespondenz in Verbindung mit dem Briefkopf des Einsenders nach den Gesamtumständen als formwirksam i.S. des § 64 Abs. 1 FGO angesehen (…). Danach kann gleichermaßen in finanzgerichtlichen Verfahren dem Zweck des § 64 Abs. 1 FGO in anderer Weise als mit der eigenhändigen Unterzeichnung bestimmen-der Schriftsätze durch den Verfasser entsprochen werden, wenn feststeht, dass das Schriftstück keinen Entwurf betrifft, sondern dem Gericht mit Wissen und Wollen des Berechtigten zugeleitet worden ist (…).“
Kurz zusammengefasst ist eine formlos und ohne Unterschrift erhobene Klage nur dann wirksam erhoben, wenn die Person des Klägers feststeht und nichts dafür spricht, dass das Schriftstück ohne seinen Willen an das Gericht gelangt ist (vgl. BSG, Beschluss vom 18. November 2003 – B 1 KR 1/02 S – juris (Rn. 4); vgl. zudem nochmals BSG, Urteil vom 16. November 2000 – B 13 RJ 3/99 R – juris (Rn. 16 ff.)).
An diesem von der Kammer für zutreffend gehaltenen Maßstab gemessen kann bei dem hier als „Klageschrift“ in Frage kommenden Schriftstück nicht davon die Rede sein, dass trotz der fehlenden, auch im sozialgerichtlichen Verfahren grds. gebotenen Unterschrift aufgrund anderer Umstände „feststeht“, dass es nicht bloß ein – dem Gericht ggf. versehentlich übermittelter bzw. zufällig zugegangener – Entwurf ist, sondern mit dem Willen einer autorisierten Person aus dem Haus der Klägerin an das Gericht gelangt ist.
Das Schriftstück (bzw. wohl das Original zu dem vermutlich (s. o.) per Telefax übermittelten Schriftstück) befindet sich auf einfachem weißem Papier, besitzt keinen Briefkopf, trägt kein Datum, weist keinerlei Stempelaufdrücke auf, nennt kein Aktenzeichen, enthält keine Ortsangabe und beinhaltet keine handschriftliche Unterschrift oder „maschinen-schriftliche“ Unterschrift bzw. Schlussformel mit Beglaubigungsvermerk oder auch nur eine Paraphe und auch sonst keinerlei Angaben, die eine Identifikation eines/einer für die Verfassung und Einreichung bei Gericht verantwortlichen Mitarbeiters/in der als Klägerin genannten Krankenkasse und eine Prüfung ihrer diesbezüglichen Autorisierung anhand der Geschäftsverteilung bzw. bestehender Zeichnungsrechte / Prozessvollmachten erlauben würden. Zudem sind dem Schriftstück keine Anlagen (etwa VV oder Vorkorrespondenz) beigefügt gewesen.
Es fehlt hier damit an sämtlichen üblicherweise vorhandenen und gerade bei einer arbeitsteilig organisierten juristischen Person des öffentlichen Rechts wie einer Krankenkasse (Körperschaft des öffentlichen Rechts, § 29 Abs. 1 SGB IV und § 4 Abs. 1 SGB V) zu erwartenden formalen und inhaltlichen Anhaltspunkten für eine dem Gericht mit Wissen und Wollen einer vertretungsberechtigten Person zugeleitete prozesseinleitende Erklärung. Es liegen keine Indizien für einen Willen, das Schriftstück in den Rechtsverkehr zu bringen, vor.
Im Ergebnis entsteht vielmehr der Eindruck, dass nur ein nicht autorisierter Entwurf vor-liegt (ebenso zu einem mit der im vorliegenden Fall eingereichten „Klage“ offensichtlich im Wesentlichen identischen, von derselben Klägerin stammenden Schriftstück der 10. Senat des LSG NRW im Urteil vom 19.04.2021 – L 10 KR 925/19 – n. v. (anonymisierte Fassung liegt der Kammer vor; Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) anhängig unter B 1 KR 47/21 B); ebenso derselbe Senat zu identischen Sachverhalten in drei weiteren, der Kammer nicht vorliegenden Entscheidungen vom selben Tag in den Verfahren L 10 KR 907/19 (NZB anhängig unter B 1 KR 49/21 B), L 10 KR 851/19 (NZB anhängig unter B 1 KR 48/21 B) und L 10 KR 27/20 (NZB anhängig unter B 1 KR 35/21 B)).
Auch die wohl erfolgte Übermittlung per Telefax mit dem Text „2018/11/08 09:55:59 R Krankenkasse 1 /2“ (bzw. „…2 /2“) in der Kopfzeile des Telefaxausdrucks (Bl. 1 f. GA) vermag diese Defizite nicht auszugleichen und eine Identifikation des konkreten Absenders und seiner Autorisierung zu ermöglichen bzw. das Nichtvorliegen eines Entwurfs zu bejahen – dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in diesem Text nicht der ab-sendende Telefaxanschluss angegeben ist, so dass schon eine klare Zuordnung des Anschlusses zur Klägerin ausscheidet.
Die Ausführungen der Klägerseite im Schriftsatz vom 03.08.2021 bieten der Kammer nach gründlicher nochmaliger Überprüfung keine Veranlassung, ihren vorstehend dar-gelegten, schon im Hinweisschreiben vom 23.07.2021 mitgeteilten Rechtsstandpunkt zu korrigieren. Insofern ist ergänzend folgendes auszuführen:
Die Kammer hat schon nicht angenommen, dass (auch) das Vorhandensein grau hinterlegter Textpassagen und / oder ein (hier ohnehin nicht vorliegender) Nichtversand per Telefax für das Vorliegen nur eines Entwurfs spreche. Die diesbezüglichen, vermutlich aus Schriftsätzen zu anderen Verfahren übernommenen Textbausteine gehen ins Leere.
Dass der aufgrund der Schaffung von § 325 SGB V a. F. und § 109 Abs. 5 SGB V Anfang November 2018 für die Krankenkassen entstandene Zeitdruck groß war, und dass gewisse Abstriche bei der „Schönheit“ bzw. bei den Inhalten von unter solchen Bedingungen entstehenden Klageschriften zu erwarten und zu akzeptieren sind, will die Kammer keineswegs in Abrede stellen. Gleichwohl muss ein Mindestmaß an formalen Anzeichen für das Vorliegen einer Klage mit Rechtsverkehrswillen und nicht nur eines Entwurfs vorhanden sein und daran fehlt es nach den vorstehenden Ausführungen – anders als übrigens bei allen anderen der Kammer bekannten Klagen anderer unter demselben Zeitdruck stehender Krankenkassen.
Individuelle Fall- und Patientendaten wären auch als Inhalt eines (fortgeschrittenen) Entwurfs zu erwarten. Ihr Vorhandensein indiziert daher keinen Rechtsverkehrswillen.
Die Kammer sieht sich auch in Übereinstimmung mit Literatur und Rechtsprechung, wenn sie für eine juristische Person des öffentlichen Rechts die o. g. Kriterien anlegt, auch wenn bei nicht anwaltlich vertretenen, juristisch ungeübten natürlichen Personen ggf. bzgl. mancher Kriterien etwas niedrigere „Hürden“ anzulegen sein mögen.
Die Kammer verkennt auch nicht die „Lebenswirklichkeit“, wenn sie für möglich hält, dass innerhalb von wenigen Tagen eine Vielzahl von Klagen „aus Versehen“ im Briefkasten des Sozialgerichts gelandet sein könnte. Es erscheint zwar tatsächlich eher unwahrscheinlich, dass alle der vorliegenden Klage in ihrer formalen Inadäquanz entsprechenden Klagen der Klägerin, die Anfang November im Rahmen der sog. „Klagewelle“ bei dem SG Dortmund eingegangen sind, ohne Rechtsverkehrswillen der Klägerin dort angelangt sind. Jedoch ist selbst dies keineswegs unmöglich und außerdem und vor allem besagt diese Unwahrscheinlichkeit eines globalen Fehlens jeglichen Rechtsverkehrswillens nichts für die Frage, ob gerade eine einzelne (potentielle) Klageschrift – wie das hier vorliegende Schriftstück – von einem solchen Willen getragen abgesandt oder in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen worden ist. Es spricht konkret nichts dafür, dass sich ein dazu autorisierter Mitarbeiter ausgerechnet des hier fraglichen Schriftstücks mit Rechtsverkehrswillen entäußert hat. Gerade dieses Schriftstück könnte ein solches gewesen sein, das sich noch im Entwurfsstadium befand, aus dem letztlich keine „fertige“ Klageschrift werden sollte und das versehentlich zusammen mit anderen Schriftstücken zum Gericht gelangt ist. Die von der Kammer angelegten formalen Kriterien sind gerade dazu bestimmt und erforderlich, dass das Gericht in jedem Einzelfall eine Angrenzung zwischen einem irrtümlich zugegangenen Entwurf und einem fertigen, verfahrenseinleitenden Schriftstück vornehmen kann. Würde die Kammer der Argumentation der Klägerin folgen, würde dies dazu führen, dass für diese Abgrenzung keine handhabbaren Kriterien mehr zur Verfügung stünden. …“
Gegen den ihr am 13.09.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 21.09.2021 Berufung eingelegt.
Sie nimmt Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass bei der Auslegung des Schriftstücks vom 08.11.2018 die Umstände der Ende 2018 kurzfristig geplanten Einführung von modifizierten Verjährungs- und Ausschlussregeln durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz zu berücksichtigen seien. Die Klägerin sei Anfang November 2018 gezwungen gewesen, innerhalb von nur zwei Tagen (zwischen der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses und dem Inkrafttreten der gesetzlichen Ausschlussfrist) über 300 Klagen auf Rückzahlung von geleisteten Krankenhausvergütungen rechtshängig zu machen, damit es nicht zu einem Ausschluß der Erstattungsansprüche komme. Aus diesem Zeitdruck sei die unübliche Form der Klageschrift erklärlich. Die Formvorgaben seien nicht zwingend.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 30.08.2021 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 77.094,16 € zuzüglich Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten seit dem 23.08.2018 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Mit Beschluss vom 13.12.2021 hat der Senat die Berufung unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens gemäß § 152 Abs 5 SGG der Berichterstatterin übertragen, die zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Begründung wird zunächst nach § 153 Abs 2 SGG auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug genommen und insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass zwar das Schriftformerfordernis des § 90 SGG für das Prozessrecht des erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahrens eine eigenhändige Unterschrift nicht umfasst. § 92 Abs 1 S 3 SGG bestimmt insoweit, die Vorschrift des § 90 SGG konkretisierend, dass die Klage ua unterzeichnet sein soll (nicht: muss). Auch die Rechtsprechung hält eine eigenhändige Unterschrift grundsätzlich nicht für erforderlich (vgl ua Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 30. April 1979 – GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340-352). Vielmehr soll die geforderte Schriftlichkeit lediglich gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen der Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Beschluss des GmS-OGB vom 30.04.1979, GmS-OGB 1/78 – juris und Beschluss vom 5. 4. 2000 - GmS-OGB 1/98 – juris).
Wenn, wie hier, ein Schriftstück nicht unterzeichnet ist, muss aber auf andere Weise erkennbar sein, wer die Klage erhoben hat und dass sie mit dem Willen der Klägerin in Verkehr gelangt ist (vgl hierzu sowie den weiteren Voraussetzungen für das in-Verkehr-Bringen Urteile des erkennenden Senats vom 15.03.2021, L 10 KR 27/20 und vom 19.04.2021, L 10 KR 851/19). Der Gesamteindruck des am 08.11.2018 beim SG eingegangenen fraglichen Schriftstücks ist aus den bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Gründen der eines Entwurfs. Insbesondere aufgrund der Formatierung, des fehlenden Briefkopfs und jeglichen Fehlens der Benennung eines Verantwortlichen drängt sich dieser Eindruck auf.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei einer Behörde oder bei einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (KöR), wie der Klägerin, bestimmte Zeichnungs- und Beglaubigungsbefugnisse bestehen, damit gesichert ist, dass ein Schriftstück nicht ohne Einhaltung der erforderlichen Form und ohne entsprechende Legitimation des Bearbeiters in den Rechtsverkehr gelangt (vgl auch hierzu Urteile des erkennenden Senats vom 15.03.2021, L 10 KR 27/20 und vom 19.04.2021, L 10 KR 851/19). Bei einer KöR ist also dann, wenn alle Hinweise auf den Verantwortlichen für das Schriftstück fehlen, eher als bei einer natürlichen Person, davon auszugehen, dass es nicht mit Wissen und Wollen der KöR in den Rechtsverkehr gelangt ist.
Auch aus den mit der Berufungsbegründung erneut angeführten Umstände der Ende 2018 kurzfristig geplanten Einführung von modifizierten Verjährungs- und Ausschlussregeln durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz folgt nichts anderes, was das SG bereits zutreffend dargelegt hat. Iü ist gerichtsbekannt, dass keine andere Krankenkasse außer der Klägerin aus Zeitdruck außerstande war, mit der Klageschrift die Schriftform des § 90 SGG zu wahren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Es besteht kein Anlass, die Revision nach § 160 Abs 2 SGG zuzulassen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1, 1. HS SGG iVm §§ 63 Abs 2, 52 Abs 1 und Abs 3, 47 Abs 1 des Gerichtskostengesetzes.