L 20 AL 107/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 13 AL 107/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AL 107/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 23/22 B
Datum
Kategorie
Urteil

Die Beklagte wird entsprechend ihrem Teilanerkenntnis verpflichtet, ihren Bescheid vom 29.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 zu ändern und ihren Bescheid vom 30.04.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 02.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2014 sowie ihren Bescheid vom 02.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger für die Zeit vom 08.04.2014 bis zum 31.05.2014 gewährtes Arbeitslosengeld in Höhe weiterer 131,01 € auszuzahlen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 07.04.2014 sowie die Auszahlung ihm für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 02.06.2014 bereits bewilligten Alg, jeweils zuzüglich einer Verzinsung.

 

Der am 00.00.1978 geborene, zuletzt vom 01.11.2009 bis zum 31.03.2011 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Kläger erhielt von der Beklagten ab dem 01.04.2011 Alg i.H.v. täglich 32,44 € (Bewilligungsbescheid vom 06.05.2011 für 360 Leistungstage). Vom 08.07.2011 bis zum 08.02.2012 bezog er Krankengeld, vom 09.02. bis zum 21.03.2012 Übergangsgeld und vom 22.03. bis zum 15.11.2012 wiederum Krankengeld. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) bewilligte ihm für die Zeit vom 01.12.2011 bis zum 31.03.2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 443,85 € (Bescheid vom 18.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2012); hiergegen führte der Kläger vor dem Sozialgericht Düsseldorf das Klageverfahren S 27 R 372/13.

 

Am 16.11.2012 meldete sich der Kläger bei der Beklagten erneut arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte lehnte die Leistungsgewährung ab (Bescheid vom 29.11.2012), da der Anspruch wegen des Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhe. Der Kläger legte Widerspruch ein; dessen Bearbeitung möge bis zu einer angestrebten Klärung im Rentenverfahren ruhen. Das Sozialgericht verurteilte durch Urteil vom 15.01.2015 – S 27 R 372/13 die DRV, dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2012 bis zum 31.03.2014 Rente nicht wegen voller, sondern wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren. Die DRV bewilligte dem Kläger dementsprechend für die Zeit vom 01.08.2012 bis zum 31.03.2014 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 248,34 € (Bescheid vom 20.04.2015). Die Beklagte hob daraufhin ihren Bescheid vom 29.11.2012 auf (Abhilfebescheid vom 29.07.2015). Mit weiteren Bescheiden vom 29.07.2015 und 30.07.2015 bewilligte sie dem Kläger für die Zeit vom 16.11.2012 bis zum 24.09.2013 sowie vom 06.11. bis zum 26.12.2013 Alg in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 38,95 € bei einer Anspruchsdauer von 360 Tagen; für die Zeit vom 25.09. bis zum 05.11.2013 setzte sie das Leistungsentgelt wegen Teilnahme des Klägers an einer Reha-Maßnahme mit Anspruch auf Übergangsgeld auf 0 € fest und hob insoweit die Bewilligung von Alg auf. Zudem verfügte sie eine Nachzahlung von 14.022,00 € an den Kläger.

 

Am 28.02.2014 meldete sich der Kläger bei der Beklagten mit Wirkung zum 01.04.2014 erneut arbeitslos und beantragte Alg. Mit Schreiben vom 01.04.2014 erklärte er, dass „der Anspruch auf Alg (im Sinne eines neu entstehenden Stammrechts) erst am 08.04.2014 entstehen“ solle. Auf Antrag ebenfalls vom 28.02.2014 bewilligte ihm das Jobcenter E für die Zeit vom 01.04. bis zum 30.09.2014 Leistungen nach dem SGB II (Alg II) in Höhe von (zunächst) monatlich 849,59 € (Regelbedarf: 391 €, Mehrbedarf für Energie/Warmwasser: 8,99 €, Kosten der Unterkunft und Heizung: 386,60 € zzgl. 63 €; Bescheid vom 27.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2014 in der Fassung des im sozialgerichtlichen Verfahren S 3 AS 2567/14 angenommenen Teilanerkenntnisses vom 05.03.2015). Das Jobcenter meldete bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch bzgl. des dem Kläger ab dem 01.04.2014 gewährten Alg II an (Schreiben vom 26.03.2014) und bezifferte diesen für die Zeit vom 08.04. bis zum 31.05.2014 auf insgesamt 1.631,95 € (E-Mail vom 02.05.2014). Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, dass in der genannten Höhe der Erstattungsanspruch des Jobcenters E erfüllt werde; in diesem Umfang habe er keinen Auszahlungsanspruch auf Alg (Bescheid vom 02.05.2014). Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein.

 

Die Beklagte bewilligte dem Kläger Alg ab dem 08.04.2014 für die Dauer von 360 Tagen (Bescheid vom 30.04.2014). Für den Zeitraum vom 08.04. bis zum 31.05.2014 bezifferte sie wegen eines vorläufigen Erstattungsanspruchs eines anderen Leistungsträgers den Leistungsbetrag auf 0 €; ab dem 01.06.2014 betrage er 35,32 €. Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch begehrte der Kläger Alg für den Zeitraum vom 01.04. bis zum 02.06.2014 sowie die vollständige Auszahlung des Alg für den Zeitraum vom 01.05. bis zum 02.06.2014 an sich selbst. Durch Änderungsbescheid vom 02.05.2014 gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 08.04.2014 bei einer Anspruchsdauer von 360 Tagen bis auf weiteres Alg in Höhe von täglich 35,32 €; vom 08.04. bis zum 23.05.2014 werde die Leistung in Höhe von 0 € ausgezahlt, für den 24.05.2014 in Höhe von 28,09 € und für die Zeit ab dem 25.05.2014 bis auf weiteres in Höhe von täglich 35,32 €. Für den Zeitraum vom 08.04. bis zum 23.05.2014 werde die Leistung in Höhe der vollen täglichen Zahlbeträge und für den 24.05.2014 in Höhe von 7,23 € an das Jobcenter ausgezahlt; dementsprechend erstattete die Beklagte dem Jobcenter für die Zeit vom 08.04. bis zum 30.04.2014 812,36 €. Der Kläger legte gegen den Änderungsbescheid vom 02.05.2014 Widerspruch ein. Ein während des Widerspruchsverfahrens durch den Kläger am 06.05.2014 anhängig gemachtes Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes blieb erstinstanzlich erfolglos (Beschluss vom 19.05.2014 – S 19 AL 29/14 ER). Die hiergegen geführte Beschwerde wies der Senat zurück; auf den Inhalt des Beschlusses des Senats vom 11.07.2014 – L 20 AL 146/14 B ER wird Bezug genommen. Die Beklagte wies die Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheide vom 15.05. und 19.05.2014). Die hiergegen erhobene Klage (S 19  AL 337/14) wies das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 24.09.2014 ab; der Kläger habe für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 07.04.2014 keinen Anspruch auf Leistungen, und für die Zeit vom 08.04.2014 bis zum 31.05.2014 sei sein Anspruch im Umfang von 1.631,95 € durch das Jobcenter als nachrangig verpflichtetem Leistungsträger bereits erfüllt worden. Im hiergegen geführten Berufungsverfahren (L 9 AL 337/14) konkretisierte die Beklagte (Sitzungsniederschrift vom 26.01.2017) ihren Widerspruchsbescheid vom 30.10.2015 dahingehend, dass sie für die Zeit vom 06.11.2013 bis zum 03.08.2014 keine Aufhebung und Erstattung des bis zu dieser Zeit gezahlten Alg fordere. Mit Urteil vom 26.01.2017 wies das Landessozialgericht die Berufung als unbegründet zurück; auf den Inhalt des Urteils wird Bezug genommen.

 

Die Beklagte hob die Bewilligung von Alg ab dem 03.06.2014 wegen eigener Abmeldung des Klägers aus dem Leistungsbezug auf (Bescheid vom 03.06.2014). Ab dem 15.07.2014 bezog der Kläger erneut Alg (Bescheid vom 15.07.2014). Ab dem 04.08.2014 nahm er an einer Reha-Maßnahme (zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben) mit Anspruch auf Übergangsgeld teil (Bescheid vom 29.07.2014), an die sich vom 08.10.2014 bis zum 01.02.2015 erneut der Bezug von Alg anschloss (Bescheide vom 31.10.2014 und 02.02.2015). Vom 06.11.2013 bis zum 02.06.2014 sowie vom 15.07. bis zum 03.08.2014 gewährte die DRV dem Kläger Zwischen-Übergangsgeld in Höhe von täglich 38,95 € (Bescheid vom 01.10.2015). Die Beklagte meldete unter anderem für die Zeit vom 08.04. bis zum 02.06.2014 bei der DRV einen Erstattungsanspruch an (Schreiben vom 20.10.2015). Mit Bescheid vom 20.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2015 hob sie die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 06.11.2013 bis 03.08.2014 auf. Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht mit Urteil vom 16.03.2018 – S 13 AL 672/15 ab; die dagegen geführte Berufung wies der Senat mit Urteil vom 11.02.2019 – L 20 AL 109/18, auf das Bezug genommen wird, zurück. Im Dezember 2015 befriedigte die DRV den Erstattungsanspruch der Beklagten und erteilte dem Kläger einen entsprechenden Bescheid vom 27.11.2015.

 

Mit Schreiben vom 09.05.2017 beantragte der Kläger, den Bescheid vom 30.04.2014 in Fassung des Änderungsbescheides vom 02.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2014 nach § 44 SGB X zu ändern und Alg für die Zeit vom 01.04.2014 bis 31.05.2015 vollständig an ihn auszuzahlen sowie zu verzinsen. Ferner möge im Wege der Überprüfung nach § 44 SGB X der Bescheid vom 02.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 aufgehoben werden. Erstattungsansprüche gemäß §§ 102 ff. SGB X setzten Trägerverschiedenheit voraus. Das Jobcenter habe im April und Mai 2014 jedoch Leistungen an ihn (jeweils 391 € Regelleistung) in Trägerschaft der Beklagten erbracht. Mangels Trägerverschiedenheit bestehe insoweit kein Erstattungsanspruch; die Erfüllungswirkung des § 107 SGB X sei nicht eingetreten. § 104 SGB X greife zudem deshalb nicht ein, weil die Leistungen des Jobcenters nicht rechtmäßig gewesen seien. Denn das Jobcenter habe Alg II endgültig als verlorenen Zuschuss bewilligt, obwohl wegen des bestehenden Alg-Anspruchs eine nur vorläufige Bewilligung hätte erfolgen dürfen. Die materielle Rechtswidrigkeit ergebe sich für den Leistungsmonat Mai 2014 zudem aus dem ihm am 30.05.2014 (i.H.v. 240,01 €) zugeflossenen Alg, das seinen Anspruch auf Alg II gemindert habe. Zudem sei § 40 Abs. 4 SGB II in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung analog anzuwenden mit der Folge, dass sich der Erstattungsanspruch und die Erfüllungsfiktion nicht auf den in dieser Vorschrift genannten Betrag (56% der beim Alg II berücksichtigten Kosten der Unterkunft) erstreckten; hinsichtlich dieses Betrages sei das Alg II nicht nachrangig gegenüber dem Alg. Das Jobcenter habe für Mai 2014 Kosten der Unterkunft (ohne Heizung) in Höhe von 386,60 € berücksichtigt. Bei Anrechnung des Alg für den Monat Mai 2014 als Einkommen habe unter Berücksichtigung der Absetzbeträge kein Anspruch auf Alg II bestanden, weshalb der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 4 SGB II eröffnet sei. Dem folgend unterlägen im Mai 2014  216,50 € (= 56 % der KdU) nicht der Erstattung und nicht der Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X. Hilfsweise ergebe sich die entsprechende Ermäßigung des Erstattungsanspruchs aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Denn die Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, Alg für Mai 2014 rechtzeitig am 30.05.2014 auszuzahlen; hierdurch sei zum Nachteil des Klägers die für ihn günstige Regelung des § 40 Abs. 4 SGB II nicht unmittelbar zur Anwendung gekommen. Zudem habe die Beklagte die von ihm im April 2014 getätigten Aufwendungen nach § 11b SGB II nicht berücksichtigt, welche den Erstattungsanspruch jedoch minderten. Der Kläger machte insofern Absetzbeträge von insgesamt 66,73 € (Versicherungspauschale: 30 €, Beitrag „Riester-Rente“: 15 €, Gewerkschaftsbeitrag: 2,50 €, Beiträge Kfz-Haftpflichtversicherung: 15,63 €, Fahrtkosten für Antragstellung/Antragsabgabe Alg <2 × 6 km x 0,30 Euro = 3,60> €) geltend. Ein Erstattungsanspruch bestehe nur insoweit, als bei rechtzeitiger Leistung des Alg der Anspruch auf Alg II im Erstattungszeitraum nicht bestanden hätte. Für die Zeit vom 08. bis 30.04.2014 (Überschneidungszeitraum der Leistungen) ergebe sich ein Erstattungsanspruch von insgesamt lediglich 571,65 €. Zudem habe er auch für die Zeit vom 01.04. bis zum 07.04.2014 die Voraussetzungen für Alg erfüllt. Der Anspruch ergebe sich aus einem früheren, zum 15.12.2012 entstandenen Stammrecht mit einer Restanspruchsdauer von mindestens sieben Tagen. Denn das ursprünglich für die Zeit vom 06.11. bis zum 26.12.2013 gezahlte Alg habe der Rentenversicherungsträger vollständig erstattet. Insoweit seien die Grundsätze, die für eine Gleichwohlgewährung von Alg bei dessen späterem tatsächlichen Ersatz entwickelt worden seien, entsprechend anzuwenden. Seine Erklärung, er bestimme das Entstehen des Alg-Anspruchs erst auf den 08.04.2014, stehe einem Anspruch bis zum 07.04.2014 nicht entgegen, weil er damit nur die Entstehung eines neuen Stammrechts habe bestimmen wollen. Auch § 147 Abs. 4 SGB III stehe dem nicht entgegen, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm bis zum 07.04.2014 nicht erfüllt seien.

 

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Änderung nach § 44 SGB X ab (Bescheid vom 29.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017). Die Überprüfung habe ergeben, dass weder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen noch das Recht falsch angewandt worden sei.

 

Mit seiner hiergegen am 28.07.2017 vor dem Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren unter vertiefender Wiederholung seines bisherigen Vorbringens weiterverfolgt.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.06.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 zu verurteilen, den Bewilligungsbescheid vom 30.04.2014 in der Fassung des Bescheides vom 02.05.2014 und des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2014 teilweise abzuändern mit der Maßgabe, dass Arbeitslosengeld auch für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis 07.04.2014 zu gewähren ist, und außerdem das für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis 31.05.2014 zu gewährende Arbeitslosengeld vollständig an den Kläger nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent seit dem 01.11.2014 auszuzahlen ist, und den Bescheid vom 02.05.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 aufzuheben.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

 

Mit Urteil vom 16.03.2018 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht habe die angefochtenen Bescheide umfassend geprüft und für rechtmäßig befunden (Urteil vom 26.01.2017 – L 9 AL 258/14). Mit Ausnahme des Argumentes der Trägerverschiedenheit habe der Kläger sämtliche Einwendungen bereits im Vorprozess vorgetragen. Neue Gesichtspunkte, die gegen die Rechtmäßigkeit der zu überprüfenden Entscheidung sprächen, lägen nicht vor, so dass die Beklagte auf das rechtskräftige Urteil habe verweisen dürfen. Zwar sei die Beklagte auch Leistungsträger für die Regelleistung nach dem SGB II. Von der Leistungsträgereigenschaft sei jedoch die Kostenträgereigenschaft zu unterscheiden. Letztere liege gemäß § 46 Abs. 1 SGB II beim Bund. Im Rahmen des Erstattungsanspruchs sei auf den Kostenträger abzustellen. Da eine Erstattung zwischen Bund und Beklagter im Raume stehe, liege Trägerverschiedenheit vor.

 

Gegen das dem Kläger am 17.04.2018 zugestellte Urteil hat dieser am 14.05.2018 Berufung eingelegt. Er nimmt im Wesentlichen Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, der Rücknahmeanspruch aus § 44 SGB X werde nicht davon berührt, dass er im Vorprozess rechtskräftig unterlegen sei. Gegenstand des Vorprozesses sei nicht der eigenständige Anspruch auf Rücknahme nach § 44 SGB X gewesen; mangels Identität des Streitgegenstandes binde dessen Ergebnis nicht. Im Hinblick auf die Trägerverschiedenheit ergebe sich schon aus dem Wortlaut der §§ 102 ff. SGB X und des § 6a SGB II, dass es insoweit auf den Leistungsträger ankomme; dieser sei jeweils identisch die Beklagte.

 

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger erklärt, zwar habe er für den streitigen Zeitraum auch Zwischenübergangsgeld bezogen. Dieses sei ihm allerdings erst 2015 nachträglich bewilligt worden; er sei der Ansicht, dass dies nicht zu einem Ruhen des Alg-Anspruchs geführt habe. Er meine ferner, dass im Mai 2014 kein Erstattungsanspruch bestanden habe, weil dies vorausgesetzt hätte, dass das Alg II rechtmäßig bewilligt worden wäre; dies sei jedoch nicht der Fall, weil im gleichen Monat noch Alg gezahlt worden sei. Ferner sei er der Ansicht, dass der Erstattungsanspruch sich analog § 40 Abs. 4 SGB II a.F. mindere. Seit dem 01.02.2018 sei er wieder in Arbeit; diese Arbeit sichere seinen Lebensunterhalt vollständig.

 

Ein durch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2022 erklärtes Teilanerkenntnis eines Nachleistungsanspruchs des Klägers von 131,01 € für April 2014 hat der Kläger nicht angenommen.

 

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung weiter vorgetragen, er rüge die Verletzung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit, weil Zugang nur nach den sogenannten „3G“-Regeln gestattet worden sei. Ferner rüge er eine Verletzung der Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes, weil ihm trotz anderslautenden Antrags nicht die Möglichkeit gegeben worden sei, einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Darüber hinaus rüge er eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, da ihm nicht ermöglicht worden sei, Einsicht in die Akten des Jobcenters zu nehmen.

 

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, Beweis zu der Frage zu erheben, wann und in welcher Höhe das Alg für den Monat Mai 2014 zugeflossen ist. Er hat den Vorsitzenden des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Denn dieser habe bei der Ladung die Hinweise zur „3G“-Regelung mitgeteilt, welche jedoch dem Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit widersprächen. Ferner habe er einem Antrag des Klägers, den Termin mit Blick auf die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten aufzuheben, nicht entsprochen und an dem Verhandlungstermin festgehalten, obwohl der Kläger mit Blick auf die Akteneinsicht in die Akten des Jobcenters kein rechtliches Gehör erhalten habe. Im Übrigen zeige das Verhalten des Vorsitzenden im Termin, dass er dem Kläger gegenüber voreingenommen sei; das sehe man insbesondere an Ausführungen des Vorsitzenden in Bezug auf das Alg für Mai 2014.

 

Der Kläger beantragt,

 

1. die mündliche Verhandlung zu vertagen,

 

2. hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.03.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 30.04.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 02.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2014 teilweise sowie den Bescheid vom 02.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 vollständig zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 07.04.2014 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen und dieses seit dem 01.11.2014 in Höhe von 4 % per anno zu verzinsen, sowie ihm das für die Zeit vom 08.04.2014 bis zum 31.05.2014 bewilligte Arbeitslosengeld vollständig in Höhe weiterer 1.631,95 € zu zahlen und dieses seit dem 01.11.2014 in Höhe von 4 % per anno zu verzinsen,

 

3. die Revision zuzulassen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen, soweit sie über das Teilanerkenntnis aus dem vorliegenden Termin hinausgeht.

 

Sie nimmt Bezug auf den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils, das sie für zutreffend hält, und verweist ergänzend insbesondere auch auf die vorausgegangenen Entscheidungen des Landessozialgerichts in den Verfahren L 20 AL 146/14 ER und L 9 AL 258/14. Dem Kläger sei am 23.05.2014 Alg für die Zeit vom 24.05.20 bis zum 31.05.2014 in Höhe von insgesamt 240,01 € sowie am 03.06.2014 Alg für die Zeit vom 01.06.2014 bis zum 02.06.2014 in Höhe von insgesamt 70,64 € ausgezahlt worden (Ausdruck der Zahldaten im Auskunftssystem der Beklagten, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird).

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten <vom 07.02.2012 bis zum 12.02.2018>, Gerichtsakten des Sozialgerichts Düsseldorf S 19 AL 295/14 ER, S 19 AL 337/14 und S 13 AL 672/15 <jeweils einschließlich dazu beigezogener Verwaltungsvorgänge> sowie den Kläger betreffende Verwaltungsvorgänge des Jobcenters E <Bd. VI: Bl. 1425 – Bl. 1763>) Bezug genommen. Der Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A. Der Senat konnte im Termin vom 14.03.2022 verhandeln und entscheiden. Er war hieran nicht durch das vom Kläger im Termin gegen den Senatsvorsitzenden vorgebrachte Ablehungsgesuch gehindert (dazu unter I.). Eine Vertagung der mündlichen Verhandlung aus sonstigen Gründen war nicht angezeigt (dazu unter II.).

 

I. Trotz des in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gegen den Senatsvorsitzenden vorgebrachten Ablehungsgesuchs konnte der Senat unter dessen Mitwirkung verhandeln und entscheiden. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen Entzuges des gesetzlichen Richters ist nicht ersichtlich.

 

1. Nach § 60 Abs. 1 SGG gelten für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen die §§ 41 bis 46 Abs. 1 und die §§ 47 bis 49 der ZPO entsprechend. Ein Richter kann (u.a.) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (§ 42 Abs. 1 ZPO). Eine solche Ablehnung findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern darauf, ob der Beteiligte von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann (Keller in Meyer-Ladwig u.a., SGG, 13. Auflage 2020, § 60 Rn. 7 m.w.N.). Ein im Rahmen gebotener richterlicher Verfahrensweise liegendes Verhalten kann eine Ablehnung nicht begründen (a.a.O. Rn. 8g m.w.N.).

 

Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung (§ 45 Abs. 1 ZPO). Ist ein Ablehnungsgesuch jedoch rechtsmissbräuchlich oder sonst offensichtlich unzulässig, darf der abgelehnte Richter selbst darüber befinden (a.a.O. Rn. 10d m.w.N.); in diesen Fällen ist in der Regel eine gesonderte Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht erforderlich (a.a.O. Rn. 10e m.w.N.). Voraussetzung ist, dass das Ablehnungsgesuch völlig ungeeignet ist und die Entscheidung darüber deshalb lediglich eine Formalentscheidung wäre (a.a.O. Rn. 10d m.w.N.). Das ist regelmäßig etwa dann der Fall, wenn das Ablehnungsgesuch unzureichend begründet ist (vgl. BSG vom 25.02.2010 – B 11 AL 22/09 C), oder wenn es allein zu verfahrensfremden Zwecken gestellt wird, etwa um einen Richter, der eine missliebige Rechtsansicht vertritt, auszuschalten, oder um eine abgelehnte Terminsverlegung zu erzwingen (vgl. BSG 07.12.2017 – B 5 R 208/17 B Rn. 14; LSG Thürigen vom 28.03.2007 – L 1 U 809/02).

 

2. Das vom Kläger vorgebrachte Ablehnungsgesuch war wegen offensichtlichen Missbrauchs unzulässig (vgl. BFH vom 11.04.2002 – I B 56/01; BVerwG vom 07.08.1997 – 11 B 19/97); es war unzureichend begründet und wurde vom Kläger ersichtlich als Vorwand genutzt, eine Vertagung des ihm nicht genehmen Verhandlungstermins zu erreichen bzw. eine Mitwirkung des Senatsvorsitzenden an der Entscheidung wegen einer von diesem geäußerten, dem Kläger nicht genehmen Rechtsansicht zu verhindern. Es ist aus verständiger Sicht nicht ersichtlich, weshalb die Nichtstattgabe des Terminsverlegungsantrags Zweifel an der Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden begründen könnte (siehe zur fehlenden Notwendigkeit einer Vertagung wegen des Vorbringens des Klägers zur Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten noch sogleich unter II. 2. und zur Einsicht in die Akten des Jobcenters sogleich unter II. 3.; vgl. auch BSG vom 01.04.2022 – B 9 SB 3/22 BH Rn. 10 ff.). Ebenso wenig lässt sich dem Vortrag des Klägers entnehmen oder ist dem Senat ersichtlich, inwiefern der Hinweis in der Terminsladung auf die pandemiebedingten „3G“-Regeln geeignet sein soll, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen (siehe dazu noch sogleich unter II. 2.). Schließlich ist auch der Vortrag des Klägers, das Verhalten des Vorsitzenden im Termin – insbesondere seine Ausführungen zu einem Alg-Anspruch für Mai 2014 – zeige, dass er ihm gegenüber voreingenommen sei, bei verständiger Sicht nicht geeignet, den Eindruck einer Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden zu begründen. Der Vorsitzende hat, nachdem er für den Monat April 2014 Ausführungen zum Bestehen eines weitergehenden Alg-Anspruchs des Klägers in Höhe von 131,01 € gemacht hatte, für Mai 2014 ausgeführt, dass insoweit kein Nachleistungsanspruch bestehe, weil insgesamt der anrechnungsfähige Betrag nach dem SGB III die bewilligten Leistungen nach dem SGB II übersteige. Die Darstellung der rechtlichen Beurteilung des Gerichts im Rechtsgespräch der mündlichen Verhandlung gehört jedoch zu den ureigensten Aufgaben des Vorsitzenden. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Rechtsansicht einem Beteiligten mit gegenläufiger Ansicht nicht zusagen mag; eine Besorgnis der Befangenheit kann ein solch pflichtgemäßes Verhalten indes von vornherein nicht begründen.

 

II. Der Senat konnte im Termin vom 14.03.2022 auch unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs des Klägers verhandeln und entscheiden. Dessen rechtliches Gehör wurde nicht eingeschränkt; der Entscheidung über die Berufung stand insbesondere sein Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung nicht entgegen.

 

Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 SGG bestimmt der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Ein Termin kann aus erheblichen Gründen aufgehoben oder vertagt werden (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Über einen Antrag auf Aufhebung bzw. Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung mit kurzer Begründung; diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 172 Abs. 2 SGG, § 227 Abs. 4 ZPO). Eine Pflicht zur Terminsverlegung kann nur aus dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs oder dem Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren hergeleitet werden. Die Behandlung von Anträgen auf Terminsaufhebung hat der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl. BSG vom 07.07.2011 – B 14 AS 35/11 B Rn. 7 m.w.N.). Dabei sind auch das Gebot einer möglichst schnellen gerichtlichen Entscheidung und das Konzentrationsgebot (vgl. § 106 SGG) zu berücksichtigen. Ein Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins kann bei Vorliegen erheblicher Gründe bestehen (BSG vom 10.08.1995 – 11 RAr 51/95; BSG vom 28.04.1999 – B 6 KA 40/98 R Rn. 16). Es muss sich um solche Umstände handeln, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (vgl. BVerwG vom 23.01.1995 – 9 B 1/95).

 

Ein erheblicher Grund i.S.v. § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt dem vom Kläger zuletzt in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Terminsverlegung jedoch nicht zugrunde. Gründe, die den (insoweit in § 202 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 227 Abs. 2 ZPO näher umrissenen) Anforderungen für eine Terminsverlegung bzw. -vertagung entsprechen, hat der Kläger nicht benannt, geschweige denn (nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 3 ZPO) glaubhaft gemacht. Weder die durch den Vorsitzenden erfolgte Regelung des Zugangs zur mündlichen Verhandlung nach den pandemiebezogenen sogenannten „3G“-Regeln (dazu unter 1.) noch die Bekundung des Klägers, einen Prozessbevollmächtigten bestellen zu wollen (dazu unter 2.), noch die von dem Kläger begehrte Akteneinsicht (dazu unter 3.) machten eine Terminsverlegung nötig. Der Senat musste sich schließlich auch nicht gedrängt sehen, dem in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gestellten Beweisantrag nachzugehen (dazu unter 4.).

 

1. Die mit der – dem Kläger am 09.02.2022 zugegangenen – Terminsladung bekannt gegebene sitzungspolizeiliche Anordnung (§ 176 Abs. 1 GVG), wegen der aktuellen Covid-19-Pandemie im Gerichtssaal eine Mund- und Nasenbedeckung tragen zu müssen, stellt ebenso wie der Hinweis darauf, dass der Öffentlichkeit und den Beteiligten Zutritt zur mündlichen Verhandlung nur unter Beachtung der „3G“-Regeln gewährt werde, einen erkennbar vernünftigen Grund des Gemeinwohls dar, welcher diese Maßnahme rechtfertigt. Es handelt sich um eine geeignete und zumutbare Vorkehrung, Infektionen durch den Aufenthalt mehrerer Personen im Gerichtssaal vorzubeugen (vgl. BVerfG vom 28.09.2020 – 1 BvR 1948/20; BSG vom 22.09.2021 – B 8 SO 38/21 B Rn 9; siehe auch OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.10.2021 – 13 B 1393/21.NE Rn. 46, wonach die in § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 CoronaVV NW 17 geregelte Antigen- bzw. PCR-Testnachweispflicht als Zugangsvoraussetzung für die dort genannten Einrichtungen, Angebote und Tätigkeiten für nicht immunisierte Besucher <"Testpflicht"> nicht offensichtlich rechtswidrig ist).

 

2. Eine Terminsverlegung oder -vertagung war auch nicht nötig, um dem Kläger die Möglichkeit zur Bestellung eines Prozessbevollmächtigten zu geben. Aus § 62 SGG (rechtliches Gehör) folgt, dass das Gericht im Fall einer Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung den Beteiligten (unabhängig davon, ob diese die Möglichkeit zur schriftlichen Äußerung und Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben) Gelegenheit geben muss, sich zur Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung selbst zu äußern (vgl. BSG vom 06.01.2022 – B 5 LW 1/21 B  Rn. 25 m.w.N.). Auch zu diesem Zweck können sich die Beteiligten durch einen der in § 73 Abs. 2 SGG genannten Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs hat insbesondere zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben und ihnen dazu eine angemessene Zeit eingeräumt werden muss (vgl. BSG vom 06.01.2022 – B 5 LW 1/21 B Rn. 25 m.w.N.). Für den Fall der Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten erst kurz vor dem Termin bedeutet dies, dass ein vom Prozessbevollmächtigten im Einzelnen dargelegter Zeitbedarf, sich hinreichend mit dem Sachverhalt vertraut zu machen, grundsätzlich einen erheblichen Grund im Sinne des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO darstellen kann (vgl. BSG vom 06.01.2022 – B 5 LW 1/21 B Rn. 25 m.w.N.). Konnte dem Beteiligten jedoch eine rechtzeitige Bestellung des Prozessbevollmächtigten zugemutet werden, und erweist sich mithin eine erst späte Bestellung als verschuldet, muss ein anberaumter Termin nicht vertagt werden (vgl. BSG vom 06.01.2022 – B 5 LW 1/21 B Rn. 25; BSG vom 04.11.2014 – B 2 U 144/14 B Rn. 11; BSG vom 08.03.2017 – B 8 SO 62/16 B Rn. 7). Letzteres trifft im Fall des Klägers zu. Erstinstanzlich unvertreten, ist er (ausweislich eines Begrüßungsschreibens vom 06.03.2002) spätestens seit März 2002 Gewerkschaftsmitglied. Nach Zugang der Terminsladung am 09.02.2022 führte er erstmals am 02.03.2022 aus, er beabsichtige, sich im Rahmen des Rechtsschutzes seiner Mitgliedsgewerkschaft ver.di durch diese vertreten zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger bereits 46 Monate (seit Berufungseingang bei Gericht am 14.05.2018) bzw. 37 Monate (seit einer ersten, im Termin in Abwesenheit des Klägers vertagten mündlichen Verhandlung vom 11.02.2019) bzw. einen Monat (seit Ladung zur mündlichen Verhandlung am 14.03.2022) Zeit zur rechtzeitigen Bestellung eines Prozessbevollmächtigten. Bis zuletzt hat sich indes kein Prozessbevollmächtigter für den Kläger bestellt. Umstände, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordert hätten (vgl. BVerwG vom 23.01.1995 – 9 B 1/95), liegen deshalb ersichtlich nicht vor.

 

3. Entsprechendes gilt auch, soweit der Kläger eine Terminsverlegung begehrt hat, um Akteneinsicht in die vom Senat beigezogenen Akten des Jobcenters zu nehmen. Dem Kläger war erstmals bereits mit gerichtlicher Verfügung vom 09.09.2019, ferner unter dem 18.10.2019 sowie – nach einer Wiederübersendung der zwischenzeitlich zurückgegebenen Akten durch das Jobcenter – unter dem 22.06.2020 Gelegenheit zur Akteneinsicht gegeben worden. Hiervon hat er keinen Gebrauch gemacht. Im Anschluss an die Terminsladung (09.02.2022) hat der Kläger mit Telefax vom 02.03.2022 nochmals um Akteneinsicht gebeten; ihm ist daraufhin am 04.03.2022 mitgeteilt worden, es bestehe am Terminstag (bei Terminsstunde um 13.00 Uhr) ab 9.00 Uhr Gelegenheit zur Akteneinsicht. Auch von dieser Möglichkeit hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Bestand jedoch ausreichend Gelegenheit hierzu, bedurfte es einer Verlegung des Termins nicht.

 

4. Schließlich musste der Senat die mündliche Verhandlung von vornherein nicht vertagen, um dem Antrag des Klägers auf Beweiserhebung zur Frage, wann und in welcher Höhe ihm Alg für Mai 2014 zugeflossen ist, nachzugehen. Denn der Sachverhalt war insoweit bereits geklärt (§ 103 SGG). Bereits in der ersten mündlichen Verhandlung vom 11.02.2019 hatte die Bevollmächtigte der Beklagten erklärt, dem Kläger sei am 23.05.2014 Alg für die Zeit vom 24.05. bis zum 31.05.2014 in Höhe von 240,01 € ausgezahlt worden; sie hat dies zudem durch Vorlage eines Ausdrucks der Zahldaten aus dem Auskunftssystem der Beklagten belegt.

 

B. Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem tenorierten Umfang begründet. Im Umfang des von ihr in der mündlichen Verhandlung erklärten Teilanerkenntnisses war die Beklagte (in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils) zu verpflichten. Darüber hinaus war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

 

I. Die Klage auf Zahlung von höherem Alg ist als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Fall 1 und 2, Abs. 4, § 56 SGG) statthaft (vgl. BSG vom 12.10.2016 – B 4 AS 37/15 R Rn. 11 sowie vom 30.01.2020 – B 2 U 2/18 R Rn. 9 m.w.N.) und auch im Übrigen zulässig.

 

Soweit der Kläger darüber hinaus begehrt, die Beklagte zu einer Verzinsung rückständiger Leistungen zu verpflichten, ist die Klage – unabhängig davon, ob ein entsprechender Zahlungsanspruch besteht – bereits unstatthaft. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Verzinsung eines Nachzahlungsbetrages kann sich allenfalls aus § 44 SGB I ergeben, da in Verfahren betreffend Sozialleistungsansprüche vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit keine Prozesszinsen entsprechend § 291 BGB anfallen (vgl. BSG vom 13.07.2010 – B 8 SO 10/10 R). Jedoch ist eine Entscheidung der Beklagten über einen Zinsanspruch des Klägers nach § 44 SGB I bislang nicht ergangen; wegen Fehlens eines anfechtbaren Verwaltungsaktes ist deshalb die – insoweit als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 2 und 4 SGG) geführte Klage unzulässig (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.04.2021 – L 21 AS 1012/18). Auch mit einer reinen Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) kann der Kläger dieses Begehren nicht verfolgen, da zwischen den Beteiligten hinsichtlich eines Zinsanspruchs aus § 44 SGB I kein Gleichordnungsverhältnis besteht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.01.2012 – L 19 AS 1473/11).

 

II. Die Klage ist im Umfang des von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärten (vom Kläger nicht angenommenen) Teilanerkenntnisses betreffend den Leistungsmonat April 2014 begründet (dazu unter 1.). Betreffend weitere Leistungen für die Zeit vom 08.04 bis 31.05.2014 ist sie, ebenso wie im Hinblick auf vollständige Auszahlung (in Höhe weiterer 1.500,94 € <= 1.631,95 € ./. 131,01 €>) des für die Zeit vom 08.04.2014 bis zum 31.05.2014 bewilligten Alg an den Kläger selbst, unbegründet (dazu unter 2.), ebenso wie diejenige betreffend eine Gewährung von Alg für den 01.04. bis 07.04.2014 (dazu unter 3.).

 

Jenseits des Verzinsungsantrags begehrt der Kläger mit seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag zu 2, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.03.2017 zu ändern und die Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 29.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 zu verpflichten, ihren Bescheid vom 30.04.2014 in Fassung des Änderungsbescheides vom 02.05.2014 und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2014 teilweise sowie ihren Bescheid vom 02.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 vollständig zurückzunehmen und ihm für die Zeit vom 01.04. bis zum 07.04.2014 Alg in gesetzlicher Höhe zu zahlen, ferner, ihm für die Zeit vom 08.04. bis zum 31.05.2014 bewilligtes Alg in Höhe weiterer 1.631,95 € an ihn auszuzahlen.

 

1. Die Beklagte muss ihren Bescheid vom 29.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 ändern und dem Kläger unter teilweiser Zurücknahme ihres nach § 44 SGB X überprüften Bescheides vom 30.04.2014 in Fassung des Änderungsbescheides vom 02.05.2014 und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2014 sowie ihres Bescheides vom 02.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.05.2014 für die Zeit vom 08.04.2014 bis zum 31.05.2014 bewilligtes Alg in Höhe weiterer 131,01 € auszahlen. Diesen Anspruch des Klägers hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2022 anerkannt; der Kläger hat dieses (Teil-)Anerkenntnis jedoch nicht angenommen. Deshalb war im Wege des (Teil-)Anerkenntnisurteils das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.03.2018 entsprechend zu ändern und die Beklagte entsprechend zu verpflichten; einer weiteren Begründung durch den Senat bedarf es nicht (§ 202 SGG i.V.m. § 313b Abs. 1 ZPO).

 

2. Die Auszahlung des dem Kläger für die Zeit vom 08.04. bis zum 31.05.2014 bewilligten Alg in Höhe weiterer 1.500,94 € (= Erstattungsbetrag an das Jobcenter von 1.631,95 € ./. des in der mündlichen Verhandlung anerkannten Nachzahlungsanspruchs von 131,01 €) an sich selbst kann der Kläger nicht beanspruchen. Die Beklagte hat es mit Bescheid vom 29.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 insoweit zu Recht abgelehnt, die vom Kläger zur Überprüfung nach § 44 SGB X gestellten Bescheide zurückzunehmen.

 

a) Der angefochtene Bescheid vom 29.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 ist formell rechtmäßig. Insbesondere hat kein Anhörungsmangel (§ 24 SGB X) vorgelegen. Zwar wurde der Kläger vor Erlass des Bescheides vom 29.06.2017 nicht angehört. Die Anhörung wurde jedoch mit der Durchführung des Widerspruchsverfahrens, in dem der Kläger Gelegenheit hatte, sich zu allen entscheidungsrelevanten Tatsachen zu äußern, nachgeholt (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X; vgl. BSG vom 09.11.2010 – B 4 AS 37/09 R; BSG vom 12.12.2001 – B 6 KA 3/01 R).

 

b) Der angefochtene Bescheid ist hinsichtlich der Ablehnung einer Auszahlung von für die Zeit vom 08.04. bis zum 31.05.2014 bewilligtem Alg in Höhe weiterer 1.500,94 € an den Kläger selbst auch materiell rechtmäßig.

 

Als Rechtsgrundlage für eine Änderung des bestandskräftigen (§ 77 SGG) Bewilligungsbescheides vom 30.04.2014 in Fassung des Änderungsbescheides vom 02.05.2014 und in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2014 kommt allein § 44 Abs. 1 SGB X in Betracht. Danach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

 

Ein Antrag auf Überprüfung i.S.v. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt tatbestandlich einen Rechtsfehler und/oder eine falsche Sachverhaltsgrundlage (BSG vom 12.10.2016 – B 4 AS 37/15 R Rn. 13) sowie eine zu Unrecht unterbliebene Erbringung von Sozialleistungen voraus. Die Beklagte hat, soweit sie für den 08.04. bis 31.05.2014 Alg nicht in Höhe weiterer 1.500,94 € an den Kläger ausgezahlt hat, jedoch weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist sie von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Denn das Jobcenter hatte gegen die Beklagte nach § 104 SGB X einen Erstattungsanspruch in Höhe von 1.500,95 € (dazu unter aa), weshalb gegenüber dem Kläger der Alg-Anspruch insoweit nach § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt gilt (dazu unter bb).

 

aa) Der Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen die Beklagte nach § 104 SGB X (siehe zum Bestehen dieses vom Kläger bestrittenen Anspruchs noch näher unter 3.) bestand in Höhe von 1.500,95 €. Das Jobcenter E hat dem Kläger für April und Mai 2014 Alg II jeweils i.H.v. 849,59 € gezahlt. Die Beklagte hat dem Kläger im April 2014 Alg in Höhe von 812,36 € (35,32 € x 23 Tage) und im Mai 2014 Alg in Höhe von 1.059,60 € (35,32 € x 30 Tage) bewilligt. Dieses Alg war nach Maßgabe des SGB II als Einkommen zu berücksichtigen. Die Beklagte hat den vom Jobcenter angemeldeten Erstattungsbetrag (1.631,95 €) zwar in voller Höhe befriedigt. Für den gesamten Monat April 2014 wären nach den Vorgaben des SGB II zur Einkommensanrechnung indes nur 763,66 € zu erstatten gewesen (dazu unter <1> <a>). Darüber hinaus stand dem Erstattungsanspruch des Jobcenter für den 01. bis 07.04.2014 eine fehlende sog. Gleichartigkeit der Leistungen entgegen, weshalb für April 2014 letztlich nur 651,36 € zu erstatten gewesen wären. All dem hat die Beklagte durch das Teilanerkenntnis vom 14.03.2022 Rechnung getragen (dazu unter <1> <b>). Für Mai 2014 waren 849,59 € zu erstatten (dazu unter <2>). Weitergehende Ansprüche des Klägers ergeben sich zudem weder in direkter noch in entsprechender Anwendung aus § 40 Abs. 4 SGB II i.d.F. bis 31.07.2016 (dazu unter <3>).

 

(1) Für April 2014 hat das Jobcenter E das Einkommen des Klägers aus Alg (812,36 €) um die Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg ll-VO (30 €) bereinigt; danach errechnete sich zunächst ein zu berücksichtigendes Einkommen von 782,36 € und ein Restleistungsanspruch des Klägers nach dem SGB II von 67,23 €; den darüber hinausgehenden tatsächlichen Leistungsbetrag für Alg II im April 2014 (782,36 €) hat die Beklagte dem Jobcenter erstattet.

 

(a) Davon wurde jedoch ein Teilbetrag von 18,70 € zu Unrecht erstattet, weil nach den Regelungen des SGB II insoweit weitere Absetzbeträge vom Einkommen zu berücksichtigen gewesen wären.

 

(aa) Soweit der nachrangig verpflichtete Träger auch bei rechtzeitiger Leistung des vorrangig verpflichteten Trägers („sowieso“) leistungspflichtig gewesen wäre, entsteht kein Erstattungsanspruch. Dies ergibt sich bereits aus der Definition des Nachrangs in § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X und ist zudem in § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X ausdrücklich normiert (Pattar in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage 2017, Stand: 01.12.2017, § 104 Rn. 39 m.w.N.). Damit aber entsteht ein Erstattungsanspruch nicht, soweit die Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers im Sinne der für den nachrangig verpflichteten Träger geltenden Vorschriften nicht als Einkommen gilt (Pattar, a.a.O.; BSG vom 31.10.2012 – B 13 R 9/12 R Rn. 43). Für den Kläger war trotz seines Alg-Bezugs das Jobcenter im April 2014 zu ergänzenden Alg II-Leistungen verpflichtet, weil das gewährte Alg (soweit es nach dem SGB II anrechenbares Einkommen darstellte) das nach dem SGB II zu gewährleistende Existenzminimum des Klägers nicht vollständig abdeckte.

 

(bb) Neben der (vom Jobcenter bereits berücksichtigten) Versicherungspauschale (30 €; § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg ll-VO i.d.F. bis 31.07.2016) war zunächst der Beitrag des Klägers für eine „Riester-Rente“ in Höhe des im April 2014 gezahlten Vierteljahresbeitrags für das zweite Quartal 2014 zu berücksichtigen (15 €; § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Gleiches gilt für den Gewerkschaftsbeitrag (2,50 €; § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II; vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand: September 2019, § 11b Rn. 287 m.w.N.), für Fahrtkosten des Klägers für eine im April 2014 im Rahmen der Antragstellung getätigte Hin- und Rückfahrt (1,20 € für einfache Fahrt 6 km x 0,20 €; § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II, § 6 Abs. 1 Nr. 3b Alg ll-VO i.d.F. bis 31.07.2016 in analoger Anwendung; vgl. Hengelhaupt, a.a.O. Rn. 294 m.w.N.).

 

Weitere Absetzbeträge vom Einkommen des Klägers aus Alg ergeben sich für April 2014 nicht. Insbesondere ist sein Jahresbeitrag zur KFZ-Versicherung nicht (wie aber von ihm geltend gemacht) zu einem Zwölftel zu berücksichtigen. Die beim Kläger zum Jahresanfang fällige Versicherungsprämie ist im April nicht pro rata temporis vom Einkommen abzusetzen. Bei einem Jahresbeitrag ist dieser vielmehr allein im Fälligkeitsmonat als zu diesem Zeitpunkt tatsächlich wirksame Aufwendung insgesamt in Abzug zu bringen (vgl. Sächsisches LSG vom 16.06.2021 – L 7 AS 1186/17 Rn. 20 m.w.N.; Schmidt in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2021, § 11b Rn. 9). Die hiervon abweichende Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Alg II-VO i.d.F. vom 01.08.2016 ist nach intertemporalen Rechtsgrundsätzen für den hier betroffenen Monat April 2014 nicht anzuwenden.

 

(cc) Zusammenfassend waren vom Einkommen des Klägers aus Alg im April 2014 (812,36 €) 48,70 € (Versicherungspauschale, Beitrag zur „Riester-Rente“, Gewerkschaftsbeitrag sowie Fahrtkosten) abzusetzen; sein im Rahmen des SGB II zu berücksichtigendes Einkommen belief sich bereinigt deshalb auf 763,66 €.

 

(b) Dem Erstattungsanspruch des Jobcenter stand überdies für die Zeit vom 01. bis 07.04.2014 eine fehlende sog. Gleichartigkeit der Leistungen nach SGB II und SGB III entgegen. Im Erstattungsverhältnis einander gegenüberstehende Leistungen müssen – entsprechend dem Zweck der §§ 102 ff. SGB X, zweckidentische Doppelleistungen zu verhindern – zeitgleich und von der Leistungsart her vergleichbar sein (Roos in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 104 Rn. 12 m.w.N.). Diese Gleichartigkeit fehlt (als sog. Zeitidentität), wenn – wie hier für den Teilzeitraum 01. bis 07.04.2014 – Leistungsansprüche gegen den vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträger nicht für denselben Zeitraum bestanden haben, für die sie der nachrangig verpflichtete Träger tatsächlich erbracht hat (Pattar, a.a.O. § 104 Rn. 32; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand: Juni 2019, Vorbemerkung zu §§ 102–114 Rn. 71 m.w.N.). Decken sich jedoch im April 2014 die jeweilige Leistungszeit von Jobcenter und Beklagter nur für den 08. bis 30.04.2014, so hat das Jobcenter gleichwohl die von ihm für den gesamten Monat (einschließlich 01. bis 07.04.2014) erbrachten Leistungen (849,59 €) zur Erstattung gefordert. Bei taggenauer Berechnung ergibt sich für den 08. bis 30.04.2014 hingegen ein mit der Alg-Leistung zeitidentischer Leistunganspruch nach dem SGB II von (849,59 € : 30 Monatstage x 23 Leitungstage ab 08.04.2014 =) 651,35 €, der für die Erstattung durch die Beklagte hätte geltend gemacht werden dürfen. Dieser Betrag wird durch das vom 08. bis 30.04.2014 bezogene, bereinigte Alg von 763,66 € vollständig abgedeckt und kann daher für eine Erstattung durch die Beklagte insgesamt berücksichtigt werden.

 

(2) Für Mai 2014 hat das Jobcenter eine Bereinigung i.S.v. § 11b Abs. 1 Satz 1 SGB II beim Einkommen des Klägers aus Alg von vornherein unterlassen, da dieses Einkommen (1.059,60 €) den Alg II-Anspruch (849,59 €) erheblich überstieg.

 

Berücksichtigt man die Versicherungspauschale von 30 € sowie den Gewerkschaftsbeitrag von 2,50 € (s.o.), ergibt sich im Mai 2014 ein anzurechnendes, bereinigtes Einkommen von (1.059,60 ./. 32,50 =) 1.027,10 €. Weitergehende Absetzbeträge i.S.v. § 11b Abs. 1 Satz 1 SGB II sind für Mai 2014 nicht angefallen. Insbesondere entstanden in diesem Monat für den Kläger weder berücksichtigungsfähige Fahrtkosten, noch sind Quartalsbeiträge für eine „Riester-Rente“ fällig gewesen.

 

Wegen des zu berücksichtigenden, bereinigten Alg-Einkommens von 1.027,10 € bestand im Mai 2014 kein Restleistungsanspruch des Klägers nach dem SGB II, und die Beklagte hatte den vollen SGB II-Leistungsbetrag (849,59 €) an das Jobcenter zu erstatten.

 

(3) Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Erstattungsanspruch des Jobcenters auch nicht deshalb (noch) geringer zu bemessen, weil in direkter oder analoger Anwendung des § 40 Abs. 4 SGB II (i.d.F. bis 31.07.2016) 56 % der durch das Jobcenter berücksichtigten Unterkunftskosten des Klägers nicht erstattungsfähig wären. Nach dieser Vorschrift waren, abweichend von § 50 SGB X, 56 % der bei der Berechnung des Alg II berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten (Satz 1). Satz 1 galt nicht in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X, des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X sowie in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wurde (Satz 2).

 

(a) Eine direkte Anwendung dieser Norm scheitert bereits daran, dass eine in ihr vorausgesetzte Erstattungspflicht nach § 50 SGB X beim Kläger nicht bestand.

 

(b) Auch eine analoge Anwendung scheidet aus.

 

§ 40 Abs. 4 SGB II findet seinen Grund in der zeitgleich mit dem SGB II in Kraft getretenen Neufassung des § 1 Abs. 2 WoGG (i.d.F. des Art. 25 Nr. 2 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt); danach waren Empfänger von Alg II und Sozialgeld grundsätzlich von Wohngeld ausgeschlossen (Hengelhaupt, a.a.O. § 40 Rn. 93). Die Beschränkung der Erstattungspflicht sollte bewirken, dass sich dieser Ausschluss rechtlich und tatsächlich auf die betroffenen SGB II-Leistungsempfänger nicht deshalb auswirkte, weil das Wohngeld grundsätzlich keiner Rückforderung unterlag (vgl. Eicher/Greiser in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 40 Rn. 17).

 

Diese Ausgangslage lässt sich nach Ansicht des Senats nicht auf die beim Kläger bestehende Situation einer Erfüllungsfiktion (§ 107 Abs. 1 SGB X; siehe dazu noch unter bb) übertragen. Fehlte bei einem Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X schon ein Anspruch auf Wohngeld (weil eine nachträgliche Wohngeldgewährung nach § 28 SGB X nur möglich war, wenn die Leistungsbewilligung nach dem SGB II rückwirkend aufgehoben wurde), ist dies bei der Umsetzung eines Erstattungsanspruchs zwischen zwei Leistungsträgern gerade nicht der Fall (so auch Eicher/Greiser, a.a.O. Rn. 172; vgl. auch Hengelhaupt, a.a.O. § 40 Rn. 714; a.A. LSG Bayern vom 15.02.2017 – L 10 AL 163/16; LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.04.2015 – L 2 R 237/13).

 

(c) Soweit der Kläger der Ansicht ist, eine § 40 Abs. 4 SGB II entsprechende Ermäßigung des Erstattungsanspruchs des Jobcenter ergebe sich für Mai 2014 in Höhe von 216,50 € (= 56 % der für Mai 2014 von 386,60 € berücksichtigten Unterkunftskosten ohne Heizung) aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, da die Beklagte eine rechtzeitige Auszahlung von Alg für Mai 2014 am 30.05.2014 pflichtwidrig unterlassen habe und dadurch die für ihn günstige Regelung des § 40 Abs. 4 SGB II nicht unmittelbar zur Anwendung gekommen sei, folgt der Senat dem ebenfalls nicht. Denn es fehlt bereits eine Pflichtverletzung der Beklagten. Eine solche liegt insbesondere nicht darin, dass die Beklagte das Alg für Mai 2014 nicht am 30.04.2014 ausgezahlt hat. Gemäß § 337 Abs. 2 SGB III werden laufende Geldleistungen (z.B. Alg, vgl. § 313 Abs. 1 Satz 1 SGB III) regelmäßig monatlich nachträglich ausgezahlt. Damit definiert § 337 Abs. 2 SGB III (neben dem Zahlungszeitraum „Monat“) den Fälligkeitszeitpunkt und legt diesen – abweichend von § 41 SGB I – auf das Ende des betroffenen Leistungszeitraums fest (Schaumberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Auflage 2019, Stand: 15.01.2019, § 337 Rn. 83 und 85 m.w.N.). Nach § 337 Abs. 2 SGB III werden laufende Geldleistungen daher nicht bereits mit dem Entstehen des Leistungsanspruchs fällig, sondern monatlich nachträglich. Ungeachtet der Frage, ob sich daraus eine Fälligkeit am ersten Arbeitstag des Folgemonats ergibt oder aber zu einem Zeitpunkt, der die Verfügbarkeit der laufenden Geldleistung für den Leistungsberechtigten bereits mit Beginn des Folgemonats gewährleistet (zum Meinungsstand vgl. Schaumberg, a.a.O. Rn. 86), hat die Beklagte mit der Auszahlung von Alg für Mai 2014 bereits am Freitag den 23.05.2014 (vgl. Sitzungsniederschrift vom 11.02.2019) dafür Sorge getragen, dass das Alg für diesen Monat dem Kläger jedenfalls spätestens seit Sonntag den 01.06.2014 zur Verfügung stand. Ein Fehlverhalten der Beklagten ist deshalb von vornherein nicht erkennbar.

 

(4) Zusammenfassend bestand ein Erstattungsanspruch des Jobcenter gegen die Beklagte nach § 104 SGB X in Höhe von 1.500,95 € (= 651,36 € für April 2014 zzgl. 849,59 € für Mai 2014). Die tatsächliche geltend gemachte und erfolgte Erstattung lag mit 1.631,95 € um (unter Berücksichtigung einer Rundungsdifferenz um einen Cent bei Berechnung des SGB II-Leistungsanspruchs für April 2014 pro rata temporis für den 08. bis 30.04.2014) 130,01 € über diesem Betrag; dem hat die Beklagte mit dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Wege des Teilanerkenntnisses gewährten weiteren Leistungsbetrag von 130,01 € Rechnung getragen, so dass der Kläger nicht mehr beschwert ist.

 

bb) In dieser Höhe (1.500,95 €) gilt der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Alg als erfüllt (§ 107 Abs. 1 SGB X).

 

Dem stand nicht etwa, wie der Kläger meint, eine fehlende Trägerverschiedenheit zwischen Beklagter und Jobcenter entgegen. Zwar setzen die Ansprüche nach §§ 102 ff. SGB X eine Verschiedenheit der betroffenen Leistungsträger voraus (vgl. Roos, a.a.O. Vor § 102, Rn. 4), wobei Leistungsträger gemäß § 12 SGB I die in den §§ 18 bis 29 SGB I genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden sind. Zwar bestimmen § 19 Abs. 2 SGB I und § 19a Abs. 2 SGB I als zuständigen Leistungsträger für das Recht der Arbeitsförderung nach dem SGB III und der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II jeweils die Agenturen für Arbeit und die sonstigen Dienststellen der Beklagten. Allerdings bestimmt § 44b SGB II die Bildung einer gemeinsamen Einrichtung durch Errichtung der Jobcenter als von der jeweiligen eigenen Behörde abgetrennte Dienststelle mit Teilrechtsfähigkeit (Weißenberger in Eicher/Luik/Harich, a.a.O. § 44b Rn. 3). Diese Konstruktion rechtfertigt es, von getrennten Leistungsträgern auszugehen (vgl. BSG vom 12.05.2011 – B 11 AL 24/10 R Rn. 13); dies gilt zumal – worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat – deshalb, weil eine unterschiedliche Kostenträgerschaft besteht (der Beklagten für Leistungen nach dem SGB III, des Bundes für Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß § 46 Abs. 1 SGB II) und deshalb ein Bedürfnis auf Kostenerstattung bei Leistungserbringung durch die unzuständige Stelle besteht.

 

3. Für die Zeit vom 01. bis zum 07.04.2014 kann der Kläger kein Alg beanspruchen. Die Beklagte hat auch insoweit mit Bescheid vom 29.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2017 zu Recht eine Änderung der bestandskräftigen (§ 77 SGG) und abschließenden, vom Kläger i.S.v. § 44 SGB X zur Überprüfung gestellten Entscheidungen abgelehnt. Der angefochtene Bescheid ist hinsichtlich der Ablehnung einer Bewilligung von Alg für den 01. bis 07.04.2014 insbesondere auch materiell rechtmäßig (zur formellen Rechtmäßigkeit siehe unter 2.a). Ein Anspruch des Klägers auf Alg für den 01. bis 07.04.2014 folgt weder aus einem Restanspruch (51 Tage) aus einem am 01.04.2011 bzw. am 16.11.2012 entstandenen sog. Stammrecht auf Alg (dazu unter a) noch aus einem Restanspruch (sieben Tage) aus einem am 15.12.2012 entstandenen Stammrecht (dazu unter b).

 

a) Zu einem solchen, vom Kläger vermeinten Restanspruch aus einem am 01.04.2011 bzw. am 16.11.2012 entstandenen Stammrecht hat bereits der 9. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 26.01.2017 – L 9 AL 337/14 ausgeführt:

 

„Für die von dem Kläger begehrte Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.04.2014 bis 07.04.2014 mangelt es aber an einem für diese sieben Tage (noch) bestehenden Restanspruch. Der Kläger hat weder einen Restanspruch aus einem am 01.04.2011 noch aus einem am 16.11.2012 entstandenen Anspruch (Stammrecht). Denn die Beklagte hat ihm mit Bescheid vom 29.07.2015 für die Zeit vom 16.11.2012 bis 24.09.2013 und vom 06.11.2013 bis 26.12.2013 nachträglich Arbeitslosengeld in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 38,95 € bei einer Anspruchsdauer von 360 Tagen bewilligt und einen Betrag in Höhe von 14.022,00 € nachgezahlt, nachdem von der DRV ab 01.08.2012 bis 31.03.2014 anstelle der zuvor bezogenen Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gezahlt worden ist. Die von dem Kläger in seiner Berufungsbegründung erwähnte Restanspruchsdauer von 263 Tagen aus einem am 01.04.2011 entstandenen Anspruch hat insofern außer Betracht zu bleiben, weil sie im Rahmen der nachträglichen Bewilligung des am 16.11.2012 entstandenen neuen Anspruchs auf Arbeitslosengeld für 240 Tage bereits umfassend von der Beklagten nach § 147 Abs. 4 SGB III berücksichtigt worden ist. Auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 09.09.2015 wird verwiesen. Damit war der Anspruch aus dem am 16.11.2012 durch die nachträgliche Bewilligung des Arbeitslosengeldes entstandenen Anspruch am 26.12.2013 und damit vor dem 01.04.2014 bereits erschöpft. Dies hat der Kläger zuletzt mit Schriftsatz vom 29.10.2015 auch eingeräumt. Soweit der Kläger nunmehr noch ausführt, zum 01.04.2014 ergebe sich ein Restanspruch von mindestens 51 Tagen aus Billigkeitsgründe daraus, dass die Beklagte in tatsächlicher Hinsicht inzwischen von dem Rentenversicherungsträger vollständigen Ersatz für das ihm gewährte Arbeitslosengeld unter anderem für den Zeitraum vom 06.11.2013 bis 26.12.2013 (51 Tage) erlangt habe, fehlt dafür eine Rechtsgrundlage. Etwaige Billigkeitsgründe scheitern bereits daran, dass der Kläger für diesen Zeitraum tatsächlich Arbeitslosengeld von der Beklagten erhalten hat.“

 

Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen des 9. Senats nach eigener Prüfung an. Einen abweichenden Sachverhalt, der insoweit Anlass zu einer anderen Beurteilung geben könnte, hat der Kläger nicht vorgetragen; ein solcher ist auch sonst nicht ersichtlich.

 

b) Soweit der Kläger nunmehr nicht auf ein am 01.04.2011 oder am 16.11.2012, sondern auf ein am 15.12.2012 entstandenes Stammrecht mit einer Restanspruchsdauer von mindestens sieben Tagen abstellen möchte, so ergibt sich auch insoweit kein Alg-Anspruch für den 01. bis 07.04.2014.

 

Der Kläger will einen solchen Anspruch weiterhin darauf stützen, dass das ursprünglich für den 06.11. bis 26.12.2013 geleistete Alg der Beklagten von der DRV vollständig erstattet worden ist. Er meint insoweit (wohl unter entsprechender Anwendung der für den Fall einer sog. Gleichwohlgewährung i.S.d. § 157 Abs. 3 SGB III entwickelten Grundsätze), die Anspruchsdauer sei wegen der Erstattung aus Billigkeitsgründen zu verlängern. Hierfür fehlt jedoch eine Rechtsgrundlage (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen vom 26.01.2017 – L 9 AL 337/14).

 

aa) Eine Rechtsgrundlage ergibt sich insbesondere nicht aus § 148 Abs. 3 SGB III (i.d.F. ab dem 08.07.2019). § 148 Abs. 1 Nr. 1 SGB III (i.d.F. bis 31.07.2016) sah eine Minderung der Anspruchsdauer um die Anzahl von Tagen vor, für die der Alg-Anspruch bei Arbeitslosigkeit erfüllt worden ist. Mit Einfügung des § 148 Abs. 3 SGB III (zum 01.08.2016) entfiel die Minderung der Anspruchsdauer für die Fälle, in denen die Beklagte Alg nach den §§ 145, 157 Abs. 3 oder 158 Abs. 4 SGB III geleistet hat und es ihr (einschließlich der darauf entfallenden Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung) erstattet wurde.

 

§ 148 Abs. 3 SGB III betrifft damit sog. Nahtlosigkeitsfälle nach § 145 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 103 SGB X sowie Fälle einer Gleichwohlgewährung nach § 157 Abs. 3 SGB III und nach § 158 Abs. 4 SGB III. Durch die Neuregelung des § 148 Abs. 3 SGB IIII wurde eine nach der Rechtsprechung (vgl. BSG vom 29.01.2008 – B 7/7a AL 58/06 R) vorzunehmende Gutschrift der Anspruchsdauer in Fällen, in denen die Beklagte Alg zunächst vorgeleistet, dieses jedoch später ganz oder teilweise erstattet oder ersetzt erhalten hat, gesetzlich normiert (BT-Drucks. 18/8042 S. 28). Fälle wie derjenige des Klägers, in denen eine Erstattung indes nicht nach §§ 157 Abs. 3, 158 Abs. 4 SGB III bzw. § 103 SGB X, sondern nach § 104 SGB X erfolgt ist (dazu noch sogleich unter cc), sind von § 148 Abs. 3 SGB III nicht erfasst. Im Übrigen hat die DRV den Erstattungsanspruch der Beklagten bereits im Dezember 2015 und damit ohnehin schon vor Inkrafttreten des § 148 Abs. 3 SGB III (01.08.2016) befriedigt.

 

bb) Eine Grundlage für das Begehren des Klägers ergibt sich auch nicht allgemeiner aus den Grundsätzen, die das Bundessozialgericht zur Gutschrift der Anspruchsdauer bei Vorleistung von Alg und späterer Erstattung bzw. Ersetzung an die Beklagte entwickelt hat. Danach sollen für den Alg-Bezieher nachteilige Folgen der Alg-Gewährung (Minderung der Anspruchsdauer), die allein auf der rechtstechnischen Konzeption des Erstattungsverfahrens beruhen, abgefedert werden. Allein weil die Alg-Gewährung trotz eines im Nachhinein zuerkannten Anspruchs gegen den Rentenversicherungsträger weiterhin als rechtmäßig behandelt wurde, und weil ein Erstattungsanspruch der Beklagten gegen den Rentenversicherungsträger, nicht jedoch gegen den Versicherten begründet wurde, wurde die Bewilligung von Alg – was eine Minderung der Anspruchsdauer vermieden hätte – nicht rückwirkend aufgehoben. Eine damit einhergehende Minderung der Anspruchsdauer beim Alg wurde (erst) durch eine entsprechende „Gutschrift“ für den Erstattungszeitraum vermieden (vgl. BSG vom 23.07.1998 – B 11 AL 97/97 R Rn. 19 zu § 105a Abs. 4 AFG i.V.m. § 103 SGB X). Mit der beim Kläger bestehenden Situation ist dies indes nicht vergleichbar. Denn anders als in Fällen des § 103 SGB X (nachträgliches Entfallen der Leistungspflicht) entfällt der Anspruch gegen den erstattungsberechtigten Träger in Fällen des § 104 SGB X nicht erst rückwirkend; vielmehr stellt sich in Fällen wie dem des Klägers nur nachträglich heraus, dass der Anspruch bei rechtzeitiger Bewilligung der konkurrierenden Leistung des anderen Trägers von vornherein nicht bestanden haben würde (vgl. BSG vom 11.11.2003 – B 2 U 15/03 R Rn. 12; Prange in Schlegel/Voelzke, a.a.O., Stand: 10.01.2022, § 103 Rn. 22). Letzteres ist auch beim Kläger der Fall; sein Anspruch auf Alg für den 06.11. bis 26.12.2013 ist nicht rückwirkend entfallen. Dementsprechend hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2017 im Verfahren L 9 AL 337/14 ihren Bescheid vom 20.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2015 dahingehend konkretisiert, dass sie für die Zeit vom 06.11.2013 bis 03.08.2014 die Bewilligung des (schon ausgezahlten) Alg nicht aufhebe und vom Kläger keine Erstattung fordere. Insoweit kommt es – sowohl im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen § 103 SGB X und § 104 SGB X (vgl. insoweit Becker, SGb 2019, 253) als auch im Hinblick auf die Gutschrift der Anspruchsdauer – entscheidend darauf an, dass bei § 103 SGB X der Rechtsgrund für den Anspruch auf die erbrachte Leistung wegfällt, während er im Falle des 104 SGB X (und damit auch im Falle des Klägers) bestehen bleibt.

 

cc) Denn der Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen die Beklagte richtet sich nach § 104 SGB X. Danach ist, sofern ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

 

Der Kläger hat für die Monate April und Mai 2014 (am 01.04. und am 30.04.2014) durch das Jobcenter (als nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB II nachrangig verpflichtetem Träger) Leistungen in Höhe von jeweils 849,59 € (Regelbedarf: 391 €, Mehrbedarf für Energie/Warmwasser: 8,99 €, Kosten der Unterkunft und Heizung: 386,60 € zzgl. 63 €) monatlich erhalten (Bescheid vom 27.03.2014). Hierüber hat das Jobcenter die Beklagte (als vorrangig verpflichteten Leistungsträger) rechtzeitig in Kenntnis gesetzt und einen entsprechenden Erstattungsanspruch geltend gemacht (Schreiben vom 27.03.2014: Erstattung ab 01.04.2014; Bezifferung mit E-Mai vom 02.05.2014: bis 31.05.2014 insgesamt 1.631,95 €).

 

Die Voraussetzungen des § 103 SGB X liegen beim Kläger schon deshalb nicht vor, weil § 103 SGB X vorrangig im Verhältnis von Sozialversicherungsträgern untereinander Anwendung findet, während § 104 SGB X bei anfänglicher Subsidiarität – wie zwischen den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und den der Arbeitslosenversicherung – maßgebend ist (vgl. Prange, a.a.O. § 103 Rn. 24). Wenn der Kläger meint, einem Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X stehe (für Mai 2014) entgegen, dass die Beklagte die ihm zustehende Leistung (Alg für Mai 2014) nicht rechtzeitig erbracht habe, folgt der Senat dem nicht. Bereits mit Beschluss vom 11.07.2014 – L 20 AL 146/14 B ER hat er insoweit ausgeführt:

 

„Der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X ist schließlich nicht – wie der Antragsteller meint – deshalb ausgeschlossen, weil das Jobcenter E in der vorliegenden Konstellation nicht nachrangig im Sinne dieser Vorschrift verpflichtet war. Hierzu bestimmt § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X, dass ein Leistungsträger dann nachrangig verpflichtet ist, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre. Diese Definition kann jedoch nicht so verstanden werden, dass für die Bestimmung der Rechtzeitigkeit der Leistung auf deren Fälligkeitszeitpunkt abzustellen wäre. Ein solches Verständnis würde nämlich in den Fällen wie den vorliegenden dazu führen, dass bei einer Bewilligung von Alg im Laufe eines Monats, für den bereits Leistungen nach dem SGB II erbracht wurden, für diesen Monat niemals ein Erstattungsanspruch entstehen könnte. Denn § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II ordnet eine Vorleistungspflicht des Grundsicherungsträgers an, während Alg grundsätzlich monatlich nachträglich ausgezahlt wird, § 337 Abs. 2 SGB III. Allein die unterschiedlichen Fälligkeiten würden daher einem Erstattungsanspruch entgegenstehen, obgleich beide Leistungen für einen identischen Leistungszeitraum bewilligt wurden. Dementsprechend hat auch das BSG ausgeführt, dass es für die Rechtzeitigkeit der Leistung im Sinne des § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X nicht auf die Fälligkeit der Leistung oder den Verzug der Behörde ankomme, sondern lediglich auf die Anspruchs- bzw. Bezugszeiträume, weil nur so dem gesetzlichen Zweck, der Vermeidung zweckidentischer Doppelleistungen, entsprochen werden könne (BSG, Urteil vom 28.08.1997 – 14/10 RKg 11/96, juris Rn. 16; ebenso LSG NRW, Beschluss vom 23.12.2013 – L 3 R 707/13 NZB, Rn. 25). Soweit der Kläger sich auf eine – ältere – Entscheidung des BSG beruft, verfängt diese Argumentation nicht, weil sich der damals erkennende Senat lediglich im Rahmen eines obiter dictums und damit außerhalb der tragenden Entscheidungsgründe zu der hier streitigen Rechtsfrage geäußert hatte. Bereits der 14./10. Senat war daher bei der zuvor zitierten Entscheidung nicht gehalten, wegen einer Divergenz den Großen Senat des BSG nach § 41 Abs. 2 SGG anzurufen. Entsprechend stellt auch die vorliegende Entscheidung keine Divergenz zur Rechtsprechung des BSG dar. Da vorliegend das Jobcenter E und die Antragsgegner Leistungen für sich deckende Zeiträume (08.04.-31.05.2014) erbracht haben, waren die Leistungen des Jobcenters nachrangig und die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs insgesamt gegeben.“

 

Für seine jetzige Entscheidung verweist der Senat auf diese (weiterhin zutreffenden) Ausführungen.

 

Insoweit kann auch dahinstehen, ob das Jobcenter Alg II zu Unrecht endgültig (statt vorläufig) bewilligt hat. Zwar muss der tatsächlich leistende, nachrangig verpflichtete Träger im Grundsatz eine rechtmäßige Leistung erbracht haben, indem er entsprechend dem für ihn geltenden Leistungsrecht Leistungen erbracht hat (Pattar, a.a.O. § 104 Rn. 27 m.w.N.). Zu beachten ist jedoch, dass das Erstattungsverhältnis nach §§ 102 ff. SGB X durch wechselseitige Bindung an die Entscheidungen des anderen Leistungsträgers geprägt ist. Im Rahmen des Erstattungsverfahrens muss grundsätzlich jeder Leistungsträger die wirksamen Verwaltungsakte des anderen Leistungsträgers gegen sich gelten lassen (Becker, a.a.O. Rn. 117 m.w.N.; a.A. BVerwG vom 13.03.2003 – 5 C 6.02 m.w.N.; BVerwG vom 09.02.02012 – 5 C 3.11 Rn. 15. Danach soll der Erstattungsanspruch aus § 102 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 43 Abs. 1 SGB I rechtlich unabhängig von dem Leistungsanspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger sein. Die dort entschiedene Konstellation betraf indes, ebenso wie die dort in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts <BSG vom 28.09.1999 – B 2 U 36/98 R Rn. 19, vom 30.05.2006 – B 1 KR 17/05 R Rn. 31 sowie vom 04.07.2013 – B 2 U 12/12 R>, den Fall der im Verhältnis zum Bürger bindenden Leistungsablehnung durch den als erstattungspflichtig angesehenen Leistungsträger. Was dieser Leistungsträger gegenüber dem Bürger nicht schuldet, soll er auch gegenüber dem anderen Leistungsträger nicht schulden. Dies betrifft jedoch nicht die hier bestehende Konstellation, in der beide Leistungsträger – einvernehmlich – jeweils bestandskräftig ihre Leistungspflicht festgestellt haben). Der Bindungswirkung von Verwaltungsakten des einen Leistungsträgers kommt – unabhängig von der „Eigenständigkeit des Erstattungsanspruchs“ – für den anderen Leistungsträger auch für das Erstattungsverhältnis entscheidende Bedeutung zu. Diese Bindungswirkung ist nicht etwa eine Spezialität des Erstattungs- oder Sozialrechts, sondern findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und der grundsätzlichen Rechtsbeständigkeit von rechtsverbindlich regelnden Akten der öffentlichen Gewalt als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG (Becker, a.a.O. Rn. 120 m.w.N.).

 

Dieser Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Leistungsverhältnis zum Bürger gestattet dem als erstattungspflichtig in Anspruch genommenen Leistungsträger alle Einwendungen, welche ihm gegenüber dem Leistungsanspruch des Leistungsberechtigten zustehen; denn sonst würde er ggf. durch die Erstattungspflicht stärker belastet, als es seiner Verpflichtung gegenüber dem Leistungsberechtigten entspricht (Becker, a.a.O. Rn. 121 m.w.N.). Die Maßgeblichkeit der gegenüber dem Leistungsberechtigten bestandskräftig konkretisierten Rechtslage für das Erstattungsverfahren wirkt zweiseitig. So wie der erstattungsberechtigte Leistungsträger im Verhältnis zum erstattungspflichtigen Träger dessen Entscheidungen im Sozialleistungsverhältnis grundsätzlich hinzunehmen hat, so muss sich auch der auf Erstattung in Anspruch genommene im Verhältnis zum erstattungsberechtigten Träger an dessen (u.U. rechtswidrig begünstigenden) Entscheidungen festhalten lassen (Becker, a.a.O. Rn. 122; BSG vom 23.06.1993 – 9/9a RV 35/91 Rz 15; LSG Berlin-Brandenburg vom 16.06.2011 – L 2 U 10/10 Rn. 22). Dies beruht auf dem Interesse an der Funktionsfähigkeit des gegliederten Systems der sozialen Sicherheit. Insoweit besteht eine über die relative Bestandskraft (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X) im Innenverhältnis der Beteiligten des Verwaltungsverfahrens hinausgehende Bindung (sog. Tatbestandswirkung). Wo dies nicht der Fall sein soll, hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich bestimmt (vgl. BSG vom 23.06.1993 – 9/9a RV 35/91 Rz 15 m.w.N.).

 

Im Fall des Klägers hat das Jobcenter ihm durch bestandskräftigen Bescheid vom 27.03.2014 für den 01.04. bis 30.09.2014 Leistungen nach dem SGB II endgültig bewilligt (ein gegen den Bescheid des Jobcenter vom 27.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.07.2014 vor dem Sozialgericht geführtes Klageverfahren <S 3 AS 2567/14> endete im Erörterungstermin vom 05.03.2015 durch angenommenes Teilanerkenntnis <11,13 € monatlich höhere KdU> bei Klagerücknahme im Übrigen). Die Bestandskraft dieser Bewilligungsbescheide wirkt in das Erstattungsverfahren hinein; es bedarf deshalb weder zur Rechtmäßigkeit der Bewilligungsbescheide des Jobcenters im Hinblick auf die Endgültigkeit der Leistungsgewährung noch zur Höhe der gewährten Leistungen nach dem SGB II einer inzidenten Prüfung durch den Senat.

 

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

D. Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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