L 9 U 52/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 U 1477/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 52/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld bis 26.01.2020 zusteht und ob die Beklagte zur Übernahme von Behandlungskosten verpflichtet ist.

Die 1975 geborene Klägerin ist seit Mai 2001 als Service-Ingenieurin bei der Firma A Technologies Deutschland GmbH, W, beschäftigt und befand sich am 10.09.2019 auf einer Dienstfahrt mit einem PKW von einem Kunden in ihr Büro in B/S. Gegen 09:26 Uhr fuhr in F an einer Kreuzung beim Anfahren und Bremsen an einer Ampelanlage ein hinter ihr fahrendes Fahrzeug auf ihren PKW auf.

Die Klägerin wurde zur Abklärung starker Schmerzen an der HWS mit dem Rettungswagen in das L-Krankenhaus F verbracht. Im Durchgangsarztbericht von H, F, vom 11.09.2019 wurde vermerkt, dass die Klägerin durch die Wucht des Auffahrunfalls vom Anschnallgurt abgefangen worden sei und es zu einem Aufprall mit dem Hinterkopf an der Kopfstütze gekommen sei. Die Airbags hätten nicht ausgelöst. Nach einem Schreckmoment hätten initial Kopfschmerzen am Hinterkopf und in der Halswirbelsäule (HWS) bestanden. Die Klägerin sei selbst aus dem Fahrzeug ausgestiegen. In Abstimmung mit der Unfallbeteiligten habe man die Polizei zur Unfallaufnahme verständigt. Nach 30 Minuten seien Übelkeit und Schwindel aufgetreten.
Die klinische Untersuchung ergab einen erheblichen Druck- und Klopfschmerz im Bereich der HWS und der oberen Brustwirbelsäule (BWS) mit Ausstrahlung in den rechten Arm bis zum Ellenbogengelenk, eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule in allen Ebenen und Schmerzen bei Bewegung des Schultergelenks, aber keinen Anhalt für ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT). Als Erstdiagnose war unter Berücksichtigung einer CT der HWS und BWS ohne Fraktur- und Fehlstellungsnachweis eine HWS-Distorsion angegeben worden.

Der Durchgangsarzt S1, M , berichtete nach einer Untersuchung der Klägerin am 13.09.2019, dass sich die Übelkeit zurückgebildet habe. Es bestünden weiterhin Schwindel und erhebliche Kopfschmerzen. Er erwähnte einen vorbestehenden Morbus Bechterew und Morbus Forestier. Insoweit sei die Klägerin vor dem Unfall nach langer und aufwändiger Therapie beschwerdefrei gewesen. Nun zeigten sich wieder deutliche Beschwerden im Bereich der HWS mit Ausstrahlung Richtung Gesicht rechtsseitig sowie in den Schulter-Nacken-Bereich und im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS). Er stellte die Diagnosen: Schädelprellung, HWS-Distorsion, Myogelose der Schulter-Nackenmuskulatur, LWS-Myogelose und ISG-Blockade links und bescheinigte Arbeitsfähigkeit ab 27.09.2019.

In einem Verlaufsbericht vom 06.11.2019 nach Untersuchungen der Klägerin am 24.09. und 04.11.2019 gab S1 an, die Klägerin gebe „weiterhin“ Beschwerden im Bereich der Zähne und des Kiefers rechts sowie der HWS und des Schulter-Nacken-Bereichs rechts an, ferner „weiterhin“ Schmerzen im Bereich der Unterarme beidseits und retropatellar im Kniebereich rechts. Ferner erwähnte er eine Glaskörpereinblutung am linken Auge, wegen der sich die Klägerin bei einem Augenarzt vorgestellt habe.

Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2019 an, dass das Ereignis vom 10.09.2019 ein Arbeitsunfall war. Ferner entschied die Beklagte, dass ein Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld und auf Übernahme der medizinischen Heilbehandlung zu Lasten der BG über den 26.11.2019 hinaus nicht bestehe. Die medizinische Heilbehandlung zu Lasten der BG werde zum 26.11.2019 abgebrochen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Klägerin habe sich eine Zerrung im Halswirbelsäulenbereich (Schleudertrauma) zugezogen. Durch die vorliegenden Vorerkrankungen (Morbus Forestier und Morbus Bechterew) sei zwar eine längere Genesungszeit anzunehmen, diese sei aber zum 26.11.2019 ausgeschöpft. Die darüber hinausgehende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit stehe nicht mehr in einem wesentlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall, sondern mit den Vorerkrankungen.


S1 verordnete unter dem 09.10.2019 die Durchführung einer Erweiterten Ambulanten Physiotherapie (EAP), die von der Beklagten genehmigt wurde, da sie wegen „Unfall-/BK-Folgen erforderlich“ sei (Akten-ID 28).

Diese wurde über die REGIO-RehaTagesklinik F GmbH durchgeführt. Bei der ärztlichen Eingangsuntersuchung am 14.11.2019 (Bericht der B1, REGIO-RehaTagesklinik F GmbH, vom 10.12.2019) gab die Klägerin chronisch bestehende Rückenschmerzen der gesamten Wirbelsäule seit über zwölf Jahren an. Nach intensiver Triggerpunktbehandlung über einen sehr langen Zeitraum sei sie seit Mai 2019 beschwerdefrei gewesen. Derzeit bestünden Cervikobrachialgie in den rechten Arm sowie ein Spannungskopfschmerz von occipital in die rechte Schläfe ziehend, nur rechts. Es sei kein Schwindel mehr vorhanden. Die Klägerin habe Beschwerden angegeben „in beiden Unterarmen, rechts betont, vom Ellenbogen ausgehend in beide Hände, sehr diffus“, außerdem lumboischialgieforme Beschwerden in das rechte Bein bis in das Schienbein und in den Fuß bis in den Fußballen auf Höhe D2 rechts. Ferner liegt der Bericht über die ärztliche Schlussuntersuchung am 29.11.2019 vor (W1, Bericht vom 23.12.2019, Akten-ID 70). Danach wurde das Untersuchungszimmer mit flüssigem Gangbild betreten, das Entkleiden sei eigenständig relativ unauffällig, auch über Kopf erfolgt, die Bewegungsausmaße der LWS seien altersgerecht und ohne wesentliche Beschwerdeaktivierung gewesen. Es habe palpatorisch ein deutlicher Hartspann am Trapezius descendens beidseits mit Punctum max. rechts im Bereich des Triggerpunktes festgestellt werden können, die Klägerin habe Schmerzen im Bereich der paravertebralen zervikalen Muskulatur rechts und der occipitalen Insertion angegeben. Die Beweglichkeit der HWS sei in der Seitneige reduziert, die Bewegungsprüfung ohne neurologische Sensationen. Die übrigen Gelenke seien frei beweglich, grob neurologisch seien keine Auffälligkeiten festgestellt worden. Im weiteren Fokus stünden die Detonisierung der Schulter-/Nackenmuskulatur, der Rückgang der Schmerzsymptomatik sowie die Verbesserung der allgemeinen Leistungsfähigkeit, Kräftigung der Stammwirbelsäulenmuskulatur und das Erlernen von Eigenübungen.

Mit ihrem Widerspruch vom 22.12.2019 (formgerecht eingegangen am 02.01.2020) gegen den Bescheid vom 10.12.2019 wies die Klägerin darauf hin, dass nur ein Morbus Forestier gesichert sei; hinsichtlich eines Morbus Bechterew bestehe bislang lediglich nur eine Verdachtsdiagnose. Die lange Heilungsphase der Verletzungen im HWS-Bereich sei sicherlich im Zusammenhang mit der Vorerkrankung zu sehen. Die Schmerzen im Bereich der HWS seien durch die intensive Behandlung deutlich minimiert worden und Schmerzmittel nur noch in geringem Umfang notwendig. Es bestünden aber nach wie vor Schmerzen und Beeinträchtigungen in beiden Unterarmen, die direkt auf den Unfall zurückzuführen seien. Sie benötige hierfür immer noch physiotherapeutische Behandlung. Aufgrund der klaren Sachlage begehre sie die Zahlung von Verletztengeld und die Übernahme der Behandlungskosten für die Unterarme.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe sich am 10.09.2019 eine Distorsion der HWS zugezogen. Bei einer Distorsion handele es sich um eine geschlossene Verletzung eines Gelenks, ohne dass die Bandstrukturen verletzt würden. Werde das Gelenk geschont, heile eine Distorsion innerhalb weniger Tage bis Wochen vollständig ab. Aus den am Unfalltag aufgenommenen MRT-Bildern gehe hervor, dass sich die Klägerin bei dem Unfall keine strukturellen Schäden zugezogen habe. Aufgrund ihrer Vorerkrankung habe ein längerer Gesundungsprozess vorgelegen. Nach Ablauf von zehn Wochen sei die HWS-Distorsion jedoch ausgeheilt. Die weitere Behandlungsbedürftigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit sei nicht mehr ursächlich auf den Arbeitsunfall, sondern auf die Vorerkrankungen zurückzuführen. Im Erstbericht des S1 vom 13.09.2019 sei dokumentiert, dass wegen des Morbus Bechterew bzw. Morbus Forestier vor dem Unfall eine zeitaufwändige Therapie durchgeführt worden sei. Im Übrigen gehe aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen keine unfallbedingte Verletzung der Unterarme hervor.

Das Schreiben der Klägerin vom 19.04.2020, das bei der Beklagten am 22.04.2020 eingegangen war und mit dem diese „Widerspruch“ gegen den Widerspruchsbescheid vom 27.03.2020 erhob, hat die Beklagte mit Schreiben vom 04.05.2020 an das SG weitergeleitet, welches dieses als Klage behandelte. Mit dieser hat die Klägerin auf Schmerzen an der HWS und an den Unterarmen verwiesen. Mittlerweile habe sich der linke Unterarm so sehr verschlechtert, dass sie den Arm nicht mehr durchstrecken könne. Sie hat einen Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld bis 26.01.2020 sowie die Übernahme von Kosten für Therapien, die sie selbst bezahle, geltend gemacht. Nach wie vor sei sie zweimal pro Woche in Behandlung, die Schmerzen seien auf einem Niveau, dass sie den Schmerzmittelkonsum deutlich habe mindern können, sie sei jedoch noch nicht schmerzfrei, besonders gelte dies für den rechten Fuß, der beim Bremsen in Mitleidenschaft gezogen worden sei, und für beide Unterarme, wobei der linke Unterarm besonders schmerze. Bei ihrer Arbeit müsse sie öfter laufen, 3-4 km am Tag seien normal. Das wirke sich auf den Fuß sehr negativ aus. Sie hat eine Arbeitsunfähigkeits-Folgebescheinigung für die Zeit vom 10.09.2019 bis 26.01.2020 von S1, ausgestellt am 27.11.2019, eine Bescheinigung über die Stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben vom 07.01.2020 bis 31.01.2020 (unter Ausschluss starker Belastung der Wirbelsäule und der Arme) sowie Rechnungen des Facharztes für Physikalische und Reha-Medizin, des Facharztes für Allgemeinmedizin B2 über myo-reflextherapeutische Behandlungen ab 13.09.2019 (Diagnose: Myofasziales Schmerzsyndrom) vorgelegt. Ferner hat sie die fachärztliche Stellungnahme des B2 vom 11.11.2019 vorgelegt, der angegeben hat, die Klägerin seit Juni 2017 regelmäßig in seiner Praxis zu behandeln. Er habe multiple Funktionsstörungen der gesamten Wirbelsäule und des Beckens festgestellt, die von Fehlspannungen in multiplen Muskelketten verursacht seien. Überwiegend setze er therapeutisch die Myoreflextherapie ein. Hierdurch sei eine nachhaltige Verbesserung der Beschwerden eingetreten und die Arbeitsfähigkeit habe langfristig wiederhergestellt werden können. Am 10.09.2019 sei es im Rahmen eines fremdverschuldeten PKW-Unfalles zu einer HWS/BWS-Distorsion mit nachfolgenden Schmerzen in Nacken, Thorax, Rücken und Kopf mit begleitendem Schwindel, Müdigkeit und Übelkeit, sowie auch Schmerzen in beiden Armen gekommen, die von einem D-Arzt behandelt worden sei.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen einer sachverständigen Zeugenaussage bei S1.

S1 hat unter dem 22.07.2020 ausgeführt, er führe auf den Unfall vom 10.09.2019 eine Schädelprellung, eine HWS-Distorsion, eine Myogelose der Schulter-Nacken-Muskulatur, eine LWS-Myogelose und eine ISG-Blockade links zurück. Ob die von der Patientin beschriebene Glaskörpereinblutung links sowie die Zahnschmerzen dem Unfall zugeordnet werden könnten, könne er nicht beurteilen. Auch die im Verlauf festgestellte Epicondylitis radialis humeri links sowie die Daumensattelgelenksreizung links könne er nicht eindeutig auf den Unfall zurückführen. Der Aussage hat er einen Verlaufsbericht über Konsultationen der Klägerin seit 13.09.19 an die behandelnde Ärztin H-W vom 22.07.2020 beigefügt.

Die Klägerin hat eine weitere fachärztliche Stellungnahme des B2 vom 06.02.2020 vorgelegt. In dieser hat B2 ihm gegenüber geschilderte Beschwerden angegeben („Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Schmerzen im re. Brustkorb, Schmerzen in beiden Armen, sowie Schmerzen im re. Fuß“) und ausgeführt, dass die radiologische Abklärung im Loretto-Krankenhaus F erfolgt sei. Die Beschwerden seien in Folge multipler Funktionsstörungen verursacht durch den Auffahrmechanismus des gegnerischen Fahrzeugs. Vor dem Unfall hätten diese Beschwerden nicht bestanden, sie seien somit, nach seiner Einschätzung, als unfallbedingt zu bezeichnen. In dem ebenfalls beigefügten
fachärztlichen Zwischenbericht vom 21.07.2020 von B2 ist u.a. ausgeführt, dass etliche unfallbedingte Beschwerden beseitigt seien. Es bestünden noch Restbeschwerden im Sinne von Schmerzen im Bereich des rechten Vorfußes sowie Schmerzen in beiden Unterarmen, links mehr als rechts, die beim Tragen von Gegenständen behinderten.

Die Klägerin hat ferner Rechnungen osteopathischer Behandlungen aufgrund der Diagnosen BWS-Syndrom (M54.14); Fußschmerzen (M79.67); Kopfschmerzen (R51) vom 04.06.2020, 18.06.2020 und 03.07.2020 vorgelegt.

Mit Schreiben vom 19.10.2020 hat die Klägerin auf B2 verwiesen, der bestätigt habe, dass sie seit Mai 2019 schmerzfrei gewesen sei. Die weitere Behandlung habe sich nur auf Hüfte und Oberschenkel bezogen. Die Schmerzen und Beeinträchtigungen im rechten Vorderfuß bestünden immer noch, und würden weiterhin behandelt. Die Schmerzen seien vom Arzt dokumentiert, aber es sei nicht weiter darauf eingegangen worden. Sie könne weder längere (10 min) Strecken gehen noch längere Zeit stehen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.12.2020 hat das SG die Klage auf Weiterzahlung von Verletztengeld bis zum 26.01.2020 sowie auf Erstattung von Heilbehandlungskosten, die der Klägerin seit dem 27.11.2019 entstanden seien, abgewiesen.
Die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig, sie bleibe jedoch in der Sache ohne Erfolg. Der Klägerin stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Sie habe zwar unmittelbar vor ihrem Arbeitsunfall und damit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit unstreitig Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt, sie sei jedoch ab dem 27.11.2019 nicht mehr infolge des Versicherungsfalls, des Arbeitsunfalls vom 10.09.2019, arbeitsunfähig gewesen. Was die Beschwerden im Bereich der HWS anbelange, sei unstreitig, dass sich die Klägerin im Rahmen des Unfalls eine HWS-Distorsion zugezogen habe. Ebenso unstreitig sei, dass aus den bildgebenden Aufnahmen der HWS und der BWS keine strukturellen Verletzungen hervorgingen. Solche HWS-Distorsionen heilten aber in der Regel bereits nach wenigen Wochen aus (unter Verweis auf LSG Hamburg, Urteil vom 10.10.2018 - L 2 U 38/15 -). Nach der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur könnten nur vollbeweislich belegte strukturelle Verletzungen im Bereich der HWS Dauerfolgen hinterlassen (unter Verweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 489). Selbst bei mikrostrukturellen Verletzungen sei in der Regel nur von einer Arbeitsunfähigkeit von 0 bis 14 Tagen auszugehen, bei makrostrukturellen Verletzungen orientiere sich die Dauer der Arbeitsunfähigkeit am Heilverlauf. Vorliegend seien noch nicht einmal mikrostrukturelle Verletzungen im Bereich der HWS bei der Klägerin nachgewiesen. Auf der anderen Seite gehe aus den vorliegenden Unterlagen, insbesondere dem Arztbericht des B2 vom 11.11.2019, hervor, dass die Klägerin bereits vor dem Unfall unter vergleichbaren Beschwerden gelitten hatte (Schulternackenschmerzen mit Ausstrahlung in den rechten Arm; Nackenkopfschmerz), wenngleich diese zum Unfallzeitpunkt abgeklungen gewesen seien. Ferner sei bei ihr die Erkrankung Morbus Forestier diagnostiziert worden. Dem Umstand, dass sie unter dieser Erkrankung leide und dementsprechend von einem längeren Heilungsverlauf auszugehen gewesen sei, habe die Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass sie für insgesamt elf Wochen unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit angenommen habe. Angesichts des vergleichsweise geringfügigen Erstschadens einer HWS-Distorsion ohne strukturelle Verletzungen einerseits und der bekannten Vorerkrankung mit vergleichbaren Beschwerden andererseits könne nach Ablauf dieser elf Wochen aber nicht mehr mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Beschwerden noch rechtlich wesentlich auf den Unfall zurückzuführen seien. Hinsichtlich der geltend gemachten Beschwerden im Bereich des Fußes fehle es schon am erforderlichen Nachweis eines entsprechenden Erstschadens. Weder aus der Schilderung des Unfallhergangs der Klägerin gegenüber dem Durchgangsarzt, noch aus den vorliegenden ärztlichen Befundberichten gehe hervor, dass der Fuß bei dem Unfall in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Die von der Klägerin beklagten Schmerzen im Bereich der Unterarme dürften nach Aktenlage ihre Ursache in Cervicobrachialgien haben, wie aus dem Bericht der REGIO-RehaTagesklinik F GmbH vom 10.12.2019 hervorgehe. Darunter verstehe man von der Halswirbelsäule ausgehende Schmerzen, die in den Arm ausstrahlten. Das Gericht gehe davon aus, dass ab dem 27.11.2019 nicht mehr von einer unfallbedingten Beeinträchtigung der HWS ausgegangen werden könne. Dementsprechend könnten auch die von der HWS ausgehenden, in den Arm ausstrahlenden Schmerzen nicht mehr Folge des Arbeitsunfalls vom 10.09.2020 sein. Sollten sich die Schmerzen in den Unterarmen nicht auf Cervicobrachialgien zurückführen lassen, fehle es auch diesbezüglich am Nachweis eines entsprechenden Erstschadens im Bereich der Arme. Vor diesem Hintergrund ließen sich ab dem 27.11.2019 keine Gesundheitsbeeinträchtigungen mehr feststellen, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 10.09.2019 zurückzuführen seien.

Gegen den der Klägerin am 09.12.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat sie am 29.12.2020 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und an ihrem Antrag auf Zahlung von Verletztengeld bis 26.01.2020 und Übernahme der Kosten für eine Heilbehandlung seit dem 27.11.2019 festgehalten. Die Bevollmächtigten der Klägerin rügen eine fehlende Begutachtung zu den HWS-Beschwerden und Unterarmbeschwerden und machen geltend, dass das SG auch B2 hätte als sachverständigen Zeugen hören müssen. Ferner hat der Bevollmächtigte auf den Vortrag der Klägerin mit Schreiben vom 25.10.2020 verwiesen, dass sie sowohl im RKK Klinikum am Unfalltag, als auch bei S1 dann am 13.09.2019 Fußbeschwerden angegeben habe, diese aber aufgrund „Diffusität" bzw. hiermit einhergehender „eingeschränkter Beurteilbarkeit" keinen Niederschlag in der Dokumentation gefunden hätten. Diese Einlassungen der Klägerin habe das erstinstanzliche Gericht erst gar nicht erwähnt und gehe mithin von einem insofern unstreitigen Sachverhalt aus, obwohl dieser offenbar sehr wohl streitig sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Freiburg vom 7. Dezember 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10. Dezember 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2020 zu verurteilen, ihr bis zum 26. Januar 2020 Verletztengeld zu zahlen und ihr die Kosten für die Heilbehandlung seit dem 27. November 2019 zu erstatten.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist ergänzend darauf hin, dass sie unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit vom 10.09.2019 bis 26.11.2019, mithin von 77 Tagen oder 11 Wochen, anerkannt habe. Diese Leistungsdauer gehe weit über die bei einer HWS-Distorsion ohne strukturelle Schäden anzuerkennende Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit von 14 Tagen hinaus.
Bei den eindeutigen, insbesondere bildtechnischen Befunden der behandelnden Ärzte habe das SG auch keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen zum medizinischen Sachverhalt gehabt, insbesondere das Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen einzuholen. Ein solches Gutachten hätte an den nicht vorhandenen strukturellen Schäden an der HWS nichts geändert. Welches andere Ergebnis sich der Bevollmächtigte durch ein solches Gutachten erhofft hätte, sei für die Berufungsbeklagte deshalb nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Beschwerden des rechten Fußes habe das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass in keinem der zeitnah nach dem Unfall und auch später erstellten Berichten von Beschwerden dieses Körperteils die Rede gewesen sei. Ein im Vollbeweis nachgewiesener Gesundheitserstschaden des rechten Fußes liege somit nicht vor. Dahingehende Beschwerden seien wohl erstmals im Schriftsatz der Klägerin vom 05.06.2020 an das Sozialgericht geltend gemacht worden und damit fast neun Monate nach dem Unfall.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

Das SG hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Die Klage war mit dem bei der Beklagten am 04.05.2020 eingegangenen Schreiben gemäß § 87 i. V. m. § 91 Sozialgerichtsgesetz (SGG) rechtzeitig erhoben. Es unterliegt auch keinen Bedenken, dass das SG dieses als Klage ausgelegt hat. Die Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig, soweit die Klägerin die Gewährung von Verletztengeld für die Zeit vom 27.11.2019 bis 26.01.2020 begehrt. Diese Klage ist aber unbegründet (hierzu unter 1.). Soweit die Klägerin Kostenerstattung für durchgeführte Heilbehandlungsmaßnahmen begehrt, ist diese jedenfalls unbegründet (hierzu unter 2.).

1. Das SG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld über den von der Beklagten bereits bewilligten Zeitraum hinaus zusteht.


Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids die rechtlichen Grundlagen für das hier von der Klägerin beanspruchte Verletztengeld zutreffend dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch hierauf nicht besteht, weil über den 26.11.2019 hinaus keine Gesundheitsstörungen mehr vorliegen, die infolge des Versicherungsfalles bestanden. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung in vollem Umfang an und sieht deswegen gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.
 
Ergänzend zum Vortrag im Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Das SG hat unter Berücksichtigung von Literatur und Rechtsprechung überzeugend dargelegt, dass die vom Durchgangsarzt H in seinem Bericht vom 11.09.2019 diagnostizierte HWS-Distorsion, die dieser sowohl aus dem erhobenen klinischen Befund als auch aus der im Loretto-Krankenhaus am 10.09.2019 angefertigten Computertomographie der HWS und BWS schlüssig abgeleitet hatte, jedenfalls keine über den 26.11.2019 hinausgehende Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt, nachdem mangels Nachweises struktureller Verletzungen durch das bildgebende Verfahren grundsätzlich lediglich von einer Dauer der Arbeitsunfähigkeit von bis zu zwei Wochen ausgegangen werden kann. Ferner weist das SG zudem zu Recht darauf hin, dass erst bei einem Nachweis von makrostrukturellen Verletzungen die Annahme und Begründung einer längeren, sich am Heilverlauf orientierenden Dauer der Arbeitsunfähigkeit gerechtfertigt ist. Weder solche noch mikrostrukturelle Verletzungen sind indes hier nachgewiesen (vgl. hierzu Schönberger
Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 489). Angesichts dessen ist die vom Beklagten aufgrund der Vorerkrankung berücksichtigte längere unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht zu beanstanden. Einen Anspruch auf Berücksichtigung einer längeren Dauer unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit vermag der Senat mangels des Nachweises eines hierfür geeigneten Gesundheitserstschadens jedenfalls nicht zu erkennen.

Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin und des Akteninhalts. Denn insoweit ist festzuhalten, dass die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 22.12.2019, und damit zeitnah zur Beendigung des zugestandenen Verletztengeldanspruches (26.11.2019), bereits selbst darauf hingewiesen hatte, dass die Schmerzen im HWS-Bereich durch die intensive Behandlung deutlich minimiert worden sind und Schmerzmittel nur noch in einem geringen Umfang notwendig waren. Mit ihrem Widerspruch stellt die Klägerin zur Begründung des Anspruches auf Verletztengeld dann auch nicht mehr auf die Beschwerden von Seiten der HWS ab, sondern auf Schmerzen und Beeinträchtigungen in den beiden Unterarmen, die ihrer Auffassung nach direkt auf den Unfall zurückzuführen seien und die noch immer anhielten und auch weiterhin physiotherapeutischer Behandlung bedürften. Sie stellte zudem klar, dass die Behandlungen ausschließlich für die Unterarme erforderlich seien und bisher nur der Kopf und die HWS behandelt, die Unterarme hingegen vernachlässigt worden seien.
Damit ist schon zweifelhaft, ob die HWS, die nach den Feststellungen im Durchgangsarztbericht von H vom 11.09.2019 allein und in der Form einer Zerrung vom Unfall betroffen war, noch maßgeblich und damit rechtlich wesentlich für die von S1 am 17.12.2019 und bis 26.01.2020 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gewesen ist. S1 kodierte die für die Arbeitsunfähigkeit begründenden Diagnosen nach ICD-10 zwar unter S00.95 G (Oberflächliche Verletzung des Kopfes, Prellung), S13.4 G (Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule) und M62.81 G (Sonstige näher bezeichnete Muskelkrankheiten, Schulterregion) bzw. M62.88 G (Sonstige näher bezeichnete Muskelkrankheiten, Sonstige: Hals, Kopf, Rippen, Rumpf, Schädel, Wirbelsäule) bzw. mit M99.84 G L (Sonstige biomechanische Funktionsstörungen, Brustkorb). Nach dem vorgelegten ausführlichen Befundbericht an H-W vom 22.07.2020, die er seiner sachverständigen Zeugenaussage vor dem SG beigelegt hatte, hat S1 aber am 17.12.2019 selbst keine Befunde erhoben. Die letzte eigene Befunderhebung datierte vom 04.11.2019 („Druckschmerz im Bereich des Ober- und Unterkiefers rechts, Druckschmerz und Muskelhartspann paravertebrale HWS rechts mit positivem Triggerpunkt Trapezius-Oberrand, Druckschmerz Epicondylus humeri radialis beidseits und entlang der Handgelenksextensoren nach distal, leichter Druckschmerz laterales Kniegelenk patellanah“), und damit deutlich vor der Beendigung der Verletztengeldzahlung durch die Beklagte.

Vergleicht man damit die Befunde, die von der von S1 initiierten EAP in der
REGIO-RehaTagesklinik F GmbH bei der Eingangsuntersuchung am 14.11.2019 erhobenen wurden, ergibt sich zwar noch ein im Wesentlichen vergleichbares Bild. Denn dort wurde unter anderem festgehalten, dass sich eine deutlich verspannte paravertebrale Muskulatur im HWS-Bereich sowie in der Schulter-/Nackenregion mit schmerzhaften Triggerpunkten rechts occipital und einer eingeschränkten Beweglichkeit der HWS gezeigt habe. Die Kraft des rechten Armes erschien schmerzreflektorisch reduziert, die Griffkraft war beidseits seitengleich und unauffällig. Die Klägerin habe Beschwerden angegeben in beiden Unterarmen, rechts betont, vom Ellenbogen ausgehend in beide Hände, sehr diffus, außerdem lumboischialgieforme Beschwerden in das rechte Bein bis in das Schienbein und in den Fuß bis in den Fußballen auf Höhe D2 rechts. Ein sensomotorisches Defizit war hingegen nicht feststellbar. Bei der ärztlichen Schlussuntersuchung am 29.11.2019 hingegen wurde von einem Abklingen der Lumboischialgie rechts berichtet sowie von einer Cervikobrachialgie rechts und einem chronisch rezidivierenden HWS-, BWS- und LWS-Syndrom bei einer erheblichen Dysbalance der gesamten Wirbelsäule gesprochen. Es wurden damit Gesundheitsstörungen behandelt, die nicht mehr in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit dem Unfall standen, der nach den Befunden im Durchgangsarztbericht vom  H, aber auch nach den Berichten von S1 im Wesentlichen (zwischenzeitlich abgeklungene) Kopfschmerzen und Muskelverspannungen im Bereich der Halswirbelsäule betraf, sondern Einschränkungen, die sich auf die gesamte Wirbelsäule bezogen. Chronisch bestehende Rückenschmerzen der gesamten Wirbelsäule („HWS, BWS und LWS“) wurden von der Klägerin gegenüber der REGIO-RehaTagesklinik F GmbH (Bericht 10.12.2019) zudem seit über zwölf Jahren angegeben und im Bericht vom 23.12.2019 war angegeben worden, dass sie langjährig mit körperlichen Beschwerden aufgrund des bekannten Morbus Forestier (ED 2017) und wiederkehrenden Dorsalgien lebe. Damit lässt sich nach den Befunden der Abschlussuntersuchung am 29.11.2019 keine im Wesentlichen durch die Zerrung der HWS bestehende Arbeitsunfähigkeit mehr feststellen. Der Befund entspricht vielmehr dem, den B2 in seiner fachärztlichen Stellungnahme vom 11.11.2019 bezogen auf eine Behandlung der Klägerin seit Juni 2017 (wegen multipler Funktionsstörungen der gesamten Wirbelsäule und des Beckens verursacht durch Fehlspannungen in multiplen Muskelketten) beschrieb. Auch die Behandlung unterscheidet sich insoweit nicht für die Zeit vor dem Unfall und danach ab 11.10.2019 (Myoreflextherapie).

Soweit die Klägerin die Arbeitsunfähigkeit auf Beschwerden von Seiten der unteren rechten Extremität (rechter Vorfuß) geltend macht und angibt, diese bestünden seit dem Unfall, vermag sich der Senat hiervon nicht zu überzeugen. Denn nicht einmal in den Berichten der REGIO-RehaTagesklinik GmbH finden sich hierzu Angaben über Beschwerden. Dies verwundert deshalb, weil die Klägerin dort an fünf Tagen die Woche zu je zwei Stunden behandelt wurde und es ungewöhnlich wäre, wenn solche Beschwerden dort keine Erwähnung gefunden hätten. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil die Anerkennung von Unfallfolgen hier nicht im Streit steht. Für den zu entscheidenden Anspruch auf Verletztengeld ist vielmehr neben der Verursachung durch den Unfall entscheidend, dass die (behauptete) Unfallfolge eine Krankheit darstellt, die Arbeitsunfähigkeit begründen kann und begründet hat. Funktionelle Einschränkungen, die ggf. eine Arbeitsunfähigkeit hätten rechtfertigen können, sind aber gerade nicht dokumentiert. Denn nach dem im Rahmen der Eingangsuntersuchung am 14.11.2019 erhobenen Befund hat die Klägerin das Untersuchungszimmer mit flüssigem und harmonischem Gangbild betreten und waren die durchgeführten Gang- und Standprüfungen vollumfänglich unauffällig beschrieben. So waren insbesondere der Einbeinstand, der Zehengang und Zehenstand, der Fersengang und Fersenstand beidseits einwandfrei durchführbar gewesen. Ein sensomotorisches Defizit war zudem („allseits“) nicht zu befunden und die Gelenke zeigten sich grob orientierend unauffällig und altersentsprechend. Entsprechende Befunde wurden bei Schilderung nachlassender Beschwerden auch in der ärztlichen Schlussuntersuchung vom 29.11.2019 (Bericht W1 vom 23.12.2019) mitgeteilt, insbesondere, dass die „übrigen Gelenke“ frei beweglich waren und grob neurologisch keine weiteren Auffälligkeiten bestanden. Damit sind funktionelle Einschränkungen der unteren Extremitäten, die eine (weitere) Arbeitsunfähigkeit begründen könnten, in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall bzw. dem Ende des von der Beklagten festgestellten Verletztengeldanspruches und auch darüber hinaus nicht belegt. Soweit die Klägerin gegenüber dem SG unter dem 19.10.2020 und damit mehr als ein Jahr nach dem Unfall geltend macht, dass Beeinträchtigungen im rechten Vorderfuß noch immer bestünden und auch weiterhin behandlungsbedürftig seien, zwischenzeitlich sich so verschlechtert hätten, dass mittlerweile beide (!) Fußballen taub seien, ersetzt dies nicht den fehlenden Nachweis eines Gesundheitserstschadens und ein Unfallereignis, das die Beschwerden erklärt. Bei dem von der Klägerin angeschuldigten Bremsvorgang, auf den sie die Beschwerden zurückführt, dürfte allenfalls der rechte Fuß betroffen worden sein. Ein Auftreten von Beschwerden Monate nach dem Unfallereignis bei im November 2019 während der EAP festgestelltem unauffälligem Befund ist in höchstem Maße unplausibel. Der Senat sah sich daher auch nicht gedrängt zu weiteren Ermittlungen von Amtswegen.

Nichts anderes gilt für die über den 26.11.2019 hinaus geltend gemachten andauernden Beschwerden an den Unterarmen. Auch hier lässt sich schon ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Unfall nicht feststellen, nachdem sich eine erstmalige Angabe in der Befunderhebung von S1 vom 04.11.2019 („weiterhin Schmerzen im Bereich der Unterarme beidseits“) findet. Dass solche bereits zuvor geltend gemacht worden sein könnten, lässt sich der ausführlichen Befundaufstellung vom 22.07.2020 nicht entnehmen. Solche Beschwerden werden in den Berichten über die Untersuchungen vom 13.09.2019 (ausstrahlende Beschwerden nur Richtung Gesicht rechtsseitig und in den Schulter-Nacken-Bereich), vom 17.09.2019, vom 24.09.2019 („starke Beschwerden, welche von der HWS durch den ganzen Körper ziehen“) oder 09.10.2019 nicht erwähnt. In der ärztlichen Eingangsuntersuchung vom 14.11.2019 sind dann von der Klägerin angegebene „Beschwerden in beiden Unterarmen, rechts betont, vom Ellenbogen ausgehend bis in beide Hände“ beschrieben und als „sehr diffus“ gewertet worden. S1 hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage insoweit eine im Verlauf festgestellte Epicondylitis radialis humeri links sowie eine Daumensattelgelenksreizung links erwähnt, die er dem Unfall nicht sicher zuordnen könne. Neben dem Nachweis eines unmittelbar zeitlichen Zusammenhangs mit dem Unfallereignis lässt sich bei ursprünglich von der HWS bis zum Ellenbogengelenk ausstrahlenden Beschwerden, wie sie noch gegenüber H geäußert wurden, und den jetzt vom Ellenbogengelenk ausgehenden Beschwerden, ohne dass eine Verletzung des Ellenbogens durch das Unfallereignis belegt oder auch nur behauptet wurde, auch kein diese Beschwerden erklärender Gesundheitserstschaden feststellen. Damit lässt sich auch hiermit eine unfallbedingte, die Arbeitsunfähigkeit begründende Erkrankung nicht belegen.

Auswirkungen auf eine Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 27.11.2019 bis 26.01.2020 misst der Senat auch den Beschwerden an Zähnen und am Kiefer sowie der Glaskörpereinblutung am linken Auge nicht zu. Entsprechendes hat die Klägerin auch nicht geltend gemacht.


2. Der Senat kann offenlassen, ob der bislang weder bezifferte noch begründete, aber geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch hinreichend bestimmt ist und ob er bereits Gegenstand des Vorverfahrens gewesen ist, was Voraussetzung für die Zulässigkeit einer entsprechenden Klage wäre. Denn hierzu gehörte die Darlegung, dass die Beklagte eine konkrete Behandlungsmaßnahme abgelehnt hat, die sich die Klägerin dann selbst beschafft hat. Hier hat die Beklagte zwar die weitere Heilbehandlung zu ihren Lasten durch Verwaltungsakt abgelehnt. Dies betraf im Wesentlichen die Behandlung der Durchgangsärzte und auch die Weiterführung einer EAP. Sie hatte aber keine konkrete Kenntnis über Behandlungen etwa bei B2 und hat daher über eine Kostenübernahme von Behandlungen, die seit 13.09.2019 dort erfolgten, keine Kenntnis. Insoweit bleibt auch unverständlich, dass B2 diese Rechnungen gegenüber der Klägerin ausstellte und nicht bei der Beklagten einreichte, wenn er denn von einer Verursachung durch den Unfall ausgegangen wäre. In diesem Zusammenhang dürfte zu berücksichtigen sein, dass in der ersten zeitnah zum Unfall erstellten und von der Klägerin vorgelegten Rechnung vom 27.09.2019 (Bl. 24 der SG-Akten) noch die „Diagnose(n): Segmentale Funktionsstörung; Myofasziales Schmerzsyndrom; Lumboischialgie; Muskelkontraktur: Beckenregion und Oberschenkel [Becken, Femur, Gesäß, Hüfte, Hüftgelenk, Iliosakralgelenk] angegeben waren und die Abrechnung der Behandlung am 26.07.2019 handschriftlich durchgestrichen war. Spätere, ebenfalls vorgelegte Rechnungen des B2 enthielten nur noch die Diagnose „Myofasziales Schmerzsyndrom“ ohne Angabe der betroffenen Körperregionen, was aus Sicht des Senats dafür spricht, dass hier auch weiterhin unfallunabhängige Erkrankungen (mit-)behandelt wurden.

Soweit Rechnungen für osteopathische Behandlungen vorgelegt wurden, betreffen diese Kosten für am
04.06.2020, 18.06.2020 und 03.07.2020 durchgeführte Maßnahmen, über deren Kosten die Beklagten im angefochtenen Bescheid nicht entscheiden konnte und entschieden hat.

Die Klägerin wendet sich streng genommen nicht gegen die Einstellung der Heilbehandlung bezogen auf die bislang herangezogenen Behandler, worüber die Beklagte entschieden hat, sondern begehrt die Kostenübernahme von Behandlungen, die sie zum Teil jedenfalls bereits vor der förmlichen Beendigung der unfallbedingten Heilbehandlung (in Unkenntnis der Beklagten) aufgenommen hatte und deren Erstattung sie erst im Klageverfahren konkret durch die Vorlage von Rechnungen begehrte bzw. – bezogen auf die osteopathische Behandlung im Jahr 2020 – ohne Rücksprache und Entscheidung der Beklagten erst aufgenommen hat. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 24.02.2000 – B 2 U 12/99 R –, juris) ist in der gesetzlichen Unfallversicherung ein unmittelbarer Kostenerstattungsanspruch des Verletzten für eine von ihm selbst gewählte Behandlung in der Regel aber nicht gegeben. Die gesetzliche Form der Leistungsgewährung ist in der gesetzlichen Unfallversicherung insoweit die Sach- und Dienstleistung. Dementsprechend bestimmt § 26 SGB VII den Umfang der Heilbehandlung, die insbesondere die ärztliche Behandlung umfasst. Eine Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen zur Heilbehandlung und Rehabilitation findet allein unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) statt, der in der gesetzlichen Unfallversicherung entsprechend anwendbar ist (Karl Friedrich Köhler in: Hauck/Noftz SGB VII, § 26 Grundsatz, Rn. 73). Danach kommt eine Kostenerstattung in der gesetzlichen Unfallversicherung hinsichtlich einer selbstbeschafften Leistung nur dann in Betracht, wenn der Unfallversicherungsträger (1.) eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn er (2.) eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Zusätzlich muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem die Haftung begründenden Umstand (bei der Alternative 1.: Unvermögen zur rechtzeitigen Leistung; bei Alternative 2.: rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) bestehen (BSG, Urteil vom 24.02.2000, a.a.O.). Ob diese Voraussetzungen allein dadurch erfüllt sind, dass die Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2019 den Anspruch auf Übernahme medizinischer Heilbehandlung zu Lasten der Berufsgenossenschaft über den 26.11.2019 hinaus abgelehnt und die medizinische Heilbehandlung zum 26.11.2019 abgebrochen hat, ist zumindest zweifelhaft. Denn die Klägerin hatte die hier streitigen Behandlungen aufgenommen, ohne die Beklagte zuvor oder während der Dauer der Behandlung hierüber zu unterrichten. Dies bezieht sich insbesondere auf die von der Klägerin im Widerspruchs- und Klageverfahren geltend gemachte Behandlung der Beschwerden an den Unterarmen. Insoweit hat sie weder den Behandler offengelegt, noch die konkrete Erstattung bereits angefallener Kosten begehrt. Nachdem die Klägerin im Widerspruchsverfahren lediglich Beschwerden an den Unterarmen („Die Behandlungen sind ausschließlich für die Unterarme“) und deren Behandlung geltend gemacht hat, waren Behandlungen wegen Beschwerden am Vorfuß noch nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, weswegen diesbezüglich auch kein Vorverfahren und auch keine Entscheidung der Beklagten vorliegt (weder zur Frage einer Unfallfolge noch zur Frage einer notwendigen Heilbehandlung). Über einen solchen Sachleistungs- und/oder Kostenerstattungsanspruch ist damit noch kein Vorverfahren durchgeführt worden.

Im Ergebnis kann dies letztlich dahinstehen, da nach der hier vertretenen Auffassung weder die Behandlungsbedürftigkeit der vom Ellenbogen in die Hände ziehenden Beschwerden noch die Beschwerden an den beiden Füßen rechtlich wesentlich auf das Unfallereignis zurückgeführt werden können und es insoweit bereits an einer Grundvoraussetzung für eine Kostenübernahme fehlt.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren nicht erforderlich, da der Sachverhalt geklärt ist. Mangels erfüllter Voraussetzungen (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG) kam auch eine Zurückverweisung der Sache an das SG nicht in Betracht, was vom Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeregt wurde.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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