S 41 AS 1486/22 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 AS 1486/22 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss


1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 24.11.2022 wird abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


Gründe:

I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt vom Antragsgegner (Ag.) Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Form von Arbeitslosengeld (Alg) II ab 1.10.2022 als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen.

Die am 1965 geborene alleinlebende Ast. bezieht nach den Angaben des Ag. seit Jahren Alg II. Sie bewohnt seit 1.3.2014 eine Wohnung unter der im Rubrum genannten Anschrift, für die zuletzt eine Gesamtmiete iHv mtl. 522,21 € bruttokalt (= 424,21 Grundmiete + 98 € Vorauszahlung für kalte Betriebskosten) geschuldet war. Die Wohnung wird mit Gas beheizt, wofür die Ast. Abschlagszahlungen an die Stadtwerke M2-Stadt iHv mtl. 40 € schuldete.

Die Eltern der Ast. (K. und N.S.) wurden am 16.2.1978 je zur Hälfte als Eigentümer eines mit einem Wohnhaus und Nebengebäude bebauten ca. 1.200 qm großen Grundstücks mit Gartenland im Grundbuch eingetragen. Das Grundstück mit der Flnr. 1580/2 befindet sich in M3-Stadt (A.),  R-Straße. Die Eltern der Ast. bewohnten das Haus selbst. Die Immobilie hat nach den Angaben der früheren Bevollmächtigten der Ast., die die Ast. inzwischen nur noch in einer erbrechtlichen Angelegenheit vertritt, einen aktuellen Wert von ca. 2,0 Mio. € bis 2,5 Mio. €.

Die Eltern der Ast. erstellten unter dem 4.11.2007 ein gemeinschaftliches Testament. Darin verfügten sie (für den ersten Erbfall), dass der Erstversterbende die Schwester der Ast. (Hannelore A.) zu 7/10 und die Ast. zu 3/10 als Erbin einsetzt. Ferner wurde in dem Testament verfügt, dass beim Ableben des Erstversterbenden zugunsten des Überlebenden ein Vermächtnis dahingehend angeordnet wurde, dass der Überlebende den gesamten Nachlass des Erstversterbenden mit Ausnahme des Hausgrundstücks 81243 M3-Stadt,  R-Straße erhält. Der Überlebende sollte laut Testament zusätzlich ein lebenslanges Nießbrauchsrecht an dem Grundstück erhalten, das auf Verlangen des Überlebenden im Grundbuch einzutragen ist. Im Testament wurde vom Erstversterbenden für seinen Nachlass (Dauer)testamentsvollstreckung angeordnet; sollte Herr K. der Erstversterbende sein, wird Frau N. zum Testamentsvollstrecker ernannt.

Am 6.8.2011 verstarb der Vater der Ast. Ausweislich einer Niederschrift des Amtsgerichts A-Stadt vom 9.11.2011 beantragten die Mutter, geb. 1941 und die Schwester der Ast., geb. 1968 in Vollziehung des gemeinschaftlichen Testaments vom 4.11.2007 die Berichtigung des Grundbuchs. Am 7.12.2011 wurden daraufhin die Ast. und deren Schwester anstelle ihres verstorbenen Vaters in Erbengemeinschaft zu 1/2 im Grundbuch eingetragen. Die Mutter der beiden blieb Miteigentümerin zu 1/2 und bewohnt das Haus nach wie vor und dies soweit sichtlich allein.

Die Tatsache, dass die Ast. im Jahr 2011 geerbt hat, gab sie in den Weiterbewilligungsanträgen der letzten Jahre (soweit diese in der übersandten Akte des Ag. vorhanden sind) nicht an.

Auf den Weiterbewilligungsantrag ab Februar 2022 bewilligte der Ag. mit Bescheid vom 18.1.2022 Alg II für die Zeit Februar 2022 bis Januar 2023 iHv mtl. 971,21 €.

Mit Schreiben vom 8.7.2022 bat die Ast. um "Aufstellung der aufgelaufenen Sozialleistungen für eine erbrechtliche Beratung". Wohl telefonisch teilte die Ast. weiter mit, dass sie in 2010 1/6 ihres Elternhauses geerbt habe. Der Ag. stellte ab August 2022 die Zahlung an die Ast. vorläufig ein und forderte die Ast. zur Vorlage von Unterlagen in Bezug auf die geerbte Immobilie auf. Zugleich wurde sie um Mitteilung gebeten, ob sie sich bereits um die Verwertung gekümmert habe. Die angeforderten Unterlagen wurden nicht vorgelegt.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27.7.2022 hob der Ag. die Leistungsbewilligung ab August 2022 vollständig auf. Mit weiterem Bescheid vom 27.7.2022 bewilligte der Ag. aufgrund des unklaren Vermögens vorläufig Alg II für die Zeit August bis September 2022 iHv mtl. 1.013,21 €.

Mit Schreiben vom 29.7.2022 ließ die Ast. durch ihre frühere Bevollmächtigte mitteilen, dass eine Verwertung des Grundstücks aufgrund des lebenslangen Nießbrauchs der Mutter derzeit nicht möglich sei.

Am 26.8.2022 beantragte die Ast. die Weiterbewilligung von Alg II ab Oktober 2022. Sie gab an, dass "sich Änderungen erst mit dem Sterbefall ihrer Mutter ergeben könnten" und verwies auf das o.g. Schreiben vom 29.7.2022.

Mit Schreiben vom 7.9.2022 forderte der Ag. nochmals unter Hinweis auf die Folgen fehlender Mitwirkung bis 26.9.2022 zur Vorlage von Unterlagen in Bezug auf die geerbte Immobilie auf und bat um Mitteilung, ob sich die Ast. bereits um die Verwertung gekümmert habe. Die angeforderten Unterlagen wurden nicht vorgelegt.

Mit Bescheid vom 26.9.2022 versagte der Ag. die Gewährung von Alg II bis zur Nachholung der Mitwirkung vollständig.

Am 26.9.2022 ging beim Ag. ein Grundbuchauszug ein, aus dem hervorgeht, dass die Ast. zusammen mit ihrer Schwester in Erbengemeinschaft seit 7.12.2011 zu 1/2 Miteigentümerin des Grundstücks  R-Straße, M3-Stadt ist. Mit weiteren Schreiben vom 30.9. und 19.10.2022 forderte der Ag. weitere Unterlagen an (Erbschein, Nachweis über den aktuellen Wert der Immobilie, weitere Informationen zur Immobilie) und bat erneut um Mitteilung, ob sich die Ast. bereits um eine Verwertung gekümmert habe. Die angeforderten Unterlagen wurden wieder nicht vorgelegt. Es wurde lediglich der Vortrag, dass eine Verwertung des Miteigentumsanteils der Ast. nicht möglich sei, solange ihre Mutter noch lebe, wiederholt.

Mit Schreiben vom 25.10.2022 ließ die Ast. durch ihren (neuen) Bevollmächtigten Widerspruch gegen den Versagungsbescheid vom 26.9.2022 einlegen. Über den Widerspruch wurde soweit ersichtlich noch nicht entschieden.

Mit Schreiben vom 7.11.2022 forderte der Ag. erneut den Erbschein sowie nunmehr auch ein Vermögensverzeichnis an.

Mit Schreiben vom 18.11.2022 wies der Bevollmächtigte der Ast. auf die "sachlichen und zeitlichen Schwierigkeiten" hin und beantragte eine Vorschussleistung, hilfsweise ein Darlehen. Mit weiterem Schreiben vom 22.11.2022 wies er darauf hin, dass die Erbschaft noch kein bereites Mittel sei. Die Leistungen seien zumindest als Darlehen zu gewähren. Der Ag. sei seiner Beratungs- und Hinweispflicht im Hinblick auf eine etwaige Verwertung des Erbanteils nicht nachgekommen.

Mit Schreiben vom 16.11.2022 kündigte der Vermieter der Ast. (D. GmbH) das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs (Mieten für Oktober und November 2022 nicht gezahlt) fristlos, hilfsweise ordentlich. Die Ast. wurde aufgefordert, die Wohnung bis 30.11.2022 an den Vermieter herauszugeben. Soweit ersichtlich bewohnt/nutzt die Ast. die Wohnung trotzdem noch. Ob der Vermieter eine Nutzungsentschädigung verlangt, ist unbekannt.

Am 24.11.2022 hat die Ast. beim Sozialgericht (SG) München einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Sie erhalte seit über zwei Monaten keine Leistungen. Der Vermieter ihrer Wohnung habe zum 30.11.2022 fristlos gekündigt.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 29.11.2022 wurde die Ast. um Vorlage des Erbscheins, des Nachlassverzeichnisses und des Testamentsvollstreckerzeugnisses gebeten.

Mit Schriftsatz vom 29.11.2022 hat der Bevollmächtigte der Ast. eine Prozessvollmacht der Ast. vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 30.11.2022 hat die Ast. mitgeteilt, dass sie von der Kanzlei H. vertreten werde.

Am 6.12.2022 wurde der Erbschein vorgelegt, woraus hervorgeht, dass die Ast. zu 3/10 Erbin ihres Vaters geworden ist. Ferner wurde das Testamentsvollstreckerzeugnis vorgelegt.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 7.12.2022 wurde der Bevollmächtigte der Ast. nochmals zur Vorlage des Nachlassverzeichnisses aufgefordert. Das Gericht hat ferner darauf hingewiesen, dass es sich bei dem anteiligen Miteigentum an der Immobilie um verwertbares Vermögen handele. Die Ast. wurde um Mitteilung gebeten, welche Verwertungsbemühungen sie seit 2011 unternommen habe. Zudem wurde um Mitteilung gebeten, wie die aktuelle Wohnsituation der Ast. ist.

Am 12.12.2022 hat der Bevollmächtigte der Ast. weiter Stellung zum Verfahren genommen. Es wurde in Aussicht gestellt, dass das Nachlassverzeichnis nachgereicht werde. Es wurde eine E-Mail der früheren Bevollmächtigten der Ast. vom 9.12.2022 übersandt, in der diese mitteilt, dass aufgrund des Nießbrauchs der Mutter bislang keinerlei Verwertungsbemühungen unternommen worden seien. Ein Ankauf des Erbteils der Ast. komme derzeit nicht in Betracht, da weder die Mutter noch die Schwester der Ast. über liquide Mittel verfügten. Zur aktuellen Wohnsituation wurde nichts ausgeführt.  

Der Bevollmächtigte der Ast. beantragt sinngemäß,

den Ag. zu verpflichten, der Ast. vorläufig Leistungen nach dem SGB II ab 1.10.2022 in gesetzlicher Höhe als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen zu gewähren.

Der Ag. beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Nach Auffassung des Ag. habe die Ast. weder einen Anspruch auf Alg II als Zuschuss noch als Darlehen. Die Ast. habe im Verwaltungsverfahren nicht ausreichend mitgewirkt. Es fehlten noch immer entscheidungserhebliche Unterlagen, insbesondere wurde das Nachlassverzeichnis nicht vorgelegt. Möglicherweise bestehe noch immer Zugriffsmöglichkeit auf anderes (liquides) Vermögen. Dem Vortrag der Ast., die Immobilie sei aufgrund des Nießbrauchs der Mutter nicht verwertbar, ist der Ag. entgegengetreten. Ein etwaiges Nießbrauchsrecht der Mutter sei nicht im Grundbuch eingetragen, so dass der Erbanteil der Ast. nicht belastet sei. Selbst die Belastung der Immobilie mit einem Nießbrauch würde der Verwertbarkeit jedoch nicht entgegenstehen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig.

Da die Ast. eine Erweiterung ihrer Rechtsposition begehrt, ist ein Antrag gem. § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft (Regelungsanordnung).

2. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind gem. § 86b Abs. 2 S. 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine derartige Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch im Sinne einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage als auch einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen gem. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 und § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft sein.

Soweit die Ast. rückwirkend für die Zeit vom 1.10.2022 bis 23.11.2022, also für die Zeit vor Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht (24.11.2022), Leistungen als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen, begehrt, fehlt bereits ein Anordnungsgrund, so dass es für diese Zeit auf das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht ankommt. Es ist nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Anhängigkeit des Eilverfahrens (hier: 24.11.2022) herbeizuführen. Dies wäre die Aufgabe eines Hauptsacheverfahrens (vgl. LSG Bayern Beschluss vom 12.4.2010, L 7 AS 144/10 B ER). Ein Ausnahmefall einer in die Gegenwart fortwirkenden Notlage ist auch im Hinblick auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung (KdUH) nicht ersichtlich (vgl. Keller in: Meyer/Ladewig, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 29a, 35a). Zwar wurde das Mietverhältnis der Ast. seitens des Vermieters am 16.11.2022 fristlos wegen Mietrückständen für Oktober und November 2022 gekündigt. Jedoch steht der Ast. ihr Elternhaus zur Verfügung, in das sie mangels entgegenstehender Anhaltspunkte zumindest vorübergehend problemlos einziehen kann. Der Wohnbedarf wäre damit vorerst gedeckt. Eine Gefahr der Obdachlosigkeit besteht jedenfalls nicht.

Soweit die Ast. für die Zeit ab 24.11.2022 Leistungen begehrt, ist weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft.

Die Ast. hat nichts Konkretes dazu vorgetragen, inwiefern eine einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig wäre. Ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit ist damit nicht glaubhaft. Wie bereits ausgeführt, hat die Ast. die Möglichkeit, in ihr Elternhaus zumindest vorübergehend einzuziehen, so dass ihr Wohnbedarf damit gedeckt wäre. Aber auch im Hinblick auf den Regelbedarf ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund liegt regelmäßig nicht vor, wenn vom Gericht und auch vom Ag. angeforderte Unterlagen nicht beigebracht werden. Hier wurde trotz Aufforderungen des Gerichts und des Ag. kein Nachlassverzeichnis vorgelegt. Dem Gericht und auch dem Ag. war es damit verwehrt zu prüfen, ob neben der Immobilie in der  R-Straße in M3-Stadt noch weitere Nachlassgegenstände vorhanden sind, auf die die Ast. (noch) einen Zugriff hat. Die Vorlage eines Nachlassverzeichnisses ist auch deshalb erforderlich, um prüfen zu können, ob es sich bei der im gemeinschaftlichen Testament angeordneten Verfügung, dass der Überlebende (hier: die Mutter der Ast.) ein "Vermächtnis" im Hinblick auf den gesamten Nachlass mit Ausnahme des Grundstücks in der  R-Straße in M3-Stadt erhalten soll, tatsächlich nur um ein Vermächtnis iSd § 1939 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) handelt. Das gerichtliche Eilverfahren dient nicht dazu, erforderliche Mitwirkungshandlungen im Verwaltungsverfahren zu ersetzen.  

Ob ein Anordnungsanspruch besteht, kann daher dahinstehen. Ein Anordnungsanspruch wäre aber ebenfalls nicht gegeben. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ab 24.11.2022 ist weder als Zuschuss noch als Darlehen glaubhaft.

Ein Anspruch auf Leistungen als Zuschuss besteht nach summarischer Prüfung nicht.

Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Zwar gehört die Ast. mangels entgegenstehender Angaben grundsätzlich zum leistungsberechtigten Personenkreis des SGB II, insbesondere hat sie die maßgebliche Altersgrenze noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

Jedoch ist die Ast. nach summarischer Prüfung nicht hilfebedürftig. Nach § 9 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Vorliegend beträgt der Bedarf der Ast. mtl. 449 € und setzt sich lediglich aus dem Regelbedarf für Alleinstehende gem. § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II zusammen. Ein KdUH-Bedarf gem. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II besteht bei summarischer Prüfung nicht (mehr). Der Vermieter der Ast. hat das Mietverhältnis am 16.11.2022 fristlos gekündigt. Mit Zugang der Kündigung wurde das Vertragsverhältnis damit beendet. Es ist nicht erkennbar, dass der Vermieter über den Zeitpunkt der Kündigung hinaus eine Nutzungsentschädigung o.ä. verlangt.

Die Ast. verfügt über Vermögen, mit dem sie ihren Bedarf decken kann. Als Vermögen sind gem. § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können. Ist der Inhaber in der Verfügung über den Gegenstand beschränkt und kann er die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen, ist von der Unverwertbarkeit des Vermögens auszugehen (rechtliche Unverwertbarkeit). Darüber hinaus enthält der Begriff der Verwertbarkeit auch eine tatsächliche Komponente. Die Verwertung muss für den Betroffenen einen Ertrag bringen, durch den er, wenn auch nur kurzzeitig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Tatsächlich nicht verwertbar sind Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder weil sie, wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise, über den Marktwert hinaus belastet sind (vgl. BSG Urteil 27.1.2009, B 14 AS42/07 R). Ein Aspekt dieser tatsächlichen Verwertbarkeit ist die für sie benötigte Zeit, hinsichtlich der ggf. eine Prognose erforderlich und für die auf den bevorstehenden Bewilligungszeitraum abzustellen ist (vgl. BSG Urteil 24.5.2017, B 14 AS 16/16 R).

Hier kommt als Verwertungsmöglichkeit der Erbschaftsverkauf (als Verpflichtungsgeschäft) (vgl. § 2371 BGB) in Betracht, worunter auch ein Verkauf eines Erbteils fallen kann. Nach § 2033 Abs. 1 S. 1 BGB (Verfügungsgeschäft) kann jeder Miterbe über seinen Anteil an dem Nachlass verfügen. Rechtliche Hindernisse für eine Verwertbarkeit durch Übertragung des Erbteils im Wege des Erbschaftsverkaufs bestehen hier nicht. Auch tatsächliche Verwertungshindernisse sind nicht ersichtlich. Behauptete Verwertungshindernisse wäre von der Ast. zu beweisen (vgl. Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 12 Rn. 232). Der pauschale Vortrag der früheren Bevollmächtigten der Ast., die Mutter und die Schwester der Ast. könnten den Erbanteil nicht kaufen, genügt dafür nicht, zumal auch Dritte den Erbanteil der Ast. kaufen könnten. Die angeordnete Testamentsvollstreckung stünde einem etwaigen Erbteilsverkauf wohl nicht entgegen (vgl. Kesseler, Die Vereitelung der Ziele der Testamentsvollstreckung durch Veräußerung des Miterbanteils, NJW 2006, 3672). Dasselbe gilt für ein etwaiges Nießbrauchsrecht. Ein solches ist hier jedoch schon gar nicht im Grundbuch eingetragen (vgl. § 873 BGB). Es ist daher davon auszugehen, dass ein etwaiger Erbteilsverkauf innerhalb eines Bewilligungszeitraums von einem Jahr (vgl. § 41 Abs. 3 S. 1 SGB II) tatsächlich möglich wäre.

In Betracht kommt auch eine Verpfändung des Miterbenanteils (an eine Bank) (vgl. §§ 1273 Abs. 2, 1258 BGB) (vgl. BSG Urteil 27.1.2009, B 14 AS 42/07 R). Rechtliche oder tatsächliche Verwertungshindernisse sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Weiter gehört auch der Anspruch auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft (§§ 2042 ff. BGB) und der damit verbundene Anspruch auf einen Anteil am Auseinandersetzungsguthaben nach § 2047 BGB zum Vermögen der Ast., das diese grundsätzlich zur Abwendung von Hilfebedürftigkeit einzusetzen hat. Rechtliche Einschränkungen stehen der Verwertbarkeit eines Anspruchs auf Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft hier soweit ersichtlich nicht entgegen. Für einen Ausschluss der sofortigen Auseinandersetzung durch entsprechende Verfügung des Erblassers (vgl. § 2044 BGB) oder einen Aufschubgrund (vgl. §§ 2043, 2045 BGB) ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. BSG Urteil 27.1.2009, B 14 AS 42/07 R). Auch tatsächliche Verwertungshindernisse sind diesbezüglich nicht ersichtlich. Es ist nicht erkennbar, inwieweit eine einvernehmliche Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft durch frei vereinbarten Vertrag (als Regelfall der Verwertung) nicht innerhalb eines Bewilligungszeitraums von einem Jahr (vgl. § 41 Abs. 3 S. 1 SGB II) möglich wäre.

Vorliegend ist keine der in § 12 Abs. 3 SGB II genannten Fallgruppen einschlägig, wonach die Berücksichtigung der Immobilie als Vermögen ausgeschlossen wäre.

Vermögen ist mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 4 S. 1 SGB II). Nach den Angaben der früheren Bevollmächtigten der Ast. liegt der Wert der Immobilie insgesamt bei ca. 2,0 Mio. € bis 2,5 Mio. €. Der hiervon auf die Ast. entfallende Anteil (3/10 am hälftigen Anteil) würde damit bei ca. 300.000 € bis 375.000 € liegen.

Nach § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 4 SGB II sind vom Vermögen abzusetzen ein Grundfreibetrag iHv 150 € je vollendetem Lebensjahr für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende volljährige Person und deren Partner, mindestens aber jeweils 3.100 €, und ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen iHv 750 € für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Leistungsberechtigten. Für die Ast. ergibt sich damit ein Vermögensfreibetrag iHv 9.300 €. Das tatsächlich zu berücksichtigende Vermögen liegt weit über diesem Vermögensfreibetrag. Die Übergangsregelung des § 67 Abs. 2 SGB II kommt vorliegend nicht zur Anwendung, da der zu berücksichtigende Vermögensbetrag zweifellos erheblich ist.

Auch ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II als Darlehen besteht nach summarischer Prüfung nicht.

Hilfebedürftig ist in Abweichung von § 9 Abs. 1 SGB II nach § 9 Abs. 4 SGB II auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde. Soweit Leistungsberechtigten der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für sie eine besondere Härte bedeuten würde, sind nach § 24 Abs. 5 S. 1 SGB II Leistungen als Darlehen zu erbringen und können nach § 24 Abs. 5 S. 2 SGB II davon abhängig gemacht werden, dass der Anspruch auf Rückzahlung dinglich oder in anderer Weise gesichert wird.

Die Ast. ist hier nicht iSd § 9 Abs. 4 SGB II hilfebedürftig, weshalb sie auch nur darlehensweise Leistungen nach § 24 Abs. 5 SGB II nicht beanspruchen kann. Die Vorschriften des § 9 Abs. 4 und § 24 Abs. 5 SGB II setzen voraus, dass die betroffene Person Verwertungsbemühungen unternimmt. Werden Verwertungsbemühungen als Voraussetzung für die Fiktion der Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 4 SGB II nicht unternommen und sollen solche auch künftig unterbleiben, besteht für die vom Regelfall "abweichende Erbringung von Leistungen" nach § 24 Abs. 5 SGB II grundsätzlich kein Raum (vgl. BSG Urteil 24.5.2017, B 14 AS 16/16 R). Hier hat die Ast. keinerlei Verwertungsbemühungen unternommen.

Die Ablehnung darlehensweiser Leistungen erfordert zwar regelmäßig, dass das Jobcenter die betroffene Person zuvor auf die Erforderlichkeit von Verwertungsbemühungen und die Folgen von deren Unterlassen hingewiesen hat. Die Jobcenter treffen auch im Rahmen der § 9 Abs. 4, § 24 Abs. 5 SGB II Beratungs- und Hinweispflichten (vgl. BSG Urteil 24.5.2017, B 14 AS 16/16 R). Hier war es dem Ag. jedoch nicht möglich, auf die Erforderlichkeit von Verwertungsbemühungen hinzuweisen, weil er von der geerbten Immobilie überhaupt keine Kenntnis hatte. In diesem Fall besteht auch kein Anspruch auf darlehensweise Leistungen.

Nach alldem musste der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

 

 

 

 

 

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