S 3 R 239/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 239/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 761/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für den Versicherten Herrn  S. erbrachten Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 8.785,78 Euro zu erstatten.


II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.


III. Der Streitwert wird auf 8.785,78 Euro festgesetzt.

 

T a t b e s t a n d :

Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin die im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben des Versicherten R.S. erbrachten Leistungen in Höhe von 8.785,78 Euro zu erstatten hat.

Der im Jahre XXXX geborene Versicherte hat mit 18 Jahren einen PKW-Unfall selbst verschuldet und sich dabei ein Polytrauma mit Hirnverletzung zugezogen. Von 2006 bis 2012 hat er kurzzeitig verschiedene Tätigkeiten als Kommissionierer, Helfer und Drucker ausgeübt, welche er krankheitsbedingt abbrach. Am 14.02.2013 beantragte er bei der Beklagten eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Nach Bewilligung einer solchen Maßnahme war er von Juli 2013 bis Mai 2014 auf einer vollstationären medizinischen Rehabilitation in N.. Eine Eingliederung in eine Werkstatt für behinderte Menschen wurde hier empfohlen, da er wegen seiner Erkrankung derzeit nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar sei. Darauf beantragte der Versicherte am 09.07.2014 bei der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Dieses teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 17.07.2014 mit; es halte deren Zuständigkeit für gegeben und bat um Entscheidung über die Notwendigkeit der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen. Die Klägerin bewilligte dem Versicherten nunmehr eine Maßnahme in einem Eingangsverfahren und anschließend im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Behinderte mit Bescheid vom 08.09.2014. Bereits mit Schreiben vom 03.09.2013 meldete die Klägerin gegenüber der Beklagten hierfür einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 -Zehntes Buch- Sozialgesetzbuch (SGB X) an. Die Maßnahme dauerte vom 16.09.2014 bis 28.11.2014 und vom 04.05.2015 bis 29.05.2015 und endete mit dem Abbruch aus gesundheitlichen Gründen, nachdem die Maßnahme bereits einmal aus gesundheitlichen Gründen unterbrochen worden war.
Bereits mit Schreiben vom 25.06.2014 war dem Versicherten von der Beklagten mitgeteilt worden, dass bei ihm eine volle Erwerbsminderung auf Zeit festgestellt wurde, weshalb der Rehabilitationsantrag vom 14.02.2013 in einen Rentenantrag umgedeutet werde nach § 116 Abs. 2 SGB VI. Mit Bescheid vom 05.08.2014 wurde dem Versicherten durch die Beklagte dann auch eine volle Erwerbminderungsrente auf Zeit ab 01.05.2013 bis 30.04.2016 bewilligt, die dann verlängert wurde.

Die Beklagte lehnte den Erstattungsanspruch der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 10.11.2014 ab. Begründet wurde die Ablehnung damit, dass der Bezug einer Rente nicht vorlag. Der Bewilligungsbescheid sowie der tatsächliche Rentenbezug lägen erst nach der Weiterleitung des LTA-Antrages.

Da die Klägerin die Auffassung vertritt, dass eine erfolgreiche Rehabilitation den Eintritt einer Erwerbsminderungsrente hätte abwenden können, weshalb § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI erfüllt sei, bestehe auch ein Erstattungsanspruch.

Am 16.03.2017 erhob die Klägerin Klage.

Sie ist weiterhin der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI vorliegen. Danach würden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom Rentenversicherungsträger erbracht, wenn sie für eine voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation unmittelbar im Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erforderlich seien. Dies sei hier der Fall. Die Maßnahme sei daher zu Recht in Vorleistung nach den Vorschriften des § 14 SGB IX durch die Klägerin erbracht worden. Deshalb bestehe nach § 14 Abs. 4 SGB IX ein Erstattungsanspruch.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr die für die Teilhabe am Arbeitsleben des Herrn  S. erbrachten Leistungen in Höhe von 8.785,78 Euro zu erstatten.


Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass kein Erstattungsanspruch der Klägerin besteht, weil beim Versicherten bei Antragstellung die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch sie nicht bestanden haben. Eine Wiedereingliederung des Versicherten ins Erwerbsleben könne durch eine Eingliederung in eine Werkstatt für Behinderte nicht erreicht werden. Für Personen, bei denen voraussichtlich ein vollschichtiges Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr erreicht werden könne, seien für Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen nach §§ 39 ff. -Neuntes Buch- Sozialgesetzbuch (SGB IX) die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen über § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt, da eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nicht erreicht werden könne, so dass durch die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben eine erfolgreiche Rehabilitation nicht erreicht werden könne.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin sowie der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die von der Klägerin gemäß den §§ 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und erfolgreich.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der von ihr für den Versicherten R.  S. erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Es steht der Klägerin ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 SGB IX zu. Die Vorschrift räumt dem zweitangegangenen Träger einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Reha-Träger ein. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X grundsätzlich vor. Er ist begründet, soweit der Versicherte von dem Träger, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX zuständig wäre, die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (vgl. BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 4, RdNr. 18 ff; BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr. 4, RdNr. 9 ff; BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 7, RdNr. 28 ff; BSG SozR 4-3250 § 14 Nr. 10 RdNr. 11 mwN). Die Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die in der konkreten Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind. Im Verhältnis zum behinderten Menschen wird dadurch eine eigene gesetzliche Verpflichtung des zweitangegangenen Trägers begründet, die - vergleichbar der Regelung des § 107 SGB X - einen endgültigen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistungen in diesem Rechtsverhältnis bildet. Im Verhältnis der Reha-Träger untereinander ist jedoch eine Lastenverschiebung ohne Ausgleich nicht bezweckt (BSGE 98, 277 = SozR 4-2500 § 40 Nr. 4, RdNr. 12; Knittel, SGB IX, Stand August 2012, § 14 RdNr. 129).

Die Erstattungsregelung des § 14 Abs. 4 S 1 SGB IX ist hier anwendbar, weil die Beklagte den bei ihr eingereichten Leistungsantrag des Versicherten fristgemäß nach Antragseingang und damit unverzüglich i.S. des § 14 Abs. 1 S 2 SGB IX an die Klägerin weitergeleitet hat. Die Klägerin hat danach die Leistungen an den Versicherten als zweitangegangener Reha-Träger i.S. des § 14 SGB IX erbracht.

Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs. 4 S 1 SGB IX ist, dass nach Bewilligung der Leistung durch den vorleistenden Reha-Träger (§ 14 Abs. 1 S. 2 bis 4 SGB IX) festgestellt wird, dass der andere Träger für die Leistung zuständig ist. Eine solche Erstattungslage besteht mithin nicht, wenn der zweitangegangene Reha-Träger selbst für die erbrachte Leistung nach den Vorschriften seines Leistungsrechts - hier des SGB III - zuständig ist. Dies ist jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der Fall.

Die Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen richtet sich nach § 63 Abs. 1 SGB IX. Nach Nr. 1 dieser Vorschrift erbringt die Bundesagentur für Arbeit diese Leistungen, soweit nicht einer der in den Nr. 2 bis 4 genannten Träger zuständig ist. Nach Nr. 3 der Norm sind die Träger der Rentenversicherung unter den Voraussetzungen der §§ 11 bis 13 SGB VI zuständig. Auf die Erfüllung des § 10 SGB VI kommt es gerade nicht an. Demnach muss es während oder im Anschluss an eine medizinische Rehabilitation in Trägerschaft des Rentenversicherungsträgers bereits ausreichen, wenn zumindest Werkstattfähigkeit gegeben ist, was vorliegend der Fall ist, um den Rehabilitationserfolg zu sichern. Nach den Empfehlungen der Rehabilitationsklinik werden zur Sicherung des Reha-Erfolges Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben empfohlen, und zwar im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen.
Nach Überzeugung der Kammer erfüllte der Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistung des Rentenversicherungsträgers nach § 11 SGB VI, der damit vorrangig leistungspflichtig ist. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI gelten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen als erfüllt, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezogen wird. Hierunter fällt auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Die Rente muss tatsächlich bezogen werden. Das Stammrecht allein reicht nicht aus, es muss also ein Antrag gestellt worden sein (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.43). Da der Anspruch aber nicht von der Bearbeitungsdauer des Rentenantrags abhängen kann, muss der Rentenbescheid noch nicht erlassen worden sein. Es reicht, wenn sämtliche Voraussetzungen des Rentenanspruchs erfüllt sind und lediglich die Bescheiderteilung aussteht (siehe hierzu Kater in KassKomm, 69. Aufl. § 11 Rn. 6). Dies war hier der Fall. Als Rentenantragsdatum wurde der Antrag auf Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsleistung vom 14.02.2013 herangezogen. Die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lagen ebenfalls bereits zum Leistungsfall am 03.10.2012 vor. Die Voraussetzungen lagen damit bereits vor Stellung des Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom 09.07.2014 vor. Die ärztliche Stellungnahme der Beklagten über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 04.06.2014 sowie ein Schreiben der Beklagten an den Versicherten vom 25.06.2014 einen Rentenantrag zu stellen, lagen bereits vor, als die Beklagte den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben am 17.07.2014 an die Klägerin weiterleitete. Mit dem Abstellen auf den Bescheiderlass könnte ein Reha-Träger, wie hier in dieser Fallkonstellation zu sehen, Einfluss nehmen auf die Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen. Dies kann nach der Gesetzeskonzeption nicht gewollt sein. Da auch die weiteren Voraussetzungen der §§ 11-13 SGB VI gegeben waren, war die Beklagte vorrangig leistungsverpflichtet gegenüber dem Versicherten.

Die Beklagte hat die Höhe des Erstattungsanspruchs nicht bestritten und das Gericht konnte auch keinen Fehler bei der Berechnung erkennen.

Der Klage war deshalb im vollen Umfang stattzugeben.

Die Beklagte hat der obsiegenden Klägerin deren Kosten zu erstatten sowie die Kosten des Rechtsstreits zu tragen gemäß § 197a SGG.

Nach § 52 Absatz 1 GKG ist der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag der Klägerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag der Klägerin eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, so richtet sich die Höhe des Streitwerts gemäß § 52 Absatz 3 GKG nach der Höhe dieser Geldleistung. Im vorliegenden Rechtsstreit richtet sich die Klage auf einen Erstattungsanspruch, mit dem eine Forderung von insgesamt 8.785,78 Euro geltend gemacht wird.
 

 

Rechtskraft
Aus
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