L 5 AS 1449/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 53 AS 6821/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1449/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Krankengeld ist nicht schon deshalb eine als Nachzahlung zufließende Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II, weil es nicht pro Kalendertag, sondern "abschnittsweise nachträglich" gezahlt wird.

 

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand:

 

Der Kläger begehrt für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Mai 2017 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) als die, die der Beklagte ihm für diese Zeit bereits bewilligt hat. Zwischen ihm und dem Beklagten steht in Streit, ob das ihm (dem Kläger) am 1. Dezember 2016 für die Zeit vom 26. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016 gezahlte Krankengeld als laufende (im Dezember 2016) oder als einmalige Einnahme (verteilt auf sechs Monate, beginnend ab Dezember 2016) anzurechnen ist. 

 

Der am 17. Dezember 1984 geborene, erwerbsfähige Kläger wohnte in den Jahren 2016 und 2017 in einer Unterkunft, für deren Gebrauch er eine Brutto-Warmmiete in Höhe von 375,27 € monatlich (280,77 € monatlich als Grundmiete, 61,95 € monatlich als Betriebskostenvorauszahlungen, 29,70 € monatlich als Heizkostenvorauszahlungen und 2,85 € monatlich als Vorauszahlungen für Wasser) schuldete.

 

Bis zum 30. November 2016 stand er in einem Arbeitsverhältnis. Vom 6. Januar 2016 bis zum 30. November 2016 war er infolge Krankheit arbeitsunfähig. Das letzte Arbeitsentgelt (Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) floss ihm am 16. Februar 2016 zu (für Januar 2016 in Höhe von 1.162,91 €). Die Krankenkasse, deren Mitglied er ist, zahlte ihm Krankengeld wie folgt:

 

Überweisungsdatum

Arbeitsunfähigkeitszeitraum

Höhe

11.03.2016

30.01.2016 – 29.02.2016

996,80 €

29.03.2016

01.03.2016 – 21.03.2016

654,15 €

22.04.2016

22.03.2016 – 18.04.2016

841,05 €

10.06.2016

19.04.2016 – 24.05.2016

1.121,40 €

08.07.2016

25.05.2016 – 04.07.2016

1.246,00 €

05.08.2016

05.07.2016 – 28.07.2016

747,60 €

08.09.2016

29.07.2016 – 01.09.2016

1.027,95 €

05.10.2016

02.09.2016 – 26.09.2016

778,75 €

03.11.2016

27.09.2016 – 25.10.2016

903,35 €

01.12.2016

26.10.2016 – 30.11.2016

1.090,25 €

 

Für die Zeit vom 1. Dezember 2016 bis zum 30. November 2017 bezog der Kläger Arbeitslosengeld in Höhe von 658,80 € monatlich.

 

Den Erstantrag des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 2016 ab. Am 26. Oktober 2016 erhob der Kläger Widerspruch. Zu dessen Begründung gab er unter anderem an:

 

„Das mir, auf Grund des Krankengeldes, bis November keine Leistungen vom Jobcenter zustehen, ist schon klar, aber ab Dezember bin auf Leistungen angewiesen.“

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. In der Begründung des Widerspruchsbescheids heißt es:

 

„Der Widerspruchsführer erhält im September 2016 Arbeitsentgelt in Höhe von 1.759,50 Euro brutto/1.390,46 Euro netto, ab Oktober erhält er monatlich Krankengeld in Höhe von 934,50 Euro.

 

Unter Berücksichtigung der Absetzbeträge deckt er mit seinem Einkommen seinen Bedarf in Höhe von 761,33 Euro vollständig selbst, so dass er nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II ist.

 

Ein Anspruch auf Leistungen des Jobcenters besteht daher nicht.

 

Sofern der Widerspruchsführer vorträgt, dass die Ablehnung für die Zeit bis Juli 2017 erfolgte, er jedoch nur bis Ende November 2016 Krankengeld bezieht, wird festgestellt, dass sich die Ablehnung auf die Zeit ab 01.09.2016 jedoch nicht befristet bis zum 31. Juli 2017 bezieht.

 

Sofern sich die Einkommenssituation des Widerspruchsführers ändert, kann auch vor Ablauf des Juli 2017 unter Nachweis der Einkommenssituation erneut ein Leistungsantrag gestellt werden.“   

 

Am 9. Dezember 2016 füllte der Kläger das Formular „Weiterbewilligungsantrag –  Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“ aus, dessen Inhalts wegen auf Bl. 799 – 800 R der Akten des Beklagten Bezug genommen wird. Unter dem Wort „Eingangsstempel“ findet sich ein Stempel mit den Kürzeln/Worten „PE Tresen am 09.12.2016“. Unter den Worten „Tag der Antragstellung“ steht: „31.08. 2016“, und unter den Worten „Ende des laufenden Bewilligungsabschnitts“ ist nichts eingetragen.

 

Mit Bescheid vom 21. Februar 2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Dezember 2016 bis zum 30. November 2017, und zwar für Dezember 2016 in Höhe von 30,47 € und für Januar 2017 bis einschließlich Mai 2017 in Höhe von 29,74  monatlich. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid:

 

„Sie haben am 01.12.2016 eine Nachzahlung des Krankengeldes für den Zeitraum vom 26.10.2016 bis 30.11.2016 in Höhe von 1090,25 Euro erhalten. Da die Anrechnung dieses Betrages zu einer Ablehnung wegen übersteigenden Einkommens im Monat Dezember 2016 führen würde, wurde die Nachzahlung gemäß § 11 Abs. 3 SGB II auf sechs Monate verteilt und monatlich in Höhe von 181,71 Euro als ʽsonstiges Einkommenʼ erfasst.“

 

Am 27. Februar 2017 erhob der Kläger Widerspruch. Das ihm am 1. Dezember 2016 überwiesene Krankengeld sei keine einmalige, sondern eine laufende Einnahme. Dass er für Dezember 2016 – aufgrund der letzten Krankengeldzahlung am 1. Dezember 2016 – keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II habe, sei ihm klar gewesen, aber ab Januar 2017 habe er einen Anspruch „ganz regulär“.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2016 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

 

Am 24. Mai 2017 hat der Kläger Klage erhoben. Da das ihm zugeflossene Krankengeld keine einmalige, sondern eine wiederkehrende Einnahme sei, dürfe es nur im Dezember 2016 angerechnet werden.

 

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten „unter teilweiser Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 21.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26..04.2017 zu verpflichten“, ihm „weitere SGB II-Leistungen ohne Anrechnung von sonstigem Einkommen in Höhe von 181,71 €/Monat in den Monaten Januar bis Mai 2017 zu bewilligen und auszuzahlen“.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 24. Juli 2019 hat das Sozialgericht den Beklagten „unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 24. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2017“ verurteilt, dem Kläger „für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Mai 2017 weitere Leistungen in Höhe von 181,71 Euro monatlich zu gewähren“. Das dem Kläger zugeflossene Krankengeld sei keine einmalige, sondern eine laufende Einnahme. Es sei regelmäßig nach Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu zahlen gewesen. Mit der Überweisung des Krankengeldes habe die Krankenkasse, deren Mitglied der Kläger sei, keine Nachzahlung bezweckt. Die Überweisungen seien allesamt „turnusmäßig“ erfolgt.

 

Am 30. Juli 2019 hat der Beklagte Berufung eingelegt. Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Dezember 2008 (B 4 AS 70/07 R) ergebe sich, dass die Art und Weise, wie die Krankenkassen Krankengelder zahlten, rechtswidrig sei, und dass das dem Kläger gezahlte Krankengeld eine einmalige Einnahme respektive „Nachzahlung“ im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II sei, die gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II verteilt auf einen Zeitraum von sechs Monaten anzurechnen sei.

 

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juli 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.  

 

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten des Beklagten und des Gerichts Bezug genommen, die vorgelegen haben und Grundlage der Entscheidung geworden sind. 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 8. Dezember 2021, Schriftsatz des Beklagten vom 20. Dezember 2021), § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG

 

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

 

Gegenstand des Verfahrens sind der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juli 2019, der Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. April 2017 sowie der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Mai 2017.

 

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger ist beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), da der Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. April 2017 rechtswidrig ist. Der Kläger hat für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Mai 2017 Anspruch auf weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 181,71 € monatlich.

 

Die Voraussetzungen der §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1, 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II lagen in der Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Mai 2017 vor. Der Kläger war damals 32 Jahre alt und erwerbsfähig, er hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und er war hilfebedürftig. Er hatte einen Regelbedarf in Höhe von 409,00 € monatlich (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 ‹Bundesgesetzblatt 2016 Teil I S. 3159›) und einen Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 375,27 € monatlich (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) (Gesamtbedarf: 784,27 € monatlich). An Einkommen, das auf diese Bedarfe gemäß §§ 9 Abs. 1, 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzurechnen war, stand ihm lediglich Arbeitslosengeld in Höhe von 658,80 € monatlich zur Verfügung. Das ihm am 1. Dezember 2016 zugeflossene Krankengeld war ab Januar 2017 kein zu berücksichtigendes Einkommen mehr, sondern Vermögen, das (sofern es im Januar 2017 noch als „bereites Mittel“ zur Verfügung stand) gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 4 SGB II „geschützt“ war.

 

Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich alles das, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was der Leistungsberechtigte vor der Antragstellung bereits hatte (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 2015, B 4 AS 22/14 R).

 

Der Kläger hat bei dem Beklagten einen (zweiten) Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erst am 1. Januar 2017 gestellt. Dies ergibt die Auslegung des „Weiterbewilligungsantrags“, den der Kläger dem Beklagten am 9. Dezember 2016 vorgelegt hat.

 

Ein Antrag ist unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens auszulegen (vgl. § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ‹BGB›, § 123 SGG). Die Auslegung hat sich danach zu richten, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen. Der Antrag ist so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt („Meistbegünstigungsprinzip“) (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009, B 14 AS 75/08 R). Im Zweifel ist anzunehmen, dass alle Leistungen beantragt werden, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (BSG, Urteil vom 22. März 2010, B 4 AS 62/09 R). Dem Antragsteller steht es frei, über den Beginn der Leistungsinanspruchnahme zu bestimmen (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 2015, B 4 AS 22/14 R).

 

Aus dem Formular „Weiterbewilligungsantrag – Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)“, das der Kläger am 9. Dezember 2016 ausgefüllt und bei dem Beklagten eingereicht hat, ergibt sich der Beginn des Zeitraums, für den der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltsnach dem SGB II beantragt hatte, nicht. Unter den Worten „Tag der Antragstellung“ steht „31.08. 2016“, und unter den Worten „Ende des laufenden Bewilligungsabschnitts“ ist nichts eingetragen. Die Umstände sprechen dafür, dass der Kläger mit diesem Formular Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erst für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 beantragen wollte. Denn ausgefüllt und eingereicht hat der Kläger dieses Formular erst am 9. Dezember 2016 (als ihm das Krankengeld für die Zeit vom 26. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016 bereits zugeflossen war), nicht schon im November 2016 oder am 1. Dezember 2016. Und bereits mit seinem „Erstantrag“ aus September/Oktober 2016 bzw. seinem Widerspruchsschreiben vom 26. Oktober 2016 hatte der Kläger klargestellt, dass er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erst für die Zeit begehrt, für die er keinen Anspruch auf Krankengeld mehr hat („Das mir, auf Grund des Krankengeldes, bis Ende November keine Leistungen vom Jobcenter zustehen, ist schon klar […].“). Hinzu tritt, dass der Beklagte (noch) im Ablehnungsbescheid vom 10. Oktober 2016 die Ansicht vertreten hatte, dass Krankengeld nur in dem Monat, in dem es zufließt, anzurechnen sei (andernfalls hätte er dem Kläger im/ab Oktober 2016 Leistungen nach dem SGB II bewilligen müssen, da 1/6 des dem Kläger im Oktober 2016 zugeflossenen Krankengeldes – dies waren nach Ansicht des Beklagten laut Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2017 943,50 € – den Gesamtbedarf des Klägers im Oktober 2016 nicht gedeckt hätte).

 

Selbst wenn jedoch der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bereits ab dem 1. Dezember 2016 beantragt hätte, wäre das ihm am 1. Dezember 2016 zugeflossene Krankengeld nur im Dezember 2016 anzurechnen, und nicht – jeweils in Höhe von 1/6 – für die Zeit vom 1. Dezember 2016 bis zum 31. Mai 2017. § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II in der vom 1. April 2011 bis zum 31. Juli 2016 gültigen Fassung respektive § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II in der seit dem 1. August 2016 gültigen Fassung findet keine Anwendung. Das dem Kläger am 1. Dezember 2016 für die Zeit vom 1. Dezember 2016 für die Zeit vom 26. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016 überwiesene Krankengeld ist keine einmalige, sondern eine laufende Einnahme (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 4 AS 70/07 R). Es gehört auch nicht gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II in der seit dem 1. August 2016 gültigen Fassung zu den einmaligen Einnahmen, da es dem Kläger nicht „als Nachzahlung“ zugeflossen ist.

 

Ob der Begriff der „Nachzahlung“ nicht lediglich die abschließende, singuläre Restzahlung eines Zahlungspflichtigen meint, wenn er zuvor Abschlagszahlungen oder Vorauszahlungen auf seine Verbindlichkeit geleistet hat und die spätere Abrechnung höher ausfällt als alle vorangegangenen Vorauszahlungen (vgl. zu diesem Begriff der Nachzahlung: https://de.wikipedia.org/wiki/Nachzahlung), sondern jede „verspätete“, also erst nach Fälligkeit geleistete, Zahlung (so Sozialgericht ‹SG› Trier, Urteil vom 21. August 2020, S 4 AS 186/18; SG Frankfurt ‹Oder›, Urteil vom 27. November 2019, S 39 AS 1759/18), mithin auch Zahlungen, die sich nicht in einer einzigen Leistung erschöpfen, sondern typischerweise regelmäßig erbracht werden, kann dahinstehen. Denn jedenfalls ist das dem Kläger für die Zeit vom 26. Oktober 2016 bis zum 30. November 2016 geschuldete Krankengeld am 1. Dezember 2016 nicht „verspätet“ gezahlt worden.

 

Zwar hat der 4., mit Streitigkeiten nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende befasste, Senat des Bundessozialgerichts entschieden, dass Ansprüche auf Krankengeld nach festgestellter Arbeitsunfähigkeit mit jedem Tag der Arbeitsunfähigkeit für diesen fällig würden – weil der Anspruch auf Krankengeld (vom Fall der Krankenhausbehandlung und stationären Reha-Behandlung abgesehen) am Tag nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit entstehe (§ 46 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ‹SGB V›) und mit der Entstehung fällig werde (§ 41 Sozialgesetzbuch Erstes Buch ‹SGB I›), und weil das Krankengeld für Kalendertage zu zahlen sei (§ 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V) (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 4 AS 70/07 R) – und ist ein mit Streitigkeiten nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende befasster Senat des Bayrischen Landessozialgerichts und ist eine für Streitigkeiten nach dem Recht der Arbeitssuchende zuständige Kammer des Sozialgerichts Trier auf der Grundlage dieser Entscheidung zu dem Schluss gelangt, dass jedwedes Krankengeld, das nicht kalendertäglich gezahlt werde, „als Nachzahlung“ zufließe (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 28. Februar 2022, L 7 AS 40/22 B ER; SG Trier, Urteil vom 21. August 2020, S 4 AS 186/18).

 

Diese Entscheidungen stehen jedoch in Widerspruch zu der (überzeugenderen) Rechtsprechung der für das Recht der Krankenversicherung zuständigen Senate des Bundessozialgerichts. So heißt es in dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Mai 1992 (1 RK 26/91; Hervorhebungen nicht im Original):

 

„Die Zahlung des Krankengeldes nach Kalendertagen (vgl jetzt § 47 Abs 1 Satz 4 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB V -) ist durch das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I, S 1881) eingeführt worden. Diese Regelung löste die bisherige unterschiedliche Berechnung und Zahlung des Krankengeldes nach Kalender-, Arbeits- oder Werktagen ab, so daß das Krankengeld nach der Neuregelung auch für Sonnabende, Sonntage und Feiertage zu zahlen ist und es nicht mehr darauf ankommt, ob die Arbeitszeit verlegt und vor- oder nachgearbeitet worden ist […]. Der Grund für die bis heute beibehaltene Regelung läßt sich aus den Gesetzesmaterialien (vgl BR-Drucks 517/73, S 64 zu Nr 5 <§ 182 RVO> Buchst c und S 58f zu § 13 Abs 2) nicht entnehmen. Die Gesetzesänderung hängt aber offensichtlich damit zusammen, daß die Berechnung und die Zahlung gleichartiger Leistungen verschiedener Rehabilitationsträger harmonisiert werden sollten und die Beibehaltung der bisherigen Berechnungs- und Zahlungsweise vor allem bei längerfristigen medizinischen und berufsfördernden Maßnahmen Schwierigkeiten bereitet hätte […].

 

Im übrigen verpflichtete § 182 Abs. 4 Satz 4 RVO - ebenso wie jetzt § 47 Abs 1 Satz 1 SGB V - die Krankenkassen nicht, das Krankengeld täglich auszuzahlen. Die Gesetzesvorschriften sollen lediglich zum Ausdruck bringen, daß in die Krankengeldgewährung alle Tage einzubeziehen sind, an denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Es wird mit der Vorschrift also nur der Umfang der Leistungspflicht der Krankenkasse festgelegt. Dies gilt grundsätzlich auch für Fälle, in denen mehrere Wochen oder gar Monate Arbeitsunfähigkeit besteht. Allerdings war für eine längere Arbeitsunfähigkeit wegen der unterschiedlichen Länge der einzelnen Monate eine zusätzliche Vorschrift erforderlich. Sie findet sich in § 182 Abs. 4 Satz 5 RVO bzw. seit dem 1. Januar 1989 in § 47 Abs. 1 Satz 5 SGB V. Danach ist der Kalendermonat, wenn die Krankenkasse dem Versicherten für einen Monat Krankengeld zu gewähren hat, mit 30 Tagen anzusetzen. Auch insoweit handelt es sich lediglich um eine Umfangsbestimmung der Leistungspflicht.“

 

Und in dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 25. Oktober 1994 (3/1 RK 51/93) heißt es (Hervorhebungen nicht im Original):  

 

„Das nach § 57 Abs 1 SGB V anstelle der häuslichen Pflegehilfe zu zahlende Pflegegeld ist jeweils zu Beginn eines Kalendermonats fällig.

 

Gemäß § 41 SGB I werden Ansprüche auf Sozialleistungen mit ihrem Entstehen fällig, soweit die besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs keine Regelung enthalten. […]

 

[…]

 

Für die Fälligkeit des Pflegegeldes am Beginn eines Kalendermonats spricht zudem, dass monatlich bemessene laufende Geldleistungen im Sozialrecht durchweg am Monatsanfang fällig werden […]. Auch im Zivilrecht gilt bei vergleichbaren Leistungen, wie etwa der Leibrente, der Grundsatz der Vorauszahlung (§ 760 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>).

 

Ausnahmen von diesem Grundsatz sind jeweils ausdrücklich geregelt: Arbeitslosengeld (§ 122 AFG: nach Ablauf des Zahlungszeitraums), Kindergeld (§ 20 BKGG: zweimonatlich im Verlauf der beiden Monate, für die es bestimmt ist), Verletztengeld- und Übergangsgeld aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 619 Abs. 1 Satz 2 RVO); Übergangsgeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 118 Abs. 1 SGB VI). Für das Krankengeld regelt das SGB V den Auszahlungszeitpunkt nicht ausdrücklich - im Gegensatz zur RVO (§ 210 RVO: ʽDie Barleistungen mit Ausnahme des Sterbegelds werden mit Ablauf der Woche ausgezahltʼ). Fällig wird der Krankengeldanspruch gemäß § 46 Abs. 1 SGB V mit Beginn der Krankenhausbehandlung bzw. am Tag nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Aus dem Charakter des Krankengeldes als Ersatz für einen konkreten kurzfristigen Lohnausfall folgt jedoch, dass die Auszahlung wie auch bei dem ausfallenden Arbeitsentgelt abschnittsweise nachträglich erfolgt. Bei einem Vergleich mit dem Krankengeld ist zu beachten, dass es im Gegensatz zu den oben aufgeführten monatlich im voraus zu zahlenden Geldleistungen auf einen kurzfristigen Ausfall von Arbeitsentgelt reagiert und nicht für einen im vorhinein abschätzbaren längeren Zeitraum gedacht ist. Aus der nachträglichen Zahlungsweise des Krankengeldes lassen sich aus diesem Grund und wegen der anderen Zielrichtung des Pflegegeldes, auf die noch einzugehen sein wird, keine Rückschlüsse auf die Zahlungsweise des Pflegegeldes ziehen.“

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

 

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen
zur Prozesskostenhilfe

 

I. Rechtsmittelbelehrung

 

Diese Entscheidung kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.

 

Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung schriftlich oder in elektronischer Form beim Bundessozialgericht einzulegen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Beschwerde als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde muss bis zum Ablauf dieser Frist beim Bundessozialgericht eingegangen sein und die angefochtene Entscheidung bezeichnen.

 

Anschriften des Bundessozialgerichts:

 

bei Brief und Postkarte

bei Eilbrief, Telegramm, Paket und Päckchen

34114 Kassel

Graf-Bernadotte-Platz 5

 

34119 Kassel

Telefax-Nummer:

 

(0561) 3107475

 

 

Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und

 

-

von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder

 

 

-

von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.

 

Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung. Informationen hierzu können über das Internetportal des Bundessozialgerichts (www.bsg.bund.de) abgerufen werden.

 

Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen:

 

  1. Rechtsanwälte,
  2. Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen,
  3. selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
  4. berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
  5. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
  6. Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
  7. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nrn. 3 bis 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

 

Die Organisationen zu den Nrn. 3 bis 7 müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.

 

Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Nrn. 1 bis 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

 

Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten schriftlich oder in elektronischer Form zu begründen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Begründung als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 SGG).

 

In der Begründung muss dargelegt werden, dass

 

  • die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
  • die Entscheidung von einer zu bezeichnenden Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
  • ein zu bezeichnender Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

 

Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

 

 

 

Haack                                                            Müller                                                     Dr. Dewitz

Rechtskraft
Aus
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