S 13 AS 120/21

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 13 AS 120/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1.   Ein Erstattungsbescheid über Leistungen nach dem SGB II ist kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der nach § 48 SGB X aufhebbar wäre.

2.   Wird der Adressat eines bindenden Erstattungsbescheids volljährig, kann er die Minderjährigenhaftungsbeschränkung mit der Feststellungsklage geltend machen.

3.   Der volljährig Gewordene haftet auch mit Vermögen, das er für den Erwerb eines Führerscheins verwenden soll.

4.   Handlungen der Eltern eines Minderjährigen, die zum Neubeginn der Verjährung einer Forderung gegen den Minderjährigen führen, wirken auch nach Eintritt der Volljährigkeit für und gegen ihn.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Durchsetzung eines bestandskräftigen Erstattungsbescheids bezüglich Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Die 2002 geborene Klägerin stand beim zuletzt beklagten Jobcenter (Beklagter) im Leistungsbezug. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 23. September 2015 forderte er die Erstattung von 3.182,86 € für den Zeitraum 8. Juni 2011 bis 31. März 2015.

Bis zum 31. Dezember 2021 waren die Aufgaben des Inkasso SGB II und die Bearbeitung von gerichtlichen Verfahren in diesem Bereich auf die Bundesagentur für Arbeit (BA) übertragen. Mit Schreiben vom 27. Februar 2017 erinnerte die Agentur für Arbeit (AfA) R, Inkasso-Service der BA (nachfolgend: Inkasso-Service), die Klägerin über ihren Vater an die Zahlung der Erstattungsforderung und setzte ein Mahngebühr fest. Hierauf vereinbarte die Klägerin, vertreten durch ihren Vater, im März 2017 Ratenzahlungen. Mit Schreiben vom 15. August und 13. September 2017 sowie vom 14. März 2019 mahnte der Inkasso-Service die Klägerin wegen ausstehender Raten. Mit Schreiben des Inkasso-Services vom 20. März 2019 erklärte sich dieser gegenüber dem Vater der Klägerin wiederum mit einer Tilgung der Schuld der Klägerin durch Ratenzahlungen einverstanden.

Am 21. September 2020 berief sich die Klägerin gegenüber dem Beklagten hinsichtlich einer noch offenen Forderung in Höhe von 2.778,86 € auf die Beschränkung der Minderjährigenhaftung. Auf Aufforderung durch den Inkasso-Service vom 8. Oktober 2020 wies die Klägerin 1.867,28 € als Wertpapiere und 0,08 € als Geldvermögen nach. Hierauf teilte der Inkasso-Service mit Schreiben vom 18. November 2020 mit, dass die „Einrede nur teilweise“ greife und die Klägerin für eine Forderung in Höhe von 1.867,36 € hafte.

Hiergegen erhob die Klägerin entsprechend der im Schreiben vom 18. November 2020 gegebenen Rechtsbehelfsbelehrung am 14. Dezember 2020 beim Inkasso-Service Widerspruch. Die BA, AfA B, wies denselben mit Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2021 als unbegründet zurück.

„Gegen den Bescheid vom 18. November 2020 in Form des Widerspruchsbescheids vom 7. Januar 2021“ hat die Klägerin am 28. Januar 2021 gegen den Inkasso-Service Klage erhoben. Mit Schreiben vom 25. Januar 2022 hat die AfA B mitgeteilt, dass ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden habe. Der Beklagte hat sodann das Verfahren fortgeführt.

Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin insbesondere vor: Das Vermögen sei von ihren Eltern zur Erlangung eines Führerscheins angespart worden und damit zweckgebunden. Es sei treuhänderisch verbunden und aufgrund vertraglicher Abrede mit dem Vater zweckgebunden. In diesem Sinne sei die Pfändbarkeit des Vermögens insofern eingeschränkt, als dass hiermit Leistungen zur Erlangung des Führerscheins abgedeckt werden sollten. Zu diesen sei der Beklagte in sozialrechtlicher Hinsicht im Sinne eines Leistungsanspruchs verpflichtet. Insofern wäre die Erlangung des Führerscheins mit dem vorstehenden Vermögen gedeckt. Es sei vom Sinn und Zweck der Alimentierung und des Sinns von Fordern und Fördern insofern unsachgemäß und dem Zweck der Vorschrift zuwiderlaufend, dass diese zweckgebundenen Vermögensteile nun für Altschulden einstünden, zu denen sie einfach als Mitglied der damaligen Bedarfsgemeinschaft keinen Verschuldensbezug habe und zu deren Entstehungszeitpunkt sie minderjährig gewesen sei. Die Einrede betreffe bereits die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids. Hinsichtlich der Verjährung dürften verjährungsunterbrechende Handlungen ihres Vaters während ihrer Minderjährigkeit nicht zu ihrem Nachteil gereichen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 18. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Januar 2021 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihre Haftung auf 0,08 € zu beschränken,

hilfsweise festzustellen, dass der verbleibende Erstattungsanspruch aus dem Bescheid vom 23. September 2015 auf einen Betrag von 0,08 € begrenzt ist.

Der Beklagte beantragt,

            die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er insbesondere vor: Die Haftung der Klägerin beschränke sich nach § 1629a Absatz (Abs.) 1 Satz 1 Halbsatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf den Bestand ihres bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens, sodass sie 1.867,36 € einzusetzen habe. Vollstreckungsrechtlich geschützt seien lediglich die in den §§ 811 Abs. 1, 812 Zivilprozessordnung (ZPO) genannten Gegenstände. Vermögen zur Erlangung eines Führerscheins könne der Aufzählung beim besten Willen nicht entnommen werden. Zudem sei es auch nicht nach SGB II-Grundsätzen (Schonvermögen) zu bewerten. Die Verjährung habe durch die Tilgungsvereinbarungen neu begonnen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Beklagten sowie den Ausdruck der elektronischen Akte (E-Akte) des Inkasso-Services ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage gegen den nunmehr Beteiligten Beklagten (dazu A.) ist hinsichtlich des Hauptantrags unzulässig (dazu B.) und hinsichtlich des Hilfsantrags zulässig, aber unbegründet (dazu C.).

A. Der Beklagte ist infolge des Endes der Übertragung der Aufgabe „Bearbeitung von gerichtlichen Verfahren im Bereich Inkasso SGB II“ zum 31. Dezember 2021 kraft Gesetzes anstelle der BA Beteiligter geworden. Ein Beteiligtenwechsel tritt im Sozialrecht insbesondere dann ein, wenn die Passivlegitimation kraft Gesetzes auf einen anderen Leistungsträger übergeht (vergleiche <vgl.> Haupt/Wehrhahn in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Auflage 2020, § 99 Fußnote 8 mit weiteren Nachweisen). Die gesetzliche Folge ergibt sich hier aus dem Wegfall der Aufgabenübertragung nach § 44b Abs. 4 SGB II, sodass der Grundsatz aus Abs. 1 zum Tragen kommt.

B. Die Klage ist hinsichtlich des Hauptantrags unzulässig. Die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist nicht statthaft, da sie nicht auf Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet sein kann.

I. Das Schreiben des Inkasso-Service vom 18. November 2020 weist nicht die Merkmale eines Verwaltungsakts im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf, sodass im Übrigen auch keine Klagebefugnis nach § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG besteht (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 29. Januar 2003, B 11 AL 47/02 R, juris Randnummer <Rn.> 22). Denn das Schreiben vom 18. November 2020 hat keine Regelungswirkung (zu vergleichbaren Schreiben ebenso BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R, BSGE 131, 286 Rn. 13; Landessozialgericht <LSG> Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Mai 2022, L 2 AS 117/22 B, juris). Mangels Ermächtigungsgrundlage wäre die Behörde auch nicht berechtigt gewesen, durch Verwaltungsakt darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen einer (weiteren) Haftungsbeschränkung vorliegen oder nicht vorliegen (vgl. zur Einrede der Verjährung BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R, BSGE 131, 286 Rn. 13).

II. Soweit hier eine reine Anfechtung des Schreibens vom 18. November 2020 als Formalverwaltungsakt und des Widerspruchsbescheids – solche sind immer Verwaltungsakte (BSG, Urteil vom 4. März 2021, B 11 AL 5/20 R, BSGE 131, 286 Rn. 13) – vom 7. Januar 2021 in Betracht kommt (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Mai 2022, L 2 AS 117/22 B, juris Rn. 14), ist zu berücksichtigen, dass dies nicht dem Begehren der Klägerin entspricht. Denn sie strebt die Aufhebung dieser Entäußerungen der Verwaltung nicht an.

C. Hinsichtlich des Hilfsantrags ist die Klage zulässig (dazu I.), aber unbegründet (dazu II.).

I. Die Klägerin konnte ihre Klage noch in der mündlichen Verhandlung um den Hilfsantrag erweitern. Offen bleiben darf, ob darin eine Klageänderung liegt, nachdem sich der Beklagte rügelos auf den gestellten Antrag eingelassen hat (§ 99 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 SGG).

Die Feststellungsklage nach § 55 SGG ist zulässig (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Mai 2022, L 2 AS 117/22 B, juris), weil ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vorliegt (dazu 1.) und die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren nicht durch eine vorrangige Klageart erreichen kann (dazu 2.). Sie hat zudem ein (qualifiziertes) Interesse an der Feststellung (dazu 3.).

1. Die Klägerin begehrt die Feststellung der Höhe des Betrags, den sie dem Beklagten aus einem bestandskräftigen Erstattungsbescheid schuldet. Die zugrundeliegende Berechtigung des Beklagten aus dem Bescheid vom 23. September 2015 im Verhältnis zu ihr stellt die Klägerin am Einzelfall orientiert in Frage, sodass ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vorliegt.

2. Die Subsidiarität von Feststellungsklagen, die – trotz des insoweit von § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung abweichenden Wortlauts – auch im sozialgerichtlichen Verfahren zu beachten ist (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 2020, B 14 AS 28/19 R, SozR 4-4200 § 44b Nummer <Nr.> 6 Rn. 15), steht deren Zulässigkeit hier nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin ihr Rechtsschutzziel durch eine Leistungs- oder Gestaltungsklage erreichen könnte.

Insbesondere kann sie auch nicht auf das Betreiben der (teilweisen) Aufhebung des Bescheids vom 23. September 2015 verwiesen werden. Das BSG (Urteil vom 7. Juli 2011, Aktenzeichen B 14 AS 153/10 R, BSGE 108, 289 Rn. 47) ist zwar in einem obiter dictum zunächst davon ausgegangen, dass – im hier gegebenen – Falle des Eintritts der Volljährigkeit nach Eintritt der Bestandskraft des Erstattungsbescheids gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X ein Anspruch auf Aufhebung desselben bestünde. Dem steht jedoch entgegen, dass es sich bei einem Erstattungsbescheid um keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt (dies nun wohl auch in Zweifel ziehend BSG, Urteil vom 28. November 2018, B 4 AS 43/17 R, SozR 4-4200 § 38 Nr. 4 Rn. 18). Denn seine Regelung erschöpft sich in der einmaligen Anordnung der Zahlungspflicht (Kellner, NZS 2018, 684, 685; Baumeister in jurisPK-SGB X, 2. Auflage 2017, § 50 Rn. 69; Löcken in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 40 Rn. 146; im Ergebnis ebenso Steinwedel in Kasseler Kommentar, Stand März 2022, § 45 SGB X Rn. 21; vgl. auch BSG, Urteil vom 18. Januar 1961, 11 RV 1016/60, SozR Nr. 11 zu § 47 VerwVG; für eine entsprechende Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X dagegen Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 50 Rn. 12). Einer Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X ist der Erstattungsbescheid mithin nicht zugänglich.

3. Die Klägerin hat auch ein Feststellungsinteresse im Sinne eines berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung des Inhalts des Rechtsverhältnisses (vgl. § 55 Abs. 1 SGG), da sie jederzeit der Verwaltungsvollstreckung ausgesetzt sein kann. Nachdem der Beklagte bereits anerkannt hat, dass die Haftung auf einen Betrag von 1.867,36 € beschränkt ist, besteht das Feststellungsinteresse jedoch nur, soweit sie eine noch geringere Schuld festgestellt wissen will.

II. Die Feststellungsklage ist indes unbegründet. Die Geltendmachung der noch ungetilgten Forderung des Beklagten aus dem Bescheid vom 23. September 2015 gegenüber der Klägerin, soweit sie nicht über 1.867,36 € hinausgeht, ist weder aufgrund der Haftungsbeschränkung Minderjähriger (dazu 1.) noch wegen Verjährung (dazu 2.) weiter limitiert.

1. Die Minderjährigenhaftungsbeschränkung greift hier über die durch den Beklagten bereits anerkannte Grenze von 1.867,36 € hinaus nicht. Damit kann offen bleiben, auf welcher Rechtsgrundlage sich die noch offene Erstattungsforderung aus dem Bescheid vom 23. September 2015 über den Betrag von 1.867,36 € hinaus mindern würde, wobei viel für eine Erledigung auf andere Weise nach § 39 Abs. 2 letzte Variante SGB X spricht (hierzu Kellner, NJ 2018 126, 130 folgende).

Nach § 1629a BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt in die Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Dies gilt entsprechend für die finanziellen Folgen, die Minderjährigen als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft über die insoweit geltende Vertretungsregelung (§ 38 SGB II) aufgebürdet werden (grundlegend BSG, Urteil vom 7. Juli 2011, B 14 AS 153/10 R, BSGE 108, 289 Rn. 40 fortfolgende; aus neuerer Zeit BSG, Urteil vom 28. November 2018, B 4 AS 43/17 R, SozR 4-4200 § 38 Nr. 4).

Eine weitere Beschränkung unterhalb der bereits verwaltungsseitig gezogenen Grenze von 1.867,36 € ist indes nicht festzustellen. Bei Eintritt der Volljährigkeit verfügte die Klägerin nach der Aufstellung der K-sparkasse, wegen deren Inhalt auf Blatt 38 des Ausdrucks der E-Akte des Inkasso-Services verwiesen wird, über Vermögen in Höhe von 0,08 € auf einem Girokonto sowie in Höhe von 1.867,28 € in Form von Wertpapieren. Der sich hieraus ergebende Betrag von 1.867,36 € ist in voller Höhe als bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenes Vermögen der Klägerin anzusetzen.

a. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Depotvermögen nicht einer anderen Person zuzuordnen. Es liegt insbesondere kein sogenanntes verdecktes Treuhandverhältnis vor. Ein solches kann – selbst wenn der Treuhänder das Vermögensrecht als Vollrecht erworben hat – aufgrund einer schuldrechtlichen, auf dem Vermögensgegenstand lastenden Herausgabeverpflichtung dazu führen, dass dieser Gegenstand für den Treuhänder vermögensneutral ist und damit nicht bei diesem anzurechnen ist.

Aus der von der Klägerin vorgebrachten Abrede mit ihrem Vater, das von den Eltern angesparte Vermögen sei zur Erlangung eines Führerscheins zu verwenden, folgt aber keine derartige Einschränkung. Selbst wenn man das Vorliegen einer dahingehenden Vereinbarung unterstellt, wogegen freilich spricht, dass die Klägerin trotz des weiterhin vorhandenen Vermögens noch keine Anstrengungen zur Erlangung eines Führerscheins unternommen hat, wäre das Vermögen der Klägerin hier endgültig zugeordnet. Denn es wird keine treuhänderische Verwaltung für den Vater behauptet, sondern eine bloße Verwendungsabrede. Eine solche berührt die Zuordnung des Vermögens zur Klägerin nicht.

b. Das mithin der Klägerin zuzuordnende Vermögen unterliegt keinen weiteren Beschränkungen. Zwar umfasst die Haftung des volljährig Gewordenen nach § 1629a BGB nicht die gemäß § 811 ZPO unpfändbaren Gegenstände (BSG, Urteil vom 28. November 2018, B 14 AS 34/17 R, SozR 4-4200 § 38 Nr. 5 Rn. 23). Die Vorschrift ist indes auch bei der Annahme einer Verwendungsabsicht zur Erlangung eines Führerscheins nicht einschlägig. Dabei kann offen bleiben, ob § 811 ZPO in der aktuellen Fassung (dazu aa.) oder in der am Tag der Volljährigkeit geltenden Fassung (dazu bb.) anwendbar ist. Ein Schutz des Vermögens ist in beiden Fällen nicht gegeben.

aa. In der seit 1. Januar 2022 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 7. Mai 2021 (Bundesgesetzblatt I. Seite 850) kommt ein Schutz allenfalls nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b ZPO in Betracht. Geschützt sind danach für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder für eine damit in Zusammenhang stehende Aus- oder Fortbildung benötigte Sachen.

Die Klägerin geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Auch der Umstand, dass Gegenstände geschützt sind, die eine im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit stehende Aus- oder Fortbildung betreffen, gereichen ihr nicht zum Vorteil. Ob dabei eine Fahrschule eine auf den künftigen Erwerb gerichtete persönliche Betätigung im Rahmen schulischer Bildung darstellt, kann hier offen bleiben. Die Klägerin hat noch keine Anstrengungen in Richtung Führerscheinerwerb unternommen. Es handelt sich bei den Wertpapieren mithin um freies Vermögen.

bb. Nach der zuvor geltenden Fassung von § 811 ZPO waren im Zusammenhang mit einer Ausbildung ohnehin nur Bücher geschützt (Abs. 1 Nr. 10).

c. Unerheblich ist schließlich auch, ob der Beklagte einen Führerscheinerwerb der Klägerin fördern müsste. Denn über den Erlass von Forderungen wegen Unbilligkeit nach § 44 SGB II ist in einem gesonderten Verwaltungsverfahren durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Solange eine solche Entscheidung nicht vorliegt, ist für eine gerichtliche Überprüfung kein Raum (vgl. BSG, Urteil vom 25. April 2018, B 14 AS 15/17 R, BSGE 125, 301 Rn. 33; Adolph in Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, Stand Februar 2022, § 44 SGB II Rn. 13).

2. Die noch offene Forderung ist auch nicht nach § 50 Abs. 4 SGB X verjährt. Nach Satz 1 verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erstattungsbescheid unanfechtbar geworden ist. Gemäß Satz 2 gelten für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung die Vorschriften des BGB sinngemäß.

Hier ist ein Neubeginn der Verjährung nach § 50 Abs. 4 Satz 2 SGB X in Verbindung mit § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB gegeben. Danach beginnt die Verjährung erneut, wenn der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch unter anderem durch Abschlagszahlung anerkennt. So lag es hier, nachdem der Vater der Klägerin für diese noch im März 2019 mit dem Inkasso-Service eine ratenweise Tilgung verabredete. Denn die dem zugrunde liegenden Erklärungen wirken im Rahmen der gesetzlichen Vertretung (§§ 1626, 1629 BGB) nach § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB für und gegen die Klägerin. Dem steht nicht entgegen, dass sich diese Erklärungen wegen des Neubeginns der Verjährung zulasten der Klägerin auswirken. Sie ist durch § 1629a BGB in verfassungsrechtlich gebotener Weise abschließend geschützt (zur Erfüllung des Verfassungsauftrags <vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. Mai 1986, 1 BvR 1542/84, BVerfGE 72, 155> durch § 1629a BGB BSG, Urteil vom 28. November 2018, B 4 AS 43/17 R, SozR 4-4200 § 38 Nr. 4 Rn. 13).

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Unterliegen der Klägerin.

Die Berufung ist nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG kraft Gesetzes zulässig, da die Beschwer 750 € übersteigt.

Rechtskraft
Aus
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