L 2 R 38/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 25 R 470/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 R 38/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 100/22 AR
Datum
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 02.12.2019 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung anstelle der ihr gewährten Rente auf Zeit zusteht.

Die am 00.00.1973 in der Türkei geborene Klägerin war nach einer Ausbildung zur Näherin bis 1998 in der Bekleidungsindustrie tätig. Von 1998 bis 2014 übte die Klägerin dann verschiedene geringfügige Beschäftigungen als Reinigungskraft, Packerin etc. aus. Sie wird seit 2007 in der Psychiatrischen Institutsambulanz des R Krankenhauses N wegen einer paranoiden Schizophrenie aus dem schizophrenen Formenkreis ambulant behandelt. Wegen dieser Erkrankung gewährte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 26.06.2009 für den Zeitraum 01.04.2009 bis 30.06.2011 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte ging dabei davon aus, dass das Leistungsvermögen der Klägerin unter drei Stunden täglich gesunken, eine Besserung des Gesundheitszustandes aber nicht unwahrscheinlich sei. Mit Bescheiden vom 20.05.2011 und vom 24.05.2013 wurde die Rente auf Zeit bis zum 30.06.2015 weiter gewährt. In beiden Rentenbescheiden führte die Beklagte aus, dass die Rente auf Zeit gewährt werde, weil sie nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand der Klägerin, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruhe. Am 20.02.2014 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 26.06.2009 und teilte mit, dass sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer begehre. Der Überprüfungsantrag wurde mit Bescheid vom 15.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.09.2014 abgelehnt. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Aachen (Az. S 23 R 631/14) einigten sich die Beteiligten auf eine befristete Weitergewährung der Rente bis zum 30.06.2017 (Bescheid vom 02.07.2015). Hintergrund dieser Entscheidung war eine von Dr. S für die Beklagte erstellte ärztliche Stellungnahme vom 07.05.2015, in der diese davon ausgeht, dass bei der Klägerin zwar ein akutes dringend behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vorliege, eine dauerhafte Leistungsminderung aber ebenso wenig angenommen werden könne wie ein Absinken des beruflichen Leistungsvermögens auf unter drei Stunden täglich.

Am 10.02.2017 beantragte die Klägerin die erneute Weitergewährung der Rente und teilte mit, dass sie nunmehr eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung begehre. Die Beklagte zog verschiedene ärztliche Unterlagen, unter anderem einen erneuten Befundbericht der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G aus dem R Krankenhaus N, bei. Sie gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 18.04.2017 erneut eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 30.06.2020. Sie ging dabei weiterhin davon aus, dass das Leistungsvermögen der Klägerin bei drei bis unter sechs Stunden täglich liege und die Rente wegen der Arbeitsmarktlage als Vollrente zu gewähren sei. Den hiergegen am 22.05.2017 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2017 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für die Gewährung einer unbefristeten Rente seien nicht erfüllt. Bei der Klägerin bestehe nach den medizinischen Feststellungen noch ein Leistungsvermögen von drei bis sechs Stunden täglich.

Die Klägerin hat daraufhin am 15.08.2017 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aachen erhoben. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass ihr Leistungsvermögen bei unter drei Stunden täglich liege und eine Besserung ihres Gesundheitszustandes unwahrscheinlich sei. Ihr stehe eine Dauerrente zu.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 18.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2017 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01.07.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, dass die im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgenommene Leistungsbeurteilung zutreffend sei.

Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin, insbesondere einen Bericht des R Krankenhauses N, in dem sich die Klägerin vom 30.11.2017 bis zum 06.02.2018 in stationärer Behandlung befunden hat, eingeholt. In diesem Bericht wurde mitgeteilt, dass die Klägerin unter einer chronisch verlaufenden paranoiden Schizophrenie leide und wegen dieser Erkrankung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich einsetzbar sei. Eine Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sei unwahrscheinlich. Das SG hat daraufhin Beweis erhoben und ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten von Dr. U nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt. In seinem Gutachten vom 03.09.2018 hat der Sachverständige auf psychiatrischem Fachgebiet die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie (unter Medikation teilremittiert) gestellt. Aufgrund dieser Erkrankung seien der Klägerin aktuell nur Tätigkeiten von unter drei Stunden täglich zumutbar. Aufgrund der seit Ende 2017 verabreichten Medikation habe sich das Krankheitsbild der Klägerin gebessert. Weitere Verbesserungen seien durch eine ergänzende psychotherapeutische Behandlung zu erwarten. Ob hierdurch eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt erreicht werden könne, solle bei einer Arbeitserprobung unter geschützten Bedingungen geprüft werden. Im Anschluss daran hat das SG auf Antrag der Klägerin ein weiteres Sachverständigengutachten nach § 109 SGG von dem sie behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin und Innere Medizin Dr. D eingeholt. Dieser gelangt in seinem Gutachten vom 22.05.2019 zu der Beurteilung, dass die Klägerin nicht mehr dazu in der Lage sei, einer regelmäßigen Tätigkeit von drei Stunden täglich nachzugehen. Die Leistungseinbuße sei dauerhafter Natur. Sämtliche Behandlungsversuche und Heilmaßnahmen, die er als behandelnder Hausarzt über einen Zeitraum von 20 Jahren begleitet habe, seien ohne Erfolg geblieben. Wegen ihrer paranoiden Schizophrenie könne die Klägerin auch Fußstrecke von 4 x 500 m nicht zurücklegen.

Die Beklagte hat zu diesem Gutachten eine ärztliche Stellungnahme der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. K vom 30.09.2019 vorgelegt, die die Feststellungen des Sachverständigen nicht für zutreffend hält und weiterhin davon ausgeht, dass bei der Klägerin ein Leistungsvermögen von drei- bis sechs Stunden arbeitstäglich bestehe und sich bei weiterhin möglichen medikamentösen und psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen keine dauerhafte Leistungsminderung begründen lasse. Die Klägerin hat hierzu eine ergänzende Stellungnahme von Dr. D vom 13.11.2019 vorgelegt, der unter anderem darauf verweist, dass bei der Klägerin bereits alle möglichen Behandlungsmaßnahmen erfolglos durchgeführt worden seien.

Mit Urteil vom 02.12.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch der Klägerin auf die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer bestehe nicht. Dies folge aus § 102 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), wonach Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit geleistet werden. Etwas anderes gelte nach Satz 5 der Vorschrift für Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der Arbeitsmarktlage bestehe und bei denen unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Davon sei nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Vorliegend sei die Befristung der Rente wegen Erwerbsminderung nach den bestandskräftigen Bescheiden vom 20.05.2011, 24.05.2013 und 02.07.2015 darin begründet, dass es sich um eine sogenannte Arbeitsmarktrente handelte. Eine Gesamtdauer der Befristung einer Rente wegen Erwerbsminderung unabhängig von der Arbeitsmarktlage, die die Dauer von neun Jahren übersteige, liege daher nicht vor. Es sei auch nicht unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Solange therapeutische Behandlungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien und anerkannte Behandlungsmethoden zur Verfügung stünden, könne eine Dauerrente nicht gewährt werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29.03.2006, Az. B 13 RJ 31/05 R). Dies sei hier der Fall. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. U bestehe unter Durchführung einer ergänzenden psychotherapeutischen Behandlung die Aussicht, das aufgehobene Leistungsvermögen zumindest teilweise wiederherzustellen und zu verbessern. Diese sozialmedizinische Beurteilung sei aus Sicht der Kammer  überzeugend. Dr. U stelle ausführlich die Gesamtentwicklung der Erkrankung der Klägerin heraus und begründe seine Einschätzung nachvollziehbar und unter Verweis auf die Befundberichte, die bereits eingetretene Teilremission der psychiatrischen Erkrankungen bei Veränderung bzw. konsequenter Einnahme der Medikation. Er erläutere den Verlauf der Erkrankung der Klägerin insbesondere ab Juli 2017 vor deren familiärem Hintergrund, wobei er eine ausführliche Familienanamnese, Tagesablaufschilderung und fremdanamnestische Angaben des Ehemanns der Klägerin zu Grunde lege. Die dargestellte Remission der psychiatrischen Erkrankung der Klägerin stelle Dr. U nachvollziehbar vor den biographischen und familiären Entwicklungen der Klägerin, insbesondere vor dem Bestreben, ihre Ehe, die auf Grund der Verschlechterung der Erkrankung und einem vorübergehenden Auszug aus der ehelichen Wohnung gefährdet erschien, zu retten. Dr. U schildere hierzu nachvollziehbar die Veränderungen der Klägerin in ihrem Krankheitsverständnis und ihrer -einsicht. Die sozialmedizinische Beurteilung des nach § 109 SGG beauftragten Sachverständigen Dr. D sei demgegenüber nicht überzeugend. Das Gutachten entspreche in Umfang, Erörterungstiefe und Inhalt nicht den Anforderungen an eine schlüssige, sozialmedizinisch fundierte gutachterliche Stellungnahme. Es enthalte eine Vielzahl gravierender handwerklicher Mängel. Es fehle bereits eine Darstellung des Akteninhalts. Vielmehr erkläre der Sachverständige, dass er alle Akten und die medizinischen Unterlagen, die ihm als Hausarzt zur Verfügung standen, zu Grunde gelegt hat. Dies zeige nicht nur, dass es dem Sachverständigen misslungen sei, sich aus der Position des Behandlers hin zum objektiven Sachverständigen zu bewegen, sondern auch, dass dem Gutachten offenbar Unterlagen zu Grunde gelegen haben, die den Beteiligten nicht bekannt seien. Unter Berücksichtigung des Erfordernisses der Nachvollziehbarkeit sachverständiger Feststellungen sei ein solches Vorgehen für das Gericht und die Beteiligten mangels Transparenz nicht tragbar. Im Übrigen lasse das Gutachten eine nachvollziehbare Befunderhebung und Diagnosestellung völlig vermissen. Eine Unterscheidung zwischen Beschwerdeschilderung, anamnestischen Angaben, Befunderhebung und Diagnose fehle. Der Sachverständige vermische vielmehr im Rahmen der Erörterung der Gesundheitsstörungen die subjektiven Angaben der Klägerin und die von ihm getroffenen ärztlichen Feststellungen. Eine strukturierte Befundung, Tagesablaufschilderung oder die Darstellung des Beschwerdeverlaufs fehle ebenso wie eine objektivierte Auswertung der Angaben der Klägerin. Eine soziobiographische Anamnese werde nicht erhoben, die Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung wurden nicht dargestellt. Eine Konsistenzprüfung und kritische Hinterfragung, die Aufgabe eines Sachverständigen sei, fehle.

Neben diesen Darstellungsmängeln sei im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin bei diesem Sachverständigen auf Grund ihrer Erkrankungen in regelmäßiger ambulanter Behandlung befinde. Die Erstattung eines objektiven Sachverständigengutachtens auch durch einen behandelnden Arzt halte die Kammer zwar nicht grundsätzlich für ausgeschlossen, es müsse aber Berücksichtigung finden, dass die Stellung als gerichtlich eingesetzter objektiver Sachverständiger mit dem Status des Behandlers in Konflikt geraten könne. So werde sich ein Arzt, der einen Patienten langjährig behandele, schon auf Grund des Behandlungsvertrags und des entstandenen Näheverhältnisses schwerlich in die Funktion des objektiven Gehilfen des Gerichts einfinden können (vgl. Hermann Marx, Medizinische Begutachtung, Grundlagen für die Praxis, 1997). Das Gutachten von Dr. D zeige seine mangelnde Objektivität bereits in der Darstellung der Befunde und der Diagnosen, da keine Trennung zwischen ärztlichen Feststellungen und Angaben der Klägerin erfolge. Weiterhin beziehe der Sachverständige die familiären Hintergründe aus seiner hausärztlichen Betreuung der gesamten Familie der Klägerin ein, ohne konkrete fremdanamnestische Angaben zu erheben und als solche im Gutachten zu kennzeichnen. Die gutachterlichen Feststellungen blieben deshalb intransparent und seien weder für das Gericht noch für die Beteiligten, nachvollziehbar oder prüfbar. Der Eindruck der mangelnden Objektivität werde zudem auch dadurch bestärkt, dass Dr. D die Leiden der Klägerin überbewerte. Eine aufgehobene Wegefähigkeit auf Grund der psychischen Leiden der Klägerin sei unschlüssig, weil die behandelnden Fachärzte der Klägerin auf dem Gebiet der Psychiatrie entsprechende Orientierungsstörungen nicht schildern würden. Ein entsprechender Befund sei auch von Dr. D nicht erhoben worden.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 13.12.2019 zugestellte Urteil am 13.01.2020 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie weiterhin geltend, dass sie wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen und chronischen Beschwerden nicht mehr zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage sei. Die Klägerin hat hierzu ergänzend ein ärztliches Attest ihres behandelnden Hausarztes Dr. D vom 28.02.2020 vorgelegt, der bescheinigt, dass der Klägerin aufgrund der Schmerzen und des Konzentrationsmangels auch leichte Tätigkeiten nicht mehr zumutbar seien.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 02.12.2020 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2017 zu verurteilen, ihr ab dem 01.07.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung legt sie eine ärztliche Stellungnahme der Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr. K vom 04.03.2020 vor. Danach sind bei der Klägerin noch medikamentöse und psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten gegeben, die eine zeitliche Leistungsminderung auf Dauer nicht medizinisch begründet erscheinen ließen.

Auf den parallel gestellten Weiterbewilligungsantrag hat die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 09.06.2020 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 23.06.2023 gewährt. Die Rente sei weiterhin zu befristen, weil sie nicht nur auf dem Gesundheitszustand der Klägerin, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruhe.

Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat das Landessozialgericht zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt und im Anschluss daran ein Sachverständigengutachten nach § 106 SGG veranlasst, in dem die Sachverständige Dr. G, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, aufgrund einer ambulanten Untersuchung der Klägerin insbesondere dazu Stellung nehmen sollte, in welchem zeitlichen Umfang die Klägerin noch Tätigkeiten verrichten könne, ob bei einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich noch eine Besserungsaussicht gegeben sei und seit wann das festgestellte Leistungsvermögen bestehe. Die Sachverständige hat mitgeteilt, dass sie zur Beantwortung der Beweisfragen ein neuropsychologisches Zusatzgutachten für erforderlich halte. Der Senat hat daraufhin die Beweisanordnung dahingehend ergänzt, dass auch ein neuropsychologisches Zusatzgutachten von Dr. T eingeholt werden solle. Einen für den 29.09.2021 angesetzten Begutachtungstermin hat die Klägerin krankheitsbedingt nicht wahrgenommen. Ein neuer Termin wurde daraufhin für den 24.11.2021 vereinbart. Auch diesen Termin hat die Klägerin krankheitsbedingt abgesagt. Es wurde daraufhin ein weiterer Termin für den 05.01.2022 anberaumt, den die Klägerin unentschuldigt nicht wahrgenommen hat.

Mit Richterbrief vom 13.01.2022 hat die Berichterstatterin die Klägerin darauf hingewiesen, dass das Gericht zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts auf die Mitwirkung der Klägerin angewiesen sei. Im Rahmen ihrer Mitwirkungslast sei diese gehalten, sich auch ärztlich untersuchen zu lassen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts  erforderlich sei. Sofern die Klägerin dieser Mitwirkungspflicht nicht nachkomme und der Sachverhalt deshalb nicht weiter aufgeklärt werden könne, gehe dies zu ihren Lasten. Die Klägerin ist um eine verbindliche Zusage dazu gebeten worden, dass sie den nächsten Untersuchungstermin wahrnehmen werde. Eine Stellungnahme der Klägerin ist hierzu trotz Erinnerung nicht erfolgt. Die Berichterstatterin hat daraufhin am 02.05.2022 einen Erörterungstermin anberaumt. Zu diesem Termin ist die ordnungsgemäß geladene Klägerin nicht erschienen. Sie ist in dem Sitzungsprotokoll erneut auf ihre Mitwirkungspflichten und die Beweislast hingewiesen worden. Auch hierzu hat die Klägerin keine Stellungnahme abgegeben und ihr Nichterscheinen im Termin auch nicht entschuldigt. Die Beweisanordnung ist daraufhin aufgehoben worden. Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 30.05.2022 zu einer beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG angehört worden. Das Schreiben ist ihnen am 01.06.2022 bzw. am 03.06.2022 zugestellt worden. Die Klägerin hat hierzu mitgeteilt, dass sie weiterhin eine unbefristete Rente oder die Verlängerung ihrer befristeten Rente begehre.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt  der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte. Die Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung.

II.

Der Senat konnte die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG durch Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu mit Schreiben vom 30.05.2022 angehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid vom 18.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2017 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Beklagte hat die ihr mit dem angefochtenen Bescheid gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung zu Recht befristet.

Gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie (1.) voll erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und (3.) die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Diese Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung liegen über Juli 2017 hinaus vor. Die Klägerin erfüllt die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 und ist auch voll erwerbsgemindert. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Nach den Feststellungen des im erstinstanzlichen Verfahren beauftragten Sachverständigen Dr. U liegt eine volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI vor. Die Klägerin ist danach wegen einer paranoiden Schizophrenie seit Juli 2017 nicht dazu in der Lage, Tätigkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt zu verrichten. Ihr Leistungsvermögen liegt bei unter drei Stunden täglich. Die Beklagte geht demgegenüber davon aus, dass bei der Klägerin zwar noch ein Leistungsvermögen für Tätigkeiten von drei bis sechs Stunden täglich bestehe, ihr aber auch mit diesem Restleistungsvermögen wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes unter Fortführung der Rechtsprechung des BSG (BSG, Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976 – GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung  zustehe.

Streitig ist hier allein, ob die Beklagte dazu berechtigt war, der Klägerin erneut eine befristete Rente zu gewähren. Nach § 102 Abs. 2 SGB VI sind Renten wegen Erwerbsminderung grundsätzlich auf Zeit zu leisten. Abweichend von diesem Grundsatz werden diese Renten nach § 102 Abs. 2 Satz 5  SGB VI auf Dauer geleistet, wenn der Rentenanspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht und unwahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen. Diese Gesamtdauer der Befristung wird hier zwar erreicht, Grundlage der zuletzt erfolgten Befristungen bis zum 30.06.2017 war aber nicht allein der Gesundheitszustand der Klägerin. Die Befristung beruhte vielmehr, wie sich aus der ärztlichen Stellungnahme von Dr. S vom 07.05.2015 ergibt, auch auf der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes. Der Rentenanspruch ist deshalb nicht unabhängig von der Arbeitsmarktlage wegen der Möglichkeit einer Besserung des Gesundheitszustandes befristet worden, so dass die Vermutung des § 102 Abs. 2 Satz 5 2. HS SGB VI im Rahmen der Weitergewährung nicht greift. Es ist vielmehr  weiterhin zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 5 1. HS SGB VI ausnahmsweise einer Befristung der Rente entgegenstehen.

Einen solchen Ausnahmefall kann der Senat hier nicht feststellen. Er geht unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen Dr. U davon aus, dass eine Besserung des Leistungsvermögens der Klägerin im Zeitpunkt der Erteilung des Rentenbescheides vom 18.04.2017 nicht unwahrscheinlich war. Die Frage, ob eine entsprechende Besserungsaussicht besteht, ist vom Versicherungsträger bei der Erteilung des Rentenbescheides prognostisch zu beurteilen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, ob unter Berücksichtigung aller vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten noch Besserungsaussichten bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2006 – B 13 RJ 31/05 R, Rn. 14 f. bei juris).  Eine Besserung ist nur dann „unwahrscheinlich“ im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI, wenn schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine rentenrechtlich relevante Besserungsaussicht sprechen und alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.2006 – B 13 RJ 31/05 R, Rn. 21 bei juris). Davon ist nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. U nicht auszugehen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass sich das Krankheitsbild der Klägerin unter der seit Ende 2017 verabreichten Neurolepsie (Aripirazol) deutlich verbessert habe und eine weitere Verbesserung durch eine begleitende Psychotherapie zu erwarten sei. Aus seiner Sicht ist es unter Ausschöpfung der Therapiemöglichkeiten denkbar,  das durch die psychiatrische Störung eingeschränkte Leistungsvermögen zumindest teilweise wiederherzustellen. Dr. U hält hierzu einen Arbeitsversuch unter geschützten Bedingungen für angezeigt. Wegen dieser Behandlungsoptionen ist eine dauerhafte quantitative Leistungsminderung nicht nachgewiesen.

Diese Einschätzung des Sachverständigen ist für den Senat überzeugend. Der abweichenden Beurteilung des nach § 109 SGG beauftragten Sachverständigen Dr. D, der in seinem Gutachten davon ausgeht, dass das Leistungsvermögen der Klägerin dauerhaft auf unter drei Stunden täglich herabgesunken sei und keine Besserungsaussichten mehr bestehe, folgt er nicht. Auch er geht davon aus, dass dieses Gutachten eine Vielzahl von Darstellungsmängeln aufweist, in sich nicht schlüssig ist und Zweifel an der Objektivität des Sachverständigen bestehen. Der Senat nimmt diesbezüglich Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG, denen er sich nach eigener Überprüfung anschließt (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). 

Eine dauerhafte volle Erwerbsminderung hat die Klägerin auch im Berufungsverfahren nicht nachgewiesen. Der Senat hat diesbezüglich zwar eine weitere Sachaufklärung für erforderlich gehalten und die Ärztin für Psychiatrie, Neurologie und Nervenheilkunde Dr. G mit der Erstellung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 106 SGG und den Privatdozenten Dr. T mit der Erstellung eines neupsychologischen Zusatzgutachtens beauftragt. Diese Gutachten konnten aber nicht erstellt werden, weil die Klägerin drei Untersuchungstermine bei der Sachverständigen, zuletzt auch unentschuldigt, nicht wahrgenommen hat und trotz Hinweises auf ihre Mitwirkungspflichten nicht erklärt hat, dass sie zu einem weiteren Begutachtungstermin erscheinen werde. Zu einem Erörterungstermin, in dem sie nochmals eindringlich auf ihre Mitwirkungspflichten und die Folgen ihres Verhaltens hingewiesen werden sollte, ist die Klägerin unentschuldigt nicht erschienen. Eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes war deshalb nicht möglich. Eine Begutachtung nach Aktenlage war hier schon deshalb ausgeschlossen, weil die Sachverständige Dr. G ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sie zur erschöpfenden Beantwortung der Beweisfragen ein neuropsychologisches Zusatzgutachten für erforderlich halte und für dieses Gutachten eine persönliche Untersuchung der Klägerin zwingend erforderlich ist.  

Auch in Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit gilt der Grundsatz der objektiven Beweislast. Danach trägt derjenige die Folgen der Nichterweislichkeit einer Tatsache, der daraus ein Recht oder einen rechtlichen Vorteil herleiten will (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.1957 – 10 RV 945/55, Rn. 19 bei juris). Dieser Grundsatz greift immer dann ein, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht weiter aufklären kann. Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligte sind dabei heranzuziehen (§ 103 Satz 1 SGG). Im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten sind sie auch gehalten, sich ärztlich untersuchen zu lassen, soweit ihnen dies zumutbar ist (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 103 Rn. 14a mwN). Kommen die Beteiligten dieser Verpflichtung nicht nach und kann der medizinische Sachverhalt deshalb nicht weiter aufgeklärt werden, geht dies zu ihren Lasten. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Klägerin die Folgen ihres prozessualen Verhaltens zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass zur Zulassung der Revision durch den Senat nach § 160 SGG besteht nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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