S 28 KR 63/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 63/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der Anspruch auf Kryokonservierung von Keimzellen nach § 27a Abs. 4 SGB V umfasst auch die Kryokonservierung nach Transition.

ENTWURF

Sozialgericht Berlin

 

 

S 28 KR 63/22

Bild entfernt.

(erste) Zustellung erfolgt

am                                                    

an                                                     

 

                                                         

als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle

 

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

         ,
 

 

- Klägerin -

gegen

         Techniker Krankenkasse,
- Hauptverwaltung - 

Bramfelder Str. 140, 22305 Hamburg,
 

- Beklagte -

 

 

hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 16. November 2022 durch die Richterin am Sozialgericht … sowie die ehrenamtliche Richterin … den ehrenamtlichen Richter für Recht erkannt:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2021 verurteilt, der Klägerin die für die Jahre 2021 und 2022 entstandenen Kosten für die Kryokonservierung bei der K. Berlin GmbH in Höhe von 480,- Euro zu erstatten und die weiterhin entstehenden Kosten für die Kryokonservierung bei der K. Berlin GmbH bis zum Erreichen des 50. Lebensjahrs der Klägerin zu übernehmen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Kosten der Kryokonservierung von männlichen Keimzellen.

Die als Mann am 1. Juni 1986 geborene Klägerin führt seit 2016 eine Transitionsbehandlung durch, deren Kosten von der Beklagten getragen werden. Im Jahr 2016 wurde die Hormonersatztherapie unterbrochen, um die Kryokonservierung der Samenzellen zu ermöglichen. Ab September 2018 fand die operative Geschlechtsangleichung statt.

Am 27. August 2021 stellte die Klägerin den Antrag auf Kostenübernahme der jährlich entstehenden Kosten für die Kryokonservierung bei der K. Berlin GmbH in Höhe von 240,- Euro.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2021 ab. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass eine geschlechtsangleichende Behandlung keine lediglich keimschädigende Therapie sei, da die Unfruchtbarkeit als bewusste Folge der Geschlechtsangleichung in Kauf genommen werde.

Am 11. Januar 2022 hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin hat eine Rechnung vom 5. Oktober 2021 bezüglich der Jahresgebühr für 2021 und eine Rechnung vom 1. September 2022 bezüglich der Jahresgebühr für 2022 und die jeweiligen Überweisungsbelege eingereicht.

Die Klägerin trägt vor, dass sowohl die Hormontherapie als auch die Genitalangleichung durch die Beklagte genehmigt und die Kosten übernommen worden seien. Der Beginn und die Durchführung der keimzellenschädigenden Therapie seien der Beklagten also bekannt. Eine Geschlechtsangleichung im Rahmen einer medizinisch notwendigen Behandlung von Transsexualität sei ohne Unfruchtbarkeit nicht möglich. Die Voraussetzungen des § 27a Abs. 1 SGB V müssten erst in der Zukunft gegeben sein. Es sei eine künstliche Befruchtung einer Ehepartnerin mit den kryokonservierten Samenzellen möglich.

Nachdem die Klägerin zunächst die Kostenübernahme für die Kryokonservierung beantragte, beantragt sie nunmehr sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2021 zu verurteilen, die Kosten für die Kryokonservierung zu übernehmen und die bereits für die Jahre 2021 und 2022 entstandenen Kosten in Höhe von 480,- Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt zunächst vor, dass nicht ersichtlich sei, ob bereits mit der keimzellenschädigenden Therapie begonnen worden sei. Die Unfruchtbarkeit sei eine unvermeidbare Folge einer Geschlechtsumwandlung. Daher sei die geschlechtsangleichende Therapie keine leidglich potentiell keimschädigende Therapie, sondern ein notwendiges Therapieziel. Aus der Gesetzesbegründung zum TSVG ergebe sich, dass der Anspruch auf eine künstliche Befruchtung bestehen und um den Anspruch auf die Kryokonservierung ergänzt werden solle, wenn aufgrund einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellenschädigenden Therapie die Gefahr der Unfruchtbarkeit bestehe. Die Übernahme der Kosten der Kryokonservierung nach § 27a Abs. 4 SGB V erfolge, wenn diese für spätere Maßnahmen zur Herbeiführung der Schwangerschaft nach § 27a Abs. 1 SGB V notwendig sei. Daher bestehe kein Anspruch auf die Kryokonservierung, wenn bei Antragszeitpunkt bereits klar sei, dass die Voraussetzungen des Absatz 1 nicht erfüllt werden könnten. Denn zum Antragszeitpunkt bestehe eine Mann-zu-Frau-Situation, im Falle des Einsatzes des konservierten Materials eine reine Frau-Situation. Die Voraussetzungen der Ehe müssten zwar für den Anspruch nach Absatz 4 nicht gegeben sein, weil auch junge Männer Kryokonservierung durchführen sollten, um später gegebenenfalls die Befruchtung der Partnerin zu ermöglichen. Vorliegend liege eine Veränderung des Geschlechts von Mann zu Frau vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte verwiesen, die dem Gericht vorgelegen hat und Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig, § 54 Abs. 1, 4 SGG.

Die Umstellung des Klageantrages von einer Klage auf Kostenübernahme in eine Klage auf Kostenerstattung ist zulässig. Die Umstellung der Klage vom Sachleistungsanspruch auf den Kostenerstattungsanspruch stellt eine Klageerweiterung nach § 99 Abs. 2 Nr. 2 SGG dar, es handelt sich um die Umstellung des Klageantrages bei gleich gebliebenem Klagegrund (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 2015, B 3 KR 3/14 R Rn 9 m.w.N.).

Die Klage ist auch begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Kryokonservierung der Samenzellen seit 1. Juli 2021.

Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung ist § 13 Abs. 3 SGB V:

 „Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.“

Die Beklagte hat die Kostenerstattung zu Unrecht abgelehnt. Denn die Klägerin hat einen Anspruch auf Kostenübernahme für die Kryokonservierung ab 1. Juli 2021.

Die von der Klägerin begehrte Kryokonservierung von Samenzellen wegen der Gefahr der Unfruchtbarkeit durch die folgende Transitionsbehandlung ist nicht bereits nach § 27 SGB V vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Denn es handelt sich nach der Rechtsprechung des BSG in den Fällen, in denen durch die Kryokonservierung eine spätere Befruchtung ermöglicht werden soll, nicht um eine Krankenbehandlung zur Wiederherstellung der Empfängnismöglichkeit (BSG, Urteil vom 17. Februar 2010, B 1 KR 10/09 R). Die Leistung der vorsorglichen Gewinnung von Eizellen und Lagerung durch Kryokonservierung war auch vor Einführung des § 27a Abs. 4 SGB V nicht von den in § 27a Abs. 1 SGB V geregelten Maßnahmen der künstlichen Befruchtung erfasst (zuletzt BSG, Beschluss vom 9. April 2018, B 1 KR 81/17 B).

Mit Wirkung zum 11. Mai 2019 wurde § 27a Abs. 4 i.V.m. 27a Abs. 5 SGB V eingeführt.

Nach § 27a Abs. 4 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach Absatz 1 vornehmen zu können.

§ 27 a Abs. 1 SGB V lautet:

(1) Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn

1.         diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind,

2.         nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist,

3.         die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind,

4.         ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und

5.         sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a erteilt worden ist.

Nach Abs. 5 der Vorschrift bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in den Richtlinien nach § 92 die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 4. Die Umsetzung des Leistungsanspruchs erfolgte durch die mit Beschluss der Richtlinie des G-BA erlassene Richtlinie zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimzellenschädigender Therapie (Kryo-RL) mit Wirkung ab 20. Februar 2021. Die nach § 7 der Kryo-RL für das Inkrafttreten notwendige Umsetzung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) erfolgte zum 1. Juli 2021.

Die Kryo-RL nennt in § 3 als Medizinische Indikation:

Indikationen

(1)       Für die medizinische Indikation zur Kryokonservierung und für die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen nach dieser Richtlinie müssen neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung einer Kryokonservierung bezüglich einer Erkrankung Behandlungen geplant sein, die nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse keimzellschädigend sein können; dazu zählen insbesondere:

− operative Entfernung der Keimdrüsen,

- Strahlentherapie mit zu erwartender Schädigung der Keimdrüsen oder

− potentiell fertilitätsschädigende Medikation. Die Feststellung des Vorliegens dieser Voraussetzung trifft die oder der die Grunderkrankung diagnostizierende oder behandelnde Fachärztin oder Facharzt.

Zur Überzeugung der Kammer sind nach diesen Vorschriften die Voraussetzungen für den Anspruch der Klägerin auf Kryokonservierung der männlichen Keimzellen ab 1. Juli 2021 gegeben.

Nach § 3 der Kryo-RL des G-BA ist eine Behandlung einer Erkrankung, die keimzellenschädigend sein kann, auch gegeben bei einer operativen Entfernung der Keimdrüsen und potentiell fertilitätsschädigender Medikation. Beides trifft auf die Transitionsbehandlung der Klägerin zu. Es wurden im Rahmen dieser Behandlung die Keimdrüsen operativ entfernt und eine Hormontherapie durchgeführt, die potentiell fertilitätsschädigend ist.

Die Kammer folgt nicht dem Vortrag der Beklagten, dass die Voraussetzungen des § 27a SGB V nicht gegeben seien, weil die Unfruchtbarkeit als eine unvermeidbare Folge der Geschlechtsumwandlung bewusst in Kauf genommen werde und daher notwendiges Therapieziel sei und damit nach der Gesetzesbegründung nicht von § 27a SGB V umfasst sei.

Zwar ist der Beklagten insoweit zuzustimmen, dass laut Gesetzesbegründung zur Einführung des § 27a Abs. 4 SGB V die Möglichkeit der Kryokonservierung geschaffen werden sollte, „wenn aufgrund einer Erkrankung (z. B. einer Krebserkrankung oder einer rheumatologischen Erkrankung) und deren Behandlung mittels einer keimzellschädigenden Therapie die Gefahr der Unfruchtbarkeit besteht.“ (BT-DS 19/6337 S. 87). Daraus ergibt sich aber ebenso wenig wie aus dem Gesetz, dass die Fälle einer Transitionsbehandlung ausgeschlossen wären.

Die Transitionsbehandlung ist im vorliegenden Fall unstreitig als medizinisch notwendige Behandlung der Transsexualität der Klägerin eine Krankenbehandlung nach § 27 SGB V. Dies dürfte auch die Beklagte nicht anders sehen, da sie die Kosten für die Transitionsbehandlung der Klägerin übernommen hat, also den Anspruch nach § 27 SGB V gegeben sah. Insoweit kann die Kammer nicht nachvollziehen, warum die Beklagte zunächst vortrug, den Fortgang der keimzellenschädigenden Therapie nicht zu kennen. Die Argumentation der Beklagten, dass die Klägerin die Folgen der Behandlung der Transsexualität als Krankheit im Sinne des § 27 SGB V bewusst herbeigeführt hätte, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Denn die Transsexualität ist ebenso wenig wie andere Erkrankungen bewusst herbeigeführt. Dass die medizinisch notwendige Behandlung im Rahmen der Geschlechtsumwandlung zwingend die Unfruchtbarkeit zur Folge hat, führt nicht dazu, dass der Anspruch nach § 27a Abs. 4 SGB V ausgeschlossen wäre. Denn zum einen steht im Gesetz die keimzellenschädigende Therapie. Dass eine Geschlechtsumwandlung sowohl hinsichtlich der hormonellen Behandlung als auch hinsichtlich der operativen Eingriffe keimzellenschädigend ist, liegt auf der Hand. Entsprechend nennt auch die Kry-RL in § 3 als medizinische Indikation ausdrücklich die operative Entfernung der Keimdrüsen und die potentiell fertilitätsschädigende Medikation. Zum anderen schließt die Benennung der „Gefahr einer Unfruchtbarkeit“ die Kostenübernahme in Fällen nicht aus, in denen die medizinische Behandlung mit Sicherheit die Unfruchtbarkeit zur Folge hat. Denn auch in dem ausdrücklich in der Gesetzesbegründung genannten Beispiel einer Krebserkrankung kommen zum Teil Therapien zum Einsatz, die mit Sicherheit die Unfruchtbarkeit zur Folge haben, wenn etwa die gesamten Keimdrüsen entfernt werden müssen. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber gerade die Fälle, in denen die Unfruchtbarkeit zwingende Folge einer medizinisch notwendigen Behandlung ist, ausschließen, die Fälle in denen lediglich die Gefahr einer Unfruchtbarkeit besteht, aber in den Leistungskatalog aufnehmen wollte. Entsprechend ist im Gesetzeswortlaut auch die keimzellenschädigende Therapie als solche genannt. Auch die Gesetzesbegründung führt zwei Absätze später aus:

Mit der Änderung soll der Anspruch auf Kryokonservierung Personen zu Gute kommen, die aufgrund einer Erkrankung eine keimzellschädigende Therapie in Anspruch nehmen müssen und bei denen zwar keine spätere Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit oder Empfängnisfähigkeit an sich in Betracht kommt, für die aber eine spätere künstliche Befruchtung in Frage kommen könnte (BT-DS 19/6337 S. 87).“

Die weitere Voraussetzung des § 27a Abs. 4 SGB V - die Möglichkeit einer späteren medizinischen Maßnahme nach Absatz 1 - ist ebenfalls gegeben. § 27a Abs. 1 SGB V setzt nach Satz 1 Nr. 3 die Ehe der beiden Personen, die die Maßnahme zur Herbeiführung der Schwangerschaft in Anspruch nehmen, voraus. Nach Satz 1 Nr. 4 ist nur die homologe Befruchtung unter Verwendung von Ei- und Samenzellen der Ehegatten zulässig. Diese Voraussetzungen müssen jedoch im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Kryokonservierung nach Abs. 4 noch nicht vorliegen. Es muss lediglich die Möglichkeit bestehen, dass mit dem konservierten Material ein Anspruch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung umsetzbar ist (Fahlbusch in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V§ 27a SGB Rn 26, 69ff.). Im Falle der Klägerin ist entgegen der Ansicht des Beklagten auch nach der erfolgten Transition die Möglichkeit gegeben, dass ein Anspruch nach Absatz 1 umsetzbar ist. Denn die Klägerin kann eine Ehe nach eherechtlichen Vorschriften mit einer Frau eingehen und mit dieser dann unter Verwendung der kryokonservierten Samenzellen eine homologe Befruchtung durchführen. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in Deutschland bereits seit 2017 geregelt. Es ist genauso denkbar, dass im Falle einer medizinisch notwendigen Retransition die Klägerin dann wieder als Mann eine Ehe mit einer Frau eingeht und im Rahmen dieser eine homologe Befruchtung erfolgt. Da die Voraussetzungen bei Inanspruchnahme der Maßnahmen nach Absatz 4 nicht vorliegen müssen, sieht die Kammer auch keinen Anlass, dass die Klägerin sich auf eine der Möglichkeiten festlegt. Denn es ist im Gesetz nicht vorgesehen, dass die Versicherte sich bei Inanspruchnahme der Maßnahmen nach Absatz 4 bereits konkret auf eine Ehe festlegt. Es soll gerade auch Versicherten, die im jungen Lebensalter wegen einer Erkrankung behandelt werden, ermöglicht werden, später bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 27a Abs. 1 SGB V die Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vorzunehmen (vgl. schon Gesetzesbegründung BT-DS 19/6337, S 87).

Auch aus dem Urteil des BSG vom 10. November 2021, B 1 KR 7/21 R ergibt sich nichts Anderes. Denn das BSG hat allein über den Ausschluss einer heterologen Insemination in einer gleichgeschlechtlichen Ehe entschieden. Diese ist nach § 27a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB V ausgeschlossen. Der Ausschluss verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Im Falle der Klägerin besteht aber gerade die Möglichkeit einer homologen Insemination, sollte die Klägerin in Zukunft die Ehe mit einer Frau eingehen.

Nach § 27a Abs. 4 S. 2 SGB V gilt Absatz 3 Satz 1 zweiter Halbsatz der Vorschrift entsprechend. Das bedeutet, dass der Anspruch spätestens mit Erreichen der oberen Altersgrenze nach Absatz 3 S. 2 entfällt. Denn mit der Kryokonservierung soll die spätere Vornahme einer künstlichen Befruchtung ermöglicht werden. Mit Erreichen der Altersgrenze kann aus dem gelagerten Material kein zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung umzusetzender Anspruch mehr erfolgen (Fahlbusch in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V§ 27a SGB Rn 26, 71). Im vorliegenden Fall geht es um die Kryokonservierung und auch spätere Verwendung der männlichen Samenzellen. Entsprechend ist die Altersgrenze für männliche Versicherte – die Vollendung des 50. Lebensjahrs – anzuwenden. Denn die geringere Altersgrenze für weibliche Versicherte (40. Lebensjahr) als für männliche Versicherte (50. Lebensjahr) wird damit begründet, dass die Konzeptionswahrscheinlichkeit bei der Frau ab dem 30. Lebensjahr abnehme und ab dem 40. Lebensjahr gering sei. Für männliche Versicherte wird die Altersgrenze von 50 Jahren auch mit den in diesem Alter abnehmenden Erfolgsaussichten begründet. Beide Altersgrenzen werden zusätzlich mit dem Kindeswohl begründet (vgl. zu den Gesetzesbegründungen Fahlbusch in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V§ 27a SGB Rn 45f.). Soweit der Gesetzgeber sich auch auf das Kindeswohl beruft, ist nach Ansicht der Kammer eine Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG von weiblichen und männlichen Versicherten nicht mit sachlichen Gründen zu rechtfertigen. Deshalb ist insoweit die Altersgrenze für männliche Versicherte von 50 Jahren entscheidend. Da es vorliegend um männliche Keimzellen geht, ist auch hinsichtlich der medizinischen Begründung der Altersgrenze auf die Altersgrenze für männliche Versicherte abzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

 

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved