L 12 KR 685/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 44 KR 2075/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KR 685/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

 

1. Bei der Behandlung mit dem Arzneimittel g-Strophanthin-8-Hydrat handelt es sich nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach § 135 SGB V.

2. Eine Rezeptur aus nicht verordnungsfähigen Substanzen darf nicht zu Lasten der GKV verordnet werden. Eine Umgehung des Verordnungsausschlusses per Rezeptur ist nicht zulässig.

 

I.     Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 26.11.2019, Az.: S 44 KR 2075/17, wird zurückgewiesen.

II.     Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin begehrt die Versorgung mit dem Rezeptur-Arzneimittel g-Strophanthin-8-Hydrat als Sachleistung sowie Kostenerstattung für die seit Dezember 2017 selbstbeschafften Arzneimittel.

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte, 1951 geborene Klägerin leidet u.a. an einer Herzinsuffizienz NYHA III und Vorhofflimmern. Am 27.03.2017 wandte sie sich an die Beklagte und beantragte die Kostenübernahme des Wirkstoffs g-Strophanthin-8-Hydrat (im Folgenden: Strophanthin) als Rezepturarzneimittel. Ihre behandelnde Ärztin verschreibe ihr dieses Arzneimittel nur noch auf Privatrezept. Bei dem beantragten Arzneimittel handelt es sich um ein verschreibungspflichtiges Rezeptur-Arzneimittel, welches in Kapseln von der von der Klägerin als Bezugsquelle angegebenen S-Apotheke in A1 ("Strophanthin-Apotheke") hergestellt wird.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29.03.2017 die Übernahme der Kosten ab. Strophanthin-Fertigarzneimittel stünden auf der sog. Negativliste für unwirtschaftliche Arzneimittel. Zudem stelle die Erstattung einer Individualrezeptur eine Umgehung der Zulassungspflicht dar.

Zur Begründung des hiergegen eingelegten Widerspruchs legte die Klägerin zahlreiche Unterlagen vor, u.a. einen Zeitungsartikel über "Strophanthin, das besondere Herzglykosid" aus dem Jahr 2011. Bei ihr habe sich im Verlauf einer schweren Basedow-Krise eine schwere Herzinsuffizienz entwickelt. Zudem leide sie seit vielen Jahren schwer unter dem Fibromyalgie-Syndrom, welches bekanntermaßen oft mit Medikamentenunverträglichkeiten einherginge. Sämtliche Medikamente, die sie zur Behandlung der Herzmuskelschwäche erprobt habe, hätten leider nicht angeschlagen oder enorme Nebenwirkungen verursacht. Nur unter Einnahme von g-Strophanthin-8-Hydrat habe sich ihre Befindlichkeit bezüglich der Herzinsuffizienz auf ein erträgliches Maß verbessert. Es bestehe kein Zweifel, dass sie auf das begehrte Arzneimittel zwingend angewiesen sei, ohne Strophanthin werde sie innerhalb kürzester Zeit zum Pflegefall. Die Versorgung auf Kassenrezept erfolge durch die Beklagte seit Anfang 2013. g-Strophanthin-8-Hydrat stehe entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht auf der Negativliste. Dort finde sich nur Strophanthin D 3 und D 6.

Der von der Beklagten am 12.04.2017 eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Bayern hat in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 29.11.2017 eine Kostenübernahme nicht empfohlen. Bei dem beantragten Arzneimittel handele es sich um ein Rezepturarzneimittel, für welches das vom Bundessozialgericht geforderte positive Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses im Sinne des § 135 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht vorliege. Verwiesen werde auf fachärztliche kardiologische Mitbehandlung und Einleitung einer zugelassenen medikamentösen Therapie nach erfolgter Re-Evaluation.
Am 01.12.2017 hat die Beklagte der Klägerin unter Übersendung des MDK-Gutachtens nochmals mitgeteilt, dass die Kosten für die beantragte Arzneimittelversorgung nicht übernommen werden könnten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass es sich bei Strophanthin um einen verschreibungspflichtigen Wirkstoff handele, welcher in der nach § 93 SGB V erstellten Negativliste genannt werde und daher von der Versorgung zu Lasten der Gesetzliche Krankenkassen ausgeschlossen sei. Somit sei auch eine Kostentragung des verschreibungspflichtigen Rezepturarzneimittels g-Strophanthin-8-Hydrat ausgeschlossen.

Die bereits am 27.12.2017 erhobene Klage am Sozialgericht München, die bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides ausgesetzt worden war, hat die Klägerin damit begründet, es sei bereits nicht erkennbar, dass das Präparat in der Anlage 2 Nummer 2 - 6 der aufgehobenen Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt sei. Das Gleiche gelte für den Wirkstoff Strophanthin, jedenfalls soweit er im Rahmen einer phytotherapeutischen oder sonst allopathischen Therapie eingesetzt werde. Zudem könne eine vertragsärztliche Verordnung in medizinisch begründeten Einzelfällen selbst für Arzneimittel erfolgen, die nach der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) von der Versorgung zu Lasten der Krankenkasse ausgeschlossen seien. Das MDK-Gutachten lasse keine ernsthafte Auseinandersetzung mit der bei der Klägerin vorliegenden medizinischen Problematik erkennen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. U (Hausarzt und Facharzt für Innere Medizin) vom 16.08.2018, Dr. med. R (Praktische Ärztin) vom 22.08.2018 und Dr. med. S1 (kardiologisch-angiologische Schwerpunktpraxis) vom 15.03.2019 eingeholt, auf deren Inhalt einschließlich der jeweiligen Anlagen ausdrücklich Bezug genommen wird. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 17.10.2018 eine "Ärztliche Bescheinigung zur Notwendigkeit der Einnahme von G-Strophanthin", ausgestellt von der privatärztlichen Praxis für naturgemäße Medizin W, vorgelegt. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen zeigten nunmehr, dass bei der Klägerin eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliege und eine Medikation mit neueren Herzpräparaten nicht möglich sei, sodass ein Anspruch auf Kostenübernahme mit der begehrten Arzneimitteltherapie bereits aus der grundrechtsorientierten Erweiterung des GKV-Leistungskatalogs bestehe.

Auf die richterlichen Hinweise vom 19.12.2018 und 30.01.2019 sowie auf die Anfrage des Gerichts vom 21.03.2019 in Bezug auf den Befundbericht des Dr. S1 vom 15.03.2019 hat die Klagepartei nochmals dargelegt, dass es vorliegend nicht um die Therapie des bei der Klägerin bereits im Jahre 2001 diagnostizierten Vorhofflimmerns gehe, sondern das streitgegenständliche Präparat allein zur Behandlung der bei ihr infolge einer zu spät behandelten Basedow-Erkrankung neu hinzugetretenen Herzinsuffizienz eingesetzt werde. Soweit es um die alternative Medikation mit Betablockern und anderen ACE-Hemmern gehe, betreffe diese nur das Vorhofflimmern. Diese Präparate habe die Klägerin ausweislich des Arztberichts des Dr. S1 nicht vertragen. Die blutdrucksenkenden Mittel hätten bei ihr zu einer hypotonen Dysregulation geführt. Auch soweit ärztlicherseits die Anwendung von Koagulationshemmern vorgeschlagen worden sei, handele es sich um die Behandlung des Vorhofflimmerns. Nach Auftreten der Herzinsuffizienz habe die Klägerin zunächst über den Zeitraum von einem Jahr als Herzglykosid das Arzneimittel Digitalis eingenommen. Dieses Medikament habe bei der Klägerin, die ja auch an Fibromyalgie leide, unerträgliche Schmerzen verursacht, weshalb es habe abgesetzt werden müssen. Nicht nachvollziehbar sei im Übrigen, dass eine (im Arztbrief der kardiologischen Praxis Dr. I vom 21.07.2016 vorgeschlagene) Pulmonalvenenisolation die eigentliche Herzinsuffizienz bessern solle, ganz abgesehen davon, dass ein derartiger operativer Eingriff bei der multimorbiden schwerkranken Klägerin kontraindiziert sei. Soweit im Befundbericht des Dr. S1 mit dem Arzneimittel "Entresto" als neuartiges Medikament eine weitere mögliche Medikation angesprochen werde, bestehe eine Kontraindikation, weil bei der Klägerin bereits einmal ein Angioödem aufgetreten sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.11.2019 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Rezeptur-Arzneimittel g-Strophanthin-8-Hydrat durch die Beklagte und auch keinen Anspruch auf eine entsprechende Kostenerstattung. Die Klägerin könne g-Strophanthin-8-Hydrat als Fertigarzneimittel nicht beanspruchen, da kein nach dem deutschen oder europäischen Arzneimittelrecht zugelassenes strophanthinhaltiges Fertigarzneimittel existiere, das zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehören würde. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, der Klägerin g-Strophanthin-8-Hydrat in Form eines Rezepturarzneimittels als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Ein Versorgungsausschluss ergebe sich zwar insoweit entgegen der Ansicht der Beklagten nicht unmittelbar aus § 34 Abs. 3 SGB V, da der Wirkstoff g-Strophanthin-8-Hydrat weder in der bisher in der Anlage 2 Nr. 2 bis 6 der "Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung" (vom 21.02.1990, BGBl. I, 301 i. d. F. vom 09.12.2002, BGBl. I, 4554) geregelten sog. Negativliste, welche durch die Vorschrift mit Wirkung vom 01.01.2011 in den Verordnungsausschluss nach den AM-RL überführt wurde, noch in der Anlage III zur AM-RL (Übersicht über Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse) enthalten sei. In der überführten Anlage 2 Nr. 6 (Arzneimittel der besonderen Therapierichtung Homöopathie) der o.g. aufgehobenen Verordnung finde sich lediglich der Wirkstoff "Strophanthus kombe". Vorliegend solle das Arzneimittel nach dem Vortrag der Klägerin jedoch nicht im Rahmen der besonderen Therapierichtung Homöopathie, sondern allopathisch eingesetzt werden.

Für das beantragte Rezepturarzneimittel fehle es jedoch an der nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V erforderlichen befürwortenden Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), ohne die neuartige Pharmakotherapien mit verschreibungspflichtigen Rezepturarzneimitteln von den gesetzlichen Krankenkassen nicht gewährt werden könnten.
Die Behandlung der Klägerin mit dem Rezepturarzneimittel g-Strophanthin-8-Hydrat sei als neue Behandlungsmethode i.S. von § 135 SGB V zu werten (wird ausgeführt). Auf das positive Votum des G-BA könne vorliegend auch nicht etwa deshalb verzichtet werden, weil hier zwei der die Klägerin behandelnden Ärzte (Dr. R und Dr. W) die Behandlung befürwortet hätten. Dies allein vermöge die Empfehlung des G-BA nicht zu ersetzen. Es lägen auch nicht die Voraussetzungen eines Ausnahmefalles aufgrund eines Seltenheitsfall vor. Die bei der Klägerin ausweislich der vorgelegten ärztlichen Unterlagen sowie nach den vom Gericht eingeholten Befundberichten diagnostizierten Erkrankungen (insbesondere Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern, Fibromyalgie, Hashimoto-Thyreoiditis mit Basedow-Krise) seien weltweit nicht so selten, dass sie weder systematisch erforscht noch systematisch behandelt werden könnten.
Von einem Systemversagen sei ebenfalls nicht auszugehen. Denn es sei weder ein Antrag an den G-BA gestellt worden noch gäbe es Anhaltspunkte dafür, dass dies aus sachfremden und willkürlichen Erwägungen heraus nicht geschehen sei (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, Az. B1 KR 30/06 R, Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26.11.2015, Az. L 4 KR 419/15 B ER, Juris).

Ein Leistungsanspruch der Klägerin lasse sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung (Beschluss vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98, Juris) bzw. der in Umsetzung dieser Rechtsprechung und weiterer konkretisierender Urteile des BSG (z.B. Urteile vom 04.04.2006, Az. B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R ; Urteil vom 16.12.2008, Az. B 1 KR 11/08 R; alle in Juris) zum 01.01.2012 mit Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011 (BGBl I, S. 2983) eingefügten Regelung des § 2 Abs. 1a SGB V begründen. Es fehle bereits an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder einer zumindest wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung, auch wenn die Herzinsuffizienz der Klägerin unbestreitbar eine schwere Erkrankung darstelle. Ausweislich der dem Gericht vorliegenden Befunde liege zur Überzeugung des Gerichts sowohl nach der Einschätzung der behandelnden Ärztin Dr. R als auch insbesondere nach den aktuellen fachärztlichen Feststellungen des Dr. S1 bei der Klägerin keine akut lebensbedrohliche organische Erkrankung vor, d.h. die diagnostizierte(n) Herz-Erkrankung(en) seien - v.a. auch im Hinblick auf beschriebene eingetretene gesundheitliche Verbesserung - derzeit nicht innerhalb eines kürzeren Zeitraums unmittelbar lebensbedrohlich. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Notstandssituation lägen damit nicht vor.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 27.12.2019. Zur Begründung wird die bisherige Argumentation wiederholt und vertieft. Das Sozialgericht liege falsch mit seinem Ausgangspunkt, die Behandlung mit dem streitgegenständlichen Arzneimittel sei eine neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 SGB V. Es könne sein, dass die Behandlung einer Herzinsuffizienz mit dem Arzneimittel Strophanthin gegenüber der gegenwärtig üblicherweise durchgeführten Behandlung einer solchen Erkrankung mit Digitalis-Präparaten unter anderem eine eigenständige Behandlungsmethode darstelle, eine solche Behandlungsmethode sei aber gerade nicht neu. Das Sozialgericht habe nicht in Zweifel gezogen, dass Strophanthin über Jahrzehnte in der vertragsärztlichen Versorgung angewandt und sich wirksam bewährt habe, ansonsten wäre es nicht über Jahrzehnte hinweg angewandt worden. Die bloße Tatsache, dass es in der vertragsärztlichen Versorgung zunehmend durch neuere Präparate ersetzt werde, bei denen eine höhere Wirksamkeit etc. angenommen werde, mache aus einer bewährten Behandlungsmethode noch keine neue Behandlungsmethode. Nichts anderes folge auch aus dem vom Erstgericht zitierten Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.09.1997. Bei der von der Klägerin vertretenen Auffassung, es liege keine neue Behandlungsmethode vor, handele es sich auch nicht um eine krankenversicherungsrechtliche Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse. Es gehe vorliegend gerade nicht um die Behandlung mit einem Fertigarzneimittel, sodass eine Umgehung arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernisse von vornherein nicht in Betracht komme.

Auch sei das Vorliegen eines Seltenheitsfalles zu Unrecht abgelehnt worden. Zwar handele es sich bei der Herzinsuffizienz sowie den anderen bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen nicht um eine Krankheit, die nur selten auftreten würde. Vorliegend sei aber zu berücksichtigen, dass bei der Klägerin nicht nur außergewöhnlich viele, teils schwere Erkrankungen vorlägen, sondern auch eine Unverträglichkeit gegenüber praktisch allen standardmäßig eingesetzten Herzmedikamenten, sodass es zumindest nahe läge, bei der Klägerin eine "einzigartige Krankheitssituation" anzunehmen, die die Annahme eines Seltenheitsfalles rechtfertigen würde (Verweis auf Urteil des BSG vom 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R). Systemversagen bedürfe hier einer weitergehenden Auslegung als bisher von der Rechtsprechung angenommen, da ein solches auch dann vorliege, wenn ökonomische Mechanismen verhindern würden, dass wirksame und wie im streitgegenständlichen Fall wegen der Unverträglichkeit anderer Mittel, tatsächlich auch benötigte Arzneimittel der Krankenbehandlung zur Verfügung stünden, aber nicht verordnet werden dürften.

In jedem Fall aber habe die Klägerin einen Anspruch nach § 2 Abs. 1a SGB V. Bei ihr läge nämlich sehr wohl eine notstandsähnliche Situation vor. Denn ohne die streitige Behandlung würde sich ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen. Dies ergebe sich aus dem Befundbericht der verordnenden Ärztin Dr. R vom 22.08.2018, nach der ein tödlicher Verlauf der Herzinsuffizienz bei der Klägerin ohne Behandlung innerhalb von zwei Jahren anzunehmen sei. Völlig abwegig sei die Verneinung einer drohenden Lebensgefahr bei der Klägerin durch das Sozialgericht unter Hinweis auf den vorgelegten Befundbericht des Kardiologen Dr. S1 vom 15.06.2019. Dieser Befundbericht spiegele vielmehr den Erfolg der streitgegenständlichen Therapie mit dem Arzneimittel Strophanthin wieder. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zeige der Befund nicht den Erfolg einer Therapie durch Dr. S1 in Gestalt einer Ferritinject i.v. Gabe und der Verordnung eines Arzneimittels Torasemid. Eine solche Therapie sei wegen der befürchteten Nebenwirkungen überhaupt nicht angewandt, sondern nur in einem Arztbrief des Dr. S1 vom 11.12.2018 vorgeschlagen worden. Eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin basiere allein auf der Behandlung mit dem streitgegenständlichen Rezepturarzneimittel.
Allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechen Behandlungsmethoden lägen für die Klägerin nicht vor, dies gelte insbesondere für das bisher noch nicht zum Einsatz gekommene Arzneimittel Entresto, da eine entsprechende Kontraindikation für dieses Arzneimittel bestehe. Wenn das Erstgericht dies mit der Behauptung in Zweifel ziehen wolle, es handle sich lediglich um eine in der Laiensphäre von der Klägerin gezogene Schlussfolgerung, so bedürfe es hier zu einer Sachverständigenbegutachtung. Dies gelte ebenso für die übrige vertragsärztlich empfohlene Standardindikation.

In der Folgezeit legte der Prozessbevollmächtige der Klägerin laufend die Verordnungen für die seit dem 07.12.2017 bezogenen Rezepturarzneimittel g-Strophantin-8-Hydrat vor.

In der mündlichen Verhandlung beantragt der Klägerbevollmächtigte die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf internistisch-kardiologischem Gebiet zu der Behauptung, dass die Klägerin sämtliche anderen Medikamente zur Behandlung ihrer Herzerkrankung nicht verträgt bzw. diese wegen entsprechender Nebenwirkungen kontraindiziert sind.

Die Klägerin stellt den Antrag,

die Beklagte wird unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom 26.11.2019 Az.: S 44 KR 2075/17 sowie unter Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 29.03.2017 und 01.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2018 verpflichtet, die Klägerin mit dem Rezeptur Arzneimittel g-Strophanthin-8 Hydrat als Sachleistung zu versorgen und verurteilt, an die Klägerin 8.764,32 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jeweils aus einem Betrag in Höhe von 489,42 Euro seit dem 07.12.2017, 27.02.2018, 07.05.2018, 03.08.2018 und 26.10.2018 sowie aus einem Betrag in Höhe von 490,38 Euro seit dem 23.01.2019, 29.04.2019, 29.07.2019, 31.10.2019, 31.01.2020 und 29.04.2020, aus einem Betrag in Höhe von 478,02 Euro seit dem 30.07.2020, aus einem Betrag in Höhe von 477,96 Euro seit dem 30.10.2020, aus einem Betrag in Höhe von 490,32 Euro seit dem 03.02.2021, aus einem Betrag in Höhe von 478,08 Euro seit dem 05.05.2021, aus einem Betrag in Höhe von 478,08 seit dem 05.08.2021, aus einem Betrag in Höhe von 486,24 seit dem 11.11.2021 sowie aus einem Betrag in Höhe von 486,24 Euro seit dem 20.01.2022 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für vollumfänglich zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Verfahrensakten beider Instanzen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, Bezug genommen.    

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG) zu Recht vollumfänglich abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 29.03.2017 und 01.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Versorgung mit noch auf Erstattung der Kosten für die seit Dezember 2017 bezogenen Rezepturarzneimittel mit dem Wirkstoff g-Strophanthin-8-Hydrat.

Der Kostenerstattungs- und -übernahmeanspruch gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte oder zu beschaffende Therapie zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl. zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8, RdNr 14 - Interstitielle Brachytherapie; zuletzt BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - RdNr 11 mwN, - LITT). Daran fehlt es hier.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).

1. Zunächst ist der Senat - anders als das SG - der Auffassung, dass es sich bei der Behandlung mit dem Arzneimittel g-Strophanthin-8-Hydrat nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach § 135 SGB V handelt. Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.5 Empfehlungen abgegeben hat. Die Behandlung einer Herzinsuffizienz mit Strophanthin ist aber nicht "neu" im Sinne der Vorschrift. Die Strophanthus-Glykoside k- und g-Strophanthin (englisches Synonym: Ouabain) waren vielmehr unter der Sammelbezeichnung "Strophanthin" bis in die 1970er Jahre in Deutschland Standardmedikamente zur Behandlung von Herzerkrankungen. G-Strophanthin/Ouabain wurde bevorzugt oral angewandt (Handelspräparate: Strophoral, Purostrophan, Strodival, Strophoperm u. a.). Die Art des Wirkstoffs des hier streitgegenständlichen g-Strophanthin-8-Hydrat (Quabain-8-Wasser, auch g-Strophanthin-8-Hydrat genannt) und die Wirkstoffmenge (3 mg/Kapsel) sind nach den von der Apotheke veröffentlichten Arzneimittelinformationen (http://www.strophantus.de/mediapool/59/ 596780data/Stadler_Arzneimittelinformation.pdf) mit dem Fertigarzneimittel Strodival (r) mr, vergleichbar. Dieses Fertigarzneimittel Strodival(r) mit dem Inhaltsstoff Strophanthin war jedoch nur bis 2011 fiktiv zugelassen, der Hersteller MP GmbH lieferte nach Auslauf der fiktiven Zulassung keine für eine Nachzulassung erforderlichen Studiendaten. Seit 2012 ist das Fertigarzneimittel Strodival nicht mehr verkehrsfähig. Die Therapie mit Strophantin ist daher nicht neu. Eine Empfehlung durch den GBA wäre aber nur für eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, B 1 KR 30/06 R). Vielmehr gibt es, worauf die Beklagte selbst hingewiesen hat, eine Vielzahl von zur Behandlung einer Herzinsuffizienz zugelassenen Fertigarzneimitteln. Auch aus der Tatsache, dass es sich bei dem verordneten Medikament um Rezepturarzneimittel handelt, lässt sich offensichtlich nicht schließen, dass eine Empfehlung des GBA erforderlich ist, denn die Verordnung von g-Strophanthin-8-Hydrat als Rezepturarzneimittel würde eine Umgehung der zulassungsrechtlichen Voraussetzungen bedeuten.

2. Für die Behandlung der bei der Klägerin vorliegenden Herzinsuffizienz ist statt der unstreitig zur Verfügung stehenden Fertigarzneimittel auch das Rezepturarzneimittel Strophanthin nicht verordnungsfähig bzw. ist eine solche Verordnung nicht wirtschaftlich.
Die Beklagte ist deshalb nicht verpflichtet, der Klägerin g-Strophanthin-8-Hydrat in Form eines von der S-Apotheke in A1 hergestellten Rezepturarzneimittels als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.

Nach der Richtlinie der Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AK-RL) kann die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt Arzneimittel nach Handelsnamen (Warenzeichen) oder Wirkstoffnamen (generische Bezeichnung) oder als Rezeptur verordnen (§ 11 Abs.2 AM-RL). Das BSG hat in seinem Urteil vom 13.10.2010, B 6 KA 48/09 R, ausgeführt, Rezepturarzneimittel seien als solche nach dem AMG aufgrund der erteilten Herstellungserlaubnis (§ 13 AMG) auch verkehrsfähig, ohne dass eine Überprüfung seiner Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem AMG stattfinden müsste. Mit der Verkehrsfähigkeit seien Rezepturarzneimittel zugleich auch verordnungsfähig, es sei denn, nach anderen Regelungen sei ein Anerkennungsverfahren erforderlich. Dies sei gemäß § 135 Abs1 Satz 1 Nr1 SGB V der Fall, wenn der Einsatz des Arzneimittels Gegenstand einer neuen Arzneitherapie im Sinne dieser Regelung sei, für die dann entsprechend den Vorgaben dieser Vorschrift eine empfehlende Richtlinie erforderlich sei. Die ist - wie unter 1. ausgeführt - hier nicht der Fall.
Rezepturarzneimittel sind aber nicht ohne Weiteres auch auf Kosten der GKV verordnungsfähig. Grundsätzlich gelten bei Fertigarzneimitteln, die nach Überprüfung ihrer Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach den Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) in konkret bezeichneten Anwendungsgebieten zum Verkehr zugelassen worden sind, die Voraussetzungen, dass sie zweckmäßig und wirtschaftlich sein und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen müssen, als erfüllt; mit ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung ist deshalb zugleich auch die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der GKV grundsätzlich gegeben. Hingegen kann in Fällen, in denen nach den Regelungen des AMG die Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels ohne vorherige fundierte Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gegeben ist, aus dieser Verkehrsfähigkeit nicht ohne Weiteres auch auf die Verordnungsfähigkeit des Arzneimittels zulasten der gesetzlichen Krankenkassen geschlossen werden. Dies gilt u.a. für Rezepturarzneimittel, die nicht - wie Fertigarzneimittel (vgl. § 4 Abs.1 i.V.m. § 21 Abs.1 AMG) - "im Voraus hergestellt" und in Verkehr gebracht, sondern für einen bestimmten Patienten nach Rezeptur des Arztes zur Herstellung in der Apotheke verordnet werden. Auch bei Rezepturarzneimitteln, für die arzneimittelrechtlich gegebenenfalls nur eine Herstellungserlaubnis erforderlich ist (§ 13 Abs.1 AMG; zu personenbezogenen Ausnahmen vgl. § 13 Abs.2, 2b, 2c AMG), fehlt es an einer fundierten Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, sodass aus einer Beachtung der Regelungen des AMG nicht abgeleitet werden kann, dass solche Arzneimittel ohne Weiteres auch auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig sind (vgl. BSG, Beschluss vom 30.10.2019, B 6 KA 21/18 B).
Grundsätzlich gilt, dass eine Rezeptur aus nicht verordnungsfähigen Substanzen nicht zu Lasten der GKV verordnet werden darf. Eine Umgehung des Verordnungsausschlusses per Rezeptur ist nicht möglich.
Dies ist hier für die Rezeptur mit Strophantin der Fall, das Inhaltsstoff von Arzneimitteln war, für die - wie oben dargestellt - zunächst eine fiktive Zulassung bestanden hat, die aber ein arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren nicht durchlaufen haben, sodass eine Nachzulassung nicht erfolgt ist und für die daher kein Nachweis für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorliegt. Diese Arzneimittel sind daher vom Markt genommen worden.
Im Übrigen stehen für die Behandlung einer Herzinsuffizienz ausreichend Fertigarzneimittel zur Verfügung und es ist nicht ausreichend dokumentiert, dass diese - wie von der Klägerin vorgetragen - nicht vertragen werden. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts, denen sich der Senat anschließt, verwiesen, § 153 Abs. 2 SGG.

3. Es liegt auch kein Seltenheitsfall vor. Um einen sog. Seltenheitsfall, in dem sich eine Krankheit und ihre Behandlung einer systematischen Erforschung entzieht und bei dem eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (vgl. dazu BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 21 - Visudyne), handelt es sich vorliegend nicht. Der von der Klägerin speziell für ihren Einzelfall geltend gemachte Behandlungserfolg ist unerheblich, weil die streitige Therapie wissenschaftlich anerkannt wirksam sein muss, um den sich für den Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen genügen zu können; der Anspruch umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität dem allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht. Hierzu genügt es nicht, dass die Arzneimitteltherapie bei einem Versicherten nach seiner eigenen Ansicht oder derjenigen seiner Ärzte positiv gewirkt haben soll und ggf. herkömmlichen Arzneimitteln vorzuziehen ist (BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R -, juris; BSGE 76, 194, 198 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 11 - Remedacen). Zu Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels muss es vielmehr grundsätzlich zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (vgl. zB BSGE 93, 1, 2 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, jeweils RdNr 7 mwN - Immucothel; zuletzt BSGE 95, 132 RdNr 18 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 mwN - Wobe-Mugos E). Auch bei einer erfolgten Arzneimittelanwendung sind Spontanheilungen und wirkstoffunabhängige Effekte mit in Rechnung zu stellen (vgl. BSG, Urteil vom 4.4.2006 - B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 4 RdNr 42 mwN - Tomudex <auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen>).

Bei der Klägerin liegt auch keine "einzigartige Krankheitssituation" vor, die einem Seltenheitsfall gleichgestellt werden könnte. Soweit der Klägerbevollmächtigte auf das Urteil des BSG vom 19.10.2004 (B 1 KR 27/02 R, Visudyne) abstellt, liegen die dort beschriebenen Voraussetzungen nicht vor. Im dortigen Fall ging es um die Behandlung einer Jugendlichen, die an einem angeborenen Aderhautdefekt (sog. Kolobom) litt und im Rahmen einer PDT eine Behandlung mit dem in Deutschland zum Zeitpunkt der Behandlung nicht zugelassenen Fertigarzneimittel Visudyne begehrte. In diesem Fall hatte das BSG angenommen (Zurückverweisung an LSG), dass, falls die bei der Klägerin im Behandlungszeitpunkt bestehende Krankheitssituation einzigartig war, auch das arzneimittelrechtliche Verkehrsverbot der Leistungspflicht der Beklagten nicht entgegenstünde. Visudyne (R) war zum Zeitpunkt der Behandlung der Klägerin in der Schweiz und in den USA als Arzneimittel zugelassen, sodass gemäß § 73 Abs 3 Satz 1 AMG die Möglichkeit bestand, dieses Mittel individuell auf ärztliche Verordnung über eine Apotheke aus dem Ausland legal zu beschaffen. Die darin liegende Lockerung des arzneimittelrechtlichen Verkehrsverbots begründet nach der Rechtsprechung des BSG nicht die Verkehrsfähigkeit des Medikaments, denn eine Verwendung in einer unbestimmten Zahl von Fällen sei durch die genannte Vorschrift nicht gedeckt und eine für Deutschland maßgebende Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit habe trotz der ausländischen Zulassung nicht stattgefunden; deshalb müsse es beim grundsätzlichen Leistungsausschluss bleiben (BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R - Immucothel (R)). An dieser Rechtsprechung halte der Senat weiterhin fest. Sie stehe jedoch einer Leistungspflicht für ein Mittel zur Behandlung einer einzigartigen Krankheit in einer außergewöhnlichen medizinischen Situation nicht entgegen. Abgesehen von der unter diesen Umständen legal möglichen Beschaffung des Arzneimittels, bestehe bei der Therapie einer derart singulären Krankheit gerade nicht - wie in dem oa Urteil beschrieben - die Gefahr, dass die maßgeblichen nationalen bzw. europarechtlichen Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit, wie sie im Zulassungserfordernis zum Ausdruck kommen, durch ein Ausweichen auf die Beschaffung des Mittels aus einem Staat mit weniger strengen Prüfungs- und Zulassungsmaßstäben systematisch umgangen werden könnten. Bei Krankheiten, die im angedeuteten Sinne einzigartig sind, sei hinreichend gewährleistet, dass auch der Einsatz des Medikaments ein Einzelfall bleibe und die Einbeziehung in die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht nicht zu einer arzneimittelrechtlichen Zulassung "durch die Hintertür" führe. Um eine derart einzigartige Krankheitssituation, die nach den Ausführungen des BSG auf einer speziellen Erkrankung und nicht auf einer Vielzahl von Erkrankungen beruht, handelt es sich vorliegend unter keinen Umständen.

4. Ein Systemversagen liegt offensichtlich nicht vor. Danach kann ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem G-BA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. In solchen Fällen ist die in § 135 Abs. 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl. BSG, Urteil vom 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 R Rn 17 mwN). Vorliegend handelt es sich aber bei der Behandlung mit Strophanthin (vgl. unter 1.) bereits um keine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Zudem wurde für das - bis 2011 zugelassene - vergleichbare Arzneimittel Strodival seitens der Herstellerfirma schon gar kein Antrag auf Zulassung gestellt, über den - aus welchen Gründen auch immer - nicht entschieden worden wäre. Das Argument des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, ökonomische Mechanismen verhinderten eine positive Bewertung durch den G-BA, geht daher ins Leere.

5. Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen auch die Voraussetzungen für eine grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98) beziehungsweise des mit Wirkung zum 1.1.2012 eingeführten § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V nicht vor. Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

a) Gibt es keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung oder Diagnostik oder sind die diesem Standard entsprechenden Möglichkeiten ausgeschöpft, ohne hinreichende Erkenntnisse für das weitere therapeutische Vorgehen zu liefern, kommen auch noch nicht anerkannte Methoden in Betracht, wenn im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung dadurch erst der Weg für therapeutische Maßnahmen eröffnet werden kann, mit denen eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verbunden ist (BSG, Urteil vom 24.4.2018 - B 1 KR 29/17 R Rn. 25). Wie die verordnende Ärztin Dr. R in ihrem Befundbericht vom 22.08.2018 ausführte, wäre ein tödlicher Verlauf der (hier mit Strophanthin zu behandelnden) Herzinsuffizienz bei der Klägerin ohne Behandlung innerhalb von 2 Jahren und mit Behandlung innerhalb von 5 bis 10 Jahren, d.h. also - unabhängig von der Art der Behandlung - jedenfalls nicht akut innerhalb eines kürzeren Zeitraums zu erwarten. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Notstandssituation liegen damit nicht vor, so dass dahin stehen mag, welche allgemein anerkannten, dem aktuellen medizinischen Standard entsprechenden Behandlungsmethoden hier ggf. zur Verfügung stehen und wie insoweit die von der Klägerin geltend gemachte Therapieresistenz ihrer Erkrankung bzw. die vorgetragene Unverträglichkeit alternativer, unstreitig jedenfalls allgemein bei Herzinsuffizienz zur Verfügung stehender vertragsärztlicher Behandlungsmethoden einzuschätzen ist.

b) Selbst in Kombination mit den übrigen Krankheiten der Klägerin liegt keine lebensbedrohliche Situation im Sinne des § 2 Abs. 1a S. 1 SGB V vor. Vielmehr stehen auch für die weiteren Erkrankungen bisher nicht angewandte Therapieoptionen zur Verfügung.

aa) Anders als das SG meint, wurde allerdings eine Behandlung der Anämie mit Ferrinject i.v. Gabe noch nicht versucht. Diese kann aber nur als Begleittherapie in Betracht kommen. Laut Stellungnahme der Dr. R vom 13.2.2019 befürchtet die Klägerin zudem auch hier Angioödeme als Nebenwirkungen. Torasemid wurde wegen Auslösen eines Tinnitus abgesetzt.

bb) Die Klägerin lehnt auch weiterhin die Behandlung des Vorhofflimmerns mittels Antikoagulation ab (Befundbericht Dr. S1 vom 11.12.2018).

cc) Bezüglich der Herzinsuffizienz hat sich nach dem Befundbericht vom 15.06.2019 des Dr. S1 der Zustand der Klägerin unter der Gabe von Strophanthin sogar zunächst gegenüber Dezember 2018 verschlechtert (neu: Herzinsuffizienz mit EF 37%). Im Übrigen verbesserte sich laut Arztbrief vom 15.06.2019 (Dr. S1) die Pumpleistung des Herzens von 37% auf 49%, die Patientin wird als beschwerdefrei beschrieben. Eine Therapieänderung ist den ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen.

c) Mangels Vorliegens einer lebensbedrohlichen Erkrankung war der Senat daher nicht gehalten, das von der Klägerin angeregte Sachverständigengutachten auf internistisch-kardiologischem Gebiet zu der Behauptung einzuholen, dass die Klägerin sämtliche anderen Medikamente zur Behandlung ihrer Herzerkrankung nicht verträgt bzw. diese wegen entsprechender Nebenwirkungen kontraindiziert sind.

6. Die allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung ist im Falle der Klägerin zudem nicht ausgeschöpft. Der Senat stützt sich insoweit auf die Ausführungen des Dr. S1, der als Standardtherapie (Befundbericht vom 15.03.2019, Bl. 153) die Behandlung mit Betablockern, Mineralocorticoidhemmern, Sartan/ACE-Hemmer/Entresto, angibt, die allerdings "laut der Patientin wegen hypotoner Dysregulation nicht vertragen" würden. Zumindest eine Behandlung mit Entresto wurde aber unstreitig noch nicht versucht. Allerdings wird als gelegentliche Nebenwirkung ein Angioödem beschrieben
(https://www.gelbe-liste.de/nachrichten/entresto-neueinfuehrungnebenwirkung, abgerufen am 1.2.2022). Die Klägerin behauptet, dass bei ihr bereits in anderem Zusammenhang ein Angioödem aufgetreten sei; diese Behauptung findet aber keine Bestätigung in den vorgelegten Befundberichten und ärztlichen Einschätzungen. In einer Stellungnahme vom 13.02.2019 schreibt auch Dr. R lediglich, dass die Klägerin bereits "Erfahrungen mit Angioödemen als Sekundärerkrankung" gemacht habe, ohne dies näher zu bezeichnen.

Wie das SG zutreffend ausführt, ist entgegen dem Vortrag der Klägerin auch nicht plausibel, dass die Klägerin die von Dr. S1 sowie von weiteren Ärzten in der Vergangenheit zur Therapie ihrer Herzerkrankung vertragsärztlich empfohlene Standard-Medikation (u.a. Beta-Blocker und ACE-Hemmer) tatsächlich über einen relevanten Zeitraum verordnet erhalten und nicht vertragen hat. Dass die Klägerin diese Präparate nicht vertragen hat, ist ausschließlich ihren eigenen - nachweislos vorgetragenen - Angaben zu entnehmen. Medizinische Unterlagen zu eingetretenen unerwünschten Nebenwirkungen der ärztlicherseits vorgeschlagenen Therapieoptionen bzw. zu einem ausgebliebenen Therapieerfolg hat sie nicht vorgelegt. Auch Dr. S1 führt in seinem Befundbericht - insoweit im Widerspruch zu den klägerischen Behauptungen im Schriftsatz vom 06.08.2019 - aus, dass eine andere Medikation als die Strophanthinrezeptur nicht von ihm selbst, sondern "von auswärtigen nicht bekannten Ärzten versucht und wegen Nebenwirkungen abgesetzt" worden sei. Auch der behandelnde Kardiologe konnte eine Unverträglichkeit der Leitlinien-Präparate wegen nicht hinnehmbarer Nebenwirkungen bei der Klägerin also nur fremdanamnestisch nach Angaben der Klägerin feststellen. Zudem hat er auf die Frage des Gerichts, ob bei der Behandlung mit dem beantragten Rezeptur-Arzneimittel eine ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht, geantwortet, dass ihm als Schulmediziner g-Strophanthin-8-Hydrat ohne Effekt bekannt ist. Dies entspricht im Ergebnis auch der negativen Beurteilung des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. U in seinem Befundbericht vom 16.08.2018, wenn er auf die gleiche Frage des Gerichts antwortet, dies lasse sich nicht einfach sagen, da auch Plazebos eine Wirkung hätten, weil die Patientin sie positiv beurteile und eine Verweigerung des Rezepturarzneimittels "bei bestehender Fixierung auf die Wirksamkeit" natürlich auch ernste Konsequenzen haben könne.

7. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung aufgrund einer Genehmigungsfiktion. Der Senat nimmt nach sorgfältiger Prüfung eine rechtsmißbräuchliche Umgehung der Regelung nicht an.
Nach § 13 Abs. 3a SGB V Satz 1 hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von 3 Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme, insbesondere des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK - jetzt MD) eingeholt wird, innerhalb von 5 Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der medizinische Dienst nimmt innerhalb von 3 Wochen gutachterlich Stellung (Satz 3). Kann die KK die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6) mit der Folge, dass die KK bei Selbstbeschaffung der erforderlichen Leistung zur Erstattung der Kosten verpflichtet ist (Satz 7).

Vorliegend ist der Antrag der Klägerin am 27.03.2017 bei der Beklagten eingegangen. Die Beklagte lehnte den Antrag ohne Einschaltung des MDK sofort, d.h. am 29.03.2017 ab.
Auffallend ist jedoch, dass die Beklagte nach Einlegung des Widerspruchs durch die Klägerin am 12.04.2017 dennoch den MDK einschaltete, der für die am 29.11.2017 ergangene kurze sozialmedizinische Stellungnahme ca. 7 Monate benötigte. Für den Erlass des Widerspruchsbescheides benötigte die Beklagte ein weiteres halbes Jahr (Widerspruchsbescheid vom 04.07.2018). Für den Senat drängt sich daher die Vermutung auf, dass mit der schnellen ablehnenden Entscheidung am 29.03.2017 ohne Einschaltung des MDK auch die Gefahr einer Genehmigungsfiktion verringert werden sollte. Wenn durch die Beklagte allerdings systematisch der MD nicht bei Antragstellung, sondern erst im Widerspruchsverfahren eingeschaltet würde, käme dies einer rechtlich nicht zulässigen Umgehung der gesetzlichen Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V gleich. Für das Vorliegen eines derart systematischen Handelns der Beklagten sieht der Senat aber vorliegend noch keine Anhaltspunkte, zumal die Klägerin eine fundierte Antragsbegründung erst im Widerspruchsverfahren abgab.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
 
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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