S 1 U 1276/22

Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 1276/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
 
Leitsätze
  1. Kommt es zu Impfunregelmäßigkeiten nach einer COVID-19-Impfung, liegt im Regelfall kein Arbeitsunfall vor. Denn Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit gehören grundsätzlich zum unversicherten persönlichen Lebensbereich (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 1974, 2 RU 277/73, SozR 2200 § 548 Nr. 2). Eine COVID-19-Impfung weist nicht schon dann einen sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit auf, weil der Beschäftigte damit (auch) Infektionen und Erkrankungen am Arbeitsplatz vermeiden will.
  2. Die Priorisierung nach der CoronaImpfV wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe dient der sachgerechten Zuteilung nur eingeschränkt vorhandener Impfmöglichkeiten und begründet kein unternehmensbezogenes Recht.
  3. Nur weil der Unternehmer Impfungen durch Informationen, Bescheinigungen über eine Impfpriorisierung oder Arbeitszeitgutschriften fördert, darf ein Beschäftigter nicht davon ausgehen, er komme mit der Impfung einer vermeintlichen Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis nach.
  4. Denkbar ist ein sachlicher Zusammenhang, wenn der Beschäftigte mit der Impfung einer gesetzlichen, an eine bestimmte berufliche Tätigkeit anknüpfenden Impfpflicht nachkommt (für die Pflicht zur COVID-19-Impfung offengelassen).
  5. Es kann offengelassen werden, ob eine COVID-19-Impfung geeignet ist, Langzeitfolgen ähnlich einer Enzephalitis (Gehirnentzündung) oder einem Chronic-Fatigue-Syndrom zu verursachen.

 

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin begehrt die Anerkennung eines Arbeitsunfalles wegen Gesundheitsschäden nach einer Impfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV 2 (nachfolgend: Covid-19-Virus).

 

Die am … geborene Klägerin ist als Sozialarbeiterin beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Sozial- und Jugendamtes der Stadt K. angestellt. Am 27. März 2021 wurde die Klägerin im Kreisimpfzentrum in T. mit dem Impfstoff des Pharmaunternehmens AstraZeneca geimpft. Nach Angaben der Klägerin verspürte sie etwa eine Woche nach der Impfung starke Kopfschmerzen. Am 9. April 2021 stellte sich die Klägerin mit Gedächtnisverlust, Verwirrtheit und Desorientierung in der Notaufnahme des Klinikums K. vor. Sie wurde stationär aufgenommen und bis 23. April 2021 behandelt. Der Entlassungsbericht nennt als Diagnosen einen Verdacht auf eine virale Meningoenzephalitis, differenzialdiagnostisch eine Autoimmunencephalitis im Sinne einer limbischen Encephalitis, differenzialdiagnostisch eine Begleitmeningits nach Sars-CoV-2-lmpfung mit AstraZeneca, weiterhin eine Anpassungsstörung im Rahmen der Hauptdiagnose sowie eine akute Nierenschädigung im Rahmen einer Aciclovir-Therapie. Mit vergleichbaren Diagnosen wurde vom 23. April bis 27. Mai 2021 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in den Kliniken Sch., A., durchgeführt. Die Klägerin ist seitdem arbeitsunfähig krank.

 

Bereits im Vorfeld der Rehabilitationsmaßnahme hatte sich die Klägerin telefonisch an die Beklagte gewandt und einen Arbeitsunfall geltend gemacht. In ihrer schriftlichen Unfallanzeige vom 23. August 2021 gab die Klägerin an, sie sei berufsbedingt geimpft worden. Als Mitarbeiterin des ASD und somit auch verantwortlich für den Kinderschutz sei sie bei der Covid-19-Impfung priorisiert.

 

Die Beklagte gewährte zunächst Heilbehandlung und erstattete eine Verdachtsmeldung einer Impfreaktion beim Paul-Ehrlich-Institut.

 

Der behandelnde Heilpraktiker K. führte in einem Bericht aus, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen einer Enzephalomyelitis/eines Chronic-Fatigue-Syndrom. Er könne nicht beurteilen, ob dies durch die Impfung ausgelöst worden sei oder sich die Klägerin in dieser Zeit anderweitig infiziert habe. Es bestehe jedoch eine größere Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerden ursächlich durch die Impfung und einer daraus folgenden Encephalitis ausgelöst worden seien.

 

Mit Bescheid vom 28. April 2022 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 27. März 2021 als Arbeitsunfall ab. Es lägen keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf neurologischem Fachgebiet vor, die einen Zusammenhang der bei der Klägerin bestehenden Enzephalitis mit der Impfung gegen SarsCov-2 hinreichend bestätigten.

 

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, es bestünden durchaus wissenschaftliche Erkenntnisse, die einen solchen Zusammenhang wahrscheinlich machten. Im konkreten Fall bestehe ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung, zumal sie zuvor keinerlei körperliche oder psychische Einschränkungen gehabt habe. Vorgelegt wurde ein Attest der Hausärztin Dr. G., welche letzteres bestätigte.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2022 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, im Falle der Impfung gegen den Covid-19-Virus seien bislang als unübliche Impfreaktionen bei dem AstraZeneca- bzw. Johnson&Johnson- Präparat in seltenen Fällen insbesondere Thrombosen der tiefen Hirnvenen und bei dem BionTech- bzw. Moderna-Präparat Herzmuskelentzündungen aufgetreten. Ein nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannter Erfahrungssatz, nach dem eine Enzephalitis durch Impfungen gegen den Covid-19-Virus verursacht werden könne, lasse sich nicht feststellen. Einzelne Behauptungen von Ärzten bezüglich eines Ursachenzusammenhangs ohne nachvollziehbaren wissenschaftlichen Bezug genügten nicht, um diesen zu belegen.

 

Die Klägerin hat am 27. Juli 2022 Klage erhoben. Sie verweist auf (näher benannte) Fachliteratur, nach der ein ursächlicher Zusammenhang hinreichend wahrscheinlich sei. Ein von ihr beim Versorgungsamt gestellter Antrag auf Anerkennung als Impfschaden sei bisher nicht beschieden worden.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28. April 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2022 zu verpflichten, die am 27. März 2021 erfolgte Impfung als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hält ihre Entscheidung für zutreffend und verweist zur Begründung insbesondere auf den Widerspruchsbescheid. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und der Enzephalitis könne nicht wahrscheinlich gemacht werden.

 

Auf Anfrage des Gerichts nach dem beruflichen Zusammenhang der Impfung hat die Klägerin angegeben, sie habe von Seiten des Personal- und Organisationsamts mehrere E-Mails erhalten, in denen den Beschäftigten nahegelegt worden sei, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Darunter habe sich u.a. eine E-Mail des Personalamtes mit einem angefügten Formular „Bescheinigung zur Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2“ befunden, sodass sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur höchsten Prioritätsstufe vorzeitig habe geimpft werden können. Aufgrund ihrer Tätigkeit im Jugendamt sei sie als erhöht gefährdet einzustufen gewesen. Die Schutzimpfung sei auch für ihre berufliche Tätigkeit erforderlich gewesen. Sie habe regelmäßig engen Kontakt zu Familien gehabt und sei in Kindertagesstätten, Schulen sowie sonstigen Betreuungseinrichtungen mit zu erwartendem Kontakt zu infizierten Personen gewesen. Die Impfung habe nicht nur dem Selbstschutz, sondern dem Schutz der Klienten, Familien etc. gedient, auch dem Schutz anderer Mitarbeiter. Der ASD habe funktionsfähig gehalten werden sollen.

 

Das Gericht hat daraufhin eine Auskunft beim Personal- und Organisationsamt der Stadt K. eingeholt. Danach seien die Mitarbeiter über die neuesten Impfstrategien des Landes Baden-Württemberg informiert worden. Sie erhielten bei Wahrnehmung eines Impftermins in einem kommunalen Impfzentrum eine entsprechende Arbeitszeitgutschrift. Sofern Mitarbeiter in besonders gefährdeten Bereichen tätig gewesen seien, sei auf Wunsch eine Bescheinigung zur bevorzugten Impfberechtigung ausgestellt worden. Der Nachweis habe lediglich zur Berechtigung einer Impfung gedient und nicht als Empfehlung des Arbeitgebers. Jedem Arbeitnehmer sei es freigestellt gewesen, sich impfen zu lassen.

 

Der Vorsitzende hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 2. November 2022 erörtert. Die Klägerin hat im Termin Kopien der E-Mails vorgelegt, die sie von Seiten der Stadt K. im Hinblick auf das Covid-19-Virus und mögliche Impfungen erhalten hat. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen.

 

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

1. Die Klage, über die die Kammer im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das BSG erkennt, wenn das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Streit steht, ein Wahlrecht des Verletzten zwischen einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage und - wie hier - einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage an (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006, B 2 U 24/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18; BSG, Urteil vom 5. Juli 2011, B 2 U 17/10 R, SozR 4-2700 § 11 Nr. 1; BSG, Urteil vom 15. Mai 2012, B 2 U 8/11 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 20; BSG, Urteil vom 26. November 2019, B 2 U 8/18 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 71).

 

2. Die Klage ist aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung der Impfung vom 27. März 2021 als Arbeitsunfall.

 

Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Hierzu gehören nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII auch Beschäftigte.

 

Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist daher in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und diese Tätigkeit den Unfall andererseits herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der sachliche Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis erforderlich. Innerhalb dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck des Handelns mit im Vordergrund. Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte. Zu deren Beurteilung ist neben den Angaben des Versicherten auf die objektiven Umstände abzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 4. September 2007, B 2 U 24/06 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 24; BSG, Urteil vom 18. März 2008, B 2 U 2/07 R, SozR 4-2700 § 6 Nr. 1; BSG, Urteil vom 26. Juni 2014, B 2 U 4/13 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 52; BSG, Urteil vom 15. November 2016, B 2 U 12/15 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 37; BSG, Urteil vom 26. November 2019, B 2 U 8/18 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 71; BSG, Urteil vom 6. Mai 2021, B 2 U 15/19 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 77; BSG, Urteil vom 31. März 2022, B 2 U 5/20 R, für SozR vorgesehen).

 

3. Eine Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch) wird ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen (dazu a)) oder der Betroffene eigene unternehmensbezogene Rechte aus der Beschäftigung ausübt (dazu b)) oder er eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um eine vermeintliche Pflicht aus dem Rechtsverhältnis zu erfüllen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht (dazu c)) (BSG, Urteil vom 14. November 2013, B 2 U 15/12 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 27; BSG, Urteil vom 26. Juni 2014, B 2 U 4/13 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 52 BSG, Urteil vom 6. Mai 2021, a.a.O.).

 

a) Die Klägerin kam mit der Impfung keiner Rechtspflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis nach. Es bestand für Beschäftigte der Stadt K. im ASD zu keinem Zeitpunkt eine Verpflichtung, sich impfen zu lassen.

 

Eine Impfpflicht bestand weder aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung noch aufgrund einer Weisung des Arbeitgebers. Nach der von der Stadt K. gegebenen Auskunft stand es den Beschäftigten frei, sich impfen zu lassen. Die Stadt K. gab in ihrer Eigenschaft als Unternehmer nicht einmal eine Empfehlung für eine solche Impfung ab.

 

Die Impfung ist auch nicht als Maßnahmen des Arbeitsschutzes anzusehen, an welcher sich die Klägerin hätte beteiligen müssen, wie dies etwa für den Fall einer betriebsärztlichen durchgeführten Testung auf das Covid-19-Virus angenommen worden ist (vgl. SG Frankfurt/ Oder, Urteil vom 25. März 2022, S 10 U 108/21). Hierfür wäre ein Bezug zum Unternehmen notwendig, der bei einer Impfung im Kreisimpfzentrum, die allen Impfberechtigten angeboten wurde, nicht besteht.

 

b) Die Klägerin übte mit der Impfung auch kein unternehmensbezogenes Recht aus. Dies ist etwa angenommen worden, wenn ein Beschäftigter im Rahmen betrieblicher Mitbestimmung handelt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2022, B 2 U 8/20 R, für SozR vorgesehen) oder bei einer betriebsinternen Auseinandersetzung Vorgesetze anspricht (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2021, a.a.O.). Ein solches Recht folgt insbesondere nicht aus der Zugehörigkeit der Klägerin zu einer priorisierten Gruppe der Impfberechtigten.

 

Die damals gültige Empfehlung zur Impfung (Beschluss der Ständigen Impfkommission [STIKO] zur 3. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung vom 12. März 2021, Epidemiologisches Bulletin, 12/2021, Seite 13, online vorab veröffentlicht am 12. März 2021, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/12_21.pdf?__blob=publicationFile) bezog sich nicht etwa auf bestimmte berufliche Gruppen, sondern ging dahin, dass sämtliche Personen sich impfen lassen sollten. Die Klägerin sollte nach der ihr ausgestellten Bescheinigung zum Personenkreis gehören, der nach der damaligen Rechtslage mit „erhöhter Priorität“ Anspruch auf eine Schutzimpfung hatte (§ 4 Abs. 1 Nr. 8 Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 vom 10. März 2021 [BAnz AT 11.03.2021; nachfolgend: CoronaImpfV]: Kinder- und Jugendhilfe). Dies entspricht derselben Priorisierungsgruppe wie Personen, die „in besonders relevanter Position in den … Verwaltungen (Nr. 4 b)) tätig waren. Es ist gerichtsbekannt, dass Behörden dies in der damaligen Zeit „großzügig“ bejahten.

 

Das System unterschiedlicher Priorisierungsgrade diente dazu, innerhalb des Anspruchs aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auf gleiche Teilhabe an der Impfung, die der Staat entsprechend seiner Schutzpflicht grundsätzlich allen gemäß § 1 Abs. 1 CoronaImpfV genannten Personen anbietet, dem Vorbehalt des Möglichen aufgrund der begrenzten Kapazitäten Rechnung zu tragen. Unter Gleichheitsgesichtspunkten sollten sachgerechte Gründe für eine Beschränkung des Anspruchs formuliert werden (vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 25. Januar 2021, 20 L 65/21; VG des Saarlandes, Beschluss vom 29. März 2021, 6 L 295/21). Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber ging davon aus, dass über mehrere Monate hinaus nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, um die gesamte Bevölkerung zu impfen, und hielt es daher für erforderlich, eine Reihenfolge festzulegen (Gesetzentwurf zum Coronavirus-Impfgesetz, BT-Drs. 19/25260, S. 1).

 

Hierbei stellte der Verordnungsgeber nicht allein auf die berufliche Tätigkeit, sondern vor allem auf das Alter und auf Vorerkrankungen ab. Die Priorisierung nach der CoronaImpfV diente der Zuteilung nur eingeschränkt vorhandener Impfmöglichkeiten auf der Grundlage der Empfehlungen der STIKO mit den Impfzielen: Reduktion schwerer oder tödlicher Krankheitsverläufe, Schutz von Personen mit besonders hohem Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf, Schutz von Personen mit besonders hohem tätigkeitsbedingtem Infektionsrisiko, Unterbindung einer Transmission des Covid-19-Virus insbesondere in Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler Person und in solchen mit hohem Ausbruchspotential sowie die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen, der kritischen Infrastrukturen, der zentralen Bereiche der Daseinsvorsorge und des öffentlichen Lebens (Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen, BT-Drs. 19/26545, S. 18, mit dem die Verordnungsermächtigung zur CoronaImpfV geschaffen wurde). Gerichtet war dies auf die effektive Bekämpfung des Covid-19-Virus und der Minderung seiner Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit der Bürger sowie die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Unternehmensbezogene Rechte für impfpriorisierte Beschäftige sollten damit nicht begründet werden.

 

c) Nach Überzeugung des Gerichts wollte die Klägerin mit der Impfung auch keine vermeintliche Pflicht aus dem Rechtsverhältnis erfüllen. Jedenfalls durfte sie nach den objektiven Umständen nicht davon ausgehen, sie treffe eine solche Pflicht.

 

aa) Wer sich impfen lässt, tut dies zunächst im eigenen Interesse, um nicht oder nicht schwer zu erkranken. Dem steht nicht entgegen, dass dem Beschäftigten dabei bewusst ist, dass die Verringerung der Gefahr einer eigenen Infektion oder Erkrankung mittelbar auch für Dritte (die er nicht oder nicht häufiger infiziert) oder den Unternehmer (für den kein Beschäftigter krankheitsbedingt ausfällt) nützlich sein kann.

 

Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit gehören grundsätzlich zum unversicherten persönlichen Lebensbereich. Sie sind nicht schon deshalb der versicherten Tätigkeit zuzurechnen, weil sie zugleich der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit auch den Interessen des Unternehmens dienen (BSG, Urteil vom 31. Januar 1974, 2 RU 277/73, SozR 2200 § 548 Nr. 2). So ist in der Rechtsprechung geklärt, dass zwischen einer Schutzimpfung gegen Grippe und der versicherten Tätigkeit nicht deshalb ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang besteht, weil die Impfung zugleich der Erhaltung der Arbeitskraft und damit auch den Interessen des Unternehmens dient (BSG, Urteil vom 31. Januar 1974, a.a.O.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. September 2021, L 2 U 159/20).

 

bb) Etwas anderes kann lediglich für den Fall angenommen werden, dass für die berufliche Tätigkeit eine Schutzimpfung zwingend erforderlich ist. Denn damit dient die Impfung nicht nur der Gesundheit des Versicherten, sondern vor allem dem Interesse des Unternehmers, der ohne Impfung den Beschäftigten nicht einsetzen könnte. Bejaht worden ist dies für die Impfung einer Kinderkrankenschwester in einer Poliklinik und Notaufnahme einer Klinik für Kinder- und Jugendmedizin sowie Kinderchirurgie gegen das H1N1-Virus („Schweinegrippe“). In diesem beruflichen Bereich war damit zu rechnen, dass die Versicherte vermehrt Kontakt mit H1N1-infizierten Kindern hatte, die häufiger an dem Virus erkrankten als Erwachsene. Für die Versicherte bestand deshalb sowohl ein erhöhtes Risiko, an dem Influenza-Virus H1N1 zu erkranken, als auch daran, dieses an bislang nicht infizierte Patienten weiterzugeben. Dementsprechend bestand eine Empfehlung der STIKO zur Impfung von Beschäftigten im Gesundheitsdienst (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. Dezember 2014, L 2 U 99/13).

 

Ob sich dies auf eine COVID-19-Impfung übertragen lässt, kann offen gelassen werden. Denn eine gesetzliche Impflicht, die an eine bestimmte berufliche Tätigkeit anknüpfte, bestand für die Klägerin trotz ihrer Zugehörigkeit zum ASD nicht (vgl. für Personen in Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen im Zeitraum 15. März bis 31. Dezember 2022: § 20a des Infektionsschutzgesetzes - IfSG). Die Impfempfehlung der STIKO richtete sich, wie bereits dargelegt, an die gesamte Bevölkerung. Daher bedarf es keiner näheren Erörterung, ob einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit entgegenstünde, dass eine solche Verpflichtung in Folge der staatlichen Bekämpfung der durch das Covid-19-Virus verursachten Pandemie ergangen wäre und möglicherweise nicht betrieblichen Umständen dienen sollte (vgl. Schlaeger, jurisPR-SozR 21/2022, Anm. 1 zur sog. 3G-Zugangsregelung zum Betreten der Arbeitsstätte).

 

Hier wäre die Klägerin nicht gehindert gewesen, auch ohne Impfung ihre berufliche Tätigkeit auszuüben. Wie die Klägerin im Erörterungstermin dargelegt hat, hat sie zwar beruflich regelmäßig Kontakt mit den von ihr aufgesuchten Familien. Da der ASD nach den Angaben der Klägerin damals aus 12 bis 14 Personen bestand, hatte sie auch Kontakt mit anderen Beschäftigten. Es sind jedoch, wie allgemein in den öffentlichen Verwaltungen, Schutzmaßnahmen getroffen worden, wie die Aufteilung der Beschäftigten in zwei Teams, die sich möglichst nicht begegnen sollten. Dass ungeimpfte Beschäftigte des ASD nicht mehr tätig sein konnten, ist nicht erkennbar. Soweit - allerdings erst in der Zeit nach der Impfung der Klägerin - auf dem Sozial- und Jugendamt diskutiert wurde, dass ungeimpfte Beschäftigte nur noch im Homeoffice oder in besonderen Büros arbeiten sollten oder bestimmte Aufgaben nicht mehr durchführen dürften, handelt es sich um weitere Schutzmaßnahmen vor Infektionen, die einer Beschäftigung dieses Personenkreises nicht entgegenstanden, sondern diese gerade ermöglichen sollten.

 

cc) Die Klägerin durfte auch aufgrund den von der Stadt K. übermittelten Informationen zu dem Covid-19-Virus und den Impfungen nicht davon ausgehen, sie komme mit der Impfung einer Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis nach. Dies gilt auch für Gespräche mit Vorgesetzten und anderen Beschäftigten. Nimmt der Beschäftigte irrtümlich an, seine Verrichtung sei betriebsdienlich und von ihm geschuldet, müssen objektive Anhaltspunkte die subjektive Vorstellung stützen (Bieresborn in: Schlegel/Voelz­ke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 2 SGB VII, Stand: 14. November 2022, Rn. 131). Dies vermag das Gericht hier nicht festzustellen.

 

Die von der Klägerin vorgelegten E-Mails informierten lediglich in allgemeiner Form über das Covid-19-Virus, mögliche Schutzmaßnahmen und die aktuelle, sich wiederholt ändernde Rechtslage zur Priorisierung der Impfberechtigungen nach der CoronaImpfV. Die Stadt K. kam damit ihrer beamten- bzw. arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht für ihre Beschäftigten nach. Es findet sich in den Schreiben kein Hinweis, dass mit einer Impfung eine Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt wird. Auch konnte die Klägerin kein konkretes Gespräch mit Vorgesetzten oder sonstigen Vertretern des Unternehmers benennen, in dem sie aufgefordert oder ihr aus in ihrer Beschäftigung liegenden Gründen empfohlen wurde, sich impfen zu lassen.

 

Bei den Informationen über Impfmöglichkeiten, welche der Klägerin zugingen, ist zu berücksichtigen, dass die Stadt K. einerseits Unternehmerin ist, andererseits Teil des Staates. Dieser bekämpfte auf vielen Ebenen die Pandemie aufgrund des Covid-19-Virus. Die Stadt K. handelte aus dieser Funktion heraus, indem sie versuchte, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung zu veranlassen, sich impfen zu lassen. Sie betätigte sich etwa mit Informationen und schuf selbst Impfmöglichkeiten in städtischen Einrichtungen („Gemeindeimpftage“; https://www. …), gerichtet an ihre Einwohner und weitere Personen, die sie in ihrem Wirkungskreis erreichen konnte. Wenn die Stadt K. daher auch ihre Beschäftigten auf die Möglichkeit hinwies, sich impfen zu lassen, diente dies dazu, die Impfquote in Deutschland insgesamt zu heben und war gerade nicht vorrangig auf die eigenen Beschäftigten ausgerichtet.

 

Wenn sich ein Beschäftigter für eine Impfung entschieden hatte, unterstützte die Stadt K. dies, indem sie die nach der CoronaImpfV vorgesehene Bescheinigung erteilte. Weiterhin gewährte sie eine Arbeitszeitgutschrift (entsprechend der heutigen Regelung in § 3 Abs. 1 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 26. September 2022, BAnz AT 18.09.2022 V1), wenn sich der Beschäftigte in einem kommunalen Impfzentrum impfen ließ. Dies stellt sich als typische Unterstützung einer gesundheitlichen Präventionsmaßnahme eines Beschäftigten durch den Unternehmer im Rahmen dessen Fürsorgepflicht für die Beschäftigten dar. Eine Gesundheitsmaßnahme bleibt jedoch im unversicherten persönlichen Lebensbereich, auch wenn dabei betriebliche Unterstützungen in Anspruch genommen werden (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 1974, 2 RU 277/73, SozR 2200 § 548 Nr. 2).

 

Indem die Stadt K. eine (bevorzugte) Berechtigung zur Impfung bescheinigte, erweckte sie damit nicht den Eindruck, einer aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Empfehlung oder Anweisung zu einer solchen. Sie hätte die Bescheinigung auch ausstellen müssen, wenn sie gar kein eigenes Interesse an der Impfung ihrer Beschäftigten gehabt hätte.

 

4. Fehlt es bereits am sachlichen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit, kann die Frage, ob die geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch die Impfung verursacht worden sind, offengelassen werden

 

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
Saved