Zur Anerkennung eines Guillain-Barré-Syndroms (GBS) als Impfschaden nach einer sog. Schweinegrippeimpfung im Jahr 2009 (L 4 VJ 1/18)

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 12 VJ 2/14
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 4 VJ 1/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
  1. Einer Anerkennung eines GBS als Impfschaden nach der sog. Schweinegrippeimpfung mit dem Impfstoff Pandemrix im Rahmen der sog. Kann-Versorgung kann aufgrund neuerer Studienergebnisse nicht mehr entgegengehalten werden, es liege kein plausibles Zeitfenster für den Erkrankungsbeginn (Inkubationszeit 5 - 42 Tage) vor.
  2. Aufgrund einer neueren, im Jahr 2021 publizierten Studie, die sich konkret auf den Impfstoff Pandemrix bezieht, kann ein GBS auch bereits innerhalb der ersten fünf Tage nach einer Impfung auftreten.
  3.  Die der angefochtenen Entscheidung zugrundegelegte Auffassung des Paul-Ehrlich-Instituts zum fehlenden plausiblen Zeitfenster basiert auf Studiendaten der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Damals existierten noch keine Daten zu dem erst im Jahr 2009 zugelassenen Impfstoff Pandemrix

1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 26.03.2018 und der Bescheid des Beklagten vom 10.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2014 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, bei dem Kläger die Gesundheitsstörungen partielle Abduzensparese bei Zustand nach Miller- Fischer-Syndrom und Bickerstaff-Enzephalitis als Impfschäden anzuerkennen und ihm Versorgungsleistungen ab Antragstellung zu gewähren.

2. Die außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen trägt der Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Impffolgeschäden nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und über die Gewährung von Entschädigungsleistungen.

Bei dem im Jahr 1961 geborenen Kläger erfolgte am 06.11.2009 eine Impfung mit den Impfstoffen Influsplit SWW gegen saisonale Grippe und dem Impfstoff Pandemrix A 81 CA061 A gegen Influenza H1N1 (Schweinegrippe) durch seinen Hausarzt Dr. W     . Zuvor war der Kläger am 26./27.10.2009 wegen Laryngitis arbeitsunfähig erkrankt. Zwei Tage nach der Impfung kam es zu einer Schwindelsymptomatik, vier Tage später zeigten sich ausgeprägte neurologische Ausfallerscheinungen.

Im Juli 2010 beantragte der Kläger, vertreten durch seine Ehefrau und Betreuerin, die Gewährung von Versorgung nach § 60 IfSG. Zur Begründung machte er geltend, vier Tage nach der Impfung hätten sich erstmals Krankheitserscheinungen bemerkbar gemacht. Er leide an einem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) bzw. Miller-Fisher-Syndrom (MFS). Diese Gesundheitsstörungen seien Folge der Impfung vom 06.11.2009.

Ausweislich des vorläufigen Berichts des Klinikums L            vom 25.11.2009 über die stationäre Behandlung des Klägers ab dem 10.11.2009 wurde zunächst ein MFS mit Übergang in ein GBS diagnostiziert. Es bestehe des Weiteren ein Z.n. Impfung gegen Influenza und H1N1-Influenza am 06.11.2009 sowie ein Z.n. Pharyngitis eine Woche vor Infekt mit Nachweis von Haemophilus im Bronchialsekret. Darüber hinaus bestehe nach dem CRF (Case Report Form = Erhebungsbogen) eine arterielle Hypertonie und ein Nikotinabusus, ein Verdacht auf Aspirationspneumonie, ein Zustand nach Tracheotomie (dilatativ) am 16.11.2009, ein Enzephalopathiesignal im Ponsbereich (Bickerstaff-Enzephalopathie) bei MFS sowie eine Plasmapherese. Im Bericht wurde festgehalten, dass seit zwei Tagen vor Aufnahme Drehschwindel bestehen würde. Am 10.11.2009 seien ein Taubheitsgefühl am gesamten Körper und Nackenschmerzen aufgetreten, außerdem eine Ataxie und eine Ptosis. Im weiteren Verlauf sei eine Dyspnoe aufgetreten, die Sprachproduktion sei wegen zunehmender Schwäche nicht mehr möglich gewesen, der Würgereflex sei erloschen, eine rechtsbetone Tetraparese sei aufgetreten und der Muskeleigenreflex (MER) sei rechts abgeschwächt gewesen. Aufgrund der klinisch festgestellten Tetraparese und den ausgefallenen Muskeleigenreflexen und des Verlaufs sei weiterhin von einem GBS auszugehen.

In einem weiteren Bericht der Neurologischen Klinik des Klinikums L            vom 22.12.2009 zur stationären Behandlung des Klägers auf der Neurologischen Station (Schlaganfall- und Überwachungsstation) in der Zeit vom 21.12.2009 bis 28.12.2009 wurde ausgeführt, dass der Kläger an einer Variante des MFS mit Hirnstammenzephalitis leide. Der klinische Zustand des Klägers habe sich kaum gebessert. Der Kläger sei wach, die Kommunikation sei aber nur über Augenblinzeln möglich.

In einem weiteren Bericht der Neurologischen Klinik des Klinikums L            vom 22.02.2010 zur stationären Behandlung des Klägers auf der Intensivstation im Zeitraum 10.11.2009 bis 21.12.2009 und vom 21.12.2009 bis 28.12.2009 auf der Neurologischen Station wurde ausgeführt, dass der Kläger am 21.12.2009 von der Intensivstation auf die Schlaganfall- und Überwachungsstation habe verlegt werden können. Am 28.12.2009 sei der Kläger mit einer weiterhin fortbestehenden Tetraplegie, schwerer Schluckstörung, bilateraler Faszialisparese, spontanatmend über die Trachealkanüle in die stationäre Rehabilitation verlegt worden. Bei dem Kläger liege ein Verdacht auf Bickerstaffenzephalitis vor. Der Kläger habe 2 Tage vor der Aufnahme einen Drehschwindel bemerkt. Am Aufnahmetag habe er über ein Taubheitsgefühl am gesamten Körper und Nackenschmerzen geklagt. Im initialen Aufnahmebefund sei ein Abduktionsdefizit des rechten Auges sowie eine Tetraataxie bei erhaltenen Muskeleigenreflexen aufgetreten. Bereits am Aufnahmetag sei es zu einer deutlichen klinischen Progredienz mit ausgeprägter Dysarthrie, Dysphagie und verminderten Schutzreflexen sowie beginnender Tetraparese gekommen.

Das Amt für soziale Angelegenheiten stellte beim Kläger als Beeinträchtigung ein GBS-Syndrom mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 fest, darüber hinaus das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen G, B, aG und H (Bescheid vom 28.06.2010).

In einem Befundbericht des Dr. W      vom 18.07.2010 führte dieser aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Impfung frei von Infekten gewesen sei. Er habe zuvor an einer Laryngitis gelitten und sei am 26./27.10.2009 arbeitsunfähig gewesen.

Der Beklagte holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 08.10.2010 bei der Ärztin H    -L     ein, die die vorliegenden Unterlagen nicht für ausreichend erachtete, um eine abschließende Bewertung der Kausalität zwischen Impfung und der bestehenden Erkrankung vorzunehmen. Entsprechend der Aktenlage habe der Kläger 14 Tage vor der Impfung an einem Infekt gelitten. Der Eintritt der neurologischen Symptomatik sei innerhalb von maximal 4 Tagen nach durchgeführter Impfung erfolgt. Es bestünden daher Zweifel an einem Kausalzusammenhang. Sie rege die Beiziehung der Behandlungsunterlagen von Dr. W     , der vollständigen Patientenakte des Klinikums L            und der Zwischen- und Abschlussberichte der Reha-Klinik in H          an.

Ausweislich der daraufhin beigezogenen Behandlungsunterlagen von Dr. W      litt der Kläger am 26.10.2009 an einer Laryngitis und einem akuten Katarrh der oberen Atemwege und war am 26.10. und 27.10.2009 arbeitsunfähig. Neben weiteren Fremdbefunden wurde von Dr. W      auch der Bericht des Internisten Dr. L        vom 22.01.2008 vorgelegt, in dem dieser ausführte, dass der Kläger seit 2005 an Hypertonie, Adipositas (BMI 32) sowie einer Belastungshypertonie leide.

Im ebenfalls beigezogenen Reha-Entlassungsbericht vom 18.08.2010 über die stationäre Behandlung des Klägers im Zeitraum 28.12.2009 bis 16.08.2010 im SRH K       krankenhaus in H          wurden folgende Diagnosen gestellt: V.a. Bickerstaff-Hirnstammenzephalitis und Polyneurokardikulitis ED 10.11.2009 mit Tetraplegie, bilateralen Faszialisparesen, Dysphagie, fehlenden Schutzreflexen, autonomer Beteiligung, Stuhl- und Harninkontinenz, Ateminsuffizienz mit Beatmungspflichtigkeit bei Z.n. H1N1 und Influenza-Vakzination (Pandemrix und Influsplit SSW) am 06.11.2009, Z.n. Pharyngitis und Dysphonie im Vorfeld der Impfung, Nachweis von Hämophilus influenza im Bronchialsekret. Der Kläger sei am 10.11.2009 mit akutem Drehschwindel und Doppelbildern ins Klinikum L            eingewiesen worden, nachdem er am 06.11.2009 zeitgleich gegen Influenza und H1N1 geimpft worden sei. Im Vorfeld hätte der Kläger an einer Pharyngitis und Dysphonie gelitten. Im Klinikum habe sich rasch eine Tetraplegie mit schweren Schluckstörungen und fehlenden Schutzreflexen entwickelt, so dass der Kläger habe intubiert werden müssen. Im Trachealsekret habe Hämophilus influenza nachgewiesen werden können. In der MRT-Bildgebung des Schädels vom 16.11.2009 habe eine Läsion der caudalen Pons nachgewiesen werden können. Neurophysiologisch hätten sich eindeutige Hinweise auf eine Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems mit fehlenden F-Wellen, frühen A-Wellen, schwerer Leistungsstörung zwischen C2 und dem Gyrus postzentralis gezeigt. Bei V. a. eine Bickerstaff-Enzephalitis mit Polyneurokardikulitis seien insgesamt zwei Zyklen einer Immunglobulintherapie sowie ein Plasmapherese-Zyklus erfolgt. Hierunter sei es zu einer Stabilisierung des Krankheitsbildes gekommen.

In der beigezogenen Patientenakte des Klinikums L            über die stationäre Behandlung des Klägers im Jahr 2009 war der endgültige Entlassungsbericht der Intensivstation des Klinikums L            vom 25.11.2009 über die stationäre Behandlung des Klägers im Zeitraum 10.11.2009 bis 21.12.2009 enthalten (Blatt 112 ff VA). Darin wurden folgende Diagnosen mitgeteilt: Miller-Fisher-Variante mit zentraler pontomedullärer Affektion (z.B. Bickerstaff Hirnstammenzephalitis), Tetraplegie, bilaterale rechtsbetonte N. Faszialisparese, bilaterale N. Abduzens-Parese, Dysphagie, Z.n. Impfung gegen Influenza und H1N1-Influenza am 06.11.2009, Z.n. Pharyngitis 1 Woche vor der Impfung; Nachweis von Hämophilus im Bronchialsekret, Tracheotomie(dilatativ) am 16.11.2009, Z.n. VRE im Trachealsekret (Linezolidtherapie), Z.n. E.coli im Trachealsekret (vancomycynresistent, cefuroximsensibel), Immunglobintherapie (vom 10.11.2009 bis 15.11.2009) und nachfolgend Plasmapherese (vom 20.11.2009 bis 27.11.2009), CRF: Arterielle Hypertonie, Nikotinabusus, Heparininduzierte Thrombopenie Typ II, Otitis media. Der Kläger habe 2 Tage vor der Aufnahme einen Drehschwindel bemerkt. Am Aufnahmetag habe er über ein Taubheitsgefühl am gesamten Körper und Nackenschmerzen geklagt. Am 06.11.2009 sei er gegen Influenza und H1N1 geimpft worden. Eine Woche zuvor habe er an einem Atemwegsinfekt mit Stimmbandentzündung gelitten. Im Bronchialsekret bei Aufnahme sei Hämophilus nachgewiesen worden. Denkbar sei ein Hämophilus-Infekt als Auslöser mit Triggerung durch die Influenza und H1N1-Impfung am 06.11.2009. Eine initiale bildgebende Untersuchung mittels kranialer Computertomographie habe keinen richtungsweisenden Befund hinsichtlich der Symptomgenese ergeben. Unter der initialen Verdachtsdiagnose eines MFS sei eine Liquordiagnostik durchgeführt worden, die keinen richtungsweisenden Befund, insbesondere keine zytoalbuminäre Dissoziation ergeben habe. Bereits am Aufnahmetag sei es zu einer deutlichen klinischen Progredienz mit ausgeprägter Dysarthrie, Dysphagie und verminderten Schutzreflexen sowie beginnender Tetraparese gekommen. Die am 13.11.2009 durchgeführte Liquordiagnostik habe weiterhin keine zytoalbuminäre Dissoziation gezeigt. Weder die NLG noch die SEP Untersuchung am 13.11.2009 hätten einen typischen Befund für ein GBS ergeben. Die Vorlage eines GBS sei damit nicht sicher bewiesen. Aufgrund der Klinik, der Tetraparese und ausgefallenen Muskeleigenreflexen und des Verlaufs sei weiterhin von einem GBS auszugehen. Im weiteren Verlauf hätten jedoch die durchgeführten elektrophysiologischen Untersuchungen Hinweise auf eine akute demyelinisierende Polyneuropathie (F-Wellen des Nervus medianus rechts ausgefallen, frühe A-Wellen im Nervus tiabialis nachweisbar) erbracht. Darüber hinaus seien in der Untersuchung mittels Medianus-SEP bilateral nicht erhältlich kortikale Primärkomplexe aufgefallen, die wiederholt auch in Kontrolluntersuchungen nicht erhältlich gewesen seien. Diese seien als Zeichen einer schweren Leistungsstörung zwischen C2 und dem gyrus postzentralis zu werten. In der daraufhin durchgeführten kernspintomographischen Untersuchung des Schädels und der gesamten Wirbelsäule habe sich eine bilaterale Diffusionsstörung gezeigt, die sich in der weiteren Verlaufsuntersuchung als T2-hyperintense Signalveränderung im pontomedulären Übergang in paramedianer symmetrischer Lage dargestellt habe. Aufgrund des typischen klinischen Verlaufs und der zentralen Veränderung sei die Verdachtsdiagnose einer Bickerstaff-Enzephalitis (MFS mit zentraler Mitbeteiligung) gestellt worden. Differentialdiagnostisch in Frage kommende Erkrankungen hätten sich in den serologischen Untersuchungen im Liquor nicht gefunden. Ebenfalls hätten sich keine Hinweise für eine Vaskulitis oder anderweitige Differentialdiagnosen eine akute Polyneuropathie gezeigt.

In der Patientenakte waren außerdem Berichte über CT-, MRT-, und NLG-Untersuchungen enthalten. In einem Bericht über die CT-Untersuchung des Klägers am 10.11.2009 fand sich kein Nachweis einer akuten intrakraniellen Blutung oder einer cerebralen Ischämie. In einem Bericht über die MRT-Untersuchung des Schädels und der Wirbelsäule des Klägers vom 11.11.2009 ist ausgeführt, dass sich im Bereich des Schädels keine Diffusions- oder Schrankenstörungen abgrenzen ließen und keine Anhaltspunkte für eine Raumforderung bestünden. Im Bereich der Wirbelsäule sei kein Hinweis auf eine entzündliche Veränderung ersichtlich. In einem Bericht über die MRT-Untersuchung der Wirbelsäule vom 16.11.2009 wurde ausgeführt, dass sich am Hirnstamm, direkt caudal des Pons als auch in der T2W-Sequenz, eine schmale, flächige Signalanhebung zeige. Im Bericht über die MRT-Untersuchung des Schädels des Klägers am 03.12.2009 wurde ausgeführt, dass die in der Voruntersuchung am 16.11.2009 festgestellte keilförmige zentrale Diffusionsstörung im Hirnstamm sich jetzt nur noch im ventralen Anteil des Hirnstamms zeige. Es bestehe kein Hinweis für eine neu aufgetretene Diffusions- oder Schrankenstörung. Im Vergleich zur Voruntersuchung vom 16.11.2009 bestehe eine zurückgehende, wohl entzündlich bedingte Signalveränderung im Hirnstamm. Die NLG-Untersuchungen des Klägers ergaben keine Hinweise auf ein GBS. In einem Bericht des Universitätsklinikums H          vom 01.02.2010 über die MRT-Untersuchung des Schädels des Klägers am 01.02.2010 wurde u.a. ausgeführt, dass die Arteria vertebralis rechts distal der Arteria cerebelli posterior inferior rechts verschlossen wirke, da sie keinen arteriellen Fluss auf der MR-Angiographie aufweise und auch kein Kontrastmittel aufnehme.

Nach Auswertung der beigezogenen Akten führte die Ärztin H    -L     in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.01.2011 aus, dass in den vorliegenden Unterlagen ein Wechsel der gestellten Diagnosen erfolgt sei. Die Erkrankung des Klägers sei als ein atypisches GBS zu werten. Der Kläger habe 15 Tage vor Beginn der neurologischen Erkrankung an einer akuten Laryngitis gelitten. Die Impfung habe 3½ bis 4 Tage vor Beginn der Erkrankung stattgefunden. Sowohl die Impfung als auch die Laryngitis kämen als mögliche Ursache für die neurologische Erkrankung in Betracht. Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs zu prüfen. Die Impfung liege nicht innerhalb des Zeitraums, der in der Literatur zwischen Impfung und Erkrankung als erforderlich angesehen werde. Der Abstand zwischen Impfung und Erkrankungsbeginn sei für die Bejahung der Kausalität zu kurz. Daher sei die Laryngitis als wahrscheinliche kausale Ursache anzusehen. Darüber hinaus sei zu beachten, dass die nachgewiesenen Infarkte entsprechend der Lokalisation durchaus in Zusammenhang mit der aktuellen Symptomatik zu bewerten seien.

In einer daraufhin eingeholten sozialmedizinischen radiologischen Stellungnahme des Leitenden Arztes des Versorgungsärztlichen Dienstes Dr. B       vom 21.02.2011 führte dieser aus, dass zwar gravierende Vorerkrankungen beim Kläger nicht ersichtlich seien, dass jedoch der internistische Befund vom 22.01.2008 erhebliche Risikofaktoren für vaskuläre Erkrankungen (seit langem bestehender therapiebedürftiger, aber bisher unbehandelter Bluthochdruck mit einer konzentrischen Linkshypertrophie, Adipositas und Rauchen) belege. Für die Annahme eines Impfschadens müssten vor der Beurteilung der Kausalität der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung im Vollbeweis erwiesen sein. Soweit dies der Fall sein sollte, würde für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge der Schädigung wäre, die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügen. Die erste Säule der Kausalkette, der schädigende Vorgang, sei im vorliegenden Fall durch die Eintragung der Impfung in den vorläufigen Impfpass bewiesen. Die zweite Säule (die gesundheitliche Schädigung) sei bei Unterstellung der Richtigkeit der Angaben der Neurologischen Klinik in              und dem K       -Krankenhaus in H          ebenfalls gegeben. Unterstelle man, dass bei dem Kläger eine sog. Miller-Fisher-Variante des GBS mit zentraler pontomedulärer Affektion (z.B. Bickerstaff-Hirnstammenzephalitis) mit Tetraplegie, bilateraler rechtsbetonter Nervus facialsparese, bilateraler Nervus abducensparese und Dysphagie vorliege, so wäre auch die dritte Säule (d.h. die zu beurteilende Gesundheitsstörung) bewiesen. Für die Frage der Kausalitätsprüfung sei zu beachten, dass das GBS auch in Form der Miller-Fisher-Variante eine Erkrankung sei, bei der sich das Immunsystem gegen die Markscheiden der peripheren Nerven des menschlichen Körpers richte und diese zerstöre. Durch den Verlust dieser Myelinscheiden komme es zur Herabsetzung der Nervenleitgeschwindigkeit bis zum vollständigen Verlust der Nervenfunktion. Die Ursache der Erkrankung sei bis heute nicht geklärt. Anscheinend finde eine Autoimmunreaktion statt, da bei der mikroskopischen Betrachtung von Gewebeproben eine Entzündung und eine Infiltration mit bestimmten Immunzellen in den Markscheiden der Nerven gefunden würden. Es könne sich aber auch um eine neuroallergische Reaktion auf vorangegangene Infektionen, wie z.B. Herpesviren, aber auch Rachenbakterien, wie z.B. Hämophilus influenzia usw., handeln. In der medizinischen Wissenschaft bestehe Ungewissheit über den eigentlichen Entstehungsmechanismus. Dementsprechend sei eine Anerkennung auf diesem Wege nicht möglich. Unter Berücksichtigung der Vorgaben in § 61 S. 2 IfSG sei eine Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen, wenn die zur Anerkennung einer gesundheitlichen Störung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben sei, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe (Kann-Versorgung). In Kenntnis der internistischen Vorbefundungen unter Berücksichtigung der Neurosonologie der Hals- und Schädelgefäße im Universitätsklinikum in H          sei allerdings davon auszugehen, dass sich ein Gefäßprozess verdichtet habe. Daher sei eine weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung unabdingbar. Im Rahmen der neurologischen Begutachtung solle der zeitliche Zusammenhang zwischen dem schädigungsunabhängigen Infekt und einer Variante des GBS, zwischen der Impfung und einer Variante des GBS sowie die Bedeutung eines schädigungsunabhängigen Infarktes des Gehirns untersucht werden.

Der Beklagte holte ein neuroradiologisches Zusatzgutachten bei Prof. Dr. Bi   vom 10.04.2012 ein. Der Gutachter führte aus, dass es sich bei den Veränderungen im Hirnstamm-/Medualle oblongata-Bereich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen stattgehabten Hirnstamminfarkt aufgrund eines akuten Verschlusses der Arteria vertebralis im V4-Segment rechts am 08.11.2009 handele. Sowohl das klinische Beschwerdebild als auch die in der Folge angefertigten apparativen Untersuchungen belegten diese Einschätzung, wobei in den Untersuchungen im November und Dezember 2009 fälschlicherweise von einer entzündlichen Veränderung ausgegangen worden sei. Die erste korrekte Einschätzung sei am 01.02.2010 durch die Universitätsklinik H          erfolgt. Eindeutige computer-
oder kernspintomographische Hinweise für das Vorliegen einer Entzündung hätten zu keinem Zeitpunkt bestanden. Ungeklärt sei, ob die Impfung die Entstehung einer Thrombose/Thrombembolus begünstigt habe.

Der Beklagte holte sodann ein neurologisches (Haupt-)Gutachten bei Prof. Dr. Dr. O      (mit Prof. Dr. B   , PD Dr. T          und PD Dr. W     ) vom 07.12.2012 ein. Darin ist ausgeführt, dass es unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen am wahrscheinlichsten sei, dass der Kläger ein MFS mit Bickerstaff-Enzephalitis infolge der Impfung erlitten habe. Es bestehe ein zeitlicher und kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der beim Kläger aufgetretenen Gesundheitsstörung. Die Impfung sei vier Tage vor Beginn der Tetraparese verabreicht worden, was für einen zeitlichen Zusammenhang spreche. Der Infekt der oberen Atemwege sei zu diesem Zeitpunkt bereits abgeheilt gewesen. Kausal handele es sich am ehesten um eine Aktivierung des Immunsystems infolge der Impfung mit Auftreten eines MFS mit Bickerstaff-Enzephalitis, einer extrem seltenen Komplikation der Impfung, die mit einer Häufigkeit von weniger als einem Fall pro eine Million Impfungen auftrete. Passend zur Bickerstaff-Enzephalitis sei die klinische Präsentation und der Nachweis einer für das MFS typischen akuten demyelinierenden Polyneuropathie. Der initiale MR-tomographische Befund mit einer Diffusionsstörung und einer ADC-Minderung (ADC = apparent diffusion coefficient) im Bereich der Läsion schließe eine entzündliche Genese nicht aus und könne durch eine schwere Zellschädigung im Rahmen einer akuten entzündlichen Läsion interpretiert werden. Bei fehlendem Fluss im V4-Segment sei im neuradiologischen Zusatzgutachten ein Verschluss der rechten Vertebralarterie als Ursache einer möglichen Hirnischämie diskutiert worden. Das Alter des Verschlusses lasse sich jedoch bei fehlenden Voraufnahmen nicht klären. Ein chronischer, mit der akuten Symptomatik, nicht zusammenhängender Verschluss könnte letztendlich nicht komplett ausgeschlossen werden.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.01.2013 legte die Ärztin H    -L     dar, weiterhin könne die Anerkennung der Gesundheitsstörung als Impfschaden nicht vorgeschlagen werden. Die neurologischen Gutachter nähmen eine Bewertung der vorliegenden radiologischen Befunde vor, die den Aussagen im neuroradiologischen Zusatzgutachten widersprächen. Zur Ätiologie des MFS mit Bickerstaff-Enzephalitis sei lediglich konstatiert worden, dass die Erkrankung Folge der Impfung sei und dass die zuvor bestehende Laryngitis ausgeheilt gewesen sei. Auf die dokumentierten Zeitabstände und Wahrscheinlichkeiten zu den konkurrierenden Ursachen sei nicht eingegangen worden. Laut einer aktuellen Studie des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) zum Zusammenhang zwischen Pandemrix-Impfung und GBS sei lediglich in einem Zeitraum von 5-42 Tagen ein insgesamt leicht erhöhtes Risiko für die Erkrankung an einem GBS festzustellen. Bei dem Kläger seien die ersten Symptome bereits nach 2 Tagen aufgetreten. Spätestens nach 4 Tagen habe die Manifestation der Erkrankung vorgelegen. In der Studie sei auch deutlich auf die in 2/3 der Fälle bei GBS vorliegende vorhergehende Infektion als Auslöser hingewiesen worden. Der Hinweis im Gutachten darauf, dass die Infektion ausgeheilt gewesen sei, reiche nicht aus, das Argument der konkurrierenden Ursache zu entkräften. Für das Auslösen eines GBS wäre die vorausgegangene Infektion (innerhalb der letzten 2-3 Wochen) wichtig, unabhängig davon, ob sie zum Zeitpunkt des Auftretens des GBS noch bestanden habe oder nicht. Auch auf die Problematik des geringen Zeitabstandes zwischen Impfung und Auftritt der Erkrankung sei nicht eingegangen worden.

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 21.02.2013 führten Prof. Dr. Dr. O     , Prof. Dr. B   , PD Dr. T          und PD Dr. W      aus, dass der Kläger an einer partiellen Abduzensparese rechts und an einer linksbetonten spastischen Tetraparese bei Zustand nach MFS und Bickerstaff-Enzephalitis nach der Impfung mit Pandemrix und Influsplit SSW am 06.11.2009 leide. Kausal handele es sich am ehesten um eine Aktivierung des Immunsystems infolge der durchgeführten Impfungen. Der Grad der Schädigung (GdS) sei mit 100 zu bewerten. Dieser liege seit dem 10.11.2009 vor. Eine Besserung der Schädigung sei nicht zu erwarten. Zu der Frage des Zusammenhangs zwischen der Laryngitis des Klägers Ende Oktober 2009 und dem vorliegenden GBS sei auszuführen, dass der Kläger am 26.10.2009 und 27.10.2009 aufgrund der Laryngitis arbeitsunfähig gewesen sei. Die Impfung sei am 06.11.2009 durchgeführt worden, nachdem der Kläger 1,5 Wochen keine klinischen Symptome mehr aufgewiesen habe. Am 07.11.2009 seien Schmerzen im Bereich der Injektionsstelle am rechten Oberarm aufgetreten. Am 08.11.2009 habe der Kläger unspezifische Symptome, wie Schwindel und Flimmern vor den Augen entwickelt. Am 10.11.2009 sei es zum Auftreten von fokal-neurologischen Defiziten mit Abduktionsschwäche am rechten Auge und Ataxie gekommen, die zur Aufnahme in das Klinikum L            geführt hätten. Demnach würden 4 Tage zwischen der Applikation des Impfstoffes und dem Auftreten der neurologischen Erkrankung mit den oben beschriebenen fokal-neurologischen Defiziten liegen. Die Symptome in der Zeit zwischen der Impfung am 06.11.2009 und dem Ausbruch der neurologischen Erkrankung am 10.11.2009 könnten lediglich als unspezifische Prodromi eingestuft werden, deren Länge bei MFS erheblichen individuellen Schwankungen unterliegen könne. In der vom PEI durchgeführten epidemiologischen Studie zur Assoziation zwischen pandemischer Influenza A/H1N1-Impfung (Impfstoff Pandemrix) bzw. saisonaler Grippeimpfung (2009/2010) und dem Auftreten des GBS/MFS sei das Risiko für das Auftreten eines Impfstoff-assoziierten GBS/MFS mit ca. 6 zusätzlichen Fällen auf 1 Million geimpfte Personen kalkuliert. Das Zeitfenster von 5-42 Tagen sei in der Studie nur als Hinweis auf einen „recht kurzen Zeitraum“ (Originalzitat) für das Auftreten des Impfstoff-assoziierten GBS/MFS angegeben worden. In dieser Studie sei nicht die ganze deutsche Population geimpfter Personen untersucht worden, so dass das Auftreten von GBS/MFS nach weniger als fünf Tagen nach der Grippeimpfung nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne. Darüber hinaus werde in anderen europäischen und US-amerikanischen Studien, die die Assoziation zwischen Grippeimpfung und GBS/MFS behandelten, nur eine obere Grenze für den Risikozeitraum angegeben. So werde in der US-amerikanischen Population-basierten Studie von Wise et. al. (Referenzpopulation: 45 Million Einwohner) ein ähnliches Risiko für GBS/MFS nach Grippeimpfung mit 8,8 Fällen auf 1 Million geimpfte Personen kalkuliert, wobei von einem Risikozeitraum von 1-42 Tagen ausgegangen werde. Auch in der paneuropäischen Studie von Dieleman et al. sei ein Zeitraum von 1-42 Tagen berichtet worden. Entsprechend dieser Daten sei davon auszugehen, dass ein GBS/MFS auch innerhalb der ersten fünf Tage nach erfolgter Grippeimpfung auftreten könne. Die Assoziation von GBS/MFS mit Atemwegs- und Magen-Darm-Infektionen sei bekannt. Häufig seien Campylobacter jejuni, Eppstein-Barr-Virus, Zytomegalievirus, Mycloplasma pneumoniae und das Varizella-Zoster-Virus nachgewiesen worden. Die Hämophilus influenzae-Infektion sei für einen deutlich geringeren Anteil der GBS/MFS-Fälle (kleiner ein Prozent) verantwortlich und führe eher zu einer axonalen Polyneuropathie. Bei dem Kläger sei nicht eine axonale, sondern eine demyelinisierende Polyneuropathie nachgewiesen worden. Der Nachweis von Hämophilus influenzae sei erst am 11.11.2009, d.h. am 2. Aufenthaltstag im Klinikum L            erfolgt. Damit sei eine nosokomiale Besiedlung mit Hämophilus influenzae oder eine mit der vorausgegangenen Laryngitis nicht zusammenhängende asymptomatische Trägerschaft von Hämophilus influenzae nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus sei nicht bekannt, ob die vorausgehende akute Laryngitis bakterieller, viraler oder nichtinfektiöser Genese gewesen sei. Vom Hausarzt seien zur Behandlung der Laryngitis keine Antibiotika verschrieben worden. Eine nicht infektiöse Ursache der Laryngitis, wie eine allergische Laryngitis, ein Ermüdungskatarrh nach übermäßiger stimmlicher Belastung oder eine Reizlaryngitis bei Nikotinkonsum seien nicht ausgeschlossen und aufgrund der relativ kurzen Krankheitsdauer sogar wahrscheinlich. Somit sei der kausale Zusammenhang mit der stattgehabten Laryngitis nicht wahrscheinlich. Demgegenüber sei der kausale und zeitliche Zusammenhang mit der Grippeimpfung am 06.11.2009 anhand der Aktenlage und bei vorliegender wissenschaftlicher Evidenz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt. Zum Widerspruch mit der Einschätzung im neuroradiologischen Gutachten von Prof. Dr. Bi   werde ausgeführt, dass die neuroradiologische Beurteilung allein anhand bildmorphologischer Kriterien erfolgt sei und keine endgültige klinische Einschätzung eines Krankheitsbildes umfasst hätte. Im Rahmen der Begutachtung wären Befunde mittels verschiedener zusatzdiagnostischer Verfahren (Doppler-/Duplex Sonografie, Neurografie und neuroradiologische Diagnostik mit C MRT/CCT) erhoben worden. Nur eine zusammenfassende Beurteilung dieser Befunde unter Berücksichtigung der klinischen Untersuchung und des Verlaufs ermögliche eine endgültige Aussage. In den neuroradiologischen Befund seien weder die Ergebnisse anderer diagnostischer Verfahren noch der klinische Befund eingeflossen. Häufig seien apparative Befunde und insbesondere die bildgebende Diagnostik nicht eindeutig zu interpretieren und ließen Spielraum für mehrere Differenzialdiagnosen. Bildmorphologisch werde im neuroradiologischen Zusatzgutachten eine Diffusionsstörung am Übergang der Medulla oblongata zum Pons mit einer passenden Signalminderung in der ADC-Map in den Aufnahmen vom 11.11.2009 beschrieben. Dieser Befund sei von Prof. Dr. Bi   als eine ischämische Läsion diskutiert worden. Die Nachfolgeaufnahmen vom 16.11.2009 zeigten jedoch in diesem Bereich eine kontrastmittelaufnehmende Läsion, die eher für eine entzündliche Genese spreche und im Klinikum L            als eine Enzephalitisversion interpretiert worden sei. Dieses Signalverhalten mit Kontrastmittelaufnahme könne jedoch auch im Verlauf einer ischämischen Gewebeschädigung auftreten. Wiederum könne eine Diffusionsstörung mit Signalminderung in der ADC-Map, wie im Befund vom 11.11.2009 beschrieben, im Rahmen einer Entzündung auftreten. Insgesamt erlaubten die bildgebenden Befunde ohne Berücksichtigung des klinischen Kontextes keine zuverlässige Aussage darüber, ob es sich bei der MR-tomografisch dargestellten Läsion am Übergang der Medulla oblongata zum Pons um eine entzündliche oder ischämische Läsion handele. Nur die Hinweise aus klinischen Befund, Verlauf und Ergebnissen der elektrophysiologischen Diagnostik in Konstellation mit dem bildgebenden Befund ermögliche die richtige Interpretation. Bei dem Kläger handele es sich um ein MFS mit Bickerstaff-Enzephalitis. Die diagnostischen Kriterien seien erfüllt und im Gutachten dargestellt. Im neuroradiologischen Zusatzgutachten sei ein möglicher Verschluss der hypoplastischen Arteria vertebrales im V4-Segment rechts bei fehlendem Fluss in der CT-Angiographie vermutet worden. Die Dopplersonographie habe jedoch eine Hypoplasie der rechten Arteria vertebrales ohne eindeutigen Hinweis für einen Verschluss gezeigt. Die Klärung dieser Befunddiskrepanz sei nur durch ein invasives Katheterverfahren möglich, dass mit dem Risiko des Auftretens von Schlaganfällen und Gefäßrupturen einhergehe und somit für die Begutachtung ausscheide. Selbst wenn ein vertebraler Verschluss nachgewiesen wäre, würde sich das genaue Alter des Verschlusses bei fehlenden Fotoaufnahmen vor Beginn der Erkrankung nicht eindeutig feststellen lassen. Ein chronischer, mit der akuten Symptomatik nicht zusammenhängender Verschluss könne letztendlich differentialdiagnostisch nicht ausgeschlossen werden. Ein durch die Impfung begünstigtes thrombotisches oder thromboembolisches Ereignis sei ausgeschlossen. Das Auftreten von atherothrombotischen bzw. embolischen Hirninfarkten könne nach heutigem Wissensstand nicht immunologisch bzw. durch eine Impfung getriggert werden. Eine immunologisch vermittelte Genese eines Hirninfarktes komme nur im Falle einer zerebralen Vaskulitis in Frage, für die sich keine Hinweise hätten finden lassen.

In einer ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. Bi   vom 27.01.2014 hielt dieser an der Einschätzung fest, dass bei dem Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein stattgehabter Hirnstamminfarkt aufgrund eines akuten Verschlusses der Arteria vertebrales im V4-Segment rechts aufgetreten sei. Anhand der Bildgebung könne nicht weiter zwischen einem thromboembolischen Geschehen, d.h. durch ein Blutgerinnsel im betreffenden Gefäßsystem als Ursache und zwischen einer entzündlichen Ursache des betreffenden Gefäßnetzes unterschieden werden. Gerade die letztgenannte vaskultische Genese könne vielfältige Ursachen haben. Die parainfektiöse oder die durch die Immunisierung bedingte veränderte Viskosität des zirkulierenden arteriellen Blutes seien ausdrücklich in Betracht zu ziehen; insbesondere, wenn hier in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang eine Impfmaßnahme sowie ein infektiöser Prozess der oberen Atemwege nachgewiesen werden konnte. Die Kausalreihe mit zunächst nachgewiesener Minderdurchblutung und folgendem Gewebsuntergang durch die mangelnde Durchblutung werde weiterhin für wahrscheinlich gehalten. Die in der Folge nachgewiesenen Veränderungen in Form einer durch die Kontrastmittelaufnahme nachgewiesenen Bluthirnschrankenstörung seien sekundär und stünden konsekutiv in Zusammenhang mit dem Infarktgeschehen.

Auf Nachfrage des Beklagten führte der Referatsleiter Arzneimittelsicherheit des PEI Dr. M       in einer kurzen Email vom 28.03.2014 aus, dass das Zeitfenster von 5-42 Tagen für die Frage der Kausalität zwischen Impfung und Auftreten eines GBS maßgeblich wäre, da hierbei auch die biologische Plausibilität (Mechanismus der Antikörperentwicklung mit Endorganschädigung) berücksichtigt werden müsste. Der Zeitraum von 5-42 Tagen würde hierbei in Übereinstimmung mit der Lehrbuchmeinung stehen. Für die Auswertung von pharmako-epidemologischen Studien könne das Zeitfenster der Risikoperiode durchaus abweichen.

In der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 11.04.2014 führte Dr. W     -Sch       aus, dass es unstreitig sei, dass der Kläger am 06.11.2009 geimpft worden sei und bereits am 08.11.2009 erste unspezifische neurologische Symptome und am 10.11.2009 das Bild eines GBS bzw. eines atypischen GBS aufgetreten sei. Dies bedeute, dass die Zeitspanne zwischen erfolgter Impfung und Auftreten der neurologischen Symptome zwei bis maximal vier Tage betrage. Die aktuelle wissenschaftliche Lehrmeinung, die jüngst durch eine Mitteilung des PEI bestätigt worden sei, fordere aber ein Zeitfenster von 5-42 Tagen für das Auftreten eines GBS nach erfolgter Impfung. Eine Zeitspanne von fünf Tagen sei bei dem Kläger eindeutig nicht erfüllt. Es müsse deswegen davon ausgegangen werden, dass die am 06.11.2009 erfolgte Impfung nicht mit Wahrscheinlichkeit der Auslöser für das zwei bis längstens vier Tage später aufgetretene akute neurologische Krankheitsbild gewesen sei. Der geforderte Zeitraum von wenigstens fünf Tagen sei nicht erfüllt. Man müsse demnach davon ausgehen, dass für das Auftreten des akuten neurologischen Krankheitsbildes andere Ursachen bestünden. Diese Ursachen seien in der Ende Oktober aufgetretenen Laryngitis und in dem nachgewiesenen Blutgefäßverschluss im Bereich des Hirnstamms zu sehen. Zum vorliegenden neurologischen Gutachten von Prof. Dr. Dr. O      sei zu beachten, dass dort ein zeitlicher und kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und der aufgetretenen Gesundheitsstörung bejaht werde. In dem Gutachten werde davon ausgegangen, dass der Infekt der oberen Atemwege zum Zeitpunkt der Impfung abgeheilt gewesen sei. Diese Aussage könne jedoch nicht als gesichert angesehen werden. Die neurologischen Gutachter gingen davon aus, dass es sich am ehesten so verhalten habe, dass durch die erfolgte Impfung eine Aktivierung des Immunsystems mit Auftreten eines MFS mit Bickerstaff-Enzephalitis erfolgt sei. Ausführlich sei dargelegt worden, dass auch bereits vier Tage nach erfolgter Impfung ein entzündliches Krankheitsbild auftreten könne. In diesem Zusammenhang sei auf mehrere Studien verwiesen worden, die einen Risikozeitraum von 1-42 Tagen angeben würden. Im neuroradiologischen Gutachten werde eine konträre Auffassung vertreten. Der neuroradiologische Gutachter gehe davon aus, dass das bei dem Kläger aufgetretene akute neurologische Krankheitsbild mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf einen stattgehabten Hirnstamminfarkt aufgrund eines akuten Verschlusses der Arteria vertebralis rechts zurückzuführen sei. Sowohl das klinische Beschwerdebild als auch die in der Folge angefertigten apparativen Untersuchungen belegten nach Auffassung des neuroradiologischen Gutachters diese Einschätzung. Darüber hinaus werde in dem Gutachten dargelegt, dass zu keinem Zeitpunkt ein Hinweis für das Vorliegen einer entzündlichen Veränderung als Ursache des neurologischen Krankheitsbildes habe festgestellt werden können. Darüber hinaus werde nachvollziehbar in dem genannten Gutachten der typische Verlauf der Veränderung des Hirngewebes bei einer Ischämie beschrieben. Die eingeholten ergänzenden Stellungnahmen sowohl bei den neurologischen Gutachtern als auch bei dem neuroradiologischen Gutachter hätten insoweit zu keiner weiteren Klärung geführt, da die jeweiligen Gutachter an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten hätten. Aus sozialmedizinischer Sicht sei der im neuroradiologischen Gutachten beschriebene Geschehensablauf - Auftreten einer Mangeldurchblutung (Ischämie) mit nachfolgendem Hirngewebeuntergang und Ausbildung einer dramatischen neurologischen Symptomatik - schlüssig. Im radiologischen Gutachten werde belegt, dass eine entzündliche Hirngewebeveränderung nicht nachweisbar sei. Dies bedeute, dass die bei dem Kläger aufgetretene akute und dramatische neurologische Erkrankung ihren Ursprung in einer Hirngewebeminderdurchblutung mit nachfolgendem Untergang von Hirngewebe habe. Ob das stattgehabte Infarktgeschehen durch einen Immunprozess getriggert worden wäre, sei reine Spekulation. Eine Wahrscheinlichkeit hierfür sei aufgrund der radiologischen Befunde nicht gegeben, sondern stelle lediglich eine Möglichkeit dar. Dementsprechend könne unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde in ihrer Gesamtheit ein Kausalzusammenhang zwischen der bei dem Kläger aufgetretenen neurologischen Erkrankung und der stattgehabten Impfung nicht bejaht werden.

Mit Bescheid vom 10.06.2014 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Versorgung nach § 60 Abs. 1 IfSG ab. Zur Begründung wurde unter Darlegung der rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen aufgrund eines Impfschadens ausgeführt, dass unter Berücksichtigung des Akteninhalts weder nachgewiesen sei, dass eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung durch die Impfung vorliege noch dass die am 06.11.2009 erfolgte Impfung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Auslöser für das aufgetretene akute neurologische Krankheitsbild gewesen sei. Unter Würdigung der vorliegenden medizinischen Berichte und in Einklang mit den Ausführungen in den neuroradiologischen Gutachten sei davon auszugehen, dass das bereits am zweiten Tag nach der Impfung aufgetretene akute neurologische Krankheitsbild mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf einen unabhängig von der Impfung stattgehabten Hirnstamminfarkt aufgrund eines akuten Verschlusses der Arteria vertebralis am 08.11.2009 zurückzuführen sei. Das klinische Beschwerdebild als auch die in der Folge angefertigten apparativen Untersuchungen belegten diese Einschätzung. Zu keinem Zeitpunkt habe ein Hinweis für das Vorliegen einer entzündlichen Veränderung als Ursache des neurologischen Krankheitsbildes vorgelegen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die bei dem Kläger aufgetretene akute und dramatische neurologische Erkrankung ihren Ursprung in der impfunabhängigen Hirngewebeminderdurchblutung mit nachfolgendem Untergang von Hirngewebe habe. Dementsprechend sei das Vorliegen einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Impfung nicht nachgewiesen. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass die am 06.11.2009 durchgeführte Impfung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit der Auslöser für das anschließend aufgetretene akute neurologische Krankheitsbild gewesen sei. Wahrscheinlicher sei, dass für das Auftreten des akuten neurologischen Krankheitsbildes andere Ursachen verantwortlich seien, nämlich der nachgewiesene Blutgefäßverschluss im Bereich des Hirnstamms. Bereits am 08.11.2009 seien erste unspezifische neurologische Symptome aufgetreten und bereits am 10.11.2009 hätte das Bild eines GBS bzw. eines atypischen GBS vorgelegen. Die Zeitspanne zwischen der Impfung und dem Auftreten der neurologischen Symptome habe demzufolge zwei bis längstens vier Tage betragen. Die aktuelle wissenschaftliche Lehrmeinung nehme jedoch ein Zeitfenster von frühestens 5 bis 42 Tagen für das Auftreten eines GBS nach erfolgter Impfung an. Nach den Angaben des PEI sei der Zeitraum für die biologische Plausibilität (Mechanismus der Antikörperentwicklung mit Entomologen) zu berücksichtigen. Die entgegenstehende Auffassung der Gutachter in dem eingeholten neurologischen Gutachten, in dem sich unter anderem auf Studien berufen würde, die von einem Risikozeitraum von 1 bis 84 Tagen ausgingen, überzeuge nicht. Nach den Angaben des PEI sei hierbei zu berücksichtigen, dass im Allgemeinen der Risikozeitraum für die Entstehung eines GBS auf bis zu 42 Tagen beziffert würde. In Fall-Kontroll-Studien würde der Risikozeitraum der Betrachtung der Fälle um eine Periode erweitert, damit die Abgrenzung von nicht betroffenen Fällen möglich werde. Das bedeute jedoch nicht automatisch, dass medizinisch, pathophysiologisch ein GBS am Tag nach einer Impfung auftreten könne. Es gelte nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, wie bereits erwähnt, der Zeitraum von frühestens fünf bis 42 Tagen nach der Impfung für das Entstehen dieses Syndroms.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen Impfung, Impfkomplikation und Dauerleiden nachgewiesen seien. Auch sei die Impfung mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad die rechtlich wesentliche Ursache für die eingetretene neurologische Erkrankung. Das von dem Beklagten eingeholte neurologische Gutachten von Prof. Dr. Dr. O     /Dr. B   /PD. Dr. T         /PD Dr. W      stütze diese Auffassung. Die Ausführungen in dem eingeholten neuroradiologischen Gutachten stünden dieser Einschätzung nicht entgegen. Dort sei ausgeführt worden, dass anhand der Bildgebung nicht zwischen einem thrombembolischen Geschehen und einer entzündlichen Genese unterschieden werden könne und dass auch eine entzündliche Ursache zu dem Hirnstamminfarkt geführt haben könne. Auch eine Triggerung des Geschehens durch die Impfung sei ausweislich des Gutachtens möglich. Darüber hinaus sei zu beachten, dass die Gutachter in dem eingeholten neurologischen Gutachten überzeugend dargelegt hätten, dass das Zeitfenster des PEI nur als Hinweis auf einen recht kurzen Zeitraum zu sehen sei. Es würden jedoch Studien vorliegen, die sich auf einen anderen Zeitraum bezögen und hierbei belegten, dass der Risikozeitraum bereits ab dem ersten Tag bestünde.

In einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme vom 15.10.2014 ist Dr.       -Sch       bei ihrer Auffassung geblieben. Es liege kein Nachweis dafür vor, dass es bei dem Kläger überhaupt zu einem entzündlichen Geschehen gekommen sei. Die neuradiologischen Gutachter gingen weiterhin von einem ischämischen, also durchblutungsbedingten Geschehen aus. Insoweit sei das zweite Glied der Kausalkette bis heute nicht bewiesen. Darüber hinaus sei zu beachten, dass das vom PEI angegebene Zeitfenster von 5-42 Tagen für das Auftreten eines GBS nicht erfüllt sei. Die Rolle der Laryngitis/Pharyngitis sei wohl nicht mehr zu klären. Insgesamt lägen keine neuen Gesichtspunkte vor, die für eine Anerkennung des GBS als Impfschaden sprächen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2014 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht bewiesen sei, dass es sich bei den am zweiten Tag nach der Impfung aufgetretenen unspezifischen neurologischen Symptomen um eine Impfreaktion handele. Die vorliegenden medizinischen Unterlagen erlaubten es aufgrund ihrer völlig konträren Aussagen nicht, mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit von einer Impfreaktion auszugehen. Es bestünden alternative Ursachen (Laryngitis, Hirnstamminfarkt). Hierzu werde auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid verwiesen. Darüber hinaus stehe der Anerkennung von Impfschadensfolgen entgegen, dass nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, die vom PEI geteilt werde, auch nach nochmaliger Würdigung der insgesamt vorliegenden Befunde und Gutachten mehr gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und den schweren aktuell vorliegenden neurologischen Beeinträchtigungen spreche. Eine biologische Antwortzeit auf die Impfung von zwei Tagen sei nicht plausibel. Andere Ursachen seien aus Sicht des Beklagten eher wahrscheinlich. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Impfung, den ersten unspezifische neurologischen Symptomen und aktuellen neurologischen Beeinträchtigungen genüge der von § 61 IfSG geforderten Wahrscheinlichkeit nicht.

Am 02.12.2014 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Speyer erhoben.

Zur Begründung hat der Kläger auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren verwiesen. Die Rechtsauffassung des Beklagten zur Kausalität sei fehlerhaft.

Das SG hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Beiziehung der Schwerbehindertenakte des Klägers, der vollständigen Patientenakte des Klägers über die stationäre Behandlung im Jahr 2009 im Klinikum L            und der Gerichtsakte des Landgerichts Frankenthal und des Oberlandesgerichtes Zweibrücken zum Rechtsstreit des Klägers gegen Dr. W      (Az. 4 0 436/10 bzw. 5 U 43/11).

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft bei Prof. Dr. V      (PEI) vom 07.06.2016 zum zeitlichen Abstand zwischen Impfung und dem Auftreten des GBS/MFS als Folge der Impfung. Prof. Dr. V      hat diesbezüglich angegeben, dass in der Literatur „im allgemeinen“ 5-42 Tage als plausibler Abstand zwischen Impfung und Symptombeginn eines GBS angenommen werden. Das Zeitfenster würde im Wesentlichen auf epidemiologischen Studien aus den USA in den 70er Jahren beruhen, in denen ein erhöhtes Risiko eines GBS nach Schweinegrippeimpfung in dem Zeitraum von 5-42 Tagen beobachtet worden sei. Die Studiendaten würden auch durch theoretische Überlegungen zum Verlauf potentieller immunologischer Prozesse (Präsentation der Impfantigene durch das Immunsystem, Antikörperbildung, Schädigung von Nervenzellen) unterstützt, die einen zeitlichen Abstand von 1-3 Tagen nach Impfung als „sehr kurz“ erscheinen lassen. Ein Auftreten in diesem Zeitraum würde eher gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und GBS/MFS sprechen.

Das SG hat von Amts wegen sodann Beweis erhoben durch Einholung von ergänzenden Stellungnahmen bei PD Dr. Wi     vom 14.10.2016 und vom 15.05.2017. PD Dr. Wi     hat in diesen ausgeführt, dass das Zeitfenster von 5 bis 42 Tagen in der Studie des PEI nur als Hinweis auf einen „recht kurzen Zeitraum“ für das Auftreten des Impfstoff-assoziierten GBS/MFS angegeben worden sei. In zahlreichen anderen Studien sei ein entsprechendes erhöhtes Risiko bei einem Risikozeitraum von 1-42 Tagen belegt. Auch in einer paneuropäischen Studie aus dem Jahr 2011 sei als Risikozeitraum der Zeitraum von 1-42 Tagen zugrunde gelegt worden. Im Übrigen sei der Unterschied zwischen fünf und vier Tagen für die Entwicklung einer antikörpervermittelten neurologischen Erkrankung nicht erheblich. Die neurologisch pathogene Immunantwort würde individuellen Schwankungen unterliegen. Eine klare Grenze von fünf Tagen könne nicht zuverlässig für die Entwicklung dieser neurologischen Erkrankungen festgelegt werden. Der Beginn der neuroimmunologisch vermittelten Erkrankung könnte auch unterhalb dieser zeitlichen Grenze liegen. Die aufgetretene prodromale Symptomatik nach der Impfung würde für eine in Gang gesetzte pathologische Immunreaktion sprechen. Unter Berücksichtigung der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung würde mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem aufgetretenen GBS sprechen.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass die Untergrenze des in Rede stehenden Zeitfensters im vorliegenden Fall erheblich unterschritten sei, da – wie auch PD Dr. Wi     dargelegt hätte – die ersten Prodromi bereits zwei Tage nach der erfolgten Impfung aufgetreten seien. Prof. Dr. V      habe dargelegt, dass ein zeitlicher Abstand von 1-3 Tagen zwischen Impfung und Auftreten des GBS gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche. Die Auffassung von PD Dr. Wi     sei somit nicht unumstritten. Darüber hinaus sei zu beachten, dass eine außergewöhnliche Impfreaktion weiterhin nicht nachgewiesen sei.

Mit Urteil vom 26.03.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Feststellung der partiellen Abduzensparese rechts und der linksbetonten spastische Tetraparese bei Zustand nach Miller-Fischer-Syndrom und Bickerstaff-Enzephalitis (Krankheitsbild wird nachfolgend vereinfachend mit GBS abgekürzt, da es sich im Wesentlichen um eine MFS-Variante des GBS handelt) als Folgen der Impfung mit Pandemrix und Influsplit SSW am 06.11.2009 und somit auch keinen Anspruch auf die Feststellung als Impfschaden mit Sinne von § 2 Nr. 11 IfSG. Das SG verwies zur Begründung seiner Entscheidung gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die aus seiner Sicht zutreffenden Ausführungen des Beklagten in den streitgegenständlichen Bescheiden. Unter Beachtung der im Impfschadensrecht geltenden Maßstäbe stehe zunächst fest, dass der Kläger am 06.11.2009 mit dem Grippeschutzimpfstoff Pandemrix und Influsplit SSW geimpft worden sei. Außerdem stehe im Vollbeweis fest, dass der Kläger an einer partiellen Abduzensparese rechts und an einer linksbetonten spastischen Tetraparese leide. Der Beklagte könne auch nicht einwenden, dass der Kläger keine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende Schädigung erlitten habe. Denn der Kläger habe am 10.11.2009 respektive bereits am 08.11.2009 an erheblichen neurologischen klinischen Symptomen (Drehschwindel, Schmerzen, Lähmung etc.) gelitten. Sofern vom Beklagten noch eine darüberhinausgehende weitere unübliche Reaktion nach der Impfung gefordert wird, entspreche dies nicht den gesetzlichen Voraussetzungen. Auch wenn grundsätzlich zwischen einer unüblichen Impfreaktion und der dauerhaften Schädigungsfolge differenziert werde, könne auch beides - wie beim Kläger - zusammentreffen (so auch Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 - L 7 VE 7/14). Das nach der Grippeschutzimpfung aufgetretene Krankheitsgeschehen und die damit verbundenen Schädigungsfolgen seien aber nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die Impfung verursacht worden. Nach dem Maßstab der wesentlichen Bedingung sei der Ursachenzusammenhang schon deshalb zu verneinen, weil die Ursache für die Entstehung des von den Gutachtern im Verwaltungsverfahren angenommenen GBS/MFS bislang wissenschaftlich nicht geklärt (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 - L 7 VE 7/14). Daher könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 61 S.1 IfSG angenommen werden, dass die Impfung für die Entstehung der Krankheit ursächlich gewesen sei. Allein ein plausibler zeitlicher Zusammenhang und nicht nachweisbare konkurrierende Ursachen könnten den Ursachenzusammenhang nicht begründen (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 - L 7 VE 7/14). Das Gericht sei darüber hinaus der Auffassung, dass auch die Voraussetzungen für die Anerkennung i.S.des § 61 S. 2 IfSG nicht vorliege. Eine Anerkennung einer Erkrankung als Folge einer Impfung sei nach diesen Vorschriften mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde zu gewähren, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben sei, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe. Als Voraussetzung dafür sei in Teil C, Nr. 4b der VmG festgelegt, dass über die Ätiologie und Pathogenese des Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrschen dürfe. Außerdem dürfe wegen mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen oder Schädigungsfolgen für die Entstehung und den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden können. Weiterhin werde hierfür vorausgesetzt, dass ein ursächlicher Einfluss der im Einzelfall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen werde. Dabei reiche nicht allein die theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs aus. Denn die Verwaltung sei nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs – die so gut wie nicht widerlegt werden könne – ausreichen zu lassen (BSG, Urteil vom 10.11.1993 - 9/9a RV 41/92; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 - L 7 VE 7/14). Es genüge nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupteten. Vielmehr sei erforderlich, dass durch eine nachvollziehbare wissenschaftliche Lehrmeinung Erkenntnisse vorlägen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang sprächen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995, 9 RV 17/04; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017- L 7 VE 7/14). Es dürfe nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, sondern vielmehr eine "gute Möglichkeit", die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so weit zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet habe, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden könne (BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/04; Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 - L 7 VE 7/14 m.w.N.) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner im Sinne einer "Mindermeinung" überzeuge (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2011 - L 4 VJ 2/10; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 - L 7 VE 7/14 m.w.N.). Nach den Erkenntnissen in der einschlägigen medizinischen Literatur (siehe Prof. Dr. Müller-Vahl, MedSach 2007, S: 226 ff) und in der aktuellen sozialgerichtlichen Rechtsprechung bestehe über die Ätiologie und Pathogenese des GBS/MFS keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung (siehe hierzu auch ausführlich Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 - L 7 VE 7/14). Nach Auffassung des Gerichts könne im vorliegenden Fall jedoch auch nicht die "gute Möglichkeit" bejaht werden, dass das unstreitig vorliegende Beschwerdebild des Klägers durch die Impfung verursacht worden sei. Zum einen müsse unter Berücksichtigung des Krankheitsverlaufs angenommen werden, dass die Verursachung des GBS durch die H1N1-Impfung unwahrscheinlich gewesen sei. Davon könne ausgegangen werden, wenn das GBS/MFS nicht in einem plausiblen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Verbindung gebracht werden könne (siehe LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 - L 7 VE 7/14; LSG Sachsen, Urteil vom 19.09.2016 - L 9 VE 17/14). Im vorliegenden Fall sei das Krankheitsgeschehen nicht in dem typischen Zeitfenster zwischen fünf und 42 Tagen aufgetreten (so im Fall des Sächsischen LSG, Urteil vom 19.09.2016 - L 9 VE 17/14). Dies entspreche auch den Erkenntnissen in der einschlägigen medizinischen Fachliteratur, nach denen schon ein Zeitintervall von sieben Tagen oder weniger ebenso wie ein größeres Intervall als sechs Wochen nicht mit der Annahme einer ursächlichen Verbindung zwischen Impfung und Manifestation eines GBS/MFS vereinbar sei (Prof. Dr. Müller-Vahl, MedSach 2017, S. 226 ff., 228). Die gleiche Auffassung werde von Prof. Dr. V      vertreten, der zumindest das Auftreten von Symptomen innerhalb der Tage 1-3 nach der Impfung als Hinweis für eine mangelnde Kausalität zwischen Impfung und Auftreten der Symptomatik werte. Im vorliegenden Fall seien die ersten Symptome (Drehschwindel) bereits am 08.11.2009, also zwei Tage nach der Impfung aufgetreten, was nach den Darlegungen von Prof. Dr. V      unter Berücksichtigung der Zeitabläufe einer immunologischen Reaktion auf die Impfung nicht plausibel sei, wenn man die Symptomatik auf die Impfung zurückführen wolle. Darüber hinaus bestehe die Problematik, dass die Erkrankung GBS/MFS nicht als im Vollbeweis gesichert angesehen werden könne. Hinsichtlich des Vorliegens der Erkrankung GBS/MFS, die wiederum die Ursache für die partiellen Abduzensparese rechts und der linksbetonten spastischen Tetraparese sei, bestehe nach den Ermittlungen der Beklagten weiterhin eine Ungewissheit und Unsicherheit, die das Gericht nicht ignorieren könne. Gleichzeitig sehe das Gericht jedoch auch keine weiteren Ansätze für eine weitere Sachverhaltsaufklärung. Bei der medizinischen Bewertung des Geschehens sehe das Gericht die größere Überzeugungskraft auf der Seite der neuroradiologischen Bewertung. Unter Berücksichtigung der vorliegenden bildgebenden Befunde sei ein entzündliches Geschehen in keiner Weise bewiesen. Auch die übrigen durchgeführten Untersuchungen sprächen ausweislich der Ausführungen von Prof. Dr. Dr. O      nicht zwingend für die Annahme eines GBS/MFS. Prof. Dr. Bi    habe unter Auseinandersetzung mit den Wertungen von Prof. Dr. Dr. O      daran festgehalten, dass die Bildgebung eindeutig einen Verschluss der Arteria vertebralis mit einem Hirnstamminfarkt belege, der wiederum die neurologischen Symptome erkläre. Hierbei seien auch die aktenkundigen Risikofaktoren für eine entsprechende Gefäßverengung (Bluthochdruck, Rauchen etc.) zu berücksichtigen. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass trotz Vorliegens der gesamten Symptomatik zu diesem Zeitpunkt am 13.11.2009 die entsprechenden NLG-Untersuchungen keinen Hinweis auf eine GBS/MFS Erkrankung gezeigt hätten. Die Ansicht von Prof. Dr. Dr. O      und Kollegen sei durchaus nachvollziehbar, dass ein GBS/MFS aufgetreten sei, jedoch könne das Gericht kein Übergewicht für die Ansicht von Prof. Dr. Dr. O      gegenüber der Auffassung und Interpretation durch Prof. Dr. Bi    und den Beklagten erkennen. Hierbei berücksichtige das Gericht auch, dass die behandelnden Ärzte des Klägers ebenfalls hinsichtlich der im vorliegenden Fall zu stellenden Diagnose keine einheitliche Meinung vertreten hätten. Somit sei die Erkrankung GBS/MFS, die für die bestehenden Beschwerden ursächlich sei, nicht nachgewiesen.

Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 19.06.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.07.2018 Berufung eingelegt.

Er hat vorgetragen, dass das angefochtene Urteil teilweise wortwörtlich die Ausführungen des LSG Sachsen-Anhalt im Urteil vom 30.08.2017 – L 7 VE 7/14 übernommen habe. Im Rahmen der Beweiserhebung hätten sich die Sachverständigen lediglich um die Frage gestritten, ab welchem zeitlichen Zusammenhang von einem plausiblen Abstand zwischen Impfung und Symptombeginn ausgegangen werden könne. Dass eine Ursächlichkeit grundsätzlich vorhanden sein könne hätten die Sachverständigen nicht ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall wäre es für die Medizin kein Problem, eine ausreichende Wahrscheinlichkeit zu akzeptieren, wenn der zeitliche Abstand zwischen der Symptombildung der Impfung 5 Tage betragen hätte. Wie der Gutachter PD Dr. Wi     ausgeführt habe, sei in zahlreichen Studien ein entsprechend erhöhtes Risiko in einem Risikozeitraum von 1 bis 42 Tagen belegt, so dass die vorgezogene Differenzierung zwischen 4 und 5 Tagen nicht sachgerecht sei. Demgegenüber sei die Auskunft von Prof. Dr. V      oberflächlich und nicht in die Tiefe gehend. Prof. Dr. V      sei weder der konkrete Einzelfall bekannt gewesen noch habe dieser auf aktuelle Studien abgestellt. Gegebenenfalls sei die Auskunft hier lediglich mehr oder weniger en passant herausgegeben worden. Seine Auffassung werde untermauert durch die Ausführungen im neurologischen Gutachten von Prof. Dr. Dr. O     /Prof. Dr. B   / PD Dr. T         / PD Dr. W     . Diese hätten klar ausgeführt, dass es nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen am wahrscheinlichsten sei, dass er ein MFS mit Bickerstaff-Encephalitis infolge der Impfung erlitten habe. Soweit alternativ Prof. Dr. Bi    die Auffassung vertreten habe, dass es sich um einen Hirnstamminfekt gehandelt haben könne, überzeuge dies nicht. Es sei auch nicht überzeugend, dass das SG einerseits der Argumentation des LSG Sachsen-Anhalt bezüglich der Frage der Beurteilung des Falles nach § 60 Abs. 1 i.V.m. § 61 S. 1 IfSG folge, dann aber der Entscheidung nicht mehr folge, wenn es um die Voraussetzungen der Kann-Versorgung gehe. Denn es bestehe eine gute Möglichkeit für die Verursachung seiner Erkrankungen durch die Impfung. Die theoretisch möglichen Darstellungen für die Entstehung der Komplikation stehe dem Anspruch auf Kann-Versorgung nicht entgegen. Hierzu gelte insbesondere, dass gerade ein Schlaganfallereignis typischerweise gut im bildgebenden Verfahren nachvollziehbar sei. Die Tatsache, dass dies im vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, schließe zwar nicht aus, Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 23.01.2019 zum Ruhen gebracht, um eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in einem ähnlich gelagerten Fall des Senats (L 4 VI 2/16 - Urteil vom 29.08.2016) abzuwarten. Nachdem die Entscheidung des BSG ergangen war wurde das Verfahren am 10.06.2020 reaktiviert.

Der Senat hat eine Anfrage an Prof. Dr. V     vom PEI gerichtet, in der nach zwischenzeitlich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen betreffend einen Ursachenzusammenhang zwischen einer Grippeschutzimpfung und eines Symptombeginns eines GBS bzw. eines Fischer-Syndroms als Sonderform des GBS gefragt wird. Von Interesse sei hier insbesondere der zeitliche Aspekt, d.h. ob es weiterhin zutreffe, dass ein zeitlicher Abstand von ein bis drei Tagen zwischen der Impfung und dem Auftreten immunologischer Prozesse als sehr kurz erscheine und eher gegen einen ursächlichen Zusammenhang als dafür spreche.

Prof. Dr. V     hat mit Schreiben vom 05.08.2021 geantwortet, dass dem PEI keine weiteren wissenschaftlichen Erkenntnisse bekannt seien, die eine Änderung der Stellungnahme vom 07.06.2016 begründeten. Sofern überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schutzimpfung und GBS bestehe, werde in der Wissenschaft ein plausibler zeitlicher Zusammenhang erster Symptome von 5 Tagen bis maximal 6-8 Wochen nach Impfung ausgegangen. Dies beruhe insbesondere auf Studien zu monovalenter H1N1- Influenzaimpfung in den USA aus dem Jahr 1976.

Der Kläger hat hierzu eingewendet, dass PD Dr. Wi     bereits in seiner Stellungnahme vom 15.05.2017 auf neuere Studien hingewiesen habe, insbesondere auf Wise et al. 2021. Die jetzt vorgelegte Stellungnahme von Prof. Dr. V     sei vermutlich nicht ganz aktuell. Zudem werde nunmehr eine fixe Schwelle formuliert, während in der früheren Stellungnahme nur davon die Rede gewesen sei, dass ein zeitlicher Abstand von ein bis drei Tagen als sehr kurz anzusehen sei.

Der Senat hat daraufhin eine weitere ergänzende Stellungnahme von PD Dr. Wi     vom 19.11.2021 eingeholt. Bei der Erstellung dieser ergänzenden Stellungnahme wurde die aktuelle Literatur zu Nebenwirkungen der Influenza-Impfung analysiert. Insbesondere wurden die Daten einer kürzlich publizierten systemischen Übersicht von Juvet et al. aus dem Jahr 2021 und die dort zitierten Arbeiten berücksichtigt (Juvet et al. 2021). PD Dr. Wi     hat ausgeführt, in der Stellungnahme des Prof. Dr. V      (PEI) vom 05.08.2021 sei geäußert worden, dass sich in der Zwischenzeit keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse ergeben hätten, die eine Änderung der Stellungnahme vom 07.06.2016 begründen würden. Es werde weiterhin von einem zeitlichen Zusammenhang der neurologischen Symptome in einem Zeitintervall von 5 Tagen bis maximal 6-8 Wochen nach der Impfung ausgegangen. Dies werde von Prof. Dr. V      mit den Studien aus den USA aus dem Jahr 1976 begründet. Die Pandemrix-Impfung sei bei dem Kläger am 06.11.2009 durchgeführt worden. Die ersten neurologischen Symptome seien vier Tage später am 10.11.2009 aufgetreten. Es sei zu einer Abduktionsschwäche am rechten Auge und einer Ataxie gekommen, die zur stationären Aufnahme in der Neurologischen Klinik des Klinikums Ludwigshafen geführt hätten. In der Zeit zwischen der Impfung und dem Auftreten der fokal-neurologischen Symptomatik hätten sich Symptome wie Schwindel und Flimmern vor Augen sowie Schmerzen im Bereich der Applikationsstelle am rechten Arm gezeigt, die als unspezifische Prodromi zu werten seien. Die beim Kläger aufgetretene Miller-Fisher-Erkrankung mit begleitender Bickerstaff-Enzephalitis habe die diagnostischen Kriterien erfüllt, die in ihrem neurologischen Gutachten vom 07.12.2012 ausführlich beschrieben worden seien. Der kausale Zusammenhang zwischen der durchgeführten Pandremix-Impfung und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen sei auf den Seiten 16-20 des fachneurologischen Gutachtens auf der Basis der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung ausführlich begründet worden. Sowohl Dr. M       vom PEI in seiner E-Mail vom 28.03.2014 als auch Prof. Dr. V      in seiner Stellungnahme vom 07.06.2016 hätten sich auf die veralteten Daten aus einer epidemiologischen Datenerhebung in den USA aus den Jahren 1976 - 1977 bezogen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Impfstoff Pandemrix allerdings noch nicht entwickelt und nicht zugelassen gewesen. Die Zulassung in der EU sei erst im Jahr 2009 erfolgt. Daher hätten in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch keine Daten zum Impfstoff Pandemrix vorgelegen. Wie man aus der aktuellen Impfstoffentwicklung im Rahmen der Covid-Pandemie gelernt habe, gebe es Unterschiede in der Häufigkeit und der Präsentation der Nebenwirkungen zwischen den Impfstoffen unterschiedlicher Hersteller, selbst wenn diese Impfstoffe vergleichbare Wirkmechanismen besäßen. In den neueren Studien aus den USA und aus Europa, die die Assoziation zwischen Influenza-Impfung, inkl. Pandemrix und GBS/MFS untersucht hätten, werde nur die Obergrenze für den Risikozeitraum angegeben (Dieleman et al. 2011, Tokars et al. 2012; Wise et al. 2012). In der US-amerikanischen populations-basierten Studie von Wise et al. (Referenzpopulation 45 Millionen Einwohner) sei ein Risiko für GBS/MFS nach der Influenza-Impfung mit 8,8 Fällen auf 1 Million geimpfter Personen kalkuliert, wobei der Risikozeitraum von 1-42 Tagen berichtet worden sei. Dr. M       habe diesen Zeitraum angezweifelt und dies mit den Besonderheiten des Designs von Fall-Kontroll-Studien begründet. In diesem Zusammenhang solle angemerkt werden, dass der Zeitraum von 5 bis 42 Tagen in den von Dr. M       zitierten Studien auch durch das Studiendesign künstlich beeinflusst worden sei, weil die Patienten mit neurologischen Symptomen, die innerhalb von weniger als 5 Tagen aufgetreten seien, auf der Basis von theoretischen Überlegungen, dass GBS/MFS in einem kürzeren Zeitraum als 5 Tage nicht entstehen könne, nicht eingeschlossen worden seien. Diese Patienten seien also aufgrund von Besonderheiten des Studiendesigns nicht berücksichtigt worden. Bei der Argumentation, dass ein GBS/MFS erst 5 Tage nach einer Impfung (unabhängig davon welche Impfung) auftreten könne, seien die Kollegen des PEI von theoretischen Überlegungen zum Verlauf potenzieller immunologischer Prozesse (Präsentation der Impfantigene durch das Immunsystem, Antikörperbildung, Schädigung von Nervenzellen) ausgegangen, ohne dass sie diese eigenen theoretischen Überlegungen wissenschaftlich mit Studiendaten begründet hätten. An dieser Stelle müsse angemerkt werden, dass gerade die klinischen Daten und nicht die theoretischen Überlegungen die entscheidende wissenschaftliche Rolle bei der Zulassung von Impfungen spielten. Deswegen erfolge die Zulassung der Impfstoffe anhand von klinischen Studien und nicht auf der Basis theoretischer Überlegungen zu Wirkmechanismen und hypothetischen Nebenwirkungen. Theorie und Praxis könnten erhebliche Unterschiede aufweisen. Daher seien gerade die klinischen Daten essenziell für die Bildung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung. Die bereits zitierten neueren Studien aus den USA und Europa, die auch die Daten zu Pandemrix eingeschlossen hätten, zeigten einen Zeitraum von 1 bis 42 Tagen für das Auftreten eines GBS/MFS nach der Impfung. Die veralteten Daten aus den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schlössen Pandemrix nicht ein und seien nicht mehr aktuell. Selbst wenn das Design der neueren Studien in Frage gestellt werde, könnten die einzelnen eindeutig beschriebenen klinischen Beispiele mit dem Auftreten von GBS/MFS nach weniger als 5 Tagen nach einer Impfung diese Studiendaten stärken. Entgegen der Behauptung der Kollegen des PEI, dass die Schädigung von Nervenzellen erst 5 Tage nach einer stattgefundenen Impfung auftreten könne, würden in der Literatur eindeutige klinische Fälle beschrieben, dass neurologische Komplikation einer Impfung in Form von GBS/MFS bereits nach 3 Tagen auftreten könnten. An dieser Stelle werde auf die Publikation von Grose & Spigland aus den USA verwiesen, die den Fall eines Mädchens beschreibe, die am Folgetag ihrer Impfung gegen Diphterie, Keuchhusten und Tetanus plötzlich Fieber und allgemeine Körperschwäche entwickelt habe und am Tag 3 Lähmungen im Rahmen eines impfassoziierten Guillain-Barre-Syndroms (Grose et al. 1976). An dieser Stelle müsse betont werden, dass die Betroffene Prodromi bereits am 1. Tag nach der Impfung gehabt habe. Sinsawaiwong und Thampanitchawong hätten einen anderen klinischen Fall des Auftretens eines Miller-Fischer-Syndroms Tage nach einer Hepatits B-Impfung (Sinsawaiwong & Thampanitchawong 2000) berichtet. Zusammenfassend müsse festgehalten werden, dass die Daten aus neueren Studien und die eindeutigen klinischen Fallbeschreibungen gegen die von den Kollegen des PEI angegebene Grenze von 5 Tagen für die Entwicklung eines GBS/MFS nach einer Impfung sprächen. Nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung könne ein GBS/MFS auch innerhalb der ersten 5 Tage nach einer Impfung inklusive Influenza-Impfung (im konkreten Fall Pandemrix) auftreten.

Der Kläger sieht sich durch die Stellungnahmen von PD Dr. Wi     in seiner Auffassung bestätigt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 26.06.2018 sowie den Bescheid des Beklagten 10.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm die Gesundheitsstörungen partielle Abduzensparese bei Zustand nach Miller- Fischer-Syndrom und Bickerstaff-Enzephalitis als Impfschäden anzuerkennen und Versorgungsleistungen ab Antragstellung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte stützt sich weiterhin auf die Auskünfte des PEI. Zur ergänzenden Stellungnahme des PD Dr. Wi     verweist der Beklagte auf eine beigefügte versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wunder-Schneider vom 08.02.2021, wonach sich dieser ausschließlich mit der zeitlichen Komponente der aufgetretenen Symptome auseinandersetze. Es werde jedoch die Frage außer Acht gelassen, ob überhaupt eine außergewöhnliche Impfreaktion (2. Säule der Kausalkette) aufgetreten sei. Bisher sei der Nachweis über das tatsächliche Vorliegen eines entzündlichen Geschehens im Sinne eines Miller-Fisher-Syndroms/Guillain-Barré-Syndroms beim Kläger nicht erbracht. Es werde weiterhin die Auffassung vertreten, dass die neurologische Symptomatik des Klägers auf einen Gefäßverschluss (Arterienverschluss) infolge eines Hirnstamminfarktes zurückzuführen sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten und der Archivakten des Landgerichts Frankenthal und des Oberlandesgerichtes Zweibrücken zum Rechtsstreit des Klägers gegen Dr. W      (Az. 4 0 436/10 bzw. 5 U 43/11) verwiesen. Er war Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG), da die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise ihr Einverständnis erklärt haben.

Die gemäß §§ 143 ff SGG zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das SG mit Urteil vom 26.03.2018 die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 10.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Anerkennung der Gesundheitsstörungen partielle Abduzensparese bei Zustand nach MFS und Bickerstaff-Enzephalitis als Impfschaden und auf Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem IfSG als Folge der Impfung vom 06.11.2009 zu.

Nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IfSG erhält bei einem Impfschaden unter anderem Versorgung, wer durch eine Schutzimpfung, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen worden ist, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Nach § 61 S. 1 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann gemäß § 61 S. 2 IfSG mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 1 IfSG anerkannt werden.

Der Impfschaden wird in § 2 Nr. 11 IfSG definiert als die gesundheitliche und wirt-schaftliche Folge einer über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung, wobei ein Impfschaden auch vorliegt, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde. Die Anerkennung als Impfschaden setzt eine dreigliedrige Kausalkette voraus (ständige Rechtsprechung, vgl. auch BSG Urteil vom 25.03.2004 – B 9 VS 1/02 R - veröffentlicht in juris). Ein schädigender Vorgang in Form einer Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die die vorgenannten Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 S. 1 erfüllen muss (1. Glied), muss zu einer gesundheitlichen Schädigung (2. Glied), also einen Primärschaden (d.h. eine Impfkomplikation) geführt haben, die wiederum den Impfschaden, d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung als den Folgeschaden (3. Glied) bedingt. Diese drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für diesen Beweisgrad ist es nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSGE 60, 58). Die medizinischen Fragen zur Kausalität von Gesundheitsstörungen sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG, Urteil vom 17.12.1997 – 9 RVI 1/95). Ein unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefundener Vorgang muss im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden (BSG, Urteil vom 07.04.2011- B 9 VI 1/10 R).

Beim Kläger hat am 06.11.2009 eine öffentlich empfohlene Impfung mit Pandemrix erhalten (Epidemologisches Bulletin der Ständigen Impfkommission - STIKO - beim Robert-Koch-Institut – RKI - vom 12.10.2009, Nr. 41, Seite 403). Diese Impfung ist durch Eintragung in den vorläufigen Impfpass bewiesen. Damit ist erste Säule der Kausalkette, der schädigende Vorgang, belegt. Der Kläger hat auch eine über die übliche Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung erlitten. Er hat bereits zwei Tage nach der Impfung, nämlich am 08.11.2009, zunächst an unspezifischen Prodromi (Drehschwindel, Flimmern vor Augen) und kurze Zeit später, nämlich am Aufnahmetag in das Klinikum L            (10.11.2009) an dramatisch zunehmenden neurologischen Symptomen (Lähmungen, Taubheitsgefühlen am gesamten Körper etc.) gelitten. Sofern diese Symptome vom Beklagten (im Übrigen abweichend von der sozialmedizinischen radiologischen Stellungnahme des damaligen Leitenden Arztes des Versorgungsärztlichen Dienstes Dr. B       vom 21.02.2011) nicht als unübliche Reaktion nach der Impfung bewertet werden, überzeugt diese Sichtweise nicht. Im Vollbeweis steht schließlich auch fest, dass der Kläger an einer dauerhaften gesundheitlichen Schädigung, nämlich an einer sog. Miller-Fisher-Variante des GBS mit Bickerstaff-Enzephalitis mit Abduzensparese und spastischer Tetraparese leidet. Jene gesundheitliche Schädigung bestand von Anfang an, auch wenn eine genauere Diagnosestellung – was nicht selten vorkommt - erst im Laufe der Zeit erfolgte, nämlich nach einer Reihe von Untersuchungen des Klägers in der Neurologischen Klinik des Klinikums L            und der sich anschließenden Reha in H         , so dass auch die dritte Säule der Kausalkette (d.h. die zu beurteilende Gesundheitsstörung) mit Vollbeweis nachgewiesen ist. Der Vollbeweis verlangt dabei keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013 - B 9 V 3/12 R), da ein darüberhinausgehender Grad an Gewissheit so gut wie nie zu erlangen ist Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Gewisse Zweifel sind unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b, m.w.N.).

Dagegen ist nach § 61 S.1 IfSG für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichend. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 07.04.2011- B 9 VI 1/10 R m.w.N., zitiert nach juris). Dabei sind alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG, Urteil vom 07.04.2011, a.a.O.).

Das nach der Grippeschutzimpfung aufgetretene Krankheitsgeschehen und die damit verbundenen Schädigungsfolgen sind bereits mangels geklärter Pathogenese und Ätiologie nicht nach § 60 Abs. 1 i.V.m. § 61 S 1 IfSG anerkennungsfähig. Insoweit folgt der Senat den insoweit überzeugenden Ausführungen des früheren Leitenden Versorgungsarztes Dr. B      . Dieser hat zur Kausalitätsprüfung ausgeführt, dass das GBS auch in Form der Miller-Fisher-Variante eine Erkrankung ist, bei der sich das Immunsystem gegen die Markscheiden der peripheren Nerven des menschlichen Körpers richtet und diese zerstört. Durch den Verlust dieser Myelinscheiden kommt es zur Herabsetzung der Nervenleitgeschwindigkeit bis zum vollständigen Verlust der Nervenfunktion. Die Ursache der Erkrankung ist bis heute nicht geklärt. In der medizinischen Wissenschaft besteht Ungewissheit über den eigentlichen Entstehungsmechanismus. Dementsprechend ist eine Anerkennung der Erkrankung als Impfschaden mangels geklärter Pathogenese und Ätiologie auf dem Weg über § 61 S. 1 IfSG nicht möglich (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017 – L 7 VE 7/14).

Der Senat ist jedoch überzeugt, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch der sogenannten Kann-Versorgung gemäß § 60 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 61 S 2 IfSG vorliegen. Eine Versorgung ist nach diesen Vorschriften mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde zu gewähren, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Als Voraussetzung dafür ist in Teil C, Nr. 4b der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VmG) festgelegt, dass über die Ätiologie und Pathogenese des Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrschen darf. Außerdem darf wegen mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen oder Schädigungsfolgen für die Entstehung und den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden können. Weiterhin wird für die Kann-Versorgung vorausgesetzt, dass ein ursächlicher Einfluss der im Einzelfall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird. Dabei reicht nicht allein die theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs aus. Es ist erforderlich, dass durch eine nachvollziehbare wissenschaftliche Lehrmeinung Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 – 9 RV 17/04, zitiert nach juris). Es darf nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, sondern vielmehr eine "gute Möglichkeit", die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so weit zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG, Urteil vom 12.12.1995, a.a.O.) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner im Sinne einer "Mindermeinung" überzeugt (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2011 - L 4 VJ 2/10).

Im vorliegenden Verfahren besteht über Ätiologie und Pathogenese des GBS in der Form der Miller-Fischer-Variante – wie zuvor bereits dargestellt - keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung. Des Weiteren wird auch ein ursächlicher Einfluss der im vorliegenden Fall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen und es liegen durch eine nachvollziehbare wissenschaftliche Lehrmeinung Erkenntnisse vor, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang im Sinne einer "guten Möglichkeit" sprechen, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so weit zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet haben, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann und zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner im Sinne einer "Mindermeinung" überzeugt. Es besteht nach diesen Maßstäben eine "gute Möglichkeit", dass durch die Impfung vom 06.11.2009 das GBS in der Form der Miller-Fischer-Variante verursacht worden ist. Dies reicht für die Gewährung einer Kann-Versorgung aus. Insoweit schließt sich der Senat der überzeugenden und schlüssigen Auffassung der Sachverständigen Prof. Dr. Dr. O     /Dr. B   /PD Dr. T         /PD Dr. W      an, die nach Bewertung der zur Verfügung gestellten Informationen zum Krankheitsverlauf und nach Auswertung der wissenschaftlichen Datenlage zu der Ansicht gelangt sind, dass der Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des Klägers „am wahrscheinlichsten“ ist. Der kausale Zusammenhang zwischen der durchgeführten Pandremix-Impfung und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen wurde auf den Seiten 16-20 des fachneurologischen Gutachtens auf der Basis der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung ausführlich begründet. Auch das PEI geht - im Grundsatz - von einem erhöhten Auftreten des GBS nach einer Influenza H1N1 (Schweinegrippe) - Impfung aus, schränkt dies jedoch auf die Fälle ein, in denen ein plausibles Zeitfenster für den Erkrankungsbeginn vorliegt und keine anderen Ursachen feststehen (so auch der Leitsatz 1 des Urteils des LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017. a.a.O.; dort: Bejahung einer Kann-Versorgung nach Impfung gegen Schweinegrippe - H1N1 Virus - bei Auftreten eines GBS nach bejahtem plausiblem Abstand zwischen Impfung und Erkrankungsbeginn und fehlendem Vollbeweis konkurrierender Faktoren). Das GBS kann vorliegend auch in einem plausiblen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Verbindung gebracht werden. Davon geht der Senat in Übereinstimmung insbesondere mit der Auffassung von PD Dr. Wi     aus. PD. Dr. Wi     hat in mehreren ergänzenden Stellungnahmen zu dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. O     /Dr. B    PD Dr. T         /PD Dr. W      überzeugend dargelegt, dass das Krankheitsgeschehen nach den neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen in dem typischen Zeitfenster von 1 - 42 Tagen aufgetreten ist. Es genügt zwar nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behauptet bzw. behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, in der Regel statistische Erhebungen, untermauert ist. Die Fakten müssen – in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung – zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist aber bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmedizin überzeugt (Mindermeinung).

So liegt der Fall hier. In der (letzten) ergänzenden Stellungnahme von PD Dr. Wi     vom 19.11.2021 hat dieser die aktuelle Literatur zu Nebenwirkungen der Influenza-Impfung analysiert und insbesondere die Daten einer kürzlich publizierten systemischen Übersicht von Juvet et al. aus dem Jahr 2021 berücksichtigt. PD Dr. Wi     hatte bereits in seiner Stellungnahme vom 15.05.2017 auf neuere Studien aus den USA und aus Europa hingewiesen, die die Assoziation zwischen Influenza-Impfung inkl. Pandemrix und GBS/MFS untersucht hätten und in denen nur die Obergrenze für den Risikozeitraum angegeben werde (Dieleman et al. 2011, Tokars et af 2012; Wise et al. 2012). Die neueren Studien aus den USA und Europa zeigten einen Zeitraum von 1 bis 42 Tagen für das Auftreten eines GBS/MFS nach der Impfung. Es trifft demnach nicht zu, wie von Prof. Dr. V      (PEI) vom 05.08.2021 ausgeführt, dass sich seit seiner Stellungnahme vom 07.06.2016 keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse ergeben hätten, die eine Änderung der Sichtweise begründen würden. Prof. Dr. V      hat seine Ansicht, es sei von einem zeitlichen Zusammenhang der neurologischen Symptome in einem Zeitintervall von 5 Tagen bis maximal 6-8 Wochen nach der Impfung auszugehen, auch weiterhin mit den Studien aus den USA aus dem Jahr 1976 begründet. Bereits Dr. M       vom PEI hatte sich in seiner kurz gehaltenen E-Mail vom 28.03.2014 (wie Prof. Dr. V      in seiner Stellungnahme vom 07.06.2016) auf die - veralteten - Daten aus einer epidemiologischen Datenerhebung in den USA aus den Jahren 1976/1977 bezogen. Wie PD Dr. Wi     überzeugend ausführte, war zu diesem Zeitpunkt allerdings der Impfstoff Pandemrix noch nicht entwickelt und noch nicht zugelassen, weil die Zulassung in der EU erst im Jahr 2009 erfolgte. Daher konnten in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts - nach den Gesetzen der Logik - noch keine Studiendaten zum Impfstoff Pandemrix vorgelegen haben. Wie PD Dr. Wi     weiter überzeugend ausführte, kann man auch aus der aktuellen Impfstoffentwicklung im Rahmen der Covid-Pandemie die Erkenntnis gewinnen, dass es (sogar) Unterschiede in der Häufigkeit und der Präsentation der Nebenwirkungen zwischen den Impfstoffen unterschiedlicher Hersteller gibt, selbst wenn diese Impfstoffe vergleichbare Wirkmechanismen besitzen. Mithin sind die von PD Dr. Wi     aufgeführten Studien, die sich wenigstens konkret auf den Impfstoff Pandemrix beziehen, wegen ihrer stärkeren Aussagekraft für die Beurteilung heranzuziehen und ihnen ist der Vorzug gegenüber den Studien aus den USA aus den Jahren 1976/1977 einzuräumen. Es kommt hinzu, dass bei der Argumentation, dass ein GBS/MFS erst 5 Tage nach einer Impfung (unabhängig davon welche Impfung) auftreten könne, erst nachträglich diese fixe Schwelle formuliert worden ist, während in einer früheren Stellungnahme nur davon die Rede gewesen ist, dass ein zeitlicher Abstand von 1 bis 3 Tagen als „sehr kurz“ anzusehen sei, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass der „sehr kurze“ Abstand nicht plausibel wäre. Es erscheint daher jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Studiendaten aus den USA aus den Jahren 1976/1977 fehlinterpretiert worden sind. Ungeachtet dessen sprechen jedenfalls die Daten aus neueren Studien gegen die von Dr. M        und Prof. Dr. V      vom PEI angegebene (Unter-)Grenze von 5 Tagen für die Entwicklung eines GBS/MFS nach einer Impfung. Nach der von PD Dr. Wi     sorgfältig herausgearbeiteten neuesten herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, die der Senat seiner Entscheidungsfindung zugrunde zu legen hat, kann ein GBS/MFS auch innerhalb der ersten 5 Tage nach einer Impfung inklusive Influenza-Impfung (im konkreten Fall Pandemrix) auftreten. Diese These von PD Dr. Wi    , dem im Übrigen auch vollständige Informationen zum Krankheitsverlauf zur Verfügung standen, ist medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten und Erhebungen argumentativ untermauert. Die Fakten müssen zwar nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt (darunter die gehörten Vertreter des PEI) überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist aber – wie zuvor dargelegt- bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmedizin überzeugt (Mindermeinung). Es besteht vorliegend daher auch die geforderte "gute Möglichkeit", dass durch die Impfung das GBS/MFS verursacht worden ist.

Der Senat erachtet den Sachverhalt als ausreichend geklärt. Es ist insbesondere nicht erforderlich, wie vom Beklagten angeregt, eine neuerliche ergänzende Stellungnahme des PEI zur gleichen Fragestellung wie bisher, nämlich dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum plausiblen Zeitfenster zwischen Impfung und dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome, einzuholen. Das PEI hat sich bereits in mehreren Stellungnahmen (von Dr. M        vom 28.03.2014 und von Prof. Dr. V     vom 07.06.2016 sowie vom 05.08.2021) zu eben jener Frage geäußert. Außerdem hat der Beklagte keine medizinisch-substantiierte Kritik an den von PD Dr. Wi     in seiner letzten Stellungnahme dargelegten neueren wissenschaftlichen Erkenntnisstand geäußert; in der beigefügten versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W     -Sch       wurde der Sichtweise des PD Dr. Wi     sogar zugestimmt, weshalb jedenfalls auch aus der Sicht des Versorgungsärztlichen Dienstes eine erneute Anfrage entbehrlich sein dürfte. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Stellungnahmen der Vertreter des PEI in einer kurzen (11-zeiligen) E-Mail bzw. in 1-seitigen Antwortschreiben erschöpft haben, was eher auf eine nur kursorische Prüfung hinweist (die zudem jeweils ohne Kenntnis der Akten erfolgte), während PD Dr. Wi     sich erkennbar und in der gebotenen wissenschaftlichen und vertieften Art und Weise mit der Erarbeitung des herrschenden wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (nach Aktenstudium) befasst hat, was sich auch im Umfang seiner Stellungnahmen (beispielsweise Stellungnahme vom 19.11.2012: 11 Seiten inklusive Literaturverzeichnis) niederschlägt. Auf Anhieb stichhaltig ist für den Senat die Erkenntnis von PD Dr. Wi    , dass sowohl Dr. M       vom PEI in seiner E-Mail vom 28.03.2014 als auch Prof. Dr. V      in seinen Stellungnahmen vom 07.06.2016 und vom 05.08.2016 Daten aus einer epidemiologischen Datenerhebung in den USA aus den Jahren 1976 -1977 für ihre Beurteilung herangezogen haben, einem Zeitpunkt also, zu dem der Impfstoff Pandemrix allerdings weder entwickelt noch zugelassen war. In den Studiendaten der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts können damit logischerweise noch gar keine Daten zum Impfstoff Pandemrix vorgelegen haben, die Grundlage einer im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats im Jahr 2022 zu treffenden Entscheidung sein könnten. Mangels medizinisch begründeter Kritik des Beklagten an der Darstellung des neueren wissenschaftlichen Erkenntnisstandes durch PD Dr. Wi     ist eine erneute (vierte) Nachfrage beim PEI entbehrlich, wenn man schließlich auch noch berücksichtigt, dass die Anfragen allesamt ersichtlich nicht mit der vorliegend gebotenen wissenschaftlichen Bearbeitungstiefe und der Bereitschaft zur argumentativen Auseinandersetzung mit einer qualifiziert begründeten Gegenmeinung bearbeitet wurden.

Dass darüber hinaus theoretisch auch noch die vom Beklagten dargestellten Möglichkeiten für die Entstehung des GBS/MFS hätten ursächlich sein können steht dem Anspruch auf Kann-Versorgung ebenfalls nicht entgegen. Denn bei jeder Kann-Versorgung besteht immer eine andere Möglichkeit der Kausalität, die aber wegen eines fehlenden Vollbeweises für eine konkurrierende Ursache hier dem Kläger nicht entgegengehalten werden kann. An jenem Vollbeweis für eine konkurrierende Ursache fehlt es vorliegend.

Der 14 Tage zuvor erlittene Infekt der oberen Atemwege kommt als konkurrierende Ursache nicht in Betracht. Der Senat schließt sich insoweit der Beurteilung im neurologischen Gutachten von Prof. Dr. Dr. O     /Prof. Dr. B   /PD Dr.           /PD Dr. W      an. Der Senat legt hierbei folgenden Sachverhalt zugrunde: Am 26.10.2009 und 27.10.2009 war der Kläger aufgrund der Laryngitis arbeitsunfähig. Die Impfung wurde deshalb verschoben und dann erst am 06.11.2009 durchgeführt, nachdem der Kläger 1,5 Wochen keine klinischen Symptome mehr aufwies. Aus dem Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 07.09.2011 im Rechtsstreit des Klägers gegen Dr. W      (Az: 4 O 436/10, Seiten 10, 11) geht hervor, dass die Impfung des Klägers laut Gutachten des gehörten Sachverständigen Prof. Dr. P           , einem „ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der Inneren Medizin und der Immnologie“ (Seite 12 des Urteils) auch angesichts der vorausgegangenen Atemwegsinfektion nicht behandlungsfehlerhaft, sondern „de lege artis“ gewesen sei. Nach den im Urteil zitierten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts stellt selbst ein (hier zum Zeitpunkt der Impfung unstreitig nicht mehr bestehender) Infekt, der nicht mit Fieber einhergeht, keine Kontraindikation für die Verabreichung von Grippeimpfstoffen dar, und zwar auch nicht bei Mehrfachimpfungen gegen saisonale Grippe und Influenza H1N1. Der Infekt ist daher, wie auch im Urteil des LG Frankenthal ausgeführt, welches wiederum dem Sachverständigen Prof. Dr. P            vollumfänglich folgte, unkompliziert verlaufen. Weiter heißt es dort, aus der verstrichenen Zeit und den Angaben des Klägers, er fühle sich gesund, sei arbeitsfähig und gehe arbeiten, „lasse sich sicher auf eine Ausheilung der Atemwegserkrankung schließen“. Der Senat teilt die Beurteilung, dass der Infekt zum Zeitpunkt der Impfung bereits abgeheilt war und folgt damit nicht der Aussage von Dr. W     -Sch       vom 11.04.2014, wonach diese Aussage „nicht als gesichert angesehen werden könne“. Das Gegenteil war der Fall. Es ist Dr. W     -Sch       allerdings zugute zu halten, dass zu diesem Zeitpunkt die erst später gewonnenen Erkenntnisse aus dem Zivilprozess noch nicht vorlagen. Wie die neurologischen Gutachter im vorliegenden Rechtsstreit in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21.02.2013 zudem ausgeführt haben, ist die beim Kläger nachgewiesene Hämophilus influenzae-Infektion, die argumentativ zur Begründung einer Konkurrenzursache herangezogen wurde, zum einen nur für weniger als ein Prozent der GBS/MFS-Fälle verantwortlich und führt zum anderen auch eher zu einer axonalen Polyneuropathie, während bei dem Kläger keine axonale, sondern eine demyelinisierende Polyneuropathie nachgewiesen worden ist. Es ist daher von den gehörten neurologischen Gutachtern stichhaltig und überzeugend begründet worden, weshalb der kausale Zusammenhang mit der stattgehabten Laryngitis als nicht wahrscheinlich bewertet wurde.

Ein Hirnstamminfarkt kommt als konkurrierende Ursache ebenfalls nicht in Betracht. Die These des gehörten Neuroradiologen Prof. Dr. Bi  , wonach bei dem Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein stattgehabter Hirnstamminfarkt aufgrund eines akuten Verschlusses der Arteria vertebrales im V4-Segment rechts aufgetreten sei, hat er selbst in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.01.2014 bereits relativiert, indem er ausführte, dass anhand der Bildgebung nicht weiter zwischen einem thromboembolischen Geschehen und einer entzündlichen Ursache des betreffenden Gefäßnetzes unterschieden werden könne. Zuvor hatten die Neurologen Prof. Dr. Dr. O     /Prof. Dr. B   /PD Dr. T         /PD Dr. W      (mit der These von Prof. Dr. Bi   konfrontiert) in einer ergänzenden Stellungnahme vom 21.02.2013 ausgeführt, dass die neuroradiologische Beurteilung allein anhand bildmorphologischer Kriterien erfolgt ist und keine endgültige klinische Einschätzung eines Krankheitsbildes umfasst hat. Weiter ist überzeugend ausgeführt worden, dass im Rahmen der Begutachtung Befunde mittels verschiedener zusatzdiagnostischer Verfahren (Doppler-/Duplex Sonografie, Neurografie und neuroradiologische Diagnostik mit C MRT/CCT) erhoben worden sind und dass nur eine zusammenfassende Beurteilung dieser Befunde unter Berücksichtigung der klinischen Untersuchung und des Verlaufs eine endgültige Aussage ermöglicht. Zwar wird bildmorphologisch im neuroradiologischen Zusatzgutachten eine Diffusionsstörung am Übergang der Medulla oblongata zum Pons mit einer passenden Signalminderung in der ADC-Map in den Aufnahmen vom 11.11.2009 beschrieben. Dieser Befund wurde von Prof. Dr. Bi   als eine ischämische Läsion diskutiert. Die Nachfolgeaufnahmen vom 16.11.2009 zeigten jedoch in diesem Bereich eine kontrastmittelaufnehmende Läsion, die eher für eine entzündliche Genese spricht und im Klinikum Ludwigshafen als eine Enzephalitisversion interpretiert worden ist. Dieses Signalverhalten mit Kontrastmittelaufnahme kann jedoch auch im Verlauf einer ischämischen Gewebeschädigung auftreten. Wiederum kann eine Diffusionsstörung mit Signalminderung in der ADC-Map, wie im Befund vom 11.11.2009 beschrieben, im Rahmen einer Entzündung auftreten. Insgesamt erlauben die bildgebenden Befunde ohne Berücksichtigung des klinischen Kontextes keine zuverlässige Aussage darüber, ob es sich bei der MR-tomografisch dargestellten Läsion am Übergang der Medulla oblongata zum Pons um eine entzündliche oder ischämische Läsion handelt. Nur die Hinweise aus klinischen Befund, Verlauf und Ergebnissen der elektrophysiologischen Diagnostik in Kombination mit dem bildgebenden Befund ermöglichen die richtige Interpretation. Mit dieser ausführlichen argumentativen Begründung haben die neurologischen Gutachter die These von Prof. Dr. Bi   widerlegt und überzeugend begründet, dass die bildgebenden Verfahren keine ausreichende Beurteilung der Kausalreihe erlauben. Es ist daher aus medizinischen Gründen nicht die Schlussfolgerung zu rechtfertigen und daher gerade nicht mit Vollbeweis erwiesen, dass die bei dem Kläger aufgetretene akute und dramatische neurologische Erkrankung ihren Ursprung in der impfunabhängigen Hirngewebeminderdurchblutung mit nachfolgendem Untergang von Hirngewebe gehabt hat. Wie bereits ausgeführt, kann eine lediglich mögliche konkurrierende Ursache, für die der Vollbeweis nicht geführt ist, im Rahmen der Kann-Versorgung der Anerkennung eines Impfschadens nicht entgegengehalten werden.

Nach alledem hat die Berufung des Klägers Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.

 

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