S 29 AS 591/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 29 AS 591/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 572/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen eine abschließende Festsetzung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis 30.09.2015 auf 0,00 Euro und eine Erstattungsforderung in Höhe von insgesamt 8.735,87 €.

Der 1952 geborene Kläger zu 1) und die 1952 geborene Klägerin zu 2) sind spanische Staatsangehörige und leben seit Januar 2013 in der Bundesrepublik Deutschland. Die Kläger haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Der Kläger zu 1) arbeitete vor der Einreise nach Deutschland zuletzt als Kellner.

Die Kläger wohnen gemeinsam mit ihren volljährigen Söhnen D. (geb. 1984) und E. (geb. 1982) in einer ca. 84 qm großen Mietwohnung in A-Stadt. 

Der Kläger zu 1) war vom 30.04.2013 bis 11.10.2013 und vom 26.02.2014 bis 26.08.2014 erwerbstätig, d.h. für einen Zeitraum von 11 Monaten und 11 Tagen.
Im Zeitraum ab dem 26.04.2015 war der Kläger zu 1) als Zeitungszusteller geringfügig beschäftigt. Laut Zustellervertrag vom 23.04.2015 umfasste seine Tätigkeit eine monatliche Arbeitszeit von acht Stunden. Sein Lohn betrug laut der vorgelegten Gehaltsabrechnungen 37,42 € für April 2015, 89,40 € für Mai 2015, 83,98 € für Juni, 88,30 € für Juli und 108,38 € für August 2015. Im September 2015 ruhte das Beschäftigungsverhältnis, weil der Kläger zu 1) den Einsatzort mangels eigenem PKW nicht erreichen konnte. Darüber hinaus war der Kläger zu 1) seit September 2015 als Putzkraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 2,5 Stunden und einem wöchentlichen Gehalt von 25,00 € in einem Autohaus in C. tätig. Die Anmeldung zur Sozialversicherung erfolgte am 05.09.2015. Ausweislich der Gehaltsabrechnung für September 2015 betrug der im Oktober 2015 ausgezahlte Aushilfslohn brutto wie netto 100,00 €. Ab Oktober 2015 war der Kläger zu 1) für beide Arbeitgeber tätig. 

Die Kläger standen im Leistungsbezug des Beklagten nach dem SGB II. Der Beklagte bewilligte ihnen nach Beendigung des letzten Beschäftigungsverhältnisses zum 26.08.2014 Leistungen nach dem SGB II bis einschließlich Februar 2015. Auf einen Weiterbewilligungsantrag für den Zeitraum ab dem 01.03.2015 lehnte der Beklagte die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zunächst mit Bescheid vom 30.01.2015 nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Im Hinblick auf das vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängige Vorlageverfahren des Bundessozialgerichts (Az. B 4 AS 9/13 R) zur Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II erklärte sich der Beklagte in der Folge bereit, Leistungen an die Kläger bis zu einer Entscheidung des EuGH vorläufig zu erbringen. Mit Bescheid vom 08.04.2015 und Änderungsbescheid vom 13.05.2015 bewilligte der Beklagte den Klägern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis 31.08.2015 in Höhe von monatlich 1.061,19 €. Die Söhne der Kläger standen nicht als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Leistungsbezug des Beklagten. 

Mit Bescheid vom 29.07.2015 und Änderungsbescheid vom 21.09.2015 bewilligte der Beklagte den Klägern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.09.2015 bis 29.02.2016. Für den Monat September 2015 beliefen sich die vorläufig bewilligten Leistungen weiterhin auf 1.061,19 €, während von Oktober 2015 bis Januar 2016 monatlich 1.076,58 €, und für Februar 2016 1.004,80 € vorläufig bewilligt wurden.

Mit Bescheid vom 07.12.2015 setzte der Beklagte unter Bezugnahme auf die Bescheide vom 08.04.2015, 13.05.2015, 29.07.2015 und 21.09.2015 die Leistungen nunmehr endgültig fest und stellte fest, dass kein Anspruch auf Leistungen bestehe. Zugleich wurden die Leistungen für Dezember 2015 bis Februar 2016 auf Null festgesetzt. Ab diesem Zeitpunkt erfolgte keine Auszahlung von Leistungen mehr an die Kläger. Zugleich forderte der Beklagte von den Klägern die vorläufig gewährten Leistungen von dem Kläger zu 1) in Höhe von 6.383,10 € sowie von der Klägerin zu 2) in Höhe von 4.854,43 € zurück. 

Gegen den Bescheid vom 07.12.2015 erhoben die Kläger am 10.12.2015 Widerspruch.

Am 15. Dezember 2015 stellten die Kläger einen Antrag auf die Gewährung einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht Gießen, Az. S 29 AS 944/15 ER. Mit Beschluss vom 25.01.2016 verpflichtete das Gericht den Beklagten, den Klägern vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 975,00 € ab Antragstellung bei Gericht bis längstens 29.02.2015 zu gewähren. Das Sozialgericht hielt die aufgenommenen Tätigkeiten als Zeitungszusteller und als Putzkraft für ausreichend, um die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers und damit die Leistungsberechtigung nach dem SGB II zu begründen. 

Bereits am 14.01.2016 stellten die Kläger bei dem Beigeladenen einen Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt, den der Beigeladene mit Bescheid vom 07.03.2016 ablehnte, da die Kläger aufgrund von § 21 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hätten. 

Nach Vorlage der entsprechenden Gehaltsabrechnungen änderte der Beklagte die endgültige Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 11.07.2016 ab. Er übernahm die Wertung des Beschlusses des Sozialgerichts Gießen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und erachtete nun ab Oktober 2015 die Tätigkeit des Klägers zu 1) als ausreichend, um eine Arbeitnehmereigenschaft und einen Anspruch nach dem SGB II zu begründen. Er setzte daraufhin mit Bescheid vom 11.07.2016 nur noch die Leistungen für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis 30.09.2015 auf 0,00 Euro fest und verlangte von dem Kläger zu 1) einen Betrag in Höhe von insgesamt 4.958,04 € und von der Klägerin zu 2) in Höhe von 3.777,83 €, insgesamt 8.735,87 €, erstattet. Für die Zeit vom 01.10.2015 bis 29.02.2016 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des Einkommens des Klägers zu 1). 

Mit Widerspruchsbescheiden vom 12.07.2016 (XXX1 betreffend den Kläger zu 1) und XXX2 betreffend die Klägerin zu 2)) wies der Beklagte die Widersprüche nach Erlass des Bescheides vom 11.07.2016 im Übrigen zurück. Er führte im Wesentlichen aus, dass die Erwerbstätigkeit des Klägers zu 1) in den Monaten März bis September 2015 wöchentlich nur zwei bzw. zweieinhalb Stunden betragen habe, was nicht ausreichend sei, um den Arbeitnehmerstatus zu begründen. Auch anderweitig seien die Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II nicht gegeben. Es habe nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche bestanden. 

Hiergegen haben die Kläger am 03.08.2016 jeweils Klage bei dem Sozialgericht Gießen erhoben (S 29 AS 591/16 und S 29 AS 592/16). 

Mit Beschlüssen vom 13.01.2017 (S 29 AS 591/16) und 14.08.2017 (S 29 AS 592/16) hat das Gericht den Beigeladenen als zuständiger Leistungsträger nach dem SGB XII beigeladen.

Die Kläger sind im Wesentlichen der Auffassung, der Kläger zu 1) sei auch im Zeitraum vom 01.03.2015 bis 30.09.2015 Arbeitnehmer im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II gewesen. Der EuGH gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Arbeitnehmereigenschaft unionsrechtlich unter Rückgriff auf Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV auszulegen sei (vgl. EuGH, Urteil vom 19. November 2002, Rs. C-188/00). Danach bestehe das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringe, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalte (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 24. Januar 2008, Rs. C-294/06). Es handele sich auch um eine tatsächliche und echte Tätigkeit, die er ausgeübt habe. Es sei eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich. Der Kläger zu 1) sei nicht in der Lage, eine umfangreichere Beschäftigung auszuüben, da sich die Kläger seit November 2014 um die Pflege ihres an einem Down-Syndrom leidenden schwerbehinderten Sohnes kümmern müssten. Seit diesem Zeitpunkt stellten alleine die Kläger die Pflege ihres Sohnes sicher. Schließlich sei es unzutreffend, dass sie über Wohneigentum in Spanien verfügten. Im Übrigen bestünde – wenn kein Leistungsanspruch gegen den Beklagten bestünde – jedenfalls ein Anspruch gegen den Beigeladenen.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 07.12.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.07.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12.07.2016 abzuändern und den Klägern endgültig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II auch für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis zum 30.09.2015 in gesetzlicher Höhe zu gewähren, 
hilfsweise, 
den Beigeladenen zu verpflichten, den Klägern Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis zum 30.09.2015 zu gewähren. 

Der Beklagte beantragt, 

die Klagen abzuweisen. 

Der Beigeladene stellt keinen Antrag. 

Der Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, die Tätigkeit des Klägers zu 1) als Zeitungszusteller stelle kein ausreichendes Arbeitsverhältnis im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II dar und könne nicht als Erwerbstätigkeit anerkannt werden. Die Voraussetzungen für ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem FreizügigkeitsG/EU oder den Regelungen des Aufenthaltsrechts seien weder unter diesem Aspekt noch aus anderen Gründen erkennbar. Der Kläger zu 1) habe daher nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche und damit im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. 

Der Beigeladene ist im Wesentlichen der Auffassung, dass eine Verurteilung des Beigeladenen nicht in Betracht komme, weil Rückforderungsansprüche des Beklagten gegen die Kläger nach dem SGB II im Streit stünden. Zudem seien aufgrund der Regelung des § 107 SGB X die Geltendmachung des Anspruchs gegen den Beigeladenen ausgeschlossen. Überdies hätten die Kläger keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Es bestünden bereits Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Kläger. Der Beigeladene habe den Hinweis erhalten, dass diese über Grundvermögen in Spanien verfügten. Die Kläger hätten in ihrem Antrag auf Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt auch nicht angegeben, dass der Kläger zu 1) einer geringfügigen Beschäftigung bei einem Autohaus in C. nachgehe. Hinsichtlich eines Anspruchs nach dem SGB II sei unklar, ob die Beschäftigung des Klägers zu 1) als Zeitungszusteller und die Tätigkeit im Autohaus in C. die Geringfügigkeitsgrenze überschreite. Schließlich lägen die Voraussetzungen für Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII nicht vor. Die Kläger seien nach § 21 Satz 1 SGB XII von Leistungen zum Lebensunterhalt ausgeschlossen, da zumindest der Kläger zu 1) dem Grunde nach ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter im Sinne des SGB II sei. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R, eine andere Ansicht vertrete, stelle dies eine Einzelfallentscheidung dar. Die Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sehe u.a. für Ausländer, deren Leistungsanspruch nach dieser Vorschrift ausgeschlossen sei, vor, dass für diese Personengruppe auch Leistungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht kämen, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II seien (BT-Drs. 16/688, Seite 13). Selbst das Europarecht fordere eine solche Auslegung nicht (Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 15. September 2015, C-67-14). Im Übrigen ergebe sich der Leistungsausschluss aus § 23 Abs. 3 SGB XII. Das Ermessen im Hinblick auf die Vorschrift des § 23 Abs.1 Satz 3 SGB XII sei vorliegend dahingehend auszuüben, dass die Kläger als Staatsangehörige eines EU-Staates ohne Gefährdung von hochrangigen Rechtsgütern in ihre Heimat zurückkehren und die dortige soziale Absicherung in Anspruch nehmen könnten und folglich keinen Leistungsanspruch nach dem SGB XII hätten. Zudem verwies der Beigeladene auf den Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.09.2016, L 9 AS 427/16 B ER

Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.07.2019 die Verfahren S 29 AS 591/16 und S 29 AS 592/16 unter Führung des Verfahrens S 29 AS 591/16 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. 

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die zulässigen Klagen gerichtet auf die endgültige Festsetzung des Leistungsanspruchs sind unbegründet. 

Der Bescheid vom 07.12.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 11.07.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 12.07.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben weder einen Anspruch auf endgültige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis zum 30.09.2015 gegen den Beklagten noch haben sie Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII gegenüber dem Beigeladenen. 

Der Beklagte hat zu recht die Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis 30.09.2015 abschließend in Höhe von 0,00 € festgesetzt und die vorläufigen gewährten Leistungen für den genannten Zeitraum erstattet verlangt. 

Ein Anspruch nach dem SGB II besteht in diesem Zeitraum nicht, weil sich die Kläger im Zeitraum vom 01.03.2015 bis 30.09.2015 lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufgehalten haben und folglich vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen waren. 

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben
(erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind ausgenommen
1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,
3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Der Kläger zu 1) erfüllt zunächst im streitgegenständlichen Zeitraum die Altersanforderung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, er ist erwerbsfähig, hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Kläger zu 1) ist im streitgegenständlichen Zeitraum jedoch kein Arbeitnehmer im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) gewesen. Sein Aufenthaltsrecht leitet sich allein aus der Arbeitsuche her (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU), so dass der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II zum Tragen kommt. Insofern steht auch der Klägerin zu 2) kein Leistungsanspruch zu, da sie folglich nicht eine Person, die mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt (§ 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II), ist. Selber hat sie keine Tätigkeit ausgeübt. 

Der Kläger zu 1) kann kein nachwirkendes Aufenthaltsrecht aus seiner früheren Erwerbstätigkeit herleiten (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 FreizügG/EU). Denn bei ihm trat zuletzt unfreiwillige Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung am 26.08.2014 ein und der 6-Monats-Zeitraum nach Beginn der Arbeitslosigkeit endete damit mit Ablauf des 26.02.2015. Bis einschließlich Februar 2015 hat der Beklagte den Klägern auch Leistungen nach dem SGB II erbracht.

Die Kläger sind auch nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 FreizügG/EU unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, da sie kein Daueraufenthaltsrecht erworben haben. Denn ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU setzte voraus, dass sich die Kläger seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Die Kläger halten sich jedoch erst seit Januar 2013 in der Bundesrepublik Deutschland auf, so dass im Jahr 2015 das Fünf-Jahres-Erfordernis nicht erfüllt ist.

Die von dem Kläger zu 1) im April 2015 aufgenommene Tätigkeit als Zeitungszusteller sowie auch die Tätigkeit als Putzkraft ab September 2015 begründen jeweils für sich betrachtet nicht die maßgebliche Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des FreizügG/EU.

Der Arbeitnehmerbegriff des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist weder im engeren nationalrechtlichen Sinne arbeitsrechtlich, noch gar sozialrechtlich und damit auch nicht grundsicherungsrechtlich zu verstehen; er ist vielmehr ausschließlich im Lichte des Unionsrechts (vgl. bereits EuGH, Urteil vom 19.03.1964 – Rs. 75/63 – Unger), hier speziell im Sinne des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts auszulegen (vgl. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11.11.2015, L 6 AS 197/15 B ER). Dabei ist der Arbeitnehmerbegriff nicht in der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) definiert, zu deren Umsetzung das FreizügG/EU ergangen ist. Eine Begriffsdefinition ergibt sich auch nicht aus dem europäischen Primärrecht in Gestalt der EU-vertraglichen Freizügigkeitsgewährleistung (Art. 39 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]) und der Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (VO [EWG] Nr. 1612/68 vom 15. Oktober 1968), die als Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (VO [EU] Nr. 492/2011 vom 05.04.2011) neu kodifiziert worden ist. Aus den Erwägungsgründen der VO [EWG] Nr. 11612/68 ergibt sich indes, dass das Freizügigkeitsrecht „gleichermaßen Dauerarbeitnehmern, Saisonarbeitern, Grenzarbeitnehmern oder Arbeitnehmern zu[steht], die ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit einer Dienstleistung ausüben.“ Daraus und aus dem primären Zweck des Freizügigkeitsrechts, einen diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt des aufnehmenden Mitgliedsstaats zu gewähren, folgt notwendigerweise ein weiter Arbeitnehmerbegriff, der lediglich auf ein Mindestmaß an Teilnahme am Wirtschaftsleben des aufnehmenden Mitgliedsstaats zielt. Dabei ist ohne Relevanz, inwieweit das mit der ausgeübten Tätigkeit erzielte Entgelt geeignet ist, das vom jeweiligen Mitgliedsstaat definierte Existenzminimum zu decken. Die Arbeitnehmereigenschaft begründen vielmehr auch existenzsichernde Teilzeittätigkeiten, sofern es sich dabei um tatsächliche und echte Tätigkeiten handelt, wobei – gemessen wiederum am Willen der freizügigkeitsberechtigten Personen, im Wirtschaftsleben tätig zu sein – nur solche Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (EuGH, Urteil vom 23.03.1982 – Rs. 53/81 – Levin, Rn. 17). Zur Prüfung dieser Voraussetzungen hat sich das Tatsachengericht auf objektive Kriterien zu stützen und dabei eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeit und die des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, wobei Umstände, die sich auf das Verhalten des Betreffenden vor und nach der Beschäftigungszeit beziehen, für die Begründung der Arbeitnehmereigenschaft ohne Bedeutung sein sollen (EuGH, Urteil vom 06.11.2003 – Rs. C-413/01 – Ninni-Orasche, Rn. 27 f.).

Vor diesem Hintergrund ist der Kläger zu 1) im streitgegenständlichen Zeitraum kein Arbeitnehmer im Sinne des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs gewesen. Er übte im streitgegenständlichen Zeitraum nur eine Tätigkeit aus, die sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellte.

Zwar ist die Tätigkeit des Klägers zu 1) als Zeitungszusteller vor dem Hintergrund des vorgelegten Zustellervertrags und der Lohnabrechnungen zunächst als Arbeitsverhältnis im Sinne des Unionsrechts zu qualifizieren, da der Kläger zu 1) nach Weisungen des Arbeitgebers eine Leistung erbracht hat, für die er eine Vergütung erhielt (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988, Rs. 197/86). Die Tätigkeit ist für die Monate April bis August 2015 auch tatsächlich und echt in dem Sinne, dass sie wirklich ausgeübt wurden und nicht lediglich zum Schein ein entsprechender Vertrag geschlossen wurde. 

Die Tätigkeit ist aber ihrem Umfang nach als völlig untergeordnet und unwesentlich zu qualifizieren. 

Den Entscheidungen des EuGH lässt sich keine bestimmte Grenze in Bezug auf Einkommen und Arbeitszeit entnehmen, unterhalb derer die Arbeitnehmereigenschaft verneint werden muss. Der EuGH hat vielmehr immer deutlich gemacht, dass eine vorzunehmende Würdigung der Gesamtumstände letztlich den Gerichten der Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom 04.02.2010 - Rs. C - 14/09). In der nationalen Rechtsprechung finden sich einzelne Entscheidungen zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine unionsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft begründet wird (vgl. die Nachweise im Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 18.09.2015, L 7 AS 431/15 B ER, juris Rn. 21). Das LSG Berlin-Brandenburg ging in einem Beschluss vom 17.02.2015 (L 31 AS 3100/14 B ER) davon aus, dass eine an fünf Tagen in der Woche für jeweils 1 Stunde ausgeübte Tätigkeit mit einem monatlichen Verdienst in Höhe von 150,00 EUR brutto, die nur für einen Zeitraum von zwei Monaten nachgewiesen war, nicht die Voraussetzungen einer die Arbeitnehmereigenschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU begründenden Tätigkeit erfüllt. In einer Entscheidung vom 04.06.2015 kam das LSG Berlin-Brandenburg (L 29 AS 1128/15 B ER) zu demselben Ergebnis bei einer Beschäftigung von lediglich fünf Stunden wöchentlich mit einem monatlichen Verdienst von weniger als 200,00 €. Das Hessische Landessozialgericht ging in einem Beschluss vom 18.09.2015, L 7 AS 431/15 B ER davon aus, dass eine Tätigkeit als Bürohilfe mit einer monatlichen Brutto-Vergütung von 102,00 € bei einer monatlichen Arbeitszeit von zwölf Stunden nicht ausreichend sei, eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU zu begründen.

Vorliegend erwirtschaftete der Kläger zu 1) mit seiner Tätigkeit als Zeitungszusteller laut vorgelegter Gehaltsbescheinigungen lediglich 37,42 € für April 2015, 89,40 € für Mai 2015, 83,98 € für Juni 2015, 88,30 € für Juli 2015 und 108,38 € für August 2015. Hinsichtlich der Wochenarbeitszeit ergibt sich aus dem ursprünglichen Zustellervertrag vom 23.04.2015 eine wöchentliche Arbeitszeit von 2 Stunden. Dies erfüllt das erforderliche Mindestmaß der Teilnahme am Wirtschaftsleben im Sinne des Unionsrechts nicht und stellt sich zur Überzeugung der Kammer im vorliegenden Einzelfall als völlig untergeordnet und unwesentlich dar. Die ausgeübte Tätigkeit reicht weder nach Verdienst noch nach zeitlichem Umfang aus, um eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU zu begründen.

Gleiches gilt für die im September 2015 aufgenommene Tätigkeit als Putzkraft in einem Autohaus. Auch insoweit geht die Kammer zwar von einem echten Arbeitsverhältnis aus. Die wöchentliche Arbeitszeit lag mit 2,5 Stunden jedoch nur geringfügig höher als diejenige als Zeitungszusteller. Auch hier belief sich der Verdienst für den Monat September 2015 auf lediglich 100,00 €. Auch diese Tätigkeit ist damit als untergeordnet und geringfügig zu qualifizieren. 

Erst ab Oktober 2015 hat der Kläger zu 1) beide Tätigkeiten nebeneinander ausgeübt, was in der Gesamtschau eine andere Wertung zulässt. Dass dem Kläger zu 1) aufgrund der Pflegebedürftigkeit seines Sohnes vor Oktober 2015 keine umfangreichere Tätigkeit als von ihm ausgeübt, möglich war, ist durch die Ausübung beider Tätigkeiten ab Oktober 2015, bereits widerlegt. Überdies war die Klägerin zu 2) nicht erwerbstätig. 

Für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 01.03.2015 bis 30.09.2015 lag damit in der Person des Klägers zu 1) keine Arbeitnehmereigenschaft vor. Er hat sich folglich zum Zweck der Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten und war damit von der Leistungsgewährung nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Er - und damit auch die Klägerin zu 2) - hatten keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Der Beklagte hat zu Recht die Leistungen mit den streitgegenständlichen Bescheiden auf 0,00 € festgesetzt. 

Im Hinblick auf die Differenz zu den vorläufig bewilligten Leistungen war der Beklagte nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) gehalten, eine abschließende Entscheidung über den monatlichen Leistungsanspruch zu treffen. § 41a SGB II findet keine Anwendung, da eine abschließende Entscheidung - maßgeblich ist die letzte behördliche Entscheidung mit den Widerspruchsbescheiden vom 12.07.2016 - vor dessen Inkrafttreten zum 01.08.2016 erfolgt ist (vgl. auch § 80 Abs. 2 SGB II). Gemäß § 328 Abs. 3 Satz 1 SGB II sind die auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten (§ 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III). Dass die Berechnung des Erstattungsbetrags als Differenz zwischen den vorläufig bewilligten und den abschließend festgesetzten Leistungen fehlerhaft sein könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Erstattungspflicht der dem Kläger zu 1) gewährten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ergibt sich aus § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i.d.F. vom 24.03.2011 i.V.m. § 335 Abs. 1 und 5 SGB III.

Auch der Hilfsantrag der Kläger ist unbegründet. Sie haben auch keinen Anspruch auf die Gewährung von Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII gegen den Beigeladenen. 

Dieser besteht bereits deswegen nicht, weil in der vorliegenden Konstellation kein Vorrang des Erstattungsanspruchs gegenüber einem andern Leistungsträger zum Tragen und folglich keine alternative Verurteilung des Beigeladenen in Betracht kommt. Im Fall der vorläufigen Bewilligung von Leistungen richtet sich der Erstattungsanspruch gegen den Leistungsempfänger selbst und nicht gegen einen anderen verpflichteten Leistungsträger (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2002, B 5 RJ 6/01 R, juris Rn. 21). 

Aber selbst wenn eine Verurteilung des Beigeladenen in Betracht zu ziehen wäre, besteht vorliegend kein Leistungsanspruch gegen ihn. 

Einem Anspruch nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, das die Hilfen zum Lebensunterhalt regelt, steht bereits der Wortlaut des § 21 Abs. 1 SGB XII entgegen. Nach dieser Vorschrift erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Selbst wenn man mit dem BSG (vgl. Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R, sowie vom 16.12.2015, B 14 AS 15/14 R, m.w.N.) davon ausgehen wollte, dass der Leistungsausschluss in der vorliegenden Konstellation nicht eingreift, hat der Beigeladene im Klageverfahren zutreffend ausgeführt, dass überdies der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII i.d.F. vom 02.12.2006 (a.F.) bei alleiniger Einreise zum Zwecke der Arbeitssuche auch für Sozialhilfeleistungen gilt. Soweit der Beigeladene hinsichtlich der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (a.F.) das Ermessen dahingehend ausgeübt hat, dass ein Anspruch der Kläger nach dem SGB XII nicht besteht, da die Kläger als Staatsangehörige eines EU-Mitgliedslandes ohne die Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter in ihre Heimat zurückkehren könnten und dort sozial abgesichert seien, kann die Kammer hierin trotz eines über sechs Monate andauernden Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland keine ermessensfehlerhafte Entscheidung erkennen. Auf die Ausführungen in dem Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.09.2016, L 9 AS 427/16 B ER, nimmt die Kammer Bezug. 

Nach alledem konnten die Klagen keinen Erfolg haben und waren abzuweisen. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt insbesondere das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143 f SGG. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 750,00 €. 
 

Rechtskraft
Aus
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