L 9 SO 58/18

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 15 SO 237/14
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 58/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zum Anspruch auf Übernahme von Krankenhausbehandlungskosten im Rahmen der Hilfe zur Gesundheit bei EU-Ausländern.

2. Der im Verfahren zwischen der um Übernahme der Krankenhausbehandlungskosten nachsuchenden Person und dem Sozialhilfeträger notwendig beigeladene Krankenhausträger ist durch ein klagabweisendes Urteil nicht selbst beschwert.

3. Bei der Abgrenzung von Nothelferanspruch (§ 25 SGB XII) und originärem Sozialhilfeanspruch und der insoweit vorzunehmenden Aufteilung der DRG-Fallpauschale pro rata temporis ist der Tag der Kenntniserlangung insgesamt dem Sozialhilfeanspruch zuzurechnen.

4. Maßgeblich für die Aufteilung pro rata temporis ist die tatsächliche Zahl der Belegtage einschließlich des Entlassungstags.

Normen: SGB V § 109, SGB V § 39 Abs. 1 S. 2, SGB XII § 18 Abs. 1, SGB XII § 23 Abs. 1 S. 1, SGB XII § 23 Abs. 3, SGB XII § 48 S. 1, SGB XII § 52 Abs. 3 S. 1, SGG § 141, SGG § 75 Abs. 2

Suchworte: Abgrenzung, Beigeladener, Beschwer, EU-Ausländer, Kenntnisgrundsatz, Krankenhausbehandlungskosten, Nothelferanspruch, pro rata temporis, Schuldbeitritt, Sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 21. März 2018 und der Bescheid der Stadt Elmshorn vom 16. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 11. September 2014 geändert.

Der Beklagte wird dazu verurteilt, die Kosten des Klägers für dessen Behandlung im Krankenhaus der Beigeladenen zwischen dem 10. September 2013 und dem 14. November 2013 in Höhe von insgesamt 92.701,07 EUR zu übernehmen.

Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Die Berufung der Beigeladenen wird verworfen.

Der Beklagte hat dem Kläger 9/10 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme von Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 101.128,44 EUR wegen eines stationären Krankenhausaufenthalts hat.

Der 1989 geborene Kläger ist litauischer Staatsangehöriger. Er wurde am 4. September 2013 nachts gegen 2.15 Uhr von einem aus P (D) kommenden und in Richtung H fahrenden Güterzug erfasst und 3 km weit mitgeschleift, als er in E die Bahngleise überquerte. Durch die Kollision zog sich der Kläger schwere Verletzungen am Brustkorb, am Bein und am Unterleib zu. Der Kläger wurde vom Rettungsdienst im Gleisbett im Bereich B Straße in E geborgen, von dort aus mit Rettungswagen in die Klinik A, ein Krankenhaus der Beigeladenen, verbracht und in den Morgenstunden des 4. September 2013 notfallmäßig aufgenommen. Hier wurde der Kläger zunächst bis zum 14. November 2013 intensivmedizinisch behandelt und danach in die A Klinik G verlegt. Die vollstationäre Krankenhausbehandlung in jener Klinik dauerte bis zum 20. Dezember 2013. Dann holte seine Familie den Kläger dort im Krankenhaus ab und verbrachte ihn mit einem privat organisierten Krankentransport nach L.

Am 10. September 2013 hatte die A Klinik A die Krankenhauskosten unter Hinweis auf § 25 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zwecks Fristwahrung beim Grundsicherungs- und Sozialamt der Stadt H angemeldet. Nachdem diese ihre Zuständigkeit verneint hatte, erfolgte am 23. September 2013 eine erneute Anmeldung bei der Stadt E. Der Kläger sei aufgrund seiner schweren Verletzungen nach wie vor nicht kontaktierbar.

Das Amtsgericht Hamburg-Altona hatte den Berufsbetreuer F am 12. September 2013 zum Betreuer des Klägers bestellt und den wahrzunehmenden Aufgabenkreis beschrieben als

  • die Sorge für die Gesundheit des Betroffenen,
  • die Aufenthaltsbestimmung im Rahmen der Gesundheitssorge,
  • die Vermögenssorge,
  • Angelegenheiten der Kurzzeitpflege,
  • Interessenvertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Sozialleistungsträgern.

Unter dem Datum vom 20. September 2013 stellte der Betreuer des Klägers bei der Stadt E formlos den Antrag, die Krankenbehandlungskosten für den Kläger ab dem 4. September 2013 zu übernehmen. Er führte aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt seines Unfalls keiner Beschäftigung nachgegangen sei, keine abgeschlossene Ausbildung gehabt und von der finanziellen Unterstützung seiner Mutter gelebt habe. Diese habe ihm eine Reise in die N finanziert. Auf dem Rückweg von dieser Reise sei er im Bahnhof E verunfallt. Ihm – dem Betreuer – sei nicht bekannt, dass der Kläger krankenversichert sei. Im Krankenhaus habe er aber erfahren, dass die Mutter des Klägers sich zwischenzeitlich um einen Behandlungskosten abdeckenden Krankenversicherungsschutz bemüht habe.

Mit Schreiben vom 21. November 2013 stellte die Beigeladene dem Kläger für die Krankenhausbehandlung zwischen dem 4. September und dem 14. November 2013 einen Gesamtbetrag von 101.128,44 EUR in Rechnung. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 65 f. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 16. April 2014 lehnte die Stadt E den Antrag des Klägers auf Übernahme von Krankenbehandlungskosten für den Zeitraum ab dem 4. September 2013 ab. Zur Begründung der Ablehnung verwies sie auf bestehende Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers. Der Betreuer habe die Hilfebedürftigkeit als Grundvoraussetzung für die Leistungsberechtigung gemäß § 19 SGB XII nicht zweifelsfrei dargelegt. Die mit Schreiben vom 24. September und 13. November 2013 verwaltungsseitig geforderten Angaben und Nachweise über das tatsächliche Bestehen der Hilfebedürftigkeit habe der Betreuer des Klägers nur unzureichend beigebracht. Nach dessen Darlegungen habe dies zunächst am Komazustand des Klägers und anschließend an einer wegen der Sprachbarriere gescheiterten Kommunikation mit ihm gelegen. Da sich der Kläger nunmehr wieder in L aufhalte, sei nicht wahrscheinlich, dass es noch zur Vorlage von Nachweisen über die bisher gemachten Angaben hinaus kommen werde. Beim gegenwärtigen Sachstand sei der Antrag abzulehnen.

Gegen diesen Bescheid legte der Betreuer des Klägers am 24. Mai 2014 Widerspruch ein, ohne diesen inhaltlich zu begründen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2014 wies der Beklagte den Widerspruch aus den Gründen des angefochtenen Bescheids als unbegründet zurück. Ergänzend und vertiefend führte er aus: Gemäß § 2 SGB XII erhalte derjenige keine Sozialhilfe, der sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen könne oder die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhalte. Nach Maßgabe des § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 48 SGB XII seien Hilfen zur Krankheit zu leisten, soweit dem Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel aus Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten sei. Seine Leistungsverpflichtung hänge von der Hilfebedürftigkeit des Klägers ab. Sei eine Person dem Sozialleistungsträger unbekannt, müsse diese den Nachweis der Hilfebedürftigkeit führen. Der Kläger habe einen Anspruch nach §§ 47 ff. SGB XII geltend gemacht und habe deshalb auch die Leistungsvoraussetzungen darzulegen. Dem Grunde nach komme zwar der geltend gemachte Hilfeanspruch für den Zeitraum der vollstationären Krankenhausaufnahme in Betracht. Allerdings sei die Hilfebedürftigkeit schon hinsichtlich des zwischenzeitlich eingetretenen Krankenversicherungsschutzes zweifelhaft. Es sei bereits jegliche Darlegung ausgeblieben, ob eine Krankenversicherung nicht voraussichtlich zum 18. November 2013 (zumindest teilweise) leistungsverpflichtet sein könne. Hierzu sei schlicht gar nichts vorgetragen. Zudem gebe es keinen Nachweis dafür, dass der Kläger über keine eigenen Mittel verfüge, um seiner Hilfebedürftigkeit begegnen zu können. Seine Mutter habe ihm zum Zeitpunkt des Unfallereignisses tatsächlich Unterhalt gewährt, seine Urlaubsreise und den Rücktransport nach L bezahlt. Auch sei eine nach l Recht bestehende Unterhaltsverpflichtung der Mutter, vergleichbar dem in Deutschland geltenden § 1609 Nr. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), nicht auszuschließen, so dass hierdurch nicht nur die freiwillige Möglichkeit der Unterstützung durch Dritte, sondern das durchsetzbare Recht auf Unterstützung durch Unterhaltsverpflichtete in Betracht komme. Der vorliegende Antrag sei hinsichtlich der Darlegung der Hilfebedürftigkeit weiterhin als nicht schlüssig anzusehen. Da sich der Kläger nunmehr wieder in L aufhalte, sei nicht damit zu rechnen, dass sich dadurch die Kommunikation verbessern werde und nunmehr die Vorlage von Nachweisen wahrscheinlicher geworden sei. Die erforderlichen Bemühungen des Sozialhilfeträgers i.S. der §§ 20, 21 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zur Vervollständigung des Sozialhilfeantrags des Klägers seien jeweils rechtzeitig und umfassend erfolgt. Dass diese hinsichtlich der Feststellung einer Hilfebedürftigkeit nicht erfolgreich gewesen seien, gehe nicht zu Lasten des Sozialhilfeträgers. Die erforderliche, tatsächliche Nachweisführung falle in die Rechtssphäre des Klägers. In Ermangelung der Erfüllung der Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 48 SGB XII könne ein Leistungsanspruch auf dieser Grundlage nicht bestehen.

Gegen den Bescheid vom 16. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2014 hat der Kläger am 13. Oktober 2014 Klage zunächst beim Sozialgericht Hamburg (dortiges Az.: S 28 SO 546/14) erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 3. November 2014 an das Sozialgericht Itzehoe verwiesen hat.

Zur Begründung hat der Kläger geltend gemacht, die Übernahme der Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von noch 101.128,44 EUR aus Sozialhilfemitteln beanspruchen zu können, die für die Behandlung im A Klinikum A an die Beigeladene zu zahlen seien. Nach der Bescheinigung Nr. 8 der Kaunasser Gebietskrankenkasse über einen für den Kläger bestehenden Krankenversicherungsschutz ab dem 18. November 2013 habe die AOK Rheinland/Hamburg am 31. März 2015 die in der A Klinik G angefallenen Kosten ausgeglichen. Insoweit sei der Rechtsstreit erledigt.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Stadt E vom 16. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 11. September 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm – dem Kläger – 101.128,44 EUR wegen der Kosten seiner Krankenbehandlung in der A Klinik A der Beigeladenen aus Mitteln der Sozialhilfe zu bewilligen und diesen Betrag an die Beigeladene auszuzahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

        die Klage abzuweisen.

Er hat zur Begründung auf seinen Widerspruchsbescheid Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass ein Rechtsstreit beim Sozialgericht Hamburg (Az.: S 7 SO 529/14) wegen einer gegenüber der Beigeladenen ergangenen Ablehnungsentscheidung im Hinblick auf einen Nothelferanspruch (§ 25 SGB XII) in dieser Sache anhängig sei, der ruhend gestellt sei.

Die mit Beschluss vom 16. März 2018 beigeladene A Kliniken H hat keinen Antrag gestellt.

Mit Urteil vom 21. März 2018 hat das Sozialgericht Itzehoe die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Der Beklagte habe zu Recht keine Leistungen zur Krankenbehandlung des Klägers in der Klinik der Beigeladenen erbracht und ihn nicht von den ihm seitens der Beigeladenen in Rechnung gestellten Krankenhausbehandlungskosten freigestellt. Auf Grundlage der §§ 19 Abs. 3, 48 SGB XII würden Hilfen zur Krankheit geleistet, soweit den Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten sei. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sei die Kammer davon überzeugt, dass der Beklagte materiell-rechtlich zutreffend entschieden habe. Sie folge vollumfänglich der Begründung des Widerspruchsbescheids des Beklagten und sehe von einer weiteren (inhaltsgleichen) Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend und vertiefend sei auszuführen, dass es auch die klägerseitig beigebrachten weiteren Nachweise nicht gestatteten, die Hilfebedürftigkeit des Klägers i.S. des SGB XII zweifelsfrei feststellen zu können. Hilfebedürftigkeit sei ein sozialrechtlicher Begriff, der die Lebensverhältnisse von Personen kennzeichne, die aufgrund ihrer finanziellen Notsituation berechtigt seien. Es gelte, den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe gemäß § 2 SGB XII zu beachten. Im Hinblick darauf bestünden Zweifel, ob der Kläger die beanspruchte Sozialhilfe nicht habe vermeiden oder zumindest doch in deren Umfang habe vermindern können. Das Vorbringen des Klägers lege nahe, dass er seine unfallbedingte Hilfebedürftigkeit mit der zur Inanspruchnahme von Sozialhilfe berechtigenden Hilfebedürftigkeit gleichgesetzt habe. Zweifel an der Hilfebedürftigkeit ergäben sich jedoch aus der Unvollständigkeit der klägerseitigen Angaben über Einkommen oder Vermögen des Klägers bzw. Einkommen oder Vermögen seiner ihm seinerzeit Unterhalt leistenden Mutter. Der Kläger bzw. dessen Betreuer hätten die Angaben auf die verwaltungsseitigen Anforderungen hin nicht prüffähig vervollständigt. Der Kläger habe auch nicht nachvollziehbar ausgeführt, warum der „nachträgliche“ Krankenversicherungsschutz erst am 18. November 2013 eingesetzt habe. Angaben hinsichtlich fehlender Eigenmittel seien widersprüchlich und lückenhaft. Sie seien zur Prüfung der Leistungsberechtigung weder nachvollziehbar noch geeignet gewesen. Nach ihrem äußeren Erscheinungsbild seien die Angaben kaum mehr als vorläufige Telefonnotizen, die der Betreuer des Klägers in keinen nachvollziehbaren Sachzusammenhang gestellt habe. Dagegen sei das Verwaltungshandeln des Beklagten nicht zu beanstanden: Dem Betreuer des Klägers seien klare Fragen gestellt worden, die dieser als Berufsbetreuer klar, eindeutig und unmissverständlich hätte beantworten können. Das Handeln des Betreuers müsse der Kläger gegen sich gelten lassen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urteilsgründe (Bl. 84 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Gegen das ihnen am 20. August 2018 bzw. am 17. August 2018 zugestellte Urteil haben der Kläger am 7. September 2018 und die Beigeladene am 14. September 2014 jeweils Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt.

Zur Begründung seiner Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Er habe sich seinerzeit auf der Durchreise von den N, wo er erfolglos Arbeit gesucht habe, nach D befunden, wo er ebenfalls Arbeit habe suchen wollen. Auf der Fahrt habe das Auto den Geist aufgegeben; er sei enttäuscht gewesen und habe sich betrunken. An das Unfallgeschehen habe er keine Erinnerung mehr. Er sei jedoch mittellos gewesen und nicht in der Lage, die Krankenhausbehandlungskosten zu tragen. Auch seine Mutter sei dazu nicht in der Lage gewesen. Sie habe für seinen Rücktransport nach L einen Kredit in Höhe von ca. 5.000,00 EUR aufnehmen müssen, um das benötigte Fahrzeug zu kaufen. Seine Mutter sei im Übrigen aber auch nicht zur Unterhaltsleistung verpflichtet, weil die Unterhaltspflicht nach l Recht mit dem vollendeten 24. Lebensjahr ende. Es sei Sache des Beklagten gewesen, die entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln.

Die Beigeladene trägt vor, dass die Ablehnung des Leistungsanspruchs durch den Beklagten und die Klagabweisung durch das Sozialgericht letztlich nur auf Vermutungen beruhten, die durch nichts belegt seien. Bei korrekter Betrachtung der Gesamtsituation lasse sich die Hilfebedürftigkeit des Klägers dagegen nicht ernsthaft bestreiten. Dabei stehe insbesondere fest, dass zum Unfallzeitpunkt kein Krankenversicherungsschutz bestanden habe und dieser erst mit Wirkung vom 18. November 2013 hergestellt worden sei. Warum dies so sei, lasse sich nicht letztverbindlich klären, sei aber auch unerheblich. Auch auf die vermeintliche Unterhaltsverpflichtung der Mutter könne der Beklagte seine ablehnende Haltung nicht stützen, denn nach l Recht habe eine solche Verpflichtung nicht mehr bestanden. Die Kenntnis von diesem Umstand hätte sich das Sozialgericht ggf. selbst verschaffen müssen.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen jeweils,

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 21. März 2018 und den Bescheid der Stadt E vom 16. April 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen in Höhe von 101.128,44 EUR wegen der Kosten seiner Krankenhausbehandlung in der A Klinik A zu bewilligen und diesen Betrag an die Beigeladene auszuzahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

          die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren weitere Unterlagen zum Nachweis seiner Hilfebedürftigkeit und zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen seiner Mutter vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 127 ff. der Gerichtsakte – in der übersetzten Fassung auf Bl. 152 ff. der Gerichtsakte – Bezug genommen. Er ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 15. Juni 2022 befragt worden. Wegen seiner Aussagen im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 227 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Dem Senat haben die Leistungsakten des Beklagten vorgelegen. Auf diese Akte und auf die Gerichtsakten wird wegen des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Während die Berufung des Klägers zu einem großen Teil Erfolg hat, ist die Berufung der Beigeladenen als unzulässig zu verwerfen.

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Berufung ist zulassungsfrei statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstands mit 101.128,44 EUR die Grenze von 750,00 EUR deutlich überschreitet (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Demgegenüber ist die ebenfalls form- und fristgerecht erhobene Berufung der Beigeladenen als unzulässig zu verwerfen, weil sie – die Beigeladene – durch das klagabweisende Urteil nicht beschwert ist. Von der erforderlichen materiellen Beschwer eines Beigeladenen ist nur auszugehen, wenn dieser aufgrund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils (§ 141 SGG) unmittelbar in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt sein kann (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leithe­rer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, Vor § 143 Rn. 8). Das Bundessozialgericht (BSG) hat jedoch bereits entschieden, dass im Rahmen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses durch die Ablehnung höherer Leistungen gegenüber dem um Sozialhilfe nachsuchenden Kläger regelmäßig keine eigenen subjektiven Rechte der (auch notwendig) beigeladenen Leistungserbringer verletzt werden (BSG, Urteil vom 6. Dezember 2018 – B 8 SO 9/18 RBSGE 127, 92 = SozR 4-3500 § 75 Nr 13, juris Rn. 52 ff.). Hintergrund ist, dass der Leistungserbringer Zahlung vom Sozialhilfeträger ausschließlich aufgrund des von diesem im Rahmen der Leistungsbewilligung gegenüber dem Hilfebedürftigen verfügten Schuldbeitritts verlangen kann. Deshalb hat der Leistungserbringer vor der Bewilligung weder eine eigene Rechtsposition gegen den Sozialhilfeträger noch kann er nach Erklärung des Schuldbeitritts aus eigenem Recht vom Sozialhilfeträger mehr als das von diesem dem Hilfeempfänger Bewilligte verlangen. Dieser Rechtsauffassung schließt sich der erkennende Senat an.

Zwar hat das BSG in der genannten Entscheidung – nicht tragend – auf Konstellationen hingewiesen, in denen eine anderweitige Beurteilung möglich sei. Neben den hier nicht einschlägigen §§ 19 Abs. 6, 25 SGB XII hat es u.a. auf § 52 Abs. 3 SGB XII Bezug genommen (BSG, a.a.O., Rn. 54). Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 SGB XII sind bei Erbringung von Leistungen nach den §§ 47 bis 51 SGB XII die für die gesetzlichen Krankenkassen nach dem Vierten Kapitel des Fünften Buches (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern) geltenden Regelungen mit Ausnahme des Dritten Titels des Zweiten Abschnitts (Vertragsärztliche Verträge auf Bundes- und Landesebene) anzuwenden. Welche Folgerungen das BSG daraus für das sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis (möglicherweise) ziehen will, hat es in der besagten Entscheidung allerdings nicht konkretisiert.

Im krankenversicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnis entsteht der Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erforderlich und wirtschaftlich ist (st. Rspr, vgl nur BSG, Urteil vom 19. März 2020 – B 1 KR 20/19 RBSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, juris Rn. 11 m.w.N.). Dieses System kann jedoch nicht ohne Weiteres unverändert auf den Bereich der Sozialhilfe übertragen werden, auch wenn § 109 SGB V über § 52 Abs. 3 Satz 1 SGB XII „bei der Leistungserbringung“ anzuwenden ist. Denn anderenfalls bestünde (ausschließlich) ein unmittelbarer Anspruch des Krankenhauses gegen den Sozialhilfeträger. Einen solchen eigenen Anspruch wiederum erkennt auch das BSG aber explizit nur im Nothelferverhältnis (§ 25 SGB XII) an. Anders als im Krankenversicherungsrecht bedarf es beim sozialhilferechtlichen Anspruch stets noch der Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen des Anspruchs (Hilfebedürftigkeit) durch den Sozialhilfeträger. Folgerichtig bedarf es nach Überzeugung des erkennenden Senats – anders als im Krankenversicherungsrecht – im Bereich der Hilfen zur Gesundheit sehr wohl einer Kostenzusage, wobei sich dann die Frage stellt, ob der Leistungserbringer einen eigenen Anspruch auf die Kostenzusage (gegenüber der leistungsberechtigten Person) hat bzw. ob diese Entscheidung zumindest seinen Rechtskreis unmittelbar berührt – in diesem Falle läge eine Beschwer der Beigeladenen vor – oder nur einen Anspruch aus der Kostenzusage, wie allgemein im sozialhilferechtlichen Leistungserbringungsverhältnis üblich. Im letzteren Fall würde es an einer eigenen Beschwer der Beigeladenen fehlen.

Der Senat vermag nicht zu erkennen, wodurch sich das klassische sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis mit der Konstellation des Schuldbeitritts, das ausdrücklich für die §§ 75 ff. SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (a.F.) entwickelt worden war (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 2008 – B 8 SO 22/07 RBSGE 102,1 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9, juris Rn. 15 ff.), im Hinblick auf die verfahrensrechtliche Stellung des Leistungserbringers im Bereich der §§ 47 ff. SGB XII von dem zwar durch § 52 Abs. 3 SGB XII in Bezug genommenen aber doch notwendig zu modifizierenden krankenversicherungsrechtlichen Dreiecksverhältnis unterscheidet. Die obiter dictum ergangenen Ausführungen des BSG geben keinen hinreichenden Aufschluss, wie eine Verletzung des Rechtskreises des Leistungserbringers begründet werden sollte, ohne dass dieser – wie im Krankenversicherungsrecht – selbst Inhaber des Anspruchs würde. Die Bezugnahme in § 52 Abs. 3 Satz 1 SGB XII auf die hier relevanten §§ 107-114 SGB V bewirkt im Wesentlichen, dass die Behandlung von nach §§ 19 Abs. 3, 48 Satz 1 SGB XII leistungsberechtigten Personen in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V) zu den für gesetzlich krankenversicherte Personen geltenden Bedingungen (vgl. insbesondere §§ 109 Abs. 4 Satz 3, 112 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erfolgen hat. Die Verweisung mag ferner so auszulegen sein, dass bei bestehender Kostenzusage der Streit über den Inhalt des daraus folgenden Anspruchs (z.B. über die richtige Fallpauschale oder über die Notwendigkeit der Dauer der Krankenhausbehandlung) gewissermaßen als Anspruch aus der Kostenzusage im Verhältnis zwischen dem Leistungserbringer und dem Krankenhaus geklärt werden kann. Diese Situation ist hier jedoch nicht gegeben. Eigene materielle Rechtspositionen des Leistungserbringers gegenüber dem Sozialhilfeträger, die bereits vor Erteilung einer Kostenzusage entstehen und durch die Ablehnung der Kostenzusage verletzt werden könnten, vermag der Senat indes in Übereinstimmung mit der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Bundessozialhilfegesetz (BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 1998 – 5 B 99/97 – Buchholz 436.0 § 37 BSHG Nr 9, juris Rn. 3 f.) nicht zu erkennen.

Die Berufung des Klägers ist im tenorierten Umfang begründet; im Übrigen ist sie als unbegründet zurückzuweisen. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) vollumfänglich als unbegründet abgewiesen. Der Kläger hat gegen den Beklagten im tenorierten Umfang Anspruch auf Übernahme der ihm von der Beigeladenen in Rechnung gestellten Krankenhausbehandlungskosten.

Anspruchsgrundlagen für den Anspruch des Klägers auf Übernahme der Krankenhausbehandlungskosten sind §§ 19 Abs. 3, 48 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Danach werden Hilfen zur Gesundheit nach dem Fünften Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels nicht zumutbar ist (§ 19 Abs. 3 SGB XII). Im Rahmen der Leistungen zur Gesundheit werden, insbesondere um eine Krankheit zu heilen, Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend dem Dritten Kapitel des Fünften Abschnitt, Ersten Titel des SGB V erbracht (§ 48 Satz 1 SGB XII). Anspruch besteht danach u.a. auf vollstationäre oder stationsäquivalente Behandlung durch ein nach § 108 SGB V zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Diese Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs gegen den Beklagten, dessen richtige Bezeichnung „Kreis Pinneberg – Die Landrätin“ lautet (vgl. Senatsurteil vom 24. September 2020 – L 9 SO 72/17 – juris Rn. 29 und dessen Zuständigkeit und Passivlegitimation sich aus § 98 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII ergibt, sind hier zur Überzeugung des erkennenden Senats erfüllt und führen im Wesentlichen zum Erfolg der Klage. Der Kläger erfüllt die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen; er war insbesondere nicht als Ausländer von Leistungen der Hilfe zur Gesundheit ausgeschlossen. Die Tragung der Kosten der notwendigen Krankenhausbehandlung war ihm aus dem im Bedarfszeitraum zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten. Dem Umfang nach ist der auf Übernahme der Krankenhausbehandlungskosten im Wege des Schuldbeitritts gerichtete Sachleistungsanspruch des Klägers allerdings auf den Teil der Kosten beschränkt, die nach Einsetzen der Sozialhilfe entstanden sind.

Die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen liegen vor. Dem Anspruch des Klägers steht insbesondere ein möglicher Leistungsausschluss wegen seiner ausländischen (hier: litauischen) Staatsbürgerschaft nicht entgegen. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in der bis zum 28. Dezember 2016 geltenden Fassung (a.F.) ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, u.a. Hilfe bei Krankheit nach diesem Buch zu leisten. Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Sind sie zum Zweck einer Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist, soll Hilfe bei Krankheit insoweit nur zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung geleistet werden (§ 23 Abs. 3 SGB XII a.F.).

Der Kläger ist nicht i.S. des § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII a.F. eingereist, um Sozialhilfe oder Krankenhausbehandlung zu erhalten. Er ist auf der Durchreise verunfallt. Er hat in der mündlichen Verhandlung nochmals glaubhaft geschildert, dass er sich auf der Durchreise nach D befand, um sich nach erfolgloser Arbeitsuche in den N dort um eine Beschäftigung zu bemühen. Der Senat ist davon überzeugt, dass er sich, wie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, lediglich einen Tag in Deutschland aufgehalten hatte, bevor er in E verunfallte. Auch dem Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII a.F. unterfällt er nicht, da er auf der Durchreise war und sich unstreitig kürzer als drei Monate in Deutschland aufhielt, so dass für den Aufenthalt der Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses ausreichend war (§ 2 Abs. 5 Satz 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ([FreizügG/EU]). § 2 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU gewährt ein eigenständiges, voraussetzungsloses, insbesondere von den Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU unabhängiges materielles Aufenthaltsrecht, das lediglich systematisch unzutreffend nicht in § 2 Abs. 2 FreizügG/EU verortet worden ist (allg. Auffassung, vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 27. März 2008 – 5 K 1015/06 – juris Rn. 18; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 2 FreizügG/EU Rn. 157; Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOK-Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU Rn. 60; vgl. Ziff. 2.5.1 AV zu § 2 FreizügG/EU: „von materiellen Voraussetzungen unabhängiges Aufenthaltsrecht“; „voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht“).

Selbst wenn sich der Kläger ohne materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben und deshalb dem Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII a.F. unterfallen sollte (Erst-recht-Schluss, vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 RBSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, juris Rn. 19), wären hier allerdings nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zumindest Ermessensleistungen (§ 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII a.F.) zu gewähren, wobei angesichts der offensichtlichen Notfallbehandlung von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen wäre (vgl. dazu BSG, a.a.O., Rn. 51 ff. sowie BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 8 SO 9/13 RBSGE 117, 261 = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, juris Rn. 26 ff.).

Die Voraussetzungen des § 48 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB XII liegen insoweit vor, als die vollstationäre Behandlung des Klägers im Klinikum der Beigeladenen – einem in den Krankenhausplan der Stadt H aufgenommenen und an der Not- und Unfallversorgung teilnehmenden Krankenhaus – notwendig war. Der Kläger erlitt bei dem Unfall, bei dem er von einem Güterzug erfasst und mitgeschleift worden war, ein Polytrauma (ICD-10-Code T07) mit u.a. einer offenen Beckenfraktur (ICD-10-Code S32.83), einem Schien- und Wadenbeinbruch (ICD-10-Code S82.21R) und einem Weichteilschaden II. Grades bei offener Fraktur des Unterschenkels (ICD-10-Code S81.88), einer Fraktur des Ulna- und Radiusschaftes (ICD-10-Code S52.4), eine Rippenserienfraktur mit Beteiligung der ersten Rippe (ICD-10-Code S22.41), einen Schlüsselbein- und Schulterblattbruch (ICD-10-Codes S42.01 und S42.10), eine Leberprellung (ICD-10-Code S36.11) und einen traumatischen Pneumothorax (S27.0). Angesichts dieser multiplen schwerwiegenden knöchernen Verletzungen und Verletzungen der inneren Organe steht außer Zweifel und bedarf nicht der weiteren Aufklärung durch Sachverständigenbeweis, dass der Kläger der medizinischen Versorgung mit den besonderen Mitteln des Krankenhauses bedurfte und eine ambulante ärztliche Versorgung nicht ausreichte. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Die von der Hilfe zur Gesundheit im vorliegenden Fall umfasste stationäre Krankenhausbehandlung hat der Kläger weder von anderen erhalten, noch konnte er sich diese bereits dem Grunde nach aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen selbst beschaffen.

Der Kläger verfügte zunächst im streitigen Zeitraum der Behandlung in der Asklepios Klinik A der Beigeladenen zwischen dem 4. September und dem 14. November 2013 nicht über einen Krankenversicherungsschutz, der die Kosten für seine Behandlung in Deutschland abdeckte. Ein solcher Krankenversicherungsschutz bestand unstreitig erst ab dem 18. November 2013, nachdem die Mutter des Klägers bei der l Krankenversicherung die seinerzeit noch erforderliche zusätzliche Auslandsversicherung abgeschlossen hatte. Der Kläger hat glaubhaft bekundet, dass vor der Reise in die N vom Abschluss einer solchen Versicherung aus Geldmangel Abstand genommen worden war. Deshalb kann dahinstehen, ob der Sozialhilfeträger eine dem Grunde nach leistungsberechtigte Person überhaupt auf eine vorrangige Krankenversicherung verweisen kann, wenn – wie im vorliegenden Falle – eine solche tatsächlich nicht eingetreten ist und die Leistung damit nicht i.S. des § 2 Abs. 1 SGB XII tatsächlich erbracht hat, oder ob der Sozialhilfeträger in diesem Fall auf die Instrumentarien der §§ 93 Abs. 1, 95 SGB XII zu verweisen wäre.

Der unverheiratete volljährige Kläger verfügte im Bedarfszeitraum seit September 2013 über kein eigenes Einkommen, mit dem er den Bedarf hätte decken können, so dass es auf die Berechnung der Einkommensgrenze (§ 85 Abs. 1 SGB XII) im Einzelnen ebenso wenig ankommt wie auf die Frage, ob ihm die Aufbringung der Mittel aus einem unterhalb der Einkommensgrenze liegenden Einkommen abverlangt werden könnte (§ 88 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Der Kläger hat glaubhaft geschildert, sich in den Wochen vor dem Unfall in den N erfolglos um Arbeit bemüht zu haben. Er war zuvor in L tageweise auf dem Bau beschäftigt und hatte unregelmäßig Einkommen erzielt. Ansprüche auf eine regelmäßig gezahlte Arbeitslosenunterstützung hatte er daraus aber nicht erworben. Ein Barunterhaltsanspruch dürfte nicht bestanden haben, ist aber jedenfalls nicht realisiert worden. Von seiner Mutter erhielt er nach glaubhaften Einlassungen in der mündlichen Verhandlung keine regelmäßigen Unterhaltszahlungen, sondern im Wesentlichen Unterstützung durch Sachmittel (Kost und Logis) sowie kleinere Beträge in Geld, wenn er bei ihr war. Im Bedarfszeitraum war dies nicht der Fall.

Auch über zu berücksichtigendes Vermögen verfügte der Kläger im Bedarfszeitraum nicht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung befragt zu seinen Besitzverhältnissen ausgesagt, dass er seinerzeit über ein Handy und einen gebrauchten Computer verfügt habe, die er jeweils geschenkt bekommen habe. Über weitere größere Vermögensverwerte habe er nicht verfügt. Dies ist angesichts der bescheidenen Lebensumstände des Klägers und seiner Mutter in L und angesichts der vom Kläger geschilderten Verdienste aus seiner Arbeit als Tagelöhner uneingeschränkt glaubhaft. Aus seinem Einkommen war der Aufbau eines relevanten Vermögens nicht möglich. Die vorhandenen Vermögensverwerte unterschreiten jedoch – wenn man sie nicht als nach § 90 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 5 SGB XII geschont ansehen wollte – zumindest den Wert des kleinen Barbetrags nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 31. März 2017 geltenden Fassung (a.F.) von damals 2.600,00 EUR erheblich.

Der Höhe nach kann der Kläger von der Beklagten allerdings nur die Übernahme von Kosten in Höhe von 92.701,07 EUR verlangen, weil ein Sozialhilfeanspruch nur für die Krankenhausbehandlung des Klägers im Klinikum der Beigeladenen für den Zeitraum zwischen dem 10. September 2013 und dem 14. November 2013 besteht.

Die Behandlungskosten, die die Beigeladene dem Kläger in Höhe von 101.128,44 EUR in Rechnung gestellt hat, sind zwischen den Beteiligten unstreitig und unter Beachtung der höchstrichterlichen Maßstäbe zur Überprüfung von DRG-Fallpauschalen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 8. November 2011 – B 1 KR 8/11 RBSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, juris Rn. 17 ff., 22) der Bedarfsbemessung zugrunde zu legen. Die Beigeladene hat diesen Betrag für die Behandlung des Klägers zwischen dem 4. September 2013 und dem 13. November 2013 in der A Klinik A im Wesentlichen auf Grundlage einer Fallpauschale nach der DRG W36Z (Intensivmedizinische Komplexbehandlung > 784/828 Aufwandspunkte bei Polytrauma oder Polytrauma mit Beatmung oder Kraniotomie mit endovaskulärer Implantation von Stent-Prothesen an der Aorta) abgerechnet, die nach dem Fallpauschalenkatalog 2013 ein Kostengewicht von 16,662 aufweist. Den Langliegerzuschlag hat die Beigeladene zutreffend mit dem Kostengewicht von 0,457 bemessen (vgl. Fallpauschalenkatalog 2013 S. 69/175). Diagnosen und Prozeduren, die die Fallpauschale W36Z ansteuern, sind angegeben und von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen worden. Die Rechnung ist schlüssig. Rechnerische Fehler sind nicht ersichtlich.

Ein Sozialhilfeanspruch besteht allerdings nicht für den gesamten Zeitraum der Unterbringung des Klägers im Klinikum der Beigeladenen, sondern nur für den Zeitraum ab 10. September 2013. Nach § 18 Abs. 1 SGB XII setzt die Sozialhilfe (erst) ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Für den Zeitraum der Behandlung vor der Kenntniserlangung käme hingegen nur ein originärer Leistungsanspruch der Beigeladenen als Nothelferin nach § 25 SGB XII in Betracht; ein entsprechendes Verfahren ist vor dem Sozialgericht Hamburg anhängig und ruht dort.

Als Tag der Kenntniserlangung ist der 10. September 2013 anzusehen, an dem sich die Beigeladene an die Stad H wandte und diese über den Hilfefall informierte (§ 18 Abs. 2 Satz 2 SGB XII). Die Aufteilung der Krankenbehandlungskosten bei DRG-Fallpauschalen zwischen dem Nothelferanspruch einerseits und dem originären Sozialhilfeanspruch andererseits erfolgt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jeweils in Abhängigkeit von der tatsächlich für die Fallpauschale in Anspruch genommenen Zahl der Krankenhaustage – pro rata temporis – (BSG, Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 19/12 RBSGE 114, 161 = SozR 4-5910 § 121 Nr 1, juris Rn. 29). Der Tag, an dem der Sozialhilfeträger Kenntnis erlangt, ist dabei nach Überzeugung des erkennenden Senats vor dem Hintergrund, dass der Tag für die Berechnung eines Sozialhilfeanspruchs die kleinste zeitliche Größe darstellt, vollständig dem originären Sozialhilfeanspruch zuzurechnen. Der Senat geht insoweit von einem Einvernehmen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG aus, dass diese Frage allerdings noch nicht dezidiert im Sinne eines abstrakten Rechtssatzes, sondern allenfalls implizit entschieden hat (vgl. BSG, Beschluss vom 1. März 2018 – B 8 SO 63/17 B – juris Rn. 8 im Nachgang zu LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Juni 2017 – L 9 SO 137/15 – juris Rn. 44; vgl. auch BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 8 SO 9/13 RBSGE 117, 261 = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, juris Rn. 15 f.).

Weil der Sozialhilfeanspruch damit nur den Zeitraum 10. September bis 14. November 2013 umfasst, während die Zeit vom 4. bis 9. September 2013 insoweit ausscheidet, ist die gesamte Rechnung des Krankenhauses taganteilig auf die jeweiligen Zeiträume zu verteilen. Dabei ist höchstrichterlich bisher ungeklärt, ob die Regelung des § 1 Abs. 7 Satz 2 Fallpauschalenvereinbarung (FPV) auch für diese sozialhilferechtliche Aufteilung anzuwenden ist. Nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FPV ist maßgeblich für die Ermittlung der Verweildauer die Zahl der Belegungstage. Belegungstage sind nach § 1 Abs. 7 Satz 2 FPV der Aufnahmetag sowie jeder weitere Tag des Krankenhausaufenthalts ohne den Verlegungs- oder Entlassungstag aus dem Krankenhaus; wird ein Patient oder eine Patientin am gleichen Tag aufgenommen und verlegt oder entlassen, gilt dieser Tag als Aufnahmetag. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird die Anwendung der Regelung des § 1 Abs. 7 FPV auch im sozialhilferechtlichen Kontext wohl überwiegend befürwortet mit der Folge, dass bei der Aufteilung der tatsächlichen Belegtage auf Nothelfer- und originären Sozialhilfeanspruch der Entlassungstag nicht mitgezählt wird (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 22. Juni 2017 – L 9 SO 137/15 – juris Rn. 52 und vom 25. November 2020 – L 12 SO 9/18 – juris Rn. 52; LSG Hamburg, Urteile vom 28. April 2022 – L 4 SO 30/21 – juris Rn. 50 und – L 4 SO 18/21 – juris Rn. 37).

Der Senat indes vermag sich dieser Sichtweise nicht anzuschließen. § 1 Abs. 7 Satz 2 FPV hat allein krankenhausvergütungsrechtliche Bedeutung für die Festsetzung von Ab- bzw. Zuschlägen bei Unterschreitung der unteren oder bei Überschreitung der oberen Grenzverweildauer. Die Übertragung dieser Regelung ins SGB XII würde hingegen ganz andere Folgen auslösen, nämlich bei rein fiktiver Verkürzung des Krankenhausaufenthalts die Erhöhung des tagesbezogenen Anteils an der Gesamtfallpauschale. Dies wäre angesichts des im sozialhilferechtlichen Kontext verfolgten Ziels, Nothelfer- und originären Sozialhilfeanspruch rechtssicher gegeneinander abzugrenzen, sachwidrig und würde auch dem im Sozialhilferecht geltenden Faktizitätsprinzip zuwiderlaufen. Der Senat legt daher seiner sozialhilferechtlichen Bewertung ungeachtet des § 1 Abs. 7 FPV – der vorliegend bei der Berechnung des Vergütungsanspruchs des Krankenhauses zutreffend zur Anwendung gekommen ist, weil der Langliegerzuschlag fiktiv nur bis zum 13. November 2013 berechnet wurde – den tatsächlich bis zum 14. November 2013 währenden Krankenhausaufenthalt zugrunde.

Ausgehend von einem Gesamtzeitraum der Krankenhausbehandlung von 72 Tagen (4. September bis 14. November 2013), von denen 66 Tage dem originären Sozialhilfeanspruch zuzurechnen sind, errechnet sich ein sozialhilferechtlicher Anspruch des Klägers auf Übernahme von Krankenhausbehandlungskosten von 101.128,44 EUR x 66/72 = 92.701,07 EUR.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Der Senat lässt die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Grundsätzliche Bedeutung misst er der Frage der Beschwer von beigeladenen Leistungserbringern außerhalb des Dreiecksverhältnisses nach §§ 75 ff. SGB XII a.F. zu. Auch die Frage, ob bei der zeitanteiligen Aufteilung der Fallpauschale auf den Nothelfer- und den originären Sozialhilfeanspruch die Regelung des § 1 Abs. 7 Satz 2 Fallpauschalenvereinbarung anzuwenden ist oder nicht, wird in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt und hat über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung. Schließlich ist die Frage, ob der Tag der Kenntniserlangung des Sozialhilfeträgers vollständig dem Sozialhilfeanspruch zuzurechnen ist, vom BSG noch nicht explizit, sondern lediglich implizit im Rahmen eines Beschlusses über die Nichtzulassung der Revision entschieden worden.

Rechtskraft
Aus
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