S 6 AY 3236/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AY 3236/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Da es dem Träger der Asylbewerberleistungen im Rahmen seines Ermessens freisteht, welche Art der Unterkunftsbedarfsdeckung er als notwendig und angemessen bestimmt, kann er im Fall der Überlassung zur Selbstbeschaffung im Nachhinein grundsätzlich nicht geltend machen, die Unterkunftskosten seien unangemessen. Jedenfalls sind die in einem gemeindlichen Gebührenbescheid nach Einweisung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit festgesetzten Unterkunftskosten angemessen, wenn der Leistungsberechtigte zur Wohnsitznahme in dieser Gemeinde verpflichtet ist.

Der Bescheid vom 15.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2020 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, unter insoweitiger Rücknahme des Bescheids vom 14.03.2019 sowie aller nachfolgender insoweit entgegenstehender Bescheide dem Kläger für den Zeitraum vom 11.02.2019 bis zum 30.10.2019 Leistungen nach dem AsylbLG unter Zugrundelegung der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu gewähren.

 

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers hat der Beklagte dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten um höhere Asylbewerberleistungen für die Kosten der Unterkunft im Zeitraum vom 11.02.2019 bis zum 30.10.2019.

 

Der 1990 geborene Kläger gambischer Staatsangehörigkeit reiste im August 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, welcher abgelehnt wurde. Er ist vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und hält sich aufgrund einer Duldung weiter in der Bundesrepublik Deutschland auf.

 

Der Beklagte wies den Kläger auf dessen Antrag mit Bescheid vom 07.06.2018 der Gemeinde W. zu und verpflichtete ihn, dort seinen Wohnsitz zu nehmen. Dort war der Kläger zunächst von seinem Arbeitgeber einer genehmigten Erwerbstätigkeit in dessen Arbeitnehmerunterkunft untergebracht. Nach Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2018 hielt sich der Kläger bei Freunden in Freiburg auf und kehrte dann nach W. zurück. Mit Bescheid vom 11.02.2019 wies die Bürgermeisterin von W. den Kläger ab diesem Datum zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in eine ansonsten als Ferienwohnung genutzte private Wohnung in W. ein. Die Monatsmiete für die vollmöblierte Wohnung betrug 450,00 Euro zuzüglich 150,00 Euro Nebenkosten – also insgesamt 600,00 Euro monatlich – und wurde mit Gebührenbescheid vom 18.02.2019 vom Kläger eingefordert.

 

Der Kläger erhielt vom Beklagten mit Bescheid vom 14.03.2019 Asylbewerberleistungen zunächst vom 11.02.2019 bis zum 31.03.2019 bewilligt. Die zu übernehmenden Kosten der Unterkunft kürzte der Beklagte dabei um 147,07 Euro monatlich, weil diese insoweit unangemessen seien. In den nachfolgenden Bewilligungsentscheidungen blieb die Kürzung der Unterkunftskosten erhalten.

 

Am 05.06.2020 ging beim Beklagten das Schreiben des Klägers vom 03.06.2020 ein, in dem er die vollständige Übernahme seiner Miete im Zeitraum vom 01.02.2019 bis zum 30.10.2019 beantragte. Da er bis November 2019 keine Arbeit gehabt habe, sei der Beklagte für die Zahlung der Miete verantwortlich gewesen. Eine nur anteilige Übernahme sei unzumutbar und verstoße gegen sein Grundrecht auf ein Existenzminimum. Dem Antrag fügte er eine Aufstellung der Gemeinde W. bei, aus der sich für die Zeit von Februar bis Oktober 2019 noch offene Mietforderungen in Höhe von insgesamt 1.435,97 Euro ergaben sowie zusätzlich Mahngebühren und Säumniszuschläge.

 

Mit Bescheid vom 15.06.2020 lehnte der Beklagte den Antrag ab und verwies auf seinen Bescheid vom 14.03.2019, mit dem er den Kläger bereits darüber informiert habe, dass nur die angemessenen Kosten der Unterkunft hätten übernommen werden können. Im Jahr 2019 hätten diese monatlich insgesamt 452,93 Euro betragen. Für die Zahlung des Differenzbetrags sei der Kläger verantwortlich gewesen. Die Mahngebühren und Säumniszuschläge seien nicht vom Beklagten zu tragen, da die Entstehung dieser Kosten nicht in seinem Verantwortungsbereich gelegen habe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2020 zurück. Den zwischenzeitlich beim Sozialgericht Freiburg eingereichten Eilantrag (S 9 AY 2086/20 ER) nahm der Kläger nach Hinweis auf die mangelnde Eilbedürftigkeit zurück.

 

Am 18.09.2020 hat der Kläger zum Sozialgericht Freiburg Klage erhoben und diese im Termin zur mündlichen Verhandlung auf die Kosten der Unterkunft vom 11.02.2019 bis zum 30.10.2019 beschränkt. Er ist der Ansicht, dass die Kosten konkret angemessen gewesen seien, weil bereits die polizeirechtliche Unterbringungsverfügung indiziere, dass keine Unterkunftsalternative zur Verfügung gestanden habe.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Bescheid vom 15.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter insoweitiger Rücknahme des Bescheids vom 14.03.2019 sowie aller nachfolgender insoweit entgegenstehender Bescheide dem Kläger für den Zeitraum vom 11.02.2019 bis zum 30.10.2019 Leistungen nach dem AsylbLG unter Zugrundelegung der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Kosten überstiegen den für die Gemeinde W. geltenden Höchstsatz angemessener Unterkunftskosten. Eine ausnahmsweise Übernahme unangemessener Kosten käme nur bei erstmaligem Eintritt in die Hilfebedürftigkeit mit dem Zweck in Betracht, die bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit bewohnte Wohnung zumindest vorübergehend zu erhalten. Das sei hier jedoch nicht der Fall, weil der Kläger in eine Obdachlosenunterkunft zur kurzzeitigen Überbrückung drohender Obdachlosigkeit und das auch erst am Tag des Eintritts in die Hilfebedürftigkeit eingezogen sei.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat sie gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigerweise beschränkt auf die Kosten der Unterkunft im Zeitraum vom 11.02.2019 bis zum 30.10.2019. Insoweit ist der angefochtene Bescheid vom 15.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2020 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf Asylbewerberleistungen in diesem Zeitraum unter Zugrundelegung der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe und auf Verpflichtung des Beklagten, seine insoweit entgegenstehenden Bescheide zurückzunehmen.

 

Rechtsgrundlage für die Rücknahme ist § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) i.V.m. § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

 

Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 14.03.2019 ist bestandskräftig geworden, nachdem gegen ihn kein Rechtsbehelf eingelegt worden ist. Dasselbe gilt für die nachfolgenden Bescheide, die für den streitigen Zeitraum über die Bewilligung und deren Änderung entschieden. Stets blieb für die Kosten der Unterkunft eine Beschränkung der Übernahme auf den vom Beklagten für angemessen erachteten Teilbetrag erhalten. Mit seinem Antrag vom 05.06.2020 hat sich der Kläger gegen diese bestandskräftigen Entscheidungen gewandt und sinngemäß deren Überprüfung beantragt. Eine solche Rücknahme hat der Beklagte in der angefochtenen Verwaltungsentscheidung zwar ohne Nennung der Rechtsgrundlagen, aber sinngemäß abgelehnt, weil die Kürzung der Unterkunftskosten rechtmäßig gewesen sei.

 

Für diese Entscheidung ist der Beklagte zuständig gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X, wonach über die Rücknahme die nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts zuständige Behörde entscheidet; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Zwar ist die Wohnsitzauflage des Klägers mit Bescheid vom 02.04.2020 aufgehoben worden und er vor Stellung des Überprüfungsantrags in den Zuständigkeitsbereich des Landkreises B.-H. verzogen. Da die Wohnsitzauflage allerdings für den vor ihrer Aufhebung liegenden Zeitraum weiterhin Bestand hat, bleibt die Zuständigkeit des Beklagten für Entscheidungen über die davon betroffenen Zeiträume erhalten.

 

Mit Eingang am 05.06.2020 hat der Kläger seinen Rücknahmeantrag zudem fristgerecht innerhalb eines Zeitraumes von vier Jahren nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 9 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG) angebracht und die begehrten Sozialleistungen beziehen sich mit einem Zeitraum im Jahr 2019 auf einen solchen, der längstens ein Jahr vor dem Beginn des Jahres liegt, in dem der Rücknahmeantrag gestellt wurde (§ 9 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 AsylbLG i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X).

 

Materiell hat der Beklagte den Überprüfungsantrag zu Unrecht abgelehnt, weil die Kosten der Unterkunft im streitigen Zeitraum von Anfang an in tatsächlicher Höhe hätten übernommen werden müssen.

 

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG u.a. Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Unterkunft. Dieser wird, soweit notwendig und angemessen, gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht (§ 3 Abs. 3 Satz 3 AsylbLG). Der Kläger war im streitigen Zeitraum leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG, wobei dahinstehen kann, ob (zu Recht) eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG vorgenommen worden war. Denn auch im Fall der Anspruchseinschränkung sind die Leistungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs ohne Einschränkung zu gewähren (§ 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG).

 

Der Umfang des Unterkunftsbedarfs ist allerdings in jedem Fall auf das Notwendige und Angemessene beschränkt. Das Verhältnis dieser Rechtsbegriffe zueinander und insbesondere die Bedeutung des Merkmals „notwendig“ ist bislang nicht abschließend geklärt. Soweit vertreten wird, dass der notwendige Bedarf an Unterkunft „bereits begrifflich geringer“ sei als der Bedarf an einer „angemessenen“ Unterkunft im Sinne etwa des SGB II und SGB XII (vgl. Frerichs, in: jurisPK-SGB XII, Stand: 05.07.2021, § 3 AsylbLG, Rn. 150 m.w.N.), wurden praktische Konsequenzen hieraus bislang lediglich im Hinblick auf Art und Qualität der Bedarfsdeckung gezogen. So sollen deswegen insbesondere die Wohnflächengrenzen der landesrechtlichen Wohnraumförderungsbestimmungen nicht gelten (OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.12.2003 – 4 ME 476/03, juris) und im Gegensatz zum SGB II oder SGB XII Ansprüche auf Kostenübernahme für bestimmte Unterkünfte im Rahmen abstrakter Grenzen nicht bestehen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.04.2013 – L 20 AY 112/12 B, juris); dabei wird jeweils ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der notwendige Unterkunftsbedarf durch den AsylbLG-Träger nach pflichtgemäßem Ermessen in verschiedener Weise gedeckt werden kann, sei es durch Sachleistungen, d.h. einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft, Ausreiseeinrichtung oder sonstigem trägereigenen Wohnraum, oder durch Geldleistungen für eine vom Leistungsträger vermittelte oder selbst beschaffte Unterkunft.

 

Eine Kostendeckelung wird dagegen aus dem Tatbestandsmerkmal „notwendig“ bislang nicht abgeleitet. Dies entspricht der Systematik des Gesetzes, das die Voraussetzung „Notwendigkeit“ ausdrücklich neben das im SGB II und SGB XII verwendete Tatbestandsmerkmal „Angemessenheit“ stellt, welches für einen abstrakten Kostenrahmen steht. Wäre mit dem Rechtsbegriff „notwendig“ ebenfalls eine (wenn auch strengere) Kostengrenze gemeint, hätte der Gesetzgeber in § 3 Abs. 3 Satz 3 AsylbLG nicht – in dann überflüssiger Doppelung – den Bedarf auf das Notwendige und Angemessene limitieren müssen. Das Tatbestandsmerkmal „notwendig“ hat vielmehr eine gänzlich andere Funktion als die Angemessenheit. Es ergänzt die Befugnis des Leistungsträgers, die Art der Leistungsgewährung nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen und damit die Kosten unmittelbar zu steuern. Ermessensspielraum des Leistungsträgers und Begrenzung des Anspruchs auf den notwendigen Bedarf bewirken im Zusammenspiel, dass der Leistungsberechtigte lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, nicht aber auf Kostenübernahme für eine bestimmte Unterkunft seiner Wahl innerhalb bestimmter Angemessenheitsgrenzen hat. Allein aus diesem Grund ist auch im Recht der Asylbewerberleistungen kein dem SGB II oder SGB XII vergleichbares förmliches Kostensenkungsverfahren erforderlich (vgl. Frerichs, in: jurisPK-SGB XII, Stand: 05.07.2021, § 3 AsylbLG, Rn. 146, 154; Leopold, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 3 AsylbLG, Rn. 28).

 

Aus diesem gesetzgeberischen Konzept folgt, dass ein Leistungsträger – wenn er sich für eine gesetzlich zulässige Form der Unterkunftsbedarfsdeckung entschieden hat – diese auch vollständig, d.h. bedarfsdeckend erbringen muss. Auf fehlende Notwendigkeit oder Unangemessenheit der von ihm selbst nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmten Art und Weise der Leistungserbringung kann er sich nicht zum Nachteil des Leistungsberechtigten berufen. Anderenfalls müsste er sich vorhalten lassen, ermessensfehlerhaft eine nicht notwendige oder nicht angemessene Leistung zur Bedarfsdeckung ausgewählt zu haben und dem Leistungsberechtigten die hierdurch verursachten Mehrkosten vorzuenthalten. Dies hätte effektiv dessen – nicht einmal durch ein förmliches Kostensenkungsverfahren vermeidbare – Bedarfsunterdeckung zur Folge, die sich in auflaufenden Schulden äußern würde (vgl. SG Freiburg, Urteil vom 02.10.2020 – S 9 AY 2743/19, juris, Rn. 19 f.).

 

Der Beklagte hat hier als AsylbLG-Träger im Rahmen seines ihm zustehenden Ermessens die Unterkunftsbedarfsdeckung dem Kläger zur Selbstbeschaffung überlassen. Wenn er diese Art der Bedarfsdeckung mithin für notwendig und angemessen gehalten hat, kann er im Nachhinein nicht geltend machen, die Kosten seien doch unangemessen. Denn es hätte dem Beklagten jederzeit freigestanden, den Unterkunftsbedarf anderweitig zu decken.

 

Selbst wenn man allerdings davon ausgehen würde, dass dem AsylbLG-Träger auch im Rahmen der von ihm gewählten Gestaltung der Bedarfsdeckung noch eine Angemessenheitskontrolle hinsichtlich der Kosten zusteht, würde dies die vom Beklagten vorgenommene Kürzung nicht rechtfertigen. Denn die tatsächlichen Unterkunftskosten des Klägers laut Gebührenbescheid der Gemeinde W. waren zur Überzeugung der Kammer angemessen. Der Begriff der Angemessenheit ist im asylbewerberleistungsrechtlichen Kontext wie im allgemeinen Grundsicherungsrecht auszulegen. Dort ist anerkannt, dass zur Abwendung drohender Obdachlosigkeit durch ordnungsrechtliche Maßnahmen rechtlich wirksam entstandene Kosten zu übernehmende, weil notwendige und (konkret) angemessene Unterkunftskosten darstellen (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 12.12.1995 – 5 C 28/93, juris; HessVGH, Beschluss vom 03.08.1994 – 9 UE 2129/92, juris).

 

Bestätigt wird dies durch § 18 Abs. 2 Satz 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz Baden-Württemberg (FlüAG BW). Danach werden Personen im Rahmen der Anschlussunterbringung von den Gemeinden untergebracht, soweit dies erforderlich ist. Diese Erforderlichkeit kann nur dann vorliegen, wenn anderenfalls Obdachlosigkeit droht. Denn besteht eine konkrete Unterkunftsalternative, entfällt die ordnungsrechtliche Rechtfertigung der Unterbringung (vgl. Ruder, Grundsätze der polizei- und ordnungsrechtlichen Unterbringung von unfreiwillig obdachlosen Menschen unter besonderer Berücksichtigung obdachloser Unionsbürger, Berlin 2015, S. 52 f.). Die hier tatsächlich vollzogene Anschlussunterbringung durch die Gemeinde – im Übrigen ausdrücklich mittels Einweisung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit – belegt daher bereits aus sich heraus die konkrete Angemessenheit dieser Unterkunft und der hierfür rechtswirksam entstandenen Kosten (vgl. SG Freiburg, Urteil vom 02.10.2020 – S 9 AY 2743/19, juris, Rn. 24).

 

Das hiesige Vorgehen des Beklagten stellt sich letztlich als Versuch dar, die von der Gemeinde W. durchzuführende Unterbringung eines Flüchtlings zu den vom Beklagten dafür als angemessen erachteten Kosten erfolgen zu lassen. Dieser Streit hat aber im Verhältnis des Beklagten und der Gemeinde W. stattzufinden (ggf. mit den Mitteln der Fach- und Rechtsaufsicht) und darf nicht auf dem Rücken des Klägers ausgetragen werden, der so einerseits dem Zwang zur Wohnsitznahme in W. und der behördlichen Einweisung in eine Wohnung (oder der Obdachlosigkeit) und andererseits der absehbaren Anhäufung von Schulden ausgesetzt war. Jedenfalls wäre es Sache des Beklagten gewesen, den Kläger von den als unangemessen angesehenen Teilen der Gebührenforderung freizustellen und selbst gegen die Gemeinde W. vorzugehen oder dem Kläger zumindest entsprechende Unterstützung zu leisten.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.

 

 

Rechtskraft
Aus
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