L 7 AY 3026/21 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 AY 2594/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 3026/21 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. August 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.


Gründe


Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet.

Gegenstand des am 2. Juli 2021 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) anhängig gemachten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist das Begehren der Antragstellerin auf vorläufige Gewährung von Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit vom 1. April 2021 bis 30. September 2021, nachdem der Antragsgegner durch Bescheid vom 23. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2021, gegen den die Antragsgegnerin am 2. Juli 2021 zugleich Klage erhoben hat, gemäß § 1a AsylbLG eingeschränkte Leistungen in Höhe von 167,00 EUR (nebst Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 606,41 EUR) bewilligt hatte. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 26. August 2021 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Gegen diesen Beschluss des SG wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.

Vorliegend kommt – wie vom SG zutreffend erkannt – allein der Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 – L 7 AS 2875/05 ER-B – FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 – L 7 SO 2117/05 ER-B – FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 a.a.O. und vom 17. August 2005 a.a.O.).

Für die Zeit vor Stellung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG am 2. Juli 2021 fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund. Durch eine einstweilige Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind. Für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit besteht demgegenüber regelmäßig kein Anordnungsgrund (Beschluss des Senats vom 30. Juli 2019 – L 7 SO 2356/19 ER-B – juris Rdnr. 11 m.w.N.). Einen ausnahmsweise wegen eines Nachholbedarfs bestehenden Anordnungsgrund hat die Antragstellerin nicht geltend bzw. nicht glaubhaft gemacht. Sie hat diesbezüglich nichts vorgetragen.

Im Übrigen hat sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Die vom Antragsgegner in dem Bescheid vom 23. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2021 verfügte Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG dürfte nach der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung für die Zeit 1. April 2021 bis 30. September 2021 rechtmäßig sein; die Antragstellerin dürfte für den genannten Zeitraum keinen Anspruch auf ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG haben.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf).

Im Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2021 hat der Antragsgegner als Rechtsgrundlage der verfügten Anspruchseinschränkung § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG (in Verbindung mit § 1a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG, gemeint: § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG) angegeben. Die Voraussetzungen hierfür liegen zwar nicht vor. Im Ausgangsbescheid vom 23. März 2021 hat sich der Antragsgegner jedoch zutreffend auf § 1a Abs. 2 AsylbLG gestützt.

Nach § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, 1a oder 5 AsylbLG, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet, zuständig ist, nur Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege nach § 1a Abs. 1 AsylbLG. Gemäß § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG gilt diese Regelung entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 1a AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG internationaler Schutz (Nr. 1) oder aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden ist (Nr. 2), wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbesteht. Gemäß § 1a Abs. 4 Satz 3 AsylbLG gilt Satz 2 Nr. 2 für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nr. 5 entsprechend. Rechtsfolge der Verwirklichung des Tatbestandes des § 1a Abs. 4 AsylbLG ist die gesetzlich zwingend vorgeschriebene Anspruchseinschränkung auf Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege sowie im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände weiterer Leistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG (vgl. § 1a Abs. 1 Satz 2 a.E. und Satz 3 AsylbLG), mithin auf den existenznotwendigen Bedarf (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss vom 12. Mai 2021 – 1 BvR 2682/17 – juris Rdnr. 22).

Zwar wurde der Antragstellerin am 14. Juli 2020 in Bulgarien internationaler Schutz gewährt, was ihr ausweislich der Niederschrift über die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 16. November 2020 auch bekannt war. Dieser Schutzstatus besteht derzeit auch noch fort, nachdem dieser regelmäßig für die Dauer von drei Jahren gewährt wird und von der Antragstellerin etwas anderes nicht behauptet wird.

Allerdings gehörte die Antragstellerin schon im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 23. März 2021 nicht (mehr) zu der Gruppe der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG, für die eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG in Betracht kommt. Zwar war der Antragstellerin zunächst für die Durchführung des Asylverfahrens eine bis längstens 30. November 2021 gültige Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz (AsylG) erteilt worden, so dass sie nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG nach diesem Gesetz leistungsberechtigt war und eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG hätte vorgenommen werden können. Seit 1. März 2021 ist die Antragstellerin nach Ablehnung auch ihres Asylfolgeantrags als unzulässig nur noch im Besitz einer zunächst bis 1. Juni 2021 gültigen und sodann bis 10. Dezember 2021 verlängerten Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), so dass sich ihre Leistungsberechtigung nach dem AsylbLG aus § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG ergibt. Für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG ist eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG jedoch ausdrücklich nicht vorgesehen. Zwar mögen die von § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG erfassten Fälle zugleich von § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, der eine Leistungsberechtigung nach dem AsylbLG für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist, vorsieht, erfasst sein (Leopold in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, AsylbLG § 1 Rdnr. 55). Dies ändert jedoch nichts daran, dass nur Duldungsinhaber nach § 60a AufenthG eine Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG haben und ebendiese nicht von einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG erfasst sind. Auch wenn § 1a AsylbLG keine Strafvorschrift im eigentlichen Sinne darstellt und daher das Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogien nicht unmittelbar gilt, ist die Vorschrift als Sanktionsnorm, die für den Hilfesuchenden gravierende Folgen hat, eng und am Wortlaut der Regelung orientiert auszulegen (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 24. August 2016 – L 6 AS 487/13 – juris Rdnr. 33 zur Auslegung der Sanktionsnorm in § 31 Abs. 1 Nr. 1b SGB II a.F.). Für die am Wortlaut der Norm orientierte Auslegung spricht im Übrigen grundlegend die vom Gesetzgeber im Regelungsgefüge des § 1a AsylbLG vorgenommene Differenzierung nach der Leistungsberechtigung im Sinne des § 1 Abs. 1 AsylbLG, auf die in den einzelnen Einschränkungstatbeständen des § 1a Abs. 1 bis 5 AsylbLG ausdrücklich abgestellt wird (vgl. zu § 1a AsylbLG a.F.: LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 12. Dezember 2016 – L 8 AY 51/16 B ER – juris Rdnr. 14). Anders als in § 1a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 AsylbLG betreffen etwa die Anspruchseinschränkungen nach § 1a Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 AsylbLG Leistungsberechtigte sowohl nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG als auch nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG. Im Umkehrschluss setzt § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG also voraus, dass sich die Leistungsberechtigung nach dem AsylbLG ausschließlich aus § 1 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a oder eben Nr. 5 AsylbLG ergeben muss und die Norm nicht anwendbar ist, wenn der Betroffene (zugleich) im Besitz einer Duldung ist. Unabhängig davon, ist eine Anspruchseinschränkung wegen des von einem anderen Mitgliedsstaat gewährten internationalen Schutzes auch für die vollziehbar Ausreisepflichtigen, die nicht über eine Duldung nach § 60 AufenthG verfügen, nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG gar nicht vorgesehen, denn § 1a Abs. 4 Satz 3 AsylbLG ordnet für die nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG Leistungsberechtigten lediglich eine entsprechende Anwendung des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 AsylbLG an, so dass auch für vollziehbar Ausreisepflichtige ohne Duldung nur dann eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG eingreift, wenn ihnen nicht internationaler Schutz, sondern aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden ist. Nach alledem dürfte eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG für die nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG leistungsberechtigte Antragstellerin nicht (mehr) in Betracht kommen.

Jedoch dürften die Voraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 2 AsylbLG, worauf der Antragsgegner seine Entscheidung ursprünglich gestützt hat, vorliegen. Nach § 1a Abs. 2 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, nur Leistungen entsprechend § 1a Abs. 1 AsylbLG. Maßgeblich ist, ob im Zeitpunkt der Einreise oder Wiedereinreise der Wille zur Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG das prägende Motiv des Hilfesuchenden gewesen ist. Demzufolge muss der Zweck der Inanspruchnahme von Leistungen neben anderen Gründen der bestimmende oder von prägender Bedeutung gewesen sein (Leopold in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 1a AsylbLG Rdnr. 42). Die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchseinschränkenden Tatsachen liegt dabei bei der Behörde (Oppermann in jurisPK‑SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a AsylbLG Rdnr. 65). Der Antragsteller muss jedoch die in sein Wissen gestellten Tatsachen darlegen (Leopold in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 1a AsylbLG Rdnr. 45). Nach summarischer Prüfung dürfte nach den von der Antragstellerin im Rahmen der vom Antragsgegner durchgeführten Anhörung sowie gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemachten Angaben eine andere Einreisemotivation der Antragstellerin als diejenige zur Leistungserlangungen nicht feststellbar sein. Der Antragstellerin war in Bulgarien bereits internationaler Schutz sowie Sach- und Geldleistungen für den Lebensunterhalt gewährt worden, was sich insbesondere auch aus den Angaben der Antragstellerin selbst, die sie bei ihrer Anhörung durch das BAMF am 16. November 2020 in Heidelberg gemacht hat, ergibt. Zur Begründung für die Einreise nach Deutschland hat die Antragstellerin in der Anhörung durch den Antragsgegner unter dem 27. Februar 2021 Armut und Gesundheit angegeben; den Asylantrag in Deutschland habe sie wegen des Erhalts von medizinischer Hilfe und Lebensqualität gestellt. Zur Frage, wie sie ihren Lebensunterhalt in Deutschland habe finanzieren wollen, hat die Antragstellerin unter Verweis auf das Fehlen von Sprachkenntnissen mitgeteilt, es sei alles über die Aufnahme(einrichtung) erledigt worden. Diesen Angaben kann kein anderes Motiv für die Weiterreise aus Bulgarien nach Deutschland als die Erlangung von Leistungen nach dem AsylbLG entnommen werden. Nach dem Sinngehalt ihrer Angaben ist die Antragstellerin nach Deutschland eingereist, weil sie sich bessere Asylbewerberleistungen als jene, die sie in Bulgarien erhalten hat, erhofft hat. Hinweise dafür, dass sie andere Vorstellungen über die Möglichkeit der Sicherung ihres Lebensunterhalts in der Bundesrepublik Deutschland gehabt hätte, sind nicht erkennbar. Insbesondere hat sie nicht einmal angegeben, ihren Lebensunterhalt selbst, beispielsweise durch Erwerbseinkommen, bestreiten zu wollen. Schon mangels Sprachkenntnissen und Berufsausbildung hätte die Antragstellerin auch nicht ernsthaft davon ausgehen können, ihren Lebensunterhalt durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sichern zu können, was ebenfalls für eine Einreisemotivation allein zur Erlangung von Sozialleistungen spricht (vgl. Leopold in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, AsylbLG § 1a Rdnr. 49).

Dass der Bescheid vom 11. Februar 2021 über die Ablehnung des erneuten Asylantrags womöglich noch nicht bestandskräftig ist und ob die Abschiebungsandrohung vollziehbar ist, ist für die Anwendbarkeit des § 1a Abs. 2 AsylbLG ohne Belang. Denn § 1a Abs. 2 AsylbLG sieht die Anspruchseinschränkung gerade für Leistungsberechtigte vor, die eine Duldung nach § 60a AufenthG besitzen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) oder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG). Soweit die Antragstellerin sich unter Bezugnahme auf Urteile des Bundessozialgerichts (BSG), insbesondere die Urteile vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R – und vom 12. Mai 2017 – B 7 AY 1/16 R – (das ebenfalls angeführte Urteil B 7 AY 2/12 R betrifft einen gänzlich anderen Sachverhalt) auf das Erfordernis einer Kausalität derart, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus von dem Betroffenen zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können, beruft, folgt für den vorliegenden Fall nichts anderes. Denn diese Entscheidungen betreffen die nunmehr in § 1a Abs. 3 AsylbLG geregelten Anspruchseinschränkungen. Für eine Anspruchseinschränkung wegen der Einreisemotivation, Asylbewerberleistungen zur erlangen, folgt daraus nichts.

Zwingende Rechtsfolge ist bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1a Abs. 2 AsylbLG, dass im Regelfall nur noch eingeschränkte Leistungen im Sinne des § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG zur Deckung der Bedarfe an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Körper- und Gesundheitspflege zu gewähren sind. Durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 wurden die bis dahin unterschiedlichen Rechtsfolgen vereinheitlicht, so dass für alle Varianten der Anspruchseinschränkungen die in § 1a Abs. 1 Sätze 2 und 3 AsylbLG angeordnete einheitliche Rechtsfolge gilt (Oppermann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, § 1a AsylbLG, Rdnr. 147; BT-Drs. 19/10047, S. 51). Im vorliegenden Einzelfall bestehende besondere Umstände, die ausnahmsweise nach § 1a Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 3 AsylbLG die Gewährung weiterer Leistungen an die Antragstellerin rechtfertigen könnten, hat diese weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die entsprechenden Leistungen zur Deckung der Bedarfe an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Körper- und Gesundheitspflege bewilligt, was die Antragstellerin nicht in Abrede stellt.

Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen. Der Senat ist nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 1a Abs. 2 AsylbLG überzeugt. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. Mai 2021 stößt die in der vorherigen Fassung des § 1a AsylbLG vorgesehene Beschränkung der Leistungen auf das „unabweisbar Gebotene“ nicht von vornherein auf durchgreifende (verfassungsrechtliche) Bedenken (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. Mai 2021 – 1 BvR 2682/17 – juris Rdnr. 21). Entscheidend ist, dass der gesetzliche Leistungsanspruch so gefasst ist, dass der gesamte existenznotwendige Bedarf im Ergebnis stets gedeckt wird; ein Anspruch auf ein pauschal berechnetes Budget ergibt sich aus dem Grundgesetz nicht. Vielmehr darf der gesamte existenzsichernde Bedarf von einer bedarfsorientierten Prüfung im Einzelfall abhängig gemacht werden. Der Gesetzgeber kann entscheiden, wie er den Bedarf berechnet und wie er ihn deckt - mit Gutscheinen, Sachmitteln oder durch Barmittel, pauschal oder in Orientierung an einem Warenkorb, oder eben nach einzeln nachzuweisenden Bedarfen (BVerfG, a.a.O. Rdnr. 22). Da § 1a Abs. 1 Satz 3 AsylbLG auch eine einzelfallabhängige Gewährung von Bedarfen, die über die in § 1a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG mindestens zu gewährenden Bedarfe hinausgehen, ermöglicht, ist die Vorschrift nach summarischer Prüfung jedenfalls verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie eine individuell-konkrete Bedarfsdeckung ermöglicht. Die Antragstellerin hat die ihr konkret entstehenden Bedarfe jedoch nicht dargetan. Sie hat Bedarfe, insbesondere Fahrten zum Ausländeramt und zum Arzt oder den Friseurbesuch, lediglich pauschal behauptet, ohne darzulegen, dass die vom Antragsgegner gewährten Leistungen zur Sicherung ihres individuellen existenznotwendigen Bedarfs nicht ausreichen würden. Dies begründet keinen Anspruch auf die Gewährung vorläufig höherer Leistungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren.

Auch europarechtliche Erwägungen dürften nicht gegen die vom Antragsgegner verfügte Anspruchseinschränkung sprechen. Insbesondere dürfte der Antragstellerin eine Rückkehr nach Bulgarien nicht unmöglich oder unzumutbar sein. Die Antragstellerin macht insoweit systemische Mängel des Asylsystems in Bulgarien geltend. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden (Urteil vom 19. März 2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rdnrn. 80 ff.; Urteil vom 19. März 2019 – Ibrahim, C-297/17 – juris Rdnr. 85 ff.), dass im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin-III-Verordnung, die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruht und durch eine Rationalisierung der Anträge auf internationalen Schutz deren Bearbeitung im Interesse sowohl der Antragsteller als auch der teilnehmenden Staaten beschleunigen soll, grundsätzlich die Vermutung gelten muss, dass die Behandlung dieser Antragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgt. Nur in Ausnahmefällen ist ein mit dem Rechtsbehelf gegen eine (ausländerrechtliche) Überstellungsentscheidung befasstes Gericht verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Solche Schwachstellen lägen vor, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann. Jedenfalls begründet der bloße Umstand, dass im ersuchenden Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als im normalerweise für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 GRC verstoßende Behandlung zu erfahren. Zwar gehört Bulgarien zu den Mitgliedstaaten, in denen mit Blick auf die Lebensverhältnisse für anerkannte Flüchtlinge die Frage einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Situation extremer materieller Not in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig näher problematisiert wird, wenngleich das Erreichen der erforderlichen hohen Erheblichkeitsschwelle seit dem Erlass der Urteile „Ibrahim“ und „Jawo“ des EuGH im Ergebnis regelmäßig verneint wird (vgl. etwa Oberverwaltungsgericht [OVG] Schleswig, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 12/17 –; OVG Bautzen, Urteil vom 13. November 2019 – 4 A 947/17.A –; OVG Münster, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –; OVG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 1 Bf 132/17.A –; VG Bremen, Urteil vom 4. Juni 2021 – 2 K 262/19 –; VG Stuttgart, Urteil vom 25. Februar 2021 – A 4 K 213/20 –). Hinsichtlich der Antragstellerin sind keine personenbezogenen Umstände ersichtlich, die es unmöglich erscheinen lassen, dass sie die in Bulgarien bestehenden Schwierigkeiten selbst zu überwinden vermag. Zudem gehört die volljährige und arbeitsfähige Antragstellerin nicht zu der vom EuGH als besonders schutzbedürftig angesehenen Gruppe von Flüchtlingen, die aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen sich bei einer Rückführung in einer Situation extremer materieller Not befinden würden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren war mangels Erfolgsaussichten der Beschwerde abzulehnen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO).

Rechtskraft
Aus
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