L 12 SO 327/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 22 SO 275/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 327/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.09.2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren.

Dem Antragsteller wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens für die Zeit ab dem 28.11.2022 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt R aus E beigeordnet.

 

Gründe

 

I.

 

Der Antragsteller begehrt die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme für eine stationäre Unterbringung in einem Pflegeheim.

 

Der am 00.00.1961 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsbürger und hier in Deutschland ohne festen Wohnsitz. Er lebt eigenen Angaben nach seit 1994 in Deutschland, hat sechs Monate lang als Reifenspezialist gearbeitet und war danach – bis auf den Verkauf des Straßenmagazins „fiftyfifty“ und das Sammeln von Pfandflaschen – nicht mehr arbeitstätig. Am 13.01.2016 richtete er eine Postadresse bei dem Magazin „fiftyfifty“ in E ein, die behördlich nicht angemeldet wurde.

 

Im April 2021 zog der Antragsteller zu einer aus Polen stammenden Bekannten namens A, die ihn unentgeltlich bei sich in der Wohnung aufnahm und pflegte.

 

Am 20.12.2021 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Hilfe zur Pflege.

 

In einem Gutachten zur Ermittlung des Pflegegrades vom 25.01.2022 teilte der Pflegefachdienst der Antragsgegnerin mit, dass beim Antragsteller ein Pflegegrad 2 festzustellen sei. Als pflegerelevante Diagnosen wurden eine beidseitige Gonarthrose und eine kalsifizierende 3-Gefäßerkrankung genannt. Ab April 2022 werde ihm die jetzige Wohnung nicht mehr zur Verfügung stehen (weil Frau A ihre Wohnung auflösen und nach Polen zurückkehren wollte); eine Heim- bzw. WG-Notwendigkeit sei dann gegeben. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.

 

Mit Bescheid vom 21.02.2022 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller rückwirkend Pflegegeldleistungen für den Zeitraum vom 09.12.2021 bis 31.03.2022. Um Pflegegeldleistungen ab dem 01.04.2022 beziehen zu können, benötige er von der zuständigen Ausländerbehörde in E einen Nachweis über seinen Aufenthaltsstatus und einen Nachweis über seinen Wohnort.

 

Der Antragsteller reichte daraufhin eine Bescheinigung des Amtes für Migration und Integration der Antragsgegnerin vom 24.02.2022 ein, wonach der Antragsteller seit dem 24.02.2022 ununterbrochen in Deutschland gemeldet sei. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a des  Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) bestehe noch nicht.

 

Bereits am 09.12.2021 hatte der Antragsteller beim Jobcenter Düsseldorf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) beantragt. Mit Bescheid vom 19.01.2022 in der Gestalt eines Widerspruchsbescheides vom 21.02.2022 lehnte das Jobcenter diesen Antrag ab. Eine Klage erhob der Antragsteller dagegen nicht. Am 03.03.2022 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) einen Eilantrag, mit dem er vorläufig Leistungen nach dem SGB II begehrte. Das SG lehnte den Antrag mit Beschluss vom 24.03.2022 (Az.: S 19 AS 449/22 ER) ab. Zur Begründung führte es aus, dass der Antragsteller von Leistungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SG II ausgeschlossen sei. Er besitze kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU; der Aufenthalt sei erst zum 24.02.2022 festgestellt worden. Ein Freizügigkeitsrecht bestehe auch nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU, weil er kein Arbeitnehmer sei. Die Voraussetzungen der Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II lägen nicht vor. Die dort genannte fünfjährige Frist beginne nach § 7 Abs. 1 S. 5 SGB II erst mit der erstmaligen behördlichen Registrierung; dies sei hier nicht geschehen. Ein Anspruch nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) bestehe nicht. Der Antragsteller sei nach § 21 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen. Ein Anspruch nach § 23 Abs. 1 SGB XII sei nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII habe der Antragsteller nicht beantragt. Sie seien gegenwärtig mangels Härtefalls auch nicht zu leisten. Sollte er obdachlos werden, könne er Leistungen bei der Antragsgegnerin beantragen. Die gegen den Beschluss des SG eingelegte Beschwerde wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) durch Beschluss vom 28.04.2022 zurück (Az.: L 19 AS 503/22 B ER). Zur Begründung führte das LSG NRW aus, der Gewährung von Grundsicherungsleistungen stehe die Bestandskraft des Bescheides vom 19.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.02.2022 entgegen.

 

Mit Schreiben vom 19.04.2022 wandte sich das Straßenmagazin „fiftyfifty“ an die Antragsgegnerin und teilte mit, dass Frau A ihren Aufenthalt in Deutschland bis zum 31.05.2022 verlängert habe. Man stelle für den Antragsteller einen erneuten Antrag auf Pflegeleistungen. 

 

Am 28.04.2022 schlossen der Antragsteller und der B e.V., der das Straßenmagazin  „fiftyfifty“ vertreibt, einen Arbeitsvertrag für den Zeitraum vom 01.05.2022 bis 31.10.2022 über eine geringfügige Beschäftigung mit einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 480 Euro ab. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Arbeitsvertrag Bezug genommen.

 

Durch Beschluss vom 05.05.2022 (Az.: 99 XVII 361/21 T) bestellte das Amtsgericht Düsseldorf für den Antragsteller eine gesetzliche Betreuerin für die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungs-, Heimplatz- und Vermögensangelegenheiten, Regelung des Postverkehrs und Vertretung gegenüber Behörden. Das Amtsgericht stützte sich dabei auf ein von ihm eingeholtes Gutachten des Herrn L, wonach beim Antragsteller eine ausgeprägte koronare Herzkrankheit und eine gonarthrotisch bedingte Immobilität vorlägen.

 

Durch Bescheid vom 23.05.2022 lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Hilfe zur Pflege rückwirkend für die Zeit ab dem 01.04.2022 ab. Der Antragsteller sei nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII von Leistungen ausgeschlossen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers seit April 2021 seien zudem unklar. Ein Ausreisewille des Antragstellers sei nicht erkennbar, daher könne auch kein Härtefall nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII anerkannt werden. Der Antragsteller legte dagegen keinen Widerspruch ein.

 

Mit Schreiben vom 15.08.2022 teilte der jetzige Betreuer des Antragstellers der Antragsgegnerin mit, dieser sei zur Zeit aufgrund einer Notüberweisung im F Krankenhaus in E untergebracht. Dort würden die akuten Beschwerden behandelt. Eine Knieoperation sei gegebenenfalls zu organisieren, es könne aber nicht gewährleistet werden, dass dadurch die Pflegebedürftigkeit abnehme. Er, der Betreuer, bemühe sich deshalb mit dem sozialen Dienst des Krankenhauses eine vollstationäre Langzeitpflege zu finden. Auf den bereits im Februar 2022 festgestellten Bedarf einer stationären Unterbringung bei Wegfall der Pflegeperson wurde Bezug genommen. Die frühere Pflegerin werde den Antragsteller nicht mehr aufnehmen, sodass er ohne festen Wohnsitz sei. Durch die Immobilität sei davon auszugehen, dass bei Entlassung aus dem Krankenhaus eine menschenwürdige Unterbringung durch das Ordnungsamt nicht gewährleistet werden könne. Es wurde um Mitteilung gebeten, ob Anträge oder Formulare nachgereicht werden müssten.

 

In einem Schreiben vom 18.08.2022 teilte die Antragsgegnerin dem Betreuer des Antragstellers mit, es sei zunächst notwendig, dass dieser über einen gültigen Aufenthaltsstatus verfüge. Gegebenenfalls könne dieser mit der geringfügigen Beschäftigung bei „fiftyfifty“ beantragt werden.

 

Mit Schreiben vom 24.08.2022 teilte der Betreuer der Antragsgegnerin mit, aufgrund des Aufenthaltsstatus des Antragstellers sei laut dem ambulanten und stationären Dienst der Stadt E eine Kostenübernahme für eine Heimunterbringung nicht möglich. Aus denselben Gründen sei ein Antrag auf Auszahlung von Pflegegeld abgelehnt worden. Der Antragsteller werde voraussichtlich am 01.09.2022 entlassen. Geplant sei die Überstellung in eine städtische Notunterkunft, wo die notwendige Pflege aber nicht geleistet werden könne. Es sei ein Antrag auf Feststellung einer Erwerbsunfähigkeit bei der Rentenversicherung beabsichtigt, um den Antragsteller in den Leistungsbezug der Grundsicherung zu bringen.

 

Mit Schreiben vom 30.08.2022 wurde der Betreuer gebeten, mögliche Ausreisebemühungen des Antragstellers nachzuweisen, um einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen prüfen zu können. Ansonsten sei erneut auf die Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status zu verweisen.

 

Mit weiterem Schreiben vom 30.08.2022 bat die Antragsgegnerin die Deutsche Rentenversicherung Rheinland um Prüfung, ob beim Antragsteller eine volle Erwerbsminderung vorliege.

 

Mit E-Mail vom 31.08.2022 beantragte der Betreuer des Antragstellers für diesen die Entziehung der Freizügigkeit nach § 4a FreizügG/EU und beantragte gleichzeitig Asyl und die Gewährung von Asylbewerberleistungen für den Antragsteller.

 

Der Antragsteller wurde am 02.09.2022 vom F Krankenhaus entlassen und in eine städtische Obdachlosen-Notunterkunft in E verbracht.

 

Am 05.09.2022 hat der Betreuer des Antragstellers für diesen beim SG einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Form der einstweiligen Kostenübernahme für eine stationäre Heimunterbringung gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, es bestehe Gefahr im Verzug, da der Antragsteller extrem unterversorgt sei und vermieden werden müsse, dass sich die Situation verschlimmere. Der Sozialarbeiter der Antragsgegnerin in der Obdachlosen-Unterkunft habe telefonisch mitgeteilt, dass die Kraftanstrengung für jeden Toilettengang dem Antragsteller aufgrund seiner Herzerkrankung nicht zuzumuten sei. Um Schlimmeres zu verhindern, müsse eine vollstationäre Unterbringung veranlasst und eine Kostenübernahme erklärt werden. Der Antragsteller sei zur Zeit geringfügig bei der Firma B e.V. beschäftigt und erhalte ein Nettogehalt von 425,64 Euro. Er habe ansonsten weder Einkünfte noch Vermögen, auch nicht in Polen. Er sei derzeit arbeitsunfähig.

 

Der Betreuer des Antragstellers hat gegenüber dem SG am 29.09.2022 mitgeteilt, das Caritas-Altenzentrum M habe angeboten, dem Antragsteller ab dem 30.09.2022 einen Platz im Doppelzimmer anzubieten. Der Umzug solle am morgigen Tage erfolgen (was auch tatsächlich geschah). Er bitte um Entscheidung im Hinblick auf § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII.

 

Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,

 

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, die Kosten einer stationären Heimunterbringung im Caritas-Altenzentrum M ab dem 30.09.2022 zu übernehmen.

 

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

 

den Antrag abzulehnen.

 

Sie hat die Ansicht geäußert, dass kein Anordnungsanspruch bestehe. Unklar sei, welche finanziellen Mittel dem Antragsteller zur Verfügung stünden und wie er bislang seinen Lebensunterhalt sichergestellt habe. Gegebenenfalls bestehe ein Anspruch nach dem SGB II. Dem Betreuer werde angeraten, zunächst das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß zu betreiben und die erforderlichen Unterlagen vorzulegen.

 

Der Betreuer des Antragstellers hat einen undatierten pflegerischen Zustandsbericht der Pflegekraft Frau J von der „O gGmbH“ eingereicht, der nach der Entlassung aus der stationären Behandlung im F Krankenhaus E verfasst wurde. Auf diesen Bericht wird verwiesen.

 

Das SG hat die Antragsgegnerin durch Beschluss vom 29.09.2022 verpflichtet, die Kosten für die stationäre Unterbringung des Antragstellers im Caritas-Altenzentrum M ab dem 30.09.2022 für die Dauer eines Jahres, längstens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Abschiebung des Antragstellers, zu übernehmen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass ein Anspruch nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII bestehe. Dieser Entscheidung stehe nicht das fehlende Verwaltungsverfahren entgegen. Die Antragsgegnerin habe seit Februar 2022 mehrfach zum Ausdruck gebracht, nicht zu einer auch nur vorläufigen Leistungsbewilligung bereit zu sein. Auf den Antrag des Antragstellers aus dem Schriftsatz vom 15.08.2022, mit dem auf die Dringlichkeit der stationären Unterbringung des Antragstellers aufgrund seines Gesundheitszustandes hingewiesen wurde, sei von Seiten der Antragsgegnerin auf den bereits erlassenen Ablehnungsbescheid vom 23.05.2022 verwiesen worden. Die Gewährung von Überbrückungsleistungen sollte vom Nachweis möglicher Ausreisebemühungen des Antragstellers abhängig gemacht werden. Wie dies bei einem seit mehreren Monaten in pflegebedürftigem Zustand lebenden Menschen möglich sein solle, erschließe sich dem Gericht nicht. Aus diesem Schriftverkehr sei jedenfalls für den Betreuer ohne Zweifel ersichtlich gewesen, dass auch eine förmliche Beantragung der hier begehrten Leistungen nicht dafür sorgen könnte, die gesundheitsgefährdende Unterbringung des Antragstellers in der Obdachlosen-Notunterkunft zu beenden. Genau diese gesundheits- wenn nicht sogar lebensgefährdende Unterbringung in einer nicht auf die Versorgung pflegebedürftiger Menschen angelegten Notunterkunft und die so zu befürchtende Verletzung der durch das Grundgesetz (GG) geschützten körperlichen Unversehrtheit des Antragstellers geböten im vorliegenden Fall die Kostenübernahme. Die drohende Gesundheitsgefahr für den Antragsteller bei seinem Verbleiben in der Notunterkunft bis zur vollständigen Klärung der offenen Fragen müsse jedoch im Rahmen einer Leistungsbewilligung aufgrund der Härtefallregelung des § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII vermieden werden. Dabei komme es nach Auffassung des Gerichtes bei einem zur Zeit jedenfalls nicht reisefähigen Antragsteller nicht auf seinen Ausreisewillen an. In Anlehnung an die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.07.2019 (L 15 SO 181/18) gehe die Kammer davon aus, dass Unionsbürger ohne objektiv bestehendes materielles Aufenthaltsrecht - bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift - , solange Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII hätten, wie die Ausländerbehörde gegen sie keine bestandskräftige und weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung erlassen habe, die mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot verknüpft sei. Wenn die Vorschrift auch keine Dauerleistungen ermöglichen solle, so enthalte sie aber auch keine feste zeitliche Grenze, sondern gewähre den Leistungsanspruch, solange besondere Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte angenommen werden könnten. In dieser Situation sehe die Kammer den Antragsteller, der jedenfalls zur Zeit auf eine Betreuung und Versorgung in stationärer Form (Pflegeheim) angewiesen sei. Dies habe im Übrigen der von der Antragsgegnerin eingeschaltete Pflegefachdienst nach Hausbesuch bereits im Januar 2022 festgestellt.

 

Gegen den ihr am 30.09.2022 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 11.10.2022 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers weiterhin unklar seien. Das Rechtsschutzbedürfnis sei fraglich, weil der Antragsteller gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch genommen habe, bevor er den Antrag gestellt habe. Im Übrigen sei der Umstand, inwieweit der Antragsteller als Arbeitnehmer einzustufen sei, auch für den aufenthaltsrechtlichen Status sowie den eventuellen Leistungsausschluss relevant. Es sei angesichts der aktenkundigen Unterlagen fraglich, inwieweit der Antragsteller angesichts seines gesundheitlichen Zustandes in der Lage gewesen sei, der arbeitsvertraglichen Pflicht ab Mai 2022 nachzukommen. Insofern seien die näheren Umstände des Arbeitsertragsschlusses sowie die Frage eines etwaigen rechtsmissbräuchlichen Vertragsschlusses zu prüfen (unter Hinweis auf BSG Urteil vom 27.01.2021, B 14 AS 25/20 R). Wegen der Zweifel am Arbeitnehmerstatus sei weiterhin vom Ausschluss der Leistungen nach dem SGB XII auszugehen. Überbrückungsleistungen seien mangels Ausreisewillens nicht zu gewähren. Dem Antragsteller sei es zuzumuten, seine Rückreise in sein Heimatland vorzubereiten und durchzuführen; Alten- und Pflegeheime würden in Polen niederschwellig angeboten. Die Überbrückungsleistungen seien ferner bis heute nicht beantragt worden. Zudem sei der Antragsteller vom 05.09.2022 bis zum 30.09.2022 dem Kreis der SGB-II-Leistungsberechtigten zuzuordnen. Eine Entscheidung des Rentenversicherungsträgers über die Feststellung einer Erwerbsminderung liege bislang nicht vor.

 

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.09.2022 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

 

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Der Betreuer des Antragstellers hat erklärt, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben seit 1994 ohne Unterbrechung in Deutschland lebe. Er könne diesen Aufenthalt durch die Anmeldung der Postadresse bei „fiftyfifty“ und Berichte von Krankenhäusern aus den Jahren 2018 und 2021 nachweisen. Das seit dem 01.05.2022 bestehende und auf sechs Monate befristete Arbeitsverhältnis solle nach einer telefonischen Bestätigung des Arbeitgebers um weitere sechs Monate verlängert werden. Arbeitsfähig sei der Antragsteller zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses nach seiner Auffassung nicht gewesen. Der Antragsteller habe sich nie um eine Rückreise nach Polen bemüht. Ende Juli 2022 habe er, der Betreuer, für den Antragsteller ein Girokonto eingerichtet. Er lebe nur von den Einnahmen aus dem Arbeitsverhältnis mit B e.V.

 

Der Betreuer des Antragstellers hat Kopien eines Antrags auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom 27.10.2022, Gehaltsbescheinigungen für den Zeitraum von Mai bis September 2022, Rechnungen des Caritasverbandes E über die stationäre Unterbringung im Caritas-Altenzentrum M für die Zeiträume vom 30.09.2022 bis 31.10.2022, den Arbeitsvertrag mit dem B e.V. vom 28.04.2022 und durchgehende Kontoauszüge für den Zeitraum ab Juli 2022 eingereicht. Auf die Unterlagen wird jeweils Bezug genommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin, der Gerichtsakte und der ebenfalls beigezogenen Gerichtsakte des SG zum Vorprozess S 19 AS 449/22 ER Bezug genommen.

 

II.

 

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

 

Das SG hat der Antragsgegnerin zu Recht einstweilen auferlegt, die Kosten der stationären Unterbringung des Antragstellers im Caritas-Altenzentrum M für den Streitzeitraum vom 30.09.2022 bis 30.09.2023 zu übernehmen.

 

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in 9

der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen, § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. dazu BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, Rn. 35, juris; BSG Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, Rn. 5, juris).

 

Wenn – wie hier – existenzsichernde Leistungen im Streit stehen, ergeben sich jedoch aus Art. 19 Abs. 4 GG einerseits und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG andererseits besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens. Aus dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den gerichtlichen Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG Beschlüsse vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, Rn. 10, juris; und vom 21.04.2021, 1 BvR 683/21, Rn. 4, juris). Wenn es um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums geht, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Dies bedeutet, dass das Fachgericht diejenigen Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen (vgl. § 103 S. 1 Hs. 1 SGG) durchführen muss, die aus seiner Sicht zur Überzeugungsbildung und zur Aufklärung des Sachverhalts notwendig sind, wobei eine Entscheidung aufgrund objektiver Indizien oder der Beweislastverteilung, vor allem bei nicht ausreichender Mitwirkung des Antragstellers bei der Aufklärung des Sachverhalts, zulässig ist (vgl. BVerfG Beschlüsse vom 05.05.2009, 1 BvR 255/09, Rn. 3 f., juris; und vom 01.02.2010, 1 BvR 20/10, Rn. 2, juris). Kann die Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig aufgeklärt werden, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG Beschlüsse vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 26, juris; und vom 14.09.2016, 1 BvR 1335/13, Rn. 20, juris; vgl. auch Senatsbeschluss vom 12.07.2017, L 12 AS 596/17 B ER, L 12 AS 597/17 B, Rn. 21, juris). Aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG folgen darüber hinaus inhaltliche Anforderungen an die Feststellung der Hilfebedürftigkeit in tatsächlicher Hinsicht: Es darf nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden; Umstände der Vergangenheit dürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Hilfesuchenden ermöglichen. Existenzsichernde Leistungen dürfen dabei nicht aufgrund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 28, juris).

 

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach diesen Maßstäben liegen vor. Der Antrag ist zulässig; insbesondere fehlt dem Antrag entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht das Rechtsschutzbedürfnis (dazu 1.). Die Antragsgegnerin ist für den Leistungsanspruch zuständig, so dass im Eilverfahren die Beiladung des örtlich zuständigen SGB-II-Trägers unterbleiben konnte (dazu 2.). Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung spricht viel für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs (dazu 3.) und eines Anordnungsgrundes (dazu 4.). Angesichts des im Eilverfahren nicht ausreichend ermittelbaren Sachverhalts ist dennoch eine Folgenabwägung geboten, die zugunsten des Antragstellers ausfällt (dazu 5.). Auf Rechtsfolgenseite ist die Begrenzung der vorläufigen Verpflichtung der Antragsgegnerin für zwölf Monate durch das SG nicht zu beanstanden (dazu 6.).

 

1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere hat der Antragsteller das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller hat erstmals in einem Schriftsatz an das SG am 29.09.2022 ausdrücklich einen Antrag nach § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII gestellt (zur Notwendigkeit eines gesonderten Antrags vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 21.06.2017, L 12 AS 807/17 B ER, Rn. 29, juris). Dieser Antrag wurde sodann an die Antragsgegnerin weitergeleitet. Dies ist jedoch für das Rechtsschutzgesuch des Antragstellers nicht schädlich. Der Antragsteller muss sich in der Regel zwar zunächst an die Verwaltung wenden und dort einen Antrag auf die Leistung stellen. Ausnahmsweise kann, wenn noch kein förmlicher Antrag auf die Leistung gestellt ist, bereits ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, wenn die Sache sehr eilig ist und der Antragsteller aus besonderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, bei der Behörde kein Gehör zu finden (Senatsbeschluss vom 17.09.2014, L 12 AS 990/14 B ER, Rn. 17, juris; Thüringer LSG Beschluss vom 01.07.2009, L 1 U 85/09 ER, Rn. 31, juris; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 09.09.2015, L 1 AS 3579/15 B, Rn. 6, juris). Eine solche Sachlage ist vorliegend gegeben. Die besondere Eilbedürftigkeit ergab sich hier aus dem Umstand, dass der Antragsteller am 02.09.2022 vom Evangelischen Krankenhaus entlassen und in eine städtische Obdachlosen-Notunterkunft in Düsseldorf verbracht wurde, die jedoch für die pflegerische Versorgung des Antragstellers sachlich und personell nicht ausreichend ausgestattet war. Angesichts der drohenden unmittelbaren Schäden für die Gesundheit des Antragstellers war die zeitnahe Antragstellung bei Gericht am 05.09.2022 nachvollziehbar und geboten. Eingedenk des Verhaltens der Antragsgegnerin musste der Antragsteller auch damit rechnen, bei der Antragsgegnerin kein Gehör zu finden.  Auf das Schreiben des Betreuers des Antragstellers vom 15.08.2022, in dem dieser die dringliche Lage schilderte, hat die Antragsgegnerin lediglich auf die Klärung des Aufenthaltsstatus verwiesen, sich selbst aber nicht weiter um Sachaufklärung bemüht, etwa durch eine Koordinierung der Bemühungen mit dem eigenen Amt für Migration und Integration. Auch auf das erneute Schreiben des Betreuers des Antragstellers vom 24.08.2022 hat die Antragsgegnerin in einem Schreiben vom 30.08.2022 nach den möglichen Ausreisebemühungen des Antragstellers gefragt. Damit hat sie, ebenso wie im Beschwerdeverfahren, deutlich gemacht, dass sie einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen nicht für gegeben hält und keine Grundlage für eine einstweilige Leistungspflicht sieht. Die Annahme, dass der Antragsteller bei einer vorgehenden Antragstellung bei der  Antragsgegnerin schneller und leichter sein Rechtsschutzziel erreicht hätte, ist fernliegend. Der Senat geht insoweit von einem Rechtsschutzbedürfnis für die hier begehrte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG aus. Darüber hinaus fordert die Vorschrift nicht, dass ein entsprechendes Hauptsacheverfahren anhängig ist (§ 86b Abs. 3 SGG).

 

2. Die Antragsgegnerin ist sachlich gemäß § 97 Abs. 1 SGB XII zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 98 Abs. 2 S. 1 SGB XII. Danach ist für die stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Der Antragsteller hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in das Caritas-Altenzentrum M in E. 

 

Der SGB-II-Leistungsträger ist trotz der Regelung in § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II nicht zuständig. Die Norm bestimmt, dass der SGB-II-Leistungsträger bis zur Entscheidung des Streits über die Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zu erbringen hat (Blüggel in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 44a, Rn. 62). Nach § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Eine stationäre Einrichtung im Sinne dieser Norm setzt kumulativ drei Voraussetzungen voraus: Es muss sich (1.) um eine Leistungserbringung in einer Einrichtung handeln, (2.) es müssen die Leistungen stationär erbracht werden und es muss schließlich (3.) von einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung auszugehen sein (Becker in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 7, Rn. 140 ff. m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen vor. Beim Caritas-Altenzentrum M handelt es sich um ein Alten- und Pflegeheim (vgl. https://www.caritas-e.de/hilfe-angebote/alter-pflege/altenzentren/altenzentrum-m/, abgerufen am 30.11.2022). Bei solchen handelt es sich um Einrichtungen im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 SGB II (vgl. Becker a.a.O., Rn. 145). Die Voraussetzungen der Rückausahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II liegen nicht vor. Danach erhält abweichend von § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wer in einer stationären Einrichtung nach S. 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Die Norm verlangt, dass der erwerbsfähige Leistungsberechtigte, der in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, einer Beschäftigung tatsächlich nachgeht (Becker, a.a.O., Rn. 153). Das ist hier nicht der Fall. Der Antragsteller ist mindestens seit dem 30.09.2022 arbeitsunfähig erkrankt und arbeitet nicht. Außerdem hat er sich gegenüber seinem Arbeitgeber nach dem Arbeitsvertrag vom 28.04.2022 verpflichtet, lediglich regelmäßig 10 Stunden wöchentlich zu arbeiten.

 

Soweit die Antragsgegnerin auf die Zuständigkeit des SGB-II-Trägers für den Zeitraum vom 05.09.2022 (Eingang des Eilantrags beim SG) bis zum 30.09.2022 (Beginn der stationären Unterbringung im Caritas-Altenzentrum M) verwiesen hat, kommt es darauf nicht an. Streitbefangen sind allein die Kosten der stationären Unterbringung seit dem 30.09.2022. Insofern sind ein Leistungsanspruch des Antragstellers nach dem SGB II und etwaige Leistungsausschlüsse nach § 7 SGB II nicht zu prüfen.

 

Vor diesem Hintergrund verzichtet der Senat auf eine Beiladung des örtlich zuständigen Jobcenters Düsseldorf nach § 75 Abs. 2 SGG. Aus Gründen der Eilbedürftigkeit kann von der Beiladung abgesehen werden, insbesondere dann, wenn – wie hier – der Dritte durch die Eilentscheidung keine unmittelbaren Nachteile erleidet (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b, Rn. 16 m.w.N.).

 

3. Der Antrag ist begründet.

 

Es spricht Einiges für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs. Dieser kann sich aus § 23 Abs. 1 SGB XII (dazu a.) oder § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII (dazu b.) ergeben. Der Antragsteller hat zudem seine Leistungsberechtigung nach § 61 S. 1 SGB XII glaubhaft gemacht (dazu c.). Die Erklärung, auf sein Freizügigkeitsrecht aus § 4a FreizügG/EU zu verzichten und Asyl zu beantragen, steht dem Anordnungsanspruch nicht im Wege (dazu d.). Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht (dazu e.). Wegen der offenen Sachverhaltsfragen ist eine Folgenabwägung durchzuführen, die zu Lasten der Antragsgegnerin geht (dazu f.).

 

a. Nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Sowohl das Vorliegen des Ausschluss-tatbestandes nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII (dazu aa.) als auch das der Rückausnahme nach § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII (dazu bb.) können mangels entsprechender Unterlagen und Angaben gegenwärtig nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt, aber auch nicht verneint werden.

 

aa. Nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII oder nach dem Vierten Kapitel, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Aufenthaltsrecht im Sinne dieser Vorschrift ist ein materielles Aufenthaltsrecht, nicht ausreichend ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs. 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs. 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat (BSG Urteil vom 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R, Rn. 25, juris).

 

(1) Eine Freizügigkeitsberechtigung bzw. ein materielles Aufenthaltsrecht als nichterwerbstätiger Unionsbürger nach § 4 FreizügG/EU besteht nicht, da der Antragsteller zwar über den dafür notwendigen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügt, nicht aber über ebenso erforderliche ausreichende Existenzmittel. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Betroffene in Anbetracht seiner wirtschaftlichen und sozialen Situation in der Lage ist, seine Grundbedürfnisse mit den ihm zur Verfügung stehenden Existenzmitteln selbst zu decken (EuGH Urteil vom 09.01.2007, C-1/05, Rn. 37, juris). Nimmt die betreffende Person Sozialhilfeleistungen in Anspruch, indiziert dies das Fehlen ausreichender Existenzmittel (Tewocht in BeckOK AuslR, 35. Ed. 01.10.2021, § 4 FreizügG/EU, Rn. 10). Der monatlich zwischen 328 Euro und 425 Euro schwankende Nettolohn aus der geringfügigen Beschäftigung beim B e.V. reicht ersichtlich zum Bestreiten des Lebensunterhalts des Antragstellers nicht aus.

 

(2) Ob sich eine Freizügigkeitsberechtigung aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ergibt, ist nach summarischer Prüfung denkbar, aber nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind danach Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen. Es kann derzeit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einem wirksamen Arbeitsverhältnis des Antragstellers beim Asphalt e.V. seit dem 01.05.2022 ausgegangen werden, das ihm die Arbeitnehmereigenschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU vermitteln würde. Nach der kasuistischen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist der insoweit maßgebliche Arbeitnehmerbegriff i.S. des Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der nicht eng ausgelegt werden darf (EuGH Urteil vom 21.02.2013, C-46/12, Rn. 39 m.w.N., juris). Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Die beschränkte Höhe dieser Vergütung oder der Umstand, dass sie nur eine geringe Anzahl von Wochenstunden Arbeit leistet, schließen es nicht aus, dass eine Person als Arbeitnehmer i.S. des Art. 45 AEUV anerkannt wird. Allerdings ist für die Qualifizierung als Arbeitnehmer erforderlich, dass eine Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die keinen so geringen Umfang hat, dass sie sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstellt (EuGH a.a.O. Rn. 42, juris; BSG Urteil vom 27.01.2021, B 14 AS 42/19 R, Rn. 17, juris). Die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft erfordert eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalles (EuGH a.a.O., Rn. 43, juris). Das Bestehen von Urlaubsansprüchen und Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder die Anwendung von Tarifverträgen sprechen allerdings für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft i.S. des Art. 45 AEUV (EuGH Urteil vom 04.02.2010, C-14/09, Rn. 27, juris).

 

Diese Maßgaben konkretisierend muss die Vergütung in einem Arbeitsverhältnis nicht unterhaltssichernd sein (EuGH Urteile vom 03.06.1986, C-139/85, Rn. 14, juris; und vom 04.02.2010, C-14/09, Rn. 20, juris), sie darf andererseits nicht nur symbolischen Charakter haben. Ein langjähriger Bestand des Arbeitsverhältnisses ist ein Indiz für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft (EuGH Urteil vom 04.02.2010, C-14/09, Rn. 27, <beinahe vier Jahre>, juris), aber auch Beschäftigungen von kurzer Dauer können dem Anwendungsbereich des Art. 45 AEUV unterfallen (vgl. EuGH Urteile vom 04.06.2009, C-22/08 und C-23/08, <sieben Wochen>, juris; und vom 06.11.2003, C-413/01, <zweieinhalb Monate als Kellnerin>, juris). Ab einer Arbeitsstundenzahl von zehn Wochenstunden ist jedenfalls in aller Regel von einem Arbeitsverhältnis auszugehen (vgl. EuGH Urteil vom 14.12.1995, C-444/93, <Raumpflegerin mit bis zu zwei Stunden je Werktag>, juris; Urteil vom 13.07.1989, C-171/88, <wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden>, juris; Urteil vom 03.06.1986, C-139/85, <Musiklehrer mit zwölf Wochenstunden>, juris; Urteil vom 03.07.1986, C-66/85, <Studienreferendarin mit bis zu elf Wochenstunden>, juris).

 

Angesichts der Vorgaben des EuGH hat sich in der nationalen Rechtsprechung ein ebenfalls kasuistischer Rahmen entwickelt (vgl. die Nachweise im Senatsurteil vom 06.10.2021, L 12 AS 1004/20, Rn. 65 ff., juris). Das Bundessozialgericht (BSG) hat einer Wochenarbeitszeit von 7,5 Stunden und einem Monatsverdienst von lediglich 100 Euro bei einer knapp fünfmonatigen Beschäftigung keine der Arbeitnehmereigenschaft entgegenstehende Bedeutung beigemessen (BSG Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, Rn. 3, 18, juris) und die Arbeitnehmereigenschaft bei einem knapp einjährig bestehenden Arbeitsverhältnis und arbeitsvertraglich vereinbarten 30 Stunden im Monat mit einer Vergütung von 100 bis 250 Euro (BSG Urteil vom 12.09.2018, B 14 AS 18/17 R, Rn. 21 f., juris) ebenso bejaht wie im Falle einer zweimonatigen Beschäftigung mit einer monatlichen Vergütung von 500 Euro (BSG Urteil vom 27.01.2021, B 14 AS 42/19 R, Rn. 23, juris).

 

(a) Bei der hiernach vorzunehmenden Gesamtwürdigung können nach dem vorgelegten Arbeitsvertrag vom 28.04.2022 und den Gehaltsabrechnungen für die Monate Mai bis September 2022 die Grundmerkmale eines Arbeitsverhältnisses formal angenommen werden, nämlich ein Abhängigkeitsverhältnis und die Zahlung einer Vergütung als Gegenleistung für die erbrachten Leistungen (vgl. dazu EuGH Urteil vom 04.02.2010, C-14/09, Rn. 21, juris). Die Vereinbarung eines Bruttolohns von 480 Euro bei einem Stundenlohn von 12 Euro und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden geht sowohl nach der Rechtsprechung des EuGH als auch des BSG über den symbolischen Rahmen hinaus und spricht für die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers. Gleiches gilt auch im Hinblick auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Gewährung eines Jahresurlaubs von 12 Tagen und den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 6 und 7 des Arbeitsvertrages vom 28.04.2022).

 

Angesichts der schwerwiegenden internistischen Gesundheitsstörungen, die beim Antragsteller mindestens seit dem Frühjahr 2022 zu einer weitgehenden Immobilität und der Feststellung eines Pflegegrades 2 geführt haben, ist eine tatsächliche Arbeitsaufnahme und damit eine unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft gleichwohl zweifelhaft. Es kann im Eilverfahren wegen des nicht ausreichend ermittelten Sachverhalts nicht beurteilt werden, ob und wie der Antragsteller die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung seit dem 01.05.2022 (bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 11.08.2022), die in der „Konfektionierung diverser Briefe und ggf. Dokumentenablage“ (§ 3 des Arbeitsvertrages) als „Heimarbeiter“ (§ 3 des Arbeitsvertrages) bestand, tatsächlich erbracht hat. Gegen diese tatsächliche Möglichkeit der Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung spricht der Umstand, dass der Antragsteller bereits seit April 2021 von seiner Bekannten aufgenommen und gepflegt wurde. In dem eingeholten Pflegegutachten vom 25.01.2022 hatte der Antragsteller angegeben, nicht steh- und gehfähig zu sein, intensive personelle Unterstützung bei Positionswechseln zu benötigen, die meiste Zeit des Tages im Bett zu verbringen und die Wohnung seit fast einem Jahr nicht mehr verlassen zu haben. Der „pflegerische Zustandsbericht“ von Frau J von der O gGmbH über den Zustand nach der Entlassung aus dem F Krankenhaus E Anfang September 2022 bestätigt die schwergradigen Bewegungseinschränkungen und Schmerzen, die einer regulären Arbeitsaufnahme bereits bei Arbeitsvertragsschluss (28.04.2022) entgegengestanden haben könnten. Die Zweifel werden bestätigt durch die Angabe des Betreuers des Antragstellers in seinem Schreiben vom 27.10.2022, wonach der Antragsteller – seiner Ansicht nach – bei Abschluss des Arbeitsvertrages nicht arbeitsfähig gewesen sei. Auch der Umstand, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben seit 2012 Zeitungen für das Straßenmagazin „fiftyfifty“ (B e.V.) verkauft, aber erst zum 01.05.2022 einen Arbeitsvertrag mit diesem Verein abgeschlossen hat, spricht ebenso gegen einen ernsthaft gewollten Arbeitsvertrag. Auch der Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses (kurz nach dem erfolglosen Eilverfahren gegen den SGB-II-Leistungsträger) müsste in diesem Rahmen berücksichtigt werden.

 

(b) Selbst wenn man unterstellt, dass die Beschäftigung des Antragstellers seit dem 01.05.2022 die unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft begründet, könnte die Geltendmachung eines auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU gestützten Freizügigkeitsrechts rechtsmissbräuchlich sein und das Unionsrecht nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bei rechtsmissbräuchlichen Praktiken keine Anwendung finden (vgl. EuGH Urteile vom 12.03.2014, C-456/12, Rn. 58 m.w.N., juris; und vom 21.06.1988, 39/86, Rn. 43, juris). Der Missbrauch ist nachzuweisen (vgl. EuGH Urteile vom 26.02.2019, C-116/16 und C-117/16, Rn. 97 ff.; und vom 18.12.2014, C-202/13, Rn. 54, juris; BSG Urteil vom 27.01.2021, B 14 AS 25/20 R, Rn. 28 m.w.N., juris). Der Nachweis setzt zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung – hier von § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU – nicht erreicht wurde. Zum anderen erforderlich ist ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen künstlich bzw. willkürlich geschaffen werden (vgl. EuGH Urteil vom 06.10.2020, C-181/19, Rn. 76, juris). Das Berufen auf einen erlangten Arbeitnehmerstatus und ein u.a. darauf beruhendes Recht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU kann missbräuchlich sein, wenn EU-Ausländer die Freizügigkeit für Arbeitnehmer allein zu dem Zweck ausüben, in einem anderen Staat Sozialleistungen zu erhalten (EuGH Urteile vom 21.06.1988, C-39/86, Rn. 43, juris; vom 06.11.2003, C-413/01, Rn. 36, juris; und vom 06.10.2020, C-181/19, Rn. 68, juris; vgl. auch OVG NRW Beschluss vom 28.03.2017, 18 B 274/17, Rn. 3 ff.; OVG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 20.09.2016, 7 B 10406/16, 7 D 10407/16, Rn. 34 ff., juris).

 

Ob die – unterstellte – ernsthafte Aufnahme des Arbeitsverhältnisses einzig dem Ziel diente, dem Antragsteller letztlich einen Aufenthalt im Bundesgebiet – und damit auch den Zugang zu Sozialleistungen – unter Umgehung der Vorgaben des FreizügG/EU bzw. der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG zu ermöglichen, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend bewertet werden.

 

(c) Hinsichtlich der Begründung der Rechtsstellung, des Arbeitsverhältnisses und der behaupteten, aber bislang nicht glaubhaft gemachten Verlängerung des auf den 31.10.2022 befristeten Arbeitsverhältnisses, sowie eines etwaigen rechtsmissbräuchlichen Berufens auf diese Rechtsstellung sind weitere Ermittlungen im Hauptsacheverfahren geboten. Hierzu zählt die nähere Aufklärung der Umstände des Arbeitsvertragsschlusses durch Vernehmung von Zeugen auf Seiten des Arbeitgebers, der polnischen Bekannten Frau A, ferner durch Beiziehung der Akten des Betreuungsgerichts, insbesondere des am 29.03.2022 von Herrn L erstellten Gutachtens, Befundberichte der Ärzte des Antragstellers, Entlassungsberichte über ambulante und stationäre Behandlungen seit dem Jahr 2021 sowie durch eine ergänzende Anhörung des Antragstellers und seines Betreuers.

 

bb. Unabhängig vom Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU kommt die Rückausnahme in § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII in Betracht. Nach dieser Vorschrift erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen abweichend von § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB XII Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XII, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde. Die Frist nach S. 7 beginnt nach S. 8 mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde.

 

Der Anwendung der Rückausnahme in § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII steht nicht entgegen, dass sich der Antragsteller nicht bei einer Meldebehörde angemeldet hat. § 23 Abs. 3 S. 8 SGB XII ist teleologisch zu reduzieren, weil für den Antragsteller eine Meldepflicht nicht bestehen könnte (vgl. dazu LSG NRW Beschluss vom 05.05.2021, L 9 SO 56/21 B ER, Rn. 17 ff., juris). Eine teleologische Reduktion gehört zu den anerkannten, verfassungsrechtlich zulässigen Methoden der Gesetzesauslegung. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil deren Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (vgl. etwa BVerfG Beschlüsse vom 31.10.2016, 1 BvR 871/13, 1 BvR 1833/13, Rn. 22, juris; BSG Beschluss vom 13.08.2019, B 10 EG 8/19 B, Rn. 9, juris).

 

In den Fällen, in denen eine Meldepflicht nicht besteht, könnten die Betroffenen niemals die Voraussetzungen der Rückausnahme in § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII erfüllen, was offensichtlich nicht der Zweck der Regelung ist. Es ist nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung zumindest denkbar, dass der Antragsteller nicht der Meldepflicht unterliegt, denn eine solche besteht gemäß § 17 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) nur für Personen, die eine Wohnung beziehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 11.05.2020, L 18 AS 1812/19, Rn. 20, juris; LSG NRW a.a.O., Rn. 19, juris). Nach den aktenkundigen Unterlagen gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass der Antragsteller jemals eine Wohnung bezogen hat. Er hat wiederholt erklärt, 1994 nach Deutschland eingereist zu sein und nur die ersten sechs Monate regulär gearbeitet zu haben. Eine Registrierung bei einer Meldebehörde hat nicht stattgefunden. Auch bei Frau A hat der Antragsteller keine Wohnung i.S. des § 17 Abs. 1 BMG bezogen. Er wurde dort lediglich zeitweise aufgenommen, ohne Mietvertragspartei gewesen zu sein. Der Senat kann allerdings nicht abschließend bewerten, ob der Aufenthalt des Antragstellers in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung durchgehend in Deutschland lag, was nach § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII erforderlich wäre. Diesbezüglich sind in der Hauptsache weitere Ermittlungen anzustellen, etwa die Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen und anderer geeigneter Nachweise, die einen durchgehenden gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet dokumentieren. Die Vernehmung von Mitarbeitern des B e.V. als Zeugen wäre ebenso in Betracht zu ziehen wie die Anhörung des Antragstellers und seines gesetzlichen Betreuers.

 

b. Unabhängig vom Bestehen eines Anspruchs nach § 23 Abs. 1 SGB XII spricht Einiges dafür, dass sich der Antragsteller auf eine besondere Härte i.S.d. § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII berufen kann und dies zu einem Anspruch auf Grundsicherungsleistungen führt. Gemäß § 23 Abs. 3 S. 3 SGB XII werden hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach S. 3. Gemäß § 23 Abs. 3 S. 5 SGB XII umfassen die Überbrückungsleistungen (1.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege, (2.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 35 Abs. 4 und § 30 Abs. 7 SGB XII, (3.) die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und (4.) Leistungen nach § 50 Nr. 1 bis 3 SGB XII (Hilfen bei Schwangerschaft und Mutterschaft). Gemäß § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 1 SGB XII werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach S. 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Abs. 1 gewährt. Nach § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII sind ebenso Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

 

Es spricht nach summarischer Prüfung Einiges für das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII (dazu aa.). Die Norm setzt zwar grundsätzlich eine Ausreisebereitschaft des Ausländers voraus (dazu bb). Auf diese muss aber in verfassungskonformer Weise verzichtet werden, wenn die Ausreise faktisch unmöglich ist (dazu cc.) 

 

aa. § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 1 SGB XII sieht die Gewährung anderer Leistungen i.S.v. § 23 Abs. 1 SGB X vor. Gemeint sind vor allem die in § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII genannten Leistungen, worunter auch die die hier streitigen Hilfen zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII (§§ 61-66a) gehören (Groth in BeckOK SozR, 66. Ed. 01.12.2021, § 23 SGB XII, Rn. 4). § 65 S. 1 SGB XII bestimmt dabei, dass Pflegebedürftige mit einem Pflegegrad 2, 3, 4 oder 5 Anspruch auf Pflege in stationären Einrichtungen haben, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des Einzelfalls nicht in Betracht kommt. Der Senat geht nach summarischer Prüfung davon aus, dass die vollstationäre Unterbringung des Antragsteller im Caritas Altenzentrum M erforderlich ist. Eine zumutbare Alternative im häuslichen oder teilstationären Rahmen besteht nicht. Dies ergibt sich aus dem Pflegegutachten vom 25.01.2022, wonach nach dem Ende der Betreuung bei der Bekannten des Antragstellers eine Heim- bzw. WG-Notwendigkeit gegeben sei. Auch die Pflegekraft Frau J von der O gGmbH hat in ihrer Stellungnahme Anfang September 2022 darauf hingewiesen, dass der Antragsteller in einer Pflegeeinrichtung betreut und gepflegt werden müsse. Sie hat von einer deutlichen Verschlimmerung der Symptomatik gesprochen, die ihrer Ansicht nach mittlerweile die Feststellung eines Pflegegrades 3 rechtfertigen würde. Einwände gegen die Notwendigkeit einer stationären Pflege hat die Antragsgegnerin nicht erhoben.

 

§ 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII ermächtigt dazu, Überbrückungsleistungen auch über den Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen. Neben die besondere Härte müssen hier allerdings noch besondere Umstände treten. Einer der Hauptanwendungsfälle ist dabei die vorübergehende Reiseunfähigkeit (Schleswig-Holsteinisches LSG Beschluss vom 04.05.2018, L 6 AS 59/18 B ER, Rn. 32, juris; Groth in BeckOK SozR, 66. Ed. 01.12.2021, § 23 SGB XII, Rn. 18b). Kein Grund für die Annahme eines Härtefalls i.S.d. § 23 Abs. 3 S. 6 Hs. 2 SGB XII ist dagegen die allgemeine soziale Situation im Herkunftsland (Hessisches LSG Beschluss vom 20.06.2017, L 4 SO 70/17 B ER, Rn. 17, juris). Die besonderen Umstände bestehen hier nach summarischer Prüfung darin, dass der Antragsteller nach eigenen, von der Antragsgegnerin nicht widersprochenen Angaben, seit dem Frühjahr 2021 kaum die Wohnung seiner Bekannten verlassen hat bzw. in stationären Einrichtungen untergebracht war, und verschiedentlich in ärztlichen und pflegerischen Berichten von einer regelrechten Immobilität des Antragstellers gesprochen wird, so dass – jedenfalls nach vorläufiger Prüfung des Senats – von einer Reiseunfähigkeit auszugehen ist. Auch dieser Umstand muss jedoch im Hauptsacheverfahren eingehender ermittelt werden, etwa durch Beiziehung des Entlassungsberichts des F Krankenhauses E und eines Berichts des Caritas Altenzentrums St. M über den derzeitigen gesundheitlichen Zustand des Antragstellers.

 

bb. Der Senat hält an seiner ständigen Rechtsauffassung fest, dass § 23 Abs. 3 S. 3, 5 und 6 SGB XII in tatbestandlicher Hinsicht mindestens eine Ausreisebereitschaft des Ausländers voraussetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 15.12.2021, L 12 AS 1561/21 B ER, Rn. 54 m.w.N., juris; Senatsurteil vom 06.10.2021, L 12 AS 1004/20, Rn. 81 m.w.N., juris). Hieran fehlt es bei dem Antragsteller. Dessen Betreuer hat einen Ausreisewillen ausdrücklich verneint. Die Notwendigkeit einer Ausreisebereitschaft ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der Norm. Sie ist jedoch notwendige Bedingung der im Gesetzestext deutlich zum Ausdruck gebrachten objektiven Zweckrichtung der Überbrückungsleitungen. Dies wird in der Formulierung deutlich, wonach eine eingeschränkte Hilfe gewährt wird, „um“ den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken. Auch der durch das Gesetz angebrachte Begriff der „Überbrückungsleistungen“ lässt an der Intention des Gesetzgebers keinen Zweifel (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 07.11.2019, L 7 SO 934/19, Rn. 49, juris; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 06.02.2019, L 2 AS 507/18 B ER, Rn. 61, juris). Die Überbrückungsleistungen dienen dem Ziel, EU-Ausländern, die kein Aufenthaltsrecht oder allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche haben bzw. ihren Aufenthalt auf § 2 Abs. 5 FreizügG/EU stützen können, eine Ausreise zu ermöglichen, respektive sie hierzu zu bewegen, ohne eine Ausreisepflicht zu vollziehen (vgl. BT-Drs. 18/10211, S. 14, 16). Insofern ist die Ausreisebereitschaft generell notwendige Voraussetzung zur Erreichung des Gesetzeszweckes.

 

cc. Allerdings ist der Senat der Auffassung, dass bei faktischer Unmöglichkeit der Ausreise – etwa infolge gesundheitlicher Einschränkungen – die Notwendigkeit eines Ausreisewillens in verfassungskonformer Weise im Hinblick auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20. Abs. 1 GG, vgl. grundlegend: BVerfG Urteile vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, juris; und vom 05.11.2019, 1 BvL 7/16, juris) und das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), die mit einer entsprechenden staatlichen Schutzpflicht korrespondieren, entfällt. Für diese verfassungskonforme Auslegung spricht zunächst, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Besonderen durch die Leistungen zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts nach dem SGB II und XII einfachgesetzlich umgesetzt wird und ein Menschenrecht darstellt. Das BSG hatte zu § 23 SGB XII bis zu dessen Neuregelung zum 29.12.2016 durch das „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ (BGBl. I 2016, S. 3155) die Ansicht vertreten, die Möglichkeit einer Heimkehr in das Herkunftsland sei „im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird“ (BSG Urteil vom 20.01.2016, B 14 AS 15/15 R, Rn. 31 f., juris, unter Hinweis auf BVerfG Urteil vom 18.07.2012, 1 BvR 10/10 u.a., Rn. 63 und 92 ff., juris). Der Rechtsgedanke dieser Rechtsprechung hat auch für § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII Relevanz, geht es doch auch hier darum, das Menschenrecht auf ein Existenzminimum zu wahren, wenn nicht nur der Aufenthalt im Inland von den Behörden faktisch geduldet, sondern auch eine Ausreise in den Herkunftsstaat faktisch unmöglich ist. Der Sinn und Zweck der Überbrückungsleistungen steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Denn Unionsbürger werden nach § 23 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB XII unter der typisierten Annahme von SGB XII-Leistungen ausgeschlossen, dass ihnen die Rückkehr in ihr Herkunftsland gefahrlos offensteht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 11.07.2019, L 15 SO 181/18, Rn. 60, juris). Wenn aber dieser Typisierung durch eine faktische Unmöglichkeit der Ausreise der Boden entzogen ist, eine gefahrlose Rückreise nicht zumutbar ist, können Leistungen wegen der staatlichen Schutzpflicht für Menschen, die sich auf seinem Staatsgebiet aufhalten, nicht versagt werden. Zwar geht das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass weder Art. 1 Abs. 1 noch Art. 2 Abs. 2 GG ein Grundrecht des Einzelnen auf gesetzliche Regelung von Ansprüchen auf angemessene Versorgung durch den Staat regele (st. Rspr. seit: BVerfG Beschluss vom 19.12.1951, 1 BvR 220/51, Rn. 33, juris). Bei der Ausgestaltung seiner Schutzverpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG kommt dem Gesetzgeber vielmehr ein weitgehender Gestaltungsspielraum zu (Di Fabio in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Werkstand: 98. EL, März 2022, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Rn. 94). Allerdings hat das BVerfG auch darauf erkannt, dass der objektivrechtliche Gehalt des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG die Pflicht staatlicher Organe enthalte, sich „schützend und fördernd vor die in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter zu stellen“ (BVerfG Beschluss vom 14.01.1981, 1 BvR 612/72, Rn. 52, juris). Vor diesem Hintergrund geht es vorliegend nicht darum, direkte Leistungsansprüche aus der Verfassung abzuleiten, sondern vielmehr aus der einfachgesetzlichen Konkretisierung der staatlichen Schutz- und Förderpflicht, die u.a. in § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII ihren Niederschlag gefunden hat und verfassungskonform auszulegen ist. Dem entspricht, dass das BVerfG selbst Leistungsansprüche für eine Grundversorgung aus grundrechtlichen Gewährleistungen des GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ableitet (Di Fabio a.a.O. m.w.N.).

 

Der Senat geht nach summarischer Prüfung von einer gegenwärtigen faktischen Unmöglichkeit der Heimkehr des Antragstellers nach Polen aus. Dafür sprechen die aktenkundigen Pflegeunterlagen, insbesondere der Bericht von Frau J von der O gGmbH, die unter Bezugnahme auf das Pflegegutachten vom 25.01.2022 von einer deutlichen Verschlimmerung der gesundheitlichen Situation seit der Pflegebegutachtung spricht und ausführt, der Pflegegrad 3 müsse nunmehr beim Antragsteller festgestellt werden. Um allerdings einer ausufernden Auslegung entgegenzuwirken und § 23 Abs. 3 S. 6 SGB XII – entgegen der gesetzgeberischen Intention – nicht zu einem Einfallstor für dauerhafte Leistungen ohne klare Konturen werden zu lassen (vgl. BR-Drs. 587/16, S. 11), sind die Anforderungen an die faktische Unmöglichkeit der Ausreise entsprechend dem Gesetzeswortlaut („besondere Umstände“, „besondere Härte“) streng zu formulieren. Sollte eine Rückkehr des EU-Ausländers in sein Herkunftsland, auch unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln oder Hilfspersonen zumutbar sein, sind Leistungen längstens bis zu einer hypothetisch denkbaren und zumutbaren Ausreise zu erbringen. Diese Umstände müssen im Falle des Antragstellers im Hauptsacheverfahren noch eingehender aufgeklärt werden, etwa durch eine amtsärztliche Untersuchung der Reisefähigkeit des Antragstellers (vgl. BR-Drs. 587/16, S. 11).

 

c. Der Antragsteller hat seine Leistungsberechtigung nach den §§ 23 Abs. 1, Abs. 3 S. 6 i.V.m. § 61 S. 1 SGB XII glaubhaft gemacht. Nach § 61 S. 1 SGB XII haben Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII sind, Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihnen und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten ist, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels (§§ 82-96) aufbringen. Das ist hier der Fall. Der Antragsteller hat unter Vorlage lückenloser Kontoauszüge glaubhaft vorgetragen, dass er mit Ausnahme der geringfügigen Vergütung durch den Arbeitsvertrag mit dem Asphalt e.V. keine weiteren Einnahmen im Sinne des § 82 Abs. 1 S. 1 SGB XII hat. Solche ergeben sich auch nicht aus der Akte. Sollte der Antragsteller zwischenzeitlich Krankengeld von seiner gesetzlichen Krankenkasse beziehen, fiele dieses jedenfalls nicht höher aus als das Nettoarbeitsentgelt (vgl. insoweit § 47 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung <SGB V>). Auch Hinweise auf Vermögen i.S.d. § 90 Abs. 1 SGB XII liegen nicht vor und werden von der Antragsgegnerin nicht konkret behauptet. Der Antragsteller ist nach alledem nicht in der Lage, die Kosten der stationären Pflege aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu decken.

 

d. Die mit E-Mail des Betreuers am 31.08.2022 abgegebene Erklärung, dass der Antragsteller auf sein Freizügigkeitsrecht nach § 4a FreizügG/EU verzichte und Asyl sowie Asylbewerberleistungen beantrage, ist für einen etwaigen Anordnungsanspruch nach dem SGB XII nicht schädlich. Die Erklärung ist bereits deshalb unbeachtlich, weil dem Antragsteller ein Daueraufenthaltsrecht i.S. des § 4a FreizügG/EU nicht zusteht, auf das er verzichten könnte. Die Erklärung geht daher rechtlich ins Leere.

 

e. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass dem Antragsteller bei einem Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens unzumutbare Nachteile entstünden. Ein solcher wesentlicher Nachteil liegt insbesondere vor, wenn der Antragsteller konkret in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist oder ihm sogar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht (LSG NRW Beschluss vom 21.05.2008, L 9 B 77/08 AS ER, Rn. 17, juris; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 21.09.2015, L 7 SB 48/14 B ER, Rn. 21, juris). Die persönlichen Lebensumstände des Antragstellers sprechen für das Vorliegen einer solchen Eilbedürftigkeit. Dazu gehört insbesondere die aktuelle gesundheitliche Situation, derentwegen der Antragsteller dringend auf durchgehende pflegerische Versorgung in einer geeigneten Pflegeeinrichtung angewiesen ist und die Kosten hierfür wegen fehlender finanzieller Mittel nicht bestreiten kann. Der pauschale und unsubstantiierte Hinweis der Antragsgegnerin auf geeignete Pflegeeinrichtungen in Polen wird der Bedeutung der Grundrechte des Antragstellers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) und auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) nicht gerecht. Die Aufklärung einer zumutbaren Rückkehrmöglichkeit, sollte es darauf entscheidungserheblich ankommen, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

 

Der Anordnungsgrund ist nicht im Hinblick darauf zu verneinen, dass sich der Antragsteller gegenwärtig in einer geeigneten stationären Pflegeeinrichtung befindet und ihm keine Obdachlosigkeit drohen würde. Nach der zu § 22 Abs. 1 SGB II ergangenen Rechtsprechung ist bei der Prüfung, ob ein Anordnungsgrund für den Eilrechtsschutz vorliegt, im Rahmen der wertenden Betrachtung zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung für den Betroffenen hätte; ein starres Abstellen auf das Erheben einer Räumungsklage seitens des Vermieters ist dabei unzulässig (vgl. BVerfG Beschluss vom 01.08.2017, 1 BvR 1910/12, Rn. 16 m.w.N., juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 28.09.2017, L 18 AS 1984/17 B ER, Rn. 3, juris; LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 11.03.2021, L 9 AS 233/21 ER-B, Rn. 13, juris; LSG NRW Beschlüsse vom 03.03.2021, L 21 AS 935/20 B ER, Rn. 19, juris, und vom 09.07.2018, L 7 AS 733/18 B ER, Rn. 28, juris). Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall würde das alleinige Abstellen darauf, dass die stationäre Unterbringung fortdauert und der Pflegevertrag trotz Ausbleiben der Rechnungsbegleichung seitens des Caritas-Altenzentrums M (offenbar) noch nicht gekündigt wurde, der Situation des Antragstellers nicht gerecht. Denn insofern ist zu berücksichtigen, dass die Pflegeeinrichtung sich erst auf Betreiben des SG bereit erklärt hat, den Antragsteller aufzunehmen, nachdem von dort die Kostenübernahme in Aussicht gestellt wurde. Insofern ist es naheliegend, dass die Pflegeeinrichtung den Pflegevertrag kündigen würde, sobald der Antrag im Eilverfahren abgelehnt würde. Diese besondere Situation rechtfertigt hier die Annahme eines Anordnungsgrundes.

 

f. Da trotz der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes und der gewichtigen Tatsachen, die für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs sprechen, eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist nach den oben dargelegten Grundsätzen auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG Beschluss vom 14.09.2016, 1 BvR 1335/13, Rn. 20, juris). Bei dieser Folgenabwägung sind die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zu Gunsten des Antragstellers nicht erginge, eine Klage in der Hauptsache aber später Erfolg hätte, mit denen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erginge, die Klage aber erfolglos bliebe (vgl. LSG NRW Beschluss vom 27.05.2014, L 9 SO 103/14 B ER, Rn. 9, juris). Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Folgenabwägung fällt unter Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Maßstäbe zugunsten des Antragstellers aus. Die Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, mithin der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Rn. 28, juris). Ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre das menschenwürdige Existenzminimum des Antragstellers nicht gedeckt und er in seiner körperlichen Unversehrtheit möglicherweise akut gefährdet. Diese erhebliche Beeinträchtigung kann auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr ausgeglichen werden, weil der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht (BVerfG, a.a.O., Rn. 19, juris). Der zu befürchtenden Beeinträchtigung der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit durch die Vorenthaltung von Leistungen zur Existenzsicherung steht lediglich die Möglichkeit ungerechtfertigter Geldzahlungen seitens des Antragsgegners gegenüber.

 

g. Liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung vor, bestimmt das Gericht nach freiem Ermessen, welche konkreten Anordnungen zur Erreichung des Anordnungszwecks erforderlich sind (§ 938 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG). In Anwendung dieser Grundsätze hat das SG die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin ohne Beanstandung auf die Zeit vom 30.09.2022 bis 30.09.2023 begrenzt. Dieser Zeitraum ist erforderlich, um die zahlreichen im Hauptsacheverfahren offenen Fragen durch die Antragsgegnerin nach §§ 20, 21 SGB X bzw. – falls notwendig – durch das SG gemäß §§ 103, 106 SGG vollständig aufzuklären. Angesichts der gesundheitlichen Situation des Antragstellers ist auch nicht vernünftigerweise davon auszugehen, dass er perspektivisch für weniger als die vollen zwölf Monate auf stationäre Pflegehilfeleistungen angewiesen sein wird. Insofern kann auch eine Parallele zur regelmäßigen Bewilligungsdauer für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 44 Abs. 3 S. 1 SGB XII gezogen werden. Die dort vorgesehene regelmäßige Bewilligungsdauer von zwölf Monaten ist dem Umstand geschuldet, dass Veränderungen in den Leistungsvoraussetzungen bei der Personengruppe der Grundsicherungsbezieher seltener eintreten oder zu erwarten sind als bei Beziehern anderer Sozialleistungen (Gebhardt in BeckOK SozR, 66. Ed. 01.09.2022, § 44 SGB XII, Rn. 12). Gleiches muss auch hier für den Antragsteller gelten.

 

4. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

 

5. Dem Antragsteller, der ausweislich der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und der zuvor schon eingereichten Kontoauszüge nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung zu tragen, ist unabhängig von den Erfolgsaussichten des Verfahrens als Gegner der von der Antragsgegnerin eingelegten Beschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen (§§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff., 119 Abs. 1 S. 2 ZPO). Prozesskostenhilfe ist dabei ab dem 28.11.2022 zu gewähren, weil der Antragsteller erst an diesem Tag den Antrag gestellt und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Bewilligung der Prozesskostenhilfe glaubhaft gemacht hat.

 

6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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