S 38 KA 5094/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 5094/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I. Der Wortlaut der GOÄ 2701 bezieht sich auf das Anlegen von extraoralen Stütz-, Halte-oder Hilfsvorrichtungen, das Anlegen einer Verschlussplatte, einer Pelotte oder d e r g l e i c h e n . Erfasst von der Gebührenordnungsposition sind somit zunächst extraorale Maßnahmen, aber im Übrigen auch intraorale Maßnahmen (z.B. Umarbeiten einer Prothese zu einer Wundverbandsplatte).

II. Aus der Aufzählung bei der GOÄ 2701 ist zu schließen, dass der Ansatz der GOÄ 2701 einen deutlichen Mehraufwand gegenüber der GOÄ 2700 voraussetzt. Eine Maßnahme, subsumiert unter die Begrifflichkeit d e r g l e i c h e n , muss sich daher, was den Aufwand betrifft, in die Aufzählung von Verschlussplatte und Pelotte einreihen.

III. Ob ein Aufwand vorliegt, der den Ansatz der GOÄ 2701 rechtfertigt, ist wenn Zweifel bestehen vom Vertrags(zahn)arzt nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2020, Az B 6 KA 6/19 R; Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.02.2022, Az L 4 KA 77/18).

IV. Nicht der Vertrags(zahn)arzt, sondern die überprüfende Stelle bestimmt und legt fest, welche Unterlagen für eine sachlich-rechnerische Prüfung als notwendig erachtet werden.

V. Die Karteikartendokumentation gehört zu den am aussagekräftigsten und essenziellen Unterlagen, die zu einer Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit neben anderen Unterlagen (z.B. Op-Berichte und Röntgenaufnahmen) herangezogen werden können.


I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Die Berufung zum Bayerischen Landesozialgericht wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Der Kläger ist Fachzahnarzt für Oralchirurgie. Strittig zwischen ihm und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (Beklagte) sowie der Krankenkasse (Beigeladene) ist der Ansatz der GOÄ 2701 im Quartal 1/14 im Behandlungsfall F. Mit dem Bescheid der
Widerspruchsstelle für sachlich-rechnerische Berichtigungen aus der nicht-öffentlichen Sitzung vom 03.07.2020 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen, die sachlich-rechnerische Richtigstellung der KZVB bestätigt und das Konto mit einem Betrag in Höhe von 190,76 € belastet. Zur Begründung wurde ausgeführt, zur Sitzung der Widerspruchsstelle habe der Widerspruchsführer nochmals eine aktuelle Stellungnahme, eine Röntgenaufnahme (OPG vom 24.02.2014 als Foto) sowie weiteren Schriftverkehr (Antrag der Krankenkasse, Auszug aus der GOÄ, ein internes Besprechungsprotokoll der KZVB vom 11.05.2017, eine bereits in dem Verwaltungsakt befindliche Stellungnahme (Posteingang 06.10.2016), jetzt datiert auf den 05.12.2016) übermittelt. Der Kläger sei mehrfach aufgefordert worden, eine nachvollziehbare Behandlungsdokumentation vorzulegen. Dem sei er aber nicht nachgekommen. Nach der Rechtsprechung seien nicht hinreichend dargelegte, dokumentierte nachgewiesene Leistungen als nicht erbracht anzusehen und nicht abrechenbar. Nach Würdigung der vorliegenden postoperativen Röntgenaufnahme vom 24.02.2014 sei festzustellen, dass im Behandlungszusammenhang Immediatprothesen angefertigt und im Zuge der chirurgischen Sanierung als Verbandsplatten (zwei) eingegliedert worden seien. Dies bestätige die Krankenkasse mit ihrem Hinweis, dass am gleichen Tag die Erweiterung von Zahnersatz abgerechnet worden sei. Was
die Verwendung von "Kerr Fitt" betreffe, sei dieses Material nicht geeignet, eine Prothese zu einer Verbandsplatte über das entstehende Wundgebiet im Sinne der GOÄ-Nr. 2701 zu erweitern. Das Material sei offensichtlich als weichbleibende Unterfütterung für die
Immediatprothesen verwendet worden. Dies stelle keine vertragsärztliche Leistung dar (KZVB-Hinweis aus der Abrechnungsmappe 2014).

Dagegen ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte Klage zum Sozialgericht München einlegen. Sie wies darauf hin, die GOP GOÄ 2701 enthalte drei unterschiedliche Tatbestände. Hier gehe es nicht um das Anlegen von extraoralen Stütz-, Halte- oder Hilfsvorrichtungen. Erfüllt sei aber der drittgenannte Tatbestand, nämlich das "Anlegen einer Verschlussplatte, einer Pelotte oder dergleichen". Unter "dergleichen" seien Klammern oder eine Kunststoffunterfütterung zu verstehen. Hinzuweisen sei auch auf die KZVB-Hinweise Nummer 1 und Nummer 2. Danach sei die GOÄ 2701 für die Herstellung und Eingliederung einer Wundverbandsplatte mit relativ viel Aufwand abrechenbar, auch für das Umarbeiten einer Prothese zur Wundverbandsplatte. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers trug vor, dieser habe vorhandene Prothesen nicht unterfüttert, sondern unterschichtet mittels Kunststoffunterschichtung zu Verbandsplatten über ausgedehnte Wundgebiete mit viel Aufwand bei subtotalen bzw. totalen Kieferverhältnissen umgearbeitet. Im Gegensatz zur Unterfütterung werde eine Unterschichtung bei Immediatprothesen im zahntechnischen Labor bereits im Rahmen der Extraktionen oder anderen chirurgischen Maßnahmen hergestellt und danach durch den Zahnarzt eingegliedert. Die Prothese werde dann nach Abheilen der Wunden und knöcherner Umwandlung des Kiefers (in der Regel nach 3-6 Monaten) durch Unterfütterung zu einer endgültigen Prothese im Gegensatz zur Interimsprothese umgestaltet. Die Unterschichtung stelle eine individuelle Anpassung dar. Unterschichtung und Unterfütterung hätten gänzlich unterschiedliche Voraussetzungen und Herstellungsabläufe. Aufgrund des verwendeten Materials "Kerr Fitt" handle es sich um eine zur Verbandsplatte umgearbeitete Immediatprothese ohne deren Unbrauchbarmachung. Widersprochen werde der Darstellung der Beklagten,
wonach der Kläger trotz Aufforderung nicht die entsprechenden Unterlagen beigebracht habe. Vielmehr habe der Kläger genaue Fallbeschreibungen und OP-Berichte (Schreiben vom 06.10.2020, 15.12.2016 und vom 29.06.2020) übermittelt. Außerdem habe er
Röntgenaufnahmen per E-Mail in eingescannter Version in Befundqualität bei der Beklagten eingereicht. Dem Wortlaut sei nicht zu entnehmen, dass ein weichbleibendes Material nicht verwendet werden dürfe. Das Produkt "Kerr Fitt" sei speziell für diese Anwendung vorgesehen und auch für den Verbleib im Mund geeignet, weil es ein CE-normiertes
Medizinprodukt sei. Auch sei dem Wortlaut nicht zu entnehmen, dass eine Abrechnung der Gebührenordnungsposition im Zusammenhang mit Immediatprothesen und im Zuge der chirurgischen Sanierung als Verbandsplatten nicht abgerechnet werden dürfe.

In ihrer Replik betonte die Beklagte, es sei Sache des Vertragszahnarztes, die Erbringung seiner abgerechneten Leistungen nachzuweisen. Trotz Aufforderung habe es der Kläger verabsäumt, eine Behandlungsdokumentation vorzulegen, aus der sich der Behandlungsablauf ergebe. Der Behandlungsablauf sei für einen Außenstehenden "undurchsichtig". Zu beurteilen sei, ob ein großer Aufwand vorliege, der den Ansatz der GOÄ 2701 rechtfertige. Es bedürfe des Hinzutretens verschiedener Faktoren, wie zum Beispiel Vorerkrankungen des Patienten, schlechter Zustand des Knochens, Vorhandensein weiterer chirurgischer Eingriffsnotwendigkeiten infolge von Zysten, Knochensequestern, Fremdkörpern. Derartiges ergebe sich aus der Dokumentation des Klägers nicht. Es müsse sich um eine bereits vorhandene definitive Prothese handeln, die zu einer Verbandsplatte umgearbeitet oder umgestaltet werde. Der Kläger habe aber eigens zum Zwecke der Verwendung als Verbandsplatte eine Prothese neu hergestellt. Außerdem handle sich bei einer Immediatprothese nicht um eine definitive Prothese. Diese habe auch eine gewisse Stütz- und Verbandsplattenfunktion. Eine Umarbeitung/Umgestaltung zur Verbandsplatte sei somit sinnwidrig. Hinzu komme, dass die vom Kläger vorgenommene Unterschichtung nicht den Anforderungen an eine Umarbeitung oder Umgestaltung entspreche, da die Prothese in ihrer Substanz vollkommen unverändert bleibe. Der Begriff der Unterschichtung sei auch in der Zahnmedizin nicht bekannt. Überhaupt nicht abrechenbar sei im vertragszahnärztlichen Bereich die Unterfütterung von Prothesen mit temporärem Unterfütterungsmaterial. Das Produkt "Kerr Fitt", das der Kläger verwendet habe, sei ein solches temporäres Unterfütterungsmaterial, wie sich aus der Produktbeschreibung des Herstellers ergebe. Denn das Material könne lediglich mehrere Tage getragen werden.

Allenfalls naheliegend sei der Ansatz der GOÄ 2700 (Wundverbandsplatte mit wenig
Aufwand). Diese werde mit lediglich 39 Punkten vergütet, während die GOÄ 2701 mit
200 Punkten bewertet sei. Soweit die Klägerseite auf die unterschiedlichen Tatbestände bei der GOÄ 2701 hinweise und ausführe, der drittgenannte Tatbestand, nämlich das
"Anlegen einer Verschlussplatte, einer Pelotte oder "dergleichen" sei erfüllt, treffe das nicht zu. Denn eine Kunststoffunterfütterung einer Prothese reihe sich gemessen am Aufwand nicht in der Aufzählung von "Verschlussplatte" und "Pelotte" ein.

In der mündlichen Verhandlung am 28.09.2022 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten umfassend besprochen. Der Kläger trug vor, er habe der KZVB Röntgenaufnahmen im Zusammenhang mit der Mail vom 30.06.2020 zugesandt. Diesbezüglich gebe es eine Bestätigung über den Eingang einer Mail, unterzeichnet von Frau B. Seite 2 dieser Mail sei zu entnehmen, dass die Röntgenaufnahmen der Mail (OPG-Anlage 5a bis 5c) angehängt waren. Auf Nachfrage des Gerichts, warum in zwei Verfahren
(S 38 KA 5092/20, S 38 KA 5095/20) Patientendokumentationen erst im Rahmen des
Gerichtsverfahrens eingereicht wurden, wurde klägerseits zum Ausdruck gebracht, darauf komme es nicht an. Denn die bei der Beklagten eingereichten Unterlagen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens seien vollkommen ausreichend gewesen.

Die Vertreter der Beklagten äußerten ihre Auffassung, aus den Unterlagen gehe klar
hervor, dass es sich nicht um eine Immediatprothese, sondern um eine Interimsprothese gehandelt habe. Was die Röntgenaufnahmen betreffe, so seien keine Originale vorgelegt worden, was unstrittig sei.

Der Kläger machte darauf aufmerksam, es habe sich um Überweisungsfälle gehandelt, sodass er selbst präoperativ keine Röntgenaufnahmen angefertigt habe (Behandlungsfall E.). Der Kläger schilderte seine Vorgehensweise anhand von Röntgenaufnahmen. Er wies auf den umfangreichen chirurgischen Aufwand hin, aus dem sich die Notwendigkeit ergebe, über die gesamte Kieferlänge eine Wundheilungsunterstützungsmaßnahme anzubringen unter Berücksichtigung der medizinischen Grunderkrankung des
Patienten zum Schutz des umfangreichen Wundgebietes und zur Vorsorge von Wundheilungsstörungen und zur Verhinderung von Nahtdehiszenzen. Bei dem Patienten E. habe es sich um einen starken Raucher und Alkoholiker gehandelt. Eine vorhandene Prothese sei vom Kläger Zahn prophetisch erweitert und dann als Verbandsplatte umgearbeitet worden.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte den Antrag aus dem Schriftsatz vom 15.10.2020. Hilfsweise beantragte sie, die Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Die Vertreter der Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen. Hilfsweise beantragten sie, die Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im
Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 28.09.2022 verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig - es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 SGG -, jedoch unbegründet.

Die Befugnis der Beklagten KZVB zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung ergibt
sich aus § 106a Abs. 1, 2 SGB V. Liegen die Voraussetzungen eine Gebührenordnungspositionen erweislich nicht vor oder lässt sich die Erfüllung der Voraussetzungen im
Einzelfall nicht nachweisen, darf die kassenärztliche Vereinigung die Gebührenordnungspositionen im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung in vollem Umfang
streichen (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.02.2022,
Az L 4 KA 77/18).

Die angefochtenen Bescheide sind als rechtmäßig anzusehen und der Kläger ist nicht in seinen Rechten verletzt.

Strittig ist der Ansatz der GOÄ 2701 durch den Kläger. Im Bereich des
Vertrags(-zahn)arztrechts ist maßgeblich der Wortlaut der Gebührenordnungspositionen. Zu beurteilen ist hier zwar keine Leistung nach der BEMA, sondern nach der GOÄ. Für die Auslegung der GOÄ-Ziffern kann nichts Anderes gelten.

Nach dem maßgeblichen Wortlaut bezieht sich die GOÄ 2701 auf das Anlegen von extraoralen Stütz-, Halte- oder Hilfsvorrichtungen, das Anlegen einer Verschlussplatte, einer Pelotte oder "dergleichen". Erfasst von der Gebührenordnungsposition sind somit zunächst extraorale Maßnahmen. Das Adjektiv "extraoral" bezieht sich jedoch nur auf Stütz-, Halte- oder Hilfsvorrichtungen, nicht jedoch auf die sonstigen Maßnahmen.
Insofern sind unter die Gebührenordnungspositionen auch "intraorale" Maßnahmen zu subsumieren. Dafür sprechen auch die KZVB-Hinweise Nrn 1 und 2. Danach ist die GOÄ 2701 auch für das Herstellen und Eingliedern einer Wundverbandsplatte und für das
Umarbeiten einer Prothese zur Wundverbandsplatte abrechenbar.

Die vom Kläger abgerechneten Maßnahmen können allenfalls unter den Begriff "dergleichen" subsumiert werden, der für sich genommen relativ weit gefasst ist. Dies
hat zur Folge, dass - anders als teilweise vorgetragen - es nicht notwendig ist, dass
die Prothese bereits vorhanden sein muss. Derartiges lässt sich dem Wortlaut nicht
entnehmen. Auch eine Neuanfertigung einer Prothese wäre darunter zu subsumieren. Beim Patienten  B. hat dieser die Prothese von der Hauszahnärztin mitgebracht (vgl.
Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 28.09.2022). Zwischen den Beteiligten wurde die Frage erörtert, ob es sich um eine Interimsprothese oder eine Immediatprothese handelt. Die Interimsprothese stellt eine vorläufige Prothese zum Ersatz fehlender Zähne dar. Bei der Immediatprothese handelt es sich um eine Sofortprothese. Sie wird vor einem chirurgischen Eingriff auf einem Kiefermodell vom Zahntechniker hergestellt, wobei die zu entfernenden Zähne auf dem Gipsmodell radiert werden. Nach dem chirurgischen Eingriff wird sie unmittelbar eingegliedert.

Bei der Interimsprothese gehört zur Herstellung der Interimsversorgung die Umarbeitung. Auch eine Nachbehandlung ist inkludiert. Die Beschreibung der Behandlung durch den Kläger spricht mehr für eine Interimsprothese, weniger für eine Immediatprothese. Denn die Prothese war bereits vorhanden. Der Patient hat diese von seiner Hauszahnärztin mitgebracht. Es handelt sich wohl auch um keine definitive Versorgung. Der Kläger trug vor, er habe für die Unterschichtung, nicht Unterfütterung ein Material namens "Kerr Fitt" verwendet. Nach der Produktbeschreibung handelt es sich um "ein Langzeit-Funktionsabformmaterial, das weich genug bleibt, um eine funktionelle Abschirmung durchzuführen. Es kann mehrere Tage getragen werden, um die Wiederherstellung von verletztem
Gewebe zu unterstützen und Korrekturen nach der Eingliederung zu vermeiden". Wenn der Kläger, wie er vorträgt, die Prothese erst nach 3-6 Monaten Tragezeit zu einer endgültigen Prothese umformt, so ist fraglich, ob diese Verwendung den Gebrauchsangaben des Herstellers entspricht. Auf der anderen Seite besitzt "Kerr Fitt" nach dem Vortrag des Klägers eine CE-Zertifizierung. Dies bedeutet, dass das Produkt geprüft wurde und alle EU-weiten Anforderungen an Sicherheit, Gesundheitsschutz und Umweltschutz erfüllt sind. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass eine längere Verwendung jedenfalls
unter gesundheitlichen Aspekten unbedenklich erscheint.

Letztendlich kann es aber dahinstehen, ob "Kerr Fitt" geeignet ist, was die Beklagte bestreitet und, ob es sich um eine Interimsprothese oder eine Immediatprothese handelt. Denn die vom Kläger in Ansatz gebrachte Leistung nach der GOÄ 2701 ist im Rahmen der Auslegung abzugrenzen von der Leistung nach der GOÄ 2700. Die GOÄ 2700 (Anlegen von Stütz-, Halte- oder Hilfsvorrichtungen) ist im Vergleich zur GOÄ 2701 (200 Punkte) mit lediglich 39 Punkten deutlich niedriger bewertet. Da der Wortlaut der GOÄ 2701 nicht eindeutig ist und eine Interpretation durch die Begrifflichkeit "dergleichen"
zulässt, ist Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände (BSG, Urteil vom 06.05.2018, Az B 6 KA 16/17 R). Aus der Aufzählung bei der GOÄ 2701 ist zu schließen, dass der Ansatz der GOÄ 2701 einen deutlichen Mehraufwand voraussetzt. Eine Maßnahme, subsumiert unter die Begrifflichkeit "dergleichen" muss sich daher, was den Aufwand betrifft, in die Aufzählung von Verschlussplatte und Pelotte einreihen.

Ob ein Aufwand vorliegt, der den Ansatz der GOÄ 2701 rechtfertigt, ist - wenn Zweifel bestehen - vom Vertrags(zahn)arzt nachzuweisen. Ihm obliegt eine Feststellungslast. Kommt er dieser nicht oder nicht in dem erforderlichen Umfang nach, dann geht dies zu seinen Lasten mit der Folge, dass der Vergütungsanspruch entfällt (BSG, Urteil vom 13.05.2020, Az B 6 KA 6/19 R; Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.02.2022, Az L 4 KA 77/18).

Im angefochtenen Bescheid der Widerspruchsstelle wurde ausgeführt, der Kläger sei aufgefordert worden, Unterlagen vorzulegen. Er hat hierzu Fallbeschreibungen, OP-Berichte und Röntgenaufnahmen per E-Mail in eingescannter Version bei der Beklagten eingereicht. Der Kläger hat dieser Nachweispflicht und Mitwirkungspflicht nach Auffassung des Gerichts nicht genügt. Was die Röntgenaufnahmen betrifft, handelt es sich um einen bildlichen Ausdruck eines abfotografierten Röntgenbildes. Das Gericht geht auch davon aus, dass der Beklagten eine Datei, die per Mail zugesandt wurde, vorlag. Denn der Eingang der Mail, der als Anlage 5a bis 5c Röntgenaufnahmen angehängt waren, wurde von einer Mitarbeiterin der Beklagten bestätigt. Fraglich erscheint, ob die Bildqualität so ausreichend war, um anhand dieser Bildgebung eine Bewertung des Status und des notwendigen Aufwandes nach Extraktion vornehmen zu können, oder, wie die Beklagte meint, eine Übersendung eines analogen Röntgenbildes notwendig ist. Letztendlich kommt es aber darauf nicht an.

Der Kläger wurde nach dem Vorbringen der Beklagten wiederholt aufgefordert, die Behandlungsdokumentation zu übersenden. Dem ist er aber nicht nachgekommen. Erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens wurden Behandlungsdokumentationen eingereicht. Hierzu hat sich die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung am 28.09.2022 dahingehend geäußert, die bei der Beklagten eingereichten Unterlagen seien vollkommen ausreichend gewesen. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass nicht der Vertrags(zahn)arzt bestimmt und festlegt, sondern die überprüfende Stelle, welche Unterlagen für notwendig erachtet werden, es sei denn die Anforderung erscheint per se vollkommen unsinnig, was hier aber nicht der Fall ist. Die Karteikartendokumentation gehört zu den am aussagekräftigsten und essenziellen Unterlagen, die zu einer Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit neben anderen Unterlagen (z.B. Op-Berichte und Röntgenaufnahmen) herangezogen werden können. Denn sie ist mehr als andere Unterlagen geeignet, dass der Behandlungsverlauf nachvollzogen werden kann. Kommt der Kläger dem nicht nach, ist die Beklagte berechtigt, die Leistung sachlich-rechnerisch richtig zu stellen.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO.

Die Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Ziff. 1 SGG zuzulassen.
 

 

 

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