L 10 R 2761/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2955/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2761/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19.07.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die (Weiter-)Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.10.2017 hinaus.

Die 1960 geborene Klägerin erlernte von Anfang September 1975 bis Anfang Juni 1980 in der seinerzeitigen Volksrepublik P den Beruf einer (Dipl.-)Krankenschwester und war dort anschließend - mit Unterbrechung - in diesem Beruf beschäftigt. Ende April 1990 übersiedelte sie in das Bundesgebiet. Zuletzt war sie von Mitte September 1993 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit Anfang Dezember 2014 sozialversicherungspflichtig als Krankenschwester in der ambulanten Pflege beim Tkrankenhaus M tätig. Die Beklagte gewährte ihr auf ihren (Teilhabe-)Antrag von Anfang September 2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung (aus Arbeitsmarktgründen bei medizinisch teilweiser Erwerbsminderung) für die Zeit vom 01.07.2015 befristet bis zum 31.10.2017 (Rentenbescheid vom 28.07.2015 bzw. 27.10.2017).

Anfang April 2017 beantragte die Klägerin die Weitergewährung ihrer Rente über den 31.10.2017 hinaus. Die Beklagte zog medizinische Befundunterlagen bei und holte bei dem S ein Gutachten ein. S diagnostizierte bei der Klägerin nach Untersuchung Anfang August 2017 ausweislich seines Gutachtens vom 28.08.2017 eine Lumboischialgie rechts bei fortgeschrittenen degenerativen Aufbrucherscheinungen L5/S1, eine mittelgradige Koxarthrose links - Stadium II bis III nach Kellgren - sowie eine Polyarthrose der Hände mit geringen funktionellen Einschränkungen. Leichte bis mittelschwere Arbeiten (ohne häufiges Heben und Tragen von Gegenständen über 10 kg, ohne häufige Zwangshaltungen, ohne häufiges Knien, keine ausschließlich stehenden bzw. gehenden Tätigkeiten) seien der Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich möglich.

Mit Bescheid vom 01.11.2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit beginnend ab dem 01.07.2015 (mit Zahlung ab dem 01.11.2017) bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze und lehnte die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.10.2017 hinaus ab, da die Klägerin (wieder) in der Lage sei, mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Im anschließenden Widerspruchsverfahren - in dem die Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.10.2017 hinaus begehrte - holte die Beklagte nach Beiziehung ärztlicher Befundunterlagen bei dem W ein Gutachten ein. W beschrieb in seinem Gutachten vom 07.06.2018 nach Untersuchung (Mitte Mai 2018) ein degeneratives Halswirbel-Lendenwirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenprotrusion L2-L5, einen Diabetes mellitus Typ 2, eine diabetische Polyneuropathie, einen arteriellen Hypertonus, eine maskenbeatmungspflichtige chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), eine vaskuläre Enzephalopathie, einen Lupus erythematodes sowie ein depressives Syndrom. Leichte bis mittelschwere Arbeiten überwiegend im Sitzen und Stehen (ohne häufiges Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten; ohne gang- und standunsichere Tätigkeiten respektive solche mit Erschütterungen und Vibrationen; ohne Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten; ohne Zwangshaltungen; ohne häufig wechselnde Arbeitszeiten; ohne Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr) seien der Kläger noch mehr als sechs Stunden täglich möglich. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 22.10.2018 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren auf Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.10.2017 hinaus weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgebracht, dass sie namentlich an starken Schmerzen und Bewegungseinschränkungen sowie an physischer und psychischer Erschöpfung insbesondere mit Konzentrationsstörungen leide. Auch habe sich ihr Gesundheitszustand keineswegs gebessert. Das Versorgungsamt habe vielmehr ihren Grad der Behinderung (GdB) erhöht.

Das SG hat die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der S1 hat im Wesentlichen über ein Schlafapnoe-Syndrom mit suffizienter Therapie berichtet. Von pulmonaler Seite lägen keine beruflichen Einschränkungen vor. Auch die befragte Augenärztin C1 hat seitens ihres Fachgebiets Einschränkungen verneint. Der E hat diverse Diagnosen genannt (s. im Einzelnen Bl. 29 SG-Akte), namentlich anamnestisch psychovegetative Beschwerden und rezidivierende depressive Verstimmungen, und gemeint, psychiatrischerseits sei die Klägerin in Zeiten der Remission durchaus noch in der Lage, unter Berücksichtigung gewisser qualitativer Einschränkungen (s. dazu Bl. 28 SG-Akte) leichte, „frauengerechte“ Tätigkeiten bis zu sechs Stunden täglich zu verrichten. Hinzukämen indes noch etliche, nicht unerhebliche Beeinträchtigungen des motorischen Systems, sodass von einem täglichen Leistungsvermögen von etwa vier Stunden auszugehen sei. Der R hat eine „kleine“ Minderung der Belastbarkeit/Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS), des linken Kniegelenks sowie der Hände beschrieben. Die Behandlung habe zu einer Besserung der Beschwerden geführt. Leichte Tätigkeiten (ohne Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, Treppensteigen, Hocken, Knien und ohne Heben/Tragen von Lasten über 10 kg sowie in Kälte und Nässe) seien der Klägerin noch sechs Stunden täglich zumutbar.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.07.2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin unter Beachtung qualitativer Einschränkungen nicht beeinträchtigt sei. Dabei hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten des S gestützt. Der Einschätzung des E könne nicht gefolgt werden, weil er seiner Leistungsbeurteilung maßgeblich auch orthopädische und internistische Leiden zu Grunde gelegt habe, die indes eine quantitative Leistungsminderung gerade nicht begründeten (Hinweis u.a. auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten). Von psychiatrischer Seite rechtfertige der von E mitgeteilte Befund nicht die Annahme einer zeitlichen Leistungseinschränkung, was E selbst auch so gesehen habe. Neurologischerseits habe er im Übrigen eine Nervenleitgeschwindigkeit im Normbereich gemessen und auch ansonsten einen unauffälligen Befund beschrieben.

Gegen den - ihren Prozessbevollmächtigten am 24.07.2019 zugestellten - Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15.08.2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen auf die Einschätzung des E und den von ihm erhobenen Befund verwiesen sowie eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ab Januar 2020 - nach Durchführung einer lateralen Nucleotomie im Bereich des 4./5. Lendenwirbelkörpers rechts - geltend gemacht. Außerdem nehme sie jetzt Tilidin ein und es sei erneut zu einem Bandscheibenvorfall mit Schmerzausstrahlung in die Beine gekommen. Auch sei bei ihr seit dem 11.01.2021 ein GdB von 90 sowie die Merkzeichen „B“ und (weiterhin) „G“ festgestellt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19.07.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 01.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2018 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.10.2017 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Der Senat hat die Behandlungsunterlagen der Klägerin beim Tkrankenhaus M - wo die Nucleotomie durchgeführt worden ist - beigezogen (insoweit wird wegen der Einzelheiten auf Bl. 29 ff. Senats-Akte Bezug genommen) und E, die S2, den H und den C schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. C hat auf psychiatrischem Fachgebiet (s. im Übrigen Bl. 141 Senats-Akte) als Diagnose rezidivierende depressive Verstimmungen mit psychovegetativen Begleiterscheinungen genannt. Es sei im Laufe der letzten Monate zu einer deutlichen Verschlechterung, auch von Seiten des Bewegungsapparates, gekommen. Die aktuelle Leistungsfähigkeit liege sowohl psychisch als auch physisch unter drei Stunden. S2 hat im Wesentlichen über einen systemischen Lupus Erythematodes in Remission bei normalisiertem Antikörperstatus mit - differentialdiagnostisch - undifferenzierten Kollagenosen in Remission und über eine Fingerpolyarthrose berichtet. Darüber hinaus bestehe ein degeneratives (Hals-)Wirbelsäulensyndrom mit Verspannungen und Schmerzen. Ein kraftvoller Einsatz der Hände sei der Klägerin nicht mehr möglich und in Phasen der Verschlechterung benötige sie wegen verminderter Belastbarkeit betriebsunübliche Pausen. Ihrer Einschätzung nach könne die Klägerin nur noch weniger als sechs Stunden am Tag arbeiten. H hat diverse Diagnosen genannt (s. im Einzelnen Bl. 150 f. Senats-Akte) und gemeint, die Klägerin könne wegen des Wirbelsäulenschadens und „Funktionsstörungen der Nerven“ keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen, weil schon die Bewältigung alltäglicher Verrichtungen die Klägerin überanstrenge. C hat bei Zustand nach Bandscheiben-OP (Januar 2020) und Bandscheibenprolaps wegen der lumboischialgieformen Schmerzausstrahlungen in die Beine mit Sensibilitäts- und Bewegungseinschränkungen nur noch leichte Tätigkeiten im Umfang von drei Stunden täglich für möglich erachtet (Bl. 163 Senats-Akte).

Sodann hat der Senat von Amts wegen das Sachverständigengutachten des S3 der Gutachtenambulanz und Schmerztherapie des Zentrums für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie des Uklinikums H1) vom 10.05.2021 (Bl. 192 ff. Senats-Akte) nebst psychologischer Evaluation der D vom 29.06.2021 (Bl. 230 ff. Senats-Akte) eingeholt. Der Sachverständige ist nach Untersuchung der Klägerin Anfang Mai 2021 und unter Berücksichtigung der aktenkundigen sowie der von ihr zur Exploration zusätzlich zur Verfügung gestellten ärztlichen Unterlagen (s. dazu Bl. 193 f. Senats-Akte) zu folgenden Gesundheitsstörungen gelangt: Beinschmerzen rechts mehr als links, Rückenschmerzen bei Bandscheibenvorfall L5/S1 und mehrsegmentalem Bandscheibenaufbrauch unterhalb L3 ohne Beeinträchtigung der motorischen Funktionen und ohne wesentlichen Verlust der Rumpfstabilität; Polyarthrose mit Heberden-Knoten ohne bedeutsame Beeinträchtigung der Hand- und Fingerfunktionen (wobei auch das Karpaltunnelsyndrom zu keinen klinisch bedeutsamen Defiziten führe); Morbus Dupuytren mit knotigen Einziehungen der Hohlhände ohne Beugefehlstellungen der Langfinger und Daumen sowie Adipositas ersten Grades. Der Lupus erythematodes sei medikamentös eingestellt und ohne Gelenkschwellungen sowie ohne Beteiligung der Haut. Zudem sei (u.a. Hinweis auf den Evaluationsbericht der D) von einer somatoformen Schmerzstörung auszugehen, wobei mentale Beeinträchtigungen der Konzentration, des formalen Denkens und der Gedächtnisleistungen nicht vorlägen. Es bestehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geklagten Leiden und dem klinischen sowie bildmorphologischem Befund bei widersprüchlichen, inkonsistenten und aggravierenden Beschwerdeangaben. Im Rahmen der Untersuchung hätten namentlich klinisch keinerlei Funktionsstörungen der Arme und Beine (bei freier Gelenkbeweglichkeit) vorgelegen, ebenso wenig klinisch bedeutsame Einschränkungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule. Auch eine klinisch bedeutsame Coxarthrose liege bei freier Beweglichkeit beider Hüftgelenke nicht vor. Leichte Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit eines Körperhaltungswechsels ohne Heben/Tragen von Lasten über 5 kg, ohne erhöhten Arbeitsdruck, ohne erhöhtes Arbeitstempo und ohne überdurchschnittliche Verantwortung seien der Klägerin noch mehr als sechs Stunden täglich möglich. Wegen der erheblichen Inkonsistenzen zwischen den geklagten Beschwerden und dem klinischen Befund könne das tatsächliche Mobilitätsvermögen nicht zuverlässig beurteilt werden. Jedenfalls bestünden unter Verwendung des Rollators bzw. unter Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel keine Beschränkungen des Arbeitswegs.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat bei dem B ein Sachverständigengutachten eingeholt (Gutachten vom 10.01.2022, Bl. 255 ff. Senats-Akte). B hat nach Untersuchung (Ende November 2021) von Seiten seiner Fachgebiete ein Postnukleotomiesyndrom und Rückenschmerzen bei Zustand nach lumbaler Bandscheiben-OP und Bandscheibenvorfall ohne motorische Ausfälle/Paresen und ohne objektivierbare lumbale Vorderwurzelirritation, einen Zustand nach operiertem Karpaltunnelsyndrom links (September 2021) bei Beschwerdefreiheit, ein Karpaltunnelsyndrom rechts ohne weiterreichende Einschränkungen, einen behandelten Diabetes mellitus ohne Anhalt für neurologische respektive polyneuropathische Komplikationen, ein behandeltes Schlafapnoe-Syndrom ohne neuropsychiatrische Komplikationen, vielschichtige Persönlichkeitsakzentuierungen bei niedrigem Persönlichkeitsstrukturniveau sowie eine nur anklingende Panikstörung ohne Vermeidungsverhalten diagnostiziert. Es bestünden auch in Ansehung des Beschwerdevalidierungstests ausgeprägte („extremste“) Hinweise auf nicht authentische Beschwerdeanteile bzw. Simulation. Aus nervenärztlicher Sicht könne die Klägerin unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen (s. Bl. 295 Senats-Akte) leichte Tätigkeiten noch vollschichtig verrichten.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.



Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 01.11.2017 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2018, dies indes nur insoweit, wie es die Beklagte damit ablehnte, der Klägerin über den 31.10.2017 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung (nach § 43 des Sechstes Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI -) zu gewähren. Denn nur insoweit hat die Klägerin die Verwaltungsentscheidungen angegriffen; gegen die ihr zugleich gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) hat sie sich - da ihr auch günstig - nicht gewandt, sodass der Bescheid vom 01.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.09.2018 insoweit bestandskräftig geworden ist (vgl. § 77 SGG).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 01.08.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2017 ist - soweit angefochten und damit der Prüfung des Senats unterliegend (s.o.) - rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (§ 43 SGB VI) über den 31.10.2017 nicht erwerbsgemindert. Ihr steht daher für die Zeit ab dem 01.11.2017 keine Rente wegen (voller) Erwerbsminderung zu.

Rechtsgrundlage für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist in erster Linie § 43 Abs. 2 SGB VI. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - u.a. - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids gestützt insbesondere auf das (urkundbeweislich verwertbare) Gutachten des S und das (ebenfalls urkundbeweislich verwertbare) Gutachten des W zutreffend begründet, dass die Klägerin weder von orthopädischer noch von internistischer Seite in ihrem zeitlichen Leistungsvermögen rentenrelevant beeinträchtigt, sondern vielmehr noch in der Lage ist, unter Beachtung der von den Gutachtern aufgeführten qualitativen Einschränkungen (insoweit wird auf die Darstellung oben im Tatbestand verwiesen) jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass eine Erwerbsminderung nicht vorliegt. Ebenso zutreffend hat es auf der Grundlage des vom E in seiner Auskunft (gegenüber dem SG) mitgeteilten klinischen Befunds von nervenärztlicher Seite dargelegt, dass und warum daraus eine zeitliche Leistungsminderung nicht abgeleitet werden kann. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Zu einer anderen Einschätzung gelangt der Senat auch nicht nach der im Berufungsverfahren durchgeführten weiteren medizinischen Sachaufklärung.

In orthopädisch-rheumatologischer Hinsicht leidet die Klägerin an den von S3 in seinem Gutachten vom 10.05.2021 im Einzelnen aufgeführten Gesundheitsstörungen (s. dazu oben im Tatbestand), wovon der Sache nach auch die behandelnden S2, H und C (in ihren Auskünften gegenüber dem Senat) ausgegangen sind. Soweit S darüber hinaus in seinem Gutachten vom 28.08.2017 noch eine mittelgradige Koxarthrose links genannt hat, hat der S3 diese Diagnose klinisch nicht zu bestätigen vermocht (Bl. 229 Senats-Akte), nachdem bei seiner Untersuchung namentlich die Hüftgelenke der Klägerin frei beweglich und ohne muskulären Gegenhalt beim fremdtätigen Bewegen gewesen sind, wobei die Klägerin in der Lage gewesen ist, in Rückenlage problemlos beide Beine anzuziehen, in die Vertikale nach oben zu strecken und diese Haltung 20 Sekunden lang aufrechtzuerhalten (s. Bl. 213 f. Senats-Akte). Unabhängig davon hat S auch unter Berücksichtigung einer mittelgradigen Hüftgelenksbeeinträchtigung keine zeitliche Leistungsminderung angenommen, und S3 hat dies bestätigt, sodass sich eine weitere Diskussion erübrigt. Ohnehin kommt es im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung nicht entscheidend auf eine bestimmte Diagnosestellung, die Art oder Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017, B 13 R 37/16 BH), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen, sodass auch die Ursachen der Gesundheitsstörung nicht maßgeblich sind (BSG, a.a.O.).

Derartige Funktionsstörungen anhand objektiv-klinischer Befunde, die geeignet wären, eine rentenrechtlich relevante zeitliche Leistungseinschränkung zu begründen, hat der Sachverständige - wie auch bereits zuvor S - gerade nicht zu erheben vermocht. Dies ist für den Senat auf der Grundlage des von S3 erhobenen objektiv-klinischen Befunds in jeder Hinsicht überzeugend.

Bei der Untersuchung durch den Sachverständigen ist die Klägerin zu spontanen Kopfdrehungen und Greifbewegungen - bisweilen sehr energisch - in der Lage gewesen, ebenso wie zum Stillsitzen während der rund 100-minütigen Befragung ohne erkennbare Unruhe (s. Bl. 202, 210 Senats-Akte). Das Entkleiden ist ihr im Sitzen ohne fremde Hilfe unter Einsatz beider Hände (bei problemlosem Aus- und Anziehen der Strümpfe) gelungen (Bl. 202 Senats-Akte). Auch hat sie den Zehenstand mit Körperstreckung, aufgerichtetem Rumpf und maximal nach oben gestreckten Armen absolvieren können, ebenso wie einen beidseits ausreichend stabilen Einbeinstand, den beidseitigen Nackengriff (ohne Beeinträchtigung), den beidseitigen Schürzengriff (ebenfalls ohne Beeinträchtigung) und die tiefe Hocke bis 90° Kniebeugung (fünfmal, wobei sie angegeben hat, nur mit fremder Hilfe wieder nach oben zu kommen, was ihr dann aber problemlos ohne Hilfe gelungen ist, s. Bl. 211 Senats-Akte). Auch der Beinhebeversuch, der Vierfüßler-Stand und der Fersensitz sind ihr möglich gewesen (s. im Einzelnen Bl. 214 Senats-Akte). Ihre Wirbelsäule hat in der Aufsicht eine weitgehend lotgerechte und aufrechte Einstellung über dem Becken gezeigt. Stehend ist sie in der Lage gewesen, den Rumpf unbeeinträchtigt zu beugen, wobei Ausweichbewegungen beim Wiederaufrichten nicht zu beobachten gewesen sind (Bl. 212 Senats-Akte). Der gesamte Haltungs- und Bewegungsapparat hat sich altersentsprechend aufgebaut gezeigt (Bl. 211 Senats-Akte). Die Gelenke der oberen Extremitäten (Schulter-, Ellenbogen-, Unterarmdreh-, Hand- und Fingergelenke) der Klägerin sind allesamt aktiv frei beweglich gewesen und beim fremdtätigen Bewegen hat sich kein muskulärer Gegenhalt ergeben. Schonungszeichen haben ebenso wenig vorgelegen wie Gelenkschwellungen, Umlaufstörungen, Ernährungsstörungen oder neurologische Auffälligkeiten. Zwar haben sich im Bereich einzelner Fingerendgelenke kolbige Auftreibungen und im Bereich der Hohlhände knotige Einziehungen mit Beeinträchtigung der Überstreckbarkeit der Finger 4 und 5 gezeigt, die typischen Griffformen sind der Klägerin aber ohne irgendwelche Anomalien gelungen (s. Bl. 212 f. Senats-Akte, auch zum Vorstehenden). Im Bereich der unteren Extremitäten hat zwar ein geringes Muskelprofil der Oberschenkel imponiert, die Beine der Klägerin haben sich gleichwohl seitengleich aufgebaut und ohne Gelenkschwellungen, Umlaufstörungen oder Ernährungsstörungen bei mittelstarker, weitgehend symmetrischer Fußsohlenbeschwielung gezeigt. Sämtliche Beingelenke (Hüft-, Knie-, obere und untere Sprunggelenke) sind frei beweglich und die Bänder stabil gewesen. Neurologisch haben keine Auffälligkeiten vorgelegen, insbesondere ist die Kraft, die Sensibilität und die Koordination unbeeinträchtigt gewesen. Sämtliche Bewegungsvorgänge hat die Klägerin ohne Schwierigkeiten demonstriert (s. Bl. 202, 213 f. Senats-Akte, auch zum Vorstehenden).

Dass der Sachverständige in Ansehung dieses klinischen Befunds die massiven Beschwerdeangaben der Klägerin einschließlich der Intensität der reklamierten Schmerzzustände (vgl. Bl. 197 ff., 205 f. Senats-Akte: u.a. Angabe von Schmerzen i.H.v. durchschnittlich 7 auf der Analog-Skala, Angabe schmerzbedingter Unmöglichkeit von Sitzen länger als zehn Minuten) nicht zu objektiveren vermocht und von einem diskrepanten, inkonsistenten und nicht authentischen Beschwerdevorbringen ausgegangen ist - wegen der diesbezüglichen weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 210, 222 ff. Senats-Akte Bezug genommen -, ist für den Senat in vollem Umfang schlüssig und nachvollziehbar.

Damit ist die Leistungseinschätzung der S2 (in ihrer Auskunft gegenüber dem Senat) widerlegt, zumal sie die Beschwerdeangaben der Klägerin - im Gegensatz zu S3 - weder kritisch hinterfragt und gewürdigt, noch validiert hat. Unabhängig davon hat sie bereits am 19.08.2019 keine typischen arthritischen Veränderungen und keine Hinweise auf Progredienzzeichen der Kollagenose mehr beschrieben und auch bei ihrer letzten Untersuchung der Klägerin am 20.10.2020 haben keine nennenswerten Gelenkschwellungen vorgelegen (s. Bl. 148 Senats-Akte). In Ansehung dessen und des vom Sachverständigen erhobenen klinischen Befunds (s.o.) ist ihre zeitliche Leistungsbeurteilung nicht nachvollziehbar und Anhaltspunkte für die von ihr postulierte Beeinträchtigung eines kraftvollen Handeinsatzes sowie für einen betriebsunüblichen Pausenbedarf - den S3 ausdrücklich verneint hat (s. Bl. 228 Senats-Akte) - liegen auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens ebenfalls nicht vor (s.o.).

Auch die Leistungseinschätzung des H (Auskunft gegenüber dem Senat) überzeugt bereits deshalb nicht, weil auch er im Wesentlichen die subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin zu Grunde gelegt hat, die indes - da nicht objektiviert (s.o.) - nicht Grundlage der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung sein können. Hinzukommt, dass er im Rahmen seiner Beurteilung (unspezifische) „Funktionsstörungen der Nerven“ angenommen hat, obgleich derartige Störungen mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen weder der Sachverständige S3 (s. auch dazu bereits oben), noch der Wahlsachverständige B (insoweit wird auf die Darstellung im Tatbestand verwiesen und darauf, dass B weder klinisch noch elektrophysiologisch eine Funktionsstörung zu objektivieren vermocht hat, die namentlich eine Rollatornutzung begründet, s. Bl. 292 Senats-Akte) hat bestätigen können.

Schließlich ist auch die Leistungseinschätzung des C (in seiner Auskunft gegenüber dem Senat) durch das Sachverständigengutachten des S3 widerlegt, zumal C sie auch nicht weiter begründet hat. Dass die stattgehabte Nucleotomie bzw. der (akute) Bandscheibenprolaps Ende 2020/Anfang 2021 gerade nicht zu einer überdauernden (vgl. dazu § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI: „auf nicht absehbare Zeit“) Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Klägerin mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen geführt hat, hat S3 in seinem Gutachten auf Grund seiner Untersuchung Anfang Mai 2021 dargelegt (s. namentlich Bl. 228 Senats-Akte). Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen.

Ob die Klägerin in psychiatrischer Hinsicht an einem (unspezifischen) depressiven Syndrom (so W in seinem Gutachten vom 07.06.2018), an einer somatoformen Schmerzstörung bei inkonsistenten, diskrepanten und nicht authentischen Beschwerdeangaben (so S3 als ärztlicher Schmerz- und Psychotherapeut, u.a. unter Hinweis auf den Bericht der D vom 29.06.2021, vgl. nur Bl. 224 f. Senats-Akte) oder an vielschichtigen Persönlichkeitsakzentuierungen bei niedrigem Persönlichkeitsstrukturniveau bei anklingender Panikstörung ohne Vermeidungsverhalten (so der Sachverständige B in seinem Gutachten vom 10.01.2022) leidet, bedarf keiner weiteren Diskussion oder Abgrenzung, da es - wie bereits oben dargelegt - nicht entscheidend auf eine bestimmte Diagnosestellung, die Art oder Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden ankommt (worauf nicht zuletzt auch B zutreffend hingewiesen hat, s. Bl. 292 f. Senats-Akte) und alle Genannten auf der Grundlage des jeweils von ihnen erhobenen klinischen Befunds (W, S. M93 VerwA: freundlich zugewandt; wach und zu allen Qualitäten orientiert; Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnis nicht beeinträchtigt; formaler Gedankengang geordnet; keine inhaltlichen Denkstörungen, Störungen des Ich-Erlebens oder der Wahrnehmung; lediglich gedrückte Stimmungslage und Schwingungsfähigkeit; leichte Beeinträchtigung des Antriebs; S3, Bl. 204 f., 210 Senats-Akte: Konzentrationsfähigkeit gegeben und nicht nachlassend während der gesamten Untersuchung; in allen Dimensionen orientiert; Kurz- und Langzeitgedächtnis nicht beeinträchtigt; Merkfähigkeit nicht auffällig, Schwingungsfähigkeit erhalten; D, Bl. 237 Senats-Akte: im Kontakt kooperativ; wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert; Auffassung/Aufmerksamkeit intakt; Konzentration lediglich eigenanamnestisch reduziert ohne klinische Gedächtnisstörungen; formalgedanklich geordnet; kein Wahn, keine Halluzinationen oder andere Sinnestäuschungen; kein Hinweis auf Ich-Störungen; schmerzbezogene Ängste, darüber hinaus keine pathologischen Phobien/Zwangssymptome; affektive Schwingungsfähigkeit und Auslenkbarkeit erhalten; psychomotorisch ruhig bei nur angegebener Reduktion/Erschöpfung; B, Bl. 287 ff. Senats-Akte: äußerlich gepflegt; bewusstseinsklar, im Denken formal geordnet und sicher in allen Qualitäten orientiert; Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit, Gedächtnis, Aufmerksamkeit während der gesamten knapp vierstündigen Untersuchung - ohne Erforderlichkeit einer Pause - ungestört und auch keine Erschöpfung oder Ermüdung erkennbar; keinerlei Hinweise auf eine hirnorganische Leistungsstörung; kein Anhalt für kognitive Störungen; keine Wahrnehmungsstörungen, Ich-Störungen, paranoide Inhalte, intellektuelle Defizite; lebendige Antriebslage; lebendiger, temperamentvoller Redefluss, bisweilen auch authentisch humorvoll; lebendige Begleitgestik; lebendig erhaltene inhaltliche Auslenkbarkeit; keine depressive Einengung; kein Vermeidungsverhalten eruierbar) höhergradige seelische Funktionsbeeinträchtigungen mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen nicht haben objektivieren können, sondern lediglich qualitative Einschränkungen (s.o.) angenommen haben.
Insbesondere hat der Sachverständige B die bereits vom Sachverständigen S3 beschriebenen Auffälligkeiten im Beschwerdevorbringen der Klägerin (nicht authentisch, diskrepant, Hinweise auf Simulation) - auch hinsichtlich Art und Ausmaß der behaupteten Schmerzzustände - bestätigt (namentlich: Gesamtscore von 49 im Beschwerdevalidierungstest bei einem Cut-off-Wert von 16 als „extremster“ Hinweis auf nicht authentische Beschwerden und Simulation, s. Bl. 286 Senats-Akte).

Damit ist die entgegenstehende Leistungseinschätzung des E widerlegt, zumal er - darauf hat bereits das Erstgericht hingewiesen (und auch B, vgl. Bl. 297 Senats-Akte) - sowohl in seiner Auskunft gegenüber dem SG als auch gegenüber dem Senat im Wesentlichen psychiatrischerseits als Diagnose lediglich „depressive Verstimmungen“ (vgl. dazu F34.1 ICD-10: „weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen“) genannt und darüber hinaus die subjektiven Beschwerdeangaben der Klägerin zu Grunde gelegt hat. Warum diesen nicht gefolgt werden kann, ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen. Unabhängig davon hat E im Rahmen seiner Leistungsbeurteilung insbesondere auch die orthopädischen Leiden berücksichtigt, die indes eine zeitliche Leistungsminderung gerade nicht begründen (s.o.). Auch liegen bei der Klägerin neurologischerseits keine Funktionsstörungen mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen vor (s. auch dazu bereits oben). Solche hat E im Übrigen auch anlässlich seiner Untersuchung am 02.10.2020 selbst gar nicht mehr beschrieben (s. Bl. 142 Senats-Akte). Soweit er bei seiner Untersuchung am 04.03.2020 noch vermerkt hat, die grobe Kraft im rechten Bein sei herabgesetzt und der Muskeleigenreflex an den unteren Extremitäten sei „vom Niveau abgeschwächt“ (bei ungestörter Koordination, ohne Rigor, ohne Tremor, ohne isolierte Paresen, ohne Pyramidenbahnzeichen, s. Bl. 142 Senats-Akte), ist schon unklar, auf Grundlage welcher objektiv-klinischen Untersuchung er dies festgestellt hat, zumal er auch insoweit die subjektiven Angaben der Klägerin zu Grunde gelegt hat („Es wird eine Hyp-/Dysaesthesie im Band L4/5 / S1 rechts angegeben, nicht durchgehend“), ohne diese zu validieren oder kritisch zu hinterfragen. Dies ändert aber ohnehin auch nichts daran, dass weder S3 noch B diese Auffälligkeiten haben bestätigen können.

Sonstige Gesundheitsstörungen, die Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin haben könnten, liegen nicht vor. Dies stützt der Senat auf das Gutachten des W und auf die Auskünfte (gegenüber dem SG) der S1 und C1.

Unter Zugrundelegung all dessen hat auch der Senat keine Zweifel daran, dass die Klägerin im Zeitraum ab dem 01.11.2017 noch in der Lage gewesen und es auch weiterhin ist, jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass keine (volle) Erwerbsminderung vorliegt (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI). Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist vorliegend nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie die Klägerin mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des BSG sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeit, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Diese zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 11.12.2019, B 13 R 7/18 R). Nicht anders liegt der Fall der Klägerin. Auch bei ihr wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihr nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.

Bei der Klägerin besteht namentlich auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung in Gestalt einer Einschränkung ihrer Wegefähigkeit (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, m.w.N.). Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach dem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (weniger als 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten (insbesondere die zumutbare Benutzung eines vorhandenen Kraftfahrzeugs) zu berücksichtigen.

Diese Wegefähigkeit hat der Sachverständige S3 - soweit er die diesbezüglichen Beschwerdeangaben der Klägerin hat objektiveren können (s.o.) - ausdrücklich bejaht (s. Bl. 228 Senats-Akte) und der Sachverständige B hat auch dies seitens seiner Fachgebiete bestätigt, indem er darauf aufmerksam gemacht hat, dass für eine Rollatornutzung klinisch kein Anhalt besteht (vgl. Bl. 292, 296 Senats-Akte).

Soweit die Klägerin gemeint hat, ihr Gesundheitszustand habe sich seit der vorangegangenen Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht gebessert, ist dies vorliegend nicht von entscheidender Relevanz. Denn bei einem Antrag, eine befristet bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung weiterzuzahlen, bedarf es keines Nachweises (durch die Beklagte), dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen i.S.d. § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gegenüber denen, die der (seinerzeitigen) Bewilligung zu Grunde lagen, eingetreten ist. Die Entscheidung, ob dem Versicherten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums (weiterhin) eine Rente wegen Erwerbsminderung zusteht, ist nämlich nicht bloß die Verlängerung einer früher bereits dem Grunde nach anerkannten Sozialleistung - insbesondere auch nicht die bloße Fortschreibung einer einmal anerkannten Erwerbsminderung -, sondern stellt eine eigenständige und inhaltlich vollständige erneute Bewilligung der beantragten Rente dar (s. nur Senatsurteil vom 14.11.2019, L 10 R 3973/16, m.w.N., auch zur Rspr. des BSG). Auch kommt es für die Frage einer (fortbestehenden) Erwerbsminderung nicht darauf an, ob wegen Krankheit oder Behinderung (weiter) Behandlungsbedürftigkeit oder - auch häufige - Arbeitsunfähigkeit besteht (BSG, Beschluss vom 31.10.2002, B 13 R 107/12 B). Denn Maßstab für eine rentenrelevante Leistungseinschränkung ist die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017, B 13 R 37/16 BH), also die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Derartige Funktionsstörungen, die ein Ausmaß erreichen, dass zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung qualitativer Einschränkungen der Klägerin nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich möglich sind, haben indes - wie schon oben dargelegt - weder die S und W noch der Sachverständige S3 beschrieben (s.o.); dem hat sich der Wahlsachverständige B angeschlossen.

Soweit die Klägerin - bzw. zuletzt ihr Ehemann - auf ihren GdB mit Merkzeichen verwiesen hat, rechtfertigt dies schon deshalb keine andere Entscheidung, weil die Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (BSG, Beschluss vom 09.12.1987, 5b BJ 156/87) besitzt. Die Voraussetzungen für die Beurteilung des GdB einschließlich der Anerkennung von Nachteilsausgleichen unterscheiden sich maßgeblich (vgl. § 2 Abs. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IX -: Hinderung an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft; Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand) von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung (vgl. z.B. § 43 Abs. 3 SGB VI: Fähigkeit, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten). Deshalb kommt der Schwerbehinderteneigenschaft eines Versicherten hinsichtlich seiner zumutbaren beruflichen Einsetzbarkeit keinerlei Aussagekraft zu (BSG, Beschluss vom 19.09.2015, B 13 R 290/15 B). Ohnehin bestehen vorliegend auf Grundlage der Gutachten des S3 (nebst Bericht der D) und des B durchgreifende Zweifel an der materiellen Richtigkeit der von der Versorgungsverwaltung getroffenen Entscheidungen.

Dass die Klägerin weiter behandlungsbedürftig respektive möglicherweise eine erneute Bandscheibenoperation angezeigt ist, ist - wie bereits oben dargelegt - nicht von entscheidender Bedeutung und vermag eine Erwerbsminderung, namentlich in Ansehung des Gutachtens des S3, nicht zu begründen.

Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist geklärt. Die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen, insbesondere die eingeholten Sachverständigengutachten und das Gutachten des S, haben dem Senat die erforderlichen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt. Soweit die Klägerseite zuletzt „angeregt“ hat, ein orthopädisches Sachverständigengutachten einzuholen, weil B nur die „Psyche“ beurteilt habe, hat sich der Senat nicht veranlasst gesehen, dem nachzukommen, eben weil der Sachverhalt insbesondere durch das entsprechende Sachverständigengutachten des S3 geklärt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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