L 3 U 2360/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 2287/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 U 2360/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 03.07.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand


Der Kläger begehrt als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau (im Folgenden: Versicherte) die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 4104 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Die 1961 geborene Versicherte absolvierte vom 27.10.1982 bis zum 27.03.1984 an der Universität H und vom 30.03.1984 bis zur Promotion am 23.10.1995 an der Universität M ein Studium der Mineralogie. Sie hielt sich nach eigenen Angaben in der Zeit ab dem 30.03.1984 bis zum 23.10.1995 täglich in asbestbelasteten Gebäudebereichen der Ugruppe I in der W-Str. in M und in der Zeit vom 01.08.1987 bis zum 31.01.1995 zusätzlich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Gebäudebereichen des Mineralogischen Instituts in der Cstr. in M auf.

Die Firma W GmbH erstellte in den Jahren 1996 bis 1998 im Auftrag des Staatshochbauamtes der Universität M Asbest-Untersuchungen an Gebäuden der Universität, u.a. an dem Gebäude des Mineralogischen Instituts in der Cstr. in M und an dem Gebäude der Institutsgruppe I in der W-Str. in M.

Der M1 von der Radiologischen Gemeinschaftspraxis F untersuchte die Versicherte am 26.07.2011 mittels Spiral-CT des Thorax mit Kontrastmittel unter der Fragestellung eines therapieresistenten Lungeninfiltrats mit Rundherdbildung und Tumorverdachts. Er beschrieb u. a. ein wohl von einem Brochialcarcinom rechts ausgehendes ca. 8 cm großes Tumorkonglomerat, Lymphknotenmetastasen und einen 3 cm großen Tumorknoten im Lungensegment X rechts. Nach einer ambulanten Untersuchung am 29.07.2011 äußerte D der medizinischen Klinik für Atemwegserkrankungen und Allergien W2 (Fachkliniken W2), den Verdacht auf einen bösartigen Lungentumor in Form eines histologisch undifferenzierten kleinzelligen epitheloiden Tumors, und verwies auf eine mögliche Asbestexposition aufgrund der beruflichen Tätigkeit als Mineralogin. Nach weiteren immunhistochemischen Untersuchungen diagnostizierten D, H1 und W3 während eines stationären Aufenthalts der Versicherten in den Fachkliniken W2 vom 09.08.2011 bis zum 13.08.2011 ein undifferenziertes kleinzelliges Karzinom der Lunge, eine Tumormanifestation in der rechten Lunge mit Beteiligung von drei Lungenlappen, ohne Hinweis auf Fernmetastasierung, Stadium Extended Desease I und eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung GOLD Stadium II. Es wurde eine Kombinationschemotherapie eingeleitet. Am 24.04.2012 wurde während des stationären Aufenthalts der Versicherten in den Fachkliniken W2 vom 23.04.2012 bis zum 01.05.2012 eine zweimalige Keilresektion im Bereich des rechten Unterlappens sowie im Bereich des Segmentes 6 rechts eine PE (wohl Probeexzision - Biopsie) per minimalinvasiver Chirurgie durchgeführt.

Am 10.05.2012 zeigte D bei der B, die den Vorgang zuständigkeitshalber an die Beklagte abgab, den Verdacht einer BK Nr. 4104 an und äußerte den Verdacht auf Asbestexposition.

Mit Schreiben an die Beklagte vom 13.05.2012 teilte die Versicherte selbst der Beklagten unter Beifügung der BK-Anzeige von D mit, dass bei ihr ein Bronchialkarzinom diagnostiziert worden sei, welches sie auf Asbest-Exposition zurückführe.

Mit Schreiben vom 06.06.2012 übersandte die Beklagte der Versicherten diverse Vordrucke, in denen Angaben zu deren Krankenversicherung, deren beruflichem Werdegang, schädigenden Einflüssen bei der Berufstätigkeit und zu den behandelnden Ärzten zu machen waren, sowie einen Vordruck zur Einwilligungserklärung zur Erhebung von Sozialdaten und zur Datenübermittlung. Dem Schreiben war außerdem das „Merkblatt zum Sozialdatenschutz“ beigefügt, in dem es unter der Überschrift „Datenübermittlung/Widerspruchsrecht“ u.a. hieß: „Im Rahmen unseres Verwaltungsverfahrens kann erforderlich werden, dass wir Ihre persönlichen Daten, die uns durch Ärzte oder andere einer gesetzlichen Schweigepflicht unterliegenden Person bekannt werden, an Dritte übermitteln. Dies kommt z.B. bei der Vorstellung bei einem anderen Arzt oder bei einem Gutachter in Betracht. Auch wird es notwendig sein, Ihrem Arbeitgeber z.B. die Art Ihrer Erkrankung mitzuteilen, um eventuelle Gesundheitsgefährdungen bei Ihrer Arbeit festzustellen oder gegebenenfalls Maßnahmen des vorbeugenden Arbeitsschutzes durchzuführen. Derartige Datenübermittlungen sind zulässig, weil sie zur Erfüllung unserer gesetzlichen Aufgaben erforderlich sind (§§ 69 Abs. 1 Nr. 1, 76 Abs. 2 Sozialgesetzbuch X - SGB X). Zulässig ist es auch, wenn wir Ihre Daten an anderen Sozialleistungsträger (zum Beispiel Krankenkassen, Arbeitsamt, Rentenversicherungsträger, andere Unfallversicherungsträger) für deren gesetzliche Aufgaben übermitteln. Sie können diesen Datenübermittlungen widersprechen (§ 76 Abs. 2 SGB X). Dies gilt für Datenübermittlungen durch uns an Dritte wie auch für solche anderer Sozialleistungsträger an uns. Sofern Sie von Ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen wollen, reicht eine formlose schriftliche Mitteilung an uns aus. Erste Datenübermittlungen werden wir zunächst für zwei Wochen zurückstellen. Bedenken Sie aber bitte, dass Ihr Widerspruch unter Umständen zur Versagung oder Entziehung von Leistungen führen kann, soweit dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert oder gar unmöglich gemacht wird (§ 66 Sozialgesetzbuch I - SGB I).“

Am 13.07.2012 legte die Versicherte die von ihr am 30.06.2012 unterschriebene Einwilligungserklärung zur Erhebung von Sozialdaten und zur Datenübermittlung, den ausgefüllten Mitarbeiterfragebogen, eine Auflistung ihres beruflichen Werdegangs, eine Auflistung ihrer ärztlichen Behandlungen, ihre Arbeitsverträge mit der Universität M sowie diverse ärztliche Befundberichte vor.

Die Beklagte zog die Befundberichte über Röntgen-, CT-, NMR- und MRT-Untersuchungen der Radiologischen Gemeinschaftspraxis F bei und bat bei dem Institut für Pathologie A darum, die dort gelagerten Gewebeproben der Versicherten an T des Deutschen Mesotheliomregisters am Institut für Pathologie am Berufsgenossenschaftlichen Uklinikum B1 GmbH an der Ruhruniversität B1) zu übersenden.

Mit Schreiben vom 05.12.2012 kündigte die Beklagte gegenüber T die Übersendung der Gewebeproben der Versicherten an und teilte mit, nach Eingang der Proben werde um Feststellung gebeten, ob eine Minimalasbestose gesichert werden könne.

Außerdem übersandte die Beklagte die Verwaltungsakte sowie auf Datenträger (CD-ROM) gespeicherte Aufnahmen an H2, Diagnostische Radiologie bei arbeits- und umweltbedingten Erkrankungen, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Radiologie a.D. am Kkrankenhaus D1, mit der Bitte um Erstellung eines fachradiologischen Gutachtens zur Frage, ob die für die Anerkennung einer BK Nr. 4104 erforderlichen Brückenbefunde gesichert werden könnten.
Der Präventionsdienst (PD) der Beklagten legte seinen Ermittlungen zur Asbestexposition neben den Angaben der Versicherten im Rahmen einer persönlichen Befragung auch schriftliche Mitteilungen und Berichte der Unternehmensgruppe W GmbH und (telefonische) Angaben von Mitarbeitern der W GmbH zu der Asbestbelastung in den Räumen der Universität M zugrunde. Nach Rücksprache mit M2, Mineraloge am Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) und Mitautor des BK-Reports Faserjahre 1/2013, nahm der PD sowohl hinsichtlich der Expositionsdauer ausgehend von den eigenen Angaben der Versicherten als auch hinsichtlich der Expositionshöhe eine „Worst-Case-Betrachtung“ vor und errechnete in der Stellungnahme Arbeitsplatzexposition – Asbesterkrankung BK 4104 – vom 07.12.2012 unter Zugrundelegung der Werte gemäß Tabelle 7.4 des BK-Reports „Faserjahre“ 1/2007 eine kumulative Asbestfaserstaubdosis von 0,7 Faserjahren.

T fertigte von den ihr übersandten Gewebeproben (ein Paraffinblock) der Versicherten eigene Präparate an, erhob einen lichtmikroskopischen Befund und führte eine Lungenstaubanalyse durch. Sie kam in ihrer wissenschaftlich begründeten Stellungnahme vom 08.01.2013 zum Ergebnis, eine Lungenfibrosierung, asbestbedingte Veränderungen der Lunge oder der Pleura könnten nicht nachgewiesen werden und eine relevant erhöhte pulmonale Asbestbelastung lasse sich in der Lungenstaubanalyse nicht feststellen. T verneinte Brückenbefunde für eine BK Nr. 4104 und empfahl zur Ausschöpfung aller Beweismittel eine zusätzliche elektronenmikroskopische Lungenstaubanalytik.

In der fachradiologischen Stellungnahme vom 02.01.2013 kam H2 nach Auswertung von insgesamt ca. 3.600 Thorax-Aufnahmen (Röntgenaufnahmen und Computertomographieaufnahmen) der Versicherten aus dem Zeitraum vom 28.06.2011 bis zum 25.07.2012 zum Ergebnis, für eine Asbestexposition hoch signifikante hyaline oder verkalkte Pleuraplaques kämen auf beiden Seiten nicht zur Abbildung. Ebenso gebe es keinen Nachweis basal betonter, bei einer Asbestose auftretender Fibroseprozesse. Zusammenfassend ergäben sich radiologisch bei diagnostiziertem Bronchialkarzinom keine Hinweise auf das Vorliegen von Brückenbefunden im Sinne einer BK Nr. 4104.

In dem der Versicherten erteilten Bescheid der Beklagten vom 21.01.2013 hieß es: „die bei Ihnen aufgetretene Lungenkrebserkrankung kann nicht als Berufskrankheit anerkannt werden“. Zur Begründung wurde ausgeführt, die im Verfahren erstellte Arbeitsplatzanalyse, basierend unter anderem auf den Angaben der Versicherten, habe in der Gesamtschau eine Asbeststaubexposition von insgesamt 0,7 Faserjahren ergeben, so dass die „technische Brücke“ von 25 Faserjahren deutlich unterschritten sei. Im fachradiologischen Gutachten hätten keine asbestassoziierten Veränderungen entsprechend der angezeigten Berufskrankheit gesichert werden können. Durch die spezielle Untersuchung der entnommenen Gewebeproben am Institut für Pathologie der Ruhruniversität B1 habe eine Minimalasbestose nicht belegt werden können. Abschließend hieß es im Bescheid vom 21.01.2013, da eine BK Nr. 4104 nicht vorliege, sei „die Entschädigungspflicht der Unfallkasse N nicht gegeben“.

Zur Begründung des hiergegen am 26.01.2013 eingelegten Widerspruchs wurde vorgetragen, im Unterschied zum Pathologiebefund von T habe die Pathologie der Fachkliniken W2 emphysematöse Veränderungen mit Fremdkörperreaktionen gesehen, die als Minimalform der Asbestose gewertet werden könnten. Der Bevollmächtigte der Versicherten beantragte eine Referenzbegutachtung der radiologischen Befunde, zumal auch T eine elektronenmikroskopische Untersuchung erwähnt, aber unterlassen habe. 

Die Beklagte schlug mit Schreiben vom 10.09.2013 vor, die elektronenmikroskopische Untersuchung könne – das Einverständnis der Versicherten vorausgesetzt – am Institut für Pathologie, Deutsches Mesotheliomregister in B1 durchgeführt werden. Außerdem wurde die Versicherte um einen Vorschlag gebeten, wer mit der Erstellung des radiologischen Referenzgutachtens beauftragt werden solle.

Mit Schreiben vom 30.12.2013 bat die Versicherte um Einholung eines Referenzgutachtens auf radiologischem Fachgebiet bei F1 des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Uklinikum E. Weiter hieß es in dem Schreiben, hinsichtlich der elektronenmikroskopischen Untersuchung am Institut für Pathologie, Deutsches Mesotheliomregister in B1 bestünden keine Bedenken.

Mit Schreiben vom 22.05.2014 beauftragte die Beklagte T mit der Durchführung der elektronenmikroskopischen Untersuchung und bat um Stellungnahme dazu, ob sich medizinische Brückenbefunde im Sinne der Listenerkrankung objektivieren ließen.

Ebenfalls am 22.05.2014 beauftragte die Beklagte F1 mit der Befundung der vorliegenden Aufnahmen auf den Datenträgern und mit der Erstellung eines Referenzgutachtens auf fachradiologischem Gebiet zwecks Sicherung von medizinischen Brückenbefunden.

Die Versicherte ließ durch Ihre vormaligen Bevollmächtigten am 06.06.2014 bestätigen, dass zur vollständigen Ermittlung des streitgegenständlichen Sachverhaltes eine elektronenmikroskopische Untersuchung am Institut für Pathologie, Deutsches Mesotheliomregister, B1, gewünscht sei und dass sie sich explizit für eine Referenzbegutachtung durch F1 ausgesprochen habe.  

Nach Befundung der ca. 3.600 Aufnahmen, die auch H2 vorgelegen hatten, erstellte F1 am 25.06.2014 ein radiologisches Gutachten und kam zu der Beurteilung, dass neben dem bekannten Bronchialkarzinom keine asbestassoziierten Veränderungen oder Brückenbefunde entsprechend einer BK Nr. 4104 diagnostiziert werden könnten.

Auf telefonische Anfrage des Instituts für Pathologie, Deutsches Mesotheliomregister in B1 zog die Beklagte bei dem Institut für Pathologie der Fachkliniken W2 weitere Gewebeproben der Versicherten (drei Tumorblöcke) bei und übersandte diese an T.

In ihrer pathologischen wissenschaftlich begründeten Stellungnahme vom 18.09.2014 verwies T zunächst auf ihre Stellungnahme vom 08.01.2013. Sie erhob außerdem einen eigenen mikroskopischen Befund und führte eine Lungenstaubanalyse mittels feldemissionsrasterelektronenmikroskopischer Analyse anorganischer Fasern im Lungengewebe gemäß BIA Arbeitsmappe 26 Lfg. III/017489/01 durch und kam zu dem Ergebnis, bei der bestehenden Befundkonstellation lasse sich unter Ausschöpfung aller diagnostischen Möglichkeiten auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie weiterhin kein Anhalt für Brückenbefunde bezüglich der erfragten BK ableiten. Eine Asbestose oder eine Minimalasbestose hätten nicht gesichert werden können. Mit der versicherungsmedizinisch relevanten Wahrscheinlichkeit liege somit eine BK Nr. 4104 nicht vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.2015 zurück. Sie führte – gestützt auf die fachpathologische wissenschaftlich begründete Stellungnahme der T vom 18.09.2014 – aus, es hätten sich weder radiologisch noch histopathologisch oder elektromikroskopisch asbestassoziierte Veränderungen im Bereich der Lunge bzw. des Parenchyms feststellen lassen, so dass die Voraussetzungen einer medizinischen Brücke nicht erfüllt seien. Die „technische Brücke“ von 25 Asbestfaserjahren sei deutlich unterschritten. Die Ablehnung der Anerkennung einer BK sei daher zu Recht erfolgt.

Am 21.08.2015 hat die Versicherte Klage beim Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben und zur Begründung ausgeführt, sie sei in deutlich höherem Maße Asbest ausgesetzt gewesen, als von der Beklagten angenommen. Sie habe sich mindestens bis Oktober 1995 in asbestbelasteten Räumen aufgehalten, außerdem sei fehlerhaft lediglich von einer Bystander-Belastung ausgegangen worden. Die Berechnung der Faserjahre hätte außerdem anhand des BK-Reports Faserjahre 01/2013 erfolgen müssen. Außerdem sei ihr vor der Einschaltung von T keine Gutachterauswahl nach § 200 Abs. 2 SGB VII angeboten worden. Im Schreiben vom 04.09.2016 hat die Versicherte ausgeführt, ihrer Ansicht nach sei T nicht unabhängig, sondern es bestünden Zweifel an ihrer „Objektivität/Neutralität“, da sie Vorstandsvorsitzende der Georgius Agricola Stiftung, Trägerin des Deutschen Instituts Mesotheliomregister, sei, die von der B2 finanziert werde. Wenn sie gewusst hätte, dass die Sachverständige Vorstandsvorsitzende einer von der Beklagten getragenen Stiftung sei, hätte sie der Begutachtung nie zugestimmt. Schließlich lägen entgegen den radiologischen und pathologischen Gutachten durchaus Brückenbefunde vor.

Mit Schreiben vom 02.12.2015 hat die Versicherte Fotos aus der Lehrsammlung M und eine Skizze der Lehrsammlung zur Gerichtsakte gereicht.

Die Versicherte hat weitere medizinische Unterlagen sowie die schriftliche Stellungnahme von G vom 22.05.2016 übermittelt, in der jener die Auffassung vertreten hat, anstatt mit 15 Wochen müsse die Expositionsdauer mit 24 Wochen pro Semester angenommen werden. Die Bystander-Exposition müsse mit 35 bis 50 % der Direktexposition, also mit 21 bis 30 F/cm³ bewertet werden, so dass sich ausgehend von den Zeitvorgaben des PD für den Umgang mit Asbestexponaten bzw. der Bystander-Exposition und bei einer Belastung von 21 F/cm³ für die Bystander-Exposition eine Faserbelastung von 66,46 Faserjahren errechne.

Das SG Konstanz hat Unterlagen der Firma W GmbH und bei T die für deren Begutachtung verwendeten Präparate beigezogen.

Der PD der Beklagten hat sich am 28.07.2016 zu der Berechnung des G geäußert und unter Berücksichtigung von dessen Einwänden zur Expositionsdauer sowie unter genauer Aufschlüsselung der Aufenthaltszeiträume eine neue Berechnung auf Grundlage des BK-Reports Faserjahre 2013 vorgenommen. Abweichend von der bisherigen Berechnungsgrundlage hat der PD nunmehr auf den von G erhobenen Einwand, dass pro Semester nicht nur 15 Wochen (reine Vorlesungszeit) sondern 24 Wochen berücksichtigt werden müssten, für den Zeitraum, in dem die Versicherte nach eigenen Angaben zusätzlich zu ihrem Studium noch als wissenschaftliche Mitarbeiterin eine Assistenz- und Lehrtätigkeit ausgeübt hatte (01.08.1987 bis 31.01.1995), wegen des damit verbundenen länger dauernden aktiven Umgangs mit Asbestmaterial und des längeren Aufenthalts im Mineralischen Institut jeweils 24 Wochen pro Semester zugrunde gelegt. Auch mit den neuen Parametern hat der PD erneut eine kumulative Asbestfaserstaub-Dosis von 0,7 Faserjahren errechnet.

Die Beklagte hat auf Anraten ihres PD und mit Einverständnis der Versicherten bei M2 eine Stellungnahme eingeholt und diesem die zur Gerichtsakte gereichten Fotos übersandt. M2 hat sich am 13.06.2017 eingehend zum Faserfreisetzungspotential geäußert und anhand der aktenkundig gewordenen Fotos dargelegt, dass der im Fall der Versicherten stattgefundene Umgang mit Schaustücken an der Universität in etwa dem „Hantieren mit Asbestmaterialien“ entspreche und dass der gemäß der Tabelle 7.4 des BK-Reports Faserjahre 2013 für vergleichbare Tätigkeiten maximale Wert von 3 F/cm³ anzusetzen sei, was „eine Betrachtung zur sicheren Seite zugunsten“ der Versicherten bedeute. Da die Bystander-Belastung mit 10 % gewertet worden sei, seien in jeder Hinsicht die möglichen Maximalwerte zugrunde gelegt worden.

Den am 17.11.2016 beim SG Konstanz eingegangenen Antrag der Versicherten auf Anerkennung einer BK Nr. 4103 (Asbeststaublungenerkrankung [Asbestose]) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura) hat die Beklagte mit Bescheid vom 03.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2017 abgelehnt. Das hiergegen bei dem SG Konstanz angestrengte Klageverfahren (S 11 U 1108/17) ruht.

Am 28.04.2017 ist die Versicherte verstorben. Eine Obduktion ist nicht durchgeführt worden. Der Kläger, der zuletzt mit ihr in einem Haushalt lebende Ehemann und Alleinerbe, hat den Rechtsstreit fortgeführt.

Der Kläger hat dem SG Konstanz sämtliche ihm zugänglichen bildgebenden Befunde der Versicherten sowie Auflistungen über deren ärztliche Behandlungen, Mitgliedschaften in Krankenkassen und Berufstätigkeiten vorgelegt.
 
Das SG Konstanz hat von Amts wegen ein fachradiologisches Gutachten eingeholt, das H3 des Instituts für klinische Radiologie und Leiter des Referenzzentrums Mammographie am Uklinikum M, am 06.04.2018 erstellt hat. Der Sachverständige hat die ihm vorgelegten bildgebenden Befunde aus der Zeit vom 26.07.2011 bis zum 03.11.2016 begutachtet und den Befund eines zentral lokalisierten Bronchialkarzinoms mit zum Zeitpunkt der Diagnose bereits fortgeschrittener Lymphknotenmetastasierung bestätigt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, insgesamt habe sich kein charakteristisches Korrelat einer stattgehabten beruflichen Asbeststaubexposition im Sinne sogenannter Brückenbefunde gezeigt. H3 hat der gutachterlichen Bewertung des H2 vom 02.01.2013 zugestimmt und auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt, eine erneute Begutachtung der histopathologischen Schnitte sei nicht zwingend erforderlich und würde zu keiner geänderten radiologischen Bewertung der Bildgebung führen.

Das SG Konstanz hat die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 03.07.2019 abgewiesen.

Die Klage sei als Verpflichtungsklage statthaft und der Kläger könne den Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung der Lungenkrebserkrankung der Versicherten als BK Nr. 4104 auch als deren Sonderrechtsnachfolger geltend machen, da er zuletzt mit ihr verheiratet gewesen sei, in einem Haushalt mit ihr gelebt und sie im Wesentlichen unterhalten habe. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ablehnung von Leistungen sei zwar bestandskräftig geworden, jedoch könne der Kläger dies im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X überprüfen lassen, was im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.03.2017 (Az.: B 2 U 15/15 R) für den Parallelfall einer Klage auf Feststellung eines Arbeitsunfalls so entschieden worden sei.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht nachgewiesen, dass die Versicherte an einer Asbestose oder an einer durch Asbeststaub verursachten Erkrankung der Pleura oder an einer sogenannten Minimalasbestose gelitten habe. Dies hätten sämtliche Gutachter – T auf pathologischem Fachgebiet sowie H2, F1 und H3 auf röntgenologischem Fachgebiet – jeweils so gesehen.

Der Verwertung der Stellungnahmen von T stehe § 200 Abs. 2 SGB VII nicht entgegen. Zwar handele es sich bei der als „Wissenschaftlich begründete Stellungnahme“ überschriebenen Auskunft vom 08.01.2013 inhaltlich um ein Gutachten, da die Sachverständige Gewebeproben selbst medizinisch präpariert und ausgewertet sowie eine Lungenstaubanalyse vorgenommen habe. Auch seien der Versicherten von der Beklagten keine drei Gutachter benannt worden. Die Verletzung der Benennungspflicht sei jedoch unbeachtlich geworden, da dieser Fehler im Verwaltungsverfahren nicht gerügt worden sei, obwohl dies der rechtskundig vertretenen Versicherten möglich gewesen wäre.

Das Gutachten der T sei auch nicht wegen Befangenheit unverwertbar. Es könne offenbleiben, ob die Sachverständige aufgrund ihrer Tätigkeit in einer von einer Berufsgenossenschaft mitfinanzierten wissenschaftlichen Einrichtung befangen gewesen sei, denn ein solcher Befangenheitsgrund sei jedenfalls im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht worden und der Kläger sei damit im Klageverfahren ausgeschlossen.

Schließlich fehle es am Nachweis einer Belastung durch Asbeststaub am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren, was sich aus der Einschätzung des PD und der zutreffenden Beurteilung von M2 ergebe. Demgegenüber sei die Berechnung des G nicht überzeugend, da bereits dessen für eine Bystander-Exposition angenommener Wert von 35 bis 50 % der Direktexposition und 21 bis 30 F/cm³ zu hoch erscheine, zumal die Gutachten keinen oder fast keinen (eine isolierte Chrysotilfaser) Nachweis von Asbest ergeben hätten.

Gegen das ihm am 10.07.2019 zugestellte Urteil des SG Konstanz richtet sich die am 18.07.2019 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingegangene Berufung des Klägers.

Mit der Berufung wird geltend gemacht, es hätte „hilfsweise“ eine „Auslegung der Berufskrankheit 4103“ stattfinden müssen. Weiter hat der Kläger darauf hinweisen lassen, dass die Berechnungen des G eine Belastung von 66,46 Faserjahren ergeben hätten und dass neue Erkenntnisse des Sachverständigen B3 existierten, denen zufolge auch weniger als 25 Faserjahre für die Annahme einer Verdopplungsdosis im Sinne der BK Nr. 4104 ausreichend seien.

Der Kläger beantragt wörtlich,

„Unter Abänderung/Aufhebung des am 10.07.2019 zugestellten Urteils des Sozialgerichts Konstanz, S 1 U 2287/15, vom 03.07.2019, wird nach den Anträgen aus I. Instanz erkannt, d.h. auf die Verurteilung der Beklagten, eine Berufskrankheit Nr. 4104 anzuerkennen und zu entschädigen, hilfsweise eine Berufskrankheit Nr. 4103 anzuerkennen und zu entschädigen.

Hilfsweise: Die Revision wird zugelassen.

Hilfsweise wird an den gestellten und etwa künftig noch gestellten Beweisanträgen ausdrücklich als solchen festgehalten, sowohl für den Fall der mündlichen Verhandlung, für den Fall nach § 124 Absatz 2 SGG, für den Fall des § 153 Absatz 4 SGG sowie für sonstige Fallgestaltungen.“

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Das Gericht hat über die Homepage des Sachverständigen B3 (https://www.xaver-baur.de/de/publikationen/asbest-bedingte-erkrankungen.html) die in Pneumologie 2020; 74: 603-610 veröffentlichte Übersichtsarbeit „Sozialmedizinische und sozialjuristische Aspekte in der Zusammenhangsbegutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten“ der Autoren S, B3 und B4 beigezogen.

Die Berichterstatterin hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten in der nichtöffentlichen Sitzung am 12.04.2021 erörtert. Der Kläger hat durch seine Bevollmächtigte einen Antrag gemäß § 109 SGG auf Anhörung von S des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin am Uklinikum G1, stellen und mit Schreiben vom 13.04.2021 und vom 04.06.2021 Beweisfragen formulieren lassen. Außerdem ist noch eine Seite des Befundberichts des Instituts für Pathologie A vom 26.04.2012 vorgelegt worden.

Der Senat hat die dem Kläger vorliegenden Bildträger der Röntgen- und CT-Aufnahmen beigezogen und gemäß § 109 SGG bei S ein Gutachten eingeholt, das dieser am 15.07.2021 nach Aktenlage erstattet hat. Der Sachverständige ist zum Ergebnis gekommen, dass typische asbestbedingte Lungenveränderungen radiologisch und histomorphologisch nicht zu erkennen seien und die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr. 4104 bei fehlenden Brückenbefunden und bei fehlendem Vollbeweis der Verdopplungsdosis von 25 Faserjahren nicht nachgewiesen werden könnten. S hat abschließend angegeben, er stimme „mit sämtlichen röntgenologischen Vorgutachten sowie der patho-anatomischen Begutachtung überein.“

Der Kläger hat mit anwaltlichem Schreiben vom 30.09.2021 unter Hinweis auf das junge Erkrankungsalter der Versicherten auf eine Strahlungsbelastung durch Radon in Innenräumen hinweisen lassen und die Beklagte um eine diesbezügliche Anhörung ihres PD bitten lassen.

Die Beklagte hat auf den Streitgegenstand des Berufungsverfahrens und auf das ruhende Klageverfahren bei dem SG Konstanz (Az.: S 11 U 1108/17) hingewiesen und „Ermittlungen ins Blaue hinein“ abgelehnt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, nachdem die Beteiligten damit ihr Einverständnis erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist im Hauptantrag zulässig, aber nicht begründet und im Hilfsantrag (Anerkennung einer BK Nr. 4103) nicht zulässig.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allein der Bescheid der Beklagten vom 21.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2015, mit dem die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr. 4104 abgelehnt hat. Die Klage mit dem Ziel, die Beklagte zur Anerkennung dieser BK zu verpflichten, ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) zulässig.

Dem im Antrag des Klägers darüber hinaus enthaltenen Zusatz „und zu entschädigen“ kommt neben dem auf die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung einer BK Nr. 4104 bei der Versicherten gerichteten Begehren bei sinnentsprechender Auslegung keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2004 – B 2 U 35/03 R, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 07.09.2004 – B 2 U 46/03 R, juris Rn. 11 f.). Denn in der Sache geht es dem Kläger zunächst um die rechtliche Klärung, ob eine BK vorgelegen hat. Eine auf die Gewährung von Entschädigungsleistungen gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG wäre ohnehin unzulässig, da die Beklagte insoweit eine anfechtbare Verwaltungsentscheidung nicht getroffen hat. Nach dem für die Auslegung von Bescheiden maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der alle Begleitumstände und Zusammenhänge (Vorgeschichte, Anträge, Begleitschreiben, Situation des Adressaten, genannte Rechtsnormen, auch Interesse der Behörde) berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2014 – B 2 U 25/12 R, juris Rn. 15 m.w.N.; BSG, Urteil vom 23.02.2017 – B 4 AS 57/15 R, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 25.10.2017 – B 14 AS 9/17 R, juris Rn. 22), hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 21.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2015 keine anfechtbare Verwaltungsentscheidung über Entschädigungsleistungen getroffen. Regelungsgegenstand des Bescheides ist vielmehr ausschließlich die (Nicht-)Anerkennung der Lungenkrebserkrankung der Versicherten als BK Nr. 4104. Soweit die Beklagte in den Gründen des Bescheides pauschal darauf hingewiesen hat, dass „die Entschädigungspflicht der Unfallkasse N nicht gegeben“ sei, stellt dies lediglich einen klarstellenden Hinweis auf die aus der Nichtanerkennung als Versicherungsfall resultierende Folge dar, ohne dass hiermit eine eigenständige Regelung verbunden wäre (vgl. BSG, Urteile vom 16.03.2021 – B 2 U 7/19 R, juris Rn. 11 ff. und B 2 U 17/19 R, juris Rn. 22 ff., vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 15.03.2017 – L 17 U 88/14, juris Rn. 37; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.11.2011 – L 3 U 306/08, juris Rn. 27). Hieran konnte für einen verständigen Empfänger des Bescheides kein Zweifel bestehen. Unter Berücksichtigung aller Begleitumstände hat für die Beklagte kein Anlass bestanden, über ihrer Art nach unbestimmte Entschädigungsleistungen zu entscheiden. Sie hat im gesamten Verwaltungsverfahren konkrete (Geld-)Leistungen, etwa Verletztengeld bzw. -rente, zu keinem Zeitpunkt geprüft oder auch nur erwähnt. Die Versicherte hat ihrerseits solche Ansprüche weder ausdrücklich erhoben noch sonst irgendwie thematisiert (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 17/19 R, juris Rn. 25). Im Übrigen wäre eine allgemein auf Entschädigungsleistungen gerichtete Leistungsklage auch deshalb unzulässig, weil sie nicht auf konkrete Leistungen, sondern allgemein auf Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten gerichtet ist. Über sie könnte auch nicht durch Grundurteil entschieden werden. Denn die in § 130 SGG vorgesehene Möglichkeit zum Erlass eines Grundurteils ist auf Fälle beschränkt, in denen der Kläger eine (oder mehrere) ihrer Art nach feststehende Geldleistungen begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Nicht die Leistung als solche, sondern nur ihre Höhe kann in diesem Fall vom Gericht offengelassen und der Berechnung durch den Sozialleistungsträger überlassen werden (grundlegend BSG, Urteil vom 07.09.2004 – B 2 U 35/03 R, juris Rn. 12 sowie BSG, Urteil vom 07.09.2004 – B 2 U 46/03 R, juris Rn. 11).

Der auf die Anerkennung einer BK Nr. 4103 (Asbeststaublungenerkrankung [Asbestose] oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura) gerichtete Hilfsantrag ist unzulässig. Denn es ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung im vorliegenden Verfahren, ob eine BK Nr. 4103 der Versicherten anzuerkennen ist. Die Beklagte hat auf den Antrag der Versicherten im Schriftsatz vom 06.11.2016 eine Anerkennung der Lungenkrankheit der Versicherten als BK Nr. 4103 mit Bescheid vom 03.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2017, der nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, abgelehnt. Das hiergegen bei dem SG Konstanz angestrengte Klageverfahren (S 11 U 1108/17) ruht. Über die Frage, ob bei der Versicherten eine BK Nr. 4103 vorgelegen hat, hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 21.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2015 nicht entschieden. Entsprechend ist diese Frage auch nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung.

1. Der Kläger ist als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten klagebefugt.

Zwar erlöschen Ansprüche auf Dienst- oder Sachleistungen mit dem Tod des Berechtigten (§ 59 Satz 1 SGB I) und können von vornherein nicht auf einen Sonderrechtsnachfolger übergehen. Gleiches gilt für Ansprüche auf Geldleistungen aber nur, sofern sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten nicht bereits festgestellt waren oder ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig war (§ 59 Satz 2 SGB I).

Solche möglichen Ansprüche sind vorliegend nicht mit dem Tod der Versicherten erloschen, weil über solche Ansprüche im Todeszeitpunkt am 28.04.2017 Verwaltungsverfahren anhängig waren, die noch nicht durch bestandskräftige, ablehnende Verwaltungsakte beendet worden waren.

Zwar hatte die rechtskundig vertretene Versicherte hier sowohl im Widerspruchsverfahren als auch mit ihrer Klage bei sinnentsprechender Auslegung (s. o.) jeweils nur die Aufhebung des streitigen Bescheides vom 21.01.2013 (in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 19.08.2015) und die (Verurteilung der Beklagten zur) Anerkennung der BK beantragt. Dies führte indes nicht zur Beendigung von hinsichtlich Leistungsansprüchen anhängigen Verwaltungsverfahren und nicht zum Erlöschen von Ansprüchen auf Geldleistungen. Denn jedenfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung, in der Leistungen grundsätzlich von Amts wegen erbracht werden (§ 19 Satz 2 SGB IV), wird nach der Rechtsprechung des BSG ein Verwaltungsverfahren – ähnlich wie im Prozessrecht die Klage – bereits „anhängig“, sobald dem Unfallversicherungsträger durch Versicherte, Hinterbliebene, Unternehmer (§ 193 SGB VII), Ärzte (§ 202 SGB VII) oder auf andere Weise potentiell leistungsrelevante Umstände bekannt werden. Das BSG hat mit seinen Urteilen vom 16.03.2021 (Az.: B 2 U 7/19 R und B 2 U 17/19 R, juris) für den Fall einer (hier nicht gegebenen) durch den Unfallversicherungsträger im Bescheid verfügten Ablehnung der Anerkennung einer BK einerseits und einer ausdrücklichen Ablehnung von „Ansprüchen auf Leistungen“ andererseits entschieden, dass mit einer solchen Ablehnung von Leistungsansprüchen „ersichtlich nur allgemein die Folgerungen beschrieben werden, die sich aus der Nichtanerkennung einer BK ergeben“. Weiter hat das BSG ausgeführt, mit einer solchen pauschalen Ablehnung sei eine Entscheidung über einzelne konkrete Leistungsansprüche nicht verbunden, sondern es handele sich bei einer pauschalen Leistungsablehnung um einen „bloßen Textbaustein ohne Regelungsgehalt“. Weiter hat es das BSG für ausreichend gehalten, dass sich der in jenen Verfahren später verstorbene Versicherte zunächst nur gegen „Ziffer 1 des Bescheids“ gewandt hatte, „um die Anerkennung der BK zu erreichen und um darauf aufbauend später uneingeschränkt Leistungen beanspruchen zu können“. Schließlich hat das BSG in seinen Urteilen vom 16.03.2021 auf sein vorliegend noch vom SG Konstanz herangezogenes Urteil vom 30.03.2017 (Az.: B 2 U 15/15 R, juris) verwiesen und hierzu ausgeführt, an jener früheren Rechtsprechung, nach der die Möglichkeit der Bestandskraft einer umfassenden Leistungsablehnung erwogen worden sei, weil der dortige Verletzte im Klageverfahren nur noch die Feststellung des Versicherungsfalls begehrt habe, halte der Senat nun ausdrücklich nicht mehr fest (BSG, Urteile vom 16.03.2021 – B 2 U 7/19 R, juris Rn. 23 und B 2 U 17/19, juris Rn. 33).

Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung. Somit ist bereits durch die Verdachtsanzeige des D am 10.05.2012 das auf die Anerkennung der BK und auf Leistungen (z.B. Verletztengeld, Verletztenrente) gerichtete Verwaltungsverfahren anhängig geworden. Das auf Leistungsgewährung gerichtete Verwaltungsverfahren ist nicht mit dem Verwaltungsakt vom 21.01.2013 abgeschlossen worden, sondern ist noch offen. Daher hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Fortführung des auf die Anerkennung einer BK Nr. 4104 gerichteten Gerichtsverfahrens und ist somit als Sonderrechtsnachfolger klagebefugt. Darauf, ob der vormaligen und in den o.g. Entscheidungen vom 16.03.2021 teilweise aufgegebenen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.03.2017 – B 2 U 15/15 R), auf die das SG Konstanz sich im Urteil vom 03.07.2019 gestützt hat, zu folgen ist oder nicht, kommt es deshalb hier nicht an.

Gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB I stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten dem Ehegatten zu, wenn dieser mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist. Der Kläger war mit der Versicherten verheiratet, lebte mit ihr zuletzt in einem Haushalt und ist ihr Alleinerbe. Er hat auch ein berechtigtes Interesse an der Anerkennung der hier streitigen BK, denn aufgrund dieser Anerkennung könnte er als Sonderrechtsnachfolger möglicherweise bestehende Ansprüche auf Geldleistungen geltend machen. Er ist somit klagebefugt.

2. Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf die Anerkennung der Lungenkrebserkrankung der Versicherten als BK Nr. 4104.

Maßgeblich für die Anerkennung der von der Versicherten erstmals im Jahr 2012 geltend gemachten BK Nr. 4104 sind die Vorschriften des SGB VII, denn ein Verdacht auf die dem klägerischen Begehren zugrundeliegende Erkrankung ist erstmals im Juli 2011 von dem M1 geäußert worden, so dass ein Versicherungsfall jedenfalls zeitlich nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 01.01.1997 (Art. 36 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, § 212 SGB VII) datieren würde.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung der hier streitigen BK ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 06.09.2018 – B 2 U 13/17 R, juris Rn. 9) ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK.

Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG Urteil vom 27.06.2017 –B 2 U 17/15 R, juris Rn. 13). Es gelten die allgemeinen Regeln der materiellen Beweislast. Danach trägt derjenige, der ein Recht für sich beansprucht, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Ermittlung die materielle Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen dieses Rechts (vgl. BSG, Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R, juris Rn. 28).

Die Versicherte gehörte in der Zeit vom 27.10.1982 bis zum 23.10.1995 als Studierende an den Universitäten H und M (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 c SGB VII) und in der Zeit vom 01.08.1987 bis zum 31.01.1995 außerdem als wissenschaftliche Mitarbeiterin (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) zum versicherten Personenkreis.

Die BKV umschreibt den Tatbestand der BK Nr. 4104 wie folgt: „Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs oder Eierstockkrebs
- in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)
- in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder
- bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25 x 106 [(Fasern/m³) x Jahre]).“

a) Im vorliegenden Fall ist eine Listenerkrankung im Sinne der BK Nr. 4104 festzustellen, denn die Versicherte hat an einem erstmals im August 2011 von D, H1 und W3 diagnostizierten kleinzelligen Bronchialkarzinom der rechten Lunge gelitten. Dass diese Erkrankung bei der Versicherten vorgelegen hat, ergibt sich ferner aus der fachradiologischen Stellungnahme des H2 vom 02.01.2013 und aus dem radiologischen Gutachten des F1 vom 25.06.2014, die vom Senat jeweils im Wege des Urkundenbeweises verwertetet worden sind, sowie aus dem vom SG Konstanz eingeholten Gutachten des H3 vom 06.04.2018.

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann jedoch die Lungenkrebserkrankung der Versicherten nicht hinreichend wahrscheinlich auf die Einwirkungen durch ihre versicherte Tätigkeit zurückgeführt werden.

Eine Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura haben bei der Versicherten nicht vorgelegen.

Der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand zu den für eine BK Nr. 4104 vorausgesetzten Listenerkrankungen ergibt sich aus der Interdisziplinären S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V. zur Diagnostik und Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten (S2-Leitlinie; AWMF- Register Nr. 002/038, Stand: 11.11.2020; Gültigkeit bis 10.11.2025) und aus der Empfehlung für die Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten - Falkensteiner Empfehlung - der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV), Stand: Februar 2011 (künftig: Falkensteiner Empfehlungen) sowie der Anmerkung hierzu in dem Werk von Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 1151ff., das sich auf die Falkensteiner Empfehlung bezieht (vgl. hierzu auch: Hessisches LSG, Urteil vom 21.02.2017 – L 3 U 124/14, juris).

Zu den Anforderungen an den Nachweis der Brückenbefunde im Sinne der BK Nr. 4104 gibt es danach folgenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand: Die Diagnose einer Asbeststaublungenerkrankung wird in der Regel radiologisch gestellt. Bei der BK Nr. 4104 liegen in der Regel CT-Aufnahmen des Thorax vor, die im Rahmen des Tumorstagings durchgeführt wurden. Auch der Nachweis einer Minimalasbestose erfüllt das Kriterium eines Brückenbefundes. Eine Asbestose Grad I (= Minimalasbestose) ist durch histologische und ggf. staubanalytische Untersuchungen nachzuweisen, da sie radiologisch nicht diagnostiziert werden kann. Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP) konsentierte 1997 die Diagnose „Minimalasbestose“ entsprechend den international gültigen Kriterien. Zur Klarstellung der Voraussetzungen für die Diagnose einer Minimalasbestose wurde von der DGP im Jahr 1997 eine verbindliche Definition veröffentlicht (siehe unten, bb). Die Diagnose einer asbestbedingten Pleuraerkrankung wird, wie diejenige der Asbestose, in der Regel radiologisch gestellt, wobei die Röntgenaufnahme des Thorax meist die erste diagnostische Maßnahme ist. Bei der BK Nr. 4104 liegen in der Regel bereits CT-Aufnahmen des Thorax vor, die im Rahmen des Tumorstagings erstellt wurden.

Mithin ist zu prüfen, ob bei der Versicherten eine Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura (siehe aa)) oder eine Minimalasbestorse (siehe bb)) vorgelegen hat.

aa) Dass bei der Versicherten weder eine Asbeststaublungenerkrankung noch eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura vorgelegen hat, steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der fachradiologischen Stellungnahme des H2 vom 02.01.2013 und des radiologischen Gutachtens des F1 vom 25.06.2014, die der Senat auch an dieser Stelle jeweils im Wege des Urkundenbeweises verwertet hat, sowie aufgrund des vom SG Konstanz eingeholten radiologischen Gutachtens des H3 vom 06.04.2018 und auch aufgrund des vom Senat gemäß § 109 SGG eingeholten Sachverständigengutachtens des S vom 15.07.2021 fest. Nach den Anforderungen, die nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand an den Nachweis dieser Brückenbefunde zu stellen sind (s.o.), sind die Ergebnisse der radiologischen Diagnostik des H2, des F1 und des H3 maßgebend. Diese Fachärzte sind übereinstimmend zum Ergebnis gekommen, dass eine Asbeststaublungenerkrankung und eine durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura anhand der aktenkundigen Röntgen- und CT-Aufnahmen nicht nachweisbar sind. Der nach § 109 SGG angehörte Sachverständige S hat sich dieser Einschätzung ausdrücklich angeschlossen.

bb) Es ist auch nicht nachgewiesen, dass bei der Versicherten eine Minimalasbestose vorgelegen hat.

Nach der Definition der Minimalasbestose durch die DGP (wiedergegeben in der Falkensteiner Empfehlung in: Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 4104, S. 21) beinhaltet eine solche Asbestose Grad I „den lichtmikroskopischen Nachweis minimaler Fibrosierungsherde im Bereich der Bronchioli respiratorii und der begleitenden Gefäße mit Einstrahlung maximal in die direkt angrenzenden Alveolarsepten sowie in diesen Arealen eingelagerten Asbestkörper. Dabei reicht der zufällige (einmalige) Nachweis von Asbestkörpern zur Diagnosestellung einer Minimalasbestose nicht aus. Ein staubanalytischer Grenzwert für die Minimalasbestose ist nicht definiert“.

(1) T hat unter Verwendung der verfügbaren Gewebeproben (ein Paraffinblock und drei Tumorblöcke) eigene Präparate angefertigt, diese mikroskopisch befundet und eine Lungenstaubanalyse mittels feldemissionsrasterelektronenmikroskopischer Untersuchung durchgeführt. Gestützt auf die so erhobenen Untersuchungsergebnisse hat sie in ihren pathologischen wissenschaftlich begründeten Stellungnahmen vom 08.01.2013 und vom 18.09.2014, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, schlüssig und überzeugend dargelegt, dass auch unter Ausschöpfung aller diagnostischen Möglichkeiten auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie eine Asbestose und eine Minimalasbestose nicht feststellbar gewesen sind. Nach ihren gutachterlichen Feststellungen hat sich nur eine isolierte Chrysotilfaser nachweisen lassen, was um mehr als eine Zehnerpotenz unterhalb derjenigen Konzentration liegt, wie sie bei Patienten mit gesicherter Asbestose oder Minimalasbestose auftritt. Der Senat stützt die Feststellung, dass eine Minimalasbestose bei der Versicherten nicht vorgelegen hat, auf diese schlüssige und überzeugende gutachterliche Einschätzung der T. Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen besteht insoweit nicht, zumal der gemäß § 109 SGG gehörte Sachverständige S in seinem Gutachten vom 15.07.2021 der Beurteilung der T in ihrer patho-anatomischen Begutachtung ausdrücklich zugestimmt hat.

(2) Ein Verfahrensfehler im Verwaltungsverfahren, der der urkundlichen Verwertbarkeit der wissenschaftlich begründeten Stellungnahmen der T im Gerichtsverfahren (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 128, Rn. 7f) entgegenstehen könnte, liegt nicht vor.

Die Rüge, dass der Versicherten im Verwaltungsverfahren vor der Beauftragung von T keine Gutachterauswahl angeboten worden sei, steht einer Verwertung der wissenschaftlich begründeten Stellungnahme vom 08.01.2013 nicht entgegen.
Nach § 200 Abs. 2 Halbs. 1 SGB VII soll der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen.

Das SG Konstanz hat im Urteil vom 03.07.2019 ausführlich und zutreffend dargelegt und überzeugend begründet, dass und aus welchen Gründen die pathologischen wissenschaftlich begründeten Stellungnahmen der T vom 08.01.2013 und vom 18.09.2014 die Kriterien des Gutachtensbegriffes des § 200 SGB VII erfüllen. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren uneingeschränkt an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Bezogen auf die wissenschaftlich begründete Stellungnahme der T vom 08.01.2013 liegt keine Verletzung von § 200 Abs. 2 SGB VII vor, die einer Verwertbarkeit entgegenstünde.

Zwar war der Versicherten vor der Beauftragung von T (Schreiben der Beklagten vom 05.12.2012) keine Gutachterauswahl nach § 200 Abs. 2 Halbs. 1 SGB II angeboten worden. Dies räumt die Beklagte selbst ein.

Das SG Konstanz hat im Urteil vom 03.07.2019 gestützt auf das Urteil des BSG vom 20.07.2010 (Az.: B 2 U 17/09 R) ausgeführt, eine Verletzung der Benennungspflicht werde unbeachtlich, wenn im Verwaltungsverfahren die Möglichkeit bestanden habe, das Unterbleiben der Benennung zu rügen. Das BSG hat inzwischen durch Urteil vom 07.05.2019 (Az.: B 2 U 25/17 R) für den – vorliegend nicht gegebenen – Fall einer nach vom Unfallversicherungsträger eingeräumter und von der dortigen Versicherten getroffener Gutachterauswahl erfolgten gutachterlichen Untersuchung durch einen anderen Arzt entschieden, dass dieser Verfahrensverstoß noch im Gerichtsverfahren gerügt werden könne. Weiter hat das BSG ausgeführt, soweit in der Vergangenheit entschieden worden sei, dass bei im Verwaltungsverfahren erfolgten Verfahrensverstößen spätestens mit Erlass des Widerspruchsbescheids ein Rügeverlust eintrete (BSG, Urteil vom 20.07.2010 – B 2 U 17/09 R), werde diese Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben. Dennoch ergibt sich unter Berücksichtigung dieser neueren Rechtsprechung für den hier vorliegenden Fall keine von der Entscheidung des SG Konstanz abweichende Beurteilung. Denn im Urteil des BSG vom 07.05.2019 wird in den Entscheidungsgründen Folgendes ausgeführt: „Aus einem Verstoß gegen § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII alleine folgt noch kein Beweisverwertungsverbot. Nicht jeder Verstoß gegen materielles oder formelles Recht bei der Beweiserhebung führt automatisch zu einem Verwertungsverbot. In bestimmten Fällen müssen rechtswidrig ermittelte, gespeicherte oder weitergegebene Daten genutzt werden, um gleich- oder höherrangige Rechtsgüter zu schützen. Bei der Frage, ob ein Beweisgewinnungsverbot zu einem Beweisverwertungsverbot führt, sind die widerstreitenden Interessen unter- und gegeneinander abzuwägen (…). Die Intensität des Verfahrensverstoßes fällt dabei ebenso ins Gewicht wie die Überlegung, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden darf (…). Die Verwertung ist grundsätzlich verboten, wenn die verletzte Norm den Betroffenen vor Grundrechtseingriffen schützt (…). Der Senat hat insoweit bereits entschieden, dass das Auswahlrecht des § 200 Abs 2 Halbs. 1 SGB VII rein verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur ist. Es dient zwar mittelbar auch der besseren Transparenz der Entscheidungsfindung des Trägers und des Datenflusses für den Versicherten (…). Das Auswahlrecht bezweckt ausschließlich, im jeweiligen Verwaltungsverfahren einen inhaltlich richtigen und für den Versicherten akzeptablen verfahrensabschließenden Verwaltungsakt vorzubereiten und vermittelt verglichen zum Widerspruchsrecht nach § 200 Abs 2 Halbs. 2 SGB VII dem Versicherten eine erheblich schwächere Rechtsposition, weil er sich zwar zu den vorgeschlagenen Gutachtern äußern und ggf. einen Gegenvorschlag machen kann, der UV-Träger dem aber nicht folgen muss (…). Deshalb kann der ggf vorliegende Verfahrensfehler der faktischen Nichtbegutachtung durch den gemäß § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII benannten Gutachter als solcher alleine auch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Das LSG wird aber ggf weiter zu ermitteln und zu prüfen haben, ob ein Beweisverwertungsverbot des Verwaltungsgutachtens ggf daraus abzuleiten ist, dass in der Mitarbeit des Dr. B. bei der Gutachtenerstellung ein Verstoß gegen datenschützende Normen und damit eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung oder des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG) zu sehen ist.“ (BSG, Urteil vom 07.05.2019 – B 2 U 25/17 R, juris Rn. 23-25).

Daraus folgt, dass der hier vorliegende und von der Versicherten gerügte Verstoß gegen § 200 Abs. 2 Halbs. 1 SGB VII als solcher nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt. Ein Beweisverwertungsverbot würde nach der Rechtsprechung des BSG nämlich voraussetzen, dass der Verstoß gegen § 200 Abs. 2 Halbs. 1 SGB VII auch zu einer Verletzung datenschützender Normen und damit zu einer Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung geführt hat. Letzteres kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, denn die Versicherte ist hier nicht von einem anderen als dem von ihr ausgewählten Arzt untersucht worden. Vorliegend hat nämlich weder eine Gutachterauswahl noch eine ambulante Untersuchung durch T stattgefunden. Sondern indem die Beklagte der Versicherten keine Gutachterauswahl eingeräumt hat, stellt dies einen Verstoß rein verfahrensrechtlicher Natur dar, der laut BSG „als solcher alleine auch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen“ kann. Abgesehen davon könnte eine Verletzung des Rechts der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung oder deren allgemeinen Persönlichkeitsrechts – so sie denn vorläge – als höchstpersönliches Recht von dem Kläger als Sonderrechtsnachfolger nicht zulässigerweise geltend gemacht werden (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.07.2009 – L 2 U 176/08, juris Rn. 35; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.02.2011 – L 22 U 115/08, juris Rn. 128; C. Wagner in jurisPK-SGB VII, Stand 15.01.2022, § 200, Rn. 36).

Bezogen auf die weitere wissenschaftlich begründete Stellungnahme der T vom 18.09.2014 kommt eine Verletzung von § 200 Abs. 2 Halbs. 1 SGB VII nicht in Betracht, da die Versicherte durch ihre damaligen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 30.12.2013 und vom 06.06.2014 hatte mitteilen lassen, gegen eine elektronenmikroskopische Untersuchung an dem – von T geleiteten – Institut für Pathologie, Deutsches Mesotheliomregister, B1, bestünden keine Bedenken.

(3) Auch ansonsten liegt kein Verfahrensfehler in Gestalt eines Verstoßes gegen § 200 SGB VII vor.

Nach § 200 Abs. 1 SGB VII gilt § 76 Abs. 2 Nr. 1 SGB X mit der Maßgabe, dass der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 SGB X verpflichtet ist. Nach § 200 Abs. 2 Halbs. 2 SGB VII ist die betroffene Person vor Erteilung des Gutachtensauftrags außerdem auf ihr Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 SGB X hinzuweisen. Die Beklagte hat dieser Hinweispflicht genüge getan, indem sie der Versicherten mit Schreiben vom 06.06.2012 das „Merkblatt zum Sozialdatenschutz“ übersandte, in dessen Abschnitt „Datenübermittlung/Widerspruchsrecht“ auf das Widerspruchsrecht gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 1 SGB X hingewiesen wurde. Die Versicherte erklärte gegenüber der Beklagten am 30.06.2012 schriftlich ihre Einwilligung zur Erhebung von Sozialdaten und zur Datenübermittlung.

Damit war die Versicherte im Verwaltungsverfahrens über ihr Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 SGB X informiert und ein Verfahrensfehler liegt nicht vor.

(4) Auch soweit erstmals im Verfahren vor dem SG Konstanz mit dem Schreiben der Versicherten vom 04.09.2016 die Besorgnis der Befangenheit der Sachverständigen T geäußert worden ist, steht dies einer Verwertung der von der Sachverständigen erstellten Gutachten nicht entgegen.

Zwar ist ein im Verwaltungsverfahren erstelltes Gutachten dann nicht verwertbar, wenn der Beteiligte berechtigterweise geltend macht, den Verwaltungsgutachter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (§ 21 Abs. 3 Satz 3 SGB X i.V.m § 406 ZPO) und Gründe für die mangelnde Eignung oder die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen können – wie hier geschehen – mit der Anfechtung der abschließenden Verwaltungsentscheidung geltend gemacht werden. Allerdings hätte die Versicherte Befangenheitsgründe bis zum Erlass der abschließenden Verwaltungsentscheidung geltend machen müssen, jedenfalls soweit ihr diese bekannt waren oder hätten bekannt sein können (BSG, Urteil vom 26.10.1989 – 6 RKa 25/88, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 11.09.2019 – B 6 KA 17/18 R, juris Rn. 49/50; Bayerisches LSG, Urteil vom 14.11.2017 – L 11 AS 651/17, juris Rn. 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 56a, Rn. 8; Roller in: Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 17 Rn. 8 u. 6, § 16 Rn. 15), was die auch im Widerspruchsverfahren rechtskundig vertreten gewesene Versicherte unterlassen hat.

Darüber hinaus ist die im Klageverfahren vor dem SG Konstanz erhobene Rüge der Besorgnis der Befangenheit von T als „venire contra factum proprium“ anzusehen. Denn in ihrer Widerspruchsbegründung im Schriftsatz vom 03.09.2013 hat sich die rechtskundig vertretene Versicherte die Ausführungen von T teilweise zu eigen gemacht, soweit diese am Ende ihrer „wissenschaftlich begründeten Stellungnahme“ auf die Möglichkeit verwiesen hat, dass „zur Ausschöpfung aller Beweismittel“ noch eine zusätzliche elektronenmikroskopische Lungenstaubanalytik erfolgen könnte. Darüber hinaus hat sich die Versicherte auf eine Anfrage der Beklagten in den Schriftsätzen vom 30.12.2013 und 06.06.2014 mit einer Durchführung der elektronenmikroskopischen Untersuchung am Institut für Pathologie, Deutsches Mesotheliomregister, B1, nicht nur ausdrücklich einverstanden erklärt, sondern diese im Juni 2014 aktiv angemahnt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie nach Akteneinsicht durch die bereits aktenkundige erste wissenschaftlich begründete Stellungnahme der T vom 08.01.2013 Kenntnis davon, dass es sich dabei um das Institut gehandelt hat, an dem die erste Stellungnahme erstellt worden ist und dass dessen Direktorin T gewesen ist. Ebenfalls konnte sie der Anfrage der Beklagten vom 10.09.2013 entnehmen, dass keine Einholung eines Zweitgutachtens zur Überprüfung der ersten Stellungnahme von T intendiert war, sondern eine Ergänzung der bereits vorliegenden gutachterlichen Stellungnahme, nachdem es dort hieß: „Ihr Einverständnis vorausgesetzt, könnte vorliegend die in Rede stehende elektronenmikroskopische Untersuchung am Institut für Pathologie, Deutsches Mesotheliomregister, B1, durchgeführt werden.“ An der Erstellung der zweiten fachpathologischen, wissenschaftlich begründeten Stellungnahme von T vom 18.09.2014 hat die Versicherte aktiv mitgewirkt, indem sie der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.09.2014 Befundunterlagen der radiologischen Gemeinschaftspraxis F mit der Bitte zugesandt hat, „diese dem zuständigen Gutachter am Institut für Pathologie, BG Kliniken B1 zukommen zu lassen, damit diese Berücksichtigung bei der Begutachtung finden können.“ Ihr war somit auch bekannt, dass es sich bei dem Uklinikum B1 um eine Klinik in Trägerschaft der Berufsgenossenschaften gehandelt hat. Daneben kommt dem Umstand, dass T zum Zeitpunkt der Erstellung der wissenschaftlich begründeten Stellungnahmen auch Vorstand einer in berufsgenossenschaftlicher Trägerschaft stehenden gemeinnützigen Stiftung (Georgius Agricola Stiftung Ruhr) gewesen ist und in Personalunion das Institut für Pathologie sowie das dort angesiedelte Mesotheliomregister geleitet hat, keine weitergehende Bedeutung zu. Diese Umstände im Klageverfahren dann als Befangenheitsgründe geltend zu machen, sieht der Senat als widersprüchliches Verhalten an.

Der Senat kann offen lassen, ob die Mitwirkung eines befangenen Sachverständigen ebenso zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt, wie dies bei der Mitwirkung eines befangenen Behördenmitarbeiters der Fall ist (BSG, Urteil vom 26.10.1989 – 6 RKa 25/88, juris Rn. 17; Roller in: Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 17 Rn. 8). Denn im vorliegenden Fall begründen weder die genannten Umstände noch der Inhalt der beiden gutachterlichen Stellungnahmen die Besorgnis der Befangenheit von T. Bei ihrer pathologischen Begutachtung der beigezogenen Untersuchungspräparate haben, anders als etwa bei einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung, rein „technische“ Untersuchungen und Fragestellungen (Lungenstaubanalyse, lichtmikroskopische Präparatuntersuchung) ganz im Vordergrund gestanden. Weder durch die Art und Weise der Erstattung ihrer gutachterlichen Stellungnahmen noch durch deren Inhalt lässt sich darauf schließen, dass T diese als „im Lager der Beklagten“ stehende Ärztin abgefasst hat. Vielmehr hat sie, obwohl sie in ihrer Stellungnahme vom 08.01.2013 ausgeführt hat, dass ausgehend von dem von ihr beschriebenen Befundbild nach Lungenstaubanalyse und lichtmikroskopischer Untersuchung eine zusätzliche elektronenmikroskopische Untersuchung „gemäß den aktuellen Leitlinien und Empfehlungen zunächst nicht erforderlich“ sei, diese in ihrer abschließenden Zusammenfassung ausdrücklich als Möglichkeit benannt („Zur Ausschöpfung aller Beweismittel könnte noch eine zusätzliche elektronenmikroskopische Lungenstaubanalytik erfolgen.“), was von beiden Verfahrensbeteiligten dann auch aufgegriffen worden ist. Darüber hinaus kann der Auskunft der Beklagten vom 15.09.2016 auf eine Anfrage des SG Konstanz entnommen werden, dass zwischen der Beklagten und T keine Vereinbarung bestanden hat, wonach diese als fachärztliche Beraterin für die Beklagte tätig geworden wäre. Mithin hat kein unmittelbares wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis bestanden. Die Trägerschaft der Berufsgenossenschaften für die „BG-Kliniken“ allein begründet nach Auffassung des Senats keine Zweifel an der Neutralität der dort beschäftigten Ärzte bei der Erstellung von fachärztlichen Gutachten in Unfallsachen. Dasselbe gilt für die Funktion von T im Vorstand des Deutschen Mesotheliomregisters.

c) Schließlich ist auch nicht nachgewiesen, dass die Versicherte aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Faserjahren ausgesetzt war. Der Senat ist vielmehr nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Versicherte nur einer kumulativen Asbestfaserdosis von 0,7 Faserjahren ausgesetzt gewesen ist.

Bei der Ermittlung dieser arbeitstechnischen Voraussetzung der BK 4104 ist der von der Rechtsprechung anerkannte sog. BK-Report Faserjahre zu berücksichtigen, der eine kurze Beschreibung typischer asbestexponierter Tätigkeiten verschiedener Berufe und eine umfassende tabellarische Aufstellung der relevanten verfügbaren Expositionsdaten enthält, um dann die Arbeitsexposition des Versicherten abschätzen zu können (vgl. zum Ganzen Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 1075 m. w. N.). Hierbei wird die Dauer der Faserexposition in Jahren bei grundsätzlich 8-Stunden-Arbeitsschichten ermittelt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 1154 mit weiteren Hinweisen auf den BK-Report). Die BK-Reporte sind von einem interdisziplinären Arbeitskreis erstellt und enthalten einheitliche Messkriterien und Vorgaben bezüglich nicht mehr vorhandener und nicht mehr reproduzierbarer Arbeitsplätze für die qualifizierte Ermittlung der Faserjahre. Zudem gewährleisten sie durch Vorgabe von Standards und Bearbeitungshinweisen die Einheitlichkeit, Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit der vorrangigen Ermittlungen der tatsächlichen Arbeitstätigkeit und der konkreten Asbestbelastungen (s. dazu BK-Report 1/2013 Faserjahre, Einleitung S. 13 bis 16). Auch für das Gericht sind diese BK-Reporte und der dort jeweils wiedergegebene aktuelle Erkenntnisstand im Interesse der Gleichbehandlung der Versicherten bzw. Kläger maßgeblich. Die BK-Reporte ermöglichen zudem eine Plausibilitätskontrolle der Feststellungen des PD.

Maßgebend ist vorliegend der aktuelle BK-Report Faserjahre 1/2013 (https://www.publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/2757).

Zwar hatte der Mitarbeiter des PD der Beklagten, B4, sich für die Erstellung der Arbeitsanamnese und der arbeitstechnischen Aspekte für die Ermittlung der Faserjahre bei seiner ersten Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 07.12.2012 zunächst nach dem BK-Report 01/2007 Faserjahre des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften gerichtet und darauf hingewiesen, dass es sich bei der ermittelten Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis von 0,7 Faserjahren im Bewertungszeitraum (30.03.1984 bis 23.10.1995) nur um eine „orientierende Abschätzung“ handele, da konkret umgebende Faserkonzentrationen nicht oder nur bedingt vorgelegen hätten und auch das bewertete Tätigkeitsprofil mittels BK-Report Faserjahre 01/2007 nur näherungsweise habe bewertet werden können. Auf die von der Versicherten vorgelegte schriftliche Stellungnahme des G vom 22.05.2016, in der dieser eine längere Expositionsdauer und eine höhere Faserkonzentration angenommen und eine Gesamtexposition von 66,46 Faserjahren errechnet hatte, hat B4 nach Auswertung der vom SG Konstanz beigezogenen Unterlagen der W GmbH eine neue Berechnung der Exposition vorgenommen und hierbei den inzwischen gültigen BK-Report Faserjahre 01/2013 zugrunde gelegt. In dieser Stellungnahme, die der Senat neben der Stellungnahme des M2 vom 13.06.2017 seiner Überzeugung zugrunde legt, hat der Mitarbeiter des Präventionsdienstes B4 überzeugend dargelegt, dass sich auch bei Zugrundelegung für die Versicherte günstigerer Annahmen in Bezug auf Zeitdauer und Umfang der Exposition weiterhin nur eine kumulative Asbestfaserdosis von 0,7 Faserjahren errechnen lässt.
 
Auf den von G erhobenen Einwand, dass pro Semester nicht nur 15 Wochen (Vorlesungszeit), sondern 24 Wochen berücksichtigt werden müssten, hat B4 seine bisherige Berechnungsgrundlage insoweit zu Gunsten der Versicherten korrigiert, dass er für die Zeit, in der die Versicherte nach eigenen Angaben zusätzlich zu ihrem Studium als wissenschaftliche Mitarbeiterin eine Assistenz- und Lehrtätigkeit ausgeübt hatte (01.08.1987 bis 31.01.1995), wegen des damit verbundenen länger dauernden aktiven Umgangs mit Asbestmaterial und des längeren Aufenthalts im Mineralischen Institut nicht nur 15 Wochen, sondern jeweils 24 Wochen pro Semester zugrunde gelegt hat. Dies ist nach Auffassung des Senats schlüssig. Die Berücksichtigung weiterer Zeiten ist nicht geboten, zumal von klägerischer Seite ein konkreter zusätzlicher zeitlicher Mehraufwand weder benannt noch nachgewiesen worden ist.

Bei der Ermittlung der Faserkonzentration hat der PD für sämtliche Zeiträume des reinen Aufenthalts (also ohne Bystander-Exposition in belasteten Gebäudebereichen und ohne Umgang mit Asbestexponaten) und auch für sämtliche Gebäudeteile (Hörsäle und sonstige Gebäudebereiche) das nur einmalig bei einer Schadstoffbegehung im August 1992 im Bereich der Hörsäle im Gebäude W-Str. nachgewiesene Messwertmaximum von 7.476 F/m³ zugrunde gelegt. Auch diese Annahme ist wiederum zu Gunsten der Versicherten getroffenen worden, was nach Auffassung des Senats nicht zu beanstanden ist.

Soweit der PD sodann den Umgang der Versicherten mit Asbestexponaten dem „Hantieren mit Asbestmaterialien in jedem Gebrauchszustand“ gleichgesetzt und entsprechend Tabelle 7.4 des BK-Reports Faserjahre 1/2013 eine Faserkonzentration von 3 F/cm³ angenommen hat sowie den Aufenthalt der Versicherten in belasteten Gebäudebereichen einer Bystander-Exposition gemäß Kapitel „7.3 Bystander“ des BK-Reports Faserjahre 1/2013 (S. 139) gleichgesetzt und eine Faserkonzentration von 0,3 F/cm³ angenommen hat, ist auch dies schlüssig und überzeugend. Denn M2 hat in seiner Stellungnahme vom 13.06.2017, die von der Beklagten mit ausdrücklichem Einverständnis der Versicherten eingeholt und in das Klageverfahren eingebracht worden ist, nachvollziehbar dargelegt und für den Senat schlüssig begründet, dass der von der Versicherten beschriebene Umgang mit den Asbestexponaten während ihrer versicherten Tätigkeit aus dem Herausnehmen einzelner Stücke aus der Schublade und eventuell dem Schaben oder Kratzen an der Oberfläche der Stücke zum Lösen von Asbestfaserbüscheln bestanden hat. M2 hat zum Vergleich auf die Tätigkeiten „Stopfen von Asbestwolle in Kissen im Zusammenhang mit dem Nähen von Asbestgeweben“ (Tabelle 7.16) oder „Entleeren und Befüllen von Kühlkisten mit losem Asbest“ (Tabelle 7.27) verwiesen, die laut BK-Report Faserjahre 1/2013 jeweils einem Wert von 10 F/cm³ entsprechen. Bei diesen genannten Arbeiten liegt ausschließlich Asbest in wollartiger Beschaffenheit vor, was einem sehr hohen Faserfreisetzungspotenzial entspreche. Im Unterschied dazu ist das von der Versicherten vorgenommene Hantieren aufgrund der nur geringen Menge losen Asbests und der vergleichsweise schonenden Art des Umgangs „sicher eine Größenordnung niedriger“. Der Senat hält diese Bewertung des M2 für nachvollziehbar und schlüssig.

Demgegenüber ist die von G in der Stellungnahme vom 22.05.2016 geäußerte Annahme, die Faserkonzentration, der die Versicherte im Bewertungszeitraum als Studentin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin ausgesetzt war, habe entsprechend der Tabelle 7.5 des BK-Reports Faserjahre 1/2013 60 F/cm³ betragen, für den Senat nicht nachvollziehbar. Die Versicherte hat die Voraussetzungen für eine Tätigkeit nach dieser Tabelle 7.5 nicht erfüllt, denn sie hat in den Jahren von 1950 bis 1964 keine Asbestdichtungen hergestellt. Die von G angenommene Vergleichbarkeit des Faserfreisetzungspotentials bei den in Tabelle 7.5 genannten Tätigkeiten mit demjenigen, dem die Versicherte bei ihrer versicherten Tätigkeit ausgesetzt gewesen ist, ist für den Senat nicht ansatzweise erkennbar.

Der Senat berücksichtigt die Stellungnahmen Arbeitsplatzexposition des PD vom 07.12.2012 und vom 28.07.2016 ebenso wie die Stellungnahme des G vom 22.05.2016 und die von der Beklagten vorgelegte Stellungnahme des M2 vom 13.06.2017 jeweils als qualifiziertes Parteivorbringen und verkennt nicht, dass diese Stellungnahmen somit keine Beweismittel sind. Qualifiziertes Parteivorbringen kann aber dennoch bei der Überzeugungsbildung zu berücksichtigen und ebenfalls alleinige Entscheidungsgrundlage sein (BSG, Beschluss vom 06.10.2020 – B 2 U 94/20 B, juris Rn. 11 mit weiteren Nachweisen). Vorliegend hat sich der Senat bei seiner Entscheidung von den Stellungnahmen des PD und des M2 leiten lassen, da diese in Bezug auf die Ermittlung der Expositionsdauer und der Expositionshöhe überzeugend gewesen sind. Auch der gemäß § 109 SGG gehörte Sachverständige S hat aus arbeitsmedizinischer Sicht die von G vorgenommene Ermittlung der Expositionshöhe für nicht plausibel gehalten und ausgeführt, eine kumulative Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Jahren lasse sich nicht ableiten.

Eine kumulative Asbestfaserstaubdosis von mindestens 25 Faserjahren ist somit nicht nachgewiesen.

Eine BK Nr. 4104 hat bei der Versicherten nach alledem nicht vorgelegen.
 
d) Soweit der Kläger unter Hinweis auf die in Pneumologie 2020; 74: 603-610 veröffentlichte Übersichtsarbeit „Sozialmedizinische und sozialjuristische Aspekte in der Zusammenhangsbegutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten“ der Autoren S, B3 und B4 hat vortragen lassen, neuen Erkenntnissen zufolge seien auch weniger als 25 Faserjahre für die Annahme einer Verdopplungsdosis im Sinne der BK 4104 ausreichend, führt dies zu keiner anderen Entscheidung.

Zwar wird in dieser Übersichtsarbeit auf neuere Untersuchungen verwiesen, die dafür sprächen, dass die Verdoppelungsdosis für den asbestbedingten Lungenkrebs deutlich niedriger, nämlich in einem Bereich von etwa 4 bis 5 Faserjahren, anzunehmen sei. Im hier vorliegenden Fall kann aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur eine Expositionsdosis von 0,7 Faserjahren festgestellt werden. Abgesehen davon ist bei gegebener Rechtslage die Anerkennung einer BK Nr. 4104 bei fehlenden Brückenbefunden und weniger als 25 Faserjahren nicht möglich. Hierauf weisen die Autoren (zu denen auch der hier gemäß § 109 SGG beauftragte Sachverständige S gehört) in ihrer vom Kläger in Bezug genommenen Übersichtsarbeit auch ausdrücklich hin (S. 606).
3. Der Senat sieht sich zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen nicht veranlasst. Hinsichtlich der medizinischen und technischen Voraussetzungen der streitgegenständlichen BK Nr. 4104 ist die Beweisaufnahme umfassend erfolgt. Der Sachverhalt ist ausermittelt und der Kläger hat diesbezüglich auch zuletzt keine Beweisanträge mehr gestellt. Soweit der Kläger noch um Anhörung des PD hinsichtlich einer Belastung durch Radon in Innenräumen gebeten hat, war dem nicht nachzukommen, da das Risiko einer Erkrankung infolge beruflich bedingter Exposition gegenüber Radon von der hier allein streitigen BK Nr. 4104 nicht erfasst ist.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG (BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 17/19 R, juris Rn. 44).

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.

Rechtskraft
Aus
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