L 3 R 98/21

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 31 R 347/18
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 98/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 12. April 2021 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für einen Arbeitsstuhl im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

 

Die am ... 1967 geborene Klägerin durchlief erfolgreich eine Berufsausbildung zur Fachverkäuferin. Nach dem Arbeitsvertrag für „teilzeitbeschäftigte Verkäufer/innen“ mit der Arbeitgeberin (einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die zu einer Discount-Einzelhandelskette gehört) vom 10. November 2014 ist die Klägerin seit dem 1. Januar 2015 als „Verkäufer im Großraum S.“ mit einer regelmäßigen Grundarbeitszeit vom 21 Stunden/Woche und einer zulässigen Verlängerung der Arbeitszeit um höchstens 5,25 Stunden angestellt. Die Klägerin arbeitet nach ihren Angaben gegenüber dem beklagten Rentenversicherungsträger 25,7 Stunden/Woche in einer bestimmten Filiale der vorgenannten Einzelhandelskette. Den Gehaltsabrechnungen sind für Mai, Juni und Juli 2021 108,55 „Basisstunden“ zu entnehmen. Dort wird für die Benutzung durch verschiedene Mitarbeiter an der Kasse der „Kassenarbeitsstuhl“ „Dauphin-Modell Shape economy“ vorgehalten. Die Klägerin ist regelmäßig (nach ihren Angaben 20 Stunden in der Woche) an der Kasse eingesetzt, nach den Angaben während der Rehabilitation in der Stellung einer stellvertretenden Marktleiterin. Im Übrigen muss sie zeitweise Obst- und Gemüsekisten mit einem Gewicht von circa 20 kg, Lebensmittel, Non-food Artikel, Möbel, häufig Gewichte bis 30 kg und gelegentlich Gewichte bis 40 kg heben bzw. tragen. Als technische Hilfsmittel seien zeitweise eine so genannte Ameise bzw. ein Hubwagen vorhanden. Nach der Arbeitsunfähigkeit nahm die Klägerin ihre Arbeit am 19. März 2018 wieder auf.

 

Die Klägerin nahm nach einer Bandscheibenoperation vom 26. September bis zum 17. Oktober 2017 an einer von der Beklagten getragenen stationären Rehabilitationsmaßnahme in der T-Fachklinik in B1 teil. Dem Entlassungsbericht der Einrichtung vom 6. November 2017 sind als Diagnosen ein Funktionsdefizit der Brustwirbelsäule (BWS), eine Lumboischialgie rechts bei Zustand nach Sequestrotomie vom 31. August 2017 infolge eines Bandscheibenvorfalls L5/S1 und ein chronisches Schmerzsyndrom zu entnehmen. Der Klägerin seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bei wechselnder Körperhaltung für sechs Stunden täglich und mehr zumutbar. Vermieden werden sollten Zwangshaltungen für die Wirbelsäule, insbesondere Tätigkeiten unter dauernder Körpervorbeuge. Beim schweren Heben oder Tragen sollten Hebehilfsmittel genutzt werden. Zur Arbeitsplatzbeschreibung ist dort ausgeführt, die Klägerin werde als stellvertretende Marktleiterin in allen Bereichen der oben genannten Filiale eingesetzt. Sie müsse Regale befüllen, kassieren sowie Verwaltungstätigkeiten, wie die Festlegung von Dienstplänen, Bestellungen und Abrechnungen, erledigen. Besondere Probleme lägen darin, dass sie zeitweilig auch Regale befüllen müsse und dabei ein Heben und Tragen erforderlich sei. Hebehilfsmittel seien grundsätzlich vorhanden. Mit einer Arbeitsfähigkeit sei bei regulärem Krankheitsverlauf in etwa ab der zehnten bis zwölften postoperativen Woche zu rechnen.

 

Am 16. Oktober 2017 ging bei dem beklagten Rentenversicherungsträger der vom Sozialdienst der T-Fachklinik erstellte Antrag auf Leistungen auf „Hilfsmittel/technische Arbeitshilfen“ mit den Vordrucken zum Antrag auf Leistungen zur Teilhabe für Versicherte ein. Der hierzu eingereichte Kostenvoranschlag bezieht sich auf einen Harastuhl ZEN-LS 04 zu einem Preis von 769,00 €.

 

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe ab. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht erheblich gefährdet oder gemindert, weil sie weiterhin in der Lage sei, eine Beschäftigung als Einzelhandelskauffrau/Kassiererin im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Das bedeute, dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen (in diesem Fall die Kosten Kostenübernahme für einen orthopädischen Arbeitsstuhl) nicht erfülle (Bescheid vom 27. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2018).

 

Die Klägerin hat mit ihrer am 17. April 2018 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage ihr Begehren mit dem Antrag auf Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe und eines orthopädischen Drehstuhles für ihren Arbeitsplatz weiterverfolgt. An ihrem Arbeitsplatz habe sie unter Umständen auch schwere Sachen über die Kasse zu ziehen. Dadurch werde die Rückenmuskulatur so angespannt, dass auf einem normalen Stuhl, wie er an Kassen üblich sei, die Lendenwirbelsäule (LWS) nicht ausreichend gestützt werde. Der beantragte Bürostuhl würde dazu führen, dass die Klägerin bei ihren Tätigkeiten entlastet und eine zukünftige Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werde.

 

Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren den Unterschied zwischen einem ergonomischen Bürostuhl und einem individuell angefertigten orthopädischen Bürostuhl (Arthrodesenstuhl) erläutert, für den eine Kostenübernahme nur bei bestimmten Diagnosen erfolgen könne. Insoweit und zu den mitübersandten Materialien wird auf Blatt 40 bis Bd. I der Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Zu dem vom Sozialgericht eingeholten Befundbericht von dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie S. eingegangen beim Sozialgericht am 6. Dezember 2019, der die Klägerin nach seinen Angaben nur bis Dezember 2017 behandelte, wird auf Blatt 57 bis 73 Bd. I der Gerichtsakten Bezug genommen. Der für den nachfolgenden Zeitraum von der Klägerin mitgeteilte behandelnde Orthopäde hat unter dem 28. April 2020 mitgeteilt, die Klägerin sei zu einer vereinbarten Erstvorstellung in der Praxis nicht erschienen. Die Klägerin hat sodann mit Schriftsatz vom 6. Mai 2020 auf den in B2 praktizierenden Orthopäden Dr. M. verwiesen, der unter dem 19. August 2020 gesteuerte periradikuläre Therapien und ISG-Infiltrationen am 21. und 29. April, 14. Mai, 2. Juni und 15. Juli 2020 mitgeteilt hat. Es sei eine initiale Besserung unter den Behandlungen eingetreten. Ein langfristiger Erfolg bleibe abzuwarten. Zu dem Befundbericht wird auf Blatt 119 bis 121 Bd. I der Gerichtsakten verwiesen.

 

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. April 2021 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig und beschwere die Klägerin nicht. Ihr stehe kein Anspruch gegen die Beklagte auf Ausstattung mit einem orthopädischen Arbeitsstuhl zu. Ebenso bestehe keine Verpflichtung zur Übernahme der entsprechenden Kosten. Auf den Teilhabeantrag seien nach § 301 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) die bei Antragstellung geltenden Vorschriften weiter anzuwenden. Vorliegend könne es dahingestellt bleiben, ob die Erwerbsfähigkeit der Klägerin infolge ihrer Erkrankung seitens des orthopädischen Fachgebietes im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erheblich gefährdet sei, weil sie für die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit auf einen Arbeitsstuhl angewiesen sei, der ihren gesundheitlichen Einschränkungen entspreche. Denn neben dieser Voraussetzung sei für die Begründung des Anspruchs auf die beantragte Teilhabeleistung erforderlich, dass bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit deren Minderung durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden könne (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI). Jedenfalls diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Die Klägerin sei auf einen speziellen orthopädischen Arbeitsstuhl nicht angewiesen, da der von ihr konkret begehrte Drehstuhl mit Lordosenstütze einen (handelsüblichen) ergonomischen Bürostuhl darstelle, der von vornherein von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfasst werde. Gemäß § 16 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung vom 19. Februar 2002 würden von den Trägern der Rentenversicherung die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 33 bis 38 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - SGB IX) erbracht. Unter Berücksichtigung des Regelungsgefüges richte sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Ausstattung des Arbeitsplatzes mit einem an ihre gesundheitlichen Verhältnisse angepassten Arbeitsstuhl nach § 33 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 8 Satz 1 Nr. 5 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung vom 20. Dezember 2011 (a.F.) zu technischen Arbeitshilfen (Hinweis auf Landessozialgericht [LSG] Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. April 2016 - L 8 SO 24/14 -; LSG Hessen, Urteil vom 29. Mai 2018 - L 2 R 50/17 -; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. März 2016 - L 6 R 504/14 -). In Abgrenzung hierzu seien Hilfsmittel dadurch gekennzeichnet, dass sie erforderlich seien, um eine bestimmte Arbeitstätigkeit erst zu ermögliche. Demgegenüber zielten technische Hilfen darauf ab, die Arbeitsbelastung zu verringern. Ein an die körperlichen Verhältnisse einer bestimmten Person angepasster Bürostuhl unterfalle damit den technischen Hilfen. Die Abgrenzung sei insofern von Bedeutung, als Kosten für Hilfsmittel lediglich dann als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben übernommen werden könnten, wenn keine entsprechende Verpflichtung des Arbeitgebers bestehe, während es für die Übernahme von Kosten für technische Arbeitshilfen auf den Vorrang der Bereitstellung durch den Arbeitgeber nicht ankomme. Für Hilfsmittel und technische Arbeitshilfen gelte allerdings übereinstimmend, dass sie wegen Art und Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich sein müssten. Dies könne vorliegend gerade nicht bejaht werden. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass die Klägerin einen orthopädischen Bürostuhl nicht benötige. Dabei stütze sich das Gericht bereits auf den eigenen Vortrag der Klägerin. Diese begehre ausdrücklich einen Drehstuhl mit Lordosenstütze. Einen weiteren besonderen Bedarf hinsichtlich der notwendigen Beschaffenheit eines Arbeitsstuhls mache die Klägerin nicht geltend und sei darüber hinaus auch anhand des eingeholten Befundberichts nicht erkennbar. Die sich aus der bei der Klägerin unstreitig stehenden gesundheitlichen Leiden ergebenden Anforderungen an einen Arbeitsstuhl würden von einem ergonomischen Bürostuhl erfüllt. Zwar gebe es keine verbindliche Definition für einen „ergnomischen Bürostuhl“. Insoweit könne jedoch auf die „Leitlinie Qualitätskriterien für Büro-Arbeitsplätze L-Q 2010“ (Hrsg. Deutsches Institut für Normung e.V. Berlin [DIN] der Verwaltungsberufsgenossenschaft [VBG] und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin [BAuA]) zurückgegriffen werden (Hinweis auf LSG Hessen, Urteil vom 29. Mai 2018, a.a.O.). Im Wesentlichen identische Anforderungen an einen ergonomischen Bürostuhl ergäben sich aus dem „Leitfaden für die Gestaltung Bildschirm- und Büroarbeitsplätze DGUV-Information 215-410“ (Hrsg. Berufsverband der Unfallkassen), welche zur Auslegung der Pflichten des Arbeitgebers nach § 3a der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV) anzuwenden seien (Hinweis auf LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. März 2016, a.a.O.; Sozialgericht Dresden, Urteil vom 29. März 2010 - S 24 R 157/08 -). Davon ausgehend ergäben sich aus dem Rehabilitationsentlassungsbericht der T-Fachklinik vom 6. November 2017 und den eingeholten Befundberichten keine empfohlenen Anforderungen, die über die zuvor dargestellten Merkmale eines ergonomischen Bürostuhls hinausgingen. Ein ergonomischer Bürostuhl müsse insbesondere über die von der Klägerin geforderte Lordosenstütze verfügen. Vorliegend ergäben sich für das Gericht auch keine erkennbar wesentlichen Gesichtspunkte, die eine differenzierte Beurteilung zwischen den Anforderungen an einen entsprechenden Stuhl für einen (gewöhnlichen) Büroarbeitsplatz oder für den Arbeitsplatz an einer Kasse erfordern würde. Werde ein handelsüblicher ergonomischer Bürostuhl den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin gerecht, seien diese nicht kausal für einen Bedarf an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne eines angepassten orthopädischen Bürostuhls als technische Arbeitshilfe gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 5 SGB IX a.F. Es sei nicht die Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherungsträger, eine mangelnde ergonomische Grundausstattung des Arbeitsplatzes durch den Arbeitgeber auszugleichen (Hinweis auf LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. März 2016, a.a.O.; Sozialgericht Dresden, Urteil vom 29. März 2010 - S 24 R 157/08 -; Sozialgericht Frankfurt/Oder, Urteil vom 12. Juni 2013 - S 29 R 303/12 -).

 

Gegen den ihr am 28. April 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12. Mai 2021 Berufung beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung hat die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt und vertieft. Die Entscheidung des Sozialgerichts beruhe auf einer Fehlinterpretation der Anforderungen an den Arbeitgeber aus der ArbStättV und ärztlicher Befunde. Sie benötige auf Grund ihres Rückenleidens unbedingt einen orthopädischen Bürostuhl. Sie meine damit einen orthopädisch angepassten Bürostuhl. Der ArbStättV ließen sich Mindestanforderungen an Bürostühle nicht entnehmen. Wenn außerhalb des Gesetzes - hier in Leitlinien - Anforderungen definiert würden, begründeten diese ihrer Auffassung nach keine Ansprüche.

 

Die Klägerin beantragt ausdrücklich,

 

unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichtes Magdeburg vom 12.04.2021 die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 27.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2018 der Berufungsklägerin Leistungen zur Teilhabe zu bewilligen und für ihren Arbeitsplatz einen orthopädischen Drehstuhl mit Lordosenstütze zu bewilligen.

 

Die Beklagte beantragt ausdrücklich,

 

die Berufung vom 12.05.2021 als unbegründet zurückzuweisen.

 

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

 

Von der Arbeitgeberin ist die Information über den an der Kasse in der betreffenden Filiale zur Verfügung stehenden Kassenarbeitsstuhl vom 10. Januar 2022 beigezogen worden.

 

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten durch den Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheiden können (§ 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] i.V.m. § 155 Abs. 3 und 4 SGG, § 124 Abs. 2 SGG).

 

In Anbetracht des zum Gegenstand des Antrags gewordenen Kostenvoranschlages für einen Harastuhl ZEN-LS 04 mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 769,00 € ist von einem Überschreiten des Schwellenwertes für eine kraft Gesetzes statthafte Berufung (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG) auszugehen. Soweit man Alternativen zu diesem Stuhl-Modell in die Betrachtung einbezieht, führt das für Neuware zumindest nicht eindeutig zu einem anderen Ergebnis. Soweit die Bewilligungspraxis der Rentenversicherungsträger regelmäßig einen Zuschuss vorsieht, hat die Klägerin ihr Begehren nicht auf diesen Zuschuss bezogen oder begrenzt.

 

Die Beiladung der Arbeitgeberin der Klägerin ist nicht geboten gewesen. Deren Verurteilung auf der Grundlage von § 75 Abs. 5 SGG ist hier ausgeschlossen, sodass das Urteil des Senats im Verhältnis der Klägerin zu ihrer Arbeitgeberin, dessen Rechtsgrundlagen nicht der Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit unterliegen, nur in dem Sinne entfalten könnte, dass die Klägerin ggf. einen weiteren Stuhl nicht mehr verlangen könnte. Auch die Beiladung anderer Rehabilitationsträger ist nicht notwendig. Die Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers erstreckt sich nach § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX im Verhältnis des Rehabilitationsträgers zu dem behinderten Menschen auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation vorgesehen sind (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. Februar 2016 - B 8 SO 18/14 R -, juris). Nicht erforderlich ist vor diesem Hintergrund die Beiladung von Rehabilitationsträgern, die nur abstrakt, aber nicht im konkreten Verhältnis zu dem behinderten Menschen leistungspflichtig sein können. Eine Beiladung der für die Klägerin zuständigen Krankenkasse scheidet hier aus. Die Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung decken im Rahmen der Teilhabe, insbesondere durch Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB V), nur solche Bedarfe ab, die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betreffen; nicht erfasst werden Auswirkungen der Behinderung in einem bestimmten Lebensbereich, insbesondere den Bereichen Beruf, Gesellschaft oder Freizeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 2002 - B 3 KR 3/02 R -, SozR 3-2500 § 33 Nr. 46, RdNr. 10 f.).

 

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

 

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2018 erweist sich als rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme für einen Arbeitsstuhl, auch nicht im Umfang eines Zuschusses.

 

Die beantragte Verpflichtung der Beklagten könnte nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null zum Tragen kommen, für die hier keine Anhaltspunkte bestehen. Weder kann vom Senat der Umfang einer Kostenübernahme noch die Übernahme von Kosten eines Stuhles einer bestimmten Marke oder eines bestimmten Anbieters vorgegeben werden. Anhaltspunkte für Abdeckung eines Hilfebedarfs der Klägerin allein durch den Erwerb des Bürostuhls „Harastuhl ZEN-LS 04“ sind weder von der Klägerin vorgetragen worden noch feststellbar.

 

Der Beklagte war auch nicht zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Leistungen der Teilhabe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

 

Hält das Gericht die Verurteilung zum Erlass eines abgelehnten Verwaltungsakts für begründet und diese Frage in jeder Beziehung für spruchreif, so ist im Urteil nach § 131 Abs. 2 Satz 1 SGG die Verpflichtung auszusprechen, den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen. Im Übrigen gilt nach § 131 Abs. 2 Satz 2 SGG der Absatz 3 dieser Vorschrift. Danach ist im Urteil die Verpflichtung einer Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts auszusprechen, wenn das Gericht die Unterlassung eines Verwaltungsaktes für rechtswidrig hält. Der Anwendungsbereich dieser Regelungen ist insbesondere eröffnet, wenn ein Ermessen der Behörde besteht (vgl. z.B. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 131 RdNr. 12). Ob die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gegenüber der Beklagten hat, hat nicht geklärt werden müssen, da die Klägerin ihr Begehren auf eine bestimmte Teilhabeleistung eingegrenzt hat, welche die Beklagte im Rahmen ihres Auswahlermessens nicht hat bewilligen müssen.

 

Bezüglich der weiteren Begründung wird nach § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Soweit die Klägerin mit ihrem Berufungsbegehren auf die Notwendigkeit der Versorgung mit einem „orthopädisch angepassten“ Bürostuhl verweist, kann dies insbesondere vor dem Hintergrund des im Verwaltungsverfahren vorgelegten Kostenvoranschlags nicht im Sinne eines individuell, d.h. nur für die Klägerin konfigurierten Arbeitsstuhles verstanden werden. Das Modell Harastuhl ZEN-LS 04 dessen Anschaffung für die Klägerin von der T-Fachklinik angeregt wurde, ist ein handelsüblicher serienmäßig gefertigter Stuhl, der keine individuelle Zurichtung für den jeweiligen Benutzer aufweist. Es sind auch keine Erkrankungen der Klägerin aktenkundig geworden, welche Anhaltspunkte für die Notwendigkeit ihrer Versorgung mit einem individuell angepassten Arbeitsstuhl geben könnten. Für eine ergonomisch den aktuellen Standards des Arbeitnehmerschutzes angepassten Arbeitsstuhl trägt der Arbeitgeber die Verantwortung. Dies gilt hier besonders vor dem Hintergrund, dass hier der nicht nur von der Klägerin, sondern von weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genutzte Kassenbereich einer Filiale mit einem Bürostuhl (nicht Kassenarbeitsstuhl) mit einer nach Herstellerangaben notwendigen Bodenfläche des Stuhles von mehr als 72 x 72 cm (Außenmaße des Fußgestells ohne Bewegungsfläche, Aufstellfläche für die Füße etc.) ausgerüstet werden soll, ohne vorausgehend eine entsprechende Vereinbarung mit der Arbeitgeberin zumindest über die Umgestaltung des Arbeitsplatzes zu treffen. Es handelt sich hier entweder um eine für alle Mitarbeiter im Kassenbereich geeignete Maßnahme, die schon vor diesem Hintergrund primär eine Zuständigkeit der Arbeitgeberin begründet, oder um eine nur für die Klägerin geeignete Maßnahme, für die zunächst die Umgestaltung des Arbeitsplatzes geregelt werden müsste. Die Regelungen zur Arbeitsplatzausstattung begründen im Übrigen auch individualrechtliche Ansprüche der Arbeitnehmer (vgl. für die Konkretisierung von § 618 BGB: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Mai 2009 - 9 AZR 241/08 -, juris, 24). Der Senat hat demgegenüber keine Befugnis, Einfluss auf das Verhältnis der Klägerin zu ihrer Arbeitgeberin, die Einbeziehung eines Betriebsrates oder Ähnliches zu nehmen. Bisher ist eine Eignung der von der Klägerin gewünschten Arbeitsplatzausstattung aus Sicht ihrer Arbeitgeberin nicht belegt. Auf Grund der unterschiedlichen Angaben der Klägerin ist auch der Umfang, in dem sie selbst eine Tätigkeit am der Kasse verrichtet, und dass im Wesentlichen nur dieser Aufgabenbereich ihre Beschwerden verschlimmert, nicht festzulegen. Die Klägerin verrichtet nach ihren Angaben während der Rehabilitation Arbeiten mit häufigem Bewegen von Obst- und Gemüsekisten, Lebensmitteln, Non-food Artikeln, Möbeln mit einem Gewicht von bis zu 30 kg, wobei hierfür nicht durchgängig technische Hilfsmittel eingesetzt werden können. Im Rahmen der Arbeitsplatzbeschreibung hat die Klägerin Beeinträchtigungen hauptsächlich durch das Auffüllen von Regalen beschrieben. Vor diesem Hintergrund ist es nur schwer nachvollziehbar, dass allein durch einen Bürostuhl (unterstellt, dieser soll als Kassenarbeitsstuhl genutzt werden) eine wesentliche Reduzierung der körperlichen Belastung der Klägerin erreicht werden könnte.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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