L 7 R 117/22 ZV

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 11 R 215/21 ZV
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 R 117/22 ZV
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Für "Aufspaltungskonstellationen", in denen zum Stichtag am 30. Juni 1990 neben einer durch Eintragung wirksam gewordenen Kapitalgesellschaft der ursprüngliche VEB fortbesteht, gilt für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung kein modifizierter oder erweiterter Prüfmaßstab im Sinne eines hinzukommenden negativen Tatbestandsmerkmal.

Bemerkung

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - betriebliche Voraussetzung - VEB IFA-Motorenwerke Nordhausen - Privatisierung und Spaltung eines volkseigenen Betriebes - maßgeblicher Arbeitgeber in Aufspaltungskonstellationen -

   
   
 

 

      1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 22. Februar 2022 wird zurückgewiesen. Auf die teilweise Antragsrücknahme des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 22. Februar 2022 wie folgt (sowie klarstellend) abgeändert: Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 9. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2021 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, das Vorliegen der Voraussetzungen von § 1 AAÜG, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 2. September 1985 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der fingierten Zusatzversorgung der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
      2. Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten – nach teilweiser Antragsrücknahme des Klägers im Berufungsverfahren nur noch – über die Verpflichtung der Beklagten, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

 

Der 1955 geborene Kläger war vom 1. Januar 1974 bis 30. August 1985 als Kraftfahrzeugschlosser im volkseigenen Betrieb (VEB) Kraftfahrzeuginstandsetzung Y.... (Werk X....) beschäftigt und leistete im Zeitraum vom 3. Mai 1974 bis 31. Oktober 1975 seinen Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) ab. Ihm wurde, nach erfolgreichem Abschluss eines in der Zeit bis Juni 1984 berufsbegleitend absolvierten Fachschulstudiums in der Fachrichtung "Technologie elektronischer Bauelemente" an der Ingenieurschule für Elektrotechnik und Keramik W...., mit Zeugnis vom 14. Juni 1984 das Recht verliehen, die Berufsbezeichnung "Ingenieur für Technologie elektronischer Bauelemente" zu führen. Er war vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990 (sowie darüber hinaus) als Ingenieur für Elektroinstandhaltung im VEB Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) beschäftigt. Er erhielt keine Versorgungszusage und war zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nicht in ein Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) einbezogen.

 

Am 19. März 2020 (Eingang bei der Beklagten am 20. März 2020) beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften für den Beschäftigungszeitraum von Juni 1984 bis Juni 1990 und legte dabei unter anderem Arbeitsvertragsunterlagen, Ausweise für Arbeit und Sozialversicherung, Lohnscheine für den Zeitraum von Dezember 1989 bis Juni 1990, September 1990 und Dezember 1990 sowie die Kontrollkarten und das Beitragsmarkenbuch über Mitgliedsbeiträge zum Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) vor.

 

Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Februar 2021 ab und führte zur Begründung aus: Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG sei nicht entstanden. Weder habe eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch sei am 30. Juni 1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt worden, die – aus bundesrechtlicher Sicht – dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen sei. Das AAÜG sei nicht anwendbar. Die betriebliche Voraussetzung sei am 30. Juni 1990 nicht erfüllt gewesen, denn am 30. Juni 1990 habe sowohl eine GmbH als auch ein VEB bestanden. Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass sein Arbeitsverhältnis am 30. Juni 1990 zum VEB noch Bestand gehabt habe. Die Nichtbeendigung dieses Arbeitsverhältnisses sei aber nachzuweisen.

 

Den hiergegen am 15. Februar 2021 eingelegten Widerspruch des Klägers, mit dem dieser nunmehr die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften für den Beschäftigungszeitraum von Juni 1984 bis September 1990 begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2021 als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus: Der Kläger sei weder Inhaber einer tatsächlichen noch einer fingierten Zusatzversorgungsanwartschaft. Eine fingierte Zusatzversorgungsanwartschaft habe nicht bestanden, weil am 30. Juni 1990 die betriebliche Voraussetzung nicht vorgelegen habe. Der Kläger habe in Anbetracht der Koexistenz von zwei rechtlich möglichen Arbeitgebern nicht mit Unterlagen belegt, dass er am 30. Juni 1990 beim VEB IFA-Motorenwerke X.... beschäftigt gewesen sei. Nach den allgemeinen Beweisregeln obliege es ihm, zu beweisen, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem VEB IFA-Motorenwerke X.... am Stichtag nicht beendet gewesen sei.

 

Hiergegen erhob der Kläger am 23. April 2021 Klage zum Sozialgericht Leipzig und begehrte weiterhin die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften für den Beschäftigungszeitraum von Juni 1984 bis September 1990 im Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz. Zur Begründung führte er aus: Arbeitgeber des Klägers am 30. Juni 1990 sei der bisherige VEB IFA-Motorenwerke X.... und nicht die IFA-Motorenwerke X.... GmbH gewesen. Dies ergebe sich aus dem entsprechenden Stempel-eintrag des VEB am 30. Juni 1990 im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung sowie aus den entsprechenden Gehaltsmitteilungen und Lohnzetteln. Außerdem habe der Kläger dies eidesstattlich versichert.

 

Mit Urteil vom 22. Februar 2022 hat das Sozialgericht Leipzig den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2021 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger den Zeitraum von Juni 1984 bis September 1990 als Zeiten der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zutreffend vorgetragen, dass ein Anspruch des Klägers auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz im beantragten Zeitraum nach den Vorschriften des AAÜG bestehe. Zur weiteren Begründung hat es auf die Klagebegründung und die vom Kläger bereits im Widerspruchsverfahren eingereichten Unterlagen verwiesen.

 

Gegen das am 3. März 2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. März 2022 Berufung eingelegt, mit der sie ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie aus: Das Sozialgericht verletze mit seiner Entscheidung, dem Kläger für den Zeitraum von Juni 1984 bis September 1990 fiktive Zusatzversorgungszeiten zuzusprechen, die Vorschriften der §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 1 AAÜG. Das angefochtene Urteil sei bereits deswegen fehlerhaft, weil es die Beklagte zur Feststellung von Zusatzversorgungszeiten für einen Beschäftigungszeitraum verpflichte, der nach dem 30. Juni 1990 liege. Das sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ausgeschlossen und deshalb rechtlich unhaltbar. Die Beklagte vermisse ferner jegliche Auseinandersetzung des Sozialgerichts mit den von ihr für ihre Rechtsansicht im Verwaltungs- und Klageverfahren vorgetragenen Argumenten in den Urteilsgründen. Die Voraussetzungen des § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hätten nicht vorgelegen. Das Urteil genüge in seiner Begründung nicht den Anforderungen aus § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG. Das Sozialgericht habe seinen rechtlichen Prüfmaßstab nicht offengelegt. Zur weiteren Berufungsbegründung verwies die Beklagte auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 19. April 2021 sowie auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und erklärte diese zum Gegenstand ihrer Berufungsbegründung.

 

Nach gerichtlichem Hinweis mit Schreiben vom 1. Juli 2022 änderte der Kläger mit Schriftsatz vom 26. Juli 2022 seinen Antrag auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften dahingehend ab, dass er (lediglich) die Feststellung der Zeiten im Zeitraum vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz (fiktive Zeiten) begehrt.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 22. Februar 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

          die Berufung zurückzuweisen, soweit er seinen Überführungsantrag nicht zurückgenommen hat.

 

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Der Senat hat Arbeitsvertragsunterlagen vom Kläger angefordert, betriebliche Unterlagen von der Beklagten beigezogen und eine Auskunft aus dem Bundesarchiv vom 12. Juli 2022 eingeholt.

 

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

 

I.

Die statthafte und zulässige Berufung der Beklagten ist – nach der im Berufungsverfahren vom Kläger mit Schriftsatz vom 26. Juli 2022 erklärten teilweisen Rücknahme des Überführungsantrages vom 19. März 2020 – unbegründet, weil das Sozialgericht Leipzig der Klage im Ergebnis zu Recht mit Urteil vom 22. Februar 2022 – den nur noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990 betreffend – stattgegeben hat. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 9. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2021 (§ 95 SGG) ist – den nur noch streitgegenständlichen Zeitraum vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990 betreffend – rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Denn der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte, die Anwendbarkeit von § 1 AAÜG, die von ihm geltend gemachten Beschäftigungszeiten vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) sowie die in diesen Zeiträumen tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte feststellt, weil er am 30. Juni 1990 diesem Zusatzversorgungssystem fiktiv zugehörig war.

 

Zutreffend führt die Beklagte zwar aus, dass das Urteil des Sozialgerichts Leipzig unter formalen Mängeln leidet. Denn weder ermöglicht § 136 Abs. 3 SGG einen – Entscheidungsgründe ersetzenden – Verweis auf eine Klagebegründung oder auf bereits im Widerspruchsverfahren eingereichte Unterlagen. Noch setzt es sich tiefergehend mit den Behauptungen der Beklagten auseinander. Eine Verletzung der Begründungspflicht nach § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG ergibt sich allerdings nicht daraus, dass die Ausführungen des Sozialgerichts – wie vorliegend – oberflächlich sind (vgl. dazu beispielsweise: BSG, Beschluss vom 26. Mai 2011 - B 11 AL 145/10 B - JURIS-Dokument, RdNr. 3). § 128 Abs. 1 Satz 2 SGG konkretisiert zwar die Vorschrift des § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG und regelt den Umfang des in der Entscheidung zu erörternden Streitstoffs, wobei es von den Umständen des Einzelfalls abhängt, inwieweit ein Gericht seine Rechtsauffassung in den einzelnen Abschnitten seiner Entscheidung begründen muss. Eine Verpflichtung des Tatsachengerichts, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, besteht allerdings nicht (vgl. auch dazu beispielsweise: BSG, Beschluss vom 26. Mai 2011 - B 11 AL 145/10 B - JURIS-Dokument, RdNr. 3). Im konkreten Fall ist dabei zu berücksichtigen, dass die einzige, zur Antragsablehnung führende, Argumentation der Beklagten sich allein darauf bezieht, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem VEB IFA-Motorenwerke X.... am Stichtag (30. Juni 1990) nicht beendet gewesen sei, obwohl der Kläger durch Tatsachenvortrag und Beweismittel belegt hatte, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem VEB IFA-Motorenwerke X.... auch am Stichtag (30. Juni 1990) noch Bestand hatte. Vor diesem konkreten Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn das Sozialgericht Leipzig diesem Einwand der Beklagten nicht mit einer ausführlichen Begründung nachging, weil die Beklagte einzig den Beweis eines Nichtgeschehens bzw. von nicht eingetretenen Tatsachen verlangt. Eine Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Leipzig wegen eines sog. "Nichturteils" kommt damit vorliegend jedenfalls nicht in Betracht.

 

Anspruchsgrundlage für die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, sind §§ 1 und 5 AAÜG. Die vom Kläger geltend gemachten Beschäftigungszeiten vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990 können dem Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz (Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) zugeordnet werden, weil zwar keine tatsächliche, aber eine fingierte Versorgungsanwartschaft bestand.

 

In dem Verfahren nach § 8 AAÜG, das einem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) ähnlich und außerhalb des Rentenverfahrens durchzuführen ist (vgl. dazu stellvertretend: BSG, Urteil vom 18. Juli 1996 - 4 RA 7/95 - SozR 3-8570 § 8 Nr. 2), ist die Beklagte nur dann zu den vom Kläger begehrten Feststellungen verpflichtet, wenn dieser dem persönlichen Anwendungsbereich des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes nach § 1 Abs. 1 AAÜG unterfällt. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist in einem weiteren Schritt festzustellen, ob er Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, die einem Zusatzversorgungssystem, hier der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG), zuzuordnen sind (§ 5 AAÜG).

 

Dies ist vorliegend der Fall, weil der Kläger am 30. Juni 1990 zwar nicht tatsächlich, aber fingiert in das Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben einbezogen und damit versorgungsberechtigt war.

 

Der Kläger war bei Inkrafttreten des AAÜG am 1. August 1991 nicht Inhaber einer erworbenen Versorgungsberechtigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Einen "Anspruch" auf Versorgung (= Vollrecht) besaß er zu diesem Zeitpunkt nicht, weil schon kein "Versorgungsfall" (Alter, Invalidität) eingetreten war.

 

Er war zu diesem Zeitpunkt auch nicht Inhaber einer bestehenden Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Dies hätte vorausgesetzt, dass er in das Versorgungssystem einbezogen gewesen wäre. Eine solche Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz konnte durch eine Versorgungszusage in Form eines nach Art. 19 Satz 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990 (BGBl. II 1990, S. 889, berichtigt S. 1239) bindend gebliebenen Verwaltungsaktes, durch eine Rehabilitierungsentscheidung auf der Grundlage von Art. 17 des Einigungsvertrages oder durch eine Einzelentscheidung, zum Beispiel auf Grund eines Einzelvertrages (vgl. § 1 Abs. 3 der "Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben" vom 24. Mai 1951 [DDR-GBl. 1951, Nr. 62, S. 487]), erfolgen. Keine dieser Voraussetzungen ist vorliegend erfüllt.

 

Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt. Der Kläger war zu keinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem einbezogen und vor Eintritt des Leistungsfalls ausgeschieden (Fall einer gesetzlich fingierten Versorgungsanwartschaft).

 

Der Kläger war am 1. August 1991 (Inkrafttreten des AAÜG) allerdings Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft im Sinne der vom BSG in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2 S. 14; BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 3 S. 20; BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 10/02 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 5 S. 33; BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 6 S. 40; BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 3/02 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 7 S. 60; BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 18/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 8 S. 74; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 6/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 22-36; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 9/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 15-31; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 10/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 15-31; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 17/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 15-31), weil er am 30. Juni 1990 einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte.

 

Danach ist bei Personen, die am 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem nicht einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht auf Grund originären Bundesrechts einbezogen wurden, zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten. Ein solcher fiktiver Anspruch hängt im Bereich der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz gemäß § 1 der "Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben" (nachfolgend: VO-AVItech) vom 17. August 1950 (DDR-GBl. 1950, Nr. 93, S. 844) und der "Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben" (nachfolgend: 2. DB) vom 24. Mai 1951 (DDR-GBl. 1951, Nr. 62, S. 487) von drei (kumulativen) Voraussetzungen ab, nämlich von

  1. der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), und
  2. der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar
  3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens im Sinne von § 1 Abs. 1 der 2. DB oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Maßgeblich ist hierbei das Sprachverständnis der DDR am 2. Oktober 1990 (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 13; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 6/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 37; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 9/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 32; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 10/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 32; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 17/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 32).

 

Nur wenn eine solche fingierte Zusatzversorgungsanwartschaft am 30. Juni 1990 bestanden hat, kann und darf weiter geprüft werden, welche konkreten Zeiträume unter diese Zusatzversorgungsanwartschaft fallen.

 

Ausgehend hiervon war der Kläger Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft, weil er am 30. Juni 1990 versorgungsberechtigt war. Zu diesem Zeitpunkt war er nämlich im VEB IFA-Motorenwerke X.... beschäftigt (dazu nachfolgend unter 1.). Dieser Betrieb war ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie (dazu nachfolgend unter 2.). Der Kläger erfüllte zudem auch die persönliche und sachliche Voraussetzung einer fingierten Zusatzversorgungsanwartschaft (dazu nachfolgend unter 3.). Die fingierte Zusatzversorgungsanwartschaft des Klägers erstreckt sich auf den gesamten, im Berufungsverfahren nur noch streitgegenständlichen Beschäftigungszeitraum vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990 (dazu nachfolgend unter 4.).

 

1.

Beschäftigungsbetrieb des Klägers am 30. Juni 1990, und damit Arbeitgeber des Klägers im rechtlichen Sinn – worauf es nach der ständigen Rechtsprechung des BSG allein ankommt (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 20/03 R - SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 2 S. 6, S. 13; BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 49/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 21; BSG, Urteil vom 16. März 2006 - B 4 RA 30/05 R - JURIS-Dokument, RdNr. 28; BSG, Urteil vom 7. September 2006 - B 4 RA 39/05 R - JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 7. September 2006 - B 4 RA 41/05 R - JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 6/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 37; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 9/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 32; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 10/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 32; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 17/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 32; BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 5 RS 27/12 R - JURIS-Dokument, RdNr. 17; BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 - B 5 RS 1/16 R - JURIS-Dokument, RdNr. 13) – war ausschließlich der VEB IFA-Motorenwerke X..... Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

 

Der Kläger hatte am 2. September 1985 mit dem VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) einen rechtsgültigen Arbeitsvertrag nach §§ 38 Abs. 1, 40 Abs. 1 Satz 1, 41 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsgesetzbuches der DDR (nachfolgend: DDR-AGB) vom 16. Juni 1977 (DDR-GBl. I 1977, Nr. 18, S. 185) mit Wirkung ab 2. September 1985 abgeschlossen. In dem bestehenden Arbeitsverhältnis wurden am 20. August 1986 und am 21. Juli 1987 rechtsgültige Änderungsverträge nach § 49 Abs. 1 Satz 1 DDR-AGB mit Wirkung ab 1. August 1986 und ab 1. Juli 1987 (im Hinblick auf Lohn- bzw. Gehaltsveränderungen) vereinbart. Beendigungs- bzw. Auflösungstatbestände in Form von fristgemäßen oder fristlosen Kündigungen (§§ 54, 56 DDR-AGB) oder Aufhebungs- oder Überleitungsverträgen (§ 51 Abs. 1 DDR-AGB) bis zum 30. Juni 1990 sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Ein Betriebsübergang des Arbeitsverhältnisses des Klägers bis zum 30. Juni 1990 kommt aus Rechtsgründen nicht in Betracht, weil die inhaltlich § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entsprechende Regelung des § 59a DDR-AGB gemäß § 3 Abs. 1 des "Gesetz[es] zur Änderung und Ergänzung des Arbeitsgesetzbuches der DDR" (nachfolgend: DDR-AGB-ÄuEG) vom 22. Juni 1990 (DDR-GBl. I 1990, Nr. 35, S. 371) erst zum 1. Juli 1990 in Kraft getreten ist (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 - B 5 RS 1/16 R - SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 21, RdNr. 28 = JURIS-Dokument, RdNr. 28).

 

Diese tatsächlichen Fakten zu Grunde legend, ist der Senat davon überzeugt, dass Arbeitgeber des Klägers am 30. Juni 1990 der VEB IFA-Motorenwerke X.... war, weil er zu diesem in einem rechtsgültigen, nicht aufgelösten Arbeitsrechtsverhältnis stand.

 

Zutreffend hat der Kläger im Übrigen – zur Beantwortung der entscheidenden Frage (vgl. dazu ausdrücklich: BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 - B 5 RS 1/16 R - SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 21, RdNr. 28 = JURIS-Dokument, RdNr. 28), ob sein Arbeitsverhältnis beim VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) am 30. Juni 1990 nach dem zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Arbeitsrecht der DDR aufgelöst war – auf verschiedene Umstände hingewiesen, die belegen, dass das am 2. September 1985 begründete Arbeitsrechtsverhältnis auch am 30. Juni 1990 noch Bestand hatte:

 

Zum einen ergibt sich aus den Eintragungen im Ausweis des Klägers für Arbeit und Sozialversicherung, dass er am 30. Juni 1990 beim VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) tatsächlich beschäftigt war. Denn in diesem ist das Ende eines Arbeitsrechts- und Sozialversicherungsverhältnisses des Klägers am 30. Juni 1990 als Ingenieur für Elektroinstandhaltung ausdrücklich vom VEB IFA-Motorenwerke X.... quittiert, bestätigt und "abgestempelt" worden. Nach § 70 Abs. 1 DDR-AGB in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Nr. 8 der "Ersten Durchführungsbestimmung zur Verordnung zur Verbesserung der Arbeitskräftelenkung und Berufsberatung – Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung –" vom 4. Juli 1962 (DDR-GBl. II Nr. 50 S. 432) hatten nur die Betriebe, in denen die ausweispflichtigen Bürger beschäftigt waren (und keine anderen Betriebe, also auch nicht die Betriebe, in denen die ausweispflichtigen Bürger nicht bzw. später beschäftigt waren), unter anderem das Ende des (jeweiligen) Arbeitsrechtsverhältnisses einzutragen.

 

Zum anderen ergibt sich aus dem vom Kläger für den Monat Juni 1990 vorgelegten Lohnschein ("Brutto-/Nettolohnnachweis") vom 11. Juli 1990, dass der aus dem bestehenden Arbeitsrechtsverhältnis geschuldete Lohn explizit vom Arbeitgeber namens VEB IFA-Motorenwerke X.... gezahlt wurde.

 

Bei diesen nachgewiesenen Tatsachen handelt es sich – entgegen der Ansicht der Beklagten – auch um echte Nachweise, weil das Arbeitsrechtsverhältnis des Klägers nicht durch einen Delegierungsvertrag geprägt war. Nur bei einem Delegierungsvertrag fallen der tatsächliche Beschäftigungsbetrieb (also der Betrieb, in den der Arbeitnehmer delegiert wird = sog. Einsatzbetrieb), der auch die Eintragungen im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung vornimmt, und der Arbeitgeber im Rechtssinne (also der delegierende Betrieb) auseinander (vgl. zu derartigen Konstellationen ausführlich: Sächsisches LSG, Urteil vom 10. Mai 2016 - L 5 RS 455/15 - JURIS-Dokument, RdNr. 20-30).

 

Dem Senat ist zudem unerklärlich, welchen weiteren "Beweis" der Kläger führen soll. Soweit die Beklagte wiederholt darauf hinweist, der Kläger habe nicht bewiesen, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem VEB IFA-Motorenwerke X.... am Stichtag (30. Juni 1990) nicht beendet gewesen sei, verkennt sie, dass ihre Forderung auf den Beweis eines Nichtgeschehens bzw. einer nicht eingetretenen Tatsache, also auf einen sog. Negativbeweis hinausläuft. Die Führung eines Negativbeweises erlegt die Rechtsordnung einem Anspruchsteller jedoch nur in Ausnahmefällen auf, nämlich dann, wenn Tatbestandsmerkmal einer anspruchsbegründenden Norm das Nichtvorhandensein tatsächlicher, meist subjektiver, Umstände ist (vgl. dazu: Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 13. Dezember 1984 - III ZR 20/83 - JURIS-Dokument, RdNr. 18). In diese Richtung ist das Tatbestandsmerkmal der betrieblichen Voraussetzung einer fingierten Zusatzversorgungsanwartschaft aber nicht ausgestaltet. Die Beklagte erlegt damit dem Kläger vorliegend Unmögliches auf, was ihm von der Rechtsordnung gerade nicht abverlangt wird. Davon abgesehen erschließt sich dem Senat auch nicht, wie ein nicht eingetretener Umstand mit Nachweisen belegt werden soll. Die Beklagte macht geltend, der Kläger habe nachzuweisen, dass es keine das Arbeitsrechtsverhältnis beendenden Aktionen gegeben habe, die Nichtbeendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem VEB IFA-Motorenwerke X.... sei zu belegen. In welcher Art und Weise dies gelingen könnte, teilt die Beklagte allerdings nicht mit. Tatsächlich kann sich ein Nachweis jeweils nur auf wahrnehmbare Umstände sowie tatsächliche Gegebenheiten beziehen. Aus Geschehnissen und Fakten und aus der Betrachtung der Gesamtumstände kann sodann gegebenenfalls auf das Nichtvorliegen entgegenstehender Umstände (lediglich) geschlossen werden.

 

Soweit die Beklagte – wie sie zwar vorliegend nicht ausdrücklich vorgetragen hat, was sich dem Senat jedoch unter Heranziehung analoger Fallkonstellationen, die von anderen Gerichten (soweit sie veröffentlich wurden) bereits entschieden worden sind, als naheliegend aufdrängt – meinen sollte, das BSG habe in seiner Entscheidung vom 7. Dezember 2017 im Verfahren B 5 RS 1/16 R für Aufspaltungskonstellationen den Prüfmaßstab für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung um ein weiteres anspruchsbegründendes negatives Tatbestandsmerkmal erweitert, indem es die negative Wendung benutzt habe, es dürfe "kein Beendigungstatbestand" nach dem DDR-AGB vorliegen (so der Sachvortrag der Beklagten im Verfahren: SG Altenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 - S 18 R 1655/19 - JURIS-Dokument, RdNr. 19), vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Der Senat sieht – im Gegensatz zur Beklagten und in Übereinstimmung mit dem SG Altenburg – in diesen Ausführungen des BSG keine Erweiterung des Prüfungsmaßstabes für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung um ein negatives Tatbestandsmerkmal in den speziellen "Aufspaltungskonstellationen" (so bereits zutreffend: SG Altenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 - S 18 R 1655/19 - JURIS-Dokument, RdNr. 65). Denn allein aus der vom BSG benutzten Wendung "entscheidend ist folglich, ob das Arbeitsverhältnis (…) aufgelöst war", lässt sich eine solche Schlussfolgerung nicht ableiten. Diese Wortwahl muss vielmehr in dem Kontext gesehen werden, dass die dortige Vorinstanz (Bayerisches LSG, Urteil vom 3. Juni 2016 - L 1 RS 3/13 - JURIS-Dokument, RdNr. 74 ff.) eine fortbestehende Arbeitgebereigenschaft des "Rest-VEB" nach Teilabspaltung aus den vom BSG nicht für tragfähig erachteten Gründen verneint hatte. Das Bayerische LSG hätte trotzdem zu demselben Ergebnis kommen können, sofern die Arbeitgebereigenschaft des "Rest-VEB" aus anderen Gründen bereits vor dem 30. Juni 1990 entfallen wäre, namentlich aufgrund von individual-arbeitsrechtlichen Vereinbarungen. Da es hierzu noch keine Aussagen getroffen hatte, ist ihm vom BSG aufgegeben worden (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 - B 5 RS 1/16 R - SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 21, RdNr. 28 = JURIS-Dokument, RdNr. 28), entsprechende Feststellungen nachzuholen (so bereits zutreffend: SG Altenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 - S 18 R 1655/19 - JURIS-Dokument, RdNr. 66). Eine negative Tatbestandsvoraussetzung wird durch das Erfordernis einer "Nichtbeendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem VEB" auch schon deshalb nicht begründet, weil es sich dabei lediglich um die negative Fassung der gleichbedeutenden positiven Wendung für die betriebliche Voraussetzung "bei einem volkseigenen Produktions- oder gleichgestellten Betrieb beschäftigt" handelt (so bereits zutreffend: SG Altenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 - S 18 R 1655/19 - JURIS-Dokument, RdNr. 73). Durch den Ausschluss von Beendigungstatbeständen vor dem 30. Juni 1990 wird die positive Form lediglich erläutert und nicht ersetzt (vgl. insoweit entsprechend zur Verneinung einer negativen Tatbestandsvoraussetzung für die sachliche Voraussetzung: BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 RS 7/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 26).

 

Der VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) war am 30. Juni 1990 auch noch im Rechtssinn existent und noch nicht in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt. Dies ergibt sich aus den beigezogenen Betriebsunterlagen:

 

Zwar war die Umwandlung des VEB in (eine) Kapitalgesellschaft auf der Grundlage der "Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften" (nachfolgend: Umwandlungsverordnung) vom 1. März 1990 (DDR-GBl. 1990 I, Nr. 14, S. 107) vor dem 30. Juni 1990 eingeleitet, allerdings noch nicht (vollständig) vollzogen. Ausweislich der Umwandlungserklärung vom 27. Juni 1990 sollte der VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) in drei Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) umgewandelt werden, und zwar in die Firmen

  • IFA-Motorenwerke X.... GmbH
  • V.... Fahrrad GmbH und
  • X.... Ventil GmbH.

Die Gesellschaftsverträge für die IFA-Motorenwerke X.... GmbH und die X.... Ventil GmbH wurden jeweils am 27. Juni 1990 geschlossen; und beide Gesellschaften wurden jeweils am 29. Juni 1990 ins Handelsregister eingetragen, sodass die Umwandlungen dieser (Teil-)Gesellschaften vor dem 30. Juni 1990 abgeschlossen war. Die V.... Fahrrad GmbH (bzw. die Fahrrad GmbH V....), deren Gesellschaftsvertrag erst am 17. Juli 1990 geschlossen wurde, wurde jedoch erst am 23. Juli 1990 ins Handelsregister eingetragen. Damit war die (vollständige) Umwandlung des VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) am 30. Juni 1990 noch nicht vollendet / beendet, unabhängig davon, dass diese konkrete Umwandlung nach der Umwandlungsverordnung wegen der Spaltung ein und derselben Wirtschaftseinheit in mehrere Kapitalgesellschaften (ohnehin schwebend) unwirksam war (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 - B 5 RS 1/16 R - SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 21, RdNr. 14 = JURIS-Dokument, RdNr. 14). Damit war der VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) am 30. Juni 1990 noch nicht (vollständig) untergegangen und konnte noch Arbeitgeber im rechtlichen Sinn sein. Denn die zwingenden in § 7 der Umwandlungsverordnung vorgesehenen Rechtsfolgen, wonach:

  1. die Umwandlung mit der Eintragung der GmbH (bzw. der AG) in das Register wirksam wurde (§ 7 Satz 1 der Umwandlungsverordnung),
  2. die GmbH (bzw. die AG) mit der Eintragung Rechtsnachfolger des umgewandelten Betriebes wurde (§ 7 Satz 2 der Umwandungsverordnung),
  3. der vor der Umwandlung bestehende Betrieb (VEB) damit erloschen war (§ 7 Satz 3 der Umwandlungsverordnung) und
  4. das Erlöschen des Betriebes von Amts wegen in das Register der volkseigenen Wirtschaft einzutragen war (§ 7 Satz 4 der Umwandlungsverordnung),

waren am 30. Juni 1990 noch nicht (vollständig) eingetreten.

 

Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der "überholenden DDR-Gesetzgebung". Der VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) wurde zwar nicht erst nach der Umwandlungsverordnung mit Eintragung auch der (unwirksam abgespaltenen) V.... Fahrrad GmbH (bzw. der Fahrrad GmbH V....) am 23. Juli 1990 ins Handelsregister zur Kapitalgesellschaft, sondern kraft Gesetzes gemäß §§ 24 Abs. 2, 11 Abs. 2 des "Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)" vom 17. Juni 1990 (DDR-GBl. 1990 I, Nr. 33, S 300). Aber diese auf der Grundlage der Umwandlungsverordnung eingeleitete Umwandlung, die durch das Treuhandgesetz kraft Gesetzes überholt wurde, sodass die spätere Registereintragung der aus der Umwandlung entstandenen Kapitalgesellschaft im Aufbau keine konstitutive, sondern nur noch deklaratorische Bedeutung hatte (vgl. dazu ausdrücklich: BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 6/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 41; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 9/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 36; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 10/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 36), vollzog sich erst mit Inkrafttreten des Treuhandgesetzes am 1. Juli 1990.

 

2.

Beim Beschäftigungsbetrieb des Klägers im rechtlichen Sinne am 30. Juni 1990, also dem VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge), handelte es sich auch um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie im Sinne der Rechtsprechung des BSG.

 

Dem Geltungsbereich der VO-AVItech und der 2. DB unterfallen nur die Produktionsbetriebe (der Industrie und des Bauwesens), deren Hauptzweck (bzw. Schwerpunkt) auf die industrielle (serienmäßig wiederkehrende) Fertigung, Herstellung, Anfertigung, Fabrikation bzw. Produktion von Sachgütern oder die massenhafte Errichtung von baulichen Anlagen ausgerichtet war (vgl. exemplarisch: BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 14/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 28; BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 44/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 17; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 8/04 R - JURIS-Dokument, RdNr. 20; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 11/04 R - JURIS-Dokument, RdNr. 18; BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 3/06 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 1/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 7/10 R - JURIS-Dokument, RdNr. 27). Der versorgungsrechtlich maßgebliche Betriebstyp ist neben den Merkmalen "Betrieb" und "volkseigen" maßgeblich durch das weitere Merkmal "Produktion (Industrie/Bauwesen)" gekennzeichnet. Zwar sprechen die Überschrift der Versorgungsordnung, ihr Vorspann ("Präambel") und ihr § 1 und ebenso § 1 Abs. 1 der 2. DB nur vom "volkseigenen Betrieb". Nach diesem Teil des Wortlauts wären alle Betriebe, die auf der Basis von Volkseigentum arbeiteten, erfasst worden. Der in § 1 Abs. 2 der 2. DB verwendete Ausdruck "Produktionsbetrieb" macht jedoch deutlich, dass die Zusatzversorgung der technischen Intelligenz nicht in jedem volkseigenen Betrieb galt. Weil dort Betriebe und Einrichtungen aufgelistet wurden, die einem "Produktionsbetrieb" gleichgestellt wurden, wird klar, dass die Versorgungsordnung und auch § 1 Abs. 1 der 2. DB nur (volkseigene) Produktionsbetriebe erfasste. Dies wird durch § 1 der 1. DB vom 26. September 1950 (DDR-GBl. 1950, Nr. 111, S. 1043) bestätigt, nach dem nur bestimmte Berufsgruppen der technischen Intelligenz, die gerade in einem "Produktionsbetrieb" verantwortlich tätig waren, generell in den Kreis der Versorgungsberechtigten einbezogen werden sollten (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 6, S. 43 f.). Dass es dabei auf Produktionsbetriebe nur der "Industrie" und des "Bauwesens" ankommt, ergibt sich mit Blick auf die Produktionsbetriebe der Industrie u.a. schon aus der Einbeziehung des Ministeriums für Industrie in § 5 VO-AVItech und für die Produktionsbetriebe des Bauwesens aus der sprachlichen und sachlichen Gegenüberstellung von "Produktionsbetrieben der Industrie und des Bauwesens" einerseits und allen anderen "volkseigenen Betrieben" andererseits, welche die DDR spätestens ab den 1960er-Jahren und jedenfalls am 30. Juni 1990 in ihren einschlägigen Gesetzestexten vorgenommen hat. Hierauf weisen § 2 der "Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB" vom 28. März 1973 (DDR-GBl. 1973 I, Nr. 15, S. 129) sowie § 41 Abs. 1 1. Spiegelstrich in Verbindung mit § 41 Abs. 2 der "Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe" vom 8. November 1979 (DDR-GBl. 1979 I, Nr. 38, S. 355) hin, welche die Kombinate, Kombinatsbetriebe und die übrigen volkseigenen Betriebe in der Industrie und im Bauwesen denen aus anderen Bereichen der Volkswirtschaft (z.B. im Handel, auf dem Gebiet der Dienstleistungen, in der Landwirtschaft) gegenüberstellen.

 

Ein volkseigener Produktionsbetrieb der Industrie liegt nur vor, wenn der von ihm verfolgte Hauptzweck auf die industrielle, massenhafte Fertigung, Fabrikation, Herstellung beziehungsweise Produktion (fordistisches Produktionsmodell) von Sachgütern ausgerichtet war (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 6 S. 35, S. 46 und S. 47; BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 3/06 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23). Es muss sich also um einen "Produktionsdurchführungsbetrieb" gehandelt haben, der sein maßgebliches Gepräge durch die unmittelbare industrielle Massenproduktion von Sachgütern erhalten hat (vgl. dazu explizit: BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 1/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 20; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 7/10 R - JURIS-Dokument, RdNr. 24; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 4/10 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25; BSG, Urteil vom 28. September 2011 - B 5 RS 8/10 R - JURIS-Dokument, RdNr. 19; BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 RS 8/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 21; BSG, Urteil vom 9. Oktober 2012 - B 5 RS 5/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 21; BSG, Urteil vom 9. Oktober 2012 - B 5 RS 5/12 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 5 RS 3/12 R - JURIS-Dokument, RdNr. 24).

 

Ein volkseigener Produktionsbetrieb des Bauwesens liegt nur vor, wenn ihm die Bauproduktion, mithin die unmittelbare industrielle Ausführung von Bautätigkeiten das Gepräge gegeben hat (BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 - B 4 RA 57/03 R - SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 3 S. 16).

 

Industrie und Bauwesen waren in der DDR die "führenden" Produktionsbereiche (vgl. BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 40). Erforderlich zur Erfüllung der betrieblichen Voraussetzung ist daher, dass die unmittelbare Eigenproduktion dem Betrieb das Gepräge verliehen hat (BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 44/03 R - JURIS-Dokument RdNr. 18; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 11/04 R - JURIS-Dokument RdNr. 18 f.), wobei es sich um Massenproduktion im Sinne von massenhaftem Ausstoß standardisierter Produkte, die hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft ermöglichen sollten, gehandelt haben muss (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 6 S. 35, S. 46; BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 - B 4 RA 57/03 R - SozR 4-8570 § 1 AAÜG Nr. 3 S. 16; BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 3/06 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 1/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 7/10 R - JURIS-Dokument, RdNr. 27).

 

Nach der VO-AVItech sollte nur die technische Intelligenz in solchen Betrieben privilegiert werden, die durch wissenschaftliche Forschungsarbeit und die Erfüllung technischer Aufgaben in den produzierenden Betrieben einen "schnelleren, planmäßigen Aufbau" der DDR ermöglichen sollten (vgl. Präambel zur VO-AVItech). Dem lag das so genannte fordistische Produktionsmodell zu Grunde, das auf stark standardisierter Massenproduktion und Konstruktion von Gütern mit Hilfe hoch spezialisierter, monofunktionaler Maschinen basierte (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 3/06 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23). Denn der Massenausstoß standardisierter Produkte sollte hohe Produktionsgewinne nach den Bedingungen der Planwirtschaft ermöglichen (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 S. 35, S. 46 f.; BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 3/06 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23).

 

Betriebe hingegen, die schwerpunktmäßig Dienstleistungen für die Produktion anderer Betriebe und damit unabdingbare Vorbereitungs- oder Begleitarbeiten für den Produktionsprozess erbrachten, erhalten dadurch nicht den Charakter eines Produktionsbetriebes und erfüllen nicht die betriebliche Voraussetzung (so explizit für Projektierungsbetriebe: BSG, Urteil vom 28. September 2011 - B 5 RS 8/10 R - JURIS-Dokument, RdNr. 19; so explizit für Rationalisierungsbetriebe: BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 8/04 R - JURIS-Dokument, RdNr. 20; BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 3/06 R - JURIS-Dokument, RdNr. 22; so explizit für Dienstleistungsbetriebe allgemein: BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 11/04 R - JURIS-Dokument RdNr. 18; BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 44/03 R - JURIS-Dokument RdNr. 17; BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 14/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 28). Maßgebend ist hierbei auf den Hauptzweck abzustellen. Die genannte Produktion muss dem Betrieb das Gepräge gegeben haben, also überwiegend und vorherrschend gewesen sein (BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 10/02 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 5, S. 29, S. 35; BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 14/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 28; BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 44/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 17; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 8/04 R - JURIS-Dokument, RdNr. 20; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 11/04 R - JURIS-Dokument, RdNr. 18). Der Hauptzweck wird dabei nicht durch die Art der Hilfsgeschäfte und Hilfstätigkeiten geändert oder beeinflusst, die zu seiner Verwirklichung zwangsläufig mit ausgeführt werden müssen oder daneben verrichtet werden (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 14/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 28). Besteht das Produkt nach dem Hauptzweck (Schwerpunkt) des Betriebes in einer Dienstleistung, so führen auch produkttechnische Aufgaben, die zwangsläufig, aber allenfalls nach- bzw. nebengeordnet anfallen, nicht dazu, dass ein Produktionsbetrieb vorliegt (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 14/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 28; BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 44/03 R - JURIS-Dokument, RdNr. 17; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 8/04 R - JURIS-Dokument, RdNr. 20; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 11/04 R - JURIS-Dokument, RdNr. 18).

 

Im Übrigen ist Kennzeichen der massenhaften Produktionsdurchführung, dass es sich um maschinelle, automatisiert hergestellte, fließbandartige Standardware handelt. Denn der versorgungsrechtliche Begriff der Massenproduktion im Sinne der VO-AVItech ist auf die standardisierte Herstellung einer unbestimmten Vielzahl von Sachgütern gerichtet. Er ist damit in quantitativer Hinsicht allein durch die potentielle Unbegrenztheit der betrieblichen Produktion gekennzeichnet, wobei es nicht auf das konkrete Erreichen einer bestimmten Anzahl von Gütern ankommt, die der Betrieb insgesamt produziert oder an einzelne Kunden abgegeben hat. In ihrem wesentlichen qualitativen Aspekt unterscheidet sich die Massenproduktion von der auftragsbezogenen Einzelfertigung mit Bezug zu individuellen Kundenwünschen als ihrem Gegenstück dadurch, dass der Hauptzweck des Betriebs auf eine industrielle Fertigung standardisierter Produkte in einem standardisierten und automatisierten Verfahren gerichtet ist. Es ist in erster Linie diese Produktionsweise, die den Begriff der Massenproduktion im vorliegenden Zusammenhang kennzeichnet, und die inhaltliche Gesamtbetrachtung des Betriebs insofern, die ihn zu einem Produktionsbetrieb der Industrie (oder des Bauwesens) macht. "Standardisiert und automatisiert" in diesem Sinne ist alles hergestellt, was mit einem vom Hersteller vorgegebenen Produkt nach Art, Aussehen und Bauweise identisch ist, aber auch dasjenige Sachgut, das aus mehreren ihrerseits standardisiert und automatisiert hergestellten Einzelteilen zusammengesetzt und Teil einer einseitig und abschließend allein vom Hersteller vorgegebenen Produktpalette ist (BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 RS 8/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 9. Oktober 2012 - B 5 RS 5/12 R - JURIS-Dokument, RdNr. 26; BSG, Urteil vom 9. Oktober 2012 - B 5 RS 5/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 26).

 

Beim VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) handelte es sich um einen Betrieb, dem die industrielle, maschinell und automatisiert durchgeführte, fließbandartige Fertigung von Sachgütern in Massenproduktion nach dem fordistischen Produktionsmodell bzw. als Produktionsdurchführungsbetrieb mit serienmäßiger Standardfertigung das maßgebliche Gepräge verliehen hat.

 

Dies ergibt sich aus den beigezogenen Betriebsunterlagen sowie aus der eingeholten Auskunft vom Bundesarchiv und ist zwischen den Beteiligten – zu Recht – auch nicht streitig:

 

Ausweislich des "Berichts[s] über die Prüfung der DM-Eröffnungsbilanz der IFA-Motorenwerke GmbH X.... zum 1. Juli 1990" bestand der Hauptzweck des VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) in der Fertigung von Dieselmotoren für Lastkraftwagen (LKW). Hauptabnehmer der produzierten LKW-Dieselmotoren war dabei bis zum 30. Juni 1990 der VEB IFA-Automobilwerke U...., in dem die (DDR-weit bekannten) LKW "IFA W50" und "IFA L60" gefertigt wurden. Im Jahr 1990 wurden im VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) noch 6.803 Stück 4VD-Motoren und 510 Stück 6VD-Motoren gefertigt (im Jahr 1989: 42.041 Stück 4VD-Motoren und 8.311 Stück 6VD-Mootoren). Die Fertigung von Dieselmotoren im Betrieb erfolgte mit Hilfe von 114 (Stand: 30. Juni 1990 / 1. Juli 1990) numerisch gesteuerten (NC-) und computernumerisch gesteuerten (CNC-) Maschinen und erfolgte damit automatisiert sowie "fordistisch", zumal es sich bei diesen NC- und CNC- gesteuerten Maschinen ausweislich des "Berichts[s] über die Prüfung der DM-Eröffnungsbilanz der IFA-Motorenwerke GmbH X.... zum 1. Juli 1990" um die "Hauptproduktionsanlagen" handelte. Im Produktionsbetrieb arbeiteten mit Stand vom 30. Juni 1990 / 1. Juli 1990 noch 3.272 Beschäftigte, von denen 2.055 Arbeitnehmer Produktionsarbeiter waren (= 62,8 Prozent). Damit handelte es sich überwiegend – also betriebsprägend – um einen Produktionsbetrieb, zumal es sich bei der Bestimmung der betrieblichen Tätigkeit nach der (Kopf-)Zahl der Mitarbeiter in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen um einen einheitlichen und grundsätzlich geeigneten Maßstab zur Beurteilung der Frage handelt, welche betriebliche Tätigkeit dem konkreten Beschäftigungsbetrieb das Gepräge verliehen hat (BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 5 RS 3/12 R - JURIS-Dokument, RdNr. 26).

 

Dieses Ergebnis korrespondiert im Übrigen auch mit der Einordnung des Beschäftigungsbetriebes des Klägers nach der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR in die Wirtschaftsgruppe 15532 (Verbrennungskraftmaschinenbau) im Zeitraum von 1985 bis 1990. Nach Überzeugung des Senats ist neben den aus den Betriebsunterlagen hervorgehenden Aufgaben des VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge) auch die Anknüpfung an die Zuordnung des Betriebes in der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR ein geeignetes abstrakt-generelles Kriterium zur Bewertung der Haupttätigkeit des Beschäftigungsbetriebes des Klägers (vgl. dazu auch: BSG, Beschluss vom 13. Februar 2008 - B 4 RS 133/07 B - JURIS-Dokument, RdNr. 11, wonach der Zuordnung in die Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR die Bedeutung einer Hilfstatsache zukommen kann, welche bei der Beweiswürdigung für die Geprägefeststellung erheblich werden kann). Dies ergibt sich vor allem aus dem Vorwort zur Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR für das Jahr 1985, die im Bundesarchiv zugänglich ist und die belegt, dass bereits die DDR im Rahmen ihrer ökonomischen Planung und statistischen Abrechnung eine Einteilung der Betriebe nach ihren Hauptaufgaben (ihrer Haupttätigkeit) im System der erweiterten Reproduktion (und damit nach ökonomischen Gesichtspunkten) vorgenommen hat. Danach erfolgte die Zuordnung der selbständigen wirtschaftlichen Einheiten – Betriebe, Einrichtungen, Organisationen u.a. – unabhängig von der Unterstellung unter ein Staats- oder wirtschaftsleitendes Organ und der sozialökonomischen Struktur. Die Systematik der Volkswirtschaftszweige war damit frei von möglichen Veränderungen, die durch verwaltungsmäßige Unterstellungen der Betriebe und Einrichtungen hervorgerufen werden konnten. In der Systematik der Volkswirtschaftszweige wurde die Volkswirtschaft der DDR in neun Wirtschaftsbereiche gegliedert: 1. Industrie, 2. Bauwirtschaft, 3. Land- und Forstwirtschaft, 4. Verkehr, Post und Fernmeldewesen, 5. Handel, 6. sonstige Zweige des produzierenden Bereichs, 7. Wohnungs- und Kommunalwirtschaft, Vermittlungs-, Werbe-, Beratungs-, und andere Büros, Geld- und Kreditwesen, 8. Wissenschaft, Bildung, Kultur, Gesundheits- und Sozialwesen und 9. staatliche Verwaltung, gesellschaftliche Organisationen. Die Zuordnung der selbstständigen wirtschaftlichen Einheiten zu den Gruppierungen erfolgte entsprechend dem Schwerpunkt der Produktion bzw. Leistung oder dem Hauptzweck der Einrichtung, wobei jede Einheit nur einer Gruppierung zugeordnet werden konnte, mithin der Hauptzweck des Betriebes dazu ermittelt werden musste. Sie wurde von den Dienststellen der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik in Zusammenarbeit mit den Fachorganen festgelegt. Eine Änderung der Zuordnung bedurfte der Zustimmung der für den Wirtschaftszweig verantwortlichen Fachabteilung der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik und sollte nur dann erfolgen, wenn die Hauptproduktion des Betriebs grundsätzlich umgestellt worden war. Gerade diese Zuordnung der einzelnen Beschäftigungsbetriebe im Rahmen der Systematik der Volkswirtschaftszweige bildet ein wesentliches, von subjektiven Elementen freies, aus dem Wirtschaftssystem der DDR selbst stammendes Kriterium zur Beurteilung des Hauptzwecks eines Betriebes um festzustellen, ob für einen fiktiven Einbeziehungsanspruch in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz die nach der vom BSG herausgearbeiteten verfassungskonformen Auslegung erforderliche betriebliche Voraussetzung erfüllt ist. Soweit danach der VEB IFA-Motorenwerke X.... (Betrieb des IFA-Kombinates Nutzfahrzeuge), ausweislich der vom Senat mit gerichtlichem Schreiben vom 1. Juli 2022 beigezogenen Auskunft des Bundesarchivs vom 12. Juli 2022, von 1985 bis 1990 der Wirtschaftsgruppe 15532 (Verbrennungskraftmaschinenbau) zugeordnet war, ist diese Wirtschaftsgruppe gerade auch dem produzierenden Bereich der Industrie zugehörig. Die statistische Einordnung des Betriebes in die Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR korrespondiert damit mit den sich aus den Betriebsunterlagen ergebenden Hauptaufgaben des Betriebes und kann daher als bestätigendes Indiz deklariert werden. Dem Beschäftigungsbetrieb des Klägers gab somit – wie vom BSG für einen bundesrechtlichen Anspruch für erforderlich erachtet – die industrielle Produktion im Sinne des fordistischen Produktionsmodells (vgl. ausdrücklich: BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 6, S. 29, S. 46 und S. 47; BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 3/06 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23) bzw. die massenhafte Produktionsdurchführung (vgl. dazu ausdrücklich: BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 1/11 R - JURIS-Dokument, RdNr. 20; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 7/10 R - JURIS-Dokument, RdNr. 24; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 - B 5 RS 4/10 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25), das heißt die industrielle Fertigung, Fabrikation, Herstellung beziehungsweise Produktion von Sachgütern das Gepräge.

 

3.

Der Kläger erfüllte am Stichtag (30. Juni 1990) zudem auch die persönliche und sachliche Voraussetzung einer fingierten Zusatzversorgungsanwartschaft. Denn er war am 30. Juni 1990 berechtigt den "Titel" eines Ingenieurs zu führen und war auch als solcher, nämlich als Ingenieur für Elektroinstandhaltung, entsprechend seines Berufsbildes, nämlich als Ingenieur der Fachrichtung Technologie elektronischer Bauelemente, ingenieurtechnisch beschäftigt. Damit erfüllte er am 30. Juni 1990 sämtliche Voraussetzungen einer fingierten Zusatzversorgungsanwartschaft, weshalb die Beklagte zur Feststellung der Statusentscheidung, also der Feststellung der Anwendbarkeit von § 1 AAÜG im Falle des Klägers, verpflichtet ist.

 

4.

Die fingierte Zusatzversorgungsanwartschaft des Klägers erstreckt sich auch auf den gesamten, im Berufungsverfahren nur noch streitgegenständlichen, Beschäftigungszeitraum vom 2. September 1985 bis 30. Juni 1990. Denn der Kläger erfüllte die persönliche, sachliche und betriebliche Voraussetzung einer fingierten Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe im gesamten Beschäftigungszeitraum.

 

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Sie berücksichtigt Anlass, Verlauf und Ergebnis des Rechtsstreits. Da sich die Antragsrücknahme lediglich auf einen geringfügigen Zeitraum (1. Juni 1984 bis 1. September 1985) erstreckt, vorrangig der Klarstellung dient und umgehend auf den gerichtlichen Hinweis des Senats abgegeben wurde, wird von einer Kostenquotelung (zu Lasten des Klägers) insgesamt abgesehen. Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostengrundentscheidung war eine einheitliche Kostenquote für das gesamte Verfahren (inklusive Widerspruchsverfahren und Klageverfahren) zu bilden.

 

III.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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