L 2 AS 649/18

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 25 AS 3378/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 649/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Bei der Auslegung des Begriffs "versorgen" iSv § 7 Abs 3a Nr 3 SGB II ist die Funktion dieses Tatbestandsmerkmals zu berücksichtigen. Das Verhalten des Partners gegenüber dem Kind oder Angehörigen muss deshalb geeignet sein, indizielle Bedeutung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zu haben. Geht es um das Zusammenziehen von zwei Partnern, von denen einer ein minderjähriges Kind mit in die Beziehung und in den gemeinsamen Haushalt bringt, erfordert die Annahme eines Versorgens eine substantielle, spezifisch auf das Kind bezogene Hilfeleistung, die über ein vereinzeltes Babysitten oder Zubettbringen hinausgeht und von einer gewissen Verantwortungsübernahme geprägt ist. Allein die Zubereitung gemeinsamer Mahlzeiten oder das Mitwaschen der Wäsche des Kindes löst nicht generell die Vermutungswirkung der Vorschrift aus. 2. Der Umstand, dass SGB II-Leistungen für mehrere Mitglieder einer potenziellen Bedarfsgemeinschaft auf das Konto eines Leistungsberechtigten überwiesen werden und dieser das Geld nicht anteilig an seinen Partner weiterleitet, zeugt nicht zwingend von seiner Befugnis, iSv § 7 Abs 3a Nr 4 SGB II über das Einkommen des Partners zu verfügen.

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. März 2018 wird abgeändert und der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 29. Juni 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Juli 2015 in Gestalt Widerspruchsbescheids vom 24. August 2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. November 2015 und 1. Dezember 2015 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Juni 2015 bis zum 30. November 2015 unter Anrechnung der ihr für diesen Zeitraum bereits gewährten Leistungen Arbeitslosengeld II als Alleinstehende und ohne Anrechnung von Einkommen zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

Der Beklagte hat der Klägerin 55% ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerin in der Zeit vom 1. Juni 2015 bis zum 30. April 2016, insbesondere über die Frage, ob sie in dieser Zeit eine Bedarfsgemeinschaft mit Herrn   F. und dessen Sohn  P. bildete.

 

Die 1982 geborene Klägerin, die eine Ausbildung zur Justizfachangestellten absolviert hat, wohnte zunächst in Halle (Saale). Im Januar 2015 lernte sie Herrn  F. kennen, und in der Folgezeit wurden die beiden ein Paar. Am 27. Mai 2015 zog die Klägerin zu Herrn  F. und dessen Sohn (geboren am 20. April 2002) in eine 59,87 qm große Drei-Zimmer-Wohnung in Seegebiet Mansfelder Land (OT Dederstedt). Das Warmwasser wurde in dieser Wohnung dezentral über einen elektrisch betriebenen Durchlauferhitzer bereitet.

 

Herr  F. und sein Sohn hatten zunächst laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten bezogen. Diese waren ihnen zuletzt für die Zeit von Mai 2015 bis April 2016 bewilligt worden (Bescheid vom 13. April 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. April 2015). Mit Änderungsbescheid vom 5. Mai 2015 hob der Beklagte die Bewilligung jedoch ab 1. Juni 2015 auf, weil Herr  F. zum 4. Mai 2015 eine unbefristete Beschäftigung als Fußbodenleger aufgenommen hatte und daraus Einkommen erzielte. Gleichzeitig forderte der Beklagte Herrn  F. zur Vorlage von Einkommensbescheinigungen für Mai und Juni 2015 auf.

 

Am 29. Mai 2015 sprach die Klägerin persönlich beim Beklagten vor. In einem Gesprächsvermerk des Beklagten ist dazu festgehalten worden: „Sie möchte in die BG […] des PTR Herrn F. […] aufgenommen werden.“ Eine schriftliche Veränderungsmitteilung ebenfalls vom 29. Mai 2015, die als Absender Herrn  F. auswies, aber von der Klägerin unterschrieben war, enthielt die Mitteilung, dass sie am 1. Juni 2015 bei Herrn  F. einziehe. Im Formular VÄM wurde dazu die folgende Angabe angekreuzt: „Eine oder mehrere Personen/en meiner Bedarfsgemeinschaft ist/sind ein- oder ausgezogen bzw. wird/werden ein- oder ausziehen.“ In einem weiteren Formular (VE) gab die Klägerin unter dem 3. Juni 2015 an, Herr  F. sei ihr Partner. Weiter kreuzte sie die folgende formularmäßige Angabe an: „Ich und die oben genannte Person versorgen gemeinsam mindestens ein Kind oder eine Angehörige/einen Angehörigen im Haushalt.“ In dem Feld „Gründe gegen eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft“ gab sie an: „nicht verheiratet (Freund)“.

 

Der ursprünglich von Herrn  F. allein abgeschlossene Mietvertrag über die nunmehr gemeinsam bewohnte Wohnung war bereits am 18. Mai 2015 mit Wirkung zum 1. Juni 2015 dahingehend geändert worden, dass die Klägerin als weitere Mieterin aufgenommen wurde. Die Netto-Kaltmiete betrug ursprünglich 250 €, der Betriebskostenvorschuss 40 € und der Heizkostenvorschuss 30 € pro Monat. Zum 1. Juni 2015 wurde der Gesamtbetrag um 30 € erhöht, wobei sich dies nach dem Gesamtzusammenhang auf die Betriebs- und/oder Heizkosten bezog. Der Mietvertrag sah vor, dass die Klägerin „50% der Kaltmiete (125,- €) sowie der Betriebskosten (Vorauszahlung: 50,00 €)“ übernimmt.

 

Mit Änderungsbescheid vom 29. Juni 2015, der an Herrn  F. adressiert war, bewilligte der Beklagte der Klägerin, Herrn  F. und dessen Sohn als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von Juni 2015 bis April 2016 in wechselnder Höhe. Als Bedarfe berücksichtigte er die gesetzlichen Regelbedarfe, einen Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung sowie die vollen tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH). Bedarfsmindernd berücksichtigte er das für Juni 2015 nachgewiesene bzw. das für Juli 2015 bis April 2016 erwartete Erwerbseinkommen des Herrn  F. sowie das Kindergeld in Höhe von 184 € pro Monat, das für dessen Sohn gezahlt wurde. Als Zahlungsempfängerin der gesamten Leistungen nennt der Bescheid die Klägerin.

 

Mit Änderungsbescheid vom 22. Juli 2015 erhöhte der Beklagte den Leistungsbetrag für Juli 2015 aufgrund der nunmehr vorliegenden Einkommensbescheinigung des Herrn  F..

 

Bereits am 21. Juli 2015 hatte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 20. Juli 2015 Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 29. Juni 2015 eingelegt. Gerügt wurde ausdrücklich nur das vom Beklagten angenommene Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft. Für die Erziehung und Pflege des Kindes von Herrn  F. sei aufgrund des Alters des Kindes der Kindsvater allein zuständig. Das Kind lasse sich von der Klägerin „gerade nicht erziehen, wobei diese hierzu auch nicht gewillt“ sei; hierfür sei sie nicht zuständig. Dies sei auch in der Zukunft von ihr nicht beabsichtigt und vom Kindsvater nicht gewünscht.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es lägen Umstände vor, bei denen das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vermutet werde. Insoweit stellte er in erster Linie auf die gemeinsame Versorgung des Kindes des Herrn  F. ab (§ 7 Abs. 3a Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende [SGB II]). Soweit die Klägerin nunmehr vortrage, das Kind werde nicht gemeinsam versorgt, widerspreche dies ihren eigenen Angaben vom 3. Juni 2015. Außerdem sei sie seit Juni 2015 alleinige Zahlungsempfängerin der Leistungen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft, was zumindest die teilweise Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Partners mit sich bringe. Somit werde auch der Vermutungstatbestand des § 7 Abs. 3a Nr. 4 SGB II zumindest teilweise erfüllt.

 

Am 28. September 2015 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) H. Klage erhoben.

 

Während des Klageverfahrens änderte der Beklagte mit Bescheiden vom 5. November 2015 und 1. Dezember 2015 die Leistungsbewilligung an die Klägerin, Herrn  F. und dessen Sohn ab und gewährte ihnen unter Berücksichtigung inzwischen vorliegender Entgeltabrechnungen höhere Leistungen für die Monate August bis Oktober 2015 bzw. für November 2015.

 

Mit Bescheid vom 29. November 2015 wurden die Leistungen ab Januar 2016 an die gestiegenen gesetzlichen Regelsätze angepasst; gleichzeitig wurde die Erhöhung des Kindergeldes für den Sohn des Herrn  F. berücksichtigt.

 

Am 11. Januar 2016 wurde das Arbeitsverhältnis des Herrn  F. zum 12. Januar 2016 gekündigt.

 

Mit Bescheid vom 15. Januar 2016 änderte der Beklagte die Bewilligung für Dezember 2015 bis April 2016 unter Berücksichtigung des im Dezember 2015 zugeflossenen Arbeitsentgelts und des Wegfalls des Erwerbseinkommens ab März 2016.

 

Mit Bescheid vom 4. Februar 2016 hob der Beklagte die Bewilligung an die Klägerin für Januar 2016 teilweise auf, weil Herr  F. in diesem Monat ein höheres Einkommen erzielt habe, als zunächst angenommen. Er machte gegen sie eine Erstattungsforderung in Höhe von 50,91 € geltend. Außerdem erging – neben weiteren individuellen Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden – unter dem 4. Februar 2016 ein an Herrn  F. adressierter Änderungsbescheid für die gesamte Bedarfsgemeinschaft für die Monate März und April 2016, der begründet wurde mit: „Änderung der Auszahlung ab 03/2016“. Dieser Bescheid sah – anders als frühere Bescheide – eine getrennte Auszahlung von Leistungen an die Klägerin und Herrn  F. vor.

 

Mit Bescheid vom 14. März 2016 änderte der Beklagte die Bewilligung für die Monate Februar bis April 2016. Für Februar bewilligte er aufgrund der Berücksichtigung des tatsächlich erzielten Einkommens höhere Leistungen, für April berücksichtigte er Krankengeld des Herrn  F. als Einkommen, außerdem bedarfsmindernd ein von ihm angenommenes Betriebskostenguthaben. Gegen diesen Bescheid legte Herr  F. unter dem 3. April 2016 Widerspruch ein. Diesem half der Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 2016 ab, indem er für April 2016 nur noch einen Zufluss von Krankengeld in Höhe von 33,19 € (statt zuvor 995,70 €) berücksichtigte, das er lediglich um die Versicherungspauschale in Höhe von 30 € bereinigte.

 

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie keine Bedarfsgemeinschaft mit Herrn  F. und dessen Sohn bilde. Eine etwaige Falschberatung oder fehlerhafte Formulare führten zu keiner anderen Betrachtung. Es sei wohl unstreitig, dass das Kind des Herrn  F. nicht gemeinsam (zumindest nicht von ihr) im Haushalt versorgt werde. Sie habe mit diesem Kind nichts zu tun, und das Kind habe mit ihr nichts zu tun. Lediglich Herr  F. kümmere sich mit seinen eigenen finanziellen Mitteln um den Jungen; darüber hinaus sei dieser in einem Alter, in dem er sich ohnehin nichts von ihr sagen lasse. Dies sei zudem weder von der Kindsmutter noch von Herrn  F. gewünscht; auch sie selbst habe daran kein Interesse.

 

Der Beklagte hat eingewandt, dass das Vorbringen der Klägerin im Widerspruch zu dem stehe, was sie im Verwaltungsverfahren vorgetragen habe. Darüber hinaus habe sie selbst für das – angeblich nicht von ihr betreute – Kind die Kostenübernahme für eine mehrtägige Klassenfahrt beantragt.

 

Das SG hat am 27. September 2017 einen Erörterungstermin durchgeführt und die Klägerin persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

 

Mit Urteil vom 7. März 2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Annahme des Beklagten, dass zwischen der Klägerin und Herrn  F. eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliege, sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe im Rahmen der gerichtlichen Anhörung bestätigt, dass sie im März 2016 für das Kind des Herrn  F. Leistungen zur Bildung und Teilhabe beantragt habe, da ihr Partner sie darum gebeten habe. Sie habe auch eingeräumt, dass sie bei der Zubereitung von Mahlzeiten für sich und Herrn  F. auch für das Kind mit gekocht und für dieses die Wäsche gewaschen habe. Auch für die Kosten der Lebenshaltung des Kindes sei sie – mit Ausnahme der Aufwendung für dessen Kleidung – finanziell mit aufgekommen, da hinsichtlich des Kindes keine gesonderte Abrechnung erfolgt sei, sondern die Kosten geteilt worden seien. Dies erfülle jedenfalls die Mindestvoraussetzung für eine Versorgung eines Kindes im Haushalt. Unerheblich sei, dass eine Erziehung des Kindes durch die Klägerin nicht erfolgt sei, da das Gesetz dies nicht voraussetze. Aus diesem Grund sei es auch unerheblich, dass die Klägerin nach ihren Angaben keinen sonstigen Umgang mit dem Kind gehabt habe. Zwar sei ihr zuzugestehen, dass sie keine Versorgung im umfassenden Sinne sichergestellt habe, dies werde aber auch gesetzlich nicht vorausgesetzt. Es entspreche zudem der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft nicht voraussetze, dass der Wert der finanziellen Anteile der Partner an der gemeinsamen Lebensführung gleichwertig sei, ausreichend sei vielmehr eine Absprache zwischen den Partnern, wie sie die Haushaltsführung zum Wohle des partnerschaftlichen Zusammenlebens untereinander aufteilten. Nichts anderes könne gelten, wenn die Versorgung des Kindes des Partners durch den anderen Teil bereits aufgrund des Alters des Kindes und einer damit einhergehenden emotionalen Distanz desselben zu dem neuen Partner des Elternteils nur bedingt möglich sei. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 9. August 2018 zugestellt worden.

 

Mit ihrer am 10. September 2018, einem Montag, eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Dass aufgrund der beschriebenen Umstände bereits die Mindestvoraussetzungen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft erfüllt seien, treffe nicht zu. Eine solche habe insbesondere im sogenannten Probejahr nicht vorgelegen. Dies ergebe sich auch daraus, dass sie und Herr  F. inzwischen getrennt seien, obwohl sie ein gemeinsames Kind bekommen hätten.

 

Der Beklagte hat ein Teilanerkenntnis abgegeben, dass der Bescheid vom 29. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. August 2015 in der Fassung der Bescheide vom 14. März 2016 und 30. Mai 2016 dahingehend abgeändert werde, dass die Leistungen für April 2016 ohne Anrechnung von Krankengeld als Einkommen erfolgen. Grund dafür war die Berücksichtigung von Beiträgen zur Kfz-Haftpflichtversicherung bei der Einkommensbereinigung. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. März 2018 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Juli 2015 in Gestalt Widerspruchsbescheids vom 24. August 2015 in der Fassung der Bescheide vom 5. November 2015, 1. Dezember 2015, 15. Januar 2016, 4. Februar 2016, 14. März 2016 und 30. Mai 2016 sowie des Teilanerkenntnisses vom 16. November 2022 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung der gegen sie gerichteten Erstattungsforderung zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Juni 2015 bis zum 30. April 2016 unter Anrechnung der für diesen Zeitraum bereits gewährten Leistungen Arbeitslosengeld II als Alleinstehende und ohne Anrechnung von Einkommen zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

 

In der mündlichen Verhandlung am 16. November 2022 ist die Klägerin persönlich angehört und Herr  F. als Zeuge vernommen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

 

Der Senat hat die Prozessakte des SG und die Verwaltungsakte des Beklagten einschließlich der im streitgegenständlichen Zeitraum erstellten Gesprächsvermerke beigezogen.

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Gegenstand des Verfahrens sind das angegriffene Urteil des SG, der (Änderungs-) Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 2015 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 22. Juli 2015 in Gestalt Widerspruchsbescheids vom 24. August 2015 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. November 2015, 29. November 2015, 1. Dezember 2015 und 15. Januar 2016, des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids vom 4. Februar 2016 sowie der Änderungsbescheide vom 4. Februar 2016, 14. März 2016 und 30. Mai 2016 und des im Berufungsverfahren abgegebenen Teilanerkenntnisses sowie der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von Juni 2015 bis April 2016. Die Änderungsbescheide sind gemäß § 86 bzw. § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchs- und Klageverfahrens bzw. nur des Klageverfahrens geworden. Gleiches gilt für den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 4. Februar 2016 (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 3. September 2020 – B 14 AS 55/19 R – juris Rn. 9 ff.).

 

2. Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG).

 

3. Sie ist auch teilweise begründet, weil die zulässige Klage teilweise begründet ist. Die Klägerin hat für die Zeit von Juni bis November 2015 einen Anspruch auf Leistungen als Alleinstehende und ohne Anrechnung von Einkommen. Insoweit sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Soweit die Klägerin höhere Leistungen für Dezember 2015 bis April 2016 begehrt, hat das SG die Klage dagegen zu Recht abgewiesen.

 

a) Die Klägerin erfüllte im streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Sie war im zu Leistungen berechtigenden Alter und erwerbsfähig und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ausschlusstatbestände lagen nicht vor.

 

b) In der Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2015 war die Klägerin alleinstehend und nicht Teil einer Bedarfsgemeinschaft; in der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2016 hat der Beklagte sie dagegen zu Recht als Teil der Bedarfsgemeinschaft des Herrn  F. und seines Sohnes angesehen.

 

Zur Bedarfsgemeinschaft gehört unter anderem gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II als Partner eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Damit normiert die Vorschrift nach Rechtsprechung des BSG drei Voraussetzungen, die vorliegen müssen, um eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft anzunehmen: Es muss sich 1. um Partner handeln, die 2. in einem gemeinsamen Haushalt bzw. in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenleben, und zwar 3. so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 34/12 R – juris Rn. 14; BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 60/15 R – juris Rn. 25). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist durch das Tatsachengericht anhand von Indizien im Wege einer Gesamtwürdigung festzustellen; diese Würdigung bezieht sich auch auf subjektive Tatsachen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 26).

 

aa) Die Klägerin und Herr  F. waren im streitgegenständlichen Zeitraum Partner im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II. Vom Bestehen einer Partnerschaft ist auszugehen, wenn eine gewisse Ausschließlichkeit der Beziehung gegeben ist, die keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt. Zudem muss zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und dem Dritten die grundsätzliche rechtlich zulässige Möglichkeit der Heirat (bzw. im streitgegenständlichen Zeitraum auch: Begründung einer Lebenspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz [LPartG]) bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012, a.a.O., Rn. 20). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin selbst hat Herrn  F. im Formular „VE“ am 3. Juni 2015 als ihren Partner angegeben und als ihren Freund bezeichnet. Im Erörterungstermin vor dem SG hat sie noch einmal ausdrücklich bestätigt, dass sie und Herr  F. ein Paar gewesen seien. Die Angabe deckt sich mit ihren späteren Schilderungen des Zusammenlebens und der Aufteilung der Wohnung sowie der Aussage des Zeugen  F.. Im Dezember 2016 ist ein gemeinsames Kind der Klägerin und des Herrn  F. geboren worden.

 

bb) Es liegt auch ein Zusammenleben im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II vor. Unter einem Zusammenleben in diesem Sinne ist mehr als ein bloßes Zusammenwohnen zu verstehen, wie es bei Wohngemeinschaften der Regelfall ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012, a.a.O., Rn. 22). Es wird nach Rechtsprechung des BSG vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass die Mitglieder einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur vorübergehend in einer Wohnung leben, sondern einen gemeinsamen Haushalt in der Weise führen, dass sie aus einem „Topf“ wirtschaften (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 25).

 

Die Klägerin und Herr  F. haben nicht nur ohne räumliche Trennung gemeinsam in einer Wohnung gewohnt, sondern auch gemeinsam gewirtschaftet. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf. Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft. Entscheidend insoweit ist, dass der Haushalt von beiden Partnern geführt wird, wobei die Beteiligung an der Haushaltsführung von der jeweiligen wirtschaftlichen und körperlichen Leistungsfähigkeit der Partner abhängig ist. Die Haushaltsführung an sich und das Bestreiten der Kosten des Haushalts muss gemeinschaftlich durch beide Partner erfolgen, was allerdings nicht bedeutet, dass der finanzielle Anteil der Beteiligung am Haushalt oder der Wert der Haushaltsführung selbst gleichwertig sein müssen. Ausreichend ist eine Absprache zwischen den Partnern, wie sie die Haushaltsführung zum Wohle des partnerschaftlichen Zusammenlebens untereinander aufteilen (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012, a.a.O., Rn. 23).

 

Vorliegend haben die Klägerin und Herr  F. einen gemeinsamen Haushalt geführt. Dies zeigt sich u.a. darin, dass die benötigten Lebensmittel nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben der Klägerin und des Zeugen  F. im Rahmen der jeweiligen finanziellen Möglichkeiten gemeinsam bzw. abwechselnd gekauft wurden. Es wurde füreinander gekocht, und die Wäsche wurde gemeinsam gewaschen. Ursprünglich bestehende eigene Hausrat- und Haftpflichtversicherungen hat die Klägerin aufgrund ihres Umzugs mit Blick auf die bereits bestehenden Versicherungen des Herrn  F. gekündigt.

 

cc) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen ist jedoch erst in der Zeit ab dem 1. Dezember 2015 anzunehmen.

 

Ein solcher Wille wird gemäß § 7 Abs. 3a SGB II vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben (Nr. 1), mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben (Nr. 2), Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen (Nr. 3) oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen (Nr. 4). Über diese Fallgruppen hinaus kann ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, aber auch aufgrund der Würdigung anderer äußerer Tatsachen angenommen werden (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 5. Mai 2009 – 1 BvR 255/09 – juris Rn. 5; BT-Drs. 16/1410, S. 19).

 

(1) Der Annahme eines wechselseitigen Einstandswillens steht vorliegend nicht entgegen, dass die Klägerin und Herr  F. im streitgegenständlichen Zeitraum erst weniger als ein Jahr zusammenlebten. § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II normiert zwar eine gesetzliche Vermutung, dass bei einem Zusammenleben von mehr als einem Jahr ein Einstandswille besteht. Daraus kann aber nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass bei einem kürzeren Zusammenleben ein Einstandswille stets zu verneinen ist (vgl. Landessozialgericht [LSG] Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. November 2009 – L 5 AS 385/09 B ER – juris Rn. 47; Becker, in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 7 Rn. 111). Das folgt schon aus der Systematik des § 7 Abs. 3a SGB II, der verschiedene andere Vermutungstatbestände enthält, die unabhängig von der Jahresfrist greifen.

 

(2) Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3a Nr. 3 SGB II liegen erst ab dem 1. Dezember 2015 vor. Nach dieser Vorschrift wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen.

 

Bei der Auslegung des Begriffs „versorgen“ ist die Funktion dieses Tatbestandsmerkmals zu berücksichtigen. Das Verhalten des Partners gegenüber dem Kind oder Angehörigen muss geeignet sein, indizielle Bedeutung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zu haben (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Dezember 2008 – L 9 AS 467/08 ER – juris Rn. 6; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29. März 2022 – L 3 AS 29/22 B ER – juris Rn. 48; Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage 2020, § 7 Rn. 247). Das setzt eine gewisse Regelmäßigkeit und Erheblichkeit der geleisteten Hilfe voraus (vgl. Geiger in: Münder/Geiger, LPK-SGB II, 7. Auflage 2021, § 7 Rn. 94). Insoweit sind sämtliche Umstände des konkreten Falles zu würdigen.

 

Geht es um das Zusammenziehen von zwei Partnern, von denen einer ein minderjähriges Kind mit in die Beziehung und in den gemeinsamen Haushalt bringt, dann sind die Besonderheiten zu beachten, die eine solche Situation typischerweise mit sich bringt. Einerseits bürdet sie dem neuen Partner eines Elternteils von Beginn an eine gewisse Verantwortung auf; andererseits bringt sie für alle Beteiligten besondere Herausforderungen mit sich, die es nicht gerechtfertigt erscheinen lassen, pauschal davon auszugehen, dass die Festigung und Stabilisierung der Partnerschaft schneller erfolgt, als das Gesetz dies beim Zusammenziehen von Partnern ohne Kinder annimmt (vgl. LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.). Jedenfalls, wenn das Kind noch jünger ist und die Erwachsenen sich sozial adäquat verhalten, wird es sich regelmäßig kaum vermeiden lassen, dass sich auch der Nicht-Elternteil in der einen oder anderen Weise um das Kind kümmert – sei es, dass er Mahlzeiten auch für das Kind zubereitet oder dessen Wäsche mit wäscht; sei es, dass er bei Bedarf kurz einspringt, um das Kind zu beaufsichtigen. Würde man bereits aus einem solchen Verhalten generell eine Vermutungswirkung für das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft herleiten, würde dies weder der Lebenswirklichkeit gerecht, noch ließe es sich mit Sinn und Zweck von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c, Abs. 3a SGB II und der gesetzlichen Wertung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II in Einklang bringen (vgl. LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.). Denn wenn z.B. ein Partner im ersten Jahr des Zusammenlebens für sich und seinen Partner die gemeinsamen Mahlzeiten zubereitet, begründet dies noch nicht die Vermutung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Allein der Umstand, dass das minderjährige Kind des Partners mit am Esstisch sitzt, erlaubt noch keine grundlegend andere Bewertung dieser Beziehung. Das Tatbestandsmerkmal, dass ein Kind des Partners versorgt wird, erfordert daher eine substantielle, spezifisch auf das Kind bezogene Hilfeleistung, die über ein vereinzeltes Babysitten oder Zubettbringen hinausgeht und von einer gewissen Verantwortungsübernahme geprägt ist (vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. November 2009, a.a.O., Rn. 46; LSG Schleswig-Holstein, a.a.O.; Leopold, a.a.O.). Insoweit stellen sich zumindest ähnliche Fragen wie bei der Prüfung, ob der Elternteil des Kindes alleinerziehend im Sinne des § 21 Abs. 3 SGB II ist (vgl. Knickrehm in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Auflage 2021, § 7 SGB II Rn. 35). Das ist zu verneinen, wenn der Elternteil während der Betreuungszeit von seinem Partner in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 167/11 R – juris Rn. 14).

 

(a) Für die Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2015 wird die Vermutungswirkung des § 7 Abs. 3a Nr. 3 SGB II nicht schon dadurch ausgelöst, dass die Klägerin am 3. Juni 2015 im Formular VE angekreuzt hat, dass sie und ihr Partner gemeinsam ein Kind oder einen Angehörigen im Haushalt versorgten. Maßgeblich sind allein die tatsächlichen Verhältnisse, und es deutet nichts darauf hin, dass die Klägerin mit ihrer wenige Tage nach dem Zusammenziehen erfolgten Angabe in diesem Formular zum Ausdruck bringen wollte, dass sie substantielle Hilfeleistungen in Bezug auf den Sohn des Herrn  F. tatsächlich erbringe. Insoweit erscheint es vielmehr glaubhaft, dass die Klägerin – wie sie im Erörterungstermin vor dem SG erklärt hat – lediglich mitteilen wollte, dass sie gemeinsam mit dem Kind in einem Haushalt lebe.

 

Für die Zeit bis zum 30. November 2015 lassen sich solche Hilfeleistungen auch sonst nicht feststellen. Zwar hat sich die Behauptung der Klägerin, sie habe „mit dem Kind nichts zu tun“ gehabt, nicht bestätigt. Diese offenkundig anspruchsorientierte Formulierung lässt sich schon nicht damit in Einklang bringen, wie die Klägerin selbst die Umstände des Zusammenlebens im Erörterungstermin beim SG und in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat geschildert hat. Ihr Beitrag zur Betreuung des Kindes hat aber im ersten halben Jahr des Zusammenwohnens noch kein solches Maß erreicht, dass er sich als „versorgen“ im Sinne des Gesetzes beschreiben ließe.

 

Dies gilt zunächst mit Blick auf den finanziellen Beitrag der Klägerin zum gemeinsamen Haushalt. Der Senat hat keinen Zweifel an der Angabe der Klägerin, dass sie sich an Kosten, die spezifisch für den Sohn ihres Partners angefallen sind, etwa an den Kosten für Kleidung, nicht beteiligt habe. Auch ihr Beitrag zu den gemeinschaftlichen Kosten lässt sich nicht als Versorgung des Kindes beschreiben. Die Klägerin und der Zeuge  F. haben zwar im Wesentlichen übereinstimmend geschildert, dass Lebensmitteleinkäufe für den gesamten Haushalt von beiden Partnern gemeinsam bzw. abwechselnd bezahlt worden seien und dass die dabei für das Kind angefallenen Kosten nicht gesondert berücksichtigt worden seien. Sowohl den Schilderungen der Klägerin als auch der Zeugenaussage des Herrn  F. lässt sich aber auch entnehmen, dass der finanzielle Beitrag der Klägerin zum Zusammenleben aufgrund ihrer beschränkten Möglichkeiten insgesamt deutlich geringer ausgefallen ist als der ihres Partners. Der Zeuge  F. hat berichtet, die Klägerin habe Lebensmittel „besorgt, so lange sie das noch konnte“; am Ende sei sie aber „fast verhungert“. Diese ungleiche Beteiligung an den Kosten entspricht den tatsächlichen Einkommensverhältnissen: Während Herr  F. über ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 1.148,20 € und 1.297,39 € verfügte, erhielt die Klägerin vom Beklagten monatlich zwischen 74,11 € und 146,61 €. Eine finanzielle Versorgung des Kindes war ihr deshalb mangels entsprechender Mittel gar nicht möglich.

 

Aber auch die von der Klägerin im ersten halben Jahr des Zusammenwohnens erbrachten nichtfinanziellen Unterstützungshandlungen gegenüber dem Kind stellen keine Versorgung im Sinne des Gesetzes dar. Legt man die trotz mancher Abweichungen im Detail insoweit übereinstimmenden Angaben der Klägerin und des Zeugen  F. zugrunde, beschränkte sich die Betreuungsleistung der Klägerin zunächst im Wesentlichen darauf, dass sie das Mittag- und Abendessen nicht nur für sich selbst, sondern auch für P. zubereitete und im Wechsel mit Herrn  F. die Wäsche aller Haushaltsangehörigen wusch. Dagegen wurden die spezifisch auf das Kind bezogenen Betreuungsleistungen von Herrn  F. bzw. dessen Eltern erbracht. Die Klägerin hat glaubhaft berichtet, dass Herr  F. seinen Sohn morgens geweckt und dessen Schulranzen kontrolliert habe. Nachmittags, so der Zeuge  F., wurde P. regelmäßig von seinen Großeltern betreut. Der Zeuge hat ausgeführt, dass er schon seit der Trennung von P.s Mutter, ungefähr im Jahr 2010, von seinen Eltern unterstützt worden sei. Sein Vater habe den Jungen nachmittags abgeholt, ihn u.a. bei den Hausaufgaben betreut und ihn später zurückgebracht. So sei auch in den ersten Monaten nach dem Einzug der Klägerin weiter verfahren worden. Das Kind sei unter der Woche fast jeden Tag bei seinen Großeltern gewesen.

 

Der Senat hält diese Angaben des Zeugen für glaubhaft. Seine Beschreibung des Zusammenlebens mit der Klägerin weicht zwar in einigen Details von deren Angaben ab und es lässt sich nicht in allen Punkten sicher beurteilen, was zutrifft. Dies lässt sich aber weitgehend mit unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmungen und einer unterschiedlichen Verarbeitung von Erinnerungen erklären. Die Angaben des Zeugen zur Betreuung seines Sohnes durch dessen Großeltern hält der Senat aber für durchweg glaubhaft. Der Zeuge hat diesen Aspekt, dem er selbst erkennbar keine große rechtliche Bedeutung beigemessen hat, auf Nachfrage wiederholt konsistent geschildert. Fragen hat er spontan und offen beantwortet. Auch die Schilderung nebensächlicher Details (z.B. bzgl. des Internetanschlusses der Großeltern) spricht für die Glaubhaftigkeit der Angaben. Zudem hat der Zeuge in seinem Aussageverhalten weder eine Tendenz erkennen lassen, der Klägerin zu helfen, noch eine solche, ihr zu schaden. Es erscheint auch plausibel, dass der Zeuge derartige Unterstützung von seinen Eltern bei der Kinderbetreuung erhielt, zumal er vor dem Einzug der Klägerin jahrelang alleine mit seinem Sohn lebte und auch in dieser Zeit immer wieder einer Erwerbstätigkeit nachging.

 

(b) In der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2016 hat die Klägerin den Sohn ihres Partners dagegen i.S.v. § 7 Abs. 3a Nr. 3 SGB II versorgt. Sie hat nicht nur (auch) für ihn eingekauft und gekocht und (auch) seine Wäsche gewaschen, sondern den 13-Jährigen darüber hinaus regelmäßig nachmittags nach der Schule betreut. Damit hat sie den Kindsvater und dessen Eltern, die sich zuvor nachmittags um P. gekümmert hatten, nachhaltig entlastet und eine substantielle, spezifisch auf das Kind bezogene Hilfeleistung erbracht.

 

Die Klägerin hat zwar wiederholt behauptet, ihr Verhalten in Bezug auf die Betreuung des Jungen sei im gesamten Streitzeitraum und auch noch darüber hinaus gleichgeblieben. Dies hält der Senat aber für widerlegt und stützt sich auch insoweit auf die glaubhaften Angaben des Zeugen  F.. Dieser hat bekundet, dass sich das Verhältnis seines Sohnes zur Klägerin im Laufe der Zeit verbessert habe. Nach ungefähr einem halben Jahr sei P. besser mit der Klägerin vertraut gewesen und häufiger nachmittags bei ihr geblieben, statt zu den Großeltern zu gehen. Diese habe er insbesondere dann noch aufgesucht, wenn er deren Internetzugang benötigt habe.

 

Da die Klägerin das Kind ihres Partners versorgt hat, greift die Vermutungswirkung des § 7 Abs. 3a Nr. 3 SGB II. Diese ist vorliegend nicht widerlegt worden (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 292 Satz 1 Zivilprozessordnung [ZPO]).

 

(3) Für die Zeit bis zum 30. November 2015 folgt ein Wille, wechselseitig Verantwortung füreinander zu tragen, auch nicht aus dem Vermutungstatbestand des § 7 Abs. 3a Nr. 4 SGB II. Danach wird ein wechselseitiger Wille vermutet, wenn Partner befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen. Daran fehlt es vorliegend. Die Annahme einer Verfügungsbefugnis könnte allenfalls darauf gestützt werden, dass die SGB II-Leistungen für Herrn  F. und seinen Sohn auf das Konto der Klägerin überwiesen wurden und dass sich die von der Klägerin behauptete Weiterleitung dieses Geldes an Herrn  F. anhand der Kontoauszüge nicht nachvollziehen lässt und angesichts der Einkommens- und Vermögenssituation der Klägerin auch nicht plausibel erscheint. Doch auch wenn man annimmt, dass die Klägerin die entsprechenden Beträge nicht an Herrn  F. weitergeleitet hat, beruhte dies nicht auf einer Befugnis zur Verfügung über Einkommen, aus der auf einen Einstandswillen geschlossen werden kann.

 

Während Herr  F. und sein Sohn ihre Bedarfe vollständig aus dem Erwerbseinkommen des Herrn  F. und dem Kindergeld bestreiten konnten, verfügte die Klägerin über kein anderes Einkommen als die Leistungen des Beklagten. Das Erwerbseinkommen des Herrn  F. betrug in der Zeit von Juni bis November 2015 zwischen 1.148,20 € und 1.297,39 € netto, das Kindergeld 184 € pro Monat. Auch nach einer Bereinigung gemäß § 11b SGB II verblieb ihnen damit mehr, als sie für ihre eigenen Regel-, Mehr- und Unterkunftsbedarfe benötigten. Ohne Berücksichtigung der Klägerin als Teil ihrer Bedarfsgemeinschaft hätten sie keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen gehabt. Demgegenüber hatte die Klägerin einen monatlichen Bedarf von insgesamt 583,18 € (als Alleinstehende, sonst: 484,94 €; dazu sogleich), zu dessen Deckung sie auf Leistungen des Beklagten angewiesen war. Tatsächlich erhielt sie aber vom Beklagten lediglich 179,22 € bis 354,55 € pro Monat überwiesen, von denen nach der Bescheidlage nur 74,11 € bis 146,61 € für sie selbst bestimmt waren, weil der Beklagte davon ausging, dass sie als Teil einer Bedarfsgemeinschaft an dem Einkommen des Herrn  F. teilhabe. Vor diesem Hintergrund kann der unterstellte Umstand, dass die Klägerin das für Herrn  F. und seinen Sohn bestimmte Geld nicht an ihren Partner weiterleitete, nicht als eine Verfügung über dessen Einkommen angesehen werden, die auf einen Einstandswillen des Herrn  F. oder gar einen wechselseitigen Einstandswillen beider Partner schließen lässt.

 

c) Auf dieser Grundlage ergibt sich für die Klägerin ein höherer Leistungsanspruch für den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 30. November 2015, nicht jedoch für den Zeitraum vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2016.

 

Die Klägerin war im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum hilfebedürftig i.S.v. § 9 SGB II, weil sie ihren Lebensunterhalt nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern konnte.

 

In der Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2015 ist statt des vom Beklagten eingesetzten Regelbedarfs von 360 € pro Monat (Regelbedarfsstufe 2) ein monatlicher Regelbedarf von 399 € (Regelbedarfsstufe 1) zugrunde zu legen, weil die Klägerin alleinstehend war. Das wirkt sich auch auf die Höhe des ebenfalls zu berücksichtigenden Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 SGB II) aus. Die vom Beklagten in die Berechnung eingestellten Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH, § 22 SGB II) sind dagegen nicht zu beanstanden. Dass die Klägerin von Juni bis November 2015 nicht Teil einer Bedarfsgemeinschaft war, steht einer Aufteilung der tatsächlich für die Wohnung angefallenen Kosten nach dem sog. Kopfteilprinzip nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 23. November 2006 – B 11b AS 1/06 R – juris Rn. 28). Eine Abweichung von diesem Prinzip ist auch nicht mit Blick darauf geboten, dass sich aus dem Mietvertrag, in den die Klägerin aufgenommen worden ist, ein höherer auf sie entfallender Betrag ergab, denn im Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht fest, dass sie insoweit keiner ernsthaften Mietzinsforderung ausgesetzt war (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 8/09 R – juris Rn. 16). Sie hat sich tatsächlich nur in geringerem Umfang an den KdUH beteiligt, und Herr  F. hat dies letztlich akzeptiert. Zudem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, keine höheren KdUH geltend zu machen. Einkommen ist von Juni bis November 2015 nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen, weil die Klägerin über kein eigenes Einkommen verfügte und nicht Teil einer Bedarfsgemeinschaft war.

 

Hinsichtlich der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2016 hat die Klägerin dagegen keinen Anspruch auf höhere Leistungen. Der Beklagte hat zutreffend einen Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 2 und einen danach berechneten Mehrbedarf wegen Warmwassererzeugung zugrunde gelegt. Die KdUH hat er unter Anwendung des Kopfteilprinzips zutreffend und vollständig berücksichtigt; höhere Kosten kann der Senat nicht feststellen und werden auch ausdrücklich nicht geltend gemacht. Das Einkommen des Herrn  F. hat der Beklagte, abgesehen vom Monat April 2016, zutreffend gemäß § 9 Abs. 2, §§ 11 ff. SGB II angerechnet. Er hat seiner Berechnung das tatsächlich erzielte Einkommen in korrekter Höhe zugrunde gelegt und gemäß § 11b SGB II bereinigt. Soweit die Bereinigung des Einkommens aus Krankengeld im Monat April 2016 zunächst unzureichend erfolgt war, hat der Beklagte sich durch sein Teilanerkenntnis vom 16. November 2022, das die Klägerin angenommen hat, zur Abhilfe verpflichtet.

 

d) Soweit einer der streitgegenständlichen Bescheide eine Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung enthält (Bescheid vom 4. Februar 2016 bzgl. Januar 2016), ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Aufhebung lässt sich zwar entgegen der Begründung des Bescheids nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) und § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II stützen. Denn aufgrund des absehbar schwankenden Einkommens des Herrn  F., von dem auch der Beklagte ausging, hätte die Bewilligung nur vorläufig erfolgen dürfen, so dass der Bescheid vom 29. Juni 2015 insoweit von Anfang an rechtswidrig war und die Aufhebungsentscheidung an § 45 SGB X (i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III, § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II) zu messen ist (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R – juris Rn. 16 ff.). Die Klägerin kann sich aber gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil ihr bei Zufluss der Leistungen Ende Januar 2016 aufgrund der bereits in den vorangegangenen Monaten erfolgten Anpassungen der Leistungsbeträge an das tatsächliche Einkommen des Herrn  F. (Bescheide vom 22. Juli, 5. November und 1. Dezember 2015) bewusst sein musste, dass auch künftig mit solchen Korrekturen zu rechnen sein würde. Nach ihrem Bildungsstand und nach dem Eindruck des Senats in der mündlichen Verhandlung war sie auch in der Lage, dies zu erkennen, zumal nach eigenem Bekunden sie es war, die häufig für Herrn  F. „den Papierkram“ erledigt hat. Die Erstattungsforderung beruht auf § 50 SGB X.

 

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

5. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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