L 7 R 1186/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 4014/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 1186/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Februar 2019 aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 19. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2018 in der Fassung der bis 28. Juli 2022 ergangenen Rentenanpassungsmitteilungen verurteilt, der Klägerin eine höhere Rente ab dem 1. Juli 2018 unter Berücksichtigung des Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d SGB VI in der Fassung vom 23. Juni 2014 für ihre drei 1967, 1970 und 1972 geborenen Kinder sowie unter Zugrundelegung des jeweils geltenden Rentenwertes (West) von 32,03 EUR ab dem 1. Juli 2018, von 33,05 EUR ab dem 1. Juli 2019, von 34,19 EUR ab dem 1. Juli 2020 und von 36,02 EUR ab dem 1. Juli 2022 zu bezahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Altersrente von der Beklagten.

Die 1941 geborene Klägerin, bei der seit dem 1. März 1997 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt ist (Bl. 133 Verw.-Akte), ist die Mutter von drei in den Jahren 1967, 1970 und 1972 geborenen Kindern. Hinsichtlich der von ihr zurückgelegten rentenversicherungsrechtlichen Zeiten wird auf die Kontoübersicht – Versicherung der Beklagten vom 30. Oktober 2014 (Bl. 395 ff. Verw.-Akte) Bezug genommen.

Die Beklagte gewährte ihr mit Bescheid vom 14. August 1997 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit ab dem 1. März 1997 (Bl. 55 Verw.-Akte). Im Zuge eines über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vor dem Sozialgericht Mannheim geführten Rechtsstreits – S 3 RA 1824/98 – bescheinigte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 8. Juni 1999, dass der früheste Zeitpunkt für einen Anspruch auf eine Altersrente für Schwerbehinderte ohne Rentenminderung der 1. Mai 2001 sei (Bl. 184 Verw.-Akte), worauf die Klägerin – entsprechend ihrer vorherigen diesbezüglichen Ankündigung (Bl. 183 Verw.-Akte) – ihre Klage zurücknahm (Bl. 186 Verw.-Akte).

Am 11. Januar 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente für Schwerbehinderte wegen Vollendung des 60. Lebensjahres (Bl. 192 ff. Verw.-Akte). Mit Bescheid vom 22. Juni 2001 nahm die Beklagte die (nunmehr als solche gewertete) Zusicherung vom 8. Juni 1999 zurück (Bl. 206 Verw.-Akte) und lehnte die Gewährung einer Altersrente für Schwerbehinderte wegen Vollendung des 60. Lebensjahres mit Bescheid vom 2. Juli 2001 (Bl. 207 Verw.-Akte) ab, da die Klägerin die erforderliche Wartezeit von 35 Jahren (bzw. 420 Monaten) mit 360 Monaten anrechenbarer Zeiten nicht erfüllt habe. Dem Widerspruch der Klägerin vom 25. Juli 2001 (Bl. 209 ff. Verw.-Akte) half die Beklagte dann jedoch umfassend mit Bescheid vom 17. April 2002 ab und gewährte die Altersrente für Schwerbehinderte ab dem 1. Mai 2001 mit einem Zahlbetrag von monatlich 315,57 EUR (Bl. 292 ff. Verw.-Akte).

Mit Bescheid vom 29. Mai 2008 berechnete die Beklagte die Rente der Klägerin wegen der Durchführung einer Rentenanpassung neu, wobei die Neuberechnung nicht zu einer Veränderung des Zahlbetrages führte. Dies begründete die Beklagte dahingehend, dass nach der beigefügten Berechnung die Rente für die Zeit ab dem 1. Juli 2008 monatlich 0,00 EUR betrage; da die bisherige Rente höher sei, werde diese weiterbezahlt. Den darauf eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2008 zurück (Bl. 365 Verw.-Akte). Der Klägerin sei Altersrente für schwerbehinderte Menschen bewilligt worden, obwohl die erforderliche Wartezeit nicht erfüllt gewesen sei. Bei einem dem Grunde nach zu Unrecht anerkannten Rentenanspruch ergebe sich ohne die Bestandskraft kein rechtmäßig zustehender Ausgangsbetrag, der zum Beispiel durch eine Rentenanpassung erhöht werden könnte. In diesem Fall werde die Rente von sämtlichen künftigen Rentenerhöhungen ausgenommen (Aussparung auf Dauer) und zwar solange, bis sich eventuell ein rechtmäßiger Rentenanspruch ergebe. Die Klägerin habe das 65. Lebensjahr im April 2006 vollendet. Ab dem 1. August 2004 sei gemäß § 34 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen.

Auf eine Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Juli 2009 (nicht in der Verw.-Akte enthalten) legte die Klägerin am 24. Juni 2009 Widerspruch ein und, nachdem eine Probeberechnung einer Regelaltersrente der Klägerin einen monatlichen Zahlbetrag von 324,77 EUR ergab (Bl. 380 ff. Verw.-Akte), beantragte am 30. Oktober 2009 (Bl. 386 Verw.-Akte) die Umstellung ihrer Rente auf eine Regelaltersrente. Die Beklagte teilte ihr darauf mit Schreiben vom 6. November 2009 mit, den Widerspruch als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auszulegen, da der Widerspruch gegen die Rentenanpassung unzulässig sei, und hierüber einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen.

Mit Bescheid vom 18. Januar 2010 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Regelaltersrente gestützt auf § 34 Abs. 4 SGB VI ab (Bl. 389 Verw.-Akte). Den hiergegen am 1. Februar 2010 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit am 9. März 2010 abgesandten Widerspruchsbescheid zurück (Bl. 393 f. Verw.-Akte).

Mit Bescheid vom 31. Oktober 2014 teilte die Beklagte mit, dass die Altersrente für schwerbehinderte Menschen der Klägerin ab 1. Juli 2014 neu berechnet worden sei, dies aber zu keiner Veränderung des Zahlbetrages führe (Bl. 406 Verw.-Akte). Mit Widerspruch vom 5. November 2014 führte die Klägerin aus, dass sie Anspruch auf Mütterrente für drei Kinder habe (Bl. 412 Verw.-Akte). Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, was sie entsprechend dem Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2008 begründete (Bl. 417 Verw.-Akte). Im nachfolgenden Klageverfahren – S 4 R 5809/14 – vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. Februar 2015 ab, da ein Wechsel in eine andere Rente wegen Alters gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI ausgeschlossen sei und auch die Leistungen der sogenannten Mütterrente von der Aussparung des § 48 Abs. 3 SGB X erfasst würden.

Auch auf eine weitere Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Juli 2015 (nicht in der Verw.-Akte enthalten) legte die Klägerin am 14. Juli 2015 Widerspruch ein, welchen die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2015 unter Wiederholung der Begründung der beiden vorherigen Widerspruchsbescheide zurückwies (Bl. 444 Verw.-Akte).

Mit Bescheid vom 19. Mai 2018 berechnete die Beklagte die Rente der Klägerin wiederum aufgrund einer Rentenanpassung neu, ohne dass sich eine Änderung des Zahlbetrages ergab. In der diesbezüglich beigefügten Berechnung war erneut ein monatlicher Rentenbetrag von 0,00 EUR nach der Rentenanpassung ab dem 1. Juli 2018 angesetzt, so dass die bisherige Rente weitergezahlt werde (Bl. 447 ff. Verw.-Akte).

Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Juni 2018 am 14. Juni 2018 „Widerspruch“ ein und führte aus, dass sich dieser Widerspruch nicht auf die erneut nicht erfolgte Rentenanpassung beziehe, sondern darauf, dass ihr bis heute die sogenannte Mütterrente vorenthalten werde (Bl. 451 Verw.-Akte).

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2018 unter Wiederholung der seit dem Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2008 herangezogenen Begründung zurück.

Die von der Klägerin gegen diese Entscheidung am 6. September 2018 erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 14. Februar 2019 abgewiesen. Nach § 307d SGB VI werde, sofern am 30. Juni 2014 ein Anspruch auf eine Rente bestanden habe und weitere Voraussetzungen erfüllt seien, ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind berücksichtigt. Die Klägerin könne die Erhöhung der persönlichen Entgeltpunkte nicht fordern, denn ein Anspruch auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen habe materiell-rechtlich am 30. Juni 2014 nicht bestanden. Der die Altersrente für schwerbehinderte Menschen rechtswidrig gewährende Bescheid vom 17. April 2002 könne nach § 45 SGB X nicht mehr zurückgenommen werden. Nach § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X dürfe, was die Beklagte mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 31. Oktober 2014 festgestellt habe, im Falle einer Änderung die Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergeben haben würde. Wenn aber nach § 48 Abs. 3 SGB X der Sozialleistungsträger trotz der Unaufhebbarkeit des Verwaltungsakts die rechtswidrig zugesprochene Leistung „einfrieren“ und von vorgegebenen Erhöhungen ausnehmen könne, müsse es erst recht möglich sein, an diesen anknüpfende neue Rechte zu versagen.

Gegen das ihr am 13. März 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. April 2019 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass ihr die sogenannte Mütterrente zustehe, mit welcher die Bundesregierung eine Gerechtigkeitslücke habe schließen wollen. Sie erwarte eine Gleichbehandlung mit anderen Müttern, die vor 1992 Kinder geboren hätten. Die von der Beklagten immer wieder verwendete Formulierung „zu Unrecht anerkannte[r] Rentenanspruch“ mache das ganze Problem deutlich. Es sei Unrecht geschehen, nicht durch sie, sondern durch die Beklagte.

Die Klägerin beantragt, nach Auslegung sachgerecht gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Februar 2019 und den Bescheid vom 19. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2018 in der Fassung der bis zum 28. Juli 2022 ergangenen Rentenanpassungsmitteilungen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine höhere Rente ab dem 1. Juli 2018 unter Berücksichtigung des Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d SGB VI in der Fassung vom 23. Juni 2014 für ihre drei 1967, 1970 und 1972 geborenen Kinder sowie unter Zugrundelegung des jeweils geltenden Rentenwertes (West) von 32,03 EUR ab dem 1. Juli 2018, von 33,05 EUR ab dem 1. Juli 2019, von 34,19 EUR ab dem 1. Juli 2020 und von 36,02 EUR ab dem 1. Juli 2022 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Auf einen Hinweis des Berichterstatters, dass im Rahmen des § 48 Abs. 3 SGB X ein Vergleich zu einer hypothetischen Regelaltersrente der Klägerin in Betracht komme und das Schreiben der Klägerin vom 13. Juni 2018 als Überprüfungsantrag zu werten sein dürfte, trägt die Beklagte vor, dass aus dem Wortlaut des § 48 Abs. 3 SGB X klar hervorgehe, dass ein und dieselbe Leistung, deren Höhe sich aus dem materiellen Recht ergebe, dem Betrag gegenüberzustellen sei, wie er sich aufgrund der Bestandskraft des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes ergebe. Diese unter Zugrundelegung der Zusicherung vom 8. Juni 1999 gezahlte Leistung, also die Altersrente für schwerbehinderte Menschen, sei höher als der Betrag, der sich – für diese Rente – ohne die Zusicherung ergebe. Da ohne die Zusicherung kein Anspruch auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen bestehe, könne es niemals eine Erhöhung des derzeit gezahlten Betrages geben. Ein rechtmäßiger Anspruch auf eine Regelaltersrente könne nicht entstehen, da nach § 34 Abs. 4 SGB VI ein Wechsel von einer Altersrente in eine andere nicht in Betracht komme. Auch könne der Wertung, dass es sich bei dem Schreiben der Klägerin vom 13. Juni 2018 um einen Überprüfungsantrag gehandelt habe, ebenfalls nicht zugestimmt werden. Der Widerspruch der Klägerin habe sich gegen den Bescheid vom 19. Mai 2016 gerichtet, mit dem festgestellt worden sei, dass es bei der bisherigen Rentenhöhe verbleibe und damit eine Erhöhung der Rente weder aufgrund der Rentenanpassung noch wegen eines Zuschlages nach § 307d SGB VI in Betracht komme. Bei dieser Feststellung handele es sich um einen Zweitbescheid. In Anbetracht dessen, dass die Klägerin eine der Aussparungsregelung des § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB X unterliegende Rente erhalte, deren Neufeststellung bei einer Änderung in den Verhältnissen zu prüfen sei, könne der Bescheid vom 19. Mai 2018 von einem objektiven Empfänger nur so verstanden werden, dass die Beklagte nach Prüfung festgestellt habe, es verbleibe bei der bisherigen Rentenhöhe. Eine hypothetische Regelaltersrente wäre ab dem möglichen Renteneintritt höher als die von der Klägerin bezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen gewesen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (zwei Bände) sowie die Gerichtsakten beider Instanzen und die Prozessakten des Verfahrens S 4 R 5809/14 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die Berufung, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist statthaft (§ 143 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Berufung nicht zulassungsbedürftig, da zwischen den Beteiligten laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit stehen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, neben der erstinstanzlichen Entscheidung, zunächst der Rentenanpassungsbescheid vom 19. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2018, mit welchem die Beklagte aus Anlass der Rentenanpassung zum 1. Juli 2018 einen Anspruch der Klägerin auf eine höhere Rente geprüft, aber abgelehnt hat. Hierbei hat die Beklagte jedoch nicht nur über die etwaigen Auswirkungen der Rentenanpassung zum 1. Juli 2018 auf den Rentenanspruch der Klägerin entschieden, sondern deren Rentenanspruch bezüglich der Höhe in Gänze – mithin auch hinsichtlich zuvor eingetretener, für den Rentenanspruch relevanter Faktoren – für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2018 neu geprüft und verbeschieden, wie die Beklagte im Berufungsverfahren ausdrücklich klargestellt hat. Damit handelt es sich bei dem Bescheid vom 19. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2018 u.a. hinsichtlich der neuerlichen Prüfung der bereits zuvor mit Bescheid vom 31. Oktober 2014 ablehnend verbeschiedenen Berücksichtigung des Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d SGB VI in der Fassung vom 23. Juni 204 (a.F.) um einen sog. Zweitbescheid, der die vorangegangenen Rentenentscheidungen mit Wirkung für die Zukunft ersetzt (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 31 SGB X – Stand: 7. Oktober 2021 – Rdnr. 44 f.). Dies ergibt sich auch bei einer Auslegung des Bescheides vom 19. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2018 von der Warte des maßgeblichen Empfängerhorizontes in Anbetracht dessen, dass die Klägerin eine der Aussparungsregelung des § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB X unterliegende Rente erhält, deren Neufeststellung bei einer Änderung in den Verhältnissen zu prüfen ist, weswegen der Bescheid – wie ebenfalls die Beklagte hervorgehoben hat – so zu verstehen ist, dass die Beklagte nach (umfassender) Prüfung das Verbleiben der bisherigen Rentenhöhe festgestellt hat.

Gegenstand des Verfahrens sind aber gemäß § 96 SGG auch die weiteren, bis zur hiesigen Entscheidung gegenüber der Klägerin ergangenen Rentenanpassungsmitteilungen (zur Einordnung der Rentenanpassungsmitteilungen als Verwaltungsakt vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1999 – B 4 RA 41/98 R –, SozR 3-1300 § 31 Nr. 13, SozR 3-1300 § 50 Nr. 22, juris Rdnr. 26 ff.), mit welchen die Beklagte den Rentenanspruch der Klägerin aufgrund der zu prüfenden Aussparung nach § 48 Abs. 3 SGB X jeweils – wie zu dem Bescheid vom 19. Mai 2018 ausgeführt – neu festgestellt und die vorhergehende Rentengewährung mithin ersetzt hat.

Den Bescheid vom 19. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2018 und die nachfolgenden Rentenanpassungsbescheide hat die Klägerin auch bei verständiger Auslegung ihres Begehrens unter Berücksichtigung des sog. Meistbegünstigungsprinzips umfassend zur gerichtlichen Prüfung gestellt.

Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 25. Juni 2002 - B 11 AL 23/02 R - juris Rdnr. 21; BSG, Beschluss vom 8. November 2005 - B 1 KR 76/05 B - SozR 4-1500 § 158 Nr. 2). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl. etwa BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 9 Rdnr. 16). Der Grundsatz, dass im Zweifel von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren ausgegangen werden muss, ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Auftrags der Gerichte zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Auslegung von Anträgen richtet sich danach, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen (BSG, Beschluss vom 6. Dezember 2018 - B 8 SO 38/18 B - juris Rdnr. 7 m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die Klägerin vorliegend nicht nur die Berücksichtigung der – einzig von ihr benannten –  sog. Mütterrente, also den Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung von vor dem 1. Januar 1992 geborenen Kindern nach § 307d SGB VI a.F., im Rahmen ihrer Rentenberechnung begehrt, sondern sich insgesamt gegen die bisherige Rentenhöhe wendet und damit auch die Berücksichtigung daneben in Betracht kommender Rentenanpassungen für die Zeit ab dem 1. Juli 2018 erlangen will. Hierbei ist klarzustellen, dass die Klägerin dieses Begehren in ihrem Widerspruchsschreiben vom 13. Juni 2018 zur Überzeugung des Senats zeitlich nicht auf die von dem Bescheid vom 19. Mai 2018 geregelten Zeitraum ab dem 1. Juli 2018 beschränkt hat, sondern auch auf die davorliegende Zeit bezogen hat. So hat die Klägerin ausgeführt, dass ihr „bis heute die sog. Mütterrente vorenthalten“ werde, sie aufgrund ihrer 1967 (im Widerspruchsschreiben mit 1976 angegeben), 1970 und 1972 geborenen Kinder ein entsprechendes Anrecht erworben habe, sie in der „fortgesetzten Weigerung“, ihr die sog. Mütterrente zuzugestehen, einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes sehe und sie ihren berechtigten Anspruch gerichtlich weiterverfolgen werde, falls die Beklagte nicht zu einer Lösung bereit sei. Damit hat die Klägerin deutlich gemacht, dass sie an ihrem zuvor mit dem Bescheid vom 31. Oktober 2014 – der die Umsetzung des § 307d SGB VI a.F. zum Gegenstand hatte – verneinten Anspruch auf Gewährung einer höheren Rente auch für die Vergangenheit festhält und die Beklagte zu einer „Lösung“ aufgefordert. Über dieses daher als Überprüfungsantrag i.S.v. § 44 SGB X zumindest hinsichtlich des Bescheides vom 31. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2014 zu wertende Antragsbegehren hat die Beklagte bislang nicht entschieden, so dass es schon mangels einer Verwaltungsentscheidung und einer diesbezüglichen erstinstanzlichen Entscheidung nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens geworden ist.

3. Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat die statthafte und auch im Übrigen zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2018 in der Fassung der nachfolgenden Rentenanpassungsmitteilungen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, denn sie hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Altersrente für Schwerbehinderte, sowohl unter Berücksichtigung des Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung nach § 307d SGB VI a.F. wie auch des Rentenwertes nach den §§ 65, 68 SGB VI i.V.m. der Verordnung zur Bestimmung der Rentenwerte in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte zum 1. Juli 2018 (Rentenwertbestimmungsverordnung 2018 <RWBestV 2018>) sowie der nachfolgenden Rentenwertbestimmungsverordnungen 2019, 2020, 2021  – welche hinsichtlich des hier maßgeblichen Rentenwertes (West) keine Änderung enthielt – und 2022.

Der Rentenanspruch der Klägerin als solcher ergibt sich aus dem bestandskräftigen Bescheid vom 17. April 2002, mit dem die Beklagte ihr aufgrund der entsprechenden Zusicherung (§ 34 SGB X) vom 8. Juni 1999 eine Altersrente für Schwerbehinderte gemäß § 236a SGB VI in der Fassung vom 20. Dezember 2000 (a.F.) gewährt hat. Die monatliche Rentenhöhe bestimmt sich – allgemein und damit auch im Falle der Altersrente für Schwerbehinderte der Klägerin nach § 236a SGB VI – nach der in § 64 SGB VI dargestellten Rentenformel. Hiernach ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn (1.) die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, (2.) der Rentenartfaktor) und (3.) der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn vervielfältigt werden.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erhöhung ihrer Altersrente ab dem 1. Juli 2018 aufgrund der Erhöhung des Rentenwertes durch die RWBestV 2018 und ab Gültigkeit der jeweiligen Rentenwerterhöhungen nach den folgenden Rentenwertbestimmungsverordnung i.V.m. §§ 65, 68 SGB VI zu, unter entsprechender Aufhebung der Höhe nach des Bescheides vom 17. April 2002 in der Fassung des Bescheides vom Bescheid vom 31. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2014, zuletzt in der Fassung der Rentenanpassungsmitteilung zum 1. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2015 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB VI. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll u.a. dann mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung bestimmt § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB VI insoweit, dass eine Rente, wenn sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe der Rente nach ihrem Beginn ändern, in neuer Höhe von dem Kalendermonat an geleistet wird, zu dessen Beginn die Änderung wirksam ist.

Im Falle der Klägerin steht der Rentenanpassung aufgrund der Erhöhung der Rentenwerte nach den RWBestV 2018 bis 2022 die Regelung des § 48 Abs. 3 SGB X nicht entgegen. Gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X darf, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann und eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten ist, die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Dies gilt nach § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB X entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 SGB X nicht zurückgenommen werden kann.

Vorliegend unterfällt die der Klägerin gewährte Altersrente für Schwerbehinderte dem Anwendungsbereich des § 48 Abs. 3 SGB X, da die der Rentengewährung mit Bescheid vom 17. April 2002 zugrundeliegende und nicht nach § 45 SGB X zurückzunehmende Zusicherung der Beklagten vom 8. Juni 1999 gegenüber der Klägerin, dass der früheste Zeitpunkt für einen Anspruch auf eine Altersrente für Schwerbehinderte ohne Rentenminderung der 1. Mai 2001 sei, rechtswidrig war. Denn die Klägerin hatte die diesbezüglich erforderliche Wartezeit von 35 Jahren nach § 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI a.F. nicht erfüllt. Die Beklagte hat auch die erforderliche Aussparungsentscheidung (vgl. Merten in: Hauck/Noftz SGB X, § 48 – Stand November 2018 – Rdnr. 100), mit der sie die materielle Rechtswidrigkeit der Altersrente für Schwerbehinderte festgestellt hat, getroffen und zwar – insoweit ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995 – 9 RV 26/94 –, SozR 3-3100 § 62 Nr. 2, SozR 3-1300 § 48 Nr. 50, juris Rdnr. 16) – in dem Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2008.

§ 48 Abs. 3 SGB X soll gewährleisten, dass die nach der Aufhebung gemäß § 48 Abs. 1 oder 2 SGB X neu festzusetzende Leistung auf den Umfang begrenzt wird, wie sie sich bei fehlerfreier Erstfeststellung ergeben hätte, um zu verhindern, dass die rechtswidrige Rechtsposition zugunsten des Betroffenen an die geänderten Verhältnisse angepasst werden muss und das materielle „Unrecht“ damit weiter anwächst. Insgesamt wird durch die Regelung des § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X der Zahlbetrag der rechtswidrigen Leistung in seinem bisherigen Umfang geschützt, zugleich wird aber auch dem öffentlichen Interesse an eine gesetzmäßige Leistungsgewährung Rechnung getragen, indem die Anpassung der Leistung an die geänderten Verhältnisse jedoch entweder endgültig oder zumindest solange ausgesetzt wird, bis der rechtmäßige Zustand wieder erreicht ist (vgl. Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 48 SGB X  – Stand: 1. Dezember 2017– Rdnr. 88; BSG, Urteil vom 24. April 2014 – B 13 R 3/13 R –, SozR 4-1300 § 44 Nr. 30, juris Rdnr. 22 m.w.N.). Die Aussparung nach § 48 Abs. 3 SGB X ist damit abgeschlossen, wenn bei einer Erhöhung der zutreffend berechnete Betrag erstmals den zuletzt gezahlten Besitzstandsbetrag überschreitet (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 1991 – 9a/9 RV 23/89 –, BSGE 69, 208-211, SozR 3-1300 § 48 Nr. 11, juris Leitsatz und Rdnr. 12 f.)

§ 48 Abs. 3 SGB X greift dabei auch bei solchen Fehlern des Ursprungsbescheides – bzw. in den Fällen des § 48 Abs. 3 Satz 2 SGB X des dem (rechtmäßigen) Ursprungsbescheides zugrundeliegenden Verwaltungsakts – ein, die dessen Grund erfassen, und nicht nur die Höhe der Leistung (Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht – Werkstand: 118. EL März 2022 – SGB X § 48 Rdnr. 65). Da die Höhe der rechtmäßigen Leistung in diesen Fällen eigentlich „Null“ betragen müsste, kann auch durch das „Einfrieren“ des Zahlbetrags ein rechtmäßiger Zustand nie erreicht werden; eine Anpassung der Leistungshöhe an die geänderten Verhältnisse ist damit dauerhaft ausgeschlossen (Brandenburg a.a.O. Rdnr. 151).

Hierbei sind jedoch nach Auffassung des Senats die Besonderheiten des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen und deswegen im Falle von Renten wegen Alters als maßgebliche, mit der tatsächlich gewährten Altersrente nach § 48 Abs. 3 SGB X abzugleichende rechtmäßige Leistung auch etwaige andere Altersrentenarten heranzuziehen, deren materielle Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.

Denn die verschiedenen Arten der Renten wegen Alters (vgl. § 33 Abs. 2 SGB VI), die von der gesetzlichen Rentenversicherung erbracht werden können, stellen eine abgrenzbare, in ihrem Wesen vergleichbare Gruppe dar, die gemeinsamen Regelungen unterliegt (s. etwa § 34 Abs. 2 SGB VI). Hierbei stellt die Regelaltersrente (§§ 35, 235 SGB VI) die Grundform dar, auf welche sich die anderen Altersrentenarten beziehen und von ihr in bestimmten, ggf. zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen (bspw. Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft, andere Wartezeit, Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme mit dann anderem Zugangsfaktor, etc.) abweichen. Hieraus folgt die prinzipielle inhaltliche Vergleichbarkeit der einzelnen Altersrenten.

Die Ansprüche auf die einzelnen Arten der Renten wegen Alters schließen sich in ihrer Entstehung auch nicht gegenseitig aus oder beziehen sich insgesamt auf ein einziges Stammrecht (so noch BSG, Urteil vom 9. April 2002 – B 4 RA 58/01 R – juris Rdnr. 24), sondern stehen unabhängig nebeneinander. Dies hat der Gesetzgeber durch die Verwendung des Plurals (u.a. „Renten wegen Alters sind,…“) in § 33 SGB VI klargestellt (vgl. BT-Drs. 15/2149 S. 21) und ergibt sich ebenso aus § 89 Abs. 1 SGB VI, welcher die Rangfolge sämtlicher Renten aus eigener Versicherung der gesetzlichen Rentenversicherung regelt. Nach § 89 Abs. 1 Satz 3 und 4 SGB VI ist, wenn eine Rente gezahlt worden ist und für denselben Zeitraum eine höhere oder ranghöhere Rente bewilligt worden ist, der Bescheid über die niedrigere oder rangniedrigere Rente vom Beginn der laufenden Zahlung der höheren oder ranghöheren Rente an ohne Anwendung u.a. der §§ 45, 48 SGB X aufzuheben. § 89 Abs. 1 SGB VI bewirkt damit, dass die von der (rang-)höheren Rente verdrängten Renten ruhen und die diesbezüglichen Zahlungsansprüche entfallen bzw. nicht entstehen, aber die Ansprüche auf die verdrängten Renten dem Grunde nach unberührt bleiben (vgl. Jentsch in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 89 SGB VI – Stand: 1. April 2021 – Rdnr. 7; BSG, Urteil vom 7. September 2010 – B 5 KN 4/08 R –, SozR 4-2600 § 89 Nr. 2, SozR 4-4300 § 125 Nr. 4, SozR 4-1300 § 103 Nr. 4, juris Rdnr. 27). Die dem Grunde nach bestehenden Rentenansprüche eines Versicherten erlöschen auch nicht aufgrund der Regelung des § 34 Abs. 4 SGB VI. Hiernach ist nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente der Wechsel in eine (1.) Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, (2.) Erziehungsrente oder (3.) andere Rente wegen Alters ausgeschlossen. Diese hinsichtlich des Ausschlusses des Wechsels von einer Rente wegen Alters in eine andere Rente wegen Alters mit Wirkung zum 1. August 2004 in Kraft getretene Regelung stellt als Sonderregelung zu § 89 SGB VI eine weitere negative Anspruchsvoraussetzung auf (vgl. Uta Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 34 SGB VI – Stand: 1. April 2021 – Rdnr. 129), beeinträchtigt mithin jedoch nicht das Bestehen der Rentenansprüche als solche.

Auch der Wortlaut des § 48 Abs. 3 SGB X steht der Heranziehung einer anderen Altersrente, auf die der jeweilige Versicherte einen Anspruch dem Grunde nach hat, nicht entgegen. Denn § 48 Abs. 3 SGB X stellt auf die neu festzustellende „Leistung“ ab. Die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung werden in § 23 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) aufgeführt, zu ihnen zählen u.a. gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 b) SGB I die Renten wegen Alters als solche, die unterschiedlichen Altersrenten stellen insoweit nur – in § 23 SGB I nicht erwähnte – Unterkategorien dar.

Weiter stehen Sinn und Zweck des § 48 Abs. 3 SGB X der Heranziehung eines rechtmäßigen, tatsächlich bestehenden Altersrentenanspruchs als Vergleichsmaßstab für eine bestandskräftig, aber rechtswidrig bzw. auf Grundlage eines rechtswidrigen Verwaltungsakts gewährte Altersrente ebenfalls nicht entgegen. Denn, wie dargestellt, soll durch die nach § 48 Abs. 3 SGB X gebotene Aussparung (nur) die Vertiefung materiellen Unrechts erreicht werden. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Art verfahrensrechtlicher Strafnorm, die darüber hinaus auch von dem rechtswidrig bzw. auf rechtswidriger Grundlage zugesprochenen Anspruch unabhängige, gänzlich rechtmäßige Ansprüche in die Aussparung einbeziehen und mithin sanktionieren soll (vgl. für den Fall nebeneinander bestehender Einzelleistungen Steinwedel, a.a.O. Rdnr. 61 unter Bezug auf BSG, Urteil vom 22. Juni 1988 – 9/9a RV 41/86 –).

Gerade dies wäre im Rahmen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung bei einer engen, auf die konkrete Altersrentenart beschränkten Auslegung des Leistungsbegriffs in § 48 Abs. 3 SGB X vor dem Hintergrund des § 34 Abs. 4 SGB VI aber im Ergebnis der Fall. Denn nicht nur schließt § 34 Abs. 4 SGB VI im Falle einer bindenden Bewilligung einer Altersrente, auf welche dem Grunde nach kein Anspruch besteht, den eigentlichen Wechsel in eine andere Rente wegen Alters, auf die dem Grunde nach ein Anspruch besteht, aus. Bei einer Nichtberücksichtigung des materiell dem Grunde nach bestehenden Rentenanspruchs im Rahmen des § 48 Abs. 3 SGB könnte dieses tatsächlich erworbene Recht dem jeweiligen Versicherten noch nicht einmal als Korrekturgröße indirekt zu Gute kommen. Der Anspruch auf, im Sprachgebrauch des § 34 Abs. 4 SGB VI, eine „andere Rente wegen Alters“ wäre damit vollständig entkernt. Dies wird gerade im Falle der Klägerin deutlich, der von der Beklagten – ohne vorwerfbares Zutun der Klägerin – ein ungeminderter Anspruch auf eine Altersrente für Schwerbehinderte ohne Vorliegen der materiellen Voraussetzungen zugesichert worden ist, sie im Vertrauen auf diese Zusicherung ihre damalige Klage auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zurückgenommen hat, im Weiteren die Altersrente für Schwerbehinderte beantragt und gewährt bekommen hat und durch diese bestandskräftige Rentengewährung vom Bezug der Regelaltersrente ausgeschlossen ist, welche ihr dem Grunde nach gemäß § 235 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI seit dem 1. Mai 2006 zusteht. Denn die 1941 geborene Klägerin hat die für sie geltende Regelaltersgrenze von 65 Jahren zu Beginn des Kalendermonats Mai 2006 (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) erreicht und die allgemeine Wartezeit gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI von 5 Jahren (bzw. 60 Monaten) mit 320 Monaten Wartezeit erfüllt. Eine enge Auslegung des Begriffs der „Leistung“ in § 48 Abs. 3 SGB X würde dazu führen, dass die Klägerin trotz des zwischenzeitlichen Eintretens der Anspruchsvoraussetzungen der Regelaltersrente auf alle Zeiten von jeglicher Rentenanpassung und selbst von der Berücksichtigung des Zuschlags von Entgeltpunkten wegen Kindererziehung nach § 307d SGB VI a.F. ausgeschlossen wäre – genau so, wie es derzeit von der Beklagten gehandhabt wird.

Eine derart weitreichende Wirkung ist aber auch im Lichte von Sinn und Zweck des § 34 Abs. 4 SGB VI nicht geboten, der insbesondere Ausweichreaktionen Versicherter von einer vorzeitig und damit mit Abschlägen bezogenen Altersrente in eine andere Rente, deren Voraussetzungen erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten, verhindern soll (s. BT-Drs. 13/4336 S. 22; vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht – Werkstand: 118. EL März 2022 – SGB VI § 34 Rdnr. 38; Urteil des Senats vom 21. Mai 2015 – L 7 R 5354/14 – juris Rdnr. 22). Die von § 34 Abs. 4 SGB VI zu verhindernde „Vorteilssammlung“ zu Lasten anderer Beitragszahler kann im Rahmen der Gegenüberstellung zweier Rentenansprüche bei § 48 Abs. 3 SGB X von vorneherein nicht eintreten, da hierdurch kein Wechsel der Rentenarten ermöglicht wird, sondern nur dem materiellen Bestehen eines Rentenanspruchs durch dessen Heranziehung als rechtmäßiger Vergleichsgröße Rechnung getragen wird.

Ein weites Verständnis des Begriffs der „Leistung“ in § 48 Abs. 3 SGB X dahingehend, dass hierunter in rentenversicherungsrechtlichen Angelegenheiten ebenso andere, derselben „Rentengattung“ – hier den Renten wegen Alters – zugehörige Renten zu fassen sind, steht auch im Übrigen im Einklang mit § 34 Abs. 4 SGB VI. Denn § 48 Abs. 3 SGB X stellt als begrenzende Größe auf den Betrag der neu festzustellenden Leistung ab, wie er sich „der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt.“ Ohne diese Bestandskraft hätte die Klägerin zwar keinen Anspruch auf eine Altersrente für Schwerbehinderte ab dem 1. Mai 2001 gehabt, denn die Beklagte hätte die erteilte und bindend gewordene Zusicherung gemäß § 45 SGB X zurücknehmen können, sie hätte jedoch ab dem 1. Mai 2006 ohne die entgegenstehende Wirkung des § 34 Abs. 4 SGB VI über einen realisierbaren Anspruch auf Regelaltersrente verfügt.

Die Klägerin hat daher ab dem Zeitpunkt des Vorliegens der materiellen Anspruchsvoraussetzungen einer anderen als der ihr gewährten Altersrente für Schwerbehinderte, mithin vorliegend der Regelaltersrente ab dem 1. Mai 2006, Anspruch auf die Teilhabe an sämtlichen seitdem eingetretenen Rentenanpassungen und damit auch der hier streitigen Rentenanpassung zum 1. Juli 2018, soweit dadurch nicht der Betrag ihrer hypothetisch zur Auszahlung kommenden Regelaltersrente überschritten wird.

Ebenso hat die Klägerin nach dem Vorgesagten im Rahmen der vorliegend streitigen Rentengewährung ab dem 1. Juli 2018 Anspruch auf Berücksichtigung auf den Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kinderziehung gemäß § 307d SGB VI a.F. bezüglich ihrer drei zwischen 1967 und 1972 geborenen Kinder. Denn die Klägerin hatte am 30. Juni 2014 Anspruch auf eine Rente, in der ausweislich der vorliegenden Kontoübersicht jeweils eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach der Geburt der einzelnen Kinder angerechnet wurde, auch hat die Klägerin keinen – den Zuschlag nach § 307d SGB VI ausschließenden – Anspruch nach den §§ 294 und 294a SGB VI. Die für die vorliegend streitige Berücksichtigung des Zuschlags nach § 307d SGB VI a.F. insoweit maßgebliche Änderung in den Verhältnissen i.S.v. § 48 SGB X ist zwar bereits zum 1. Juli 2014 eingetreten und daher bereits zum damaligen Zeitpunkt im Rahmen von § 48 Abs. 1 und 3 SGB X zu beachten gewesen, damit aber naturgemäß auch in die Rentenberechnung ab dem 1. Juli 2018 einzustellen.

Die Tenorierung einer Begrenzung der der Klägerin zustehenden Rentenhöhe auf höchstens die Höhe der dargestellten hypothetischen Regelaltersrente brauchte in der als Grundurteil (§ 130 SGG) ergehenden Entscheidung nicht ausgesprochen zu werden, da beide Altersrentenarten vorliegend nach den gleichen Faktoren berechnet werden und mithin durch die nach den gleichen Maßstäben stattfindende Erhöhung der Betrag der Altersrente für Schwerbehinderte der Klägerin den Betrag der Regelaltersrente nicht übersteigen kann. Entsprechend hat die Beklagte mitgeteilt, dass die – unter Einbeziehung des jeweils aktuellen Rentenwerts zu berechnende – Regelaltersrente der Klägerin bereits vom Zeitpunkt des diesbezüglich möglichen Renteneintritts an deren Altersrente für schwerbehinderte Menschen übertroffen hätte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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