L 3 AS 285/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 173 AS 2086/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 AS 285/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

 

Gründe:

 

I.

 

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines vom Beklagten ausgesprochenen Hausverbotes.

 

Der Kläger stand seit September 2020 bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nach Vorsprachen beim Beklagten kam der Kläger mehrfach Aufforderungen, das Gebäude zu verlassen, nicht nach. Die Aufforderungen mussten zum Teil durch den Sicherheitsdienst bzw. mit Hilfe der Polizei durchgesetzt werden (z. B. am 13. November 2020, 16. November 2020, 24. November 2020, 01. Dezember 2020, 10. Dezember 2020, 11. Dezember 2020 und 15. Dezember 2020). Der Beklagte stellte entsprechende Strafanzeigen und –anträge wegen Hausfriedensbruchs. Der Kläger stellte seinerseits Strafanzeigen gegen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes. Nachdem am 15. Januar 2021 erneut ein ausgesprochenes Tageshausverbot mit Hilfe der Polizei durchgesetzt werden musste, erteilte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 21. Januar 2021 mit sofortiger Wirkung ein Hausverbot für das Dienstgebäude sowie alle zugehörigen Liegenschaften des Beklagten für die Dauer von zwölf Monaten. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass der Kläger in der Zeit von Oktober 2020 bis Januar 2021 wöchentlich, teilweise sogar täglich am Eingang des Dienstgebäudes vorgesprochen habe, wobei eine Öffnung auf Grund der Corona-Pandemie ausschließlich für Notfälle gegeben gewesen sei. Trotz aller Bemühungen der Mitarbeiter um Beratung, habe der Kläger ein sehr aggressives und unkooperatives Verhalten gezeigt. Er sei mehrmals ausdrücklich gebeten worden, sein Verhalten zu überdenken und zu ändern. Aufgrund seines Verhaltens gegenüber Mitarbeitern des Beklagten und des Sicherheitsdienstes seien bereits mehrfach Tageshausverbote ausgesprochen worden. Der Kläger habe sich diesen widersetzt und sich geweigert, das Haus zu verlassen, was jeweils in Polizeieinsätzen und Strafanzeigen geendet habe. Zum Schutz der Mitarbeiter sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebes werde von dem Hausrecht Gebrauch gemacht. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2021 als unbegründet zurück.

 

Mit seiner beim Sozialgericht Berlin (SG) am 24. März 2021 erhobenen Klage hat der Kläger sich gegen das Hausverbot gewandt und die Auffassung vertreten, der Beklagte nutze willkürlich seine Machtposition aus, um unliebsame Kunden fernzuhalten. Der Beklagte könne dabei sicher sein, dass Anzeigen gegen seine Mitarbeiter in der Regel eingestellt würden, weil man keine Zeugen für das Vorgehen der Mitarbeiter habe, sondern diese sich auf andere Kollegen als Zeugen berufen könnten. Diese Möglichkeit bestehe für ihn selber aber wegen der aktuellen Zugangsbeschränkungen nicht. Das gegen ihn gerichtete Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft sei eingestellt worden, ebenso wie die Ermittlungsverfahren gegen die Mitarbeiter des Jobcenters.  Auch nach der seit dem 01. Mai 2021 bestehenden Zuständigkeit des Jobcenters B benötige er Zugang zu den Räumlichkeiten des Beklagten. Die Unterlagen, derer er von den Mitarbeitern im November 2020 beraubt worden sei, seien noch dort. Es stünden auch noch Zahlungen des Beklagten aus. Die Mitarbeiter des Beklagten hätten ihn bestohlen, zudem sei er am 15. Januar 2021 zusammengeschlagen worden. Der Kläger hat begehrt festzustellen, dass das Hausverbot unrechtmäßig erlassen worden ist. Zudem hat er beantragt: „Nach Beschluss des Bundesgerichtshofes über Verursacherprinzip steht mir zu 1.800 € Entschädigung pro Wartejahr“. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat mitgeteilt, dass der Leistungsbezug des Klägers bei ihm zum 30. April 2021 geendet habe und der Kläger seit dem 01. Mai 2021 bei dem Jobcenter B im Leistungsbezug stehe. Die noch vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Herausgabe von Unterlagen und Leistungen seien sämtlich Gegenstand verschiedener gerichtlicher Verfahren. Ein Erscheinen des Klägers bei ihm sei daher nicht mehr angezeigt.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 25. Februar 2022 als unzulässig abgewiesen. Hinsichtlich des Antrages auf Entschädigung ergebe sich dies daraus, dass eine Entschädigung nicht Gegenstand des streitgegenständlichen Bescheides sei und auch sonst keine entsprechende Entscheidung des Beklagten ersichtlich sei. In Bezug auf den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Hausverbotes sei § 131 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) maßgeblich. Der angefochtene Verwaltungsakt habe sich durch Zeitablauf erledigt, denn das Hausverbot sei mit Schreiben vom 21. Januar 2021 für die Dauer von zwölf Monaten ausgesprochen worden. Ein berechtigtes Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung, dass das Hausverbot rechtswidrig gewesen sei, könne nicht erkannt werden. In Betracht komme ein solches Interesse grundsätzlich bei Präjudizialität, Schadensersatz-, Rehabilitierungsinteresse und Wiederholungsgefahr. Eine Wiederholungsgefahr sehe die Kammer nicht. Diese würde die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr voraussetzen, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten könne oder ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen werde. Der Kläger stehe aber nicht mehr bei dem Beklagten im Leistungsbezug und wohne nicht mehr in dessen Zuständigkeitsbereich. Zudem bestreite der Kläger den vom Beklagten dem Hausverbot zu Grunde gelegten Sachverhalt. Eine Feststellung der Rechtswidrigkeit im konkreten Fall, würde daher keine relevanten Feststellungen für zukünftig drohende Streitigkeiten enthalten, denn Tatsachenfragen stellten sich in jedem Einzelfall neu. Auch eine stigmatisierende Wirkung, die geeignet sei, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen und die ein Rehabilitierungsinteresse begründen könnte, sei nicht ersichtlich. Eine solche Wirkung sei bei einem Hausverbot grundsätzlich nicht gegeben. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse folge auch nicht aus dem Vortrag des Klägers, wonach er in den Räumlichkeiten des Beklagten tätlich angegriffen worden sei. Ein solches Verhalten sei nicht Gegenstand des angegriffenen Verwaltungsaktes. Feststellungen zur Rechtmäßigkeit des Hausverbotes und des zu Grunde liegenden Verhaltens des Klägers ließen auch keine Rückschlüsse hinsichtlich der vom Kläger behaupteten tätlichen Angriffe zu.

 

Der Kläger hat gegen das ihm am 02. März 2022 zugestellte Urteil am 16. März 2022 beim Sozialgericht Berlin Berufung eingelegt. Er trägt vor, nicht gewalttätig gewesen zu sein und dass der Vortrag des Beklagten nicht der Wahrheit entspreche. Mit Schreiben vom 14. April 2022 hat der Kläger um Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebeten und begehrt, Kosten nach dem Verursacherprinzip zu erstatten. Der Beklagte habe gegen das Grundgesetz verstoßen und er habe dadurch seine Wohnung verloren.

 

Der Kläger beantragt,

 

  1. Das Urteil des Sozialgerichts vom 25. Februar 2022 wird aufgehoben.
  2. Der Beklagte wird verurteilt, das Hausverbot aufzuheben.
  3. Kosten des in Höhe von 1.800 € Entschädigung pro Wartejahr zu zahlen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beteiligten sind mit Schreiben des Senats vom 12. April 2022 zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG angehört worden.

 

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakte verwiesen, die bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

 

 

II.

 

Der Senat konnte die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu durch Schreiben vom 12. April 2022 angehört worden. Eine Zustimmung der Beteiligten zu dieser Vorgehensweise ist nicht erforderlich.

 

Die Berufung hat keinen Erfolg.

 

Soweit der Kläger mit seinem Schreiben vom 14. April 2022 im Berufungsverfahren erstmals begehrt hat, Kosten zu erstatten, weil der Beklagte gegen das Grundgesetz verstoßen und er dadurch seine Wohnung verloren habe, war die Berufung zurückzuweisen, weil dieser Antrag nicht wirksam Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Dieses Begehren war nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens, so dass es sich um eine Klageänderung im Sinne einer Klageerweiterung nach § 99 SGG handelt. Eine Klageänderung ist zwar grundsätzlich auch im Berufungsverfahren möglich, es liegen aber die allgemeinen Voraussetzungen für eine wirksame Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG nicht vor. Danach ist die Klageänderung nur dann zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht sie für sachdienlich hält. Eine Einwilligung des Beklagten zur Änderung der Klage liegt nicht vor. Er hat sich auch nicht rügelos auf die geänderte Klage eingelassen; eine sachliche Äußerung hierzu ist nach Änderung nicht erfolgt. Die Erweiterung ist auch nicht sachdienlich. Eine Klageänderung ist sachdienlich, wenn sie dazu führt, dass Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren beigelegt und endgültig bereinigt werden kann, so dass ein neuer Prozess vermieden wird oder dadurch weitere noch anhängige Streitigkeiten erledigt oder weitgehend mitentschieden werden (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 99 Rn. 10). Für die Frage der Sachdienlichkeit ist daher auch entscheidend, dass die Änderung einen neuen Prozess erspart. An der Sachdienlichkeit fehlt es dagegen, wenn völlig neuer Streitstoff in den Prozess eingeführt wird (Guttenberger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 99 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 28). So liegt es hier. Ein möglicher Anspruch auf Entschädigung wegen des Verlustes der Wohnung des Klägers betrifft einen völlig anderen Streitstoff und Lebenssachverhalt als das Hausverbot. Auch bisher im Prozess erlangte Erkenntnisse, die für die Prüfung eines solchen Anspruches relevant sein könnten, sind nicht ersichtlich. Zudem dürfte für die begehrte Entschädigung der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten (Zivilrechtsweg) nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i. V. m. Art. 34 Satz 3 GG eröffnet sein, so dass eine Streitbeilegung im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht möglich wäre.

 

Im Übrigen ist die gemäß § 151 SGG frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat mit seinem Urteil vom 25. Februar 2022 die Klage zu Recht abgewiesen. Sie erweist sich als unzulässig.

 

Der auch im Berufungsverfahren als Antrag zu 3.) wiederholte Antrag, Kosten in Höhe von 1.800 € Entschädigung pro Wartejahr zu zahlen bzw. festzustellen, dass dem Kläger eine solche Entschädigung zusteht, ist unzulässig. Der Beklagte hat – wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat – hierzu noch keinerlei Verwaltungsentscheidung getroffen. Ergänzend ist auszuführen, dass der Kläger schon nicht dargelegt hat, aus welchem Grund, d. h. auf Grund welchen Lebenssachverhalts er diese Entschädigung begehrt. Er hat damit den Streitgegenstand nicht in einer den Anforderungen des § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG genügenden Weise bezeichnet. Sollte der Kläger mit diesem Antrag - wofür aus Sicht des Senats der Umstand, dass nicht eine Verurteilung des Beklagten begehrt wird, sowie die Bezugnahme auf den Bundesgerichtshof und auf  Wartejahre sprechen könnten – eine Entschädigung für die überlange Dauer des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens gem. § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) geltend machen wollen, erwiese sich der Antrag ebenfalls als unzulässig. Der Antrag ist nicht innerhalb des laufenden Verfahrens, dessen Verzögerung geltend gemacht wird, sondern erstinstanzlich beim Entschädigungsgericht (hier das Landessozialgericht) anzubringen.

 

Der im Berufungsverfahren gestellte, auf Aufhebung der Hausverbotsverfügung vom 21. Januar 2021 gerichtete Anfechtungsantrag (Antrag zu 2.) ist unzulässig. Der Kläger hat kein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des Hausverbotes, denn dieses entfaltet in dem hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats keinerlei Rechtswirkungen mehr. Das Hausverbot war auf die Dauer von zwölf Monaten befristet und endete damit am 20. Januar 2022. Zudem war der Beklagte bereits seit dem 01. Mai 2021 nicht mehr für die Gewährung von Leistungen an den Kläger zuständig, so dass auch aus diesem Grunde ein schützenswertes Interesse des Klägers an der Aufhebung des Hausverbotes nicht mehr erkannt werden kann.

 

Aber auch wenn der Antrag zu 2.) – so wie erstinstanzlich formuliert – als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Hausverbotsverfügung vom 21. Januar 2021 gerichtet ausgelegt wird, erweist er sich als unzulässig. Für den dann als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG statthaften Antrag fehlt dem Kläger das besondere Feststellungsinteresse. Insoweit wird die Berufung aus den zutreffenden Gründen des angegriffenen Urteils, auf die Bezug genommen wird, zurückgewiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

 

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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