L 11 BA 4134/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 BA 1139/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 BA 4134/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Geschäftsführer einer GmbH, die Geschäftsanteile iHv jeweils 15,75 % haben, verfügen nicht über die Rechtsmacht, ihnen nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Dies gilt auch, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Bestimmung enthält, wonach „die gehaltenen Geschäftsanteile unabhängig von ihrem Nennbetrag gemeinsam so viele Stimmen gewähren, dass die beiden Gesellschaftern zustehenden Stimmen mindestens 51%, die den anderen Gesellschaftern zustehenden Stimmen höchstens 49% der Gesamtstimmenzahl ausmachen.“ Eine nicht im Gesellschaftsvertrag enthaltene sog. Poolvereinbarung, in der sich die Gesellschafter-Geschäftsführer (zusätzlich) verpflichten, "das Stimmrecht aus ihren Anteilen nur einheitlich auszuüben", ist für die Beurteilung der Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, unbeachtlich.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.12.2020 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert wird endgültig auf 86.086,30 € festgesetzt.




Tatbestand

Streitig ist, ob die Beigeladenen jeweils ihre Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer im Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 29.07.2018 bei der Klägerin als Selbständige oder als sozialversicherungspflichtig abhängig Beschäftigte ausgeübt haben.

Die Klägerin ist eine auf den Großhandel von Zollschrauben und Zollmuttern spezialisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in L, gegründet mit Gesellschaftsvertrag vom 08.01.1985 und eingetragen ins Handelsregister B des Amtsgerichts Mannheim (HRB 104115). Zu den Geschäftsführern wurden zunächst die beiden alleinigen Gesellschafter und Eheleute F und F1 - die Beigeladenen - bestellt. Am 06.11.2009 wurden F2 und F3, die Töchter der Beigeladenen, zusätzlich zu Geschäftsführerinnen bestellt. Seit dem 08.09.2014 verteilte sich das Stammkapital in Höhe von 26.000,00 € auf die einzelnen Gesellschafter wie folgt:

Beigeladener zu 1)     4.095,00 €, 15,75 %
Beigeladene zu 2)      4.095,00 €, 15,75 %
F2        8.905,00 €, 34,25 %
F3        8.905,00 €, 34,25 %

Der Gesellschaftsvertrag wurde mit Wirkung zum 08.09.2014 am 28.08.2014 unter § 9 Ziffer 2 wie folgt gefasst:

Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit aller Stimmrechte gefasst, soweit nicht durch diese Satzung oder das Gesetz eine andere Mehrheit vorgeschrieben ist. Die von F und Frau F1 gehaltenen Geschäftsanteile gewähren unabhängig von ihrem Nennbetrag gemeinsam soviele Stimmen, dass die beiden Gesellschaftern zustehenden Stimmen mindestens 51 %, die den anderen Gesellschaftern zustehenden Stimmen höchstens 49 % der Gesamtstimmenzahl ausmachen.

Am 29.08.2014 schlossen die Beigeladenen zu 1) und zu 2) eine Poolvereinbarung mit folgendem Inhalt:

Herr F und Frau F1 verpflichten sich, über ihre Anteile nur einheitlich, insbesondere nur mit Zustimmung der übrigen Vertragsparteien, zu verfügen (…)
Die Vertragsparteien verpflichten sich, das Stimmrecht aus ihren Anteilen nur einheitlich auszuüben. Zu diesem Zweck halten sie vor einer Stimmrechtsausübung eine interne Versammlung ab, in der über die Stimmrechtsausübung entschieden wird. Die Regelungen über die Gesellschafterversammlung der Gesellschaft gelten für die interne Versammlung entsprechend.

Ab dem 30.07.2018 wurde die Beschlussfassung unter § 9 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages unter Streichung der Sonderklausel dahingehend geändert, dass Beschlüsse nunmehr einstimmig gefasst werden müssen.

Laut Geschäftsführervertrag vom 30.09.1985 war der Beigeladene zu 1) alleingeschäftsführungs- und alleinvertretungsberechtigt, von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit (§ 2 Geschäftsführervertrag), erhielt er ein festes Jahresgehalt zzgl 25% Tantieme (§ 4 Ziffer 1 und 2), Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von 6 Monaten (§ 4 Ziffer 3), betriebsübliche Sonderzuwendungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld (§ 4 Ziffer 5) und hatte einen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen (§ 5), zudem wurden ihm Reisekosten und sonstige Aufwendungen erstattet (§ 6).

Auch die Beigeladene zu 2) war einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit (vgl Handelsregistereintrag B Amtsgericht Mannheim unter Eintragung 1 a Spalte 4).

Vom 04.06.2019 bis 08.10.2019 führte die Beklagte eine Prüfung bei der Klägerin mit Prüfzeitraum vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2018 durch. Nach Abschluss der Betriebsprüfung stellte sie die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) sowie der Beigeladenen zu 2) in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest, da sie ihre Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Klägerin in der Zeit vom 01.01.2015 bis zum 29.07.2018 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hätten. Da Beschlüsse der Klägerin mit einfacher Mehrheit gefasst werden würden, hätten die beigeladenen Gesellschafter entsprechend ihrem Anteil am Stammkapital keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben können. Dementsprechend forderte sie mit Bescheid vom 08.10.2019 von der Klägerin 86.103,37 € an nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträgen sowie Umlage U 2 (ab 2018) und Insolvenzgeldumlage.

Hiergegen erhob die Klägerin am 04.11.2019 Widerspruch, den sie im Wesentlichen damit begründete, die Stimmrechtsvereinbarung, wonach die Beigeladenen ihr Stimmrecht nur einheitlich ausübten und dann über 51 % der Stimmen verfügten, habe bereits durch notarielle Änderung des Gesellschaftsvertrages vom 28.08.2014 Wirkung entfaltet. Dies habe zur Folge, dass sie über eine umfassende Sperrminorität verfügten. Die Poolvereinbarung selbst habe nur klarstellende Funktion inne. Hinzu komme, dass die Beigeladenen der Klägerin nicht unerhebliche Darlehen gewährt hätten, alleingeschäftsführungs- und alleinvertretungsberechtigt sowie von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit seien. Im Übrigen sei die B nicht die zuständige Einzugsstelle.

Die Beklagte setzte auf Antrag der Klägerin die Vollziehung der festgestellten Beitragsnachforderung mit Bescheid vom 17.12.2019 unter der Auflage der Verzinsung der Beitragsforderung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens aus. Mit Bescheid vom 18.02.2020 änderte die Beklagte den Bescheid vom 08.10.2019 dahingehend ab, als dass nunmehr die D als zuständige Einzugsstelle genannt wurde und sich die aus der Betriebsprüfung ergebende Nachforderung auf 86.086,30 € reduzierte. Den aufrechterhaltenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2020 im Übrigen zurück mit der Begründung, aufgrund der Minderheitsbeteiligung der Beigeladenen zu 1) und zu 2) laut Gesellschaftsvertrag sei eine beherrschende oder gestaltende Einflussnahme auf die Geschicke der Gesellschaft im Ernstfall nicht möglich. Der Grad der rechtlich durchsetzbaren Einflussmöglichkeiten auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung sei indes entscheidend. Die Poolvereinbarung habe keinen Niederschlag im Gesellschaftsvertrag erfahren und sei daher zur Bestimmung des sozialversicherungsrechtlichen Status unbeachtlich. Sie vermittele keine unmittelbare gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht, sondern entfalte lediglich eine schuldrechtliche Wirkung zwischen den Vertragsparteien.

Dagegen hat die Klägerin am 20.04.2020 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie hat argumentiert, die Beigeladenen hätten gemessen an § 9 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages über eine umfassende Sperrminorität verfügt. Diese Regelung ergebe ausschließlich dann Sinn, wenn die betroffenen Geschäftsanteile von dem Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 2) in ihren Stimmrechten auch einheitlich ausgeübt würden. Dies ließe sich aus der verwendeten Formulierung „gemeinsam“ ableiten. Einer notariellen Beurkundung der Poolvereinbarung habe es nicht bedurft. Die Beigeladenen hätten zudem durch eine Darlehensgewährung in Höhe von insgesamt 70.550,72 € ein nicht unerhebliches unternehmerisches Risiko übernommen. Dies zeige sich auch in einem Mietverzicht im Jahr 2020 durch den Beigeladenen zu 1).

Die Beklagte hat vorgetragen, der Grad der rechtlich durchsetzbaren Einflussmöglichkeiten auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung sei entscheidend. Das sei den Beigeladenen in Ermangelung einer Sperrminorität nicht möglich. Zuletzt sei ein Darlehen nicht geeignet, ein Unternehmensrisiko zu begründen. Damit werde vielmehr nur ein Haftungs- oder Ausfallrisiko übernommen, wie es mit jeder Darlehensgewährung verbunden sei. Es sei ohnehin im Geschäftsleben nicht völlig unüblich, dass Arbeitnehmer in einer Familiengesellschaft dem Unternehmen persönliche Darlehen gewährten oder zu dessen Gunsten sonstige finanzielle Verbindlichkeiten eingingen.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 10.12.2020 insoweit stattgegeben, als eine zusätzliche Auflage der Verzinsung der Beitragsforderung für die Dauer der Aussetzung nicht habe ergehen dürfen. Für Zinsforderungen für den Zeitraum der Aussetzung der Vollziehung fehle es an einer Rechtsgrundlage. Zum einen liege keine Regelungslücke vor. Im sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrecht fehle es gerade an einer § 237 der Abgabenordnung (AO) vergleichbaren Vorschrift, was als ein sogenanntes „beredtes Schweigen“ des Gesetzgebers und in dem Sinne zu verstehen sei, dass damit auch keine Zinspflicht bei Aussetzung der Vollziehung greifen solle. Nach einer gerichtlich bewirkten Anordnung der aufschiebenden Wirkung seien grundsätzlich keine Verzugszinsen, Mahngebühren oder Säumniszuschläge zu entrichten. Auch wenn nach § 86a Abs 3 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Entscheidung generell mit Auflagen versehen oder befristet werden könne, sei dies nur für solche Auflagen möglich, durch die ein Sicherungszweck erfüllt werden solle. Zur Sicherung einer Forderung sei eine zusätzliche Verzinsung allerdings schlicht nicht geeignet. Denn eine Verzinsung vermehre im Fall der Erfolglosigkeit des eingelegten Rechtsmittels die Forderung, sichere sie aber nicht. Die Auflage einer Verzinsung stelle höchstens ein zusätzliches Hemmnis im Rahmen der Beantragung der Aussetzung der Vollziehung dar.

Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) und 2) als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin vom 01.01.2015 bis zum 29.07.2018 sei im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt worden. Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH seien grundsätzlich dann abhängig beschäftigt, wenn sie funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess der GmbH teilhätten, für ihre Beschäftigung ein entsprechendes Arbeitsentgelt erhielten und keinen maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft hätten, also weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine umfassende Sperrminorität verfügten. Hier seien die Beigeladenen mit jeweils 15,75% an den Geschäftsanteilen der Klägerin beteiligt. Des Weiteren seien die Töchter F3 und F2 mit jeweils 34,25% an den Geschäftsanteilen der Klägerin als Gesellschafter-Geschäftsführer beteiligt. Die Beschlüsse der Klägerin würden mit einfacher Mehrheit gefasst. Die Gesellschafter-Geschäftsführer hielten jeweils somit weder die Mehrheit der Geschäftsanteile an der Klägerin, noch verfügen sie jeweils über eine qualifizierte Sperrminorität. Sie verfügten somit jeder für sich nicht über die Rechtsmacht, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen. Es mangele an den rechtlich durchsetzbaren Einflussmöglichkeiten. Der von der Klägerin vorgetragene Einwand, dass die beigeladenen Gesellschafter-Geschäftsführer sich verpflichtet hätten, das Stimmrecht aus ihren Anteilen nur einheitlich auszuüben, gehe aus dem geänderten Gesellschaftsvertrag vom 29.08.2014 nicht hervor. Vor allem könne dies nicht daraus geschlussfolgert werden, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) „gemeinsam“ einen Gesellschaftsanteil von 51 % innehätten. Gleichwohl der in § 9 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages vorgenommen Änderung verbleibe es dabei, dass Beschlüsse der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit aller Stimmrechte gefasst würden. Eine Regelung, wie diese Stimmrechte auszuüben waren, finde sich bis zum 30.07.2019 nicht in dem Gesellschaftsvertrag der Klägerin. Entgegen der klägerischen Auslegung des Wortes „gemeinsam“ in § 9 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages sei dieses zur Überzeugung der Kammer nicht dahingehend über seine konkrete Bedeutung hinaus auszulegen, als dass damit auch eine einheitliche Stimmrechtsausübung vorgeschrieben sei. Denn die Regelung ergebe auch dahingehend Sinn, dass der Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) nur dann in die vorteilhafte Position eines gemeinschaftlichen Gesellschaftsanteils von 51 % gelangen sollen – und damit ihnen widerstrebende Beschlüsse der übrigen beiden Gesellschafter blockieren können –, wenn sich sowohl der Beigeladene zu 1) als auch die Beigeladene zu 2) einig seien. Eine Verpflichtung der Beigeladenen, bei sich widerstrebenden Ansichten dennoch zu kooperieren, lasse sich dem Wort „gemeinsam“ dagegen nicht entnehmen. Angesichts des Bedürfnisses des Rechtsverkehrs nach Rechtssicherheit im Außenverhältnis und der Tragweite der Stimmrechtsausübung im Innenverhältnis wäre zu erwarten gewesen, dass die Poolvereinbarung vom 29.08.2014 Einkehr in den Gesellschaftsvertrag gefunden hätte. Unsicherheiten in der Auslegung diesbezüglich müssten letztendlich zu Lasten der Klägerin gereichen. Gegen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung spreche ferner nicht, wenn – wie vorliegend – für einen Gesellschafter-Geschäftsführer die Ausnahme vom Verbot der Selbstkontrahierung gemäß § 181 BGB gelte. Diese im Gesellschaftsvertrag aufzunehmende Befreiung ermögliche dem Gesellschafter-Geschäftsführer, Rechtsgeschäfte mit sich selbst als Vertreter eines Dritten abzuschließen. Sie deute daher keinesfalls zwingend auf eine selbständige Tätigkeit hin. Gleiches gelte für die Alleinvertretungsberechtigung. Die Arbeitsleistung der Beigeladenen bleibe jeweils fremdbestimmt, da sie sich in eine von der Mehrheitsentscheidung der Gesellschafter vorgegebene Ordnung des Betriebes eingliedere. Die Weisungsgebundenheit verfeinere sich – wie bei Diensten höherer Art üblich – zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess, obwohl Geschäftsführer ihre Tätigkeit für die GmbH meist frei von inhaltlichen Weisungen ausübten und oftmals keinen Beschränkungen unterlägen, soweit es sich um die Gestaltung und die zeitliche Durchführung ihrer Arbeit handele. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beigeladenen gegenüber sonstigen Arbeitnehmern die Funktionen eines Arbeitgebers wahrnehmen könnten. Denn auch wer selbst Arbeitgeberfunktionen ausübe, könne seinerseits – als leitender Angestellter – bei einem Dritten persönlich abhängig beschäftigt sein. Die Beigeladenen trügen kein sozialversicherungsrelevantes unternehmerisches Risiko. Die Darlehensgewährung der Beigeladenen zu 1) und zu 2) begründeten kein solches mit ihrer Tätigkeit für die Klägerin verbundenes Risiko. Die Beigeladenen übernähmen damit vielmehr nur ein Haftungs- oder Ausfallrisiko, wie es mit jeder Darlehensgewährung verbunden sei. In Bezug auf die Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin ergäben sich aus der Darlehensgewährung jedoch keine erkennbaren finanziellen Auswirkungen. Im Übrigen sei es im Geschäftsleben auch nicht völlig unüblich, dass Arbeitnehmer (insbesondere in einer Familiengesellschaft) dem Unternehmen persönliche Darlehen gewährten oder zu dessen Gunsten sonstige finanzielle Verbindlichkeiten eingingen. Selbiges gelte für den gegenwärtigen Verzicht auf den Mietzins gegenüber der Klägerin.

Hiergegen hat die Klägerin am 28.12.2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht. Die F4 GmbH sei ein familiengeführtes Unternehmen und durch die Beigeladenen gegründet worden, die in den ersten 15 Jahren des Firmenbestehens oft 7 Tage die Woche und hierbei von morgens um 5.30 h bis zum Teil nach Mitternacht gearbeitet hätten. Es sei den Eheleuten F4 wichtig gewesen, in dem von ihnen geschaffenen Familienunternehmen das Heft des Handelns und die Entscheidungshoheit immer in der Hand zu behalten und sodann ihre Töchter behutsam an die Arbeit und Führung im Unternehmen und die Verantwortung heranzuführen. Auch nachdem die Töchter zu weiteren Geschäftsführerinnen bestellt worden seien, hätten die Beigeladenen die Entscheidungshoheit im Unternehmen behalten, denn diese verfügten über ein unersetzbares Know-How sowie zahlreiche persönliche Kontakte zu Kunden, die gerade der Schlüssel zum Erfolg des Familienunternehmens seien. Folglich sei im Gesellschaftsvertrag vom 28.08.2014 gemäß § 9 Ziff. 2 vereinbart worden, dass den Eheleuten gemeinsam mindestens 51 % der Stimmen zustünden. Im Lichte dieser Beschlussfassung müsse auch die einen Tag später geschlossene Poolvereinbarung vom 29.08.2014 eingeordnet werden, worin sich die Eheleute verpflichteten, das Stimmrecht aus ihren Anteilen nur einheitlich auszuüben. Aus all dem komme der eindeutige Wille zum Ausdruck, dass die Eheleute F4 die Stimm- und Entscheidungshoheit von „mindestens 51%" bewahren sollten und immer dieses gemeinsame Stimmrecht mit stets einer Stimme („nur einheitlich") ausgeübt werden könne. Dies sei in der hier streitigen Zeit auch ausnahmslos so praktiziert und umgesetzt worden. Bei einer Auslegung des § 9 des Gesellschaftsvertrages sei der Sinn und Zweck der Regelung nach dem Willen der Verfasser/Parteien zu ermitteln, die hier zum Wohle der Firma gestaltet worden sei. Ein übereinstimmender Wille der an dem Abschluss eines Vertrags beteiligten Parteien gehe dem Vertragswortlaut oder einer anderweitigen Auslegung vor. Die Regelung des § 9 Ziff 2 des Gesellschaftsvertrages sei von allen Beteiligten so verstanden und gewollt worden, dass die Eheleute F4 die Stimmhoheit von mindestens 51% auch stets gemeinsam ausübten. Dies könnten der Z, die S, die Geschäftsleitung der D1 sowie die H als Zeugen bestätigen. Signifikantes Indiz für diesen Parteiwillen sei, dass man in der Regelung des § 9 Ziff 2 Abs 2 von einer Stimmhoheit von „mindestens 51%" der Eheleute F4 gegenüber ihren Töchtern (höchstens 49%) spreche, ohne eine Aufteilung (etwa mit 25,5 % jeweils) vorzunehmen. Ein ganz wichtiges Zeichen sei auch die vorgenannte Poolvereinbarung vom 29.08.2014, die der Konkretisierung der Einheitlichkeit der Stimmenausübung diene. Schließlich sei im Hinblick auf die Satzungsänderung in Gestalt des § 9 Ziff 2 Abs 2 die Bestätigung/Versicherung der Eheleute F4 vom 23.09.2019 zu berücksichtigen, wonach alle Gesellschafterbeschlüsse durch beide einstimmig beschlossen werden sollten und beschlossen worden seien und wonach die Satzungsänderung eingefügt worden sei, um eine Sperrminorität zu erreichen. Aber auch ohne die Satzungsänderung stehe den Eheleuten eine Sperrminorität zu. Dies folge aus § 12 Abs 1 f, g, Abs 3 sowie § 13 Abs 3 des Gesellschaftsvertrages. Im Übrigen könne selbst bei Minderheitengesellschaftern nicht per se eine sozialversicherungspflichtige Betätigung vermutet werden, sondern komme es auf weitere Kriterien an. Die Beigeladenen seien vom Verbot des Selbstkontrahierens nach § 181 BGB befreit und allein vertretungsberechtigt. Sie verfügen über Branchenkenntnisse, die zur Führung der Gesellschaft notwendig seien, seien faktisch nicht weisungsgebunden, sondern selber Weisungsgeber in einer Familien-GmbH. Sie hätten als Nichtjuristen die Regelungen von der Steuerberatung und durch das Notariat gestalten lassen, und allen sei klargewesen, dass eine gemeinsame/einheitliche Stimmrechtsausübung mit einem Gewicht von stets mindestens 51% normiert werden sollte, auch mit der Folge, dass die Eheleute F4 natürlich als Selbständige zu qualifizieren seien.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.12.2020 abzuändern und die Bescheide der Beklagten vom 08.10.2019 und 18.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.03.2020 aufzuheben,
2. festzustellen, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Gesellschafter-Geschäftsführer bei ihr im Zeitraum vom 01.01.2015 bis 29.07.2018 nicht im Rahmen eines abhängigen, versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde,
3. festzustellen, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) als Gesellschafter-Geschäftsführerin bei ihr im Zeitraum vom 01.01.2015 bis 29.07.2018 nicht im Rahmen eines abhängigen, versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde.

Die Beklagte beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat ausgeführt, eine „Schönwetter-Selbständigkeit“ werde vom BSG abgelehnt, es komme vielmehr auf die Rechtsmacht im Konfliktfall an. Da beide Beigeladenen nicht über die Rechtsmacht verfügten, ihre Weisungsgebundenheit aufzuheben oder abzuschwächen, seien sie abhängig beschäftigt. Die Poolvereinbarung sei nicht maßgebend, da sie außerhalb des Gesellschaftsvertrages getroffen worden und kündbar sei.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und zulässig. Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen. Die Beigeladenen zu 1) und 2) übten ihre Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Klägerin in der streitgegenständlichen Zeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus und unterlagen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 28p SGB IV. Nach § 28p Abs 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung soll in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Die Einzugsstelle unterrichtet den für die Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält. Die Prüfung umfasst auch die Entgeltunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt werden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 SGB IV sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht. Zwar entscheidet grundsätzlich gemäß § 28h Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Dies gilt aber ausnahmsweise nicht für Entscheidungen im Rahmen einer Arbeitgeberprüfung.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen grundsätzlich
der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch <SGB VI>), der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch <SGB V>), der sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch <SGB XI>) und der Arbeitslosenversicherung (§ 25 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch <SGB III>), wobei vorliegend die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung wegen Überschreitens der Beitragsbemessungsgrenze entfällt. Die hierzu korrespondierende Pflicht des Arbeitgebers zur anteiligen Tragung der Beiträge folgt aus § 249 Abs 1 SGB V, § 168 Abs 1 Nr. 1 SGB VI, § 58 Abs 1 Satz 1 SGB XI und § 346 Abs 1 Satz 1 SGB III. Die Verpflichtung zur Tragung der Insolvenzgeldumlage folgt aus § 359 Abs 1 Satz 1 SGB III, die zur Tragung der Umlage U2 ab 2018 (ab diesem Zeitpunkt knüpft das Mutterschutzgesetz unmittelbar an den Beschäftigtenbegriff gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV an, nicht an den arbeitsgerichtlichen Arbeitnehmerbegriff) aus § 7 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG).

Grundvoraussetzung für die Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen ist das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses. Der Beurteilungsmaßstab hierfür findet sich in § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist demnach zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt (Senatsurteil vom 18.07.2013, L 11 R 1083/12). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (zum Ganzen BSG 29.08.2012, B 12 R 25/10 R, BSGE 111, 257 mwN; LSG Baden-Württemberg 25.06.2019, L 11 BA 2804/18, Rn 45, juris). Die von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl etwa BSG 04.06.2019, B 12 R 11/18 R, [Honorararzt]) gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH (BSG 23.02.2021, B 12 R 18/18 R, Rn 14, juris). Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei Geschäftsführern einer GmbH aber in erster Linie danach, ob der Geschäftsführer nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen (vgl BSG 23.02.2021, B 12 R 18/18 R, Rn 14, juris; BSG 14.03.2018, B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, Rn 15 ff; BSG 14.03.2018, B 12 R 5/16 R, juris Rn 13 ff). Bei einem Fremdgeschäftsführer scheidet eine selbständige Tätigkeit generell aus (BSG 14.03.2018, B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, Rn 20; BSG 18.12.2001, B 12 KR 10/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr 20 S 79). Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbständig tätig, sondern muss über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 vH der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist dagegen grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbständiger anzusehen, wenn er exakt 50 vH der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine "unechte", auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (vgl BSG 11.11.2015, B 12 R 2/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 27 Rn 28 mwN; BSG 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 28 Rn 24 mwN; BSG 29.06.2016, B 12 R 5/14 R, juris Rn 39 ff; BSG 14.03.2018, B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, Rn 21).

Gemessen daran waren die zu 1) und 2) beigeladenen Geschäftsführer abhängig beschäftigt, wie auch das SG zutreffend entschieden hat. Sie verfügten im hier streitigen Zeitraum lediglich über Geschäftsanteile in Höhe von jeweils 15,75 %. Da gemäß § 9 Abs 2 des Gesellschaftsvertrages Beschlüsse der Gesellschafterversammlung grundsätzlich mit einfacher Mehrheit aller Stimmrechte gefasst werden, hatte keiner der Beigeladenen die Rechtsmacht, das Geschick der Gesellschaft auch gegen den Willen der übrigen Gesellschafter zu bestimmen oder ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern. Die Bestimmung in § 9 Abs 2 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages, wonach „die gehaltenen Geschäftsanteile unabhängig von ihrem Nennbetrag gemeinsam so viele Stimmen gewähren, dass die beiden Gesellschaftern zustehenden Stimmen mindestens 51%, die den anderen Gesellschaftern zustehenden Stimmen höchstens 49% der Gesamtstimmenzahl ausmachen“, ändert hieran nichts. Zwar waren die Beigeladenen durch diese Bestimmung tatsächlich in der Lage, gemeinsam alle Entscheidungen in der Gesellschaft in ihrem Sinne zu treffen und ggf ihre Töchter zu überstimmen. Der Senat hat auch keine Zweifel daran, dass die Beigeladenen tatsächlich das „Zepter“ in der Hand behielten und die Firma so fortführten wie zuvor, nämlich als eigentliche Chefs einer Familiengesellschaft. Betrachtet man indes die Beigeladenen einzeln, hat diese Klausel im Gesellschaftsvertrag keine Auswirkung auf ihre jeweilige Rechtsmacht im Unternehmen - und nur auf diese Einzelbetrachtung kommt es an. Vorliegend kann die Regelung in § 9 Absatz 2 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages nur so verstanden werden, dass diese Klausel im Gesellschaftsvertrag nur eine Aussage über die Stimmanteile der Beigeladenen trifft im Falle einer konzertierten Abstimmung, eine alleinige Abstimmung aber nicht ausschließt (so auch die Auslegung des SG). Erst die Poolvereinbarung sollte die Beigeladenen zu 1) und zu 2) zu einer gemeinsamen Stimmenabgabe verpflichten. Entgegen dem Vortrag der Beigeladenen ist eine solche Vereinbarung nicht - nach entsprechender Auslegung - bereits direkt in § 9 Abs 2 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages enthalten. Bei Auslegung eines Gesellschaftsvertrages ist dessen Funktion als Satzung und die unterschiedliche Bedeutung der Bestimmungen zu berücksichtigen. Das führt zur Unterscheidung zwischen körperschaftlichen und individualrechtlichen Bestimmungen. Allein für letztere gelten die allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in vollem Umfang (vgl zB zur Auslegung von Willenserklärungen auch bei anderslautendem Wortlaut nur BGH 07.12.2001, V ZR 65/01, Rn 14, juris), für erstere dagegen nur eingeschränkt durch das Erfordernis objektivierter Auslegung (Baumbach/Hueck/Fastrich, 22. Aufl 2019, GmbHG § 2 Rn 29). Körperschaftliche Bestimmungen regeln die Grundlagen der Gesellschaft, haben Satzungscharakter und sind notwendig formgebunden. Sie können auch künftige Gesellschafter und Dritte, insbesondere Gläubiger, unmittelbar betreffen, wenden sich also an einen unbestimmten Personenkreis. Deshalb kann ihre Auslegung nur auf allgemein zugängliche Unterlagen gestützt werden, in erster Linie auf Wortlaut und Sinnzusammenhang im Gesellschaftsvertrag; auf Nebenabreden und sonstige für die Gestaltung wesentliche Umstände nur, wenn diese allgemein ersichtlich, insbesondere aus den zum Handelsregister eingereichten Unterlagen zu entnehmen sind. Dritten nicht erkennbare Absichten und Erwägungen der Gründer können nicht verwertet werden (Baumbach/Hueck/Fastrich aaO § 2 Rn 31). Körperschaftlichen Charakter haben zB Regelungen über Unternehmensgegenstand, Gesellschaftszweck, Kapitalausstattung und Zulassung von Sacheinlagen, Sonderrechte, Vinkulierung, Kompetenzen der Gesellschaftsorgane - und eben auch Regelungen zum Stimmrecht (Baumbach/Hueck/Fastrich, 22. Aufl 2019, GmbHG § 3 Rn 3). Vorliegend ergibt sich der Wille der Beigeladenen zu 1) und zu 2), ihr Stimmrecht nur gemeinschaftlich auszuüben, lediglich aus der Poolvereinbarung vom 29.08.2014 und findet sich in der Satzung selbst nicht wieder. Da die Poolvereinbarung und sonstige Umstände der Satzungsänderung für Dritte nicht erkennbar und damit nicht objektivierbar sind, bleiben diese im Rahmen der Auslegung des Gesellschaftsvertrages außer Betracht.

Aber auch die Poolvereinbarung als solche vermag an der eingeschränkten Rechtsmacht beider Beigeladenen nichts zu ändern. Wie das SG zutreffend dargelegt hat, sind nach der Rechtsprechung des BSG außerhalb des Gesellschaftsvertrages getroffene Stimmbindungsabreden - ebenso wenig wie wirtschaftliche Verflechtungen oder Veto-Rechte - zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer sowie anderen Gesellschaftern und/oder der GmbH nicht zu berücksichtigen. Sie vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben und genügen nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (vgl BSG 14.03.2018, B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183-189, SozR 4-2400 § 7 Nr 35, Rn 22; BSG 05.10.2020, B 12 R 25/20 B, Rn 8, juris). Insofern ist bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflicht allein die Satzung zugrundezulegen und zu prüfen, wie sich die Rechtsmacht der Beigeladenen einzeln gestaltet – und zwar im Fall einer Nichteinigkeit, also dann, wenn die Beigeladenen untereinander und ihre Töchter unterschiedlicher Auffassung sind, wie die Geschicke der Gesellschaft zu leiten bzw ob etwa einem Geschäftsführer Einzelanweisungen gegen seinen Willen zu erteilen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine "Schönwetter-Selbstständigkeit", die sich ausschließlich daraus ableitet, dass dem Betroffenen in harmonischen Zeiten freie Hand gelassen wird, während im Fall eines Zerwürfnisses dessen Weisungsunterworfenheit zum Tragen käme, nicht anzuerkennen (BSG 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R, BSGE 119, 216-224, SozR 4-2400 § 7 Nr 24, Rn 30; BSG 19.09.2019, B 12 R 25/18 R, BSGE 129, 95-106, SozR 4-2400 § 7 Nr 43, Rn 15; BSG 07.07.2020, B 12 R 17/18 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 49, Rn 25). Für den hier vorliegenden Fall bedeutet dies: Würden sich die Beigeladenen untereinander nicht einig, verlören sie die aus § 9 Abs 2 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages folgenden Stimmanteile von 51 %. Sie könnten dann zwar einzeln abstimmen, verfügten aber nur über Stimmrechte entsprechend ihrer Anteile und könnten daher durch die Töchter - und ggf den jeweiligen Ehepartner - überstimmt werden. Insofern verfügen die Beigeladenen einzeln nicht über die notwendige Rechtsmacht, die für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit erforderlich ist.

Die vom Klägerbevollmächtigten aufgezählten Bestimmungen in § 12 Abs 1 f und g, § 12 Abs 3 und § 13 Abs 3 GV beinhalten keine echte Sperrminorität, sondern betreffen Regelungen zur Einziehung von Geschäftsanteilen bzw für den Erbfall und sind daher für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status bedeutungslos.

Der Senat bezweifelt nicht die Richtigkeit des klägerischen Vortrags, es sei stets nur eine einheitliche Stimmenabgabe der Beigeladenen gewollt gewesen und eine solche sei im streitigen Zeitraum auch stets erfolgt. Auch hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Beigeladenen tatsächlich zu keinem Zeitpunkt durch ihre Töchter überstimmt worden sind oder es ihnen nicht gelungen ist, die Firma in ihrem Sinne zu führen. Insofern bedarf es vorliegend keiner Zeugenvernehmung, weil der klägerische Vortrag als wahr unterstellt wird. Wie dargelegt, kommt es aber bei der Beurteilung der Versicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern nicht allein auf die tatsächlichen, sondern auf die rechtlichen Umstände an, insbesondere auf das rechtliche Können. Da die Geschicke der Firma rechtlich gegen den Willen der – unterstellt uneinigen – Beigeladenen durch die anderen Gesellschafter hätten gelenkt werden können bzw der Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) im Fall des Zerwürfnisses unwillkommene Weisungen durch die anderen Gesellschafter nicht hätten verhindern können, fehlt es beiden an der erforderlichen Rechtsmacht.

Die Annahme von Beschäftigung wird jedenfalls in Bezug auf den Beigeladenen zu 1) durch die nach dem Geschäftsführervertrag vom 30.09.1985 vorgesehene Ausgestaltung der Geschäftsführertätigkeit bestätigt. Der Vertrag enthält typische Regelungen eines Arbeitsvertrages. So hat der Beigeladene zu 1) unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens Anspruch auf eine feste Jahresvergütung (vgl § 4 Abs 1 des Geschäftsführervertrages Bl I 62 ff V-Akte), Reisekostenerstattung (§ 6), einen Urlaubsanspruch (§ 5) nebst Urlaubsgeld (§ 4 Abs 5), Weihnachtsgeld (§ 4 Abs 5) und Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 4 Abs 3). Die Gewährung einer gewinnabhängigen Tantieme genügt nicht, um eine Beschäftigung auszuschließen. Einer Tantieme kommt nur als ein Anknüpfungspunkt für ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse des für ein Unternehmen Tätigen Bedeutung zu, das im Rahmen der Gesamtwürdigung Gewicht gewinnen kann, jedoch nicht allein entscheidend ist. Vor dem Hintergrund, dass die Gewährung einer Tantieme an Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich ist, ist deren Gewicht für die Abgrenzung eher gering (BSG 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R, BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, Rn 28 mwN; BSG 19.09.2019, B 12 R 25/18 R, BSGE 129, 95-106, SozR 4-2400 § 7 Nr 43, Rn 17). Auch dass die Geschäftsführer zur Alleinvertretung berechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit sind, ändert nichts. Allein weitreichende Entscheidungsbefugnisse bedingen nicht schon eine Selbständigkeit (BSG 19.09.2019, B 12 R 25/18 R, BSGE 129, 95-106, SozR 4-2400 § 7 Nr 43, Rn 17 unter Verweis auf BSG 11.11.2015, B 12 R 2/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 27 Rn 24). Auch aus einem der Klägerin durch die Beigeladenen gewährten Darlehen folgt kein anderes Ergebnis. Eine solche Darlehensgewährung begründete kein mit ihrer Tätigkeit für GmbH verbundenes Unternehmerrisiko. Die Beigeladenen übernahmen damit vielmehr nur ein Haftungs- oder Ausfallrisiko, wie es mit jeder Darlehensgewährung verbunden ist. In Bezug auf die Tätigkeit der Beigeladenen für die Klägerin ergeben sich aus der Darlehensgewährung keine erkennbaren finanziellen Auswirkungen, vielmehr erhielten sie als Gegenleistung nach wie vor und weiterhin eine feste monatliche Vergütung (vgl BSG 19.08.2015, B 12 KR 9/14 R, Die Beiträge Beilage 2016, 59; LSG Baden-Württemberg 30.03.2021, L 11 BA 2509/20, Rn 33, juris). Gleiches gilt für den Mietverzicht des Beigeladenen zu 1) gegenüber der Klägerin. Zum einen erfolgte dieser erst 2020 und damit nicht im hier streitigen Zeitraum (vgl Schriftsatz vom 14.10.2020, Bl 65 SG-Akte), zum anderen hat ein solcher Mietverzicht nichts mit der Tätigkeit als Geschäftsführer zu tun, sondern liegt darin begründet, dass der Beigeladene als Gesellschafter „seine“ Firma vor finanziellen Engpässen bewahren will.

Soweit der Klägerbevollmächtigte wiederholt auf die überragende Stellung der Beigeladenen im Familienunternehmen hinweist, kann er sich nicht auf eine Fortgeltung der „Kopf-und-Seele“- Rechtsprechung berufen - dh auf eine Überlagerung rechtlich bestehender Abhängigkeit durch Führung der Geschäfte nach eigenem Gutdünken als „Kopf und Seele“ des Unternehmens wie ein eigenes (vgl etwa BSG 23.09.1982, 10 RAr 10/81, SozR 2100 § 7 Nr 7 S 6; BSG 29.10.1986, 7 RAr 43/85; BSG 11.02.1993 - 7 RAr 48/92 - juris Rn 23 ff; BSG 14.12.1999, B 2 U 48/98 R, juris Rn 21). Auch hier hat das BSG wiederholt entschieden, dass die Maßgeblichkeit des rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhaltens der Beteiligten mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren ist (vgl nur BSG 08.07.2020, B 12 R 2/19 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 52, Rn 17 mwN). Auch ist der Klägerin kein Vertrauensschutz nach Art 20 Abs 3 Grundgesetz (GG) aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung in Bereich der „Kopf-und-Seele“ – Rechtsprechung zu gewähren. Eine verfassungsrechtlich relevante "Abkehr" von früheren Rechtsprechungsmaßstäben zur Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern in Familiengesellschaften gibt es nicht. Hierzu hat das BSG ausführlich Stellung genommen (BSG 19.09.2019, B 12 R 25/18 R, BSGE 129, 95-106, SozR 4-2400 § 7 Nr 43, Rn 19 – 26; bestätigt in BSG 08.07.2020, B 12 R 2/19 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 52, Rn 17) und dargelegt, eine rückwirkende Änderung gefestigter und langjähriger Rechtsprechung sei zwar ausgeschlossen, wenn im konkreten Einzelfall nach einer Gesamtwürdigung besondere Umstände für ein über die allgemeinen Grundsätze hinausgehendes besonderes Vertrauen bestünden, wobei Dispositionen in Erwartung einer bestimmten richterlichen Entscheidung für sich gesehen grundsätzlich nicht ausreichend seien (BSG 19.09.2019 aaO unter Verweis auf BVerfG 05.11.2015, 1 BvR 1667/15, juris Rn 12, 25 mwN; BSG 16.12.2015, B 12 R 11/14 R, BSGE 120, 209 = SozR 4-2400 § 28p Nr 6, Rn 30 ff; BSG 18.11.1980, 12 RK 59/79, BSGE 51, 31, 36 ff = SozR 2200 § 1399 Nr 13 S 26 ff = juris Rn 23 ff).  Einen Leit- oder Obersatz, nach dem bei familiären Bindungen regelmäßig keine Beschäftigung des Geschäftsführers vorgelegen hätte, habe das BSG aber nie gebildet; vielmehr komme es stets auf das Gesamtbild des jeweiligen konkreten Einzelfalles an (vgl ausführlich BSG 19.09.2019 aaO mwN). Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Im Ergebnis kommt der Senat wie auch das SG und die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) im streitgegenständlichen Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt waren. Fehler bei der Berechnung der Beiträge sind nicht erkennbar und wurden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach § 197a Abs 1 SGG iVm §§ 1 Abs 2 Nr 3, 47, 52 Abs 3 Gerichtskostengesetz und entspricht der streitigen Nachforderung.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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