L 1 KR 340/21

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 22 KR 100/21
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 340/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 4/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Versicherte haben nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten zur Arbeitsstelle während einer stufenweisen Wiedereingliederung.

2. Die stufenweise Wiedereingliederung ist im SGB V nicht als Leistung zur medizinischen Rehabilitation ausgestaltet.

3. Die (vorherige) Antragstellung ist keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung eines Fahrkostenanspruchs nach § 60 Abs. 5 SGB V.

Bemerkung

keine Übernahme von Fahrkosten zur Arbeitsstelle während der stufenweisen Wiedereingliederung - Entgeltfortzahlung durch Arbeitgeber während der Wiedereingliederung

      1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 8. September 2021 wird zurückgewiesen.
      2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
      3. Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Streitig ist die Erstattung von Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle während einer stufenweisen Wiedereingliederung ins Erwerbsleben.

 

Der 1969 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte und als Sachbearbeiter in einer Stadtverwaltung beschäftigte Kläger war vom 12.08.2019 bis 07.07.2020 arbeitsunfähig erkrankt (Diagnose F32.9) und bezog währenddessen vom 23.09.2019 bis 07.07.2020 Krankengeld. Anschließend nahm er bis 11.08.2020 Urlaub und baute Überstunden ab.

 

Am 15.07.2020 erstellte die behandelnde Hausärztin für den Kläger einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan, nach dem vom 12.08.2020 bis 22.09.2020 eine stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben stattfinden sollte. Dieser Plan, dem der Arbeitgeber des Klägers sein Einverständnis erteilte, ging der Beklagten am 03.08.2020 zu. Der Kläger erschien in diesem Zeitraum planmäßig an insgesamt 30 Arbeitstagen an seinem Arbeitsplatz (einfache Wegstrecke vom Wohnort 42 km) und erhielt für diesen Zeitraum vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlung, aufgrund der ab 12.08.2020 erneut ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (Diagnose F32.9).

 

Den Antrag des Klägers vom 14.09.2020 auf Übernahme der Fahrkosten zum Arbeitsplatz während der stufenweisen Wiedereingliederung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03.11.2020 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 25.01.2021 ab. Nach § 60 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) übernähmen die Krankenkassen Fahrkosten nur im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Um eine solche Leistung handele es sich bei der stufenweisen Wiedereingliederung nach 74 SGB V nicht.

 

Dagegen hat der Kläger am 22.02.2021 beim Sozialgericht (SG) Leipzig Klage erhoben. Bei der stufenweisen Wiedereingliederung handele es sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Daher bestehe nach § 60 Abs. 5 SGB V i.V.m. § 73 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ein Anspruch auf Fahrkostenerstattung, der sich bei einer einfachen Wegstrecke von 42 km in Anlehnung an § 5 Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz (JVEG) auf 0,35 EUR je gefahrenen Kilometer, zumindest aber nach § 5 Abs. 2 Bundesreisekostengesetz (BRKG) auf 0,30 EUR je Kilometer zurückgelegter Strecke belaufe.

 

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

 

Mit Urteil vom 08.09.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Fahrkostenerstattung aus § 60 SGB V. Zwar würden nach § 60 Abs. 5 SGB V Fahrkosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation übernommen. Um eine solche Leistung handele es sich aber bei der stufenweisen Wiedereingliederung nicht. Leistungen der Krankenkasse zur medizinischen Rehabilitation seien abschließend in §§ 40 bis 43 SGB V aufgeführt. Dabei sei die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74 SGB V nicht mit der Belastungserprobung nach § 42 SGB V deckungsgleich. Denn die Belastungserprobung sei in einen ärztlichen Behandlungsplan eingebettet und erfolge zur Feststellung, ob der Versicherte bereits den Anforderungen einer – ggf. seiner bisherigen – Erwerbstätigkeit ohne gesundheitliche Gefährdung gewachsen, d. h. belastbar sei oder ob weitere Therapieschritte erforderlich seien. Demgegenüber setze die stufenweise Wiedereingliederung als bloße Maßnahme – nicht Leistung – der medizinischen Rehabilitation bereits die ärztliche Feststellung voraus, dass der Versicherte ungeachtet fortbestehender Arbeitsunfähigkeit bereits eingeschränkt belastbar sei. Damit bestimme sich die Maßnahme allein nach dem Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Versichertem in dem ärztlich empfohlenen Rahmen der teilweisen Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit. Die Krankenkasse gewähre, abgesehen von der durch fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bedingten Krankengeldzahlung, dabei gerade keine eigene Leistung.

 

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 25.11.2021 bei dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung. Bei der stufenweisen Wiedereingliederungsmaßnahme handele es sich sehr wohl um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation (Bezug auf SG Dresden, Urteil vom 17.06.2020 – S 18 KR 967/19 – juris).

 

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 8. September 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 3. November 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2021 zu verurteilen, dem Kläger Fahrkosten in Höhe von 882,00 EUR für die stufenweise Wiedereingliederungsmaßnahme vom 12. August bis 22. September 2020 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und betont, dass eine Zahlung von Krankengeld während der stufenweisen Wiedereingliederung in der Zeit vom 12.08.2020 bis 22.09.2020 nicht erfolgt sei, weil ein erneuter Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bestanden habe.

 

Der vom Senat beigeladene Rentenversicherungsträger hat sich in der Sache nicht geäußert.

 

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Hierauf und auf die in der Gerichtsakte enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat konnte in Abwesenheit der ordnungsgemäß zum Termin der mündlichen Verhandlung geladenen Beigeladenen verhandeln und entscheiden (§ 153, § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

 

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere ist die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG (mehr als 750,00 EUR) erreicht. Zwar begehrt der Kläger, der während der stufenweisen Wiedereingliederung (12.08.2020 bis 22.09.2020) den Weg zur Arbeitsstelle mit dem Pkw zurücklegte, als Fahrkostenerstattung eine Wegstreckenentschädigung für 2 x 42 km an 30 Arbeitstagen. Dafür kommt nach § 73 Abs. 4 Satz 1 SGB IX, der auf § 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz (BRKG) mit seiner Pauschale von 0,20 EUR je gefahrenem Kilometer verweist, lediglich eine Erstattung von 504,00 EUR in Betracht. Maßgeblich ist aber der Klageantrag, mit dem – wie bereits in erster Instanz – eine Erstattung von 882,00 EUR begehrt wird. Dieser Antrag ist nicht deshalb in dieser Höhe gestellt worden, um die Berufungssumme zu überschreiten (zur Rechtsmissbräuchlichkeit einer solchen Antragstellung: Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30.06.2021 – B 4 AS 70/20 R – juris Rn. 20; Wehrhahn in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 144 Rn. 23; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 14a). Vielmehr ist die Erstattung deshalb in dieser Höhe beantragt worden, weil der Kläger irrigerweise meinte, die Kilometerpauschale von 0,35 EUR nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG ansetzen zu dürfen, zumindest aber diejenige von 0,30 EUR nach § 5 Abs. 2 BRKG, aus der sich eine Erstattung von 756,00 EUR ergäbe.

 

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 03.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.01.2021 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der von ihm begehrten Fahrkostenerstattung steht zwar nicht – auch nicht teilweise – deren späte Beantragung entgegen (1). Der Kläger hat aber weder nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (2) noch nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (3) Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Fahrten zur Arbeitsstelle während der vom 12.08.2020 bis 22.09.2020 dauernden stufenweisen Wiedereingliederung.

 

1. Der vom Kläger mit seiner Klage verfolgte Anspruch scheitert nicht – auch nicht teilweise – daran, dass er die Übernahme der Fahrkosten erst am 14.09.2020 und damit nicht vor Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung (12.08.2020), sondern kurz vor deren Ende (22.09.2020) beantragt hat. Denn die (vorherige) Antragstellung ist keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Entstehung des Fahrkostenanspruchs. Die Übernahme von Fahrkosten durch einen Sozialversicherungsträger erfolgt – wie bei anderen Leistungen – grundsätzlich nur auf Antrag (§ 19 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]). Der Antrag nach § 19 SGB IV ist allerdings nur im verfahrensrechtlichen Sinne zu verstehen (Hampel in: jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 19 Rn. 18). D.h. ohne einen Leistungsantrag des Versicherten darf über dessen Leistungsanspruch nicht entschieden werden (Öndül in: jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 16 Rn. 28). Dies bedeutet indessen nicht, dass der Leistungsantrag keinerlei materiell-rechtliche Bedeutung haben kann. Vielmehr kann er eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung und als materiell-rechtliche Voraussetzung haben. Inwieweit die für das Verfahren notwendige Antragstellung zu den materiellen Anspruchsvoraussetzungen gehört, ist im Wege der Auslegung der jeweiligen Leistungsnorm zu ermitteln (BSG, Urteil vom 28.05.2019 – B 1 A 1/18 R – juris Rn. 17). Die Auslegung des § 60 SGB V ergibt, dass der Antrag nur bei Fahrkosten im Zusammenhang mit einer ambulanten Behandlung materiell-rechtliche Bedeutung hat. Denn diese Fahrkosten werden nach der Sonderregelung in § 60 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB V nur nach vorheriger Genehmigung der Krankenkasse übernommen. Dazu hat das BSG entscheiden: Hat ein Versicherter vor Beginn einer ambulanten Behandlung bei seiner Krankenkasse die Übernahme der entstehenden Fahrkosten beantragt, darf ihm das Fehlen der vorherigen Genehmigung nicht entgegengehalten werden, soweit und solange die Krankenkasse die Übernahme der Kosten zu Unrecht ablehnt (BSG, Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 2/16 R – juris Rn. 11; Urteil vom 18.11.2014 – B 1 KR 8/13 R – juris Rn. 14). Damit ist Anspruchsvoraussetzung nicht die vorherige Genehmigung, wohl aber der rechtzeitige Genehmigungsantrag, wobei dieser nicht vor jeder einzelnen Fahrt gestellt werden muss, sondern für alle im Rahmen einer konkreten Behandlungsmaßnahme notwendigen Fahrten gestellt werden kann (BSG, Urteil vom 28.07.2008 – B 1 KR 27/07 R – juris Rn. 22). Da die Sonderregelung in § 60 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB V indes für alle anderen Fahrkostenansprüche – und damit auch für die hier allein in Betracht kommenden nach § 60 Abs. 5 SGB V und § 73 SGB IX – nicht gilt, hat bei ihnen der Antrag keine materiell-rechtliche, sondern nur verfahrensrechtliche Bedeutung.

 

2. Nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung kann der Kläger die Erstattung der Kosten für die Fahrten zur Arbeitsstelle während der stufenweisen Wiedereingliederung nicht beanspruchen.

 

a) Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit allein § 60 SGB V in Betracht. Diese Vorschrift regelt die krankenversicherungsrechtlichen Ansprüche auf Übernahme von Fahrkosten abschließend (BSG, Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 2/16 R – juris Rn. 9; Urteil vom 18.11.2014 – B 1 KR 8/13 R – juris Rn. 12; Urteil vom 28.07.2008 – B 1 KR 27/07 R – juris Rn. 14; Urteil vom 02.11.2007 – B 1 KR 4/07 R – juris Rn. 12). Dies gilt auch für Reisekosten im Zusammenhang mit Leistungen der medizinischen Rehabilitation, die nach § 60 Abs. 5 beansprucht werden können. Für diese scheidet § 11 Abs. 2 SGB V i.V.m. §§ 7, 44, 64 Abs. 1 Nr. 5, § 73 Abs. 4 SGB IX von vornherein als Anspruchsgrundlage aus (anderer Ansicht LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.05.2020 – L 6 KR 100/15 – juris Rn. 58 ff.). Denn § 11 Abs. 2 SGB V hat nur den Charakter einer Einweisungsvorschrift; der darin benannte Anspruch auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation wird erst in den §§ 27 ff. zu Leistungsansprüchen verdichtet (Becker/Kingreen in: dies., SGB V, 8. Aufl., § 11 Rn. 3). Anspruchsgrundlage für Reisekosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ist daher allein § 60 Abs. 5 SGB V. Dieser Anspruch ist weiter als derjenige nach § 60 Abs. 1 und 2 SGB V für andere Fahrten, weil sich sein Umfang nach § 73 Abs. 1 und 3 SGB IX richtet und er damit neben den Fahrkosten auch Verpflegungs- und Übernachtungskosten sowie bestimmte behinderungsbedingt (§ 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB IX) und pflegebedingt (§ 60 Abs. 5 Satz 2 und 3 SGB V) notwendige Kosten umfasst. Der Anspruchsumfang bestimmt sich allerdings nicht vollständig nach § 73 SGB IX. Da § 60 Abs. 5 Satz 1 SGB V ausschließlich auf § 73 Abs. 1 und 3 SGB IX verweist, ist die Anwendung des § 73 Abs. 4 SGB IX mit der dort vorgesehenen Fahrkostenpauschale ausgeschlossen; stattdessen werden auch im Rahmen der medizinischen Rehabilitation Fahrkosten nur in der sich aus § 60 Abs. 3 SGB V ergebenden Höhe übernommen (Nolte in: Kasseler Kommentar Sozialversicherung, § 60 SGB V Rn. 24d).

 

b) Ein Anspruch auf Übernahme von Fahrkosten nach § 60 Abs. 5 SGB V setzt voraus, dass diese Reisekosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entstanden sind. Grundsätzlich gehören Maßnahmen und Leistungen, die nicht durch medizinische Erfordernisse der Krankheitserkennung oder -behandlung veranlasst sind, nicht zum Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Als eine Ausnahme regelt das Gesetz in § 60 SGB V die Gewährung von Fahrkosten als akzessorischer Nebenleistung zur Krankenbehandlung. Der Gesetzgeber hat den Umfang dieses Anspruchs seit Einführung des SGB V deutlich eingeschränkt, weil es nicht um eine Kernleistung der gesetzlichen Krankenversicherung geht (BSG, Urteil vom 08.09.2015 – B 1 KR 27/14 R – juris Rn. 14). Als akzessorische Nebenleistung setzt die Fahrkostenübernahme das Bestehen eines Hauptleistungsanspruchs voraus und teilt dessen rechtliches Schicksal (Kingreen in: Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl., § 60 Rn. 6). Der Hauptleistungsanspruch muss dem Versicherten gegen seine Krankenkasse zustehen. § 60 Abs. 5 SGB V setzt daher voraus, dass der Versicherte eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Anspruch nimmt, die ihm von seiner Krankenkasse gewährt wird. Es genügt nicht die Inanspruchnahme von Leistungen anderer Rehabilitationsträger oder von Vergünstigungen sonstiger Stellen oder Personen, selbst wenn diese rehabilitativen Charakter haben.

 

c) Ein Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten nach § 60 Abs. 5 SGB V scheidet aus, weil die vom Kläger wahrgenommene stufenweise Wiedereingliederung keine medizinische Rehabilitationsleistung der gesetzlichen Krankenversicherung war.

 

Wann eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation im Sinne des § 60 Abs. 5 SGB V vorliegt, bestimmt sich allein nach dem Krankenversicherungsrecht und dort nach § 40 SGB V (BSG Urteil vom 22.04.2009 – B 3 KR 5/08 R – juris Rn. 27; Urteil vom 22.04.2008 – B 1 KR 22/07 R – juris Rn. 30). Maßgeblich ist dagegen nicht, was das SGB IX in den §§ 42 ff. SGB IX zu den medizinischen Rehabilitationsleistungen zählt. Denn die Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung besteht auch nach Inkrafttreten des SGB IX allein in der medizinischen Rehabilitation nach Maßgabe des SGB V (BSG, Urteil vom 26.06.2007 – B 1 KR 36/06 R – juris Rn. 17). Das SGB IX regelt zwar Gegenstände, Umfang und Ausführungen von Leistungen. Ob der einzelne Leistungsträger allerdings für alle unter dem Aspekt medizinischer Rehabilitation in Betracht kommenden Einzelleistungen aufzukommen hat, richtet sich danach, ob der Träger für die betroffene Maßnahme als Ganzes zuständig ist. Hinsichtlich der Zuständigkeit und der Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe verweist § 7 Abs. 1 SGB IX nach wie vor auf die für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetze, während die Vorschriften des SGB IX nur maßgebend sind, soweit etwa im SGB V nichts Abweichendes vorgesehen ist. Anders als § 15 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verweist das SGB V für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht pauschal auf die §§ 42 ff. SGB IX. Vielmehr sind die Krankenkassen nach den Vorschriften des SGB V zur Erbringung medizinischer Rehabilitationsleistungen nur unter den dort genannten Voraussetzungen verpflichtet (BSG, Urteil vom 07.05.2013 – B 1 KR 53/12 R – juris Rn. 23; Urteil vom 26.06.2007 – B 1 KR 36/06 R – juris Rn. 18). Hinzu kommt, dass der Katalog der Krankenbehandlungsmaßnahmen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V weitgehend mit dem Katalog der medizinischen Rehabilitationsleistungen nach § 42 Abs. 2 SGB IX deckungsgleich ist. Obwohl das Ziel der (Wieder-)Herstellung der Gesundheit (vgl. § 1 Satz 1 SGB V) den Zielen von Teilhabeleistungen gleicht (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), haben aber nicht alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung rehabilitativen Charakter. Vielmehr dient der Großteil der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung der kurativen Behandlung von Krankheiten und unterfällt daher nicht dem SGB IX (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R – juris Rn. 12 ff.). Der deshalb im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung engere Begriff der Leistung zur medizinischen Rehabilitation bestimmt sich nach § 40 SGB V. Hierzu gehören auch Maßnahmen der erweiterten ambulanten Physiotherapie (BSG, Urteil 17.02.2010 – B 1 KR 23/09 R – juris Rn. 23 ff.) sowie der Belastungserprobung und Arbeitstherapie im Sinne des § 42 SGB V (BSG, Urteil vom 13.09.2011 – B 1 KR 25/10 R – juris Rn. 28). Nicht davon erfasst sind dagegen ergänzende Leistungen zur Rehabilitation im Sinne des § 43 SGB V, bei denen daher auch kein Anspruch auf Übernahme der Fahrkosten nach § 60 Abs. 5 SGB V besteht (BSG, Urteil vom 22.04.2008 – B 1 KR 22/07 R – juris Rn. 30; Urteil vom 22.04.2009 – B 3 KR 5/08 R – juris Rn. 27).

 

Im SGB V ist die stufenweise Wiedereingliederung nicht als Leistung zur medizinischen Rehabilitation ausgestaltet. Eine Regelung hat die stufenweise Wiedereingliederung nicht im Leistungsrecht, sondern im Vertragsarztrecht gefunden, nämlich in § 74 SGB V. Dort sind nur besondere Prüfungs- und Feststellungspflichten des Vertragsarztes zu Art und Umfang trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit möglicher Erwerbstätigkeiten geregelt, deren Verrichtung prognostisch die Möglichkeiten einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben verbessert. Die auf dieser Feststellung beruhenden Rechtsverhältnisse gestaltet § 74 SGB V nicht aus (Berchtold in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 2. Aufl., § 74 SGB V Rn. 2). Vor allem räumt § 74 SGB V dem Versicherten keinen Anspruch auf eine von der Krankenkasse zu erbringende (Sach-)Leistung "stufenweise Wiedereingliederung" ein. Die zentralen Akteure der stufenweisen Wiedereingliederung sind vielmehr der versicherte Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber. Konstitutiv für das Wiedereingliederungsverhältnis ist eine Vereinbarung zwischen diesen beiden über die stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit (Sichert in: Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl., § 74 Rn. 17 f.). Anders als das Arbeitsverhältnis ist das Wiedereingliederungsverhältnis nicht durch den Austausch von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet, sondern durch den Rehabilitationszweck (zu diesem Nebe, SGb 2015, 125, 126). Die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und nicht auf die Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung gerichtet. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind, weil die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers andauert, während des Wiedereingliederungsverhältnisses weiterhin von den Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses befreit (Oppermann in: Hauck/Noftz, § 44 SGB IX Rn. 27). Da dies auch den Vergütungsanspruch des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers betrifft, besteht die Leistung der Krankenkasse bei der stufenweisen Wiedereingliederung vor allem in dessen sozialer Absicherung durch Gewährung von Krankengeld (Wendtland in: BeckOK SozR, § 74 SGB V Rn. 2; Jabben in: BeckOK SozR, § 44 SGB IX Rn. 8). Die stufenweise Wiedereingliederung ist damit nicht nur formal aufgrund ihres Regelungsortes im SGB V keine medizinische Rehabilitationsleistung der Krankenkasse, sondern auch materiell, weil sie von der Krankenkasse nicht selbst erbracht, sondern nur unterstützt wird. Soweit dem entgegen gehalten wird, im Zuge des Leitbildwechsels von einem einrichtungszentrierten zu einem personenzentrierten Leistungsrechts könne es auf die Verankerung der stufenweisen Wiedereingliederung in den betrieblichen Beziehungen nicht entscheidend ankommen (Nebe, SGb 2015, 125, 133), wird übersehen, dass das Recht des Sozialgesetzbuchs unter Sozialleistungen nach wie vor allein Zuwendungen öffentlicher Träger versteht, nicht dagegen sozial motivierte Leistungen Privater.

 

Die stufenweise Wiedereingliederung ist nicht mit der Belastungserprobung und Arbeitstherapie (§ 42 SGB V) vergleichbar, die eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation ist (BSG, Urteil vom 13.09.2011 – B 1 KR 25/10 R – juris Rn. 28). Denn während die Belastungserprobung dazu dient, die Belastungs- und Leistungsfähigkeit des Versicherten festzustellen, setzt die stufenweise Wiedereingliederung voraus, dass eine ausreichende Belastbarkeit bereits festgestellt worden ist (Nellissen in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 44 Rn. 26). Und im Gegensatz zur stufenweisen Wiedereingliederung verfolgt die Arbeitstherapie in erster Linie einen medizinischen Zweck; sie nutzt den Erwerb und die Verbesserung von Grundarbeitsfähigkeiten, um Krankheiten in einem umfassenden Sinne zu behandeln (BSG, Urteil vom 13.09.2011 – B 1 KR 25/10 R – juris Rn. 21), weshalb sie in der Regel in stationären medizinischen Rehabilitationseinrichtungen durchgeführt wird (Waßer in: jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 42 Rn. 15).

 

Richtigerweise gibt nicht nur § 74 SGB V, sondern auch § 44 SGB IX keinen Anhalt dafür, dass die stufenweise Wiedereingliederung für sich allein eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation ist (in diese Richtung auch Nellissen in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 44 Rn. 8 und 19; anders dagegen Luik in: Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Aufl., § 44 Rn. 7). Das SGB IX hat die stufenweise Wiedereingliederung nicht in den – nicht abschließenden – Leistungskatalog des § 42 Abs. 2 SGB IX aufgenommen, sondern ihr in § 44 SGB IX eine eigene Vorschrift gewidmet. Danach sind alle Träger einer medizinischen Rehabilitation verpflichtet, die medizinischen und die sie ergänzenden Leistungen so zu erbringen, dass sie eine in Betracht kommende stufenweise Wiedereingliederung arbeitsunfähiger Leistungsberechtigter unterstützen. Die stufenweise Wiedereingliederung steht nach § 44 SGB IX immer in einem Zusammenhang mit einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation im Sinne des § 42 SGB IX. Dies folgt unmittelbar aus dem Wortlaut des § 44 SGB IX. Mit der Formulierung, die medizinischen und die sie ergänzenden Leistungen sollen mit der Zielsetzung einer Unterstützung der stufenweisen Wiedereingliederung erbracht werden, stellt der Gesetzgeber klar, dass die stufenweise Wiedereingliederung Teil einer medizinischen Rehabilitation nur ist, wenn sie im Kontext mit dieser erfolgt; eine isolierte stufenweise Wiedereingliederung ist dagegen nicht Bestandteil der medizinischen Rehabilitation (Nellissen in: jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 44 Rn. 19).

 

Zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation kann die stufenweise Wiedereingliederung nur dann zählen, wenn sie mit einer eigentlichen medizinischen Rehabilitationsleistung in einem so engen Zusammenhang steht, dass sie als ein auf das Rehabilitationsziel zu beziehender Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-)Maßnahme gewertet werden kann (BSG, Urteil vom 29.01.2008 – B 5a/5 R 26/07 R – juris Rn. 27 f.; Urteil vom 05.02.2009 – B 13 R 27/08 R – juris Rn. 20 f.; Urteil vom 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R – juris Rn. 34). Dies hat das BSG zwar zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Kranken- und Rentenversicherungsträgern entschieden, beansprucht aber auch für die Leistungsansprüche der Versicherten Geltung. Danach ist – der gesetzlichen Wertung in § 44 SGB IX entsprechend – die stufenweise Wiedereingliederung leistungsrechtlich nicht für sich allein Bestandteil der medizinischen Rehabilitation, sondern nur, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation erfolgt. Soweit das BSG in der stufenweisen Wiedereingliederung eine "Hauptleistung" erblickt hat (Urteil vom 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R – juris Rn. 38), folgt daraus nichts anderes. Denn damit hat das BSG nur begründet, warum die stufenweise Wiedereingliederung von Nebenleistungen wie dem Übergangsgeld (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) begleitet werden kann. Nicht aufgegeben, sondern vielmehr daran festgehalten hat das BSG, dass sich die stufenweise Wiedereingliederung als Bestanteil einer einheitlichen (Gesamt-)Maßnahme darstellen muss (Urteil vom 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R – juris Rn. 34).

 

Werden diese für die gesetzliche Rentenversicherung entwickelten Maßstäbe auf die gesetzliche Krankenversicherung übertragen, so kann im vorliegenden Fall die stufenweise Wiedereingliederung gleichwohl nicht zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gezählt werden. Denn die vom 12.08.2020 bis 22.09.2020 durchgeführte stufenweise Wiedereingliederung fand nicht im Anschluss an eine von der Beklagten nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gewährte Leistung zur medizinischen Rehabilitation statt. Dies auch deshalb, weil eine Gewährung von ambulanten oder stationären medizinischen Rehabilitationsleistungen nach § 40 Abs. 1 und 2 SGB V durch die Beklagte wegen deren nachrangiger Zuständigkeit (§ 40 Abs. 4 SGB V) beim Kläger ohnehin nicht in Betracht gekommen ist.

 

3. Auch nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Fahrten zur Arbeitsstelle während der stufenweisen Wiedereingliederung. Denn eine stufenweise Wiedereingliederung (§ 44 SGB IX) kann nur dann Leistungsansprüche nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI (Übergangsgeld) oder nach § 28 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 73 SGB IX (Fahrkosten) auslösen, wenn diese im Anschluss an eine nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung gewährte medizinische Rehabilitationsmaßnahme erforderlich ist, um den Erfolg dieser Maßnahme zu festigen oder erst herbeizuführen, und sich damit als Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-)Maßnahme darstellt (BSG, Urteil vom 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R – juris Rn. 34; Urteil vom 05.02.2009 – B 13 R 27/08 R – juris Rn. 20 f.Urteil vom 29.01.2008 – B 5a/5 R 26/07 R – juris Rn. 27 f.). Weil die letzte stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme, die dem Kläger vom Rentenversicherungsträger gewährt worden war, vom 29.08.2018 bis 26.09.2018 stattfand, mithin zwei Jahre vor der stufenweisen Wiedereingliederung (12.08.2020 bis 22.09.2020) und ein Jahr vor der dieser vorausgehenden Arbeitsunfähigkeit (ab 12.08.2019), fehlt im vorliegenden Fall bereits der notwendige unmittelbare Zusammenhang der stufenweisen Wiedereingliederung mit einer vorhergehenden medizinischen Rehabilitationsleistung auf der Grundlage der Vorschriften des SGB VI. Insoweit kommt daher weder eine Verurteilung der Beklagten auf der Grundlage des § 14 SGB IX noch der Beigeladenen auf der Grundlage des § 75 Abs. 5 SGG in Betracht.

 

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

5. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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