L 11 R 4074/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1253/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4074/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.08.2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger begehrt die Erteilung einer neuen Versicherungsnummer, in der als Geburtsdatum anstatt des 22.09.1954 der 12.08.1952 ausgewiesen ist, sowie die Gewährung einer Altersrente ab 01.03.2018.

Der Kläger wurde in A (seinerzeit Ä, seit 1991 E) geboren und reiste 1984 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit.

Am 18.12.1984 erteilte die Beklagte dem Kläger die Versicherungsnummer 53220954O022 auf Grundlage seiner Angaben gegenüber der AOK Baden-Württemberg. Dieses Versicherungskonto wurde im November 2007 stillgelegt. Die Beklagte vergab am 02.05.1985 die weitere Versicherungsnummer mit dem Geburtstag 22.09.1954 23220954O003.

Die Beklagte erteilte dem Kläger unter der vergebenen Versicherungsnummer mehrfach Rentenauskünfte, zuletzt im Dezember 2015, und informierte den Kläger über den voraussichtlichen Beginn einer Regelaltersrente ab 01.06.2020.

Der Kläger bat in seinem Antrag auf Kontoklärung vom 13.05.2016 um eine Änderung seines Geburtsdatums. Mit Schreiben vom 24.06.2016 forderte die Beklagte eine amtlich bestätigte Kopie eines Nachweises des Geburtsdatums an, der vor der Vergabe der Sozialversicherungsnummer ausgestellt worden sei. Der Sohn des Klägers teilte im August 2016 mit, dass der angeforderte Geburtsnachweis leider nicht vorliege. Mit Schreiben vom 29.08.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dem Wunsch auf Änderung des Geburtsdatums in der Rentenversicherungsnummer nicht entsprochen werden könne. Der Kläger schaltete die DGB Rechtsschutz GmbH ein, die nach Akteneinsicht mit Schreiben vom 09.01.2017 mitteilte, dass die Angelegenheit nicht weiterverfolgt werde.

Am 12.10.2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Regelaltersrente und machte geltend, dass er tatsächlich am 12.08.1952 geboren sei. Er begehrte Regelaltersrente für die Zeit ab 01.03.2018. Die Agentur für Arbeit habe ihn aufgefordert, einen Rentenantrag für die Regelaltersrente ab 01.03.2018 zu stellen. Einen Geburtsnachweis, der vor Vergabe der Versicherungsnummer ausgestellt worden sei, habe er nicht und könne einen solchen auch nicht beschaffen. Er legte eine Eingliederungsvereinbarung der Agentur für Arbeit vom 06.06.2017 vor, in der er darauf hingewiesen wurde, dass das Arbeitslosengeld aufgrund Erreichens der Regelaltersgrenze zum 28.02.2018 ende.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 11.01.2018 den Antrag auf Änderung der Versicherungsnummer ab und verfügte, dass das bisherige Geburtsdatum 22.09.1954 für die Rentenversicherung bestehen bleibt. Der Versicherungsträger vergebe an jeden Versicherten, der bei ihm im Zeitpunkt der Vergabe versichert sei und erstmalig versichert werde und noch keine Versicherungsnummer besitze, eine Versicherungsnummer (§ 1 Abs 1 der Verordnung über die Versicherungsnummer, die Kontoführung und den Versicherungsverlauf in der gesetzlichen Rentenversicherung <VKVV> vom 30.03.2001). Bestandteil der Versicherungsnummer seien ua das Geburtsdatum des Versicherten und die Seriennummer. Eine Versicherungsnummer werde nur einmal vergeben und nicht berichtigt (§ 3 Abs 1 VKVV). Nur wenn das Geburtsdatum oder die Seriennummer in der Versicherungsnummer unrichtig sei, werde eine neue Versicherungsnummer vergeben (§ 3 Abs 1 VKVV). Das bei der Vergabe der Versicherungsnummer verwandte Geburtsdatum sei richtig iS von § 3 VKVV. Es stimme mit den früher vorgelegten ausländischen Urkunden überein. Das Geburtsdatum sei zwar nachträglich amtlich berichtigt worden, der Anlass hierfür sei aber nicht geeignet, das für die deutsche Sozialversicherung (hier Geburtsdatum in der Versicherungsnummer) geltende Geburtsdatum zu ändern.

Den Antrag auf Regelaltersrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.03.2018 ab, weil der Kläger noch nicht die Regelaltersgrenze erreicht habe. Diese erreiche er erst am 21.05.2020. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Agentur für Arbeit Ulm habe mit Bescheid vom 22.02.2018 die Bewilligung von Arbeitslosengeld unter richtiger Bezugnahme auf die erreichte Regelaltersgrenze aufgehoben. Er sei nachweislich am 12.08.1952 geboren. Hierbei sei es unerheblich, dass die Beklagte eine Versicherungsnummer mit einem anderen Geburtsdatum vergeben habe. Maßgeblich für den Eintritt in die Regelaltersrente sei das tatsächliche Alter.

Nach Hinweis der Beklagten auf den Bescheid vom 11.01.2018 beantragte der Kläger am 18.04.2018 die Überprüfung dieses Bescheides. Mit Schreiben vom 19.04.2018 teilte die Beklagte dem seinerzeitigen Bevollmächtigten des Klägers mit, dass von dem Geburtsdatum der vergebenen Versicherungsnummer gemäß § 33a Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nur abgewichen werden könne, wenn ein Schreibfehler vorliege oder sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der erstmaligen Angabe des Versicherten ausgestellt worden sei, ein anderes Geburtsdatum ergebe. Für den Kläger sei die Versicherungsnummer am 02.05.1985 vergeben worden. Die Beklagte bat um Übersendung von Urkunden, die vor diesem Zeitpunkt ausgestellt worden seien. Mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 02.08.2018 teilte der Kläger mit, dass er sich bemüht habe, Dokumente aus seinem Heimatland zu beschaffen. Ua habe er den Versuch unternommen, seine Taufurkunde zu erhalten. Die entsprechende Kircheneinrichtung, einschließlich des Taufregisters, sei während des Krieges zerstört worden. Der Kläger legte ein Schreiben der Eritreischen orthodoxen T Kirche, Bistum Region D, D1 in A1, Geschäftsstelle des Kirchenvorstands vom 29.04.2018 vor. Darin wird mitgeteilt, dass die Kirche von A1 das Taufregister nur ab 1996 habe, weil die Kirche während des Krieges vernichtet worden sei. Drei Zeugen hätten aber ausgesagt, dass der Kläger 1952 geboren sei. Der Kirchenvorstand von A1 habe sich sein Geburtsdatum durch diese drei Zeugen bestätigen lassen. Weiterhin legte er - in Kopie - ein Schulzeugnis des Ministeriums für Bildung und Kultur der äthiopischen Regierung der vierten A Schule nebst Übersetzung vor. Ausweislich der Übersetzung wurde das Zeugnis für das akademische Jahr 1964 ausgestellt und das Alter des Klägers mit 12 angegeben. Das Zeugnis wurde vom Schulleiter unterzeichnet, enthält aber kein Ausstellungsdatum. Das der Übersetzung zugrundeliegende Schriftstück besteht aus einem in amharischen und englischer Sprache verfassten Formular, das handschriftlich ergänzt wurde. Im Original wurde unter „School Year“ handschriftlich, soweit lesbar, 1951 oder 1957 eingetragen.

Mit Bescheid vom 02.08.2018 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Bei erneuter Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei festgestellt worden, dass der frühere Bescheid vom 11.01.2018 rechtmäßig sei, da das Recht weder unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die neu vorgelegten Unterlagen ergäben keine neuen Gesichtspunkte. In der vorgelegten Schulbescheinigung sei kein Geburtsdatum dokumentiert. Es sei lediglich pauschal das Alter des Schülers mit 12 Jahren angegeben. Ebenso könne nicht erkannt werden, wann das Dokument ausgestellt worden sei.

Dagegen legte der Kläger am 03.09.2018 Widerspruch ein. Die Beklagte habe es unterlassen, weitere Ermittlungen durchzuführen. Die genannten Zeugen seien nicht gehört worden. Die damalige politische Situation sei außer Betracht geblieben. In seinem Land habe eine Diktatur geherrscht. Mitglieder der Opposition seien größtenteils verhaftet worden. Auch er habe sich vor der Staatsgewalt schützen müssen. Die beigebrachten Unterlagen seien unter höchster Gefahr aus dem Land „geschmuggelt“ worden. Es bestehe derzeit keine zumutbare Möglichkeit, weitere Unterlagen vorzulegen.

Die Beklagte wies die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 13.03.2018 und 02.08.2018 mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2019 als unbegründet zurück. Aus der vorgelegten Schulbescheinigung ergebe sich kein Geburtsdatum. Es werde lediglich das Alter des Schülers pauschal mit 12 Jahren angegeben. Wann das Dokument ausgestellt worden sei, sei nicht ersichtlich. Zeugenaussagen stellten keine Nachweise dar. Zudem seien diese erst weit nach der Vergabe der Versicherungsnummer erfolgt. Unterlagen seien nicht vorgelegt worden. Daher sei in dem Bescheid vom 11.01.2018 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich im Nachhinein als unrichtig erwiesen habe. Ein Anspruch auf Altersrente bestehe derzeit nicht. Der Kläger habe die Regelaltersgrenze bisher nicht erreicht, werde diese erst zum 21.05.2020 erreichen.

Dagegen hat der Kläger am 22.03.2019 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Ihm sei im Ergebnis rückwirkend ab dem 01.03.2018 Regelaltersrente zu gewähren. Er sei am 12.08.1952 geboren. Es sei unrechtmäßig, wenn die entsprechenden Leistungsträger bei der Bewilligung von Leistungen unterschiedliche Voraussetzungen zugrunde legten. Das Zeugnis der A Schule aus dem Jahr 1964, welches sein Alter zu diesem Zeitpunkt mit 12 Jahren ausweise, bleibe unberücksichtigt. Er habe keine zumutbare Möglichkeit, Unterlagen beizubringen. Ein anderes Geburtsdatum ergebe sich auch dann aus einer Alturkunde iSd § 33a Abs 2 Nr 2 SGB I, wenn die Urkunde zwar das Geburtsdatum nicht nenne, wohl aber belege, dass eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt gelebt habe (Schulabschluss) und aus diesem Umstand sowie weiterer allgemein zugänglicher Erkenntnis (regelmäßiges Einschulalter und Dauer der Schulzeit) auf ein Geburtsdatum zurückgerechnet werden könne (Hinweis auf Landessozialgericht <LSG> Rheinland-Pfalz 07.03.2012, L 4 R 487/11). Das gemäß § 33a Abs 1 SGB I aufgrund der ersten Angabe maßgebende Geburtsdatum sei immer dann durch ein älteres Geburtsdatum zu ersetzen, wenn die ältere Urkunde ihrem Charakter nach besser als die Regel des § 33a Abs 1 SGB I geeignet sei, die Richtigkeit des darin angegebenen bzw des sich hieraus ergebenden Geburtsdatums zu belegen. Er - der Kläger - habe ein Zeugnis der A Schule aus dem Jahr 1964 vorgelegt, welches sein Alter zu diesem Zeitpunkt mit 12 Jahren ausweise.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Zwischenzeitlich hat die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 24.07.2020 Regelaltersrente ab 01.06.2020 bewilligt.

Das SG hat mit den Beteiligten eine mündliche Verhandlung durchgeführt und den Kläger persönlich angehört. Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung das dort vom Kläger vorgelegte Zeugnis der A Schule im Original in Augenschein genommen.

Das SG hat mit Urteil vom 24.08.2020 die Bescheide vom 13.03.2018 und 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2019 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 11.01.2018 aufzuheben und an den Kläger eine neue Versicherungsnummer unter Zugrundelegung des Geburtsdatums 12.08.1952 zu vergeben, sowie die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Regelaltersrente für die Zeit vom 01.03.2018 bis zum 31.05.2020 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Außerdem hat das SG der Beklagten auferlegt, dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Der Kläger habe einen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 11.01.2018 nach § 44 SGB X. Die Beklagte habe zu Unrecht die Änderung der Versicherungsnummer unter Zugrundelegung des Geburtsdatums 12.08.1952 abgelehnt. Soweit Rechte und Pflichten davon abhängig seien, dass eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten sei, sei nach § 33a Abs 1 SGB I regelmäßig das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des dritten oder sechsten Abschnitts des Vierten Buches handele, gegenüber dem Arbeitgeber ergebe. Entscheidend sei nach dem gesetzlichen Regelfall nicht mehr das richtige Geburtsdatum, sondern das Geburtsdatum der ersten Angabe, sofern beide auseinanderfielen. Der Kläger habe bei der erstmaligen Vergabe der Versicherungsnummer am 18.12.1984 als Geburtsdatum 22.09.1954 angeben. Von dem nach § 33a Abs 1 SGB I maßgeblichen Geburtsdatum dürfe nach § 33 a Abs 2 SGB I jedoch abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststelle, dass ein Schreibfehler vorliege oder sich aus der Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach § 33a Abs 1 SGB I ausgestellt worden sei, ein anderes Geburtsdatum ergebe. Die Ausnahme nach § 33a Abs 2 Nr 2 SGB I sei im Fall des Klägers erfüllt. Der Kläger habe ein Zeugnis der A Schule und damit eine Urkunde iSd § 33a Abs 2 Nr 2 SGB I vorgelegt, die zeitlich vor der ersten Angabe seines Geburtsdatums bei der Vergabe der Versicherungsnummer am 18.12.1984 datiere und die ein abweichendes Geburtsdatums belege. § 33a Abs 2 SGB I verlange nicht, dass das Geburtsdatum als solches in der Urkunde ausdrücklich und vollständig vermerkt sei. Das Geburtsdatum ergebe sich aus der Urkunde auch, wenn die durch die Urkunde bewiesenen Tatsachen zur vollen Überzeugung des Gerichts auf ein abweichendes Geburtsdatums iSd § 33a Abs 2 SGB I schließen ließen (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> 28.04.2004, B 5 RJ 33/03 R). Der vom Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegte handschriftlich ausgefüllte Zeugnisvordruck sei zur Überzeugung der Kammer zeitnah nach Abschluss des akademischen Jahres 1964 erstellt worden. Das Zeugnis zeige Eintragungen mit im Hinblick auf „1st Semester“, in „2nd Semester“ und „Year Average“ unterschiedlichen Blautönen. Zudem weise das Zeugnis eine deutlich gelbliche Färbung sowie Flecken auf. All dies deute darauf hin, dass es nicht nachträglich zur Vorlage bei Gericht erstellt, sondern im Zusammenhang mit der schulischen Ausbildung durch den damaligen Lehrer ausgefüllt worden sei. Ausweislich der Übersetzung sei auf der Seite mit dem Wappen Äs das Alter von 12 sowie das akademische Jahr 1964 vermerkt. Soweit die Beklagte vortrage, es sei nicht ersichtlich, ob es sich um die Jahreszahl 1951, 1957 oder 1959 handele, und die Übersetzung sei widersprüchlich, da diese als akademisches Jahr 1964 angebe, könne dem nicht gefolgt werden. Bei der angegebenen Zahl handele es sich um die Jahreszahl 1957. Die dort geschriebene 7 entspreche der Zahl 7 unter „Year Average“ und unterscheide sich deutlich von den Ziffern 1 und 9. Auch die Übersetzung sei nicht widersprüchlich. Die Jahreszählung des äthiopischen Kalenders laufe dem gregorianischen Kalender 7 Jahre und etwa 8 Monate hinterher, sodass entsprechend der Übersetzung das dort angegebene akademische Jahr 1957 dem Jahr 1964 des gregorianischen Kalenders entspreche. Dementsprechend ergebe sich aus dem vorgelegten Zeugnis, dass der Kläger im Jahr 1964 ein Alter von 12 Jahren gehabt habe und damit nicht 1954, sondern vielmehr 1952 geboren sein müsse. Bei unbekanntem Geburtstag und -monat werde der 01.07. des jeweiligen Jahres als recht- und zweckmäßig erachtet (Hinweis auf BSG 28.04.2004, B 5 RJ 33/03 R). Vorliegend bleibe das Begehren des Klägers dahinter zurück, er begehre die Zugrundelegung des 12.08.1952, sodass dieses Geburtsdatum zugrunde gelegt werden könne. Die Voraussetzungen des § 33a Abs 2 Nr 2 SGB V seien erfüllt, sodass die Ablehnung der Änderung der Versicherungsnummer rechtswidrig gewesen sei. Der Kläger begehre eine Rücknahme für die Vergangenheit, diese stehe nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X im Ermessen der Behörde. Das Ermessen sei im vorliegenden Fall aber auf Null reduziert, sodass sich die Beklagte nur für die Rücknahme des Bescheides habe entscheiden können. Ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung der unzutreffenden Versicherungsnummer sei nicht gegeben. Der Kläger habe in der Folge einen Anspruch auf Altersrente beginnend ab 01.03.2018, sodass die Ablehnung der Rente mit Bescheid vom 13.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2019 rechtswidrig sei. Nach § 235 SGB VI hätten Versicherte, die vor dem 01.01.1964 geboren seien, Anspruch auf Regelaltersrente, wenn die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit erfüllt sei. Die Regelaltersgrenze werde frühestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht. Für Versicherte, die nach dem 31.12.1946 geboren seien, werde die Regelaltersgrenze nach § 235 Abs 2 Satz 2 SGB VI angehoben, für 1952 geborene um 6 Monate auf 65 Jahre und 6 Monate. Der Kläger habe damit einen Anspruch auf Altersrente beginnend ab 01.03.2018.

Gegen das ihr am 11.12.2020 zugestellte Urteil wendet sie die Beklagte mit ihrer am 21.12.2020 beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Vorliegend sei festzustellen, dass das vom Kläger in Kopie vorgelegte Schulzeugnis keine Auskunft darüber gebe, wann es ausgestellt worden sei. Auch enthalte es kein Geburtsdatum des Klägers und gebe nicht zweifelsfrei seine Person betreffend Auskunft. Weitere entscheidungserhebliche Daten zum zweifelsfreien Bestimmen des Geburtsdatums fehlten ebenfalls. Das SG habe darauf abgestellt, dass der handschriftlich ausgefüllte Zeugnisvordruck auf der Seite mit dem Wappen Äs das Alter 12 sowie das akademische Jahr 1964 vermerke. Hier ergäben sich bereits die ersten Zweifel. Nach seinen Angaben habe der Kläger eine private Schule besucht und nach diesem Schuljahr angefangen zu arbeiten. Zunächst stelle sich die Frage, inwiefern eine private Schule in A berechtigt gewesen sei, das Staatswappen zu führen, und wieso die Adresse der Schule im Vordruck handschriftlich eingetragen worden sei. Darüber hinaus seien die beiden auf dem Vordruck angebrachten Stempel nicht übersetzt. Sofern das SG beim vorgelegten Zeugnis auf eine deutliche gelbe Färbung und Flecken hinweise, sei eine bloße Inaugenscheinnahme nicht ausreichend. Die Kopie zeige, dass das Zeugnis gefaltet gewesen sei und nicht gleichzeitig dem Sonnenlicht ausgesetzt gewesen sein könne. Hier hätten deutliche Farbschattierungen auftreten müssen. Auch könne von vorhandenen Flecken auf kein Alter geschlossen werden, weil auch Papier einem künstlichen Alterungsprozess ausgesetzt werden könne. Weiter habe das SG ausgeführt, dass das Alter mit 12 angegeben worden sei. Hier sei nicht nachvollziehbar, wieso der Lehrer bei der „arabisch“ geschriebenen Zahl die zwei nicht richtig geschrieben habe. Ausweislich der Eintragungen bei der Beurteilung zu den Fächern sei dem Lehrer die arabische Zahl bekannt gewesen. Auch sei die Übersetzung der Angaben bei „grade and class“ nicht vollständig. Ferner verwundere es, dass die Jahreszahl 1951 oder 1957 nicht auch wie auf der Seite üblich in Amharisch angegeben worden sei. Bei der Betrachtung der Zahl 1951 bzw 1957 falle auf, dass eine angenommene 7 (sie habe eher eine Nase nach oben) nicht mit den Ziffern auf der Seite mit den Beurteilungen übereinstimme. Dort habe die 7 einen Mittelstrich oder eine Nase nach unten. Die dortigen Eintragungen schienen auch von unterschiedlichen Personen zu stammen. Gehe man von den Blautönen der Schrift aus, müsse die Person, welche die Bewertung des ersten Semesters eingetragen habe, auch die Seite „Student Report Card“ ausgefüllt haben. Danach müsste die vermeintliche 7 einen Querstrich aufweisen, was sie aber nicht tue. Nachdem das Schuljahr auf der Seite „Student Report Card“ die einzige Zahlenangabe sei, die nicht auch in amharischer Sprache angegeben worden sei, könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass hier nicht der gregorianische Kalender bereits Berücksichtigung gefunden habe. Orientiere man sich weiter an den Blautönen, falle auf, dass die Eintragungen der Leistungsbeurteilung im ersten Semester mit dem gleichen Blauton wie der handschriftliche Vermerk einer Nachprüfung auf der Seite Empfehlung der Schule im zweiten Semester geschrieben worden sei. Die Angaben des Zeugnisses seien daher in sich nicht schlüssig. Die Stadt A sei zum damaligen Zeitpunkt bereits eine größere Stadt mit verschiedenen Schulen gewesen. Es werde davon ausgegangen, dass Schulpflicht geherrscht habe. Die Beklagte habe nicht eindeutig feststellen können, wie lange seinerzeit die allgemeinbildende Schulpflicht bestanden habe und mit welchem Alter eine Einschulung stattgefunden habe, welche Schulen allgemein zuständig gewesen und welche aufbauend für eine höhere Bildung tätig geworden seien. Dem Zeugnis könne nicht entnommen werden, ob es sich bei der Schule in A um eine Grund- und/oder um eine weiterführende Schule handele. Auch könne nicht über einen Schülernamen, den Fingerabdruck eines Elternteils/Erziehungsberechtigten ohne weitere Angaben zu dessen Person auf eine Personengleichheit mit dem Kläger geschlossen werden. Schließlich enthalte das Zeugnis kein Ausstellungsdatum.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 24.08.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens das angegriffene Urteil.

Mit Verfügung vom 22.11.2021 hat der Berichterstatter den Kläger aufgefordert, binnen 4 Wochen mitzuteilen, wann er - der Kläger - gegenüber wem im Dezember 1984 das Geburtsdatum 22.09.1954 angegeben habe, und bei ihm die dem zugrundeliegenden Unterlagen (zB Geburtsurkunde, Ausweisdokumente etc) angefordert. Weiterhin ist der Kläger aufgefordert worden, mitzuteilen, bei welchen Behörden er mit welchem Geburtsdatum seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland geführt (Ausländerbehörde, Einbürgerungsbehörde etc) worden sei und auf welcher Grundlage. Schließlich ist der Kläger aufgefordert worden, den Beweis durch Vorlage der streitigen Urkunde anzutreten (§ 420 Zivilprozessordnung <ZPO>). Eine Reaktion des Klägers ist - trotz Erinnerung - nicht erfolgt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagte ist zulässig und begründet.

Der Senat war berechtigt, über die Berufung aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22.03.2022 zu entscheiden. Dem Antrag des Klägers, die mündliche Verhandlung zu vertragen, war nicht zu entsprechen, weil erhebliche Gründe nicht vorliegen (§ 202 Sozialgerichtsgesetz [SGG] iVm 227 Abs 1 ZPO). Der Kläger, der zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat persönlich erschienen ist, hat zur Begründung angegeben, dass eine Abstimmung mit seinem Bevollmächtigten vor dem Termin nicht möglich gewesen sei. Dies stellt eine mangelnde und nicht genügend entschuldige Vorbereitung des Termins durch den Kläger und seinen Bevollmächtigten dar, die keinen erheblichen Grund dargestellt (§ 227 Abs 1 Satz 2 Nr 2 ZPO). Insofern hat der Kläger geltend gemacht, dass er erst am Vorabend des Termins durch seinen Bevollmächtigten über die mündliche Verhandlung informiert worden sei, obwohl diesem die Ladungsverfügung des Vorsitzenden vom 15.02.2022, in der dem Kläger ausdrücklich freigestellt wurde, zur mündlichen Verhandlung zu entscheiden, ausweislich des Empfangsbekenntnisses bereits am 22.02.2022 zugestellt worden war. Damit hatten der Kläger und sein Bevollmächtigter ausreichend Zeit (vgl § 110 Abs 1 Satz 1 SGG), sich vor der mündlichen Verhandlung abzusprechen und auf diese vorzubereiten.   

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig.

Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 13.03.3018 und 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 (§ 95 SGG), mit denen die Beklagte eine Zurücknahme ihres Bescheides vom 11.01.2018 nach § 44 SGB X sowie eine Änderung der Versicherungsnummer unter Berücksichtigung des Geburtsdatums 12.08.1952 und die Gewährung einer Regelaltersrente ab 01.03.2018 abgelehnt hat. Auf Klage hat das SG die Bescheide vom 13.03.2018 und 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2019 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 11.01.2018 aufzuheben und an den Kläger eine neue Versicherungsnummer unter Zugrundelegung des Geburtsdatums 12.08.1952 zu vergeben, sowie die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Regelaltersrente für die Zeit vom 01.03.2018 bis zum 31.05.2020 in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Dagegen wendet sich allein die Beklagte mit ihrer Berufung.

Die Berufung hat in der Sache Erfolg. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt. Denn die Bescheide der Beklagten vom 13.03.3018 und 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2019 sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten.

Zunächst hat das
SG zu Recht die Agentur für Arbeit Ulm nicht nach § 75 Abs 2 SGG beigeladen. § 75 Abs 2 SGG lautet: „Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann oder ergibt sich im Verfahren, daß bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, ein Träger der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt, so sind sie beizuladen.“ In Betracht kommt vorliegend lediglich eine unechte notwendige Beiladung eines anderen Versicherungsträgers (Agentur für Arbeit). Eine solche scheidet aber aus, weil der Bescheid der Agentur für Arbeit vom 22.08.2018 über die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 01.03.2018 mangels Anfechtung durch den Kläger bestandskräftig geworden ist und deshalb deren Verurteilung von vornherein nicht möglich wäre (vgl zB BSG 04.09.1999, B 2 U 19/98 R, SozR 3-2200 § 1150 Nr 2).

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Gewährung einer Regelaltersrente ab 01.03.2018 und die Änderung der Versicherungsnummer unter Berücksichtigung des Geburtsdatums 12.08.1952.

Nach § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie
1. die Regelaltersgrenze erreicht und
2. die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben. Die Regelaltersgrenze wird mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht.
Nach der Übergangsvorschrift des § 235 Abs 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte, die - wie der Kläger unstreitig - vor dem 01.01.1964 geboren sind, Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie
1. die Regelaltersgrenze erreicht und
2. die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben. Die Regelaltersgrenze wird frühestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht. Nach § 235 Abs 2 Satz 1 SGB VI erreichen Versicherte, die vor dem 01.01.1947 geboren sind, die Regelaltersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres. Für Versicherte, die - wie der Kläger - nach dem 31.12.1946 geboren sind, wird die Regelaltersgrenze ua wie folgt angehoben:
- 1952 Anhebung um 6 Monate auf 65 Jahre und 6 Monate,
- 1954 Anhebung um 8 Monate auf 65 Jahre und 8 Monate.

Der Kläger hat eine Regelaltersrente beantragt und ausweislich des in den Verwaltungsakten enthaltenen Versicherungsverlaufs (Bl 1A der Verwaltungsakten) die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Die Beteiligten streiten allein darüber, ob der Kläger die Regelaltersgrenze am 12.02.2018 oder 22.05.2020 erreicht hat. Dies hängt davon ab, ob das vom Kläger behauptete Geburtsdatum 12.08.1952 unter Berichtigung seiner Versicherungsnummer oder das bei der Vergabe der Versicherungsnummer am 18.12.1984 berücksichtigte Geburtsdatum 22.09.1954 zugrunde gelegt wird. Vorliegend ist das bei der erstmaligen Vergabe der Versicherungsnummer am 18.12.1984 berücksichtigte Geburtsdatum 22.09.1954 maßgeblich.

Für den Fall, dass Rechte oder Pflichten - wie vorliegend die Altersrente - davon abhängig sind, dass eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten ist, ist nach § 33a Abs 1 SGB I das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitts des Vierten Buches Sozialgesetzbuch handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt. Von einem nach § 33a Abs 1 SGB I maßgebenden Geburtsdatum darf nach § 33a Abs 2 SGB I nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass
1. ein Schreibfehler vorliegt oder
2. sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach § 33a Abs 1 SGB I ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt.
Diese Regelungen gelten nach § 33a Abs 3 SGB I auch für Geburtsdaten, die Bestandteil der Versicherungsnummer oder eines anderen in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs verwendeten Kennzeichens sind, entsprechend. Für den Bereich der Rentenversicherung ist für jeden Versicherten eine Versicherungsnummer zu vergeben (§ 147 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Die Versicherungsnummer einer Person setzt sich nach § 147 Abs 2 Satz 1 SGB VI ua aus dem Geburtsdatum zusammen. Nach § 3 Abs 1 Satz 1 wird eine Versicherungsnummer nur einmal vergeben und nicht berichtigt. Versicherungsnummern, in denen das Geburtsdatum oder die Seriennummer unrichtig sind, oder Versicherungsnummern, die aufgrund einer nach § 33a SGB I zu berücksichtigenden Änderung des Geburtsdatums fehlerhaft geworden sind, werden gesperrt (§ 3 Abs 1 Satz 1 VKVV). Die Versicherten erhalten eine neue Versicherungsnummer (§ 3 Abs 1 Satz 3 VKVV).

Nach diesen rechtlichen Maßgaben kommt die vom SG ausgesprochene Rentengewährung ab 01.03.2018 nur in Betracht, wenn abweichend von dem bei der erstmaligen Vergabe der Versicherungsnummer am 18.12.1984 berücksichtigten Geburtsdatum 22.09.1954 das vom Kläger behauptete Geburtsdatum 12.08.1952 unter Berichtigung seiner Versicherungsnummer nach § 33a Abs 2 SGB I zugrunde zu legen ist. Dies scheidet jedoch aus.  

Mit der Einfügung des § 33a SGB I (durch Art 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze <Erstes SGB III-Änderungsgesetz> vom 16.12.1997 <BGBl I 2970, 2981>) wollte der Gesetzgeber die missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen mittels nachträglicher Änderung von Geburtsdaten vermeiden (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 12.11.1997, BT-Drs 13/8994, S 67, auch zum Folgenden). Verschiedene ausländische Rechtsordnungen sähen die Möglichkeit vor, das Geburtsdatum durch eine gerichtliche Entscheidung zu ändern. Solche Änderungen könnten im deutschen Sozialrecht zu Vorteilen führen, die in der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung nicht damit verbunden seien. Denn diese Rechtsordnungen würden die Änderungen von Geburtsdaten für den Bereich der sozialen Sicherung überwiegend nicht anerkennen. Die Regelung knüpfe an die Rechtsprechung des BSG an, wonach auch für inländische Sozialleistungsträger und Gerichte solche ausländischen Statusentscheidungen grundsätzlich nicht verbindlich seien. Derzeit verlangten diese Fälle jedoch eine besonders verwaltungsintensive Prüfung. Die vorliegende Regelung solle daher - diese Prüfung vereinfachend - sicherstellen, dass derartige Änderungen von Geburtsdaten auch im deutschen Sozialrecht grundsätzlich nicht berücksichtigt würden. Dies werde dadurch erreicht, dass die für den Bereich des Sozialgesetzbuchs maßgebenden Daten gesondert festgelegt würden. Diese Festlegung gelte nur für den Bereich des Sozialgesetzbuchs. Die Bedeutung der jeweiligen ausländischen Entscheidung außerhalb dieses Bereichs bliebe unberührt. Maßgebend sei grundsätzlich das Geburtsdatum, das zuerst einem Sozialleistungsträger gegenüber angegeben worden sei. Hierbei müsse es sich nicht um den zuständigen Leistungsträger handeln. Derartige „Geburtsdatenänderungen“, die nach der Erstangabe iSd § 33a Abs 1 SGB I vorgenommen werden, bleiben jetzt im Geltungsbereich des SGB bei der Frage einer Neuvergabe der Versicherungsnummer (ebenso wie im Leistungsfall) von vornherein unberücksichtigt.

Ergibt aber eine vor der Erstvergabe der Versicherungsnummer ausgestellte Urkunde ein anderes Geburtsdatum im Sinne von § 33a Abs 2 Nr 2 SGB I, so wird in der Regel kein Versuch einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen angenommen werden können. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit § 33a SGB I die unbedingte Anknüpfung an das „wahre“ Geburtsdatum aufgegeben hat (BSG 31.03.1998, B 8 KN 5/95 R, SozR 3-1200 § 33a Nr 1; BSG 05.04.2001, B 13 RJ 35/00 R, BSGE 88, 89). Um die besonders verwaltungsintensive Prüfung, die vor Inkrafttreten des § 33a SGB I häufig zur Ermittlung des tatsächlichen Geburtsdatums erforderlich war, zu vermeiden, wird das im Geltungsbereich des SGB maßgebliche Geburtsdatum eigenständig definiert. Deshalb braucht das Tatsachengericht auch bei der Prüfung, ob sich aus einer älteren Urkunde ein vor der ersten Angabe abweichendes Geburtsdatum ergibt, nicht unbedingt das wahre historische Datum der Geburt zu ermitteln. Das gemäß § 33a Abs 1 SGB I aufgrund der ersten Angabe maßgebende Geburtsdatum ist lediglich durch ein anderes Geburtsdatum zu ersetzen, das sich aus einer älteren Urkunde ergibt, wenn die ältere Urkunde ihrem Charakter nach - besser als die Regel des § 33a Abs 1 SGB I - geeignet ist, die Richtigkeit des darin angegebenen Geburtsdatums zu belegen. Der Gesetzgeber hat damit auf eine auffallend hohe Zahl nachträglicher Änderungen ausländischer Geburtsdateneintragungen in Fällen, in denen dies Leistungsbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland günstig erscheinen konnte, reagiert (BSG 05.04.2001, B 13 RJ 35/00 R, BSGE 88, 89 mwN). Die Vorschrift enthält keine Beschränkung auf eine Berücksichtigung nur bestimmter Arten von Urkunden, sodass sich der Urkundenbegriff des § 33a Abs 2 Nr 2 SGB I nach den allgemeinen Bestimmungen richtet (BSG 05.04.2001, B 13 RJ 35/00 R, BSGE 88, 89, auch zum Folgenden). Danach sind Urkunden alle durch Niederschrift verkörperten Gedankenerklärungen, die geeignet sind, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen. Dass nur Urkunden zu berücksichtigen sind, deren Original vor der ersten Angabe des Versicherten iSv § 33a Abs 1 SGB I ausgestellt worden ist, bedeutet nicht, dass das Original der Urkunde vorliegen muss. Gerade Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb ihres Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen worden sind (öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 Abs 1 ZPO), befinden sich häufig in amtlicher Verwahrung. Ausschlaggebend ist, ob zur vollen Überzeugung des Gerichts festgestellt werden kann, dass eine Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe im Sinne des § 33a Abs 1 SGB I ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt. Daher kann für die Überzeugungsbildung des Gerichts auch eine Kopie von Bedeutung sein, unabhängig davon, wann diese ausgestellt worden ist (BSG 05.04.2001, B 13 RJ 35/00 R, BSGE 88, 89). Auch können nicht nur Personenstandsunterlagen bzw nur solche Urkunden herangezogen werden, die das Geburtsdatum unmittelbar selbst dokumentieren,
dh das Geburtsdatum als solches muss nicht ausdrücklich und vollständig in der Urkunde vermerkt sein (BSG 28.04.2004, B 5 RJ 33/03 R, Rn 20 f, juris).

Steht fest, dass eine vor der ersten Angabe ausgestellte Originalurkunde mit abweichendem Geburtsdatum existiert, darf von dem Geburtsdatum der ersten Angabe iSd § 33a Abs 1 SGB I abgewichen werden. Mit dem Wort „darf“ wird dem Leistungsträger kein Ermessensspielraum eingeräumt; es hat vielmehr den Sinn einer Ermächtigung und Befugnis (BSG 05.04.2001, B 13 RJ 35/00 R, BSGE 88, 89).

Nach diesen Maßgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer neuen Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 12.08.1952 bzw einem Geburtsdatum vor dem 22.09.1954. Denn der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass sich aus dem vom Kläger vorgelegten Schulzeugnis ein Geburtsdatum vor dem 22.09.1954 ergibt. Zunächst gehen die Beteiligten mittlerweile übereinstimmend zu Recht davon aus, dass die am 19.04.2018 ausgestellte Bescheinigung der Eritreischen orthodoxen T Kirche, Bistum Region D, D1 in A1 nicht herangezogen werden kann, weil diese (viele Jahrzehnte) nach erstmaliger Vergabe der Versicherungsnummer (Dezember 1984) ausgestellt worden ist. Weiterhin sind die Beteiligten und das SG zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Schulzeugnis um eine Urkunde handelt. Der Senat kann sich aber nicht davon überzeugen, dass das Schulzeugnis vor dem 18.12.1984 ausgestellt worden ist und sich aus diesem ein älteres Geburtsdatum ergibt. Das Schulzeugnis weist kein Ausstellungsdatum aus. Es gibt lediglich Auskunft über das Schuljahr bzw akademische Jahr. Daraus folgt aber nicht, dass das Zeugnis am Ende des Schuljahres durch den Lehrer/Schulleiter erstellt worden ist. Der Kläger hat in seiner persönlichen Anhörung vor dem SG angeben, dass er keine Angaben dazu machen könne, wann er das Zeugnis erhalten habe. Auch hat der Kläger keinerlei Angaben zum Verbleib und zur Verwahrung des Zeugnisses in der Vergangenheit (wo, bei wem, seit wann?) sowie zum Erhalt (wann, Übermittlung durch wen?) gemacht. Insofern ist die Annahme des SG, dass der Zustand des Zeugnisses (Flecken, gelbliche Färbung) dafürspreche, dass dieses im Zusammenhang mit der schulischen Ausbildung ausgestellt worden sei, bloße Spekulation. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Zeugnis erst 1985 oder später erstellt worden und bis zur Vorlage im Jahr 2018 durch eine Vielzahl von Gebrauchspuren bzw Alterserscheinen „gealtert“ ist. Weiterhin überzeugt die Annahme des SG, dass sämtliche Eintragungen von einem Lehrer, der den Kläger nach seinen Angaben ausschließlich während seiner Schulzeit unterrichtet habe, herrühren sollen, nicht. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die handschriftlichen Eintragungen auf der 3. Seite des Zeugnisses deutlich unterscheiden. So weisen die eingetragenen Zahlen in den Spalten „1st Semester“ und „2nd Semester“ einerseits und „Year Average“ anderseits deutliche Unterschiede auf. Ferner ist der Senat nicht davon überzeugt, dass sich aus dem Schulzeugnis ein abweichendes Geburtsdatum ergibt. Es mag mit dem SG und dem Übersetzer im Ansatz davon ausgegangen werden, dass die handschriftliche Eintragung des Schuljahres „1957“ darstellt und diese Jahreszahl dem äthiopischen Kalender entspricht. Da der äthiopische Kalender dem gregorianischen Kalander ca 7 Jahre und 8 Monate „hinterherhinkt“, ergibt sich daraus aber kein akademisches Jahr 1964, sondern ein Zeitraum von ca September 1964 bis August 1965. Weiterhin bestehen Zweifel, wer und wann die Eintragungen in das Schulzeugnisformular vorgenommen hat. So ist auffällig, dass auf der 1. Seite des Zeugnisses alle anderen Zahlenangaben (Nummer der Schule, Alter, Klasse) nicht mit arabischen Ziffern erfolgt sind, sondern die Zahlwörter in amharischer Sprache eingetragen wurden. Insofern ist nicht erklärlich, warum gerade das Schuljahr in arabischen Ziffern eingetragen wurde. Auch unterscheidet sich die Schreibweise der Zahlen auf Seite 3 des Zeugnisses, was auf verschiedene eintragende Personen hindeutet. Weiter ist nicht klar, auf welchen Zeitpunkt (zB Beginn des 1. Semesters oder Ende des 2. Semesters) sich das mit 12 angegebene Alter beziehen soll, wobei unter Zugrundlegung des vom Klägers behaupteten Geburtsdatums 12.08.1952 sich am Ende des 2. Semesters ein Alter von 13 Jahren ergeben würde. Schließlich hat der Kläger - trotz Aufforderung des Senats - keinerlei Angaben dazu gemacht, unter welchen konkreten Umständen und auf welcher Grundlage es im Dezember 1984 zur Angabe des Geburtsdatums 22.09.1954 gekommen ist sowie welche Angaben und Unterlagen er in anderen Verwaltungsverfahren (asyl- oder ausländerrechtliche Verfahren, Einbürgerungsverfahren etc) gemacht bzw vorgelegt hat.

Unter diesen Umständen unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt erheblich von dem Sachverhalt, der dem vom Kläger angeführten Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 07.03.2012 (L 4 R 487/11) zugrunde lag. 

Nachdem sich aus dem vom Kläger vorgelegten Schulzeugnis kein Geburtsdatum vor dem 22.09.1954 ergibt, stellt sich der Bescheid der Beklagten vom 11.01.2018 als rechtmäßig dar, sodass dessen Korrektur nach Maßgabe des § 44 SGB X von vornherein ausscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da ein Grund hierfür (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) nicht vorliegt.

Rechtskraft
Aus
Saved