L 8 KR 129/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 2 KR 618/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 129/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 26/22 B
Datum
Kategorie
Urteil


I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. Februar 2020 wird zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe der Kläger als freiwillig versicherter hauptberuflich Selbständiger Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) zu zahlen verpflichtet ist.

Der 1970 geborene Kläger war zunächst von März 2014 bis einschließlich Dezember 2014 als hauptberuflich Selbstständiger freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten zu 1. Eine Beitragseinstufung erfolgte in diesem Zeitraum auf der Grundlage der besonderen beitragspflichtigen Mindesteinnahmen für Selbständige. Ab Januar 2015 bis einschließlich Oktober 2016 bezog der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und wurde als pflichtversichertes Mitglied der Beklagten zu 1. geführt.

Im Februar 2017 beantragte der Kläger die weitere Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1. Er gab an, fortlaufend selbständig tätig zu sein mit einem monatlichen Einkommen in Höhe von durchschnittlich 1.000 Euro; zugleich stellte er einen Antrag auf Beitragsermäßigung. Ergänzend legte der Kläger seinen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2015 vor, nach dem er im betreffenden Jahr Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 13.111 Euro erzielt hatte. 

Die Beklagte zu 1. stellte mit – auch im Namen der Beklagten zu 2. ergangenem – Bescheid vom 11. April 2017 fest, dass der Kläger ab dem 1. November 2016 als Selbständiger freiwillig bei ihr versichert sei. Zugleich setzte sie die ab 1. November 2016 zu zahlenden Beiträge zur GKV und sPV auf der Grundlage der sog. besonderen beitragspflichtigen Mindesteinnahmen in Höhe von monatlich 1.452,50 Euro für das Jahr 2016 bzw. 1487,50 Euro für das Jahr 2017 fest. Dies ergab auf der Grundlage eines ermäßigten Beitragssatzes von 14 % zuzüglich eines Zusatzbeitrags in Höhe von 1 % eine monatliche Beitragshöhe von 217,88 Euro ab dem 1. November 2016 bzw. 223,13 Euro ab dem 1. Januar 2017 zur GKV sowie in Höhe von 34,13 Euro ab dem 1. November 2016 bzw. 37,93 Euro ab dem 1. Januar 2017 zur sPV. 

Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 4. Mai 2017 Widerspruch. Seine Einnahmen als Selbständiger lägen nach Abzügen unterhalb des gesetzlich geschützten Existenzminimums. Gemäß dem Gleichheitssatz werde er daher lediglich Zahlungen in Höhe der Beiträge leisten, die auch für Personen gezahlt würden, die aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II pflichtversichert seien. Ergänzend wies der Kläger darauf hin, dass seine Einnahmen im Jahr 2017 den Betrag von 10.000 Euro voraussichtlich nicht übersteigen würden. 

Mit Schreiben vom 9. Mai 2017 und vom 12. Juni 2017 bot die Beklagte dem Kläger an zu klären, ob er versicherungsrechtlich als haupt- oder nebenberuflich Selbständiger zu behandeln sei. Die hierfür angeforderten weiteren Auskünfte insbesondere zur wöchentlichen Arbeitszeit, die der Kläger für seine selbständige Tätigkeit aufwendete, erteilte dieser nicht.

Mit Schreiben vom 10. Juli 2017 stellte die Beklagte zu 1. dem Kläger gegenüber die Beitragsberechnung für Selbständige dar. Die Beitragsbemessung erfolge in seinem Fall auf Grundlage der Mindestbemessungsgrenze für einkommensschwache Selbständige in Höhe von 1.487,50 Euro. Eine weitere Beitragsreduzierung für einen hauptberuflich Selbständigen sei nicht möglich. Lägen die Einkünfte des Klägers unterhalb des Existenzminimums, so müsste dieser sich ggf. an das Jobcenter wenden und Arbeitslosengeld II beantragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2017 wies die Beklagte zu 1. – auch im Namen der Beklagten zu 2. – den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Nach § 240 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) (in der insoweit anwendbaren, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung, im Weiteren: § 240 SGB V a.F.) in Verbindung mit § 7 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BVSzGs) sei der Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig tätig seien, für den Kalendertag mindestens der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße zu Grunde zu legen (sog. besondere beitragspflichtige Mindesteinnahmen). Die Beitragsbemessung in der sPV erfolge analog der Beitragsbemessung in der GKV (unter Verweis auf § 57 Abs. 4 S. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI] i.V.m. § 1 Abs. 2 BVSzGs). Entsprechend dem Antrag des Klägers auf Beitragsermäßigung vom 4. April 2017 habe die Beklagte zu 1. seine Beiträge ab dem 1. November 2016 anhand der besonderen beitragspflichtigen Mindesteinnahmen für hauptberuflich Selbständige festgesetzt. Eine geringere Beitragseinstufung sei rechtlich nicht möglich.

Hiergegen hat der Kläger am 20. November 2017 Klage bei dem Sozialgericht Kassel erhoben und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der Beitragsbemessungsgrundlage für Solo-Selbständige erhoben. Seine monatlichen Beiträge stünden in einem völligen Missverhältnis zu seinen tatsächlichen Einnahmen. Dies führe zu einer monatlich steigenden Verschuldung, was existenzbedrohend sei und der höchstrichterlichen Rechtsprechung bezüglich des dem Einzelnen zustehenden Existenzminimums widerspreche. Vorliegend werde von einem fiktiven Monatseinkommen ausgegangen, welches er tatsächlich nicht erwirtschafte. Die Anrechnung fiktiven Einkommens sei sowohl im SGB II als auch nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) rechtswidrig, so dass nicht nachzuvollziehen sei, wie die daraus resultierende Ungleichbehandlung bei der Beitragsbemessung nach dem SGB V (und SGB XI) rechtmäßig sein solle. Er müsse zudem einen Mindestbeitrag zahlen, der deutlich über dem Betrag liege, der für Angestellte mit gleichem Einkommen gelte. Seine Intention, nicht auf – staatlich finanzierte – Transferleistungen zurückzugreifen, werde unterlaufen. Es sei schwierig, Transferleistungen zu erhalten, wenn gleichzeitig eine selbständige Tätigkeit ausgeübt werde. Er selbst habe mehrfach Rechtsmittelverfahren führen müssen, um seine Hilfebedürftigkeit unter Anrechnung des erzielten Einkommens, Darlehen der Eltern und notwendiger Betriebsausgaben darzulegen. Zudem bestünde für ihn ein finanzielles Risiko, da Arbeitslosengeld II in seinem Fall nur vorläufig bewilligt werde, bis sein Einkommen endgültig feststehe. So sei er in der Folge Rückforderungen des Jobcenters ausgesetzt. Sein Ziel sei es, eine Gleichbehandlung mit Beschäftigten bei der Berechnung der Beiträge zu erreichen, bei der auch seiner Beitragsfestsetzung das tatsächliche Einkommen zu Grunde gelegt werde. Die gegenwärtigen Berechnungsgrundlagen für die Beitragserhebung verstießen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. 

Während des laufenden Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 22. Dezember 2017 die ab dem 1. Januar 2018 zu zahlenden Beiträge des Klägers auf der Grundlage der für das Jahr 2018 geltenden monatlichen besonderen Mindestbemessungsgrenze (1.522,50 Euro) vorläufig festgesetzt und diese vorläufige Festsetzung mit Bescheid vom 30. April 2018 – unter Berücksichtigung weiterer Unterlagen des Klägers – bestätigt.

Das Sozialgericht Kassel hat die Bescheide vom 22. Dezember 2017 und vom 30. April 2018 gemäß § 96 SGG in das Verfahren einbezogen und den Antrag des Klägers, die Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2017 in der Fassung der Bescheide vom 22. Dezember 2017 und 30. April 2018 zu verpflichten, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens neu zu bescheiden, mit Urteil vom 26. Februar 2020 abgewiesen. Die Beklagte zu 1. habe die Beiträge ab November 2016 zutreffend anhand der besonderen beitragspflichtigen Mindesteinnahmen für hauptberuflich Selbständige festgesetzt, wie sie sich aus § 240 SGB V, § 7 BVSzGs ergebe. Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V werde für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Dabei sei nach Satz 2 der Vorschrift sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtige; sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegten, gelte als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V). Als beitragspflichtige Mindesteinnahmen gelte nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V für den Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig seien, gelte hiervon abweichend gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223 SGB V), bei Nachweis niedriger Einnahmen jedoch mindestens der 40., für freiwillige Mitglieder, die einen monatlichen Gründungszuschuss nach § 93 des Dritten Buches oder eine entsprechende Leistung nach § 16 b des Zweiten Buches erhielten, der 60. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestimme auf Grundlage des § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V, unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus der Beitragsbemessung hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger niedrigere Einnahmen, mindestens jedoch der 60. Teil der monatlichen Bezugsgröße, zugrunde gelegt würden. § 7 Abs. 4 Satz 1 BVSzGs greife diese Regelung auf, indem er vorsehe, dass auf Antrag die Beiträge für Mitglieder, deren beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag 1/40 der monatlichen Bezugsgröße unterschritten, nach den tatsächlichen Einnahmen, mindestens jedoch nach 1/60 der monatlichen Bezugsgröße für den Kalendertag zu bemessen seien. Ausweislich des Steuerbescheides vom 2. Dezember 2016 für das Jahr 2015 ergäben sich bei dem Kläger Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in diesem Jahr in Höhe von 13.111,00 Euro. Mindestbeiträge nach der Härtefallregelung des § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 4 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler fielen in Höhe von 1/60 der monatlichen Bezugsgröße pro Kalendertag an. Für das Kalenderjahr 2016 betrage die monatliche Bezugsgröße 2.905,00 €. 1/60 hiervon seien 48,42 €, hochgerechnet auf einen Monat 1.452,50 €. Bei einem Beitragssatz von 14% ergebe sich ein Beitrag in Höhe von 203,35 Euro zuzüglich des Zusatzbeitrages in Höhe von 1%, der 14,53 Euro entspreche. Für das Kalenderjahr 2017 betrage die monatliche Bezugsgröße 2.975,00 Euro. 1/60 hiervon seien 49,58 €, hochgerechnet auf einen Monat 1.487,50 €. Bei einem Beitragssatz von 14% ergebe sich ein Beitrag in Höhe von 208,25 Euro zuzüglich des Zusatzbeitrages in Höhe von 1%, der 14,88 Euro entspreche. Die Berechnungen der Beklagten seien nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe zutreffend in den weiteren Zeiträumen eine Beitragsberechnung anhand der Mindestbemessungsgrenze vorgenommen.

Die Festlegung einer Mindestbeitragsbemessungsgrenze für freiwillig Versicherte sei auch mit der Verfassung vereinbar. Dies gelte, obwohl zum Teil geringverdienende Pflichtversicherte mit geringeren Beiträgen belastet würden als die Mindestbeitragsbemessungsgrenze für freiwillig Versicherte dies vorsehe (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 07. November 1991, Az.: 12 RK 37/90 – juris Rn. 23 ff.; BSG Urteil vom 26. September 1996, Az.: 12 RK 46/95 – juris Rn. 34 ff.; BVerfG, Entscheidung vom 21. Mai 2001, Az.: 1 BvL 4/96). Die Beitragshöhe bei freiwilliger Mitgliedschaft könne – auch bei Mittellosigkeit – nicht unter dem gesetzlichen Mindestbeitrag festgesetzt werden (unter Verweis auf Bayerisches LSG, Beschluss vom 17. Mai 2019, Az.: L 5 KR 284/19 B ER). Sofern der Kläger vortrage, er zahle nur die Beiträge, die das Jobcenter an die Beklagte zahlen müsste, sofern er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten würde, biete diese Beitragsberechnung keine gesetzliche Grundlage. Es liege keine Benachteiligung in einer höheren Beitragspflicht. Für den Kläger bestehe die Möglichkeit, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des Zweiten Buches zu beantragen, um sein Existenzminimum zu sichern. Lehne der Kläger hingegen Leistungen nach den Vorschriften des SGB II ab, so führe diese Ablehnung nicht dazu, dass verfassungsrechtliche Bedenken seitens des Gerichts zur Beitragsbemessung von freiwillig Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung bestünden. Es liege keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von geringverdienenden Beschäftigten, die pflichtversichert seien, und Solo-Selbstständigen mit geringem Einkommen, die freiwillig versichert seien, vor. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebiete keine andere Auslegung. Die unterschiedliche Behandlung der beitragspflichtigen Einnahmearten bei den verschiedenen Mitgliedergruppen (freiwillig Versicherte und Pflichtversicherte) verstoße nicht gegen Art. 3 GG. Eine ungleiche Behandlung mehrerer Gruppen von Normadressaten sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestünden, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (unter Verweis auf BSG, Urteil vom 24. November 1992, Az.: 12 RK 8/92). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer nach eigener Prüfung und Überzeugung anschließe, habe der Gesetzgeber nach generellen Merkmalen bestimmte und heute im Katalog des § 5 Abs. 1 SGB V aufgeführte Personengruppen als besonders schutzbedürftig angesehen und sie deshalb der Versicherungspflicht unterworfen (BSG, Urteil vom 24. November 1992, Az.: 12 RK 8/92 m.w.N.). Soweit der Gesetzgeber demgegenüber dem Satzungsgeber gestattet und aufgetragen habe, die Einzelheiten der Beitragsbemessung für die freiwilligen Mitglieder - ausgerichtet an der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Mitglieds - in der Satzung näher zu regeln, sei dies gleichfalls nicht zu beanstanden (BSG, Urteil vom 15. September 1992, Az.: 12 RK 51/91). Denn für die Beitragsbemessung komme bei vielen freiwillig versicherten Mitgliedern, von denen manche eine selbständige Tätigkeit ausübten oder nicht erwerbstätig seien, das Arbeitsentgelt als Bemessungsgrundlage nicht in Betracht. Wenn der Gesetzgeber andererseits aber eine unterschiedliche Regelung für verschiedene Gruppen freiwillig Versicherter je nach Art ihrer Einkünfte habe vermeiden wollen, so liege es im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit, die Beitragsbemessung grundsätzlich an der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten (BSG, Urteil vom 24. November 1992, Az.: 12 RK 8/92 m.w.N.). Wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit äußerst gering sei, habe der Gesetzgeber über weitere Regelungen im Bereich der Sozialgesetzbücher einen „Ausgleich“ vorgesehen (z.B. § 26 SGB II). Sofern der Kläger sein Existenzminimum bedroht sehe, so griffen die Vorschriften zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches ein, die wiederum auch eine versicherungspflichtige Mitgliedschaft bei der Beklagten ermöglichten. Eine weitere Änderung der Beitragsbemessung im Rahmen der freiwilligen Mitgliedschaft komme jedoch nicht in Betracht. 

Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 7. Mai 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. Mai 2020 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt, die er wie schon zuvor seine Klage begründet hat. 

Die Beklagte zu 1. hat im Verlauf des Berufungsverfahrens die Höhe der Beiträge zur GKV sowie, für die Beklagte zu 2. handelnd, zur sPV wiederholt angepasst. Die Berechnung erfolgte jeweils wegen unterschreitenden Einkommens auf Grundlage der geltenden Mindestbemessungsgrenze (MBG). Im Einzelnen: 
-    Bescheid vom 14. September 2018: vorläufige Festsetzung der Beiträge ab 08/2018 in Höhe von 265,67 Euro (MBG: 1.522,50 Euro);
-    Bescheid vom 19. Dezember 2018: vorläufige Festsetzung für 12/2018 in Höhe von 265,67 Euro und ab 01/2019 in Höhe von 184,31 Euro (MBG: 1.038,33 Euro);
-    Bescheid vom 9. Januar 2019: Festsetzung (ggf.: des noch offenen Beitrags) für 12/2018 in Höhe von 261,13 Euro und seit 01/2019 in Höhe von 184,31 Euro mtl. auf Grundlage der Einkommensanfrage 2019;
-    Bescheid vom 2. Januar 2020: Mitteilung fälliger Beiträge für 12/2018 (Beitragsrückstand 0,50 Euro) und 12/2019 (184,31 Euro); Festsetzung der Beitragshöhe seit 01/2020 in Höhe von 188,44 Euro (MBG: 1.061,67 Euro);
-    Bescheid vom 7. Januar 2020: endgültige Festsetzung für 01-12/2018 auf Grundlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2018 in Höhe der vorläufigen Festsetzung von 265,67 Euro; i.Ü. Wiederholung der Festsetzungen aus dem Bescheid vom 2. Januar 2020;
-    Bescheid vom 19. Dezember 2020: Festsetzung der Beiträge für 12/2020 in Höhe von 188,44 Euro (vgl. schon Bescheid vom 2. Januar 2020) sowie ab 01/2021 in Höhe von 200,14 Euro (Anhebung Zusatz-Beitragssatz um 0,5 % und Anhebung MBG auf 1.096,67 Euro in 2021);
-    Bescheid vom 8. Januar 2021: Wiederholung der Festsetzung für 12/2020 und ab 01/2021 wie im Bescheid vom 19. Dezember 2020, hier unter Berücksichtigung der Angaben auf der Einkommensanfrage aus dem Jahr 2020; 
-    Bescheid vom 11. Januar 2022: Festsetzung seit 01/2022 in unveränderter Höhe (200,14 Euro) unter Berücksichtigung der Angaben auf der Einkommensanfrage aus dem Jahr 2022.

Der Kläger beantragt, 
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. Februar 2020 aufzuheben und die Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2017 sowie der Bescheide vom 22. Dezember 2017, vom 30. April 2018, vom 14. September 2018, 19. Dezember 2018, 9. Januar 2019, 2. Januar 2020, 7. Januar 2020, 19. Dezember 2020, 8. Januar 2021 und 11. Januar 2022 zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens neu zu bescheiden. 

Die Beklagten beantragen, 
die Berufung zurückzuweisen.

Sie schließen sich den ihrer Auffassung nach zutreffenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung an.

Den mit der Berufung gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe hat der Senat mit Beschluss vom 10. August 2020 unter Verweis auf die fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die fehlenden erforderlichen Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. Februar 2020 ist nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Bescheid vom 11. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2017 in der Fassung der Bescheide vom 22. Dezember 2017 und 30. April 2018 nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Senat verweist hier vollumfänglich auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich nach Prüfung zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG). 

Über die nach Einlegung der Berufung ergangenen Beitragsbescheide der Beklagten vom 14. September 2018, 19. Dezember 2018, 9. Januar 2019, 2. Januar 2020, 7. Januar 2020, 19. Dezember 2020, 8. Januar 2021 und 11. Januar 2022 entscheidet der Senat auf (Anfechtungs-) Klage gem. § 54 Abs. 1 SGG. Auch diese kann keinen Erfolg haben. Soweit die Bescheide vom 14. September 2018, 19. Dezember 2018 und 9. Januar 2019 Regelungen zur vorläufigen Beitragshöhe für das Jahr 2018 enthalten, ist die Klage unzulässig, weil diese Bescheide sich mit der endgültigen Festsetzung im Bescheid von 7. Januar 2020 erledigt haben. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, da die angegriffenen Bescheide nicht rechtswidrig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen.

§ 240 SGB V, der der Beitragsberechnung freiwillig versicherter Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, zu Grunde liegt, hat allerdings im streitgegenständlichen Zeitraum mehrfache und teils grundlegende Änderungen erfahren. Mit Einführung des § 240 Abs. 4a SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2018 hat der Gesetzgeber die Frage der vorläufigen bzw. endgültigen Festsetzung der Beiträge auf Einkommen aus selbständiger Tätigkeit neu geregelt. Während zuvor gemäß § 240 Abs. 4 Satz 6 SGB V a. F. die Berücksichtigung des jeweils aktuellsten Einkommenssteuerbescheides nur für die Zukunft und damit teilweise eine um Jahre verzögerte Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen vorgesehen war, die noch dazu von den Arbeitszeiten der Finanzbehörden, aber auch durch verspätete Einreichungen von Steuererklärungen beeinflusst wurde, findet nunmehr eine vorläufige Beitragsfestsetzung statt (§ 240 Abs. 4a Sätze 1 und 2 SGB V), die nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das jeweilige Kalenderjahr durch eine endgültige Festsetzung auf Grundlage der tatsächlich erzielten Einnahmen ersetzt wird (§ 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V). Nur wenn das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nachweist, gilt für die endgültige Beitragsfestsetzung nach Satz 3 als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V). 

Zum 1. Januar 2019 hat der Gesetzgeber zudem – für den Kläger bedeutsam – die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage für hauptberuflich Selbständige abgesenkt. Gemäß § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V gilt als beitragspflichtige Einnahme freiwillig Versicherter für den Kalendertag nach wie vor mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Diese Regelung ist nunmehr, nach Wegfall der früheren Sätze 2 und 3 des Absatzes, auch auf Selbständige anwendbar. Die Absenkung der Beitragsbemessungsgrundlage ist bei Nachweis eines entsprechend niedrigen Einkommens mithin nicht mehr auf 30/60 der Bezugsgröße begrenzt. Im Übrigen gelten weiterhin die eingeführten Regelungen zur vorläufigen und endgültigen Festsetzung der Beitragsverpflichtungen Selbständiger.

Die Beklagte zu 1. hat den Berechnungen der Beiträge des Klägers, beginnend mit dem 1. August 2018 (Bescheid vom 14. September 2018), die jeweils geltenden Regelungen zugrunde gelegt, wobei sie in allen Fällen von der gesetzlich vorgesehenen Mindestbemessungsgrundlage, d. h. der für freiwillig versicherte selbständige Mitglieder niedrigsten möglichen Bemessungsgrundlage, ausgegangen ist (bis zum 31. Dezember 2018: mtl. 30/60 der monatlichen Bezugsgröße von 3.045 Euro, ab dem 1. Januar 2019 30/90 der monatlichen Bezugsgröße in Höhe von 3.115 Euro [2019], 3.185 Euro [2020] bzw. 3.290 Euro [2021 und 2022]. Berechnungsfehler bei der Ermittlung der sich hieraus ergebenden Höhe der Beiträge sind nicht erkennbar. Soweit die Beklagte in den Bescheiden nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass die Festsetzung vorläufig erfolge (so ab dem Bescheid vom 9. Januar 2018), hat der Kläger dies weder angegriffen, noch ist er hierdurch beschwert. Denn die Festsetzung erfolgte jeweils in Höhe des niedrigsten möglichen Beitragssatzes, so dass sich eine erschwerte nachträgliche Änderung dieser Festsetzung nach den §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) allenfalls zu Gunsten des Klägers auswirken könnte.

Hinsichtlich der von dem Kläger geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken ist schließlich auch im Rahmen der Klagabweisung auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung zu verweisen, die der Senat sich bereits im Rahmen der Zurückweisung der Berufung zu eigen gemacht hat. Zur Überzeugung des Senats ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber bei den freiwillig Versicherten anders als bei den Pflichtversicherten im Interesse der Funktionsfähigkeit der Krankenversicherung nicht darauf verzichtet hat, Beiträge in einer gewissen Mindesthöhe zu erheben und damit eine gewisse Beitrags- und Leistungsäquivalenz herzustellen (BSG, Urteil vom 30. November 2016 - B 12 KR 6/15 R -, juris Rn. 36). Sofern diese Beitragslast dazu führt, dass bei einem Selbständigen – wie dem Kläger – Hilfebedürftigkeit nach Maßgabe von §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9, 19 ff. SGB II eintritt, erfolgt eine Entlastung im Rahmen der Grundsicherungsleistungen nach diesem Buch (Begründung der Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V über den allgemeinen Leistungsbezug bzw. Zuschüsse zu den Versicherungsbeiträgen nach § 26 Abs. 2, 4 SGB II, wenn Hilfebedürftigkeit nur durch diese entsteht). Das Existenzminimum der Betroffen ist damit zu jeder Zeit gesichert. Soweit ein Versicherter – wie hier der Kläger – Leistungen nach dem SGB II nicht in Anspruch nehmen möchte bzw. eine Antragstellung aufgrund der Besonderheiten der Leistungsberechnung bei selbständig Tätigen ablehnt, führt dies weder zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Beitragsregelungen noch – vorliegend – der an den Kläger adressierten Beitragsbescheide. All dies gilt umso mehr angesichts des Umstandes, dass der Gesetzgeber die Mindestbemessungsgrundlage der Beitragserhebung bei freiwillig versicherten Selbständigen zum 1. Januar 2019 gegenüber der Vorregelung noch weiter, nämlich auf ein Drittel der monatlichen Bezugsgröße abgesenkt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
 

Rechtskraft
Aus
Saved