L 9 SO 191/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 77/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 191/22 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 42/22 AR
Datum
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11.05.2022 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe:

 

Die Beschwerde der Antragstellerin vom 14.05.2022 gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 11.05.2022, zugestellt am 14.05.2022, ist jedenfalls unbegründet, soweit sie weitere Leistungen für Strom und Unterkunft als Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII begehrt. Der Senat verzichtet daher auf Ermittlungen zu der Frage, ob der einstweiligen Anordnung bereits wegen der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 05.05.2022 die Statthaftigkeit fehlt.  

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Es besteht zwischen beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch auf Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII nicht glaubhaft macht. Denn sie gehört, wie das Sozialgericht richtig festgestellt hat, nicht zu dem sozialhilfeberechtigten Personenkreis.

Die Antragstellerin kann ihren Leistungsanspruch nicht aus § 19 Abs. 2 SGB XII iVm §§ 41 ff. SGB XII herleiten. Danach ist Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Diese Voraussetzungen erfüllt die im Jahre 1974 geborene Antragstellerin nicht, da sie weder die Altersgrenze von 67 Jahren erreicht, noch nach dem derzeitigen Sachstand dauerhaft voll erwerbsgemindert ist. Vielmehr ist derzeit nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass die Antragstellerin fähig ist, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mehr als drei Stunden täglich zu arbeiten. Denn die Deutsche Rentenversicherung Bund hat der Antragstellerin mit Bescheid vom 22.04.2022 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.03.2019 bewilligt. Tatsachen, die dafür sprechen, dass die Antragstellerin voll erwerbsgemindert auf Dauer ist (§ 43 Abs. 2 SGB VI), sind nicht glaubhaft gemacht worden.

Die Antragstellerin kann ihren Leistungsanspruch auch nicht auf § 19 Abs. 1 SGB XII iVm §§ 27 ff. SGB XII stützen. Danach ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII sind gegenüber den Leistungen nach dem SGB II nachrangig, § 21 SGB XII. Mit Blick auf den Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin erwerbsfähig iSv § 8 Abs. 1 SGB II ist. Dementsprechend hat das Jobcenter des Kreises Recklinghausen mit Bescheid vom 06.07.2022 Leistungen nach dem SGB II vom 01.05.2022 bis zum 30.04.2023 bewilligt.

Soweit die Antragstellerin über diese bewilligten Leistungen hinaus die Übernahme von weiteren (angefallenen) Kosten in Bezug auf Strom und Unterkunft begehrt, ist die Rechtsgrundlage allein in den Vorschriften des SGB II zu suchen.

Die Antragstellerin muss Leistungen nach dem SGB II ungeachtet des Umstands, dass der Vertreter der Antragsgegnerin (Kreis Recklinghausen) sowohl örtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs. 2 SGB XII) als auch als Jobcenter (§ 6d SGB II) Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist (§ 6b SGB II) in einem gesonderten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren in Anspruch nehmen. Zwar liegt in einem Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II bei sachgerechter Auslegung des Begehrens auch ein Antrag auf entsprechende Leistungen der Sozialhilfe (BSG Urteil vom 02.12.2014 - B 14 AS 66/13 R; LSG Thüringen Urteil vom 20.11.2019 – L 7 AS 1382/16). Dies ändert aber nichts daran, dass Bescheide des Jobcenters nicht für und gegen den Sozialhilfeträger wirken und umgekehrt. Es kann offenbleiben, ob es einer förmlichen Beiladung des Jobcenters nach § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG iVm Abs. 5 SGG bedarf, wenn – wie hier - die das Jobcenter tragende sogenannte Optionskommune gleichzeitig auch Sozialhilfeträger ist (in diesem Sinne BSG Urteil vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R; wie hier LSG Hessen Urteil vom 10.03.2021 – L 6 AS 439/18). Eine Beiladung ist bereits deshalb nicht erforderlich, weil es der Antragstellerin mit Blick auf die oben stehenden Ausführungen im hiesigen Verfahren erkennbar darum geht, über die gewährten Leistungen nach dem SGB II hinaus, weitere SGB II - Leistungen zu erhalten, obwohl sie gegen das Jobcenter ein eigenständiges Eilverfahren (L 12 AS 1047/22 B ER) führt, in dem sie ihre Rechte auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II geltend machen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).  

 

Rechtskraft
Aus
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