L 7 AS 747/20

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 40 AS 1970/19
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 747/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 7 Abs. 4 SGB II, § 16 JGG

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss bei Aufenthalt in stationärer Einrichtung - Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung – Nichtvorliegen einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung bei Jugendarrest nach § 16 JGG – Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit

1. Die Verbüßung eines Jugendarrestes nach § 16 Jugendgerichtsgesetz (JGG) unterfällt nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB 2. Der Jugendliche steht bei der Verbüßung eines Jugendarrestes nach § 16 JGG für Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit ausreichend zur Verfügung.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Verbüßung eines Jugendarrests den Ausschluss- tatbestand des § 7 Abs. 4 Satz 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) erfüllt.

Der 2000 geborene, erwerbsfähige Kläger bewohnte eine Wohnung, für welche eine Warmmiete von 320,00 € zu zahlen war. Der Beklagte bewilligte ihm zuletzt mit Bescheid vom 17. Juli 2019 für den Zeitraum August bis November 2019 unter Anrechnung von Kindergeld in Höhe von 204,00 € Leistungen in Höhe von monatlich 570,00 €. Am 19. September 2019 legte der Kläger seine Ladung zum Jugendarrest in Form des Dauerarrests für den Zeitraum vom 23. September bis zum 7. Oktober 2019 vor. Mit Bescheid vom 23. September 2019 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 1. Oktober 2019 auf. Der Kläger befand sich ausweislich des Entlassungsscheines der Jugendarrestanstalt vom 23. September 2019 9.00 Uhr bis 7. Oktober 2019 9.00 Uhr im Dauerarrest. Ausweislich des Stundennachweises vom 4. Oktober 2019 nahm der Kläger in der 39. Kalenderwoche (24. bis 27. September 2019) an Arbeitseinsätzen im Umfang von 13 Stunden und in der 40. Kalenderwoche (30. September bis 4. Oktober 2019) von 10 Stunden teil.  Nach seiner Entlassung aus dem Jugendarrest stellte der Kläger einen erneuten Antrag, auf welchen der Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 ab dem 7. Oktober 2019 Leistungen bewilligte. Der Kläger erhob gegen den Aufhebungsbescheid Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2019 zurückwies. Der Kläger sei nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II während des Jugendarrests vom Leistungsbezug ausgeschlossen.

Während des Klageverfahrens bewilligte die Wohngeldbehörde dem Kläger für Oktober 2019 Wohngeld in Höhe von 75,00 €. Hierbei wurde ausgeführt, der Bewilligungszeitraum werde verkürzt, weil der Kläger ab dem 7. Oktober 2019 wieder Anspruch auf Arbeitslosengeld II habe. Den vom Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch in voller Höhe des bewilligten Betrages erfüllte die Wohngeldbehörde.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 14. Juli 2020 den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung lägen nicht vor, weil der Kläger nicht nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Der Dauerarrest nach § 16 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) sei nicht als richterliche angeordnete Freiheitsentziehung i. S. d. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II zu werten. Es handele sich um ein Zuchtmittel, nicht um eine Strafe und habe auch eine andere Zielsetzung als eine solche. Zudem könne der Jugendarrest in Abhängigkeit von den individuellen Lebensumständen jederzeit geändert und auch aufgehoben werden, beispielsweise bei einer vom Jobcenter vermittelten Arbeit oder Ausbildung. Weiterhin dauere ein Jugendarrest nicht mehr als vier Wochen. § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II zeige, dass der Gesetzgeber einen ständigen Wechsel der Leistungsträger zumindest für kurze, zeitlich von vornherein begrenzte Zeiträume vermeiden wolle.

Der Beklagte hat die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass es sich bei dem Jugendarrest um einen Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung handele. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II sei daher erfüllt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Juli 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Bescheid vom 23. September 2019 rechtswidrig ist.

Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Bescheid vom 23. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2019 ist rechtswidrig. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach Abs. 1 Satz 1 ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Denn der Kläger hatte auch im Zeitraum 1. bis 6. Oktober 2019 einen Anspruch auf Alg II, weil er die Leistungsvoraussetzungen erfüllte und nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war. Der Kläger war erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 SGB II), hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) und war auch hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1 SGB II), weil er nicht in der Lage war, seinen Bedarf (Regelbedarf gemäß § 20 SGB II sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II) aus eigenem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen zu decken. Der Kläger war auch nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen

Der Aufenthalt im Jugendarrest stellt keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen dar, ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II ist hierdurch nicht eingetreten. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 1. Variante SGB II in der ab 1. August 2016 geltenden Fassung des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (BGBl I 1824) erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Nach Satz 2 ist dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Nach Satz 3 erhält abweichend von Satz 1 Leistungen nach diesem Buch, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus untergebracht ist (Nr. 1), oder wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II greift im Fall der Verbüßung eines Jugendarrestes jedoch bereits dem Grunde nach nicht ein. Der Kläger befand sich in dem streitigen Zeitraum nicht im „Vollzug“ einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung i.S. des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II.

Voraussetzung für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II ist der Aufenthalt in einer Einrichtung, wobei auf den sozialhilferechtlichen Einrichtungsbegriff des § 13 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) zurückzugreifen ist (vgl. BSG, Urteil vom 5. August 2021 – B 4 AS 58/20 R). Eine solche Einrichtung setzt voraus, dass es sich um einen in einer besonderen Organisationsform zusammengefassten Bestand von personellen und sächlichen Mitteln handelt, die zu einem besonderen Zweck und unter der Verantwortung eines Trägers zusammengefasst werden, wobei eine Bindung an ein Gebäude gegeben sein muss (BSG, Beschluss vom 28. August 2017 – B 14 AS 91/17 B). Dies ist auch bei einer Arrestanstalt der Fall. Auch stellt der Jugendarrest der Sache nach eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung dar. Dennoch ergibt die Auslegung, dass der Dauerarrest nach § 16 JGG nicht von der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II umfasst ist (a.A. Sächsisches LSG, Beschluss vom 8. August 2022 – L 6 AS 431/21; Geiger in Münder/Geiger, SGB II, 7. Aufl., § 7 Rn. 154).

Das JGG unterscheidet zwischen Jugendstrafe und Zuchtmitteln. Nach § 13 Abs. 1 JGG ahndet der Richter die Straftat mit Zuchtmitteln, wenn eine Jugendstrafe nicht geboten ist, dem Jugendlichen aber eindringlich zum Bewusstsein gebracht werden muss, dass er für das von ihm begangenen Unrecht einzustehen hat. Nach Abs. 2 sind Zuchtmittel die Verwarnung, die Erteilung von Auflagen sowie der Jugendarrest. Nach § 16 JGG ist der Jugendarrest Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest. Nach § 13 Abs. 1 JGG schließen sich Jugendarrest und Jugendstrafe damit bereits ausdrücklich aus. Dies zeigt auch der zeitliche Anwendungsbereich von Arrest und Jugendstrafe. Während der Dauerarrest höchstens vier Wochen betragen darf (§ 16 Ab. 4 JGG), sehen § 16 Abs. 2 und 3 JGG die Möglichkeit zeitlich schwächerer Eingriffe vor (Freizeit-, Kurzarrest). Hingegen beträgt die Mindestjugendstrafe nach § 18 Abs. 1 S. 1 JGG sechs Monate. Der Jugendarrest hat daher einen kurzzeitigen Charakter und verfolgt durch seine sozialpädagogischen Begleitprogramme im Kern erzieherische Motive und dient nicht auch repressiven Zielen wie eine Freiheitsstrafe (Spezial- oder Generalprävention). Nach § 90 JGG soll bei der Verhängung eines Jugendarrestes an das Ehrgefühl des Jugendlichen appelliert und dem sog. Arrestanten eindringlich zu Bewusstsein gebracht werden, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen habe. Ferner soll der Vollzug erzieherisch gestaltet werden und dem Jugendlichen helfen, seine Schwierigkeiten zu bewältigen, die zur Begehung der Straftat beigetragen haben. Auch der konkrete Vollzug einer gerichtlich angeordneten Jugendstrafe und eines bloßen Jugendarrestes unterscheiden sich grundlegend. So dürfen Jugendarrest und Jugendstrafe gem. § 90 Abs. 2 JGG nicht gemeinsam vollstreckt werden. Zudem darf der Jugendarrest nur in Arrestanstalten vollzogen werden. Dies folgt aus § 1 Abs. 2 Jugendarrestvollzugsordnung (JAVollzO), wonach Jugendarrestanstalten nicht gleichzeitig dem Vollzug von Strafe oder dem Vollzug an Erwachsenen dienen und nicht in Straf- oder Untersuchungshaftanstalten, auch nicht im Verwaltungsteil dieser Anstalten, eingerichtet werden dürfen

Gem. § 13 Abs. 3 JGG haben Zuchtmittel nicht die Rechtswirkungen einer Strafe. Der von einem Zuchtmittel Betroffene gilt daher nicht als vorbestraft. Im Gegensatz zu Erziehungsmaßregeln und der Jugendstrafe sind Zuchtmittel auch nicht auf Dauerwirkung ausgelegt. Der Sanktionierungsvorgang kann hierdurch in relativer sozialer Unauffälligkeit gehalten werden, wodurch negative Auswirkungen z.B. in Schule und Beruf begrenzt werden können (Eisenberg/Kölbel, JGG, 23. Aufl., § 13 Rn. 9).

Im Gegensatz zu einer Ersatzfreiheitsstrafe oder auch einer Freiheitsstrafe obliegt es dem zuständigen Jugendrichter in seiner aus dem JGG abzuleitenden freien Gestaltungs- und Ermessensfreiheit zu entscheiden, ob und wenn ja, welches Zuchtmittel gegen den Jugendlichen verhängt werden soll. Diese Entscheidung ist – im Gegensatz zur Freiheitstrafe – in ihrer konkreten Vollstreckung variabel. Nach § 87 Abs. 3 Satz 1 JGG sieht der Vollstreckungsleiter von der Vollstreckung des Jugendarrestes ganz oder nach teilweiser Verbüßung von der Vollstreckung des Rests ab, wenn seit Erlass des Urteils Umstände hervorgetreten sind, die allein oder in Verbindung mit den bereits bekannten Umständen ein Absehen von der Vollstreckung aus Gründen der Erziehung rechtfertigen. Beispielsweise könnte eine vom Jobcenter vermittelte Arbeit oder ein Bildungsangebot Anlass sein, den Erziehungsaspekt des Jugendarrestes zu beeinflussen und zur Aufhebung des Arrestes führen. Gerade wegen dieses weitreichenden gestalterischen Entscheidungsrahmens wird sich jeder Jugendrichter sehr genau überlegen, ob bei einer erfolgversprechenden Maßnahme des Jobcenters die Durchführung des Zuchtmittels erzieherisch noch sinnvoll sein kann. Diese kritische Wertung schreibt das Gesetz in § 16 Abs. 3 Satz 1 JGG bei der Verhängung eines Kurz- oder Freiheitsarrest sogar ausdrücklich vor. Danach darf diese Arrestform nur verhängt werden, wenn „weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt werden“. Das Jobcenter hat bei einem verhängten Jugendarrest eines Leistungsberechtigten daher selbst konkrete Möglichkeiten, seine Vermittlungsbemühungen oder Förderungsaspekte in das jugendgerichtliche Verfahren einzubringen, und kann daher durch eigenes Tätigwerden die Verhängung des Zuchtmittels beeinflussen. Die besondere Gestaltungsfreiheit bei der Verhängung von Zuchtmitteln nach dem JGG unterscheidet sich grundlegend von freiheitsentziehenden Maßnahmen bei einer Jugendstrafe ohne Bewährung. Im letztgenannten Fall liegt ein rechtskräftiges Urteil vor, dass durch den Jugendrichter in der Vollstreckung nicht im Nachhinein – wegen günstiger Entwicklungen des Jugendlichen – wieder aufgehoben werden kann.

Diese gesetzliche Wertung würde konterkariert, wenn der Jugendliche bei der Verbüßung des Jugendarrestes aus dem Leistungsbezug fiele und somit auch keine Vermittlung, Förderung und Unterstützungsleistungen durch das Jobcenter mehr stattfinden könnten. Nachdem gerade eine Beeinträchtigung von Arbeit und Ausbildung durch den Jugendarrest vermieden werden soll, entspricht die Beendigung bzw. Unterbrechung der Förderung durch das Jobcenter, die zwangsläufig mit einem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug verbunden wäre, nicht dem Zweck des Gesetzes. Der Sinn und Zweck der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4 SGB II ist in der Systemabgrenzung zwischen dem SGB II und dem SGB XII zu sehen. Leistungsberechtigte sollten aufgrund objektiver, eindeutiger Kriterien entweder dem Leistungsspektrum des SGB II oder dem des SGB XII zugewiesen werden (BSG Urteil vom 14.12.2017 - B 8 SO 16/16 R - Juris). Dem Ausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II liegt eine „fingierte Erwerbsunfähigkeit“ zugrunde (BSG, Urteil vom 5. August 2021 – B 4 AS 26/20 R –, Juris). Eine häufig langwierige und schwierige Feststellung, ob Erwerbsfähigkeit im Einzelfall gegeben ist, soll nach dem Willen des Gesetzgebers in den Fallgestaltungen des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II vermieden werden (BT-Drucks 16/1410 S. 20). Tragender Gesichtspunkt für eine Systemabgrenzung ist die Annahme, dass der in einer Einrichtung Verweilende  aufgrund seiner Einbindung in die Tagesabläufe der Einrichtung räumlich und zeitlich so weitgehend fremdbestimmt ist, dass er für die für das SGB II im Vordergrund stehenden Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht (BSG, Urteil vom 5. August 2021 – B 4 AS 26/20 R –, Juris). Dass ist bei der Verbüßung eines Dauerarrests jedoch gerade nicht der Fall, denn dieser kann jederzeit beendet werden, um dem Jugendlichen die Aufnahme von Arbeits- oder Ausbildungsgelegenheiten zu ermöglichen. Der Jugendliche steht daher für Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit ausreichend zur Verfügung.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 24. Februar 2011 (B 14 AS 81/09 R) und 21. Juni 2011 (B 4 AS 128/10 R). In den Verfahren ging es um die Bewertung von Ersatzfreiheitsstrafen nach § 43 StGB. Bei Uneinbringlichkeit tritt die Ersatzfreiheitsstrafe ohne rechtsgestaltenden Akt an die Stelle der im Urteil verhängten Geldstrafe, ihre Dauer ist bestimmt durch die Anzahle der Tagessätze. Es handelt sich um eine echte Strafe. Im Gegensatz dazu ist der Jugendarrest gerade keine Strafe. Außerdem ist bei der Ersatzfreiheitsstrafe eine Änderung im Hinblick auf die persönlichen Entwicklungen des Betroffenen nicht möglich. Vielmehr kann lediglich dann, wenn die Vollstreckung eine unbillige Härte darstellt, diese unterbleiben (§ 459f der Strafprozessordnung – StPO). Dies führt jedoch lediglich zu einem Aufschub der Vollstreckung und lässt im Übrigen den Fortbestand der Strafe unberührt (Graalman-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. § 459f Rn. 8). In aller Regel wird während dieses Zeitraums eine Erwerbstätigkeit nicht möglich sein. Im Gegensatz dazu ist der Jugendarrest, wie oben ausgeführt, in der Vollstreckung variabel. Ebenso steht das Urteil des BSG vom 5. August 2021 (B 4 AS 58/20 R) dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Der Betroffene dort hielt sich mit seinem Einverständnis und der Zustimmung des Gerichts in einer staatlichen Einrichtung zur Behandlung seiner Abhängigkeit i.S. von § 35 Abs. 1 BtMG auf und die Strafvollstreckung war zugunsten einer stationären Entwöhnungsbehandlung zurückgestellt. Nach den tatsächlichen Feststellungen ist in aller Regel während dieses Zeitraums eine Erwerbstätigkeit nicht möglich. Dies ist der grundlegende Unterschied zum Dauerarrest. Denn der Jugendliche steht während der Verbüßung des Dauerarrests – wie dargelegt -  für Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit ausreichend zur Verfügung.

Die dargestellten Unterschiede im Vollzug rechtfertigen es, nur die Jugendstrafe als richterlich angeordnete Freiheitsentziehung i.S.v. § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II anzusehen, den Jugendarrest jedoch anders zu bewerten. Dies bestätigen bereits die Gesetzesmaterialen zum § 7 Abs. 4 SGB II. Hiernach wurde die Verhängung von Zuchtmitteln in Gestalt des Jugendarrestes nicht als Beispiel für eine richterliche Freiheitsentziehung oder Unterbringung angesehen, obwohl sich der Gesetzgeber über die Besonderheiten des JGG im Klaren war (vgl. zum Ganzen LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. September 2014 – L 4 AS 318/13).

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der Leistungsausschluss zu einem kurzzeitigen Wechsel des zuständigen Leistungsträgers führen würde. Die Regelung des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II zeigt, dass der Gesetzgeber bei von vorneherein begrenzten, überschaubaren Zeiträumen, in denen der Betroffene dem Jobcenter nicht zur Verfügung steht, in der Regel eine Weitergewährung der Leistungen nach dem SGB II vorsieht. Bei einem vier Wochen nicht überschreitenden Dauerarrest, der zudem jederzeit beendet werden kann, ist ein solcher Zuständigkeitswechsel noch erheblicher.

Nach Sinn und Zweck ist daher der Dauerarrest nicht als richterliche Freiheitsentziehung im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II einzustufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Frage, ob der Jugendarrest eine richterliche angeordnete Freiheitsentziehung im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGG ist, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.

 

 

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