L 2 AS 1918/21 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 AS 279/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 1918/21 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 12.11.2021 abgeändert.

Dem Kläger wird für das erstinstanzliche Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K, J bewilligt.

 

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren, in dem ein Versagungsbescheid nach dem Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) streitgegenständlich ist.

Der Kläger bezog bis einschließlich Juli 2020 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) von der Gemeinde M. Zum 01.07.2020 nahm er bei der E probeweise eine Tätigkeit als Paketzusteller auf, welche bereits zum 31.07.2020 wieder beendet wurde; das Gehalt wurde im August 2020 ausgezahlt. Zum 01.12.2020 zog der Kläger nach Wegberg  in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten um. Am 07.12.2020 stellte er bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Mit Schreiben vom 18.12.2020 forderte der Beklagte unter Fristsetzung bis zum 04.01.2021 den Kläger zur Vorlage verschiedener Unterlagen auf: Kopie des Personalausweises und der EC-Karte, lückenlose Kontoauszüge der letzten drei Monate, Mietvertrag, Mietbescheinigung, Heizkostennachweis und Aufhebungsbescheid Sozialhilfe.

Der Kläger legte Kopien des Personalausweises und der EC-Karte, Kontoauszüge für die Zeit vom 17.08.2020 bis 12.11.2021, Mietvertrag, Aufforderungsschreiben des Sozialhilfeträgers und eine Mitteilung über die vorläufige Zahlungseinstellung des Sozialhilfeträgers vom 12.08.2020 vor.

Mit Schreiben vom 15.01.2021 erinnerte der Beklagte den Kläger an die Aufforderung zur Mitwirkung, da zum einen der „Aufhebungsbescheid Sozialhilfe“ noch nicht vorgelegt worden sei (es liege lediglich eine vorläufige Zahlungseinstellung vor, dies sei kein Bescheid) und zum anderen der Nachweis über das aktuelle Konto (entweder Kontoauszüge ab dem 12.11.2020 oder EC-Karte und Kontoauszüge des neuen Kontos DE01) fehle. Dem Kläger wurde eine neue Frist zur Einreichung der Unterlagen bis zum 01.02.2021 gesetzt. 

Mit Bescheid vom 16.02.2021 versagte der Beklagte die Leistungen ab 01.12.2020 ganz. Zur Begründung führte er aus, dass der Kläger trotz Aufforderung die zur Leistungsprüfung notwendigen Unterlagen – „Aufhebungsbescheid Sozialhilfe“ und Nachweis über das aktuelle Konto – nicht vorgelegt habe.

Hiergegen erhob der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 01.04.2021 Widerspruch. Bereits mit E-Mails vom 14.01.2021 und vom 23.02.2021 habe er, der Kläger, erklärt, dass sein altes Konto mangels Zahlungseingängen aufgelöst worden sei. Er habe ein neues Konto (DE02) eröffnet, zu dem noch keine Auszüge vorlägen. Ein Aufhebungsbescheid des Sozialhilfeträgers läge nicht vor, zur weiteren Klärung sei sein Anwalt eingeschaltet. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2021 wies der Beklagte den Widerspruch vom 01.04.2021 als unbegründet zurück.

Gegen den ihm am 04.05.2021 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 02.06.2021 Klage beim Sozialgericht Aachen erhoben und für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K aus J beantragt.

Im Nachgang zu seiner Klageschrift übersandte der Kläger mit Schriftsatz vom 24.06.2021 ein Schreiben der Gemeinde M, wonach diese zum Zwecke der Vorlage beim Jobcenter bestätigte, dass der Kläger seit dem 01.08.2020 keine Leistungen mehr nach dem SGB XII bezogen habe.

Der Beklagte wies in seiner Klageerwiderungsschrift vom 13.08.2021 darauf hin, dass nach Vorlage des Leistungsnachweises der Gemeinde M und einer Erklärung des Klägers zu seinen Einnahmen von den Großeltern vom 04.07.2021 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit Bescheid vom 15.07.2021 für die Zeit vom 01.12.2020 bis 30.11.2021 bewilligt worden seien.

Mit Verfügung vom 10.09.2021 wies das Sozialgericht den Klägerbevollmächtigten darauf hin, dass der Bewilligungsbescheid vom 15.07.2021 den Versagungsbescheid nicht erledigt habe und auch nicht Gegenstand des Klageverfahrens gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geworden sei. Streitgegenstand des Klageverfahrens bilde weiterhin die Versagungsentscheidung des Beklagten. Gründe für dessen Rechtswidrigkeit seien nicht ersichtlich. Eine Rücknahme der Klage und des PKH-Antrags wurde angeregt.

Mit Beschluss vom 12.11.2021 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung seien nicht gegeben. Der Versagungsbescheid erweise sich als rechtmäßig.

Mit Schriftsatz vom 22.12.2021 hat der Kläger gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 24.11.2021 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, dass die angegriffenen Bescheide rechtswidrig seien. Sein ursprüngliches Konto bei der Volksbank sei aufgelöst worden. Bis zum Zeitpunkt der Auflösung habe er sämtliche Kontoauszüge vorgelegt. Ein neues Konto habe er erst Anfang Februar 2021 eröffnet. Ausweislich des beigefügten Kontoauszugs sei ein erster Umsatz am 26.02.2021 zu erkennen. Der Kläger habe die ihm möglichen Auskünfte erteilt.

 

II.

1.

Die Beschwerde ist statthaft, weil der Beschwerdestreitwert von mehr als 750,00 Euro (vgl. §§ 172 Abs. 3 Nr. 2b, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) erreicht wird. Die Anfechtungsklage gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I betrifft einen Verwaltungsakt, der auf eine Geldleistung i.S.d. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG gerichtet ist (vgl. Sommer, in: Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 144 Rn. 14). Vorliegend wird der Beschwerdestreitwert von mehr als 750,00 Euro bereits mit den streitigen Grundsicherungsleistungen für zwei Monate erreicht.

2.

Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht hat insoweit die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu Unrecht abgelehnt.

Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, erhalten gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder - verteidigung Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

a.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Rechtsstandpunkt des Klägers für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 73a Rn. 7a ff. m.w.N.).

Dies ist hier der Fall, da die Klage des Klägers Aussicht auf Erfolg hat.

Streitgegenstand des Klageverfahrens ist der Versagungsbescheid vom 16.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2021. Statthafte Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 19.09.2008 – B 14 AS 45/07 R, Rn. 12, juris; Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 12, juris). Diese Klage ist zulässig, weil mit dem Versagungsbescheid ein wirksamer Verwaltungsakt vorliegt. Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass durch den Bewilligungsbescheid vom 15.07.2021 keine Erledigung dieses Verwaltungsaktes eingetreten ist (vgl. Spellbrink, in: Kasseler Kommentar, 118. EL März 2022, SGB I, § 67 Rn. 14; Mrozynski, SGB I, 6. Aufl. 2019, § 67 Rn. 10).

Die Anfechtungsklage des Klägers ist begründet, weil der Versagungsbescheid vom 16.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2021 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I liegen nicht vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung ist der Erlass des Widerspruchsbescheides am 30.04.2021. Der Kläger hat zu diesem Zeitpunkt seine Mitwirkungspflichten nicht verletzt. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Diese Mitwirkungsobliegenheiten gelten auch im Rahmen des SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 10/08 R, Rn. 13, juris). Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist, § 66 Abs. 3 SGB I.

Der Kläger wurde mit Schreiben vom 18.12.2020 dazu aufgefordert, lückenlose Kontoauszüge der letzten drei Monate und den „Aufhebungsbescheid Sozialhilfe“ vorzulegen. Am 15.01.2021 erinnerte der Beklagte den Kläger an die Vorlage des Aufhebungsbescheids Sozialhilfe und forderte die Einreichung eines Nachweises über das aktuelle Konto. Der Kläger konnte der Aufforderung zur Vorlage des „Aufhebungsbescheids Sozialhilfe“ nicht nachkommen, weil ein Aufhebungsbescheid, der innerhalb der vom Beklagten gesetzten Frist hätte eingereicht werden können, objektiv nicht existierte. Dem Kläger war die Erfüllung der von ihm verlangten Mitwirkungshandlung damit auch subjektiv unmöglich. Der Kläger hat dies dem Beklagten zuletzt in der E-Mail vom 23.02.2021 angezeigt. Diesen Vortrag ließ der Beklagte unberücksichtigt, als er mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2021 den streitgegenständlichen Versagungsbescheid inhaltlich bestätigte. Auch die Aufforderung, die Kontoauszüge vorzulegen, konnte eine Versagungsentscheidung tatbestandlich nicht begründen. Der Beklagte verlangte zunächst die „lückenlosen Kontoauszüge der letzten drei Monate“ und sprach in dem Erinnerungsschreiben vom 15.01.2021 von einem „Nachweis über das aktuelle Konto“. Auch die Erfüllung dieser Aufforderung war dem Kläger nicht möglich. Zu diesem Zeitpunkt war das alte Konto des Klägers bereits aufgelöst worden. Einen Nachweis hierüber und die Kontoauszüge bis zum Zeitpunkt der Kontoauflösung (12.11.2020) hatte der Kläger ausweislich des Aktenvermerks über die Prüfung von Kontoauszügen vorgelegt. Einen Nachweis über das aktuelle Konto konnte der Kläger nicht vorlegen, weil ein solches nicht bestand. Die Aufforderung, Nachweise über das Konto DE01 vorzulegen, dürfte ebenfalls nicht erfüllbar gewesen sein, weil der Kläger über ein solches Konto nicht verfügte. Sofern der Beklagte Anhaltspunkte dafür hat, dass der Kläger entgegen seinen Erklärungen über ein solches Konto verfügte, mag das Sozialgericht dies weiter aufklären. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt spricht neben der Erklärung des Klägers auch der Umstand, dass der Beklagte in der Folgezeit auf die Prüfung dieses Kontos verzichtet hat, mehr dagegen als dafür, dass ein solches Konto bestand und der Kläger einen Nachweis hierüber hätte erbringen können. Der Kläger hat vielmehr mit E-Mail vom 23.02.2021 angezeigt, ein neues Konto bei der Sparkasse (DE02) erst Anfang Februar 2021 eröffnet zu haben. Auch diesen Vortrag ließ der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 30.04.2021 unberücksichtigt. 

Auf der Rechtsfolgenseite begegnet die Ermessensentscheidung des Beklagten, die Leistungen vollständig zu versagen, ebenfalls Bedenken.

Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I „kann“ der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Sowohl bei der Entziehung als auch bei der Versagung der Leistung handelt es sich um Ermessensentscheidungen und zwar sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des Umfanges der Versagung oder Entziehung (Voelzke, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 66 SGB I (Stand: 19.08.2021), Rn. 66). Das Gesetz räumt den Verwaltungsträgern einen Entscheidungsspielraum ein, den die Gerichte zu beachten haben. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen sie nur prüfen, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, ob sie also die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet haben, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob der Leistungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (Ermessensfehler in Form eines Ermessensausfalls), ob er mit dem Ergebnis seiner Ermessensbetätigung, der Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt (Ermessensfehler in Form der Ermessensüberschreitung) und ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Ermessensfehler in Form eines Abwägungsdefizit bzw. Ermessensmissbrauch) (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.1994 – 4 RA 42/94, Rn. 20, juris; BSG, Urteil vom 22.02.1995 – 4 RA 44/94, Rn. 32, juris; BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 2 U 10/10 R, Rn. 11 ff., juris). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Ermessensentscheidungen ist stets der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also in der Regel der Zeitpunkt, zu dem der Widerspruchsbescheid erlassen wurde (vgl. Söhngen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 54 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 58).

Ausgehend hiervon sind dem Beklagten bei der Anwendung dieser gesetzlichen Vorgaben (zum Verhältnis von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I und § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG vgl. Söhngen, a.a.O., § 54 Rn. 52) Fehler unterlaufen.

Ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauch liegt hier zum Umfang der Versagung vor (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2021 – L 25 AS 1035/19, Rn. 40, juris). Der Beklagte hat Leistungen ganz versagt, ohne dies zu begründen oder eine teilweise Versagung in Betracht zu ziehen. Bereits bei der Belehrung über die Rechtsfolgen der fehlenden Mitwirkung (§ 66 Abs. 3 SGB I) fehlt der Hinweis auf die Möglichkeit einer nur teilweisen Versagung. Dabei spricht nach Lage der Akten nichts dafür, dass der Beklagte annehmen durfte oder angenommen hat, der Kläger hätte über Einkommen oder Vermögen verfügt, das seinem Leistungsanspruch entgegenstand. Dass der Beklagte die Möglichkeit einer nur teilweisen Versagung in die Ermessenserwägungen gar nicht erst eingestellt und so gehandelt hat, als ob nur eine gänzliche Versagung zu treffen ist, stellt einen Ermessensnichtgebrauch dar.

Darüber hinaus besteht ein Ermessensfehlgebrauch im Sinne eines Abwägungsdefizits, weil nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach Lage des Falles zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung eingeflossen sind (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 17.01.2020 – L 4 AS 269/18, Rn. 30, juris). Im Bescheid vom 16.02.2021 heißt es, der Kläger habe keine Gründe mitgeteilt, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu seinen Gunsten hätten berücksichtigt werden können. Dabei hatte der Kläger zur Antragsbegründung vorgetragen, alleinstehend zu sein und seinen Lebensunterhalt in der Vergangenheit mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB XII sichergestellt zu haben. Diesen Vortrag des Klägers, über kein Einkommen und Vermögen zu verfügen, hat der Beklagte – auch in Kenntnis des damit verbundenen fehlenden Krankenversicherungsschutzes – im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers unberücksichtigt gelassen.

c.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung war auch nicht mutwillig und die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich.

Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er die Kosten der Prozessführung nicht selbst aufbringen kann.

3.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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