L 1 SB 312/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 22 SB 642/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 SB 312/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 1/22 B
Datum
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 02.10.2018 geändert.

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 02.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 und Klageabweisung im Übrigen verpflichtet, einen Gesamt-GdB von 30 seit dem 22.02.2013 festzustellen.
 

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des beim Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Der 1977 in Kasachstan geborene Kläger ist gelernter Elektromechaniker. 1996 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Er ist verheiratet und hat vier Kinder, mit denen er ein im Eigentum seines Schwiegervaters (Herrn H, im Folgenden: H) stehendes Haus bewohnt. Als Produktionshelfer und Lagerist arbeitet er in Vollzeit im Zwei-Schicht-System bei der Firma U in A. Der Kläger leidet an einer mit einer Hepatitis-B-Erkrankung in Zusammenhang stehenden Leistungsschwäche, die sich u.a. in schneller Erschöpfbarkeit und Herzrasen, Schweißausbrüchen, Zittern und Übelkeit bei Belastung äußert. Ein Antigen-Nachweis der Leber-Virus-Infektion erfolgte im Februar 2001.

Am 22.02.2013 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Feststellung einer Behinderung wegen „chronischer Hepatitis B und Leistungsschwäche mit Schweißausbrüchen und Erbrechen“.

Der Beklagte zog Befundberichte bei und beauftragte eine versorgungsmedizinische Stellungnahme. Auf dieser Grundlage stellte er mit Bescheid vom 02.05.2013 anknüpfend an die aus der chronischen Hepatitis B resultierenden Beeinträchtigungen einen GdB von 20 fest.

Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger vor, sein behandelnder Hausarzt - der Internist Herr B - bestätige eine höher zu bewertende Hepatitis im Stadium entzündlicher Aktivität (vgl. Attest vom 28.02.2013).

Der Beklagte holte darauf weitere Befundberichte ein: Der Allgemeinmediziner Dr. T bescheinigte (mit Attest vom 27.02.2021), dass bei dem Kläger seit seinem 14. Lebensjahr jede körperliche Anstrengung eine Reaktion mit Übelkeit und Erbrechen, Zittern und Kollaps hervorrufe. Ursache hierfür sei eine inadäquate Laktatbildung, die rasch zur Azidose führe und vermutlich auf die Lebererkrankung zurückzuführen sei. Der Kardiologe Dr. G schloss mit Schreiben vom 03.12.2013 eine kardiale Ursache der geklagten Symptome Herzrasen, Übelkeit und Schwäche aus; in der Ergometrie sei der Kläger bis 150 W normal belastbar. Der Arzt B gab zugleich (mit Bericht vom 17.02.2014) an, der Kläger lehne eine weitere Diagnostik und eine Hepatitis-Therapie sowie eine Mitbehandlung in der hepatologischen Ambulanz ab. Die Sonographie des Abdomens (vom 10.02.2014) habe einen unspezifischen Leberparenchymschaden bei bekannter chronischer Hepatitis B ergeben.

Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2014 als unbegründet zurück. Aus den zusätzlich beigezogenen Krankenunterlagen lasse sich keine abweichende Beurteilung rechtfertigen.

Mit seiner hiergegen am 23.05.2014 vor dem Sozialgericht Detmold erhobenen Klage hat der Kläger sein Anliegen weiter verfolgt. Er hat geltend gemacht, seine Leistungsschwäche sei mit einem Einzel-GdB von 60 und die aus seiner Sicht nachgewiesene entzündlich aktive Hepatitis mit einem GdB von 30 zu bemessen. Ergänzend hat er auf eine selbst verfasste Zusammenstellung leberspezifischer Messwerte Bezug genommen. Eine Überweisung an einen Kardiologen mache keinen Sinn. Es sei nachgewiesen, dass seine Leistungsschwäche gerade nicht auf eine Herz-Kreislaufsymptomatik, sondern allein auf eine inadäquate Laktatbildung (Laktatazidose) zurückzuführen sei. Eine antivirale Behandlung komme für ihn nicht in Betracht, weil diese die Azidose und damit die Leistungsschwäche verstärken könne. Es bestehe eine familiäre Disposition für hyperhidroses Erbrechen bei körperlicher Belastung. Auch sei er bereits in der Schule vom Sportunterricht befreit und bei der Musterung für den Wehrdienst als untauglich eingestuft worden.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

den Bescheid vom 02.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm für die Zeit ab Antragstellung (22.02.2013) einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.  

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig ergangen. Für die vom Kläger geltend gemachte höhere Einstufung fände sich kein Anhalt. Die behauptete entzündliche Aktivität sei nicht durch Serumwerte im Verlauf belegt.

Das Sozialgericht hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten des Klägers eingeholt. Der Internist B hat dem Kläger erneut (mit Schreiben vom 18.02.2015) eine chronische Hepatitis B bescheinigt. Der Kardiologe Dr. G hat (mit Schreiben vom 10.02.2015) unter Verweis auf die 2013 durchgeführte Belastbarkeitsprüfung bestätigt, dass der Kläger über eine normale Herzfunktion verfüge.

Ferner hat das Sozialgericht Beweis erhoben zum Grad der Behinderung des Klägers durch Einholen eines internistischen Sachverständigengutachtens des Dr. E unter Berücksichtigung eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens des Dr. S.

In dem aufgrund Untersuchung vom 05.12.2016 gefertigten Zusatzgutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vom 19.01.2017 wird der Kläger u.a. wie folgt zitiert, „Andere Leute könnten vielleicht 1 km laufen, andere 5 km bevor ihnen schlecht würde, bei ihm seien es halt 100 m . […] Mit 13 sei es dann intensiver geworden, da sei die Symptomatik zum ersten Mal aufgetreten. Es trete nicht nur beim Sport auf, zum Beispiel auch bei der Arbeit, wenn er 20 Päckchen Laminat packen müsse, dann merke er auch, dass es nach oben steige, er Herzklopfen bekomme, zittere und dass ihm übel werde. Sport im eigentlichen Sinne sei nicht möglich, es würden schon 10 Kniebeugen reichen und dann beginne die Symptomatik. Langsames Spazierengehen, vielleicht auch mit Pausen, das sei möglich, auch über ein, zwei Stunden, es müsse allerdings eben sei. […] Schwimmen gehe nicht. Fahrrad fahren, das gehe nur langsam und keine langen Strecken, wenn es eben sei. […] Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Lagerist sei es so, dass er dort körperlich nicht schwerer arbeiten müsse. Er schneide dort Teppiche, das sei nicht sehr anstrengend, das schaffe er vom Körperlichen her.“ Dr. S hat ergänzend beschrieben, dass der Kläger nach eigenem Bekunden in den letzten Jahren keine längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten gehabt habe, allenfalls einmal zwei Tage wegen Erkältungsbeschwerden oder Fieber. Zuletzt sei er 2013 nach einem Zehenbruch länger erkrankt. Einen Rentenantrag habe er bisher nicht gestellt. Im Rahmen der Untersuchung habe der Kläger eine Wegstrecke von 536,1 Metern in 6 Minuten zurückgelegt (sog. 6-Minuten-Gehtest). Nach 1 Min. und 10 Sek. habe er angegeben, dass sein Herz anfange beschleunigt zu schlagen. Nach 2 Min. und 35 Sek. habe sich gezeigt, dass die Atmung schneller geworden sei und die Hände hätten zu zittern begonnen. Nach weiteren 4 Min. habe sich ein Zittern „im körperlichen und sprachlichen Bereich“ gezeigt. Zusammenfassend hat Dr. S die Diagnose einer verminderten körperlichen Belastbarkeit bei höherer Belastungsstufe unklarer Genese gestellt. Letztlich sei festzuhalten, dass im Rahmen des gutachterlichen Kontexts eine diagnostische Klärung nicht möglich sei. Unter Berücksichtigung der Angabe einer familiären Häufung sei sicher auch eine „seltene Stoffwechselstörung oder Muskelerkrankung“ in Betracht zu ziehen, was nur interdisziplinär und auf Universitätsniveau zu klären sei. Alternativ sei auch eine „sekundäre Neurotisierung“ denkbar, wobei hier die Vermeidung von körperlichen Aktivitäten und Sport seit der Jugend primär zu einer Dekonditionierung mit ängstlicher Beobachtung der Körperfunktion geführt habe. Die testpsychologische Untersuchung könne als Hinweis darauf dienen. Die Schwere der Störung sei schwierig zu bemessen, zumal sie im Wesentlichen erst unter Belastung auftrete. Am Ehesten sei der Vergleich mit einer leichteren psychovegetativen oder psychischen Störung nach 3.7 der Versorgungsmedizinischen Verordnung (VersMedV) zu ziehen. Mit Blick auf die feststellbaren Teilhabebeeinträchtigungen halte er einen Einzel-GdB im oberen Bereich der Spanne von 20 für angemessen.

Der Internist Dr. E hat am 07.02.2017 aufgrund Untersuchung vom 15.09.2016 unter Mitwirkung des Internisten Dr. R ein Gutachten erstellt. Dr. E hat das Gutachten nach der Schlussformel, „Einverstanden aufgrund eigener Anschauung und Urteilsbildung“, persönlich unterzeichnet. Der Kläger verfüge über ein leicht erhöhtes kardiovaskuläres Risikoprofil, da er zu Herzrhythmusstörungen bei auffälligen Spätpotentialen neige. Er habe einer stufenweisen Belastung bis 75 Watt standgehalten. Diese Limitierung sei mit einem Belastungshypertonus (von 135/85 mmHg auf 210/100 mmHg) und vegetativer Begleitsymptomatik (Muskelzittern, Übelkeit und epigastrischem Druckgefühl) einhergegangen. Bei der Kardiographie und Dopplerkardiographie sowie Carotissonographie sei weder eine Stenosierung, noch eine Klappeninsuffizienz oder eine sonstige Auffälligkeit feststellbar gewesen. Auf internistischem Fachgebiet sei von folgenden Diagnosen auszugehen: Lebervirus B Infektion (enzymatisch nicht aktiv); funktionelle Herz- und Kreislaufstörung mit Neigung zu schnellem Herzschlag und Herzklopfen, Blutdruckschwankungen und Schwindelerscheinungen ohne Anhalt für strukturelle Herzerkrankung; Harnsäurestoffwechselstörung (Hyperurikämie ohne Organbeteiligung sowie eine angegebene Überempfindlichkeitsreaktion (Pollenallergie). Leitsymptome der vom Kläger vorgetragenen Beschwerdesymptomatik seien schwerpunktmäßig der Reihe nach: körperliche und seelische Minderbelastbarkeit; Übelkeit, Erbrechen; Herzrasen; Kreislaufstörungen; Schweißausbrüche; schnelle Erschöpfung; Muskelschwäche mit Muskelzittern; Stimmungsschwankungen; Schlafstörungen; Tagesmüdigkeit. In der Gesamtbewertung rechtfertige die Lebervirus-B-Infektion ohne klinisch entzündliche Aktivität einen GdB von 20 (VersMedV, 12/08, Ziff. 10.3., S. 57 ff.). In der laborchemischen Untersuchung hätten sich zum Begutachtungszeitpunkt alle Werte die Leber betreffend im Normbereich bewegt ohne Hinweis auf klinisch entzündliche Aktivität. Die Ultraschalldarstellung sei ohne Zeichen einer Veränderung des Funktionsgewebes geblieben. Da keine histopathologischen Befunde hinsichtlich einer nekroinflammatorischen Aktivität (Grading) und zum Grad der Fibrose (Staging) vorlägen, müsse man sich für die Beurteilung des GdB an der klinisch entzündlichen Aktivität orientieren. Eine solche lasse sich indes ohne entzündliche Mesenchymreaktion und ohne Erhöhung der für eine Hepatitis typischen Leberparameter gerade nicht feststellen. Darüber hinaus sei aufgrund der im Rahmen der Untersuchung festgestellten unverhältnismäßig hohen Blutdrucksituationen bereits bei geringen Belastungen von einem labilen Bluthochdruck auszugehen, der als Herz- und Kreislauffunktionsstörung mit einem Einzel-GdB von 10 (VersMedV 12/08, Teil B: Ziff. 9.1., S. 46, Ziff. 9.3., S. 51) zu bewerten sei. Die sonstigen internistischen Diagnosen seien ohne Relevanz, da sie keinen Einzel-GdB von 10 rechtfertigten. Unter ergänzender Berücksichtigung der von Dr. S auf seinem Fachgebiet beschriebenen körperlichen Leistungsminderung mit psychosomatischen Störungen und der von ihm vorgenommenen Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20, ergebe sich ein Gesamt-GdB von 30 (schwach) ab Februar 2013.

Der Kläger ist dem Ergebnis der Begutachtung (u.a. mit Schriftsatz vom 19.04.2017) entgegengetreten: Bei einer chronischen Hepatitis-B-Infektion könnten die Transaminasen leicht erhöht sein, häufig seien sie aber völlig normal. Die Blutwerte ließen jedenfalls keinen Rückschluss auf die Viruslast der betroffenen Person zu. Entsprechend habe sein behandelnder Internist B auch eine entzündliche Verlaufsform beschrieben und eine Hepatitis-Therapie für angeraten gehalten. Auch Dr. E spreche in dem an das Gericht adressierten Schreiben vom 15.09.2016, in dem er die neurologisch-psychiatrische Zusatzbegutachtung anregt, von einer enzymatisch aktiven Leberentzündung. Er leide unter Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen, wegen der Ansteckungsgefahr für andere könne er zudem nicht in allen Arbeitsbereichen eingesetzt werden und müsse hygienische Maßnahmen einhalten. Faktisch habe er im Übrigen auch die Belastungsstufe 75 W bei Dr. R nicht erreicht, da diese nach 0,5 Minuten habe abgebrochen werden müssen und damit im Rahmen von Ziffer 9.1.1. Nr. 2 und 3 VersMedV, die auf eine Einschaltdauer von 2 Minuten abstelle, nicht relevant sei. Effektiv sei er maximal bis 50 W belastbar. Vor diesem Hintergrund sei ein Einzel-GdB von 70 allein aufgrund der bestehenden Leistungsschwäche zu berücksichtigen (Ziffer 9.1.1. Nr. 3 VersMedV); für die bestehende Hämochromatose sei ein weiterer Einzel-GdB von 10-20 (Ziffer 16 VersMedV) in Ansatz zu bringen; die psychosomatische Störung rechtfertige entsprechend der Begutachtung von Dr. S einen Einzel-GdB von 20 (Ziffer 3.7 VersMedV); die chronische Hepatitis B sei schließlich wegen entzündlicher Aktivität mit einem Einzel-GdB von 30 zu veranschlagen (Ziffer 10.3.1. VersMedV).

Der Beklagte hat sich durch das Ergebnis der Begutachtung nicht veranlasst gesehen, von seiner Einschätzung abzurücken. Er hat auf die sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. Knoop vom 14.03.2017 Bezug genommen. Dieser hat ausgeführt, die bestehende Lebererkrankung sei labortechnisch nunmehr wiederholt nachgewiesen nicht entzündlich und damit mit einem Einzel-GdB von 20 angemessen bewertet. Eine kardiologische Grunderkrankung sei nicht feststellbar, zudem sei auch keine relevante Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit erkennbar. Aus dem gleichen Grunde rechtfertige auch die geringgradige Somatisierungsneigung keinen höheren Einzel-GdB als 10.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28.05.2017 hat Dr. S erläutert, dass es häufiger Diagnosen (wie etwa das Fibromyalgiesyndrom oder das Chronic-Fatigue-Syndrom) gebe, die kaum sicher feststellbar seien und vielfach in Zweifel gezogen würden, aber dennoch in der VersMedV anhand der funktionellen Auswirkungen Berücksichtigung fänden. Insofern sei es ein Leichtes, die realistische Verdachtsdiagnose einer psychosomatischen Störung in ein (so weit möglich gesichertes) Erschöpfungssyndrom umzubenennen. An seiner Gesamtbeurteilung ändere dies nichts.

Dr. E hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.11.2017 ausgeführt, dass die wiederholt und in aller Ausführlichkeit vorgetragenen Einwendungen des Klägers zu keiner abweichenden sozialmedizinischen Einschätzung führten.

Das Sozialgericht hat am 06.03.2018 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Der Kläger hat in diesem Termin einen auf den 01.02.2018 datierenden Befund des Herz- und Diabeteszentrums NRW (im Folgenden: HDZ NRW) zu den Akten gereicht. Die mündliche Verhandlung ist vertagt worden. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. 

Durch Beschluss vom 13.03.2018 hat das Sozialgericht den H als Bevollmächtigten des Klägers unanfechtbar zurückgewiesen. Er gehöre keiner der in § 73 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten vertretungsberechtigten Personengruppen an.

Der Kläger hat den Sachverständigen Dr. E (mit Schriftsatz vom 21.03.2018) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der Sachverständige sei weder Facharzt der Kardiologie noch der Hepatologie und damit nicht qualifiziert gewesen, über die Ursache seiner Leistungsminderung zu befinden. Der Antrag ist durch Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 22.03.2018 rechtskräftig zurückgewiesen worden.

In seiner weiteren ergänzenden Stellungnahme (vom 19.03.2018) hat Dr. E aufgezeigt, dass die SpiroErgometrie-Tabelle des HDZ NRW vom 01.02.2018 medizinisch nicht aussagekräftig sei. Die Belastung sei nicht wegen Kreislaufproblemen oder aus kardialer Ursache, sondern wegen unspezifischer Beschwerden in den Beinen ("Bleigefühl“) abgebrochen worden.     

Der Kläger hat (u.a. mit Schriftsatz vom 21.05.2018) entgegnet, das Gutachten des Dr. E sei auch bereits deshalb nicht verwertbar, weil nicht er als allein beauftragter Arzt, sondern stattdessen Dr. R ohne Kenntnis des Sozialgerichts die Untersuchung durchgeführt habe. Obwohl dem Sozialgericht bekannt gewesen sei, dass eine Herz- und/oder Kreislauferkrankung vorliege, sei kein Kardiologe oder Hepatologe beauftragt worden. Die Bewertung der Hepatitis-Erkrankung durch Dr. E widerspreche dem anerkannten Stand der Medizin und den Grundsätzen der VersMedV. Sie richte sich insbesondere nach dem Virustyp. Dieser sei nie bestimmt worden. Eine Einstufung nach den Transaminasen sei von der VersMedV nicht gedeckt.

Das Gesuch des Klägers, den zuständigen Vorsitzenden der erkennenden erstinstanzlichen Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist durch Beschluss des Sozialgerichts vom 21.06.2018 (Aktenzeichen S 8 SF 63/18 AB) zurückgewiesen worden.

Sein weiterer Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 21.06.2018 ist durch Beschluss vom 24.07.2018 (zum selben Aktenzeichen) abgelehnt worden.

Das Ersuchen des Klägers, den H als Beistand zu bestätigen, hat das Sozialgericht durch Beschluss vom 17.09.2018 zurückgewiesen.

Durch Urteil vom 02.10.2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei aufgrund der festgestellten Hepatitis B ein Einzel-GdB von 20 und aufgrund der psychosomatischen Störung ein weiterer von 10 in Ansatz zu bringen. Insgesamt sei der Beklagte damit zutreffend von einem Gesamt-GdB von 20 ausgegangen. Dr. E habe nachvollziehbar dokumentiert, dass die Lebererkrankung keine Anzeichen für eine entzündliche Aktivität aufweise. Nicht zu folgen vermöge die Kammer der Einschätzung des Zusatzgutachters Dr. S im Hinblick auf die Bewertung der festgestellten Leistungsschwäche mit einem Einzel-GdB von 20. Eine verminderte Leistungsfähigkeit sei nicht zu objektivieren, psychische Beschwerden würden vom Kläger nicht einmal geklagt. Für eine leichte psychosomatische Störung lasse sich allenfalls ein Einzel-GdB von 10 berücksichtigen. Dieser erhöhe den führenden Einzel-GdB nach allgemeinen Grundsätzen jedoch nicht.

Gegen das Urteil hat der Kläger am 15.10.2018 (mit von ihm persönlich unterzeichnetem Schriftsatz) Berufung eingelegt. Im Wissen um das zu erwartende Urteil einschließlich Begründung habe er bereits deutlich vor der Verhandlung die Berufungsschrift vollständig gewertet. Das Verfahren ist zunächst beim 10. Senat unter dem Aktenzeichen L 10 SB 312/18 anhängig gewesen.

Im Einzelnen macht der Kläger geltend: (1) Wegen seiner Leistungsschwäche aufgrund einer Herz-/Kreislauferkrankung stehe ihm ein Einzel-GdB von 50 bis 70 zu. Anhand der von einem Kardiologen begleiteten Prüfung des HDZ NRW vom 01.02.2018 werde deutlich, dass er die Leistungsstufe von 50 W nicht mehr erreiche. Bei der Belastungsuntersuchung durch Dr. R sei dagegen die durch die VersMedV vorgegebene Mindestzeit von 2 Minuten nicht eingehalten worden. Dr. E und Dr. R hätten mit den Termini „Dyscardi, Palpitation und labile Hypertonie“ eine angemessene Würdigung vereitelt. Tatsächlich belegten die Messwerte eine schwerwiegende Herz-Kreislauferkrankung. (2) Seine Lebererkrankung sei wegen der durch den Arzt B (v.a. Attest vom 28.02.2013) bestätigten entzündlichen Aktivität mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. (3) Für die von Dr. S festgestellte psychische Störung sei ein Einzel-GdB von 20 angemessen. (4) Schließlich sei die bestehende Hämochromatose mit einem Einzel-GdB vn 20 zu bewerten (vgl. Untersuchung der Ärzte-Arbeitsgemeinschaft vom 15.09.2016: Ferritin 358 ng/ml).

Unabhängig davon sei das Gutachten von Dr. E nicht zu verwenden, da nicht er als namentlich benannter Arzt, sondern Dr. R die Untersuchung durchgeführt und das Gutachten unterschrieben habe. Diese Übertragung widerspreche § 407 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO). Offensichtlich seien die Sachverständigen auch nicht über ihre Rechte und Pflichten unterrichtet worden Im Hinblick auf seine Lebererkrankung seien die Ausführungen ohnedies als Kompetenzüberschreitung zu bewerten und daher ohne Relevanz.

Zu klären sei unabhängig davon, ob Dr. E und Dr. R überhaupt qualifiziert gewesen sein, kardiologische und hepatologische Gutachten zu erstellen. Zu prüfen sei desweiteren, ob Dr. E in seinem Schreiben vom 15.09.2016 eine qualifizierte Aussage zu seiner Lebererkrankung gemacht habe, da ihm die Ergebnisse der Blutuntersuchung zu diesem Zeitpunkt noch nicht hätten vorliegen können. Schließlich sei zu klären, ob Dr. R die VersMedV gemessen an der Auslegungshilfe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zur versorgungsmedizinischen Bewertung von Lebererkrankungen, sowie an wissenschaftlichen Veröffentlichungen von im Einzelnen benannten Fachmedizinern sachwidrig angewandt habe. Eine erneute Untersuchung sei dagegen aus seiner Sicht nicht erforderlich. Wenn ein Sachverständiger beauftragt werde, bevorzuge er den namhaften Kardiologe Dr. F. Im Übrigen begehre er eine Bewertung der Krankheitsbilder auf Basis der aufgezeigten belastbaren Befunde und die Zulassung des H als Beistand.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 02.10.2018 zu ändern und gemäß dem Klageantrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er sieht sich durch das erstinstanzliche Urteil und das Ergebnis der Beweisaufnahme in seiner Auffassung bestätigt. Der Berufungssachvortrag des Klägers führe zu keiner abweichenden Beurteilung. Die behauptete Herz-Kreislauferkrankung sei gerade nicht medizinisch objektivierbar. Dr. E habe im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme überzeugend herausgearbeitet, dass die Unterlagen des HDZ vom 01.02.2018 einen Einzel-GdB von 50 bis 70 nicht zu stützen vermochten.

Der 10. Senat hat dem Kläger (mit Verfügung vom 24.10.2018) mitgeteilt, dass der H als Schwiegervater des Klägers im Falle einer unentgeltlichen Tätigkeit für ihn (nach § 73 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGG) vertretungsbefugt sei. Der Kläger hat die Unentgeltlichkeit versichert und die familiäre Verbindung entsprechend glaubhaft gemacht.

Mit Wirkung zum 01.01.2019 ist das Verfahren auf den erkennenden Senat übergegangen und wird seither unter dem Aktenzeichen L 1 SB 312/18 geführt.

Der Senat hat Beweis erhoben zum Grad der Behinderung des Klägers durch Einholen eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Innere Medizin und Kardiologie Dr. V. Dieser hat in seinem Gutachten vom 30.08.2019 aufgrund Untersuchung vom 19.08.2019 bei der Ultraschalluntersuchung des Herzens und den durchgeführten Kardiographien (u.a. Doppler- und Echo) bzw. dem Kardiogramm einen unauffälligen Befund erhoben. Das Ruhe-EKG hat er infolge eines schnellen Herzrhythmus (Frequenz: 114 Schläge pro Minute) als pathologisch eingestuft. Darüber hinaus sei die Durchführung eines Belastungs-EKG wegen schnellen Herzschlages in Ruhe verbunden mit Schwindel, Kopfschmerzen und Einschränkung der Leistungsfähigkeit nicht möglich gewesen. Insgesamt hat der Sachverständige die folgenden Diagnosen gestellt: (1) Langwierige Leberentzündung (Hepatitis B) ohne klinisch-entzündliche Aktivität (B18.19), (2) schneller Herzschlag in Ruhe unklarer Ursache mit Leistungsbeeinträchtigung bei leichter körperlicher Belastung (R00.0), (3) Pollenallergie ohne Überempfindlichkeit der Atemwege und ohne dauernde Einschränkung der Lungenfunktion (J31.0), (4) Harnsäurestoffwechselstörung ohne Beteiligung innerer Organe.

Teilhabeeinschränkungen begründeten sich hieraus wie folgt: Die Leberwerte GPT, GOT, Gamma-GT und G-LDH lägen im Normbereich; auch die allgemeinen Entzündungswerte (BKS und CRP) seien völlig unauffällig. Insgesamt sei daher von einer lange bestehenden (chronischen) Hepatitis B ohne klinisch-entzündliche Aktivität auszugehen. Für das Funktionssystem Verdauungsorgane sei aus diesem Grunde nach Ziffer 3.1 VersMedV ein Einzel-GdB von 20 (mittel) zu bestätigen. Darüber hinaus sei jedoch der schnelle Herzschlag in Ruhe (Sinustachykardie) zu berücksichtigen. Es bestehe eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger in Kasachstan in der Schule vom Sportunterricht befreit worden und für den Wehrdienst in Deutschland ausgemustert worden sei. Bei der Belastungsprüfung im Dezember 2013 habe er noch 200 W treten können. Bei der Untersuchung durch Dr. E im Februar 2017 habe er noch kurzfristig 75 W leisten können, jedoch sei bereits damals eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit festgestellt worden. Bei der Belastungsuntersuchung im HDZ in D am 01.02.2018 habe er schließlich nur noch 50 W geleistet; dabei sei der Abbruch der Belastung wegen Bleigefühls in den Beinen erfolgt. Aufgrund von Ruhefrequenzen bis 120/min habe er selbst im Rahmen seiner Untersuchung keine Belastungsprüfung durchgeführt. Bei einem Valsalvaversuch, bei dem der Patient kräftig auszuatmen versuche, während er 10 Sekunden die Nase zuhalte und den Mund verschließe und somit die Atem- und Bauchmuskulatur anspanne, sei es zu einem Abfall der Herzfrequenz auf 80/min. gekommen. Dabei sei der Patient kurzfristig desorientiert gewesen und habe gezittert, in der Folge habe er über Kopfschmerzen geklagt. Möglicherweise bestehe hier ein überempfindlicher Barorezeptorreflex; nicht auszuschließen sei aber auch ein hyperkinetisches Herzsyndrom mit einer inadäquaten Sinustachykardie ohne fassbare organische oder medikamentöse Ursache im Sinne einer vegetativen Regulationsstörung. Die Befundlage sei insoweit nach wie vor unklar. Für die Bemessung des GdB sei nach der VersMedV jedoch weniger die Art einer Herz- oder Kreislauferkrankung maßgeblich als die Leistungseinbuße. Bei dem Kläger bestehe hingegen eine Leistungsbeeinträchtigung mittlerweile bereits auf leichter Belastungsstufe. Dafür sehe Ziffer 9.1.1 VersMedV Abs. 3 einen GdB von 50 bis 70 vor. Bei fehlenden Herzbeschwerden und ohne Auftreten pathologischer Messdaten im Rahmen der bisherigen Ergometerbelastungen sei für das Funktionssystem Herz und Kreislauf daher von einem GdB von 50 (stark) auszugehen. Bei den übrigen Gesundheitsstörungen handele es sich dagegen nach Maßgabe der VersMedV nicht um Behinderungen, da diese keinen GdB von wenigstens 10 bedingten. Die Pollenallergie bestehe ohne Überempfindlichkeit der Atemwege, Einschränkungen der Lungenfunktion oder sonstige Beeinträchtigungen im Alltag. Sie bedürfe auch keiner medikamentösen Behandlung. Die Harnsäurestoffwechselstörung sei vorbekannt, die Laborwerte der aktuellen Untersuchung lägen im Normalbereich. Es gäbe auch keinen Anhalt für die Beteiligung innerer Organe. Für die Gesamtheit der vorliegenden Behinderungen sei wegen einer Verschlechterung ab Februar 2018 ein GdB von 60 zu berücksichtigen.

Der Beklagte ist dem Ergebnis der Begutachtung durch Dr. V unter Verweis auf die versorgungsmedizinische Stellungnahme der Dr. N vom 25.09.2019 entgegengetreten. Der für die Herzerkrankung veranschlagte Einzel-GdB sei nicht nachvollziehbar. Ziffer 9 der VersMedV beschreibe Krankheiten des Herzens und Einschränkungen der Herzleistungen, die eine Behinderung bedingten. Davon könne man beim Kläger nicht ausgehen. Ein beschleunigter Herzschlag in Ruhe, der nicht konstant bestehe, erfülle bereits nicht das Kriterium einer Erkrankung. Auch eine Herz-Kreislauferkrankung, die einen beschleunigten Herzschlag zur Folge habe, liege gerade nicht vor. Weitere Erkrankungen, die zu seinem beschleunigten Herzschlag führten (Blutarmut, Lungenfunktionsstörung, Schilddrüsenfunktionsstörung) seien ebenfalls ausgeschlossen worden. Die vom Kläger beklagte Symptomatik könne keinem organischen Korrelat zugeordnet werden. Der Einschätzung einer leichten psychovegetativen Störung mit einem Einzel-GdB von 20 könne daher am ehesten gefolgt werden.

Der Kläger hat (u.a. mit Schriftsätzen vom 27.11.2019, 27.12.2019, 04.03.2020, 31.03.2020, 04.04.2020, 29.06.2020) erwidert, tatsächlich habe sich seine Leistungsfähigkeit in den letzten Jahren stetig verringert und bei allen aktuellen Untersuchungen weniger als 50 W betragen. Die wiederholt ermittelten überhöhten Werte für Herzfrequenz und Blutdruck könnten nur auf eine Erkrankung des Herz-/Kreislaufsystems schließen lassen, auch wenn diese noch nicht lokalisiert worden seien. Er nehme die Ausführungen des Dr. V sehr ernst und habe deshalb den Hausarzt gewechselt. Die anaerobe Schwelle sei ein Begriff aus der Sportphysiologie und bei leistungsbeeinträchtigten Patienten ohne Belang. Darüber hinaus seien ein Gehtest und eine Spiroergometrie nicht vergleichbar. Im Ergebnis sei dem allein überzeugenden Gutachten des Dr. V zu folgen, das eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes dokumentiere. Es stehe in Einklang mit der Fachliteratur, v.a. Dr. Löllgen, „Ergometrie“ (Thieme-Verlag): Nach den dort enthaltenen Belastungsdiagrammen hätte sowohl die von Dr. R am 15.09.2016 als auch die von Dr. V am 19.08.2019 ermittelte Herzfrequenz in Ruhe im Bereich der Herzinsuffizienz gelegen. Er bemühe sich derzeit auf Empfehlung seines neuen Hausarztes weiter bei Kardiologen um Informationen zu Therapiemöglichkeiten und veröffentlichten Studien.

Auf gerichtliche Bitte, den behandelnden Kardiologen zwecks weiterer Ermittlungen von der Schweigepflicht zu entbinden (vgl. Verfügung vom 10.08.2020), hat der Kläger (u.a. mit Schreiben vom 31.08.2020) mitgeteilt, die „medizinischen Kreise“, die er wegen der kardiologischen Befunde um Rat ersucht habe, hätten ihm die seinen Schreiben beigefügten Publikationen von verschiedenen namhaften Kardiologen zur Verfügung gestellt. Danach sei davon auszugehen, dass derzeit weder durch Langzeitstudien gestützte Behandlungsmöglichkeiten noch Medikamente zur Verfügung stünden. Vielmehr seien herzspezifische Trainingsübungen („nach Dr. med. habil. M. Sandri“) und eine herzspezifische Ernährung zielführend. Damit komme er seiner Mitwirkungsobliegenheit hinreichend nach. Demgegenüber bestehe keine Veranlassung, einen Kardiologen aufzusuchen und mit der Behandlung zu beauftragen.

Der Senat hat einen Befundbericht bei der vom Kläger benannten Ärztegemeinschaft Dres. C in D eingeholt. Mit Schreiben vom 08.06.2021 hat der Internist Dr. J mitgeteilt, dass der Kläger seit Oktober 2016 „sporadisch“ bei ihm in Behandlung sei. Zuletzt sei er am 19.04.2021 zur Laborkontrolle vorstellig geworden. Er leide an einer chronischen Hepatitis B mit niedriger Viruslast. Aus dem Arztbrief des HDZ NRW vom 09.06.2017 gehe hervor, dass beim Kläger eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit bestehe, wobei eine Ursache nicht gefunden worden sei. Vermutlich habe ein persistierender Trainingsmangel vorgelegen.

Dem Schreiben beigefügt war der in Bezug genommene von Dr. I (Klinikdirektor) und PD Dr. L (Chefarzt Kardiologie) unterzeichnete Arztbrief des HDZ NRW vom 09.06.2017 einschließlich Belastungsprotokoll. Darin sind anlässlich einer Beratung und Untersuchung des Klägers in der kardiologischen Ambulanz folgende Diagnosen aufgelistet: (1) Echokardiographisch liege kein Nachweis einer strukturellen Herzerkrankung vor; global regelrechte systolische Pumpfunktion des linken Ventrikels, kein Hinweis auf bedeutsame diastolische Funktionsstörung. (2) Nach klinischen Kriterien sowie den übrigen nichtinvasiven Untersuchungsbefunden bestehe aktuell kein Anhalt für das Vorliegen einer hämodynamisch bedeutsamen stenosierenden koronaren Herzkrankheit. (3) Z.n. Hepatitis B (anamnestisch laborchemisch Zufallsdiagnose) (4) Kardiovaskuläre Risikofaktoren lägen anscheinend nicht vor. Diese seien nur nach Kenntnis des LDL-Cholesterins, ggf. auch von LP(a) einzuschätzen. Auf diese laborchemische Untersuchung sei auf Wunsch des Patienten verzichtet worden. Die geklagte globale Leistungsminderung unklarer Ätiologie habe im Rahmen der Spiroergometrie objektiviert werden können. Die Gründe seien unklar, es spiele jedoch vermutlich ein persistierender Trainingsmangel eine Rolle. Zu empfehlen seien eine regelmäßige dynamische Ausdauerbelastung unter Vermeidung von Extrembelastungen, Vermeidung von Übergewicht sowie eine vorsorglich fettreduzierte Ernährung mit Cholesterin-Bestimmung im Intervall sowie regelmäßige Blutdruckselbstmessungen.

Der Kläger hat zu den vorgelegten Unterlagen (u.a. mit Schreiben vom 26.07.2021 und 16.08.2021) dahingehend Stellung genommen, dass dem HDZ bei der Feststellung eines fortdauernden Trainingsmangels das von ihm bereits seit Jahren realisierte Training „nach PD Dr. med. habil. Sandri“ nicht bekannt gewesen sei. Ein signifikanter leistungssteigernder Effekt habe sich allerdings weder bei der Untersuchung durch Dr. R am 15.09.2016 noch bei den spiroergometrischen Untersuchungen vom 09.06.2017 und 01.02.2018 feststellen lassen. Es habe sich jedoch eine Stabilisierung ergeben. Auf ein selbst gefertigtes Diagramm zur Entwicklung seiner Belastbarkeit werde verwiesen. Im Übrigen ergebe sich aus den bereits vorliegenden ärztlichen Berichten, dass seine bereits 1999 herabgesetzte Leistungsfähigkeit von 60 % der Normleistung (vgl. Prüfung durch Dr. Hess am 20.11.1999) bis 2018 auf 12 % gesunken sei (vgl. Prüfung des HDZ NRW vom 01.02.2018). Gleichzeitig seien Herzfrequenzen ermittelt worden, die nach dem Stand der Medizin eindeutig dem Bereich der Herzinsuffizienz zuzuordnen seien. Der Sachverständige Dr. V habe dies zutreffend gewürdigt. Im Hinblick auf seine Leistungsminderung bestehe „mangels Behandlungsoption und Diagnostik“ für keine ärztliche Praxis Veranlassung Untersuchungen durchzuführen.

Der Beklagte hat seinerseits (mit Schreiben vom 27.07.2021) ausgeführt, dass aus seiner Sicht weiterhin nicht hinreichend belegt sei, dass der Kläger an einer Herzerkrankung leide, die mit einer Schwerbehinderung gleichzusetzen wäre. Dr. J bestätige die Vermutung, dass der Leistungsminderung ein Trainingsmangel zu Grunde liege. Der Kläger befinde sich nach wie vor in keiner ärztlichen Behandlung, selbst eine hausärztliche Betreuung scheine nicht zu erfolgen.

Der Senat hat am 07.09.2021 einen Erörterungstermin durchgeführt. In diesem Termin hat der Kläger klargestellt, dass er keinen Antrag nach § 109 SGG gestellt habe. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts einschließlich des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:  

Der Senat kann gem. §§ 153 Abs. 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten
hiermit einverstanden erklärt haben.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG frist- und formgerecht eingelegte, vom Kläger unterzeichnete Berufung ist nur teilweise begründet, im Übrigen unbegründet. Das Sozialgericht hat die vom Kläger zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 1 SGG (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris, Rn. 24 m.w.N.) zu Unrecht vollständig abgewiesen. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 02.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 insoweit beschwert, als der GdB mit 20 zu niedrig festgestellt wurde. Er hat Anspruch darauf, dass der GdB ab Antragstellung (22.02.2013; im Urteil des Sozialgerichts offensichtlich irrtümlich mit „22.03.2013“ bezeichnet) auf 30 festgesetzt wird. Im Übrigen war die Klage abzuweisen. Das weitergehende Begehren des Klägers auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 ist unbegründet.  

Der erhobene Anspruch beurteilt sich im Ausgangspunkt nach § 2 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der seit dem 01.01.2018 gültigen Fassung. Danach sind Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen aufweisen. Diese müssen sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 30.01.2020, 2 BvR 1005/18, „Paradigmenwechsel“, juris, Rn, 35 ff.). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden festgestellt (§ 152 Abs. 1 S. 5 SGB IX; vormals § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX). Eine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX ist bislang nicht erlassen worden. Nach § 242 Abs. 5 SGB IX sind stattdessen die  "Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3,  des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG" (VersMedV) und insbesondere die als Anlage zu § 2 VersMedV erlassenen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VmG) weiterhin entsprechend heranzuziehen und zwar im Gesetzesrang (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.2019, B 9 SB 1/18 R, juris, Rn. 12 m.w.N.). Es handelt sich hierbei um ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes bezweckt und dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.

Danach ist die Bemessung des Gesamt-GdB tatrichterliche Aufgabe und in drei Schritten vorzunehmen (vgl. BSG, Beschluss vom 09.12.2010, B 9 SB 35/10 B, juris, Rn. 5 m.w.N.): (1) Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. (2) Sodann sind diese den in den VmG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem (einzelnen) GdB zu bewerten. (3) Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG, Urteil vom 30.09.2009, B 9 SB 4/08 R, juris, Rn. 18 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.06.2012, L 13 SB 127/11, juris Rn. 32).

Hiervon ausgehend ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme festzustellen, dass der Gesamt-Grad der bei dem Kläger seit Antragstellung im Februar 2013 vorliegenden Behinderungen mit 30 zu bewerten ist. 

Die führende Gesundheitsstörung, von der bei der Bildung des Gesamt-GdB auszugehen ist, besteht zur Überzeugung des Senates in der Minderbelastbarkeit des Klägers unklarer Genese. Diese Teilhabebeeinträchtigung wird auch vom erstinstanzlichen Hauptsachverständigen ausdrücklich als am schwerwiegendsten gewichtet und damit an erster Stelle der Leitsymptome genannt. Sie bedingt einen Einzel-GdB von 20.

Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlichen Fachsachverständigen Dr. S in seinem neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachten vom 19.01.2017, die von den Beteiligten weitgehend geteilt werden. Auch für die im Rahmen der Belastungsprüfungen objektivierbaren körperlichen Symptome wie Schwindel, Herzrasen, Zittern etc. bleibt in Ermangelung eines von allen Sachverständigen übereinstimmend als fehlend beschriebenen organischen Korrelates letztlich nur die Einordnung als psychosomatisch. Nichts anderes meint auch Dr. V, wenn er unter Hinweis auf den mangelnden Nachweis einer organischen Ursache für die Beschwerden des Klägers eine vegetative Regulationsstörung in Betracht zieht.

Nach Teil B Nr. 3.7 VMG (Funktionssystem Gehirn) werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten werden mit einem GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis 100 bewertet. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können zur Auslegung die vom ärztlichen Sachverständigenbeirat am Beispiel des "schizophrenen Residualzustandes" entwickelten Abgrenzungskriterien herangezogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 23.09.2009, B 9 VG 1/08, Rn. 43, juris, unter Bezugnahme auf die Beschlüsse des ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 18./19. März 1998 und vom 8./9. November 2000; vgl. auch Wendler/Schillings, VmG, 10. Aufl. 2020, Teil B Ziffer 3.6 unter 1). Danach werden leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten angenommen, wenn z. B. Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist (wesentliche Beeinträchtigung nur in besonderen Berufen, z. B. Lehrer, Manager) und keine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften bestehen. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind danach durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen Störungen ganz unterschiedlich ist. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen dagegen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus.

In Anwendung dieser Maßstäbe ist die Teilhabebeeinträchtigung des Klägers mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Denn die psychosomatische Minderbelastbarkeit geht mit Beeinträchtigungen einher, die als leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten einzuordnen oder doch ihnen vergleichbar sind. Nach den anamnestischen Feststellungen des Dr. S äußert sich die Somatisierungsneigung des Klägers zusammengefasst in einer auffälligen und konsequenten Vermeidung jeder gesteigerten körperlichen Aktivität und Belastung im beruflichen wie privaten Bereich bei zugleich ängstlicher Beobachtung der eigenen Körperfunktion. So übt der Kläger etwa (außerhalb eines angepassten Spezialtrainings) keinen gesellschaftlich anerkannten Sport aus und ist auch im Beruf auf die Einhaltung seiner Leistungsgrenzen bedacht bis fixiert. Er ist allerdings ohne weiteres in der Lage, seine allenfalls mittelschwere berufliche Tätigkeit ohne wesentliche Probleme oder Arbeitsunfähigkeitszeiten auszuüben. Der Kläger geht einem geregelten Tagesablauf nach, der nach seinem Schichtdienst ausgerichtet ist. Zu Hause hilft er den Kindern bei den Hausaufgaben. Er erledigt Einkäufe und auch, wenngleich in langsamem Tempo, Gartenarbeit. Der Kläger bezeichnet sich selbst als „Familienmensch“, der in Einklang mit Ehefrau und den vier gemeinsamen Kindern lebt und auch in gutem Kontakt mit der weiteren Verwandtschaft (v.a. Eltern, Geschwister, Neffen und Nichten) steht. Er pflegt Freundschaften, unternimmt Urlaubsreisen und geht seinen Hobbies nach (Fischteich/Aquarium). Stimmung und Antrieb bezeichnet er als gut. Hinweise auf einen sozialen Rückzug liegen daher ebenso wenig vor, wie auf eine Affektnivellierung. In der Gesamtschau lässt sich daher keine stärkere Beeinträchtigung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und auch keine ausgeprägtere, sondern nur eine leichtere Somatisierungsstörung feststellen.

Zu berücksichtigen sind die aus der Lebervirus-Infektion folgenden Funktionseinbußen. Diese bestehen in einer raschen Ermüdbarkeit und Muskelschwäche als (mittelbare) Spätfolge der erstmalig 1996 diagnostizierten Hepatitis B-Erkrankung. Die hieraus resultierenden Teilhabebeeinträchtigungen im Funktionssystem Verdauung sind zur Überzeugung des Senates zutreffend mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet.

Dies folgt aus Teil B, Ziffer 10.3.1. VmG, wonach für die chronische Hepatitis ohne entzündliche Aktivität bereits pauschal eine entsprechende Bewertung vorgesehen ist. Dabei ist die gutachtliche Beurteilung einer chronischen Hepatitis als solche auf den klinischen Befund einschließlich funktionsrelevanter Laborparameter, auf die Ätiologie sowie auf den histopathologischen Nachweis des Grades der nekroinflammatorischen Aktivität (Grading) und des Stadiums der Fibrose (Staging) zu stützen. Zusätzlich sind engmaschige Verlaufskontrollen und die Beachtung der Differentialdiagnose erforderlich. Dies gilt auch für geltend gemachte Verschlimmerungen im Leidensverlauf.

Der Senat sieht es als erwiesen an, dass die beim Kläger bereite bei Antragstellung vorliegende Verlaufsform als nicht entzündlich zu qualifizieren ist. Dies wird durch die beiden insoweit völlig übereinstimmenden gerichtlich eingeholten internistischen Gutachten des Dr. E und des Dr. V belegt. Allein der Arzt B hat (vgl. etwa Attest vom 28.02.2013) eine entzündliche Aktivität bestätigt. Soweit Dr. E in seinem Schreiben an das Gericht vom 15.09.2016 ebenfalls (mutmaßlich noch allein auf Basis dieses Befundes) noch von einer enzymatisch aktiven Leberentzündung ausging, ist dies ohne Belang. Denn der Sinn des Schreibens bestand allein in der Anmeldung des Bedarfs eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens und war daher noch nicht Ausdruck einer abschließenden eigenen Überzeugungsbildung. In dem späteren Gutachten heißt es vielmehr ausdrücklich das Gegenteil bekräftigend, dass sich in der laborchemischen Untersuchung zum Begutachtungszeitpunkt alle Leberwerte im Normbereich bewegt hätten ohne Hinweis auf klinisch entzündliche Aktivität. Die Ultraschalldarstellung sei ohne Zeichen einer Veränderung des Funktionsgewebes geblieben. In Übereinstimmung damit hat auch Dr. V bei seiner Untersuchung vom 19.08.2019 keine Hinweise auf eine Leberentzündung vorgefunden: Die Leberwerte GPT, GOT, Gamma-GT und G-LDH hätten im Normbereich gelegen; auch die allgemeinen Entzündungswerte (BKS und CRP) seien völlig unauffällig gewesen. Insgesamt sei daher von einer lange bestehenden (chronischen) Hepatitis B ohne klinisch-entzündliche Aktivität auszugehen. Vor dem Hintergrund eines fehlenden -  weil vom Kläger abgelehnter Untersuchung - histopathologischen Befundes, ist diese Beurteilung nach den VmG nicht zu beanstanden (vgl. auch LSG Sachsen, Urteil vom 20.10.2000 – L 1 SB 33/99, juris). Der Kläger verhält sich widersprüchlich, wenn er einerseits eine zur Diagnostik vorgesehene Untersuchung verweigert, andererseits jedoch den Fachärzten vorwirft, dass sie ihre Beurteilung auf die verfügbaren Parameter stützen.

Das Gericht hat sich in der Beweiswürdigung wesentlich auch auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr. E und dessen sozialmedizinische Beurteilung gestützt. Dessen Gutachten ist entgegen der Auffassung des Klägers umfassend verwertbar. Das Dr. E betreffende Ablehnungsgesuch des Klägers ist erstinstanzlich - rechtskräftig - und damit auch für das Berufungsgericht bindend abgelehnt worden (vgl. Wolff-Dellen in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 60 Rn. 69). Der Verwertung steht auch nicht entgegen, dass der Sachverständige die körperliche Untersuchung des Probanden und die Erhebung der organmedizinischen Befunde einem ärztlichen Mitarbeiter übertragen hat. Entscheidend ist vielmehr, dass der beauftragte Sachverständige – wie hier durch Dr. E geschehen - die Schlussfolgerungen überprüft und durch seine Unterschrift die volle Verantwortung übernommen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 17.11.2006, B 2 U 58/05 B, juris). Ungeachtet der daraus abzuleitenden Rechtsfolgen ist entgegen der Annahme des Klägers ein Verstoß gegen § 118 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. § 407a Abs. 1 ZPO nicht erkennbar. Mit ihrer Bestellung werden die Sachverständigen der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit standardisiert mittels eines Begleitschreibens in jedem Verfahren über ihre Pflichten informiert. Dass Dr. E sich seiner Verpflichtung bewusst war, die Notwendigkeit anderer oder ergänzender Fachgutachten zu prüfen und mitzuteilen (vgl. § 407a Abs. 1 ZPO), zeigt sich allein daran, dass er das Sozialgericht auf die erforderliche neurologisch-psychiatrische Zusatzbegutachtung aufmerksam gemacht hat. Auch an der Expertise eines Internisten im Hinblick auf die klar diesem Fachgebiet zuzuordnenden kardiologischen Fragen bestehen keine vernünftigen Zweifel.

Im Hinblick auf das Funktionssystem Herz und Kreislauf ist unter Zugrundelegung eines allein objektivierbaren Hypertonus lediglich von einem Einzel-GdB von 10 auszugehen.

Der Senat folgt auch insoweit den überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlichen Sachverständigen Dr. E. Der Sachverständige hat auf der Grundlage umfangreicher organischer Herzuntersuchungen vom 15.09.2016 überzeugend herausgearbeitet und auch in seinen ergänzenden Stellungnahmen daran festgehalten, dass keine organische Herzerkrankung im Sinne der Krankheiten des Herzens erfassenden Ziffer 9.1 von Teil B der VMG feststellbar ist. Objektivieren lässt sich lediglich ein leicht erhöhtes kardiovaskuläres Risikoprofil und eine Neigung zu Herzrhythmusstörungen bei auffälligen Spätpotentialen. Bei der Kardiographie und Dopplerkardiographie sowie Carotissonographie hat sich dagegen weder eine Stenosierung, noch eine Klappeninsuffizienz oder eine sonstige Auffälligkeit gezeigt. Dies deckt sich mit den - mangels fortlaufender Behandlung - nur vereinzelt vorhandenen, aber letztlich übereinstimmenden Berichten der behandelnden Ärzte des Klägers: Der Kardiologe Dr. G hat mit Schreiben vom 03.12.2013 eine kardiale Ursache der geklagten Symptome Herzrasen, Übelkeit und Schwäche ausgeschlossen, in der Ergometrie sei der Kläger bis 150 W normal belastbar. Der Arztbrief des HDZ NRW vom 09.06.2017 beschreibt auch zu diesem späteren Zeitpunkt, dass bei global regelrechter systolischer Pumpfunktion des linken Ventrikels kein Nachweis für eine strukturelle Herzerkrankung und auch kein Hinweis auf eine bedeutsame diastolische Funktionsstörung vorliege. Ferner bestehe nach klinischen Kriterien sowie den übrigen nicht invasiven Untersuchungsbefunden kein Anhalt für das Vorliegen einer hämodynamisch bedeutsamen stenosierenden koronaren Herzkrankheit.   

Auch der zweitinstanzliche Sachverständige Dr. V hat insoweit übereinstimmend bei seiner am 19.08.2019 durchgeführten Ultraschalluntersuchung des Herzens und den durchgeführten Kardiographien (u.a. Doppler- und Echo) bzw. dem Kardiogramm einen unauffälligen Befund erhoben. Er geht von fehlenden Herzbeschwerden und fehlenden pathologischen Messdaten aus. Diese Feststellungen tragen dann aber nicht den von ihm vorgeschlagenen Einzel-GdB von 50 für das Funktionssystem Herz und Kreislauf ab dem Zeitpunkt der Belastungsprüfung im HDZ im Februar 2018.

Zwar ist Dr. V zuzugeben, dass nach der Vorbemerkung von Teil B, Ziffer 9 der VmG für die Bewertung weniger die Art einer Herz- oder Kreislaufkrankheit als die Leistungseinbuße maßgeblich ist. Dies bedeutet jedoch bereits dem Wortlaut („weniger als“) nach nicht, dass eine von dem Kapitel dem Grunde nach behandelte Herzkrankheit völlig verzichtbar ist. Denn dann würden systemwidrig Leistungseinbußen ohne objektivierbare Ursache prämiert. Die verallgemeinerungsfähige Aussage der VmG ist vielmehr, dass im Sinne des Vollbeweises (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) eine dauerhafte Beeinträchtigung nachgewiesen sein muss, die sich über die Diagnose oder über die vergleichbaren Auswirkungen einem Funktionssystem und einer der dort im einzelnen aufgeführten Störungen zuordnen lassen. Daran fehlt es hier. Der von Dr. V diagnostizierte beschleunigte Herzschlag in Ruhe (Sinustachykardie) eignet sich als objektivierbare Herzerkrankung nicht, da auch der Sachverständige selbst diesen ausdrücklich nur als Symptom einer völlig ungeklärten Grunderkrankung beschreibt. In Betracht komme ein „überempfindlicher Barorezeptorreflex“, „nicht auszuschließen sei aber auch ein hyperkinetisches Herzsyndrom mit einer inadäquaten Sinustachykardie ohne fassbare organische oder medikamentöse Ursache im Sinne einer vegetativen Regulationsstörung“. Eine allein das Organ Herz betreffende Grundursache sieht damit auch er nicht als erwiesen an.

Anknüpfungspunkt für eine relevante Grunderkrankung des Funktionssystems Herz- und Kreislauf bleibt daher in Übereinstimmung mit Dr. E allein der bereits bei geringen Belastungen auftretende labile Bluthochdruck. Dieser ist im Gegensatz zu der Herzerkrankung auch objektivierbar. So hat der Kläger im Rahmen der erstinstanzlichen internistischen Untersuchung einer stufenweisen Belastung nur bis maximal 50 bis 75 Watt standgehalten. Diese Limitierung ist mit einem Belastungshypertonus (von 135/85 mmHg auf 210/100 mmHg) und vegetativer Begleitsymptomatik (Muskelzittern, Übelkeit und epigastrischem Druckgefühl) einhergegangen. Ähnlich bestätigt das HDZ in seinem Bericht vom 09.06.2017, dass eine Belastung auf dem Fahrradergometer im Sitzen lediglich über 2,5 Minuten von 25 bis 75 W ansteigend möglich gewesen sei mit Abbruch bei Herzfrequenzanstieg (von 73 auf 116/min, RR initial 127/77, maximal 119/101 mmHG, in der Erholungsphase initial 129/91 mmHG) Magendruck und Zittern und damit formal deutlich eingeschränkter Leistungsbreite.

Dieser pathologische Hypertonus ist nach Teil B, Ziffer 9.3 VmG von Dr. E zutreffend als leichte Form mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet worden. Für die Einordnung als mittelschwere Form (Bewertungsrahmen 20-40) fehlt es an einer Organbeteiligung, die nach allen Sachverständigen und Ärzten übereinstimmend nicht feststellbar ist. Ein schwerer Fall (Bewertungsrahmen 50-100) ist erst recht nicht erkennbar, da dies einen beim Kläger nicht zu diagnostizierenden malignen, also konstant vorhandenen diastolischen Blutdruck über 130 mm Hg voraussetzt.

Etwas anderes bzw. eine maßgebliche Verschlechterung ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus dem beigebrachten spiroergometrischen Belastungsprotokoll des HDZ vom 01.02.2018. Danach sei der Kläger nach 2 Minuten mit 25 W nur noch 18 Sekunden mit ansteigendem Blutdruck ergometrisch belastbar gewesen. Die Belastung habe wegen „Bleigefühls in den Beinen“ abgebrochen werden müssen. Zu Recht hat Dr. E in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.03.2018 aufgezeigt, dass sich für den Nachweis einer Kreislauferkrankung nur ein Abbruch wegen Kreislaufproblemen oder aus kardialer Ursache eigne. Zugleich hat er nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass das mit der Spiroergometrie vom HDZ gleichzeitig ermittelte kardiopulmonale Leistungsvermögen bei niedriger Belastungsstufe bis 50 W im Hinblick auf Atemminutenvolumen (31,8 l/min), Sauerstoffaufnahme (1,19 l/m) und Sauerstoffpuls mit 10 ml O2/Herzschlag als belastungsadäquat zu beurteilen ist. Ein im Rahmen der Untersuchung von Dr. S durchgeführter 6-Minuten-Gehtest hat zudem eine Gehstrecke von 536,1 m ergeben. Das Testergebnis liegt im Normalbereich für Männer im Alter von 40 bis 80 Jahren (Mindestwert: 516,29 m) und dokumentiert damit eine normale Belastbarkeit von Herz und Kreislauf. Von Dr. V ist eine entsprechende Prüfung hingegen – wenngleich auch aufgrund einer medizinischen Vorprüfung - nicht durchgeführt worden. Der Kläger selbst hebt hervor, dass sich durch sein Spezialtraining eine Stabilisierung ergeben habe, die der Annahme einer persistierenden Dekonditionierung für seine Minderbelastbarkeit entgegenstünde. Für den Nachweis einer stetig herabsinkenden pathologischen Belastbarkeit eignet sich die Belastungsprüfung vom 01.02.2018 damit nicht. Ergometerdaten vermögen das - hier von dem Hypertonus determinierte - klinische Bild allenfalls zu ergänzen, aber nicht zu ersetzen (vgl. auch Beirat-Beschlüsse vom 06.11.1984, 10.04.1991 und 25./26.11.1998).

Die übrigen ärztlich dokumentierten Gesundheitsstörungen sind zur Überzeugung des Senates nach Maßgabe der VersMedV nicht als Behinderungen einzustufen, da sie keinen GdB von wenigstens 10 bedingen (vgl. § 152 Abs.1 S. 5 SGB IX).

Eine nicht medikamentös behandelte Pollenallergie besteht ohne Überempfindlichkeit der Atemwege, Einschränkungen der Lungenfunktion oder sonstige Beeinträchtigungen im Alltag. Die vorbekannte Harnsäurestoffwechselstörung ließ sich auch durch die Laborwerte der zuletzt durchgeführten gutachterlichen Untersuchung des Dr. V nicht bestätigen, da diese im Normalbereich lagen und keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung innerer Organe bestanden.

Alle beim Kläger festgestellten Behinderungen bedingen einen GdB von insgesamt 30 (vgl. § 152 Abs. 1 S. 5 i.V.m. Abs. 3 S. 1 SGB IX).

Ausgehend von der dem Funktionssystem Gehirn und Psyche zuzurechnenden Minderbelastbarkeit mit einem Einzel-GdB ist der Beeinträchtigung im Funktionssystem Verdauung (Einzel-GdB 20) mit einer Erhöhung um 10 auf einen GdB von 30 Rechnung zu tragen. Zwar handelt es sich hier um eine relativ leichte Funktionsstörung, die es vielfach nicht rechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Beeinträchtigung zu schließen (s. Teil A, 3. d) ee) VmG). Das Zusammentreffen der Behinderungen dieser Funktionssysteme erhöht aber die Gesamtbeeinträchtigung wesentlich, da die Einbußen verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, sich sogar gegenseitig verstärken (vgl. Teil A, 3. d) aa) VmG). Auftretende körperliche Belastungsreaktionen verstärken die ängstliche Selbstbeobachtung und Belastungsvermeidung. Umgekehrt führt die nervlich bedingte Schonhaltung zu einer Dekonditionierung und damit zu einer Steigerung der körperlichen Symptome unter Belastung.

Zu keiner weiteren Erhöhung führen die Auswirkungen des labilen Bluthochdrucks. Es handelt sich nur um eine leicht beeinträchtigende Gesundheitsstörung mit einem Einzel-GdB von 10, die regelhaft zu keiner weiteren Erhöhung führt (Teil A 3 d) ee) VMG; vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2000, B 9 V 8/00 R, SozR 3-3870 § 4 Nr. 28, Rn. 13 ff.), zumal die Funktionseinbuße in den bereits durch die Hepatitis B erfassten somatischen Folgen der Minderbelastbarkeit aufgeht.

Der Auffassung des Klägers, der GdB sei auf wenigstens 50 festzusetzen, konnte der Senat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht folgen. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht hat er sich nicht gedrängt gesehen. Die Auswirkungen der gesundheitlichen Störungen sind von Sachverständigen und vom Gericht in der angegebenen Ausprägung gewürdigt worden. Soweit diagnostischen Unklarheiten hinsichtlich der Ursache der Leistungsminderung verbleiben, sieht der Senat keine zielführenden Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen. Der Kläger steht weder in kontinuierlicher hausärztlicher, noch insbesondere in kardiologischer und erst recht nicht in psychiatrischer Behandlung. Weitere ärztliche Untersuchungen lehnt er ab (s. Schriftsatz vom 16.08.2021). Die Absolvierung eines bestimmten Trainingsprogramms und die Einhaltung einer Diät seien aus seiner Sicht ausreichend. Nach dem Grundsatz der sog. objektiven Beweislast wirkt es sich zulasten des Klägers aus, wenn sich den erhobenen Anspruch weiter begründende Tatsachen nicht feststellen lassen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30.08.1960, 8 RV 245/58 = BSGE 13, 51 = SozR Nr. 51 zu § 1 BVG; BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 24/84 = BSGE 58, 76 = SozR 2200 § 548 Nr. 70; BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 = Breithaupt 1992, 285). Seine fehlende Bereitschaft zu weiteren Untersuchungen begründet der Kläger vornehmlich mit der eigenen Bewertung und Analyse des medizinischen Sachverhalts, eher noch der seines Prozessvertreters. Diese mündeten im Laufe des Verfahrens in Anträge, die ohne eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung den Vortrag fortsetzen, der einen höheren GdB begründen sollte. Zudem waren die Anträge deshalb nicht mehr aktuell, für den Kläger war die Beweisaufnahme abgeschlossen. Er hat im Erörterungstermin eine einvernehmliche Regelung über die Festsetzung des GdB auf 30 abgelehnt und sich dabei auf den Sachverständigen Dr. V bezogen, der den GdB zutreffend mit 60 bewertet habe, er wünsche ein Urteil mit Begründung und sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 193, 183 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach Maßgabe des § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

 

Rechtskraft
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