L 7 AS 196/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 33 AS 1402/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 196/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AS 100/22 BH
Datum
Kategorie
Beschluss

I.    Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2021 wird zurückgewiesen. 

II.    Die Beteiligten haben einander im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum vom 1. September 2019 bis 10. Januar 2020.

Der Kläger zu 1) erwarb 1986 ein Grundstück in der B-Straße, B-Stadt zu einem Kaufpreis von 275.000 DM. Dies entspricht ca. 140.000 €. Das dort befindliche Haus ließ er 1994 in sieben Miteigentumsanteile bzw. Eigentumswohnungen aufteilen und behielt das Eigentum an der Eigentumswohnung Nr. 2 im Erdgeschoss rechts (Grundbuchblatt 6617). 

Im Jahr 2001 wanderte der Kläger mit seiner Familie, insbesondere dem Kläger zu 2), nach Syrien aus. Zu diesem Zeitpunkt hatte er gegenüber seinem Bruder, K. M., Verbindlichkeiten in Höhe von 300.000 DM, welche durch eine auf der Eigentumswohnung lastenden Briefgrundschuld in entsprechender Höhe gesichert wurden. Darüber hinaus hatte der Kläger ein Darlehen bei der Sparkasse C-Stadt (Nr. XXX1) aufgenommen, dessen Rückzahlung zum 30. Juni 2013 fällig und welches ebenfalls durch eine auf seiner Eigentumswohnung lastenden Grundschuld gesichert wurde. 

Im Jahr 2013 kehrte der Kläger zu 1) mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Die Familie stand seitdem im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten. So bildete der 1959 geborene Kläger zu 1) zusammen mit seiner 1976 geborenen Frau D. und dem jüngsten gemeinsamen Sohn, dem 2006 geborenen Kläger zu 2), eine Bedarfsgemeinschaft. Dieser wurden zuletzt im Zeitraum März 2019 bis August 2019 auf Grundlage des vorläufigen Bewilligungsbescheides vom 14. Februar 2019, geändert durch die Änderungsbescheide vom 1. Juni 2019, 25. Juni 2019 und 26. Juni 2019 vorläufige Leistungen bewilligt. Dabei erkannte der Beklagte betreffend die gesamte Familie einen monatlichen Gesamtbedarf von 2.124,45 € an. Für den Kläger zu 1) wurden für den Leistungszeitraum von März bis August 2019 Gesamtleistungen in Höhe von 4.123,94 € und für den Kläger zu 2) Gesamtleistungen in Höhe von 2.508,58 € bewilligt und ausgezahlt (insgesamt: 6.632,52 €). 

Was die Eigentumswohnung anbelangte, vereinbarte der Kläger zu 1) am 17. Januar 2013 mit dem Bruder schriftlich, dass dieser das laufende Darlehen bei der Sparkasse C-Stadt mit einer zu diesem Zeitpunkt bestehenden Restschuld von ca. 115.000 € und auch die Verwaltung der Eigentumswohnung übernehmen solle. Im Gegenzug bevollmächtigte der Kläger zu 1) seinen Bruder „unwiderruflich“ u.a. zum Verkauf und zur Belastung der Eigentumswohnung. Der Bruder des Klägers zu 1) nahm im Folgenden ein Darlehen bei der Volksbank F-Stadt in Höhe von 115.000 € auf und löste mit diesem Betrag das Darlehen bei der Sparkasse C-Stadt ab. Entsprechend wurde die Grundschuld zugunsten der Sparkasse C-Stadt gelöscht. Zur Sicherung des auf den Bruder laufenden Darlehens ließ der Kläger zu 1) eine Grundschuld zugunsten der Volksbank F-Stadt in Höhe von 115.000 € auf die weiterhin in seinem Eigentum stehende Eigentumswohnung eintragen und trat seine Mietansprüche als Sicherheit für dieses Darlehen an die Volksbank F-Stadt ab. Gleichzeitig wurde im Jahre 2014 die Briefgrundschuld für den Bruder gelöscht.

Nachdem sich im Zuge eines Weiterbewilligungsantrages im August 2019 Hinweise auf das Wohnungseigentum des Klägers zu 1) ergeben hatten, lehnte der Beklagte eine weitere Leistungsgewährung ab. So lehnte er insbesondere im Zeitraum vom 1. September 2019 bis 29. Februar 2020 die Bewilligung von Leistungen für die Kläger mit Ablehnungsbescheid vom 25. September 2019 wegen entgegenstehenden Vermögens ab. 

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2019 zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, dass mit der Eigentumswohnung verwertbares und den Bedarf der Kläger deckendes Vermögen vorläge, das für das Bestreiten des Lebensunterhaltes vorranging zu verwerten und dementsprechend ein Leistungsanspruch ausgeschlossen sei.

Hiergegen richtete sich die am 19. November 2019 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhobene Klage. 

Die Kläger waren u.a. der Ansicht, dass die Eigentümerposition einer Leistungsgewährung nicht entgegenstehen würde, da der Kläger zu 1) seit der Vereinbarung vom 17. Januar 2013 keine tatsächliche Verfügungsmacht mehr über die Eigentumswohnung gehabt und lediglich „auf dem Papier“ als Eigentümer gegolten habe. Dementsprechend hätten die Kläger auch keinen Vorteil aus der Eigentumswohnung ziehen können, welche einen Verkehrswert zwischen 150.000 € bis 180.000 € haben dürfte. Weiterhin habe der Beklagte die Vermögensfreibeträge falsch berechnet. 

Sie beantragten, den Ablehnungsbescheid vom 25. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, für den Zeitraum vom 1. September 2019 bis 29. Februar 2020 Leistungen in gesetzlicher Höhe als Zuschuss zu gewähren. Der Beklagte trat dem entgegen und berief sich auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren. 

Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2020 haben die Kläger den Verkauf der Eigentumswohnung zu einem Kaufpreis von 240.000 € mit notariellem Kaufvertrag vom 29. Oktober 2019 angezeigt. Sie haben hierzu insbesondere mitgeteilt, dass die Käuferin, deren Erwerbsposition seit dem 4. November 2019 durch eine Vormerkung im Grundbuch gesichert war und welche zwischenzeitlich als Eigentümerin eingetragen worden ist, in Ansehung einer Vereinbarung mit dem Kläger zu 1) und dessen Bruder als „Mitverkäufer“ den Kaufpreis am 10. Januar 2020 in Höhe von 120.107,98 € an die Volksbank F-Stadt und in Höhe des verbleibenden Restbetrages (hier in Höhe von 119.892,02 €) auf das Konto des Bruders angewiesen hat. 

Mit Urteil vom 22. März 2021 verpflichtete das Sozialgericht Frankfurt am Main den Beklagten, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 11. Januar 2020 bis 29. Februar 2020 als Zuschuss zu gewähren und wies die Klage im Übrigen ab. Der Beklagte habe 1/3 der erforderlichen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

Zur Begründung führte das Sozialgericht an: 

„Die Kläger begehren mit ihrer nach § 54 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhobenen Klage die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. September 2019 bis 29. Februar 2020 unter Aufhebung des insofern erlassenen Ablehnungsbescheides vom 25. September 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. Oktober 2019.

Die so verstandene Klage hat teilweise Erfolg, da sie als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft und zulässig sowie im Übrigen teilweise begründet ist. Denn der Ablehnungsbescheid vom 25. September 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. Oktober 2019 ist insofern rechtswidrig und die Kläger im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, als den Klägern ab dem 11. Januar 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zustanden. Was den Zeitraum bis einschließlich 10. Januar 2020 anbelangt, ist der Bescheid hingegen nicht zu beanstanden, da den Klägern bis zu diesem Zeitpunkt keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zustanden.

Die Rechtsgrundlage für den hier gegebenen, wenn auch nur für den Zeitraum vom 11. Januar 2020 bis 29. Februar 2020 bestehenden Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II findet sich in § 19 SGB II i.V.m. §§ 7 ff. SGB II.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Soweit mit den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten weitere Personen in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenleben (§ 7 Abs. 3 SGB II), sind deren Bedarf einerseits aber auch deren Einkommen andererseits bei der Bedarfsbestimmung zu berücksichtigen. Der Bedarf für den Lebensunterhalt von erwerbsfähigen, aber auch mit ihnen zusammenlebenden nichterwerbsfähigen Leistungsberechtigten umfasst grundsätzlich die monatlichen Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, ggf. Mehrbedarfe sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 SGB II, § 20 ff. SGB II).

Die Kläger erfüllen im hier streitigen Zeitraum vom 1. September 2019 bis 29. Februar 2020 vorgenannte Voraussetzungen teilweise und zwar insbesondere, als diese ab dem 11. Januar 2020 als hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 SGB II anzusehen sind. Betreffend den Kläger zu 2) wird auf §§ 7 Abs. 3, 23 SGB II hingewiesen. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist nämlich hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. 

Die Bedarfe der gesamten klägerischen Familie beliefen sich – ausgehend von der vorgehenden Leistungsbewilligung mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 14. Februar 2019, geändert durch die Änderungsbescheide vom 1. Juni 2019, 25. Juni 2019 und 26. Juni 2019, auf einen Betrag in einer Größenordnung von monatlich 2.124,45 €. Für den sechsmonatigen Leistungszeitraum gerechnet handelt es sich insofern um einen Gesamtbedarf von 12.746,70 €. 

Diesen Bedarf war der Kläger zu 1) lediglich bis zum 10. Januar 2020 imstande, vollständig durch zu berücksichtigendes Vermögen gem. § 12 SGB II, hier in Gestalt der Eigentumswohnung, zu sichern, mit der Folge, dass eine Anspruchsberechtigung ab dem Folgetag, hier dem 11. Januar 2020, bestand.

Nach § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen, sofern sie nicht unter den Katalog von § 12 Abs. 3 Satz 1 SGB II fallen, wie u.a. ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II) oder Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II). Bemessen werden die Vermögensgegenstände dabei gemäß § 12 Abs. 4 SGB II nach ihrem Verkehrswert. Das ist der Geldbetrag, der durch eine Verwertung des Vermögensgegenstandes am Markt zu erzielen ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Dezember 2012 - B 4 AS 29/12 R, juris, Rn 29) und zwar zu dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Bewilligung oder erneute Bewilligung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt wird (§ 12 Abs. 4 Satz 2 SGB II). 

Vorliegend stellte die Eigentumswohnung des Klägers zu 1) einen solchen Vermögensgegenstand dar. Dieser fiel insbesondere auch nicht unter den Ausschlusskatalog von § 12 Abs. 3 Satz 1 SGB II, zumal die Eigentumswohnung von den Klägern nicht selbst zu Wohnzwecken genutzt wurde. Auch war deren Verwertung nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Denn unwirtschaftlich ist eine Verwertung nur dann, wenn der Zwang zum Verkauf zu einer nennenswerten Entwertung führen und ein normal und ökonomisch Handelnder die Verwertung daher unterlassen würde (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 9. Dezember 2004 - B 7 AL 44/04 R, BeckRS 2005, 40491, Gliederungspunkt II.1.c). Letzteres war, wie sich in Ansehung des erzielten Kaufpreises von 240.000 € bestätigt findet, nicht der Fall, da das gesamte Grundstück ehemals für weit weniger, hier ca. 140.000 €, erworben wurde. Auch lag in der Verwertung keine besondere Härte. Hierfür erforderlich sind nämlich außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls, die nicht bereits in § 12 Abs. 3 SGB II als Privilegierungstatbestände erfasst sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Februar 2014 - B 14 AS 10/13 R, BeckRS 2014, 68227, Rn 45 ff) und dem Betroffenen ein eindeutig größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte. Eine solche Härte wurde vorliegend weder von den Klägern vorgebracht, noch war sie im Übrigen ersichtlich, insbesondere da nach dem ausdrücklichen Willen des Klägers zu 1) nicht er, sondern dessen Bruder die Eigentumswohnung verwalten und entsprechende Vorteile aus ihr ziehen sollte. 

Die Eigentumswohnung war auch in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum verwertbar. Grund hierfür ist, dass unter Verwertbarkeit im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB II bereits die alleinige Möglichkeit ausreicht, den Vermögensgegenstand wirtschaftlich auszuschöpfen, um die Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, etwa durch Verbrauch, Übertragung oder Belastung. Es genügt insofern bereits, dass der betroffene Leistungsberechtigte hieraus einen Ertrag erzielen kann, durch den er, wenn auch nur kurzzeitig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 30. August 2010 - B 4 AS 70/09 R, BeckRS 2010, 74888, Rn 16). 

Dies zugrunde gelegt, stellte die Eigentumswohnung einen für die Kläger verwertbaren Vermögensgegenstand dar, da der Kläger zu 1) zu Beginn des hier maßgeblichen Leistungszeitraumes deren unbestrittener und auch im Grundbuch eingetragener Eigentümer war und diese Position jedenfalls bis zum 10. Januar 2020 uneingeschränkt innehatte.

Hierbei kommt es - entgegen des klägerischen Vortrages - entscheidend auf die formale Eigentümerstellung des Klägers zu 1) an. Denn gemäß § 903 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann, soweit nicht etwa das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, nur der Eigentümer mit der Sache – hier dem Vermögensgegenstand in Form der Eigentumswohnung - nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Insofern besaß allein der Kläger zu 1) das Recht und die nach vorgenannten Ausführungen maßgebliche Möglichkeit zur Verwertung. Dieses Recht wurde insbesondere auch nicht durch die Vereinbarung vom 17. Januar 2013 zwischen dem Kläger zu 1) und dessen Bruder wirksam beschränkt. Denn hierbei handelt es sich um einen rein schuldrechtlichen Vertrag, durch den weder das Eigentum an der Eigentumswohnung noch ein Miteigentumsanteil hieran auf den Bruder übertragen, noch diesem eine sonstige rechtlich bindende und durchsetzbare Verfügungsmacht eingeräumt wurde. Erst mit vollständiger Kaufpreiszahlung durch die Käuferin, hier vereinbarungsgemäß zum 10. Januar 2020 an die Volksbank F-Stadt und den Bruder des Klägers zu 1), trat eine erhebliche Änderung der Verhältnisse ein. Denn mit vollständiger Kaufpreiszahlung erstarkte der bereits durch die Vormerkung gesicherte Anspruch der Käuferin auf Eintragung als neue Eigentümerin ins Grundbuch, sodass der Kläger zu 1) ab dem Folgetag, dem 11. Januar 2020, keine Verfügungen mehr treffen konnte, die deren erstarkte Position hätten vereiteln können. 

Die Höhe des in der Eigentumswohnung verkörperten verwertbaren Vermögens belief sich nach Überzeugung des Gerichts dabei mindestens auf ca. 80.000 €. Dieser Betrag errechnet sich aus einem zu schätzenden Verkehrswert der Wohnung in Höhe von mindestens ca. 195.000 €, hier abgeleitet aus dem Mittelwert zwischen der niedrigsten Schätzung der Kläger (ca. 150.000 €) und dem letztlich erzielten Verkaufspreis (240.000 €) abzüglich der auf der Eigentumswohnung unmittelbar lastenden Grundschuld in Höhe von 115.000 €. 

Weiterhin abzusetzen von dem nach vorgenannten Maßstäben festzustellenden Vermögens sind nach § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB II im vorliegenden Fall ein Grundfreibetrag in Höhe von 150 Euro je vollendetem Lebensjahr für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende volljährige Person und deren Partnerin oder Partner, mindestens aber jeweils 3.100 €, solange dieser Grundfreibetrag den nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB II maßgebenden Höchstbetrag nicht übersteigt (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB), ein Grundfreibetrag in Höhe von 3.100 € für jedes leistungsberechtigte minderjährige Kind (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a SGB) und ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750 Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Leistungsberechtigten (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a SGB). Für den jeweils zu berücksichtigenden Vermögensfreibetrag bestimmt § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB II dabei eine Höchstgrenze. Diese liegt bei Personen, die (1.) vor dem 1. Januar 1958 geboren sind, bei 9.750 €, und bei Personen, die (2.) nach dem 31. Dezember 1957 und vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, jeweils bei 9.900 €. 

Hieraus ergibt sich im hier streitgegenständlichen Zeitraum ein Grundfreibetrag für den Kläger zu 1) in Höhe von 9.000 €, für dessen ebenfalls in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Frau in Höhe von 6.600 € und für den Kläger zu 2) in Höhe von 3.100 €. Unter weiterer Berücksichtigung von drei jeweils zu berücksichtigenden Freibeträgen für notwenige Anschaffungen in Höhe von insgesamt 2.150 €, ergibt sich hieraus ein Gesamtfreibetrag in Höhe von 20.950 €. 

Damit verfügten die Kläger über Vermögen in Höhe von ca. 59.050 €. Dieses reichte aus, um den Bedarf bis zum 10. Januar 2020 vollständig zu decken, sodass bis zum 10. Januar 2020 keine Hilfebedürftigkeit und damit kein Leistungsanspruch bestand. Insofern war den Klägern zuzumuten, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten und zwar ungeachtet dessen, dass die Eigentumswohnung bis Januar 2020 tatsächlich nicht veräußert wurde. Hintergrund ist, dass durch die Anrechnung von Vermögen die Subsidiarität staatlicher Fürsorge gewährleisten werden soll (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 53). 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGB II und entspricht insofern dem Ausgang des Verfahrens, als die Kläger im Hinblick auf die begehrte Leistungsgewährung im gesamten streitigen Leistungszeitraum ca. zu 1/3 obsiegen.“

Dieses Urteil wurde den Klägern am 3. April 2021 (Bl. 352 der Gerichtsakte) zugestellt. Dagegen haben die Kläger am 22. April 2021 (Bl. 354 der Gerichtsakte) Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. 

Die Kläger halten an ihrem erstinstanzlichen Vorbringen fest und sind der Meinung, dass ihnen auch für die Zeit vom 1. September 2019 bis 10. Januar 2020 Leistungen nach dem SGB II zustünden. 

Die Kläger beantragen (sinngemäß), 

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2021 aufzuheben, soweit darin die Klage abgewiesen wurde, den Bescheid des Beklagten vom 25. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2019 aufzuheben, soweit darin die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 1. September 2019 bis 10. Januar 2020 abgelehnt wurde, und den Beklagten zu verpflichten, ihnen für den Zeitraum vom 1. September 2019 bis 10. Januar 2020 Leistungen in gesetzlicher Höhe als Zuschuss zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen. 

Der Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. 

Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 17. Februar 2022 auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen.

Das vom Kläger mit Schriftsatz vom 17. März 2022 gestellte Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Landessozialgericht Prof. Dr. Becker wurde mit Beschluss des Senats vom 26. April 2022 (L 7 SF 26/22 AB) zurückgewiesen. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten, die bei der Entscheidung jeweils vorgelegen haben, ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen oder Richter zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Satz 1 SGG). Die Beteiligten sind auch vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG). Eines Einverständnisses der Beteiligten mit dieser Entscheidungsform bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 17. September 1997 - 6 Rka 97/96 - NZS 1998, 304; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG-Kommentar, 13. Auflage, 2020, § 153 Rn. 14). 

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Sie ist auch statthaft gemäß §§ 143 und 144 SGG. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes den maßgeblichen Betrag von 750 Euro deutlich überstieg.

Gegenstand des Berufungsverfahren ist ausschließlich das Urteil des Sozialgerichts vom 22. März 2021 im Verfahren S 33 AS 1402/19. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 28. Mai 2021 eine Einbeziehung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main im Verfahren S 33 AS 914/20 in das vorliegende Berufungsverfahren wünscht, ist dies nicht möglich, weil sich die von den Klägern erhobene Berufung ausschließlich gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 22. März 2021 im Verfahren S 33 AS 1402/19 richtet. 
Die Berufung ist unbegründet. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 25. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2019 ist, soweit er durch die allein von den Klägern eingelegte Berufung Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, nicht zu beanstanden. Zur Begründung wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts Frankfurt am Main im angegriffenen Urteil, die sich der Senat nach Prüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG), verwiesen. Insbesondere hat das Sozialgericht zu Recht angenommen, dass die Bedarfe der gesamten klägerischen Familie bis zum 10. Januar 2020 vollständig durch zu berücksichtigendes Vermögen gem. § 12 SGB II, hier in Gestalt der Eigentumswohnung, gesichert waren. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger am 29. Oktober 2019 einen notariellen Vertrag über den Verkauf der Eigentumswohnung geschlossen hat und für die Käuferin bereits am 4. November 2019 eine Vormerkung in das Grundbuch eingetragen war, denn die Vormerkung begründet keine Verfügungsbeschränkung (Kohler: in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Aufl. 2020, BGB § 883 Rn. 49). Trotz Vormerkung bleibt das betroffene Grundstücksrecht daher rechtlich verkehrsfähig, wenn auch mit einem geringeren Verkehrswert (Kohler: in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 8. Aufl. 2020, BGB § 883 Rn. 50). Auch wenn man ab dem 4. November 2019 wegen dieser in das Grundbuch eingetragenen Vormerkung einen geringeren Verkehrswert ansetzt, reicht das Vermögen des Klägers zu 1) in Form der Eigentumswohnung auch nach entsprechender Minderung des Verkehrswertes aus, den Lebensunterhalt der Familie unter Berücksichtigung der Freibeträge auch für die Zeit vom 4. November 2019 bis 10. Januar 2020 zu sichern, denn der Verkehrswert der Eigentumswohnung kann auch durch den erzielten Verkaufspreis von 240.000 € bestimmt werden, so dass auch bei einer Minderung des Verkehrswertes ab 4. November 2019 der Lebensunterhalt der Familie in jedem Fall gesichert ist. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
Saved