S 2 AS 495/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 2 AS 495/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


T a t b e s t a n d :

Die Klage ist auf die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) gerichtet. Die Kläger wehren sich dagegen, dass im Zeitraum Oktober 2020 bis März 2021 Wohngeld in Höhe von 572,17 EUR monatlich als Einkommen angerechnet wurde.

Die Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern der drei minderjährigen Kläger zu 3 bis 5. Sie beziehen als Bedarfsgemeinschaft seit April 2020 Arbeitslosengeld II. Der Kläger zu 1 arbeitet als angestellter Taxifahrer. Im März 2020 hatte der Arbeitgeber Kurzarbeit beantragt, daher stellte der Kläger zu 1 im April 2020 einen Antrag auf Arbeitslosengeld II. Anspruch auf Arbeitslosengeld I hatte der Kläger nicht. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit Oktober 2015 als Erzieherin. Zum Zeitpunkt der Antragstellung befand sie sich in Elternzeit und bezog Elterngeld in Höhe von 226,35 EUR monatlich. Außerdem beziehen die Kläger Kindergeld in Höhe von insgesamt 588 EUR monatlich.

Mit Bescheid vom 14.05.2020 wurden für den Zeitraum April 2020 bis September 2020 vorläufig Leistungen in Höhe von 907,91 EUR (April 2020), 1.183,39 EUR (Mai 2020) bzw. 1.729,68 EUR monatlich (Juni bis September 2020) bewilligt. Mit Änderungsbescheid vom 16.06.2020 wurden die Leistungen für Mai bis September 2020 angepasst und nun für diesen Zeitraum 1.174,68 EUR monatlich vorläufig bewilligt. Grund für die Änderung war der Nachweis für die Elterngeldzahlungen.

Mit Weiterbewilligungsantrag vom 18.09.2020 wurden Leistungen für den hier streitgegenständlichen Folgezeitraum ab Oktober 2020 beantragt. Im Rahmen dessen legten die Kläger einen Bescheid der Landeshauptstadt A-Stadt vom 13.08.2020 vor, mit dem Wohngeld bewilligt wurde. Ausweislich dieses Bescheides wurde am 31.08.2020 eine Nachzahlung in Höhe von 3.433 EUR ausgezahlt.

Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 21.10.2020 wurde den Klägern für den Zeitraum Oktober 2020 bis März 2021 vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von 506,83 EUR monatlich bewilligt. Dabei rechnete der Beklagte jeden Monat Wohngeld in Höhe von 572,17 EUR monatlich an. Die einmalige Einnahme in Form des Wohngeldes sei gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II auf sechs Monate zu verteilen.

Dagegen ließen die Kläger am 23.11.2020 Widerspruch erheben. Im Hinblick auf die im August 2020 zugeflossene Wohngeldnachzahlung beginne der sechs-monatige Verteilzeitraum bereits am 01.09.2020 und ende am 28.02.2021. Außerdem sei das Wohngeld überhaupt nicht anzurechnen.

Mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 21.11.2021 wurden die Leistungen ab Januar 2021 an den erhöhten Regelsatz angepasst. Bewilligt wurden nun vorläufig 552,83 EUR monatlich.

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 21.12.2020 wurden die Leistungen für den Zeitraum Januar bis März 2021 erneut angepasst. Es wurde berücksichtigt, dass der Kinderzuschlag von 185 auf 205 EUR erhöht wurde. Bewilligt wurden demzufolge monatlich 492,83 EUR. Die Bewilligung erfolgte wieder vorläufig.

Mit Änderungsbescheid vom 23.02.2021 wurde dem Widerspruch teilweise abgeholfen: Die vorläufige Bewilligung für März 2021 wurde insofern abgeändert, als dass die Wohngeldnachzahlung in Höhe von 572,17 EUR nicht mehr als Einkommen angerechnet wurde, weil der Verteilzeitraum im Februar 2021 ende. Bewilligt wurden demzufolge für März 2021 572,17 EUR mehr, also 1.064,99 EUR.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2021 wurde der Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die Klage. Argumentiert wird, dass im Hinblick auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalles die Wohngeldnachzahlung nicht als Einkommen gemäß § 11 SGB II berücksichtigt werden dürfe. Es sei zu Verzögerungen von über sechs Monaten durch die Wohngeldbehörde der Stadt A-Stadt gekommen. Zweck des Wohngeldes sei jedoch ein Zuschuss zur Miete im jeweiligen Bewilligungsmonat. Anstatt des Wohngeldes hätten die Kläger Anspruch auf aufstockende Leistungen nach dem SG II gehabt. Letztlich sei das Wohngeld vorliegend als existenzsichernde Leistung zu qualifizieren und als solche nicht als Einkommen gemäß § 11 SGB II anzurechnen. Unabhängig davon hätte der Wohngeldzufluss im vorhergehenden Bewilligungszeitraum berücksichtigt werden müssen. Ein Durchschnittseinkommen sei nämlich bei sämtlichen Einkommensarten zu bilden, eine Verteilung sei daher nicht möglich.

Der Klägervertreter beantragt:

Unter Abänderung des Bescheides vom 21.10.20 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.11.20 und 23.02.21 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.21 wird den Klägern für den Zeitraum 01.10.20 bis 28.02.21 vorläufig ALG II in Höhe von weiteren 572,17 Euro monatlich gewährt, zuzüglich Zinsen in gesetzlicher Höhe.


Der Beklagte beantragt:

            Die Klage wird abgewiesen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Akte des Sozialgerichts verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die auf höhere Leistungen gerichtete Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1.
Streitgegenstand ist ausweislich des in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht München gestellten Antrags der Bescheid vom 21.10.20 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.11.20 und 23.02.21 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.02.21 und der Zeitraum 01.10.20 bis 28.02.21. Zusätzlich wurde erstmalig ein Antrag auf Zinsen gestellt.

Soweit ein Zinsanspruch geltend gemacht wird, handelt es sich um eine unzulässige Klageänderung. Der Zinsanspruch ist ein gesonderter Streitgegenstand. Er wurde erstmalig in der mündlichen Verhandlung am 22.06.2022 geltend gemacht. Der Beklagte hat sich dazu nicht eingelassen, § 99 Abs. 1, 1. Alt. SGG. Eine Einbeziehung in das Verfahren ist auch nicht sachdienlich, § 99 Abs. 2, 2. Alt. SGG. Bislang wurde nicht einmal ein Antrag bei der Verwaltung gestellt, § 44 SGB I. Es liegt somit insbesondere keine Entscheidungsreife vor.

Gegenstand der vorliegenden Klage sind demzufolge höhere Leistungen im Zeitraum Oktober 2020 bis Februar 2021, somit die Bescheide vom 21.10.2020 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21.11.2020 und 21.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2021. Zwischenzeitlich gelten die vorläufig bewilligten Leistungen als endgültig bewilligt, § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II.

Soweit auch der Bescheid vom 23.02.2021 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, ist die Klage unzulässig. Denn der Bescheid ist ein Abhilfebescheid und betrifft den Monat März 2021.

2.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft, § 54 Abs. 1 und 4 SGG und als solche zulässig. Insbesondere wurde sie form- und fristgerecht erhoben.

3.
Die Klage ist aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf höhere Leistungen.

Die Kläger zu 1 und 2 erfüllen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II und sind demzufolge dem Grunde nach leistungsberechtigt. Sie haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 4 SGB II. Sie sind auch erwerbsfähig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 SGB II.

Die Kläger zu 3 bis 5 sind nicht erwerbsfähig, leben aber mit den Klägern zu 1 und 2 in einer Bedarfsgemeinschaft und haben demzufolge dem Grunde nach Anspruch auf Sozialgeld, § 19 Abs. 2 Satz 2 SGB II.

Die Kläger sind auch hilfebedürftig i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V. m. § 9 SGB II, allerdings nur in dem vom Beklagten angenommenen Umfang.

Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. Bedarf und Einkommen sind gegenüberzustellen.

Der Bedarf der Kläger wurde vom Beklagten richtig errechnet. Diesbezüglich wurden von Klägerseite keine Einwände erhoben. Aus der Akte sind auch keine Fehler ersichtlich.

Auch auf der Einnahmenseite finden sich keine Fehler.

Im streitgegenständlichen Zeitraum wurden vom Beklagten Einnahmen in Form von Einkommen aus Erwerbstätigkeit (monatlich 450 EUR brutto gleich netto), Kindergeld (204 EUR monatlich für die Kläger zu 3 und 4 und 210 EUR monatlich für die Klägerin zu 5), Kinderzuschlag (185 EUR monatlich je Kind) und Wohngeldnachzahlung (572,17 EUR monatlich) angerechnet.

Strittig ist allein die Wohngeldnachzahlung in Höhe von 3.433 EUR. Diese floss den Klägern am 31.08.2020 zu. Der Beklagte rechnete in den streitgegenständlichen Monaten Oktober 2020 bis Februar 2021 zu Recht jeweils ein Sechstel dieser Zahlung als Einkommen an.

Gemäß § 11 Abs. 3 Satz SGB II sind einmalige Einnahmen in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen (Satz 1). Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt (Satz 3). Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen (Satz 4).

Die Klägerseite argumentiert, dass Wohngeld schon kein Einkommen im Sinne von § 11 SGB II sei, weil es sich dabei um eine existenzsichernde Leistung handle. Dieser Auffassung folgt das Gericht nicht. Rechtsprechung und Literatur qualifizieren Wohngeld als Einkommen (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 11 (Stand: 27.05.2021), Rn. 66.1, sowie Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB, 12/19, § 11 SGB II, Rn. 590, BSG Urteil vom 14.05.2018, B 14 AS 37/17). Die von Klägerseite zitierte Entscheidung des BSG vom 25.06.2015, B 14 AS 17/14 betrifft die Anrechnung einer Nachzahlung von Asylbewerberleistungen nach dem AsylbLG und ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Die Klägerseite weist zu Recht daraufhin, dass in den Monaten, in denen das Wohngeld nicht geflossen ist, ein höherer Arbeitslosengeld II-Anspruch bestanden hätte. Das bedeutet aber auch, dass das Wohngeld - wenn es denn zufließt - anzurechnen ist. Es wird hierzu auch auf die BSG-Entscheidung vom 30.10.2019, B 4 KG 1/19 R, Rn. 25 ff., hingewiesen, wonach (im Rahmen des Kindergeldzuschlags) nachgezahltes Wohngeld in dem Monat zu berücksichtigen ist, in dem es tatsächlich zufließt, unabhängig davon, für welchen Monat es gewährt wurde.

Die Wohngeldnachzahlung ist als einmalige Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3 SGB II zu qualifizieren. Das ergibt sich aus § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II, wonach zu den einmaligen Einnahmen auch als Nachzahlung zufließende Einnahmen gehören, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden.

Durch die Anrechnung im Zuflussmonat August 2020 wäre der Anspruch der Kläger nach dem SGB II vollständig entfallen. Daher war die Zahlung auf sechs Monate aufzuteilen. Da die Leistungen für August 2020 bereits erbracht waren, beginnt der Verteilzeitraum im September 2020 und endet im Februar 2021.

Die Klägerseite argumentiert weiter, dass die Nachzahlung im August 2020 vollumfänglich im vorangehenden Bewilligungszeitraum hätte berücksichtigt werden müssen, § 41a Abs. 4 Satz 1 SGB II in der damals gültigen Fassung. Unter Hinweis auf die entsprechende Rechtsprechung des BSG wird vorgetragen, dass für das Durchschnittseinkommen im vorangehenden Bewilligungszeitraum sämtliche Einkommensarten zu berücksichtigen seien, eine Verteilung sei daher nicht möglich.

Dieser Auffassung folgt die Kammer nicht. Es ist zwar richtig, dass nach der BSG-Rechtsprechung (vgl. Az. B 14 AS 44/18) alle Einkommensarten einzubeziehen sind. Dies bedeutet aber nicht, dass die Regeln zur Einkommensanrechnung nicht mehr anzuwenden wären. Für einmalige Einnahmen stellt § 11 Abs. 3 SGB II eine besondere Regelung für die Anrechnung auf. Diese ist weiterhin anzuwenden. Die Teilbeträge sind dann in die Durchschnittsberechnung einzubeziehen (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.01.2021, Az. L 13 AS 173/19, insoweit bestätigt durch BSG Urteil vom 18.05.2022, Az. B 7/14 AS 9/21; vgl. den inzwischen vorliegenden Terminbericht des BSG vom 18.05.2022, Nr. 17/22 Nr. 3).

Die Klage war daher abzuweisen.

 

Rechtskraft
Aus
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