L 8 BA 85/20 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 28 BA 31/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 85/20 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 27.5.2020 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.289,50 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Detmold vom 27.5.2020 ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 7.2.2020, nunmehr in der Gestalt des Bescheides vom 17.8.2020 und des Widerspruchsbescheides vom 1.10.2020 zu Recht abgelehnt. Gleichermaßen ist auch eine aufschiebende Wirkung der vor dem SG erhobenen Klage (Az. S 28 BA 129/20) nicht anzuordnen.

Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen bzw. gemäß § 86b Abs. 1 S. 2 SGG eine schon vorgenommene Vollziehung aufheben. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die – wie hier erfolgte – Entscheidung über Versicherungs- und Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen haben gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung.

Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses der Antragstellerin einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits (Beschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 3). Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (hierzu unter 1.) oder ob die Vollziehung für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (hierzu unter 2.).

1. Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Be­scheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. Beschl. v. 12.2.2020 - L 8 BA 157/19 B ER - juris Rn. 5 m.w.N.; Beschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 4).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anzuordnen, da deren Erfolg nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Es spricht nach der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung derzeit nicht mehr dafür als dagegen, dass sich der von der Antragsgegnerin nach § 28p Abs. 1 S. 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) erlassene Prüfbescheid vom 7.2.2020, geändert durch Bescheid vom 17.8.2020, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.10.2020, mit dem sie von der Antragstellerin Beiträge für den Zeitraum vom 1.1.2014 bis 31.12.2018 in Höhe von nunmehr 11.200,50 Euro nachfordert, im Hauptsacheverfahren als rechts­widrig erweisen wird.

Rechtsgrundlage des aufgrund einer Betriebsprüfung ergangenen streitigen Bescheides und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs. 1 S. 1, S. 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen ins­besondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV). Im Rahmen der Prüfung werden gegenüber den Arbeitgebern Verwaltungsakte (sog. Prüf­bescheide) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Wider­spruchsbescheide erlassen.

Nach diesen Maßstäben ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass der im Hauptsacheverfahren beizuladende R (im Folgenden: R; s. zur fehlenden Beiladungspflicht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Senatsbeschl. v. 3.7.2015 – L 8 R 672/14 B ER – juris Rn. 29 f.) im streitigen Zeitraum bei der Antragstellerin gegen Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) abhängig beschäftigt war und Beiträge in der festgesetzten Höhe zu entrichten sind.

Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden und aus-führlichen Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Bezug, denen er sich voll-inhaltlich anschließt (vgl. § 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Das mit der Beschwerde wiederholte Vorbringen, R sei nur im Rahmen einer organschaftlichen Vertretung außerhalb eines Arbeitsverhältnisses tätig geworden, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Zu Recht hat das SG bereits darauf hingewiesen, dass zwangsläufig allein schon mit der Vereinbarung einer pauschalen Vergütung für die Übernahme der organschaftlichen Stellung als Geschäftsführer eine vertragliche Regelung getroffen worden ist. Die konkrete (zivil-)rechtliche Natur des so begründeten Anstellungsverhältnisses ist für die sozialrechtliche Beurteilung ohne Belang (idR entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag iSv §§ 675 Abs. 1, 611 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB, vgl. z.B. Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 6 Rn. 54, Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 6 Rn. 78). Der Vertrag kann ohne weiteres konkludent abgeschlossen werden (vgl. BGH Urt. vom 27.1.1997 – II ZR 213/95 – juris Rn. 17 m.w.N.; Altmeppen a.a.O. m.w.N.). Nur diese Sichtweise lässt sich im Übrigen auch mit dem Gesellschaftsvertrag der Antragstellerin in Einklang bringen, wonach sich die Rechte und Pflichten des Geschäftsführers aus dem Gesetz und dem Anstellungsvertrag ergeben (Gesellschaftsvertrag vom 28.6.2005, Abschnitt V. 4). Auf dieser vertraglichen Grundlage war R rechtlich gegenüber der Gesellschafterin wei­sungsgebunden (§§ 37 Abs. 1, 46 Nr. 5, 6 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG), ohne das es dabei auf die tatsächliche Handhabung ankommt (vgl. zur sog. „Schönwetter-Selbständigkeit“ z.B. BSG Urt. v. 7.7.2020 – B 12 R 17/18 R – juris Rn. 25). Nach eigenem Vortrag hat R die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung nach § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG sowie die Erstellung und Vorlage der Jahres­abschlüsse entsprechend § 42a GmbHG übernommen. Es ist davon auszugehen, dass er auch sämtliche sonstigen, vom GmbHG erfassten Aufgaben, u.a. auch die Einberufung der Gesellschafterversammlung gemäß § 49 Abs. 1 GmbHG und die Buchführung nach § 41 GmbHG, wahrgenommen hat. Dass er dabei als Geschäftsführer seine Arbeit selbst einteilen, d.h. Zeit, Ort und Art der Ausführung selbst bestimmen konnte, steht der Beurteilung seiner Tätigkeit als abhängiger Beschäftigung nicht entgegen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 18.12.2001 – B 12 KR 10/01 R – juris Rn. 17).

 

Ohne Belang für die vorliegend streitige sozialrechtliche Bewertung ist der, von der Antragstellerin ebenfalls wiederholend vorgetragene Hinweis auf die Zulassung des R als Rechtsanwalt (vgl. LSG Baden-Württemberg Urt. v. 21.1.2020 – L 11 BA 1596/19). Gleiches gilt auch für seine Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte. Wie das SG zutreffend festgestellt hat, stand die Übernahme der Geschäftsführung bei der Antragstellerin in keinem Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit des R. Mithin sind die beiden Sachverhalte getrennt zu beurteilen, auch wenn dies zu Mehrfachver­sicherungen führt (vgl. z.B. BSG Urt. v. 3.4.2014 – B 5 RE 13/14 R – juris Rn. 43 m.w.N.). Unabhängig davon hat eine zugleich ausgeübte „freiberufliche“ Tätigkeit keinen Einfluss auf die Bewertung als abhängige Beschäftigung, da die für GmbH-Geschäftsführer geltenden Maßstäbe nicht berufsrechtlich überlagert werden (vgl. BSG Urt. v. 7.7.2020 – B 12 R 17/18 R – juris Rn. 29 ff.). Soweit R formal auf der Grundlage des Rechtsanwalts­vergütungsgesetzes (RVG) abgerechnet hat, fehlt es diesem Umstand damit schon an einer Bedeutung für die hier zu treffende Beurteilung. Mit dem SG geht der Senat zudem davon aus, dass die Abrechnung nicht von den Vorschriften des RVG gedeckt ist. Ein einschlägiger Gebührentatbestand ist weder angegeben worden noch ersichtlich. Im Übrigen vermag auch die Behauptung der Antragstellerin, R habe kein Entgelt, sondern lediglich eine Aufwandspauschale wie eine ehrenamtlich tätige Person erhalten, nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. So ist bereits nicht dargelegt worden, ob, in welcher Form und in welcher Höhe R tatsächlich Aufwand entstanden ist. Gegen eine Aufwandsentschädigung spricht auch, dass monatlich der gleiche Betrag abgerechnet worden ist und Ansatzpunkte für eine ehrenamtliche Tätigkeit, d.h. die Verfolgung eines ideellen Zwecks durch R ohne Erwerbsabsicht weder vorgetragen noch ersichtlich sind. Nach dem derzeitigen Sachstand ist daher von einer verdeckten Entlohnung auszugehen (vgl. BSG Urt. v. 16.8.2017 – B 12 KR 14/16 R – juris Rn. 34).

 

Unzutreffend ist schließlich, dass R – wie die Antragstellerin meint, dem „abhängigen Arbeitsmarkt“ nicht zur Verfügung gestanden habe und daher keine Beiträge nach dem Recht der Arbeitslosenversicherung zu zahlen seien. Wie dargelegt können mehrere Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt werden und sind dann sozialversicherungsrechtlich jeweils getrennt voneinander zu beurteilen.

Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung begegnet die Höhe der Nachforderung auf der Grundlage der Bruttoentgelte gemäß § 14 Abs. 1 SGB IV keinen Bedenken. Aufgrund des im Rahmen von § 14 SGB IV geltenden Entstehungsprinzips kommt es auf den tatsächlichen Zufluss der Gelder nicht an (vgl. z.B. BSG Urt. v. 4.9.2018 – B 12 R 4/17 R – juris Rn. 15). Dem Rentenbezug des R seit April 2017 hat die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 17.8.2020 Rechnung getragen und ab diesem Zeitpunkt nur noch die Arbeitgeberbeiträge festgesetzt.

2. Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für die Antragstellerin durch die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheides ist nicht erkennbar.

Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für sie verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 7.3.2019 – L 8 BA 75/18 B ER – juris Rn. 17). Konkreter Vortrag zu dieser Frage ist trotz der Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss auch nicht erfolgt.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2, 156 analog Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge (hier als Streitwert anzusetzen ist (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 22.4.2020 – L 8 BA 266/19 B ER – juris Rn. 30 m.w.N.).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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