S 38 KA 5112/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 5112/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I. Es ist zwar systemfremd, aber rechtlich nicht zu beanstanden und mit § 81 Abs. 5 SGB V zu vereinbaren, wenn in der Disziplinarordnung (hier § 9 Abs. 1 Disziplinarordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns) dem Vorstand eine partielle Kompetenz (bei geringfügigen Pflichtverletzungen) neben dem Disziplinarausschuss zugewiesen wird. Vorstand und Disziplinarausschuss sind selbstständig und unabhängig.

II. Die Anrufung des Disziplinarausschusses nach vorausgegangener Entscheidung des Vorstands stellt kein Vorverfahren dar (vgl. § 81 Abs. 5 S. 4 SGB V i.Vm. § 78 Sozialgerichtsgesetz).

III. Das Verbot der reformatio in peius, wie dies grundsätzlich bei zweistufigen Verwaltungsverfahren angenommen wird, gilt für den Disziplinarausschuss nicht.

IV. Die Entscheidung, ob eine Disziplinarmaßnahme verhängt wird und wenn ja, welche, in welchem Umfang steht im Ermessen des Disziplinarausschusses (§ 1 DO).

V. Von stattgefundenen und abgeschlossenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen, weil rechtskräftig, geht eine Bindungswirkung im Sinne einer Feststellungswirkung aus (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2002, Az B 6 KA 20/07).

 

I. Der Bescheid des Disziplinarausschusses wird insoweit aufgehoben, als dieser verpflichtet wird, über den Antrag des Klägers nach § 9 II DO erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.


II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.


T a t b e s t a n d :

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Bescheid des
Disziplinarausschusses vom 28.06.2021. Gegen den Kläger, der als Zahnarzt und Fachzahnarzt für Oralchirurgie tätig ist, wurde vom Disziplinarausschuss eine Geldbuße in
Höhe von 7.500 € verhängt. Vorausgegangen war die Anregung der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens vom 29.01.2019. Dem
Kläger wurde Unwirtschaftlichkeit vorgeworfen. Die für die Quartale 3/12 - 3/16 vorgenommenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen, auf die sich der Disziplinarausschuss berief, führten zu einem Gesamtberichtigungsvolumen in Höhe von 78.024,71 €. Die hierzu ergangenen Bescheide wurden bestandskräftig. Für die nachfolgenden Quartale ab 4/16 gab es ebenfalls Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die jedoch noch nicht bestandskräftig sind. Zunächst erging eine Vorstandsentscheidung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns. Die dem Kläger vorgeworfene Verfehlung wurde als geringfügige Verletzung vertragsärztlicher Pflichten eingestuft und hierfür eine Geldbuße in Höhe von 5.000 €
verhängt. Dagegen legte der Kläger Einspruch nach § 9 Abs. 2 Disziplinarordnung (DO) ein. Der angerufene Disziplinarausschuss führte aus, er habe die bestandskräftigen Bescheide der Wirtschaftlichkeitsgremien zu berücksichtigen. Aufgrund der Bindungswirkung seien die bestandskräftigen Bescheide, betreffend die Quartale 3/12-3/16 der hiesigen Entscheidung zugrunde zu legen. Es habe eine Unwirtschaftlichkeit über 17 Quartale
hinweg bestanden. Der Kläger habe vorsätzlich und schuldhaft gehandelt. Eine Verjährung nach § 14 DO sei nicht eingetreten. Hinsichtlich der Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme wurde ausgeführt, die Geldbuße über 7.500 € sei tat- und schuldangemessen. Für den Kläger spreche, dass er bisher disziplinarisch noch nicht in Erscheinung getreten sei. Auf der anderen Seite handle es sich um eine relativ hohe Berichtigungssumme über einen langen Zeitraum. Soweit eingewandt werde, der Disziplinarausschuss habe eine Geldbuße über 7.500 € ausgesprochen, während nach der Vorstandsentscheidung zunächst lediglich eine solche über 5.000 € verhängt wurde, sei darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um keine Verböserung handle. Denn die Entscheidung des Disziplinarausschusses nach § 9 Abs. 2 DO sei eine eigene originäre Entscheidung.

Dagegen ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte Klage zum Sozialgericht München einlegen. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger Zahnarzt und Fachzahnarzt für Oralchirurgie sei und überwiegend auf Überweisung und Empfehlung von zahnärztlichen Kollegen tätig werde. Die Wirtschaftlichkeitsprüfungen seien vom Kläger zwar akzeptiert worden. Hintergrund hierfür sei aber, dass er damals nicht anwaltschaftlich vertreten gewesen sei und der Kläger die Widersprüche nicht für erfolgversprechend gehalten habe. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass das Disziplinarverfahren gegen den Kläger durch die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen eingeleitet wurde und zwar in personam P. (AOK), der seinerseits Mitglied des Prüfungsteams gewesen sei.

Die Entscheidung des Disziplinarausschusses sei ermessensfehlerhaft, da keine Bindungswirkung an Entscheidungen der Wirtschaftlichkeitsprüfungsgremien bestehe. Vielmehr habe der Ausschuss eigene Ermittlungen anzustellen. Es handle sich auch um ein Antragsverfahren des Vorstands. Die Vorstandsentscheidung sei daher als Einleitungsentscheidung im Sinne von § 4 Abs. 1 DO zu werten. Dies habe zur Folge, dass nicht über den Vorstandsbeschluss hinausgegangen werden könne, sowohl was die Einstufung als geringfügiger Verstoß, als auch die Höhe der Geldbuße nach § 9 Abs. 1 DO betreffe. Es wäre auch eine gesonderte Anhörung nötig gewesen.

Hierzu nahm die Beklagte in ihrer Replik Stellung. Sie betonte, von bestandskräftigen Entscheidungen der Wirtschaftlichkeitsprüfungsgremien gehe eine Feststellungswirkung aus. Dies hätten die Sozialgerichte, vor allem das Bundessozialgericht wiederholt zum Ausdruck gebracht. Es würden die allgemeinen Vorschriften gelten, zumal durch § 9 Abs. 2 S. 2 DO auf § 5 DO verwiesen werde. Ein weiterer Beschluss über die Einleitung des Verfahrens nach § 4 Abs. 1 DO sei nicht erforderlich. Der Kläger sei auch ausdrücklich darauf hingewiesen worden (vgl. Protokoll Seite 4), dass die Entscheidung des
Disziplinarausschusses durchaus zu einer höheren Geldbuße führen könne. Insofern sei er auch angehört worden. Die Einschränkung nach § 9 Abs. 1 DO greife nicht durch, da die Regelung in § 9 Abs. 2 DO nicht auf die Verhängung einer Geldbuße von 5.000 €
beschränkt sei.

Dem entgegnend betonte die Prozessbevollmächtigte des Klägers, eine Anhörung zur eventuellen Verbüßung sei nicht erfolgt. Es handle sich daher um einen Verstoß gegen § 24 Abs. 1 SGB X. Die Verböserung sei rechtswidrig. Der Kläger wende sich durch den Einspruch auch nicht gegen die Einstufung der Pflichtverletzung als geringfügige, sondern gegen den Vorwurf der Pflichtverletzung als Ganzes und gegen die Höhe der Geldbuße. Letztere dürfe nicht über 5.000 € erhöht werden. § 9 Abs. 2 DO sei eine reine Verfahrensregelung, was zur Folge habe, dass sich materiell an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 DO nichts ändere.

In der mündlichen Verhandlung am 28.09.2022 führte die Prozessbevollmächtigte aus, der Widerspruch des Klägers gegen die Entscheidung des Vorstandes habe dazu dienen sollen, über die Höhe der Geldbuße "nachzudenken". Dagegen sei nicht Ziel des Widerspruchs gewesen, dass eine Verböserung durch den Disziplinarausschuss stattfinde. Es gelte der Grundsatz der "reformatio in peius". Mit einer disziplinarischen Entscheidung solle nicht die rückwirkende Zeit beurteilt werden, sondern diese solle prognostisch dazu dienen, das beanstandete Verhalten aufzugeben.

Der Vertreter der Beklagten bezog sich auf § 81 Abs. 5 SGB V. Ergänzend müsse die Satzung der KZVB herangezogen werden. Nach § 17 der Satzung sei grundsätzlich der Disziplinarausschuss zuständig. Eine Verböserung sei grundsätzlich im Widerspruchsverfahren möglich. Es gehe darum, ob die Regelung in § 9 Abs. 2 S. 2 DO ein Widerspruchsverfahren darstelle. Es entscheide eine Institution, die originär per Gesetz zuständig sei.

Für die Prozessbevollmächtigte des Klägers stelle sich die Frage, ob es sich bei dem Disziplinarausschuss um eine Widerspruchsbehörde handle oder es sich um ein originär zuständiges Organ. Der Disziplinarausschuss sei ihres Erachtens keine Widerspruchsstelle. Jedenfalls hätte eine neue Anhörung stattfinden müssen.

In der mündlichen Verhandlung stellte die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag aus dem Schriftsatz vom 18.01.2022.

Der Vertreter der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 28.09.2022 verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und teilweise begründet.

Es liegt zunächst eine Entscheidung des Vorstandes der KZVB vor, nämlich über eine Geldbuße in Höhe von 5.000 € bei Einstufung der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten als geringfügig (§ 9 Abs. 1 DO). Dem folgte nach Einspruch die Entscheidung des Disziplinarausschusses über eine Geldbuße in Höhe von 7.500 €. Offenbar wurde die dem Kläger vorgeworfene Pflichtverletzung nicht mehr als geringfügig eingestuft; ansonsten hätte die Geldbuße 5.000 € nicht überschreiten dürfen.

Rechtsgrundlage ist die Disziplinarordnung (DO), die nach § 17 Abs. 4 S. 2 der Satzung der KZVB Bestandteil dieser Satzung ist. Danach kann neben dem Disziplinarausschuss bei geringfügigen Pflichtverletzungen (ohne mündliche Verhandlung) auch der Vorstand Maßnahmen, limitiert auf die Disziplinarmaßnahmen Verwarnung, Verweis und Geldbuße bis 5.000 €, aussprechen, nicht jedoch das Ruhen der Zulassung (§ 9 Abs. 1 DO). Welche Organe der KZVB Disziplinarmaßnahmen verhängen dürfen, ist § 81 Abs. 4 S. 2 SGB V nicht zu entnehmen. Insofern ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn in der Satzung bzw. der Disziplinarordnung der KZVB die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen partiell dem Vorstand überantwortet sind. Allerdings ist in § 17 Abs. 2, 4 der Satzung der KZVB im Zusammenhang mit der Ahndung von Pflichtverletzungen bei Verstößen gegen vertragsärztlicher Pflichten nur die Rede vom Disziplinarausschuss, nicht jedoch vom Vorstand. Nachdem aber die Disziplinarordnung Bestandteil der Satzung der KZVB ist (§ 17 Abs. 4 S. 2 der Satzung der KZVB), ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn in der Disziplinarordnung in § 9 Abs. 1 dem Vorstand eine partielle Kompetenz zugewiesen wird. Bei geringfügigen Pflichtverletzungen ist aber alternativ auch der Disziplinarausschuss zuständig, der dann aber ohne mündliche Verhandlung (§ 9 Abs. 1 DO), während ansonsten der Disziplinarausschuss in mündlicher Verhandlung (nicht-öffentlich) beschließt (Gleichstellung zwischen Disziplinarausschuss und Vorstand bei geringfügigen Pflichtverletzungen). Daraus resultiert die ausschließliche Zuständigkeit des Disziplinarausschusses bei nicht geringfügigen Pflichtverletzungen (§ 2 DO). Die Regelungen im Gesamtzusammenhang legen ist nahe, dass auch bei geringfügigen Pflichtverletzungen die Anrufung des Disziplinarausschusses nach Einspruch (§ 9 Abs. 2 DO) kein Vorverfahren darstellt. Vorstand und Ausschuss sind hier deshalb selbstständig und unabhängig. Außerdem wäre eine solche Annahme der Zweistufigkeit des Verwaltungsverfahrens nicht mit § 81 Abs. 5 S. 4 SGB V zu vereinbaren, wonach ein Vorverfahren (§ 78 Sozialgerichtsgesetz) nicht stattfindet. Der Satzungsgeber, die Vertreterversammlung der KZVB besitzt keine Befugnis, von der gesetzlichen Regelung des § 81 Abs. 4 S. 4 SGB V abweichend ein Vorverfahren einzuführen. Ein Einspruch nach § 9 Abs. 2 DO bewirkt somit, dass durch den Disziplinarausschuss eine Rechtmäßigkeitskontrolle der vorausgegangenen Entscheidung des Vorstandes nicht erfolgt. Die Wortwahl "Einspruch" ist deshalb für einen Einspruchsführer als irreführend anzusehen.

§ 9 Abs. 2 S. 2 DO verweist für den Fall des Einspruchs darauf, dass das Verfahren vor dem Disziplinarausschuss nach den allgemeinen Vorschriften durchgeführt wird. Hierzu gehört jedenfalls § 5 DO. Es handelt sich um allgemeine Verfahrensvorschriften. Fraglich ist, ob sich die Verweisung in § 9 Abs. 2 S. 2 DO auch auf § 4 DO (Einleitung des Verfahrens) bezieht. Dies hätte zur Folge, dass selbst für den Fall einer vorausgehenden
Entscheidung des Vorstandes nach § 9 Abs. 1 DO der Vorstand erneut das Disziplinarverfahren einleiten müsste. Vom Wortlaut der Verweisung wäre dies nach Auffassung des Gerichts gedeckt; aber auch im Hinblick darauf, dass es sich um ein separates Verfahren vor dem Disziplinarausschuss handelt, in dem von der ursprünglichen Einstufung der dem Kläger vorgeworfene Pflichtverletzung als geringfügig abgewichen werden kann. Dafür spricht außerdem, dass in § 4 Abs. 2 DO Äußerungsfristen vorgesehen sind. Andererseits hat der Vorstand bereits über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens entschieden, nämlich dadurch, dass die Einleitung vor oder mit der Entscheidung des Vorstandes ausdrücklich oder konkludent erfolgt ist, sodass eine erneute Einleitung nach § 4 Abs. 1 S. 1 DO an sich obsolet erscheint. Insofern neigt das Gericht der Auffassung zu, dass in diesem Fall eine erneute Einleitung des Verfahrens nicht erforderlich ist. Im Übrigen wird mit der Einleitung des Disziplinarverfahrens durch den Vorstand (§ 3 DO), auch wenn der Vorstand vorab in eigener Zuständigkeit eine Disziplinarmaßnahme ausgesprochen hat, für den Disziplinarausschuss nicht verbindlich festgelegt, dass die Pflichtverletzung als geringfügig oder nicht geringfügig anzusehen ist.

Unabhängig davon ist nicht zu übersehen, dass die Regelungen in der Disziplinarordnung (§ 9 Abs. 2 DO mit Verweisung auf die allgemeinen Vorschriften) in mehrfacher Hinsicht unklar sind und insofern eine Korrektur angezeigt erscheint. Die Zuweisung von Disziplinarmaßnahmen auf den Vorstand einerseits und den Disziplinarausschuss andererseits ist zwar grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden, jedoch systemfremd. Es mag sinnvoll sein, auch zur Entlastung des Disziplinarausschusses, dass der Vorstand eingebunden wird. Allerdings liegt es auf der Hand, dass diese Regelungen rechtliche Probleme nach sich ziehen (vgl. Oben). Die Besetzung des Ausschusses mit zwei Zahnärzten und einem Juristen mit der Befähigung zum Richteramt (§ 3 Abs. 1 DO) verbunden mit der Forderung, dass die Mitglieder des Disziplinarausschusses nicht in einem ständigen Dienstverhältnis zu der KZVB stehen dürfen, deutet darauf hin, dass dem Satzungsgeber gerade in diesem Bereich an einer möglichst hohen Neutralität gelegen ist. Es darf kritisch hinterfragt werden, ob der Vorstand der KZVB aufgrund seiner Funktion diese Objektivität in gleichem Maße erfüllen kann. So muss in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass es im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (§ 18 der Satzung der KVB) eine solche Zweigleisigkeit (Befugnis zur Verhängung von Disziplinarmaßnahmen für Vorstand der KZVB und Disziplinarausschuss) nicht gibt. Ausschließlich zuständig für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen im Bereich des Vertragsarztrechts ist der Disziplinarausschuss. Um eine solche Systemfremdheit im Bereich des Vertragszahnarztrechts zu vermeiden, würde es naheliegen, bei einer Überarbeitung der Disziplinarordnung darauf zu verzichten, dem Vorstand eine partielle Zuständigkeit bei Disziplinarangelegenheiten zu überantworten. Alternativ wäre zu erwägen, diese Regelungen eindeutiger zu fassen, so zum Beispiel insbesondere zum Ausdruck zu bringen, dass es sich um kein Widerspruchsverfahren beim Übergang von der Vorstandsentscheidung zum Disziplinarausschuss nach Einspruchseinlegung handelt, dass eine Verböserung gegenüber der Entscheidung des Vorstands möglich ist und dem von dem Disziplinarverfahren betroffenen Vertragszahnarzt nochmals vorab die Gelegenheit auch zu schriftlichen, erweiterten Äußerung und Anhörung zu geben.

Da das Verfahren vor dem Disziplinarausschuss auch nach vorangegangener Entscheidung des Vorstandes nach Einspruch (§ 9 Abs. 2 DO) als separat anzusehen ist, unabhängig von der Entscheidung des Vorstandes, handelt es sich um keine reformatio in peius. Somit gilt das Verbot der reformatio in peius, wie dies grundsätzlich bei zweistufigen Verwaltungsverfahren angenommen wird, nicht. Der Disziplinarausschuss konnte daher sowohl hinsichtlich der Art der Disziplinarmaßnahme als auch hinsichtlich der Höhe der Disziplinarmaßnahme von der Entscheidung des Vorstandes abweichen.

Voraussetzung ist jedoch im Hinblick auf die Systemfremdheit der Regelungen, die bestehenden Unklarheiten umso mehr, dass der von der Disziplinarmaßnahme Betroffene angehört wird und Gelegenheit erhält, sich hierzu nicht erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarausschuss zu äußern. Findet eine solche Anhörung nicht statt, hat dies auch Auswirkungen auf die Begründung des Bescheides und zieht möglicherweise ein Begründungsdefizit nach § 35 SGB X nach sich. Zu begründen wäre auch, vor allem, wenn sich der Disziplinarausschuss tatbestandlich auf die Entscheidung des Vorstandes beruft, weshalb nunmehr von einer nicht mehr geringfügigen Pflichtverletzung ausgegangen wird. Eine solche ausreichende Auseinandersetzung hat nicht stattgefunden. Insofern liegen ein Anhörungsfehler nach § 24 SGB X und ein Verstoß gegen die Begründungspflicht vor (§ 35 SGB X).

In der Sache selbst weist das Gericht darauf hin, dass die Frage, ob eine Disziplinarmaßnahme verhängt wird und wenn ja, welche, in welchem Umfang im Ermessen des Disziplinarausschusses steht (§ 1 DO). Dies hat zur Folge, dass die gerichtliche Überprüfung eingeschränkt ist und nur bei Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch die Rechtswidrigkeit des Disziplinarbescheides festgestellt werden kann. Im Vordergrund der Überprüfung steht, ob die Behörde von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich hat von sachgerechten Erwägungen leiten lassen (BSG, Urteil vom 06.11.2002, Az B 6 KA 9/02 R). Ohne der nochmaligen Befassung durch den Beklagten vorgreifen zu wollen, erscheint es angesichts der vorausgegangenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen und den hierzu ergangenen bestandskräftigen Bescheiden nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte als tat-und schuldangemessenes, geeignetes Disziplinarmittel eine Geldbuße verhängt. Der Rahmen der Geldbuße reicht nach § 81 Abs. 5 S. 3 SGB V bis 50.000 €. Dies bedeutet, dass sich sowohl die Geldbuße in Höhe von 5.000 €, als auch die Geldbuße in Höhe von 7.500 € im unteren Bereich des möglichen Rahmens befinden.

In diesem Zusammenhang ist maßgeblich, ob von den stattgefundenen und abgeschlossenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen, weil rechtskräftig, eine Bindungswirkung im Sinne einer Feststellungswirkung ausgeht. Unter Hinweis auf die ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2002, Az B 6 KA 20/07) ist dies zu bejahen. Insofern ist eine eigene Prüfung durch den Disziplinarausschuss obsolet und nicht möglich. Die von der Klägerseite vorgetragenen Gesichtspunkte, der Kläger sei damals anwaltschaftlich nicht vertreten gewesen und er sei von keinerlei Erfolgsaussichten ausgegangen, weshalb letztendlich die Bescheide über die Wirtschaftlichkeitsprüfung bestandskräftig wurden, führen nicht dazu, die Bindungswirkung der bestandskräftigen Bescheide über die Wirtschaftlichkeitsprüfungen aufzuheben. Allenfalls könnten diese Gesichtspunkte eine Rolle bei der Höhe der ausgesprochenen Geldbuße spielen.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte unter Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 18.01.2022 mehrere Anträge. Diesen war jedoch nur zum Teil stattzugeben, weshalb das Gericht eine jeweils hälftige Kostentragung für angemessen hielt (§ 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO).
 

 

 

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