L 3 AS 1138/16 B

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 35 AS 1619/15 WA
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 1138/16 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Sozialgericht, das einen Antrag auf mündliche Verhandlung im Sinne von § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG als verspätet und gegebenenfalls die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als nicht gegeben ansieht oder den Antrag aus sonstigen Gründen als unzulässig erachtet, darf den Antrag wegen einer fehlenden Rechtsgrundlage nicht durch Beschluss verwerfen, sondern muss über ihn durch Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung, sofern nicht auf eine solche verzichtet wird, entscheiden.

2. Der Zulässigkeit einer Beschwerde steht nicht entgegen, dass das Sozialgericht über den Antrag auf mündliche Verhandlung durch Urteil statt – wie geschehen – durch Beschluss hätte entscheiden müssen. Denn einem Kläger darf kein Nachteil dadurch erwachsen, dass er von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht hat, auf das er durch das Gericht hingewiesen worden ist. Vielmehr ist in einem solchen Fall nach dem Grundsatz der sogenannten Meistbegünstigung sowohl das Rechtsmittel zulässig, das gegen die gewählte Entscheidungsform zulässig wäre, als auch das Rechtsmittel, das gegen die richtige Entscheidungsform zulässig gewesen wäre.

3. Über eine Beschwerde gegen einen Beschluss eines Sozialgerichtes, mit dem dieses einen Antrag auf mündliche Verhandlung im Sinne von § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen hat, entscheidet das Landessozialgericht in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern.

I.     Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 13. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

Es wird festgestellt, dass das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Chemnitz mit dem Aktenzeichen S 37 AS 1688/14 durch den Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2015 wirksam beendet ist.

II.    Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

III.   Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Kläger wenden sich mit ihren Beschwerden gegen einen Beschluss des Sozialgerichtes, mit dem ihre Anträge auf mündliche Verhandlung zu einem Gerichtsbescheid als unzulässig verworfen worden sind. Im Klageverfahren waren höhere Leistungen für den Zeitraum von April 2009 bis September 2009 streitig.

 

Der 1965 geborene erwerbsfähige Kläger zu 1 und die 1978 geborene erwerbsfähige
Klägerin zu 2 bildeten zusammen mit ihren 1995, 1997, 2003, 1999 und 2005 geborenen Kindern, den Klägern zu 3 bis 7, im streitbefangenen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Sozialgesetzbuches Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Für ihre 107,99 m² große Wohnung hatten sie monatlich 686,93 EUR (= 496,93 EUR + 190,00 EUR [Nebenkosten]) zu zahlen.

 

Der Beklagte bewilligte den Klägern mit bestandskräftigem Bescheid vom 5. März 2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 16. März 2009 und 6. Juni 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für April bis September 2009. Als monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung wurde ein Gesamtbetrag in Höhe von 655,04 EUR anerkannt. Bei den Klägern zu 3 bis 7 wurde jeweils Kindergeld ohne Abzüge als Einkommen angerechnet.

 

Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 27. Dezember 2012 die Überprüfung dieses Bescheides. Sie machten geltend, dass die Bescheide zumindest hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung rechtswidrig seien.

 

Mit bestandskräftigem Änderungsbescheid vom 18. April 2012 hob der Beklagte die monatlichen Leistungsbewilligungen geringfügig an. Er berücksichtigte jetzt die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizungskosten.

 

Die nunmehr anwaltlich vertretenen Kläger beantragten mit Schriftsatz vom 15. Juli 2013 die Überprüfung des Bescheides vom 18. April 2012. Wiederum wurde gerügt, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung zu gering seien. Ergänzend wurde vorgetragen, dass bei den Kindern die Versicherungspauschale in Abzug zu bringen sei. Außerdem seien die Nachzahlungsbeträge, welche sich aus dem Bescheid vom 18. April 2012 ergeben würden, von Amts wegen zu verzinsen. Schließlich seien die Regelsätze für Erwachsene und für Minderjährige verfassungswidrig.

 

Den zweiten Überprüfungsantrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19. Dezember 2013 ab. Bei dem Erlass des Bescheides vom 18. April 2012 sei das Recht richtig angewandt und es sei von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden. Ferner wurde angemerkt, dass ein Überprüfungsantrag ohne Sach- und Rechtsprüfung abzulehnen sei, soweit er aufgrund der Jahresfrist nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 44 Abs. 4 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) keine Auswirkungen mehr haben könne.

 

Ihren Widerspruch im Schriftsatz vom 22. Januar 2014 begründeten die Kläger damit, dass der streitbefangene Zeitraum zu überprüfen sei. Die Regelung in § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei verfassungswidrig.

 

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. März 2014 zurück. Aus der Regelung in § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II folge, dass auf einen innerhalb des Jahres 2013 gestellten Überprüfungsantrag Nachzahlungen rückwirkend bis zum 1. Januar 2012 zu leisten seien. Der Zeitraum, für den die Kläger höhere Leistungen begehren würden, liege zeitlich davor.

 

Die daraufhin erhobene Klage, die nicht begründet worden ist, hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2015 (Az. S 37 AS 1688/14) abgewiesen. Der Gerichtsbescheid ist dem Klägerbevollmächtigten am 27. Februar 2015 zugestellt worden. Das Sozialgericht hat über die Berufung als das statthafte Rechtsmittel belehrt, ohne zur Statthaftigkeit der Berufung Ausführungen zu machen.

 

Am 27. März 2015 hat der Klägerbevollmächtigte Anträge auf mündliche Verhandlung gestellt und die Verfassungsmäßigkeit von § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II gerügt. Streitgegenständlich seien "u. a." die gekappten Kosten für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum von April bis September 2009. Diesbezüglich dürfe der Wert des Beschwerdegegenstandes für eine Berufung nicht erreicht sein.

 

Diesen Schriftsatz hat das Sozialgericht dem Sächsische Landessozialgericht vorgelegt, wo er unter dem Az.: L 7 AS 316/15 erfasst worden. Die Anträge hat der damalige Berichterstatter an das Sozialgericht zur weiteren Bearbeitung zurückgeleitet. Dort ist es zunächst unter dem Az.: S 37 AS 1619/15 WA und nach einem Kammerwechsel unter dem Az.: S 35 AS 1619/15 WA geführt worden.

 

Das Sozialgericht hat mit Schreiben vom 20. September 2016 eine Aufforderung gemäß § 106a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an die Kläger gerichtet und diesen aufgegeben, sämtliche Nachweise für die bisher vorgebrachten Rügen vorzulegen sowie, sofern sie außer den bisher vorgebrachten Rügen weitere Unrichtigkeiten geltend machen wollten, diejenigen Tatsachen anzugeben, auf deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung sie sich beschwert fühlten, und die entsprechenden Nachweise hierfür vorzulegen.

 

Der Kammervorsitzende hat unter dem 10. September 2016 für dieses Verfahren sowie eine Anzahl weiterer Verfahren der Kläger Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2016 bestimmt.

 

Mit Beschluss vom 13. Oktober 2016 hat das Sozialgericht die Anträge auf mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen. Die Klage sei damit begründet worden, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung zu niedrig festgesetzt worden seien, die Versicherungspauschale für die fünf minderjährigen Kinder hätte in Abzug gebracht werden müssen und die Regelsätze verfassungswidrig gewesen seien. Allein die begehrte Absetzung der Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR pro Person und Monat ergebe bei den fünf minderjährigen Kindern und einem Bewilligungszeitraum von sechs Monaten eine Beschwer von mehr als 750,00 EUR, sodass die Berufung kraft Gesetzes gegeben gewesen sei.

 

Der Klägerbevollmächtigte hat hiergegen am 27. Oktober 2016 Beschwerde eingelegt, ohne die angekündigte Beschwerdebegründung – trotz Erinnerung – zu übersenden.

 

Der Beklagte hat zur Beschwerde keine Stellungnahme abgegeben.

 

Zum richterlichen Hinweis, dass fraglich sei, ob das Sozialgericht durch Beschluss habe entscheiden dürfen, hat keiner der beiden Beteiligten Stellung genommen.

 

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten aus beiden Instanzen verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

I. Die Beschwerde ist zulässig (1.), jedoch nicht begründet (2.).

 

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes vom 13. Oktober 2016 ist zulässig.

 

a) Die Beschwerde ist gemäß § 172 SGG statthaft. Bei dem Beschluss über die Verwerfung des Antrages gemäß § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG auf mündliche Verhandlung als unzulässig handelt es sich nicht um eine prozessleitende Verfügung (vgl. hierzu B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 172 Rdnr. 6 ff., m. w. N.) oder eine andere in § 172 Abs. 2 SGG genannte Entscheidung, die nicht mit der Beschwerde angefochten werden können. Die Beschwerde ist auch nicht gemäß § 172 Abs. 3 SGG ausgeschlossen, weil der Beschluss nicht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen ist (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG), mit dem Beschluss keine Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG) und der Beschluss weder eine Kostengrundentscheidung nach § 193 SGG (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG) noch eine Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 4 SGG (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 4 SGG) enthält.

 

b) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass das Sozialgericht über den Antrag auf mündliche Verhandlung durch Urteil statt – wie geschehen – durch Beschluss hätte entscheiden müssen ([4] ff.). Denn einem Kläger darf kein Nachteil dadurch erwachsen, dass er von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht hat, auf das er durch das Gericht hingewiesen worden ist. Vielmehr ist in einem solchen Fall nach dem Grundsatz der sogenannten Meistbegünstigung sowohl das Rechtsmittel zulässig, das gegen die gewählte Entscheidungsform zulässig wäre, als auch das Rechtsmittel, das gegen die richtige Entscheidungsform zulässig gewesen wäre (vgl. BFH, Urteil vom 12. August 1981 – I B 72/80BFHE 134, 216 = juris Rdnr. 6 und 10, m. w. N.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. August 2014 – L 13 AS 3162/14 – ZFSH/SGB 2014, 756 ff. = juris Rdnr. 21; Hess. LSG, Urteil vom 26. Juni 2020 – L 7 AS 479/19 B – juris Rdnr. 17).

 

(1) Das Sozialgericht kann nach Maßgabe von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Sozialgericht durch Urteil entschieden hätte. Wenn die Berufung nicht gegeben ist, kann nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG mündliche Verhandlung beantragt werden. Nach § 105 Abs. 3 Halbsatz 1 SGG wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil.

 

Entsprechende Regelungen zum Gerichtsbescheid bestehen auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2, 4 und 5, Abs. 3 Halbsatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]) und das finanzgerichtliche Verfahren (vgl. § 90a Abs. 1, 2 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 der Finanzgerichtsordnung [FGO]).

 

(2) Im Falle eines Antrages auf mündliche Verhandlung sind zwei Varianten zu unterscheiden: Wenn rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt wird, gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen (vgl. § 105 Abs. 3 Halbsatz 2 SGG; § 84 Abs. 3 Halbsatz 2 VwGO; § 90a Abs. 3 Halbsatz 2 FGO). Das Sozialgericht hat danach das Klageverfahren fortzusetzen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen, sofern die Beteiligten nicht ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilen (vgl. § 124 Abs. 2 SGG; § 101 Abs. 2 VwGO; § 90 Abs. 2 FGO). Wenn hingegen der Antrag auf mündliche Verhandlung nicht rechtzeitig gestellt worden ist oder der Antrag aus sonstigen Gründen nicht zulässig ist, bleibt der Gerichtsbescheid im Umkehrschluss wirksam. Gleichwohl wird das Klageverfahren wie in anderen Verfahren, in denen streitig ist, ob das Klageverfahren (zum Beispiel durch Klagerücknahme; Erledigungserklärung oder gerichtlichen Vergleich) wirksam beendet worden ist, fortgeführt (vgl. B. Schmidt, a. a. O., § 105 Rdnr. 24 i. v. m. § 94 Rdnr. 46, § 102 Rdnr. 12; Clausing, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht [42. Erg.-Lfg, Stand: Februar 2022], § 84 Rdnr. 43).

 

In welcher Form über einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu entscheiden ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Nach den allgemeinen Regelungen der öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten gilt Folgendes: Über eine Klage wird, soweit nichts anderes bestimmt ist, durch Urteil entschieden (vgl. § 125 SGG; § 107 VwGO; § 95 FGO). Die Entscheidung ergeht, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 1 SGG; § 101 Abs. 1 Satz 1 VwGO; § 95 Abs. 1 Satz 1 FGO). Abweichend hiervon kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 2 SGG; § 101 Abs. 2 VwGO; § 95 Abs. 2 FGO) oder nach Anhörung der Beteiligten (vgl. § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG; § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO; zur FGO: BFH, Urteil vom 25. Februar 1999 – IV R 48/98BFHE 188, 273 = NVwZ-RR 2000, 336 = juris, Leitsatz 2 und Rdnr. 11, m. w. N.) durch Gerichtsbescheid entscheiden. Eine weitere Art gerichtlicher Entscheidungen sind Beschlüsse (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 125 Rdnr. 2); sie können ohne mündliche Verhandlung ergehen (vgl. § 124 Abs. 3 SGG; § 101 Abs. 3 VwGO; § 90 Abs. 1 Satz 2 FGO). Vorgeschrieben ist die Beschlussform zum Beispiel für Entscheidungen über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. § 86b Abs. 4 SGG; § 123 Abs. 3 VwGO; § 114 Abs. 4 FGO).

 

(3) Die Entscheidungsform, die das Gericht erster Instanz wählt, hat prozessrechtliche Auswirkungen, zum Beispiel in Bezug auf die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter oder das Rechtsmittel.

 

(3.1) Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG, § 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO und § 5 Abs. 3 Satz 2 FGO wirken die ehrenamtlichen Richter bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden nicht mit. Darüber hinaus ist in § 19 VwGO und § 16 FGO geregelt, dass der ehrenamtliche Richter bei der mündlichen Verhandlung und der Urteilsfindung mit gleichen Rechten wie der [Berufs]Richter mitwirkt. Trotz der nicht ganz deckungsgleichen Regelungen ist diesen drei Prozessordnungen gemein, dass ehrenamtliche Richter jedenfalls bei Urteilen aufgrund mündlicher Verhandlung mitwirken, nicht hingegen bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung. In der zuletzt genannten Fallgruppe entscheidet bei den Sozialgerichten allein der Kammervorsitzende (vgl. § 12 Abs. 1 SGG). Bei den Verwaltungsgerichten ergeht die Entscheidung durch die aus dem Vorsitzenden und zwei Beisitzern bestehende Kammer, soweit nicht ein Einzelrichter entscheidet (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Entsprechendes gilt für die Senate bei den Finanzgerichten (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 FGO).

 

Die Wahl der Entscheidungsform hat mithin Auswirkungen auf die Besetzung des im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers und damit auf den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf den gesetzlichen Richter (vgl. Artikel 101 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes [GG]).

 

(3.2) Auch für das statthafte Rechtsmittel ist die Wahl der Entscheidungsform durch das erstinstanzliche Gericht entscheidend.

 

So findet nach § 143 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren gegen Urteile der Sozialgerichte – und den ihnen gleichstehenden Gerichtsbescheiden (vgl. § 105 Abs. 3 Halbsatz 1 SGG) – die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit die Berufung nicht nach Maßgabe von § 144 SGG der Zulassung bedarf. Hingegen findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht im Sozialgerichtsgesetz anderes bestimmt ist (vgl. § 172 Abs. 1 SGG). Über die Beschwerde entscheidet das Landessozialgericht durch Beschluss (vgl. § 176 SGG). Demgegenüber ergeht die Entscheidung über eine Berufung grundsätzlich in der Form eines Urteils (vgl. § 153 Abs. 1 bis 3 SGG). Hiervon gibt es verschiedene Ausnahmen. So kann nach § 153 Abs. 4 SGG das Landessozialgericht, außer wenn das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Nach § 158 Satz 1 und 2 SGG kann es die Berufung durch Beschluss als unzulässig verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist.

 

Die Rechtslage zur Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse von Verwaltungsgerichten und Finanzgerichten entspricht der im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. § 146 Abs. 1 VwGO; § 128 Abs. 1 FGO). Abweichend vom sozialgerichtlichen Verfahren bedarf die Berufung gegen Endurteile eines Verwaltungsgerichtes stets der Zulassung durch das Verwaltungsgericht oder durch das Oberverwaltungsgericht (vgl. § 124 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht entscheidet über die Berufung grundsätzlich durch Urteil (vgl. § 130b VwGO). Durch Beschluss kann das Oberverwaltungsgericht entscheiden, wenn die Berufung unzulässig ist (vgl. § 125 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO) oder wenn es die Berufung einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130a Satz 1 VwGO). Im finanzgerichtlichen Verfahren steht den Beteiligten gegen ein Urteil eines Finanzgerichtes die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof die Berufung zugelassen hat (vgl. § 115 Abs. 1 FGO). Nach § 124 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 126 Abs. 1 FGO verwirft der Bundesfinanzhof eine unzulässige Revision durch Beschluss. Ferner kann der Bundesfinanzhof nach § 126a Satz 1 FGO über die Revision durch Beschluss entscheiden, wenn er einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

 

(4) Aus den zitierten Regelungen folgt, dass der Gesetzgeber für eine Entscheidung über eine Klage durch ein Sozialgericht – aber auch durch einen Verwaltungs- oder Finanzgericht – nicht die Entscheidungsform eines Beschlusses vorgesehen hat. Durch Beschluss kann in einem Hauptsacheverfahren erst im Berufungsverfahren vor den Landessozialgerichten oder Oberverwaltungsgerichten oder im Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof entschieden werden, und dies auch nur in den besonderen, gesetzlich näher bestimmten Fällen.

 

Weitgehend ungeklärt und im Einzelfall umstritten ist die Rechtslage, wenn ein Obergericht oder ein Bundesgericht erstinstanzlich über eine Klage zu entscheiden hat. So sind einem Landessozialgericht in § 29 SGG erstinstanzliche Zuständigkeiten zugewiesen. Über diese kann das Landessozialgericht auch durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Entscheidungsform des Gerichtsbescheides durch § 153 Abs. 1 SGG nur für Entscheidungen über Berufungen ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Februar 2015 – B 10 ÜG 8/14 B – SozR 4-1720 § 198 Nr. 8 = juris, jeweils Rdnr. 8, m. w. N.; LSG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 5. Januar 2018 – L 9 KR 443/15 KL – juris Rdnr. 16; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 29 Rdnr. 8; Röhl, in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht [65. Edition, Stand: 01.06.2021], § 29 Rdnr. 7.4; A. Schmidt, in: Hennig, SGG [51. Erg.-Lfg., Stand: Juli 2022], § 29 Rdnr. 10; Schreiber, in: Fichte/Jüttner, SGG [3. Aufl. 2020], § 29 Rdnr. 5). Das Bundessozialgericht hat zudem im Beschluss vom 12. Februar 2015 die Möglichkeit, über eine Entschädigungsklage durch einen urteilsersetzenden Beschluss ohne mündliche Verhandlung in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 4 SGG oder des § 158 Satz 2 SGG zu entscheiden, für nicht von vornherein ausgeschlossen erachtet (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Februar 2015, a. a. O.). Für erstinstanzliche Entschädigungsklagen vor dem Bundessozialgericht hat der zuständige Senat die Auffassung vertreten, dass eine offensichtlich unzulässige Klage in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 SGG im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung und ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter verworfen werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – B 10 ÜG 2/14 KL –, SozR 4-1500 § 169 Nr. 1 = juris, jeweils Rdnr. 10 und 12 ff., m. w. N.; Roos, in: Roos/Wahrendorf/Müller, beck-online Großkommentar [Stand: 01.08.2022], § 39 Rdnr. 21). Diese Entscheidung ist allerdings nicht ohne Kritik geblieben (vgl. Loytved, jurisPR-SozR 5/2015 Anm. 6; Hauck, in: Hennig, SGG [51. Erg.-Lfg., Stand: Juli 2022], § 39 Rdnr. 18).

 

Auch die Verwaltungsgerichtsordnung kennt erstinstanzliche Zuständigkeiten der Oberverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. § 48 SGG, § 50 SGG). Die Entscheidung über eine solche Klage kann durch Gerichtsbescheid ergehen (vgl. z. B. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 6. November 2019 – 4 A 2/19 – juris Rdnr. 8; BVerwG, Gerichtsbescheid vom 9. Juli 2020 – 7 A 1/20 – juris Rdnr. 7; OVG für das Land Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 29. November 2021 – 5 KS 11/21 – juris Rdnr. 8). Anders als vom Bundessozialgericht zu § 153 Abs. 4 SGG oder § 158 Satz 2 SGG erwogen und zu § 169 Satz 2 SGG entschieden hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 3. Februar 2005 keine Rechtsgrundlage dafür gesehen, eine erstinstanzliche, unzulässige Klage in entsprechender Anwendung von § 144 Abs. 1 VwGO (Verwerfung einer unzulässigen Revision durch Beschluss) durch Beschluss verwerfen zu können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 2005 – 4 A 1038/04 – juris Rdnr. 1; vgl. auch Kraft, in: Eyermann, VwGO [16. Aufl., 2022], § 84 Rdnr. 20).

 

(5) Für einen Antrag auf mündliche Verhandlung im Sinne von § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG bedeutet dies, dass ein Sozialgericht, das den Antrag als verspätet und gegebenenfalls die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 67 SGG) als nicht gegeben ansieht oder den Antrag aus sonstigen Gründen als unzulässig erachtet, den Antrag wegen einer fehlenden Rechtsgrundlage nicht durch Beschluss verwerfen darf, sondern über ihn durch Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung, sofern nicht auf eine solche verzichtet wird, entscheiden muss. Diese Rechtsauffassung wird in der neueren sozialgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur zunehmend vertreten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. August 2014 – L 13 AS 3162/14ZFSH/SGB 2014, 756 ff. = juris Rdnr. 20, m. w. N.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2017 – L 13 AS 3192/16 B – juris Rdnr. 16, m. w. N.; Hess. LSG, Urteil vom 26. Juni 2020 – L 7 AS 479/19 B – juris Rdnr. 15 f.; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG [2017], § 105 Rdnr. 119; Hauck, in: Hennig, SGG [51. Erg.-Lfg., Stand: Juli 2022], § 84 Rdnr. 117; Hauck, in: Zeihe, SGG [66. Erg.-Lfg., Stand: Sept. 2021], § 105 Rdnr. 20b; B. Schmidt, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 105 Rdnr. 24, m. w. N. [a. A. noch Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [11. Aufl., 2014], § 105 Rdnr. 24, m. w. N.]; Schütz, jurisPR-SozR 20/2016 Anm. 4; so bereits LSG für das Land Niedersachsen, Beschluss vom 26. Juni 1963 – L 9 S 56/62 – ZfS 1964, 67 = juris [zum Vorbescheid]).

 

Der 9. Senat des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg hat im Beschluss vom 27. Mai 2016 unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes gleichfalls hierzu tendiert (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Mai 2016 – L 9 AS 1782/14 B – ASR 2016, 164 f. = juris Rdnr. 7). Unabhängig davon sieht er aber das Sozialgericht als verpflichtet an, mündlich zu verhandeln, wenn ein Kläger nach dem Erlass eines Gerichtsbescheides die mündliche Verhandlung beantragt und vorträgt, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes des § 144 SGG nicht erreicht werde, und wenn das Sozialgericht vor Erlass des Gerichtsbescheids keine konkreten abweichenden Feststellungen zur Höhe des Beschwerdewertes getroffen und dem Kläger hierzu kein rechtliches Gehör gewährt hat (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Mai 2016, a. a. O., Rdnr. 6).

 

Die Auffassung, dass über einen Antrag auf mündliche Verhandlung durch Urteil zu entscheiden ist, wird auch überwiegend in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Kommentarliteratur zu § 84 Abs. 2 VwGO vertreten (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 4. April 1978 – II TE 27/78ESVGH 28, 220 ff. = juris, Leitsatz 1; Bay. VGH, Beschluss vom 24. Februar 1981 – 11.C - 5005/79 – DÖV 1981, 639 = BayVBl 1982, 17 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Dezember 2020 – 13 LA 469/20NVwZ-RR 2021, 278 f. = juris Rdnr. 6 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. August 2021 – 6 S 201/21ESVGH 72, 48 ff. = juris Rdnr. 5 ff.; Clausing, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht [42. Erg.-Lfg., Februar 2022], § 84, Rdnr. 43; Peters, in: Posser/Wolff, VwGO [62. Erg.-Lfg., Stand. Juli 2022], § 84 Rdnr. 33; Schübel-Pfister; in: Eyermann, VwGO [16. Aufl., 2022], § 84 Rdnr. 21, m. w. N. [a. A. noch in der 15. Aufl., 2019]; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO [28. Aufl., 2022, § 84 Rdnr. 39; dieser Rechtsauffassung neigt auch zu: BVerwG, Beschluss vom 15. August 2017 – 5 PKH 1/17 D – ZOV 2017, 155 = juris Rdnr. 9 ["dass es über den […] gestellten unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung möglicherweise zu Unrecht durch Beschluss entschieden hat"]; a. A.: Hamb. OVG, Beschluss vom 5. November 1969 – Bs II 28/69 – MDR 1970, 266; Hamb. OVG, Beschluss vom 1. Dezember 1997 – Bs IV 135/97 – DVBl 1998, 487 f. = juris Rdnr. 2; Nicolai, in: Redeker/von Oertzen, VwGO [17. Aufl., 2021], § 84 Rdnr. 39; Stuhlfauth in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO [8. Aufl., 2021], § 84 Rdnr. 13).

 

Für das finanzgerichtliche Verfahren ist in der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes geklärt, dass ein Finanzgericht auch über einen verspäteten oder sonst unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung durch Urteil zu entscheiden hat (vgl. BFH, Urteil vom 12. August 1981 – I B 72/80BFHE 134, 216 = juris Rdnr. 7 ff.; BFH, Beschluss vom 20. November 2002 – VI B 90/02 – BFH/NV 2003, 336 f. = juris Rdnr. 5; BFH, Urteil vom 30. März 2006 – V R 12/04BFHE 212, 411 = NVwZ 2006, 1447 f. = juris Rdnr. 15; Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO [161. Lfg.; Stand 06.2020], § 90a FGO Rdnr. 12; Herbert, in: Gräber, FGO [9. Aufl., 2019], § 90a Rdnr. 25, m. w. N., Wendl, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung [1. Aufl. 1995, 153. Lfg.], § 90a Rdnr. 63).

 

(6) Die Argumente, die für die Auffassung, dass über einen Antrag auf mündliche Verhandlung auch durch Beschluss entschieden werden könne (vgl. LSG für das Land Niedersachsen, Beschluss vom 27. Dezember 1961 – L 10 S 49/61Breithaupt 1962, 463 = juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. August 2017 – L 13 AS 133/17 – juris Rdnr. 14; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Juni 2018 – L 31 AS 2118/17 B – juris Rdnr. 10 ff.; Hintz, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Sozialrecht [57. Edition, Stand: 1. Juni 2020], § 105 Rdnr. 11; Kühl, in: Fichte/Jüttner SGG [3. Aufl., 2020], § 105 Rdnr. 6; Kummer, in: Peters/Sautter/Wolff [112. Erg.-Lfg., Stand: 09/2021], § 105 Rdnr. 80; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [11. Aufl., 2014], § 105 Rdnr. 24, Müller, in: Roos/Wahrendorf/Müller, SGG [Stand: 1. August 2022], § 105 Rdnr. 45; Roller, in: Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz [6. Aufl., 2022], § 105 Rdnr. 18; Bienert, SGb 2014, 365 [372]), vorgetragen werden, vermögen nicht zu überzeugen.

 

(6.1) Der Rechtsauffassung, dass die Sozialgerichte die Kompetenz hätten, durch Beschluss über einen verfristeten oder ansonsten unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung entscheiden zu können, wird häufig damit begründet, dass die Regelungen in § 158 Satz 2 SGG und § 169 Satz 3 SGG betreffend die Verwerfungskompetenz im Berufung- und Revisionsverfahren entsprechend anzuwenden seien (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Juni 2018, a. a. O., Rdnr. 11; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [11. Aufl., 2014], § 105 Rdnr. 24; Roller, in: Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz [6. Aufl., 2022], § 105 Rdnr. 18; zu § 84 VwGO: Schübel-Pfister, a. a. O., m. w. N.). Wenn schon ein statthaftes, aber verfristetes Rechtsmittel durch Beschluss verworfen werden könne, müsse dies erst recht für den Antrag auf mündliche Verhandlung, der ein Minus zu einem Rechtsmittel darstelle, gelten (vgl. Leitherer, a. a. O.; Müller, a. a. O.).

 

Die reklamierte entsprechende Rechtsanwendung oder Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz voraus (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2018 – B 5 R 25/17 RBSGE 126, 128 ff. = SozR 4-2600 § 51 Nr. 2 = juris Rdnr. 57, m. w. N.; Sächs. LSG, Urteil vom 8. Juli 2021 – L 3 AL 115/20 – juris Rdnr. 67, m. w. N.). Ob eine planwidrige Regelungslücke innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes im Sinne eines Fehlens rechtlicher Regelungsinhalte dort, wo sie für bestimmte Sachverhalte erwartet werden, anzunehmen ist, bestimmt sich ausgehend von der gesetzlichen Regelung selbst, den ihr zugrunde liegenden Regelungsabsichten, den verfolgten Zwecken und Wertungen, auch gemessen am Maßstab der gesamten Rechtsordnung einschließlich verfassungsrechtlicher Wertungen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Oktober 2018 – B 11 AL 20/17 R – SozR 4-6065 Art 61 Nr. 1 = juris jeweils Rdnr. 29, m. w. N.; Sächs. LSG, Urteil vom 8. Juli 2021, a. a. O.).

 

An einer solchen planwidrigen Regelungslücke fehlt es im vorliegenden Zusammenhang (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2017 – L 13 AS 3192/16 B – juris Rdnr. 18 ff.; Hess. LSG, Urteil vom 26. Juni 2020 – L 7 AS 479/19 B – juris Rdnr. 15; B. Schmidt, a. a. O.; Zu § 84 VwGO: OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Dezember 2020 – 13 LA 469/20NVwZ-RR 2021, 278 f. = juris Rdnr. 12; Zu § 90 FGO [Vorbescheid] i. d. bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung: BFH, Urteil vom 12. August 1981 – I B 72/80 – BFHE 134, 216 = juris Rdnr. 9). Denn nach § 125 SGG wird über die Klage, soweit nichts anderes bestimmt ist, durch Urteil entschieden. Etwas anderes ist für die Klageverfahren vor den Sozialgerichten aber gerade nicht bestimmt. Selbst in Bezug auf erstinstanzliche Entscheidungen von Obergerichten oder Bundesgerichten wird die Frage, ob eine Klage analog zu den Verwerfungsregelungen im Rechtsmittelverfahren durch Beschluss als unzulässig verworfen werden kann, in den wenigen Gerichtsentscheidungen und Äußerungen im Schrifttum kontrovers bewertet.

 

Da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung einem Antrag auf Zulassung der Berufung vergleichbar ist (so z. B. zu § 84 VwGO: Schübel-Pfister, a. a. O., m. w. N.) oder eher einem Antrag auf Fortführung des Verfahrens bei einem Streit über die wirksame Beendigung eines Verfahrens, zum Beispiel durch eine Klagerücknahme oder den Abschluss eines gerichtlichen Vergleiches (so z. B. LSG Baden-Württemberg, a. a. O., Rdnr. 23; vgl. auch B. Schmidt, a. a. O. [Gegenstand des Rechtsstreites ist die Wirksamkeit einer gerichtlichen Entscheidung und nicht die Zulässigkeit eines Rechtsmittels]).

 

(6.2) Dem lässt sich zwar entgegenhalten, dass es bei einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrages auf mündliche Verhandlung nicht um eine Entscheidung über eine Klage gehe, weil über diese bereits durch einen Gerichtsbescheid entschieden worden sei (vgl. Hintz, a. a. O.; Müller, a. a. O.). Für diesen besonderen Rechtsbehelf könne auf die allgemeinen Regelungen für Rechtsmittel entsprechend zurückgegriffen werden.

 

Hierbei wird jedoch außer Acht gelassen, dass es sich bei dem Antrag auf mündliche Verhandlung nicht um ein Rechtsmittel mit Devolutiveffekt, das heißt mit einem Übergang der Entscheidungskompetenz auf die nächst höhere „Instanz“ (vgl. Bay. LSG, Beschluss vom 18. Juli 2006 – L 11 B 727/05 SO – ASR 2006, 140 f. = juris 15; Jüttner, in: Fichte/Jüttner, SGG [3. Aufl., 2020], § 85 Rdnr. 114), und gegebenenfalls mit Suspensiveffekt, das heißt einem Aufschub der formellen Rechtskraft durch die Einlegung eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs (vgl. Thür. LSG, Beschluss vom 9. November 2007 – L 6 B 139/07 SF – juris Rdnr. 14; Jüttner, in: Fichte/Jüttner, SGG [3. Aufl., 2020], § 143 Rdnr. 1), handelt. Vielmehr handelt es sich bei einem solchen Antrag um einen besonderen Rechtsbehelf (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 31/12 B – SozR 4-1500 § 105 Nr. 3 = juris Rdnr. 6; BSG, Beschluss vom 17. November 2015 – B 1 KR 130/14 B – juris Rdnr. 12), der das Verfahren in der Instanz belässt, in der durch einen Gerichtsbescheid über die Hauptsache entschieden worden ist. Die damit dem Sozialgericht eröffnete Möglichkeit – und einer Pflicht bei einem zulässigen Antrag – zu einer Selbstkontrolle einer von ihm getroffenen Hauptsacheentscheidung stellt einen Fremdkörper im sozialgerichtlichen Verfahren dar.

 

Einen weiteren Fall einer instanzerhaltenden Selbstkontrolle hat der Gesetzgeber lediglich im Rahmen der Anhörungsrüge im Sinne von § 178a SGG geschaffen. Nach § 178a Abs. 2 Satz 4 SGG ist die Rüge "bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird". Zur Anhörungsrüge hat der Gesetzgeber aber auch die Form der zutreffenden Entscheidung vorgegeben. Unabhängig davon, ob die Rüge als unzulässig zu verwerfen ist, weil sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben worden ist (vgl. § 178a Abs. 4 Satz 1 SGG), oder ob sie zurückzuweisen ist, weil sie unbegründet ist (vgl. § 178a Abs. 4 Satz 1 SGG), ergeht die Entscheidung durch unanfechtbaren Beschluss (vgl. § 178a Abs. 4 Satz 3 SGG). Eine entsprechende Vorgabe fehlt für einen Antrag auf mündliche Verhandlung im Sinne von § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG.

 

(6.3) Dass in einem Verfahren vor einem Sozialgericht über Zulässigkeitsfragen getrennt von der Prüfung der Begründetheit der Klage entschieden werden kann, und dass diese Entscheidung in Form eines Urteils zu ergehen hat, ist in § 130 Abs. 2 SGG vorgesehen. Danach kann das Gericht durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Es wird nicht zwischen zulässigen und unzulässigen Klagen unterschieden (vgl zu § 97 FGO: BFH, Urteil vom 12. August 1981 – I B 72/80BFHE 134, 216 = juris Rdnr. 9). Zwischenurteile, die Zulässigkeitsfragen betreffen, sind nicht ungewöhnlich (vgl. für das Berufungsverfahren z. B. LSG Baden-Württemberg, Teilurteil vom 28. Februar 2002 – L 10 U 2930/01 – juris Rdnr. 17; LSG Niedersachsen-Bremen, Zwischenurteil vom 10. Oktober 2018 – L 2 R 117/18ASR 2018, 257 ff. = juris Rdnr. 17).

 

Soweit über eine besondere Zulässigkeitsfrage, nämlich die nach der Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes, durch Beschluss entschieden wird, ist diese Entscheidungsform ebenfalls durch Gesetz vorgegeben (vgl. § 98 Satz 1 SGG i. v. m. § 17a Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 1, 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes [GVG]).

 

(6.4) Es wird auch die Auffassung vertreten, dass die Regelung in § 105 Abs. 3 Halbsatz 2 SGG (wenn rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt wird, gilt Gerichtsbescheid als nicht ergangen) nur einschlägig sei, wenn der Rechtsbehelf des § 105 Abs. 2 Satz. 2 SGG (Antrag auf mündliche Verhandlung) gegeben sei. Denn nach § 105 Abs. 2 Satz. 2 SGG könne mündliche Verhandlung (nur) beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben sei. Wenn aber ein Antrag auf mündliche Verhandlung (offensichtlich) unstatthaft sei, werde von Gesetzes wegen eine mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht bei einem berufungsfähigen Gerichtsbescheid gerade nicht eröffnet (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. August 2017 – L 13 AS 133/17 – juris Rdnr. 14; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Juni 2018 – L 31 AS 2118/17 B – juris Rdnr. 12; Roller, in: Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz [6. Aufl., 2022], § 105 Rdnr. 18 FN 47).

 

Hierbei wird aber unzulässigerweise nicht zwischen einer mündlichen Verhandlung zur Klage (vgl. § 105 Abs. 3 Halbsatz 2 SGG) einerseits und zum Verfahren und zur Form der Entscheidung betreffend einen Antrag auf mündliche Verhandlung (vgl. § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG) andererseits unterschieden. Zudem wird aus dem Ergebnis der Prüfung, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung unstatthaft oder im Übrigen unzulässig ist, die Form der Entscheidung über den Antrag abgeleitet, ohne dass es hierfür eine Rechtsgrundlage gibt. Eine solche Verfahrensweise hat der Gesetzgeber nur in bestimmten, hier nicht einschlägigen, Konstellationen vorgesehen (vgl. z. B. § 153 Abs. 4 Satz 1, § 158 Satz 2, § 169 Satz 3 SGG).

 

(6.5) Der Hinweis, dass nach § 105 Abs. 4 SGG ein Urteil als Entscheidungsform nur für einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung vorgesehen sei (vgl. Müller, a. a. O.; Bienert, SGb 2014, 365 [372]), ist zwar zutreffend. Aus § 105 Abs. 4 SGG kann aber nicht weitergehend abgeleitet werden, dass über einen unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden werden darf.

 

(6.6) Das Argument, dass es dem mit dem Gerichtsbescheid intendierten Entlastungszweck widerspreche, wenn man die Entscheidung in der Hauptsache durch Gerichtsbescheid (ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern) zulassen wollte, demgegenüber aber bei einem verspäteten Antrag auf mündliche Verhandlung eine mündliche Verhandlung unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter verlange (vgl. Bienert, SGb 2014, 365 [372]; zu § 84 VwGO: Schübel-Pfister, a. a. O. [mit dem Beschleunigungs- und Entlastungszweck des § 84 VwGO nicht vereinbar]), trägt nicht. Denn der Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung ist weder ein Verfassungsgrundsatz noch ein einfachgesetzlich festgelegter Grundsatz, der bei der Auslegung einer gesetzlichen Regelung zu beachten wäre. Er ist lediglich ein Motiv des Gesetzgebers, der so weit reicht, wie der Gesetzgeber ihm im Einzelfall Geltung verschafft hat. Mit der Einführung des Gerichtsbescheides in das Sozialgerichtsgesetz hat der Gesetzgeber das Ziel der Verfahrensbeschleunigung verfolgt (vgl. BT-Drs. 12/1217 S. 51; BSG, Beschluss vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 31/12 B – SozR 4-1500 § 105 Nr. 3 = juris Rdnr. 10). Den Beschluss anstelle eines Urteils als weitere Maßnahme der Verfahrensbeschleunigung hat er aber nicht vorgesehen, auch nicht vor dem Hintergrund der damals bereits divergierenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Frage der richtigen Entscheidungsform.

 

(6.7) Der Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 22. Oktober 1971 kann nicht als Beleg dafür dienen, dass über einen Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden werden könne (so aber B. Schmidt, a. a. O.). Der Bundesfinanzhof hat dort zwar entschieden, dass über einen nach Zustellung eines Vorbescheids verspätet gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof, wenn die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne, durch Beschluss zu entscheiden sei (vgl. BFH, Beschluss vom 22. Oktober 1971 – VI R 159/68BFHE 103, 138 = juris Leitsatz 1 und Rdnr. 10 f.). Der Antrag auf mündliche Verhandlung hat sich aber auf einen Vorbescheid bezogen, mit dem die Revision des Steuerpflichtigen zurückgewiesen worden ist (vgl. BFH, Beschluss vom 22. Oktober 1971, a. a. O., Rdnr. 1). Der Bundesfinanzhof hat seine Entscheidung mit einer entsprechenden Anwendung von § 126 Abs. 1 FGO, wonach die unzulässige Revision durch Beschluss verworfen wird, begründet. Eine vergleichbare Verwerfungskompetenz fehlt aber den Sozialgerichten ebenso wie den Verwaltungs- und Finanzgerichten, wie bereits ausgeführt wurde.

 

(6.8) Das Argument, dass nicht einzusehen sei, dass in der Hauptsache eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter habe ergehen können, während hinsichtlich der Frage, ob der Rechtsstreit hierdurch erledigt sei, ein Urteilsverfahren geboten sein solle (vgl. Kühl, a. a. O.), ist rechtspolitischer Natur. Die Frage zu beurteilen, ob es eine bessere oder geeignetere Lösung gibt, ist im Rahmen des verfassungsrechtlich verankerten Gewaltenteilungsprinzips dem Gesetzgeber vorbehalten.

 

(6.9) Schließlich sind bei der Auslegung von § 105 SGG im vorliegenden Zusammenhang neben den üblichen Auslegungskriterien wie Gesetzeswortlaut, Regelungsintentionen oder Regelungssystematik auch verfassungsrechtliche Bezüge zu berücksichtigen. Neben dem bereits erwähnten Anspruch auf den gesetzlichen Richter ist dies insbesondere der verfassungsrechtliche Gesichtspunkt der Rechtsmittelklarheit. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu im Plenarbeschluss vom 30. April 2003 ausgeführt, dass wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips der Grundsatz der Rechtssicherheit ist. Er wirkt sich im Bereich des Verfahrensrechts unter anderem in dem Postulat der Rechtsmittelklarheit aus. Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns führt zu dem Gebot, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 [fachgerichtlicher Rechtsschutz] – BVerfGE 107, 395 ff. = NJW 2003, 1924 ff. = juris Rdnr. 69, m. w. N.).

 

Dem wird die Gesetzesauslegung nicht gerecht, die für eine Entscheidung über einen Antrag auf mündliche Verhandlung ohne einen hinreichend deutlichen Anknüpfungspunkt im Gesetz einen Beschluss ausreichen lässt, in Folge dessen eine im Klageverfahren ansonsten grundsätzlich erforderliche mündliche Verhandlung (vgl. § 124 Abs. 1 SGG) entbehrlich wird (vgl. § 124 Abs. 3 SGG) und eine grundsätzlich vorgeschriebene Mitwirkung von ehrenamtlichen Richtern (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 SGG) ausgeschlossen wird (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG).

 

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet, weil der Antrag auf mündliche Verhandlung in Bezug auf den Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2015 nicht statthaft ist.

 

a) Gemäß § 143 SGG findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts (§§ 143 bis 159 SGG) nichts anderes ergibt. Etwas anderes ergibt sich unter anderem aus § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, danach bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts (oder dem ihm gleichgestellten Gerichtsbescheid, vgl. § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG) oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Die Rückausnahme aus § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, wonach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht gilt, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, ist vorliegend wegen des sechsmonatigen Bewilligungszeitraumes nicht einschlägig.

 

b) Gemessen hieran war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2015 statthaft.

 

Gegenstand des Klageverfahrens war die Behauptung der Kläger, die Ablehnung ihrer Überprüfungsanträge bezüglich der Leistungsbewilligungen für den Zeitraum von April 2009 bis September 2009 sei rechtswidrig. In welchem Umfange sie den Beklagten verpflichtet wissen wollten, auf ihre Überprüfungsanträge hin die Bewilligungsbescheide abzuändern, wurde zwar im Klageverfahren wegen der fehlenden Klagebegründung nicht deutlich. In einem solchen Fall hat die Prüfung des als rechtswidrig beanstandeten Bescheides aber gegebenenfalls unter Zuhilfenahme der Verwaltungsakte und insbesondere des Vorbringens im Widerspruchsverfahren zu erfolgen (so hinsichtlich der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO: Sächs. LSG, Beschluss vom 15. Januar 2013 – L 3 AS 1184/12 B PKH – juris Rdnr. 17, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 31. Juli 2014 – L 3 AL 71/13 B PKH – juris Rdnr. 20, m. w. N.).

 

Die Kläger hatten im Schriftsatz vom 15. Juli 2013 ihre zweiten Überprüfungsanträge damit begründet, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung in zu geringem Umfang anerkannt worden seien, bei den Kindern die Versicherungspauschale in Abzug zu bringen sei, die Nachzahlungsbeträge, welche sich aus dem Bescheid vom 18. April 2012 ergeben würden, von Amts wegen zu verzinsen seien, und die Regelsätze für Erwachsene und für Minderjährige verfassungswidrig zu niedrig seien. Soweit im nachfolgenden Widerspruchsverfahren die Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II gerügt wurde, ist hierin kein Abrücken vom ursprünglichen Antragsbegehren zu sehen, sondern lediglich eine Reaktion auf die Begründung des den Überprüfungsantrag ablehnenden Bescheides.

 

Selbst dem Schriftsatz vom 27. März 2015, mit dem die Anträge auf mündliche Verhandlung gestellt wurden, ist nicht zu entnehmen, dass das Klagebegehren beschränkt werden sollte. Denn soweit dort "die gekappten Kosten der Unterkunft und Heizung" als streitgegenständlich bezeichnet wurden, handelte es sich um keine abschließende Beschreibung des Rechtsschutzbegehrens, wie sich aus dem Zusatz "u. a." ergibt.

 

3. Über die Beschwerden der Kläger entscheidet der Senat in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (vgl. § 33 Satz 1 SGG).

 

§ 176 SGG in Verbindung mit § 33 Abs. 1 Satz 2, § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG findet keine Anwendung, wenn das Rechtsmittel, über das zu entscheiden ist, nur nach dem Grundsatz der sogenannten Meistbegünstigung als Beschwerde zulässig ist. Diesbezüglich hat der Bundesfinanzhof im Urteil vom 12. August 1981 ausgeführt, dass der Meistbegünstigungsgrundsatz allein den Zweck hat, den Beteiligten die Anfechtung mit dem durch die unrichtige Form der Entscheidung vorgezeichneten Rechtsmittel zu ermöglichen. Er darf jedoch nicht dazu führen, dass durch eine der Art nach falsche Entscheidung der unteren Instanz die Entscheidungsform und damit in der Regel auch die Besetzung des Rechtsmittelgerichts verändert wird (vgl. BFH, Urteil vom 12. August 1981 – I B 72/80BFHE 134, 216 = juris Rdnr. 18; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. August 2014, a. a. O., Rdnr. 22; Hess. LSG, Urteil vom 26. Juni 2020, a. a. O., Rdnr. 19).

 

 

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

 

III. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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