L 4 KR 508/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 KR 73/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 508/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Der HE-Kommunikator Light II Go Talk Now stellt keinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar. Es handelt sich vielmehr um ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V.
2. Dabei ist es unschädlich, dass der Kommunikator auf Basis eines handelsüblichen iPads Air 2 gefertigt ist.
3. Der Sachleistungsanspruch nach § 33 Abs. 1 SGB V setzt nicht zwingend eine vertragsärztliche Verordnung des Hilfsmittels voraus.
4. Zu einem Anspruch der Klägerin auf dieses Hilfsmittel.

 

I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 7. August 2019 aufgehoben.

II. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26. August 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Dezember 2016 verurteilt, die Klägerin mit einem HE-Kommunikator Light II Go Talk Now - ohne Zubehör - zu versorgen.

III. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

IV. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um die Versorgung der Klägerin mit einem HE-Kommunikator HE-Kommunikator Light II Go Talk Now.

Bei der 1966 geborenen Klägerin besteht seit einem Mediainfarkt im Februar 2016 eine hochgradige Wortfindungsstörung, komplette Allexie, komplette Agraphie, partielle Aphasie und eine mäßiggradige Sprachverständnisstörung sowie eine komplette armbetonte Halbseitensymptomatik. Es sind ein GdB 100 und Pflegebedürftigkeit nach Pflegegrad 2 anerkannt.

Am 01.08.2016 beantragte die S Klinik Bad A für die Klägerin die Versorgung mit einem iPad "Go Talk" und einer Software "Language" als Kommunikationshilfe und zum weiteren Training der Sprache. Die Anwendung sei im Haus erfolgreich erprobt worden. Vorgelegt wurde ein Kostenvoranschlag des Sanitätshauses S1 für einen HE-Kommunikator Light II Go Talk (Kosten: 2.520,00 Euro), Tragetasche, Language-Therapie, Umfeldkontrolle und Installationspauschale zum Gesamtpreis von 4.208,30 Euro. Mit streitigem Bescheid vom 26.08.2016 teilte die Beklagte mit, dass sie die behindertengerechte Software übernehmen werde, jedoch nicht das ebenfalls beantragte iPad, das in den eigenverantwortlichen Bereich der Klägerin falle.

Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2016 zurück, weil ein iPad, wie der beantragte HE-Kommunikator Light II, einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens darstelle. Aus den Hilfsmittelrichtlinien ergebe sich im Übrigen, dass Hilfsmittel nur verordnet werden dürften, wenn sie im Hilfsmittelverzeichnis gelistet seien. Damit entscheide ausschließlich der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), ob ein Hilfsmittel zu Lasten der GKV verordnet und abgerechnet werden könne.

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht München (SG) hat die Klägerin angegeben, der beantragte HE-Kommunikator stelle ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs.1 SGB V dar, weil er speziell zur Behandlung kranker und behinderter Menschen hergestellt und verbreitet werde. Er sei auch im Hilfsmittelverzeichnis mit der Software MetaTalk gelistet. Im Übrigen sei das Hilfsmittelverzeichnis nicht abschließend und nicht verbindlich. Mit einem normalen iPad könne die Klägerin nicht arbeiten. Sie sei auf die entsprechende Zurüstung angewiesen.
 
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat daran festgehalten, dass es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handle. Diese Eigenschaft ginge nicht dadurch verloren, dass das iPad mit Komponenten wie stabilem Gehäuse, zusätzlichem Lautsprecher und diversen Halterungen versehen sei. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Optimalversorgung. Im Übrigen bestehe keine begründbare Relation zwischen den Kosten des HE-Kommunikators und einem Gebrauchsvorteil.

Auf Nachfrage hat die behandelnde Hausärztin dem SG mitgeteilt, dass die Klägerin mittlerweile in der Lage sei, Worte nachzusprechen und einfachen Unterhaltungen zu folgen bzw. Aufforderungen nachzukommen. Insgesamt sei bezüglich der Beweglichkeit und der Sprache eine zögerliche Besserung eingetreten. Es erfolge regelmäßige Logo-, Ergo- und Physiotherapie.

In einem Gutachten nach Hausbesuch am 06.10.2017 hat der Facharzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin H als gerichtlicher Sachverständiger bei der Klägerin eine mäßiggradige Sprachverständnisstörung, eine hochgradige Wortfindungsstörung, komplette Allexie, komplette Agraphie und partielle Aphasie festgestellt. Daneben bestehe eine komplette armbetonte Halbseitensymptomatik rechts. Der HE-Kommunikator Light II mit Software Go Talk Now und Language-Paket stehe seit einem Jahr zur Verfügung. Er werde sowohl beim zweimal wöchentlichen Training mit der Logopädin wie auch zweimal täglich zur Eigenbeübung mit oder ohne den Ehemann der Klägerin eingesetzt. Die Klägerin kommuniziere mit ihrem Ehemann durch Zeichen oder durch einzelne Worte. Langfristiges Ziel sei es, dass die Klägerin durch die tägliche Eigentherapie das selbstständige Sprechen ohne Kommunikator wieder erlerne.

Derzeit stehe die Therapie der Sprachstörung und Erkennungsstörung für Buchstaben und Worte im Vordergrund, später möglicherweise der Behinderungsausgleich. In Anbetracht der begrenzten Fortschritte sei es aber wahrscheinlich, dass ein Defizit verbleiben werde, so dass eine symbolbasierte Kommunikationshilfe wahrscheinlich erforderlich sein werde. Ein Behinderungsausgleich mit Hilfe des Geräts werde lediglich sekundär angestrebt, sofern ein adäquates Sprechen nicht mehr erlernt werden könne.

Die Kommunikation mit dem Kommunikator Light II Go Talk Now erfolge auf dem iPad Air 2. Es handele sich um ein handelsübliches iPad, das neu für ca. 500,00 Euro bezogen werden könne. Der Kommunikator stelle ein modifiziertes Gerät dar, weil er in ein Plastikgehäuse eingebettet sei, das über einen Tragegriff verfüge und in das größere Lautsprecher integriert seien. Größere Lautsprecher seien für die Klägerin unbedingt erforderlich. Das Plastik-Case schütze das iPad vor Schäden beim Herunterfallen. Ein iPad Air 2 sei für die Klägerin nicht geeignet, da es nicht hinreichend sicher in der Hand gehalten werden könne (fehlender Haltegriff), über keine hinreichende Bruchprophylaxe für den Einsatz außer Haus verfüge und die Sprachwiedergabe durch den kleinen Lautsprecher nicht ausreichend sei. Eine ständige räumliche und zeitliche Verfügbarkeit der Kommunikationshilfe sei sinnvoll. Die Bedienung müsse direkt oder durch eine Adaptionshilfe möglich sein

Für Erwachsene seien verschiedene Geräte auf dem Markt, die sich hinsichtlich Software, Größe, Gewicht, modularem Aufbau und Erweiterbarkeit unterscheiden würden. Als alternativer Kommunikator komme das MoMobil 84 in Betracht. Dieses Gerät besitze aber keine Wortvorhersage und keine Symbolunterstützung, so dass es nicht als gleichwertig anzusehen sei. Es könne allerdings aufgerüstet werden und koste dann etwa 6.000,00 Euro. Zusätzlich gebe es das Gerät Tellos-Smart zum Preis von 5.989,98 Euro. Im Ergebnis gebe es keinen klaren Preisvorteil alternativer Geräte, vielmehr sei der HE-Kommunikator Light II deutlich günstiger zu bewerten.

Die Beklagte hat hierauf die Auffassung vertreten, es handle sich bei der Verwendung der Therapiesoftware auch um eine neue Behandlungsmethode, die vom GBA beurteilt werden müsse. Zum mittelbaren Behinderungsausgleich könnten auch Kommunikationstafeln oder ein einfacher statischer Kommunikator eingesetzt werden, z. B. Go Talk 32 plus. Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht biete sie jedoch an, auch die Kosten für die Software als vergleichsweise Einigung zu übernehmen. Im Übrigen sei die vom Hersteller so aufwendig gefertigte Hülle bei der Klägerin nicht notwendig sei. Es könne auch ein iPad mit einer handelsüblichen Schutzhülle mit Kosten in Höhe von ca. 15,00 Euro erworben werden.

In einer ergänzenden Stellungnahme hat H angegeben, die Kommunikation mittels symbolbasierter Kommunikationstafeln setze voraus, dass der Gesprächspartner seine Aufmerksamkeit auf den behinderten Menschen richtet und mit ihm kommunizieren möchte. Die Kommunikation gelinge aber dann nicht, wenn sich der behinderte Mensch nicht in einer Kommunikationssituation befinde und von sich aus Bedürfnisse anmelden wolle. Im Übrigen sei damit nur eine sehr eingeschränkte Kommunikationstiefe ohne komplexere Wünsche möglich. Auch mit statischen Kommunikatoren sei eine differenziertere Kommunikation nicht möglich, da diese nicht programmierfähig seien. Eine Kommunikation wäre auf ein Minimum reduziert. Die von der Klägerin begehrte Kommunikationshilfe ermögliche dagegen eine individuelle Programmierung und auch eine textbasierte Kommunikation, so dass beliebige Texte den Symbolen zugeordnet werden könnten und somit auch typische Problemsituationen im Alltagsleben abgebildet werden könnten. So könne der behinderte Mensch seinen Wohnort mitteilen und die Telefonnummer des Ehemannes. In einer Notsituation außer Haus könne er auch etwas differenziertere Angaben zu seinen Beschwerden machen.

Die Klägerin hat angegeben, sie wäre sowohl beim iPad als auch beim Go Talk 32 plus immer auf die Hilfe Dritter angewiesen, da es ihr nicht möglich sei, den rechten Arm zu Hilfe zu nehmen. Ferner müssten beim Go Talk 32 plus regelmäßig zur Nutzung der 160 zur Verfügung stehenden Nachrichten die Deckblätter gewechselt werden, was ihr aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht gelingen dürfte. Den Kommunikator könne sie dagegen ohne Hilfe nützen. Sie arbeite derzeit noch täglich mit einem Gerät, das ihr der Hersteller vorübergehend zur Verfügung gestellt habe.

Als Herstellerin des beantragten Kommunikators hat die Firma H mitgeteilt, dass der um das iPad verbaute Koffer nicht einzeln erworben werden könne. Die Zulassung des HE-Kommunikators als Hilfsmittel habe es notwendig gemacht, einen speziell angefertigten Koffer zu entwerfen. Dieser bestehe aus medizinisch zugelassenem Kunststoff, der sowohl speichel- als auch körperflüssigkeitsfest sei. Auch verfüge der Koffer über eine eigene Ladeintelligenz mit speziell gefertigten Anschlüssen, Lade- und Lautsprecherelektronik.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.08.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach den aktuellen Befunden werde das Hilfsmittel weiterhin vor allem mit therapeutischer Zwecksetzung eingesetzt werde und nicht zum (mittelbaren) Behinderungsausgleich. Im Rahmen einer Sprachtherapie gehe das Gerät über das Erforderliche hinaus. Es sei weder wirtschaftlich noch zweckdienlich und daher von der Beklagten nicht zu leisten. Grundelement eines Kommunikators sei ein handelsübliches iPad, für das nach der Rechtsprechung des BSG eine Leistungsverpflichtung ausgeschlossen sei, weil es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele. Im Übrigen gebe es für ein iPad handelsübliche Schutzhüllen für Kinder mit Griff, die eine ähnliche einhändige Bedienung ermöglichten, wie die Spezialanfertigung des Kommunikators. Die teurere speichelfeste Ausgestaltung des Cases sei bei der Klägerin nicht erforderlich. Auch der bessere Lautsprecher werde nicht benötigt, da die Klägerin noch nicht über die Eingabe von Sätzen und Satzfragmenten mit ihrer Umgebung kommunizieren könne. Gegebenenfalls könnten auch bessere Bluetooth-Lautsprecher angeschafft werden. Zur Überzeugung der Kammer handele es sich bei dem Übungsprogramm nicht um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die einer Anerkennung durch den GBA bedürfte, weil das Sprachprogramm im Rahmen der logopädischen Sprechstunde verwendet werde und damit Teil des Heilmittels logopädische Behandlung sei.

Dagegen hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Entgegen der vom SG vertretenen Rechtsauffassung handele es sich bei dem Kommunikator nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Er sei speziell zur Behandlung kranker und behinderter Personen hergestellt und im Hilfsmittelverzeichnis gelistet. Dies gelte zwar für die Software MetaTalk, müsse aber auch für die Software Go Talk Now gelten. Die Klägerin benötige das Hilfsmittel einerseits zur Fortführung der Therapie außerhalb der logopädischen Sprechstunde als auch zum Behinderungsausgleich wegen der fehlenden anderweitigen Kommunikationsmöglichkeit.

Der Senat hat erneut Befundberichte eingeholt. Dabei hat die Hausärztin E im Sommer 2021 mitgeteilt, dass Dysphasie und Aphasie weiterbestehen. Die Klägerin sei mit leichten Schwierigkeiten aufgrund kleinschrittigen Ganges in der Lage, alleine zu gehen. Die Befunde zeigten sich stabil. Ihre kommunikativen Fähigkeiten hätten sich seit dem Ereignis deutlich verbessert. Der behandelnde F hat angegeben, dass die Kommunikation weiterhin nur sehr eingeschränkt möglich sei. Die Klägerin bedürfe weiterhin regelmäßiger intensiver Behandlung mit eigenständiger Therapie auch zu Hause. Dies beinhalte auch das Training mittels Sprachcomputer, um eine Verschlechterung der Sprachstörung zu verhindern.

Die behandelnde Logopädin hat am 20.09.2022 mitgeteilt, dass die Sprache der Klägerin nach wie vor durch eine unflüssige Sprachstörung gekennzeichnet sei. Die Sprachproduktion sei dabei im Telegrammstil ohne grammatische Strukturen. Allerdings würden immer häufiger spontan gebildete grammatikalisch korrekte Satzäußerungen auftreten, wie z. B. "der Urlaub ist gestrichen". Die Klägerin setze den Kommunikator sehr häufig ein. Er diene einerseits als Therapiehilfsmittel, um selbständig Sprachübungen auf allen sprachlichen Ebenen durchzuführen (Wortabruf, Sprachverständnis, Lesen und Schreiben). Andererseits diene er in der Kommunikation als Hilfsmittel, um Wörter schneller abzurufen. Der häufige Einsatz habe maßgeblich zur Verbesserung der Aphasie beigetragen und sei als Unterstützung in der Therapie und im Alltag unentbehrlich.

Die Klägerin hat am 30.09.2021 mitgeteilt, dass die Beklagte nun selbst einen Rahmenvertrag über die Versorgung mit Adaptions- und Kommunikationshilfen mit Leistungserbringern abgeschlossen habe. Hierin finde sich auch die Versorgung mit dem hier begehrten Hilfsmittel. Es gebe keinen Grund, weshalb die Klägerin nicht daran teilhaben dürfe.

Die Beklagte hat den Abschluss eines Vertrages mit verschiedenen Hilfsmittellieferanten auf Grundlage von § 127 Abs. 1 SGB V bestätigt. Die Versorgung der Versicherten mit dem beantragten Kommunikator setze aber die Feststellung der Leistungspflicht und des Leistungsumfangs nach § 33 SGB V durch die Krankenkasse voraus. Das Hilfsmittel werde hier weiterhin zur logopädischen Behandlung eingesetzt.

In der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2022 hat der als Zeuge vernommene Ehemann der Klägerin angegeben, dass sich seine Frau nach dem Schlaganfall zunächst nur sehr langsam erholt habe. Seit sie das Gerät habe, hätten sich der Umgang und die Sprachfähigkeit deutlich verbessert. Die Sprachtherapeutin komme einmal die Woche nach Hause. Sie gebe seiner Frau auch Hausaufgaben auf. Seine Frau übe jeden Tag sehr gewissenhaft an unterschiedlichen Orten im Haus, so im Wohnzimmer oder auch im ehemaligen Kinderzimmer. Im Haus könne sie sich ohne Rollstuhl fortbewegen, da sie eine Gehschiene habe. Ein Versuch mit einem normalen iPad sei nicht gut verlaufen, da sie das dünne Gerät nur schlecht habe festhalten können. Vorteil des HE-Kommunikators sei, dass er dicker und sehr stabil sei. Er sei auch schon öfters runtergefallen, dabei aber nicht beschädigt worden. Der Boden im Wohnzimmer und im Kinderzimmer sei mit Parkett, im Bad und im Flur mit Fliesen verlegt. In der Familie verständige man sich ohne das Gerät und es werde auch nur zuhause genutzt.

Die Beklagtenvertreterin hat sich weiterhin bereit erklärt, die Kosten für die Software zu übernehmen. Im Übrigen könne ein handelsübliches, mit Zusätzen versehenes iPad verwendet werden. Auf die Niederschrift der Sitzung wird verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 07.08.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 26.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2016 zu verurteilen, die Klägerin mit einem HE-Kommunikator Light II Go Talk Now zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten und gewechselten Schriftsätze verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Berufung ist im Wesentlichen begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die Versorgung mit dem HE-Kommunikator Light II Go Talk Now zu Lasten der Beklagten als Sachleistung.

Rechtsgrundlage des Anspruchs der Klägerin auf Versorgung durch die beklagte Krankenkasse ist § 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V iVm § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Versicherte haben danach Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Bei dem hier streitgegenständlichen HE-Kommunikator Go Talk Now handelt es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Darunter fallen Gegenstände, die allgemein im täglichen Leben verwendet werden. Geräte, die dagegen für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt und hergestellt worden sind und von diesem Personenkreis ausschließlich oder ganz überwiegend benutzt werden, sind grundsätzlich nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen (vgl. Urteil des BSG vom 16.04.1998 B 3 KR 9/97 R).

Der HE-Kommunikator Light II mit der App Go Talk Now ist ein Gerät zur symbolbasierten Kommunikation von Menschen mit Sprachbehinderungen (vgl. https://www.rehadat-hilfsmittel.de/de/produkte/kommunikation-information) und wird ausschließlich oder jedenfalls weit überwiegend von diesem Personenkreis benutzt. Für die Eigenschaft als Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V ist es unschädlich, dass der Kommunikator auf Basis eines handelsüblichen iPads Air 2 gefertigt ist, das für sich gesehen zweifellos einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens darstellt. Die behindertengerechten Umbauten, insbesondere die feste Einbettung des iPads in ein stabiles Plastikgehäuse mit integrierten Lautsprechern und eigener Ladeintelligenz mit speziell gefertigten Anschlüssen, Lade- und Lautsprecherelektronik, passen das iPad so an die Bedürfnisse behinderter Menschen an, dass es für andere Personen, die einen tragbaren Computer nutzen wollen, uninteressant ist. Im Übrigen zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass die Beklagte einen Versorgungsvertrag nach § 127 Abs. 1 SGB V über den streitigen HE-Kommunikator geschlossen hat, dass auch sie nunmehr von der Hilfsmitteleigenschaft des Gerätes ausgeht.

Der Kommunikator ist nicht nach § 34 Abs. 4 SGB V als Hilfsmittel von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis von der Versorgung ausgeschlossen.

Dem Versorgungsanspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass der HE-Kommunikator bislang nicht vertragsärztlich verordnet worden ist. Der Sachleistungsanspruch gegenüber der GKV nach § 33 Abs. 1 SGB V setzt nicht zwingend eine vertragsärztliche Verordnung des Hilfsmittels voraus (st. Rsp, vgl. Urteil des BSG vom 07.10.2010 B 3 KR 5/10 R).

Beim Einsatz von Hilfsmitteln nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist nach deren Funktionalität und schwerpunktmäßiger Zielrichtung bzw. Zwecksetzung zu differenzieren (vgl Urteil des BSG vom 15.03.2018 B 3 KR 18/17 R). Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB V dient ein Hilfsmittel dann, wenn es im Rahmen einer Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, d.h. zu einer medizinisch-therapeutischen Behandlung einer Erkrankung eingesetzt wird. Ein Hilfsmittel kann auch losgelöst von einem kurativen Behandlungskonzept als Mittel der medizinischen Rehabilitation eingesetzt werden, wenn es der Vorbeugung einer drohenden Behinderung oder dem Ausgleich einer Behinderung dient (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 und 3 SGB V). Ein solches Hilfsmittel zielt nicht primär auf das Heilen, Verhüten einer Verschlimmerung oder Lindern von Beschwerden einer Krankheit, sondern in erster Linie darauf, eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Als Leistung zur medizinischen Rehabilitation ist das Hilfsmittel dann grundsätzlich unter Beachtung der Regelungen des SGB IX zu erbringen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 SGB V).

Zutreffend hat das SG festgestellt, dass der streitige Kommunikator bei der Klägerin weiterhin überwiegend zum Zweck der Therapie der komplexen, neurologisch bedingten Sprech- und Spracherkrankung eingesetzt wird. Wie aus den eingeholten fachlichen Stellungnahmen hervorgeht, konnten mit Hilfe des Kommunikators auch noch zuletzt Fortschritte beim Sprachtraining erzielt werden. Durch regelmäßiges Üben mit den vom Kommunikator angezeigten Symbolen bzw. mit der Kombination von Symbolen sollen Wortfindungsstörung und Aphasie weiter verbessert werden. Im Übrigen dienen die intensiven Übungen dazu, einer möglichen Verschlechterung der Sprachstörung entgegenzuwirken. In diesem Sinne ist der Kommunikator Teil der vom behandelnden Neurologen verordneten logopädischen Behandlung nach §§ 32 und 33 der Heilmittelrichtlinien (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung), die die Klägerin zusammen mit der Logopädin oder im Rahmen von täglich zu erledigenden Hausaufgaben bzw. freiwilligen Übungen absolviert. Ein Ausschluss der Verwendung von Kommunikatoren nach § 42 der Heilmittelrichtlinien besteht nicht.

Daneben dient das Hilfsmittel auch der Verhütung einer Verschlimmerung der bestehenden Behinderung und hat zusätzlich einen rehabilitativen Zweck.

Entgegen der Ansicht des SG ist der Einsatz des streitigen Kommunikators bei der Klägerin erforderlich und entspricht auch dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V). Für den Senat steht fest, dass die Klägerin zur weiteren Behandlung ihrer Sprach- und Sprecherkrankung im Rahmen der Logopädie einer geeigneten Kommunikationshilfe bedarf, mit deren Hilfe Begriffe und Sätze des täglichen Lebens eingeübt werden können. Nicht ausreichend hierfür sind nach dem überzeugenden Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen, dem sich der Senat anschließt, die von der Beklagten angebotenen symbolbasierten Kommunikationstafeln, die nicht programmierfähig sind und mit 160 verfügbaren Symbolen nur eine für die Klägerin zu kleine Bandbreite an Kommunikations- und Übungsmaterial bieten. Im Übrigen wäre die Klägerin wegen der eingeschränkten Nutzbarkeit ihres rechten Armes nicht in der Lage, die Blätter eines statischen Systems selbst zu wechseln. Aus demselben Grund scheidet die Nutzung eines regulären iPads ohne zusätzlichen Koffer und Haltevorrichtung aus. Wie sich bereits gezeigt hat, ist ein solches Gerät für den täglichen Gebrauch nicht geeignet, da die Klägerin wegen der fortbestehenden Halbseitenlähmung nicht in der Lage ist, das Tablet sicher zu tragen. Die vom Sachverständigen genannten weiteren elektronischen Kommunikatoren, wie das MoMobil 84 und das Tellos-Smart, sind bereits in der Anschaffung teurer und daher nicht wirtschaftlicher als der hier streitige HE-Kommunikator.

Schließlich kann die Klägerin auch nicht auf die Nutzung eines handelsüblichen Apple-iPads mit aufgespielter Software und auf dem Markt verfügbaren kostengünstigen Zusatzkomponenten für ein sicheres Halten und eine bessere Tonwiedergabe verwiesen werden. Der Senat sieht zwar, dass die Klägerin den Kommunikator kaum zur direkten Kommunikation mit anderen Personen einsetzt und der angestrebte Behinderungsausgleich gegenüber dem Behandlungszweck zurücktritt. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Klägerin gleichwohl auf den Kommunikator angewiesen ist, um auf eine leicht handhabbare Art und Weise ihr intensives Therapieprogramm ableisten zu können. Sie ist aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht in der Lage, ein Tablet mit Blue-tooth-Lautsprechern alleine zu transportieren und den Einsatz durch das Anschließen der Komponenten vorzubereiten. Der Senat hat keinen Zweifel, dass ein Nachlassen in den Therapiebemühungen in kurzer Zeit zu einer Verschlechterung des Sprach- und Sprechvermögens führen würde.
Da bei der Klägerin die Voraussetzungen für den Einsatz des HE-Kommunikators dem Grunde nach bestehen und die Versorgung durch ein statisches System oder ein iPad ohne Zusatzausrüstung nicht möglich ist, hat sie Anspruch auf den beantragten HE Kommunikator unter Nutzung des von Beklagten geschlossenen Versorgungsvertrages.

Kein Anspruch besteht dagegen im Hinblick auf die im Antrag aufgeführte Tragetasche als Zubehör, da diese im häuslichen Bereich nicht genützt wird. Die Übernahme der Software Language durch ist zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Im Hinblick auf die verhältnismäßig niedrigen Kosten für Zubehör war eine Quotelung nicht vorzunehmen.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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