L 2 AS 12/23 B ER

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 22 AS 1005/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 12/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Ein Darlehen wegen Mietschulden wegen einer Wohnung setzt zumindest dem Grunde nach Ansprüche auf Leistungen für diese Unterkunft voraus.
2. Ein Darlehen soll (§ 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II) nur gewährt werden, wenn andernfalls die drohende Wohnungslosigkeit nicht anders abgewendet werden kann. Sofern eine angemessene neue Wohnung gefunden wurde, können Leistungsberechtigte jedenfalls dann auf diese Alternative verwiesen werden, wenn die Mietschulden auf ihr Verhalten zurückgehen.
3. Bei der Ausübung auch des gebundenen Ermessens (§ 22 Abs 8 Satz 2 SGB II) ist abzuwägen, ob das Darlehen dazu beitragen kann, die Wohnung dauerhaft zu sichern, was ua bei stichhaltigen Anhaltspunkten für missbräuchliches Verhalten, fehlendem Selbsthilfewillen und fehlender Vertragstreue nicht gewährleistet sein kann.

 

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden nur: Antragsteller) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung, dass der Antragsgegner ihm zur Tilgung von Schulden aus einem bereits beendeten Wohnraummietverhältnis ein Darlehen i.H.v. 5800,69 Euro zu gewähren hat.

 

Der am  1990 geborene Antragsteller ist unverheiratet und lebte seit dem April 2012 allein in der Wohnung M-Straße  in L. Er bezog u.a. bereits in den Jahren 2015 und 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Er ist in geringfügigem Umfang (sogenannter Minijob) nichtselbstständig in einer Gaststätte beschäftigt. Seit Oktober 2022 erhält er hierfür einen Brutto- und Nettomonatslohn i.H.v. 144,40 Euro monatlich. Der Antragsteller hat kein eigenes Girokonto. Zahlungen erhält er auf das Girokonto seiner Mutter.

 

Die Miete beglich der Antragsteller seit Dezember 2014 bis Dezember 2015 entweder gar nicht oder nur teilweise, indem der Antragsgegner aus den ihm bewilligten Leistungen direkt an die Vermieterin zahlte. Seit dem Januar 2016 liefen ohne Zahlungen durch den Antragsteller bzw. den Antragsgegner weitere Mietschulden auf. Der Antragsgegner gewährte ihm deswegen im März 2016 ein Darlehen i.H.v. 2436,12 Euro und zahlte die Summe an die Vermieterin aus (Bescheid vom 24. März 2016). Ab dem Monat April 2016 zahlte der Antragsgegner die gesamte fällige Miete direkt an die Vermieterin, soweit dem Antragsteller - was nicht durchgängig der Fall war - Leistungen bewilligt worden waren. Die Gesamtmiete betrug seit dem 1. April 2019 monatlich 388,15 Euro.

 

Die Vermieterin hatte das Mietverhältnis bereits im März 2021 wegen ausstehenden Mietzahlungen für mehr als zwei Monate (keine Mietzahlungen seit August 2020 bis März 2021) fristlos gekündigt. In der Folge zahlte der Antragsgegner im April 2021 drei Monatsmieten an die Vermieterin. Seit dem August 2021 blieb der Antragsteller die Zahlung der Miete erneut in drei aufeinanderfolgenden Monaten schuldig. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2021 kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis mit dem Antragsteller wegen der bis zum 30. September 2021 aufgelaufenen Mietschulden i.H.v. insgesamt 2040,99 Euro erneut fristlos.

 

Im November 2021 erhob die Vermieterin gegen den Antragsteller Räumungsklage wegen der offenen Mietrückstände von nunmehr 2817,29 Euro und auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung bis zur Herausgabe. Hierauf erging am 21. Dezember 2021 ein Versäumnisurteil gegen den Antragsteller auf Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie auf Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung i.H.v. 388,15 Euro seit dem 1. November 2021. Der Antragsteller folgte dem nicht, sondern nutzte die Wohnung weiter.

 

Der Antragsteller bezog seit August 2021 keine Leistungen vom Antragsgegner und beantragte erst im November 2021 die Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dabei legte er die Kündigung des Mietverhältnisses offen. Zugleich beantragte er ein Darlehen wegen der Mietschulden. Jene seien durch Sanktionen zustande gekommen bzw. ihm sei kein Antrag zugeschickt worden. Auch würden dem Antragsgegner angeblich Unterlagen fehlen, obwohl er diese per Einschreiben eingereicht habe. Der Antragsgegner bewilligte ihm ab November 2021 bis April 2022 Leistungen, von denen er unter anderem die volle Miete direkt an die Vermieterin zahlte.

 

Der Antragsgegner forderte den Antragsteller mehrfach erfolglos, zuletzt mit Schreiben vom 25. Januar 2022 zum Nachweis der Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung, der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2020, der letzten Stromabrechnung sowie der aktuell bestehenden Mietrückstände auf. Des Weiteren lud er ihn mit Schreiben vom 9. Februar 2022 zu einem persönlichen Gespräch ein, wozu er nicht erschien. Zudem kündigte der Antragsgegner schriftlich einen Hausbesuch für den 16. Februar 2022 an. Der Antragsteller wurde nicht angetroffen. Telefonisch war er nicht erreichbar.

 

Daraufhin versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 21. Februar 2022 die Gewährung eines Darlehens aufgrund der Mietrückstände. Der Antragsteller habe entgegen der Aufforderungen die Nachweise zur Betriebskostenabrechnung bzw. zu bestehenden Mietrückständen nicht eingereicht. Die Anspruchsvoraussetzungen könnten daher nicht geprüft werden. Des Weiteren entzog der Antragsgegner mit Bescheid vom 21. Februar 2022 die Leistungen für die Monate März und April 2022 ebenfalls mit Hinweis auf die nicht eingereichten Unterlagen. Am 28. Februar 2022 erkundigte sich der Antragsteller wegen der ausbleibenden Zahlungen des Antragsgegners. Ihm wurde mitgeteilt, dass er für die Wiedergewährung keinen neuen Antrag stellen, sondern nur die fehlenden Unterlagen schnellstmöglich einreichen müsse. Diese gingen nicht ein und der Antragsteller stellte auch keinen Folgeantrag.

 

Die Vermieterin forderte den Antragsteller im April 2022 auf, die Wohnung zu übergeben. Derzeit bestünden offene Forderungen i.H.v. 3145,44 Euro. Der Antragsgegner zahle weder die Miete noch die für die vergangenen Schulden vereinbarte Rate, sodass der Rückstand weiter steige. Nachdem der Antragsteller dem nicht nachkam, sollte die Wohnung des Antragstellers am 26. Juli 2022 zwangsgeräumt werden.

 

Am 25. Juli 2022 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner nochmals die Gewährung eines Darlehens wegen Mietschulden in Höhe von nunmehr „ca. 8000 Euro“. Die Mietschulden seien aufgelaufen, weil er sich nicht um seinen „Antrag“ (gemeint wohl: Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts) gekümmert habe. Er wohne noch immer in der Wohnung. Zeitgleich stellte er einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Vermieterin sah zunächst von der Zwangsräumung ab. Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller ab dem Monat Juli bis zum Dezember 2022 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Hiervon zahlte er die Nutzungsentschädigung direkt an die Vermieterin. Wegen der drohenden Zwangsräumung gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller ab dem Monat September 2022 keine Leistungen für die Unterkunft und Heizung und stellte die Direktzahlung der Nutzungsentschädigung an die Vermieterin ein (ändernder Bescheid vom 29. August 2022).

 

Im Oktober 2022 bestanden Miet- bzw. Nutzungsentschädigungsrückstände in Höhe von 5800,69 Euro.

 

Der Antragsgegner lehnte die Gewährung eines Darlehens zur Begleichung der Mietschulden ab (Bescheid vom 19. Oktober 2022). Die Kosten der Unterkunft für die derzeit genutzte Wohnung seien hinsichtlich der Heizkosten unangemessen hoch. Dementsprechend sei die Wohnung als nicht erhaltenswert einzustufen. Bereits mit Bescheid vom 24. März 2016 sei ein Darlehen gewährt worden. Der Antragsteller sei seiner Verpflichtung zur Erfüllung der Pflichten aus dem Mietvertrag nicht nachgekommen bzw. habe die ihm gewährten Leistungen nicht hierfür genutzt.

 

Am 4. November 2022 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen die Ablehnung eines Darlehens zur Ablösung der Mietschulden. Er halte sich nach dem Austausch der Schlösser (seines Wissens nach entweder am 5. oder 12. Oktober 2022 erfolgt) nicht mehr in der Wohnung auf. Die Wohnung sei noch nicht geräumt; dies stehe aber an. Er legte ein an den Antragsgegner adressiertes Schreiben der Vermieterin vom 7. November 2022 vor. Darin erklärte sie, bei Übernahme der offenstehenden Mietforderungen i.H.v. 5800,69 Euro sowie der Zahlung der monatlichen Miete durch Abtretung direkt an sie bereit zu sein, das Mietverhältnis mit dem Antragsteller zu den bisherigen Konditionen fortzusetzen. Bei Eingang des offenen Betrages werde die Wohnung sofort an den Antragsteller übergeben. Der Antragsteller gab an, er sei er in der Gartenlaube einer Kollegin untergekommen. Bei seiner Mutter könne er aus Platzgründen nicht aufgenommen werden. Das ihm unterbreitete und zugleich vorgelegte Wohnungsangebot für eine 52,30 qm große Wohnung zu einer Warmmiete von 510 Euro sei nur wegen Bekanntschaft mit dem Vermittler zustande gekommen, der auf eine positive Bonitätsauskunft verzichtet habe. Er könne die Gartenlaube für weitere Tage nutzen. Mit Bekleidung werde er durch seine Mutter versorgt und trage ansonsten Arbeitskleidung.

 

Am 10. November 2022 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Halle (SG) eine einstweilige Anordnung beantragt, den Antragsgegner zur Erhaltung seines vormaligen Wohnraumes in der M-Straße  in L. zu einem Darlehen i.H.v. 5800,69 Euro zur Begleichung seiner Mietschulden zu verpflichten. Sein ehemaliger Vermieter stimme einer Ratenzahlung nicht zu. Nach einem Austausch der Schlösser habe er die Wohnung seit dem 5. Oktober 2022 nicht mehr nutzen können. Gegenwärtig habe er Zuflucht in einer alten Gartenlaube gefunden und schlafe dort. Es bestehe keine Wasserversorgung bzw. Toilette. Er habe sich auf Anraten des Antragsgegners bei diversen Vermietern beworben. Aufgrund der offenen Mietschulden habe er Absagen erhalten. Er sei sich seiner Fehler bewusst. Ihm sei es aber aus eigenen Kräften nicht möglich, seinen Wohnraum zurück zu erlangen. Gegenwärtig werde er von den Gemeinnützigen P  GmbH (im Folgenden: P gGmbH) betreut. Von dort sei aber noch keine Lösung herbeigeführt worden. Er sehe ein, dass sein Verhalten nachlässig gewesen sei. Er versichere, dass sich dies zukünftig nicht wiederholen werde.

 

Der Antragsgegner hat erwidert, dass die Übernahme der Schulden nicht gerechtfertigt sei. Eine Begleichung der Mietrückstände könne nicht mehr zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 4. Oktober 2021 führen. Am 18. November 2022 habe bei den P gGmbH ein Gespräch mit dem Antragsteller stattgefunden. Hierbei seien unter anderem die Suche und die Anmietung angemessenen Wohnraums sowie die Beantragung eines gerichtlichen Betreuers vereinbart worden. Die P gGmbH hätte zwei Wohnungsangebote für den Antragsteller in Aussicht gehabt. Einmal eine Wohnung in  L. und eine in M., N-Straße. Letztere sei gemäß dem Inhalt einer Email der P gGmbH vom 29. November 2022 an diesem Tag mit dem Antragsteller besichtigt worden. Der Antragsteller sei sich jedoch nicht sicher gewesen, ob er die Wohnung nehmen möchte, und habe sich bis zum Folgetag Bedenkzeit auserbeten. Sein Bevollmächtigter habe beim SG Klage wegen eines Darlehens erhoben. Er sei fest davon überzeugt, dass dieses gewährt werden würde und er daher keine andere Wohnung brauche. Er werde zunächst mit seinem Bevollmächtigten sprechen. Auf den Hinweis, dass die Wohnung schnell vergeben sein würde, habe er gemeint, dies sei ihm egal. Er finde schon eine andere Wohnung. Vor Weihnachten wolle er auch nicht umziehen, dies sei ihm zu stressig. Er werde sich am 30. November 2022 melden und seine Entscheidung mitteilen. Eine Rückmeldung des Antragstellers sei nicht erfolgt. Die P gGmbH habe daher auf die Bitte seiner Mitarbeiterin mit dem Antragsteller am 30. November 2022 (Mittwoch) telefoniert. Der Antragsteller sei nach der dann erfolgten Auskunft der P gGmbH zum Zeitpunkt des Gesprächs bei seinem zukünftigen Arbeitgeber gewesen, an den er das Telefon weitergereicht habe und der für ihn gesprochen habe. Man brauche noch bis Freitag Bedenkzeit. Sie warteten auf eine Entscheidung des Gerichts und hofften sehr, das Darlehen doch noch zu bekommen. Der Arbeitgeber habe erklärt, den Antragsteller auch einstellen zu wollen, so dass jener höhere Raten beim Antragsgegner zahlen könne. Der Antragsteller sei nochmals darauf hingewiesen worden, dass die Wohnung dann gegebenenfalls nicht mehr zur Verfügung stehen könnte. Dies sei dem Antragsteller egal gewesen. Weiter führte der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller zu der Wohnung in L. bereits zuvor mitgeteilt habe, dass er diese nicht nehme. Der Weg sei ihm zu weit. Das Verhalten des Antragstellers lasse nur den Schluss zu, dass es ihm im hiesigen Verfahren allein um die Übernahme der Mietschulden gehe. Augenscheinlich habe der Antragsteller gar kein Interesse an einer neuen Wohnung. Es entstehe der Eindruck, dass es ihm lediglich um die Tilgung der Verbindlichkeiten gehe. Schließlich sehe er offensichtlich kein Problem darin, selbst eine Wohnung zu finden.

 

Auf Nachfrage des SG hat das Betreuungsgericht mitgeteilt, dass ein Betreuungsverfahren ohne die Bestellung eines Betreuers am 10. Juni 2021 aufgrund fehlender Mitwirkung des Antragstellers eingestellt worden sei.

 

Auf seinen Fortzahlungsantrag vom 30. November 2022 hat der Antragsgegner dem Antragsteller für den Zeitraum Januar bis Juni 2023 unter Anrechnung der um einen Freibetrag bereinigten geringfügigen Einnahmen aus der nichtselbstständigen Beschäftigung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Regelbedarf, d. h. ohne Unterkunftskosten gewährt (Bescheid vom 19. Dezember 2022).

 

Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (Beschluss vom 29. Dezember 2022). Es bestünden Anhaltspunkte für missbräuchliches Verhalten des Antragstellers. Er habe die Hilfe der P gGmbH nicht angenommen, sondern sich stattdessen darauf verlassen, dass ihm das Gericht zu einem Darlehen verhelfen werde. Der Antragsteller habe die Möglichkeit gehabt, seine Wohnungslosigkeit durch Annahme des Mietangebotes zu beenden. Es sei auch nicht zu erkennen, ob der Antragsteller für die Energieversorgung zahle, und daher sei unklar, ob er in eine funktionsfähige Wohnung zurückziehen könnte. Gründe für eine Unzumutbarkeit des Einzugs in die durch die P gGmbH vermittelte Wohnung habe er trotz Aufforderung nicht vorgebracht.

 

Gegen den ihm am 31. Dezember 2022 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 10. Januar 2023 Beschwerde eingelegt. Er habe noch immer Zuflucht in der Gartenlaube gefunden, die lediglich mit einem kleinen Radiator beheizt werden könne. Seine vormalige Wohnung sei nach wie vor möbliert. Er habe sich auch bei anderen Vermietern um Wohnraum gekümmert. Lediglich einer habe zugesagt. Vom Antragsgegner sei diese Wohnung hingegen als unangemessen teuer eingeschätzt worden. Bezüglich der durch die P gGmbH vermittelten Wohnung könnte eine Absprache zur „Vorteilsannahme“ mit dem Antragsgegner bestanden haben. Denn auf ihn sei in diesem Zusammenhang erheblicher Druck aufgebaut worden. Im Hinblick auf das hiesige Verfahren und wegen des nicht nachvollziehbaren Druckes habe er um Geduld gebeten. Er habe sich mit seinem ehemaligen Vermieter verständigt, dass persönliche Dinge aus der Wohnung geholt werden könnten. Für die Wohnung in L. spreche zudem, dass er seinen Lebensmittelpunkt dort habe und mit seiner Mutter und Geschwistern erste Ansprechpartner habe. Auch könne er seine zukünftige Beschäftigung ohne öffentliche Verkehrsmittel erreichen.

 

Der Antragsgegner begehrt die Zurückweisung der Beschwerde. Festzuhalten bleibe, dass der Antragsteller eine anmietbare Wohnung in M. mit der Begründung nicht angenommen habe, dass er eine andere Wohnung finden könne und ein Umzug vor Weihnachten zu stressig sei. Eine weitere freie Wohnung in L wäre ihm zu weit gewesen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen. Diese sind bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt worden.

 

II.

 

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

 

1. Gegenstand des Verfahrens ist die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG vom 29. Dezember 2022, mit dem sein Antrag, den Antragsgegner zur Erhaltung seines vormaligen Wohnraumes in der M-Straße in L. zu einem Darlehen i.H.v. 5800,69 Euro zur Begleichung seiner Mietschulden zu verpflichten, abgelehnt worden ist.

 

2. Die Beschwerde ist danach statthaft und nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. In der Hauptsache bedürfte die Berufung keiner Zulassung, weil die vom SG abgelehnten Ansprüche des Antragstellers den für eine zulassungsfreie Berufung notwendigen Wert des Beschwerdegegenstands von mehr als 750,00 Euro erreichen (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig.

 

3. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht begründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Recht nicht vorläufig zur Gewährung eines Darlehens verpflichtet. Wie es zutreffend entschieden hat, hat der Antragsteller keinen gebundenen Anspruch auf ein Darlehen zur Ablösung von Mietschulden, sondern kann der Antragsgegner ein solches gemäß den weiteren Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II gewähren, d.h. die Gewährung liegt grundsätzlich im Ermessen des Antragsgegners. Es liegen keine Umstände vor, wonach das Ermessen des Antragsgegners in der Weise eingeschränkt ist, dass nur die Gewährung eines Darlehens als rechtmäßige Ausübung des Ermessens in Betracht käme.

 

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsanspruchs (also eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) als auch eines Anordnungsgrunds (also der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile). Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 41).

 

Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich – etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte –, kann eine Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung ergehen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 14. März 2019 – 1 BvR 169/19 – juris Rn. 15 m.w.N.).

 

Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht worden.

 

Leistungen nach dem SGB II zum Lebensunterhalt werden grundsätzlich für den aktuellen bzw. laufenden Bedarf, d.h. grundsätzlich nicht wegen Schulden erbracht. Nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II können hingegen, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden. Das setzt aber tatbestandlich voraus, dass dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II „sollen“ Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II). Eine Entscheidung über ein Darlehen nach Satz 1 steht demgemäß im pflichtgemäßen Ermessen des SGB II-Leistungsträgers. Sofern die weiteren Voraussetzungen des Satzes 2 vorliegen, verdichtet sich das Ermessen zu einem sog. gebundenen Ermessen. Dann verbleibt dem Leistungsträger im Regelfall - abgesehen von besonders gelagerten Ausnahmen - kein Ermessensspielraum mehr. Vom Regelungsgehalt der Vorschrift ist nicht nur die Übernahme von Mietschulden, sondern darüber hinaus auch eine Übernahme von sonstigen Schulden - insbesondere von Energiekostenrückständen - erfasst. Regelmäßig setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung insoweit wegen der nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen voraus, dass der Tatbestand von § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II erfüllt ist oder aus anderen Gründen ausnahmsweise eine sog. Ermessensreduzierung auf Null zugunsten des Antragstellers vorliegt.

 

Das ist nicht der Fall. Denn dem Antragsteller werden nicht, wie nach dem Wortlaut des § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II zunächst erforderlich, (laufend) Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht. Die letzte Bewilligung berücksichtigte keine Bedarfe für Unterkunft und Heizung und umfasste dementsprechend auch keine entsprechenden Leistungen. Auf dieses Erfordernis kann auch nicht verzichtet werden, weil ansonsten der Sinn der Vorschrift, eine Möglichkeit zur Sicherung der Unterkunft (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 14), d.h. mit anderen Worten zur Aufrechterhaltung eines bestehenden Nutzungsverhältnisses zu bieten, verfehlt würde. Nicht umfasst ist danach die Übernahme von Schulden aus dem Mietverhältnis für eine schon verlassene Wohnung (vgl. Lauterbach in: BeckOGK (Gagel), Stand 1. Dezember 2021, § 22 SGB II, Rn. 135). Zudem wären nach den hier vorliegenden Umständen auch keine laufenden Leistungen für die Bedarfe für die Unterkunft und Heizung der zu sichernden Wohnnutzung zu gewähren gewesen bzw. standen wenigstens dem Grunde nach zu (vgl. hierzu Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 2009 – L 26 B 2388/08 AS ER – juris Rn. 22; ähnlich Geiger in: Münder, SGB II, 7. Auflage 2021, § 22 Rn. 253), weil Kosten nicht ersichtlich sind. Für die bislang genutzte Wohnung fällt nach der Kündigung keine Miete und nach der Aussperrung durch die Vermieterin auch keine Nutzungsentschädigung an.

 

Dementsprechend kann es nicht darauf ankommen, dass die Vermieterin bereit ist, die Wohnung dem Antragsteller wieder zu überlassen, weil das Nutzungsverhältnis bereits beendet ist, d.h. mit dem Darlehen nichts gesichert, sondern nur ein neues Mietverhältnis begründet werden könnte.

 

Weil schon die Voraussetzungen für die Gewährung eines Darlehens fehlten, war über den Antrag des Antragstellers demnach ohne die ansonsten notwendige Ermessensausübung des Antragsgegners zu entscheiden.

 

Selbst wenn man annähme, dass aufgrund der Besonderheiten des hiesigen Falles die fehlende tatsächliche Erbringung von Leistungen für die Unterkunft und Heizung unschädlich wäre, erscheint eine - nochmalige - Gewährung eines Darlehens zum Ausgleich der Mietschulden dennoch nicht im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II wegen einer drohenden (eigentlich bereits eingetretenen) Wohnungslosigkeit gerechtfertigt und notwendig.

 

Auch wenn eine Wohnungslosigkeit in Bezug auf die Wohnung in der M-Straße in L. noch drohen würde, kann von einem Leistungsberechtigten regelmäßig gefordert werden, selbst eine an sich kostenangemessene Wohnung zu verlassen und nach einem Umzug eine neue Wohnung zu beziehen, wenn er die Schuldenlage selbst verursacht hat und eine den Angemessenheitskriterien entsprechende Wohnung für den Leistungsberechtigten konkret anmietbar ist (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R – juris Rn. 29).

 

So liegt es hier. Die Mietschulden sind – wie der Antragsteller letztlich auch eingesteht – wegen seines Verhaltens entstanden. Er hat sich nicht hinreichend um die durchgehende Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gekümmert, indem er die auch ohne Zusendung erhältlichen Formulare auf Weiterzahlung nicht eingereicht oder schlicht beim Antragsgegner nicht vorgesprochen hat. Der Antragsgegner hat das ihm Mögliche zur Vermeidung weiterer Schulden nach Gewährung eines ersten Darlehens unternommen, indem er die Direktzahlung der Miete vorgenommen hat.

 

Im Übrigen war ein Darlehen auch nicht notwendig, weil der Antragsteller seine Wohnungslosigkeit hätte anders abwenden können. Er hat eine konkret in Aussicht stehende und angemessene Wohnung nicht angemietet und will – dies schließt der Senat aus den wiedergegebenen und auch nicht bestrittenen Äußerungen des Antragstellers – stattdessen vordringlich das Darlehen erhalten. Eine im gebundenen Ermessen stehende Gewährung eines Darlehens setzt aber voraus, dass es notwendig für die Vermeidung von Wohnungslosigkeit ist. Das Darlehen ist gegenüber der Anmietung einer alternativen Wohnung nachrangig und soll nur gewährt werden, wenn andernfalls die Wohnungslosigkeit nicht abgewendet werden kann.

 

Schließlich dürfte ungeachtet einer objektiven Geeignetheit der Schuldenübernahme zur Sicherung der Unterkunft und der Notwendigkeit eines Darlehens in eine – bislang nicht erkennbar erfolgte, aber ggf. im anhängigen Widerspruchsverfahren noch nachholbare – Ausübung des gebundenen Ermessens einzustellen sein, dass das bisherige Verhalten des Antragstellers nicht erwarten lässt, dass die bisherige Wohnung auf Dauer gesichert werden könnte. Eine gebundene Entscheidung nach § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II bedeutet nicht, dass nur die Gewährung des Darlehens ermessenfehlerfrei sein kann. Zu bedenken ist jedenfalls, ob ein Darlehen nicht nur kurzfristig, sondern auch auf längere Sicht zur Sicherung der Unterkunft betragen kann und wird. Das könnte nicht der Fall sein, wenn das Darlehen missbräuchlich in Anspruch genommen würde, weil die Miete bewusst im Vertrauen auf eine Darlehenslösung nicht gezahlt wird (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Juni 2010 – L 13 AS 147/10 B ER - juris) und daher kein Vertrauen auf vertragsgemäßes Verhalten besteht, falls es trotz entsprechender Hilfeangebote und Unterstützung wiederholt zu Rückständen gekommen und dementsprechend ebenfalls kein Selbsthilfewillen erkennbar ist oder wenn die Prognose zur künftigen Beachtung aller Mieterpflichten als Voraussetzung für den längerfristigen Fortbestand des Mietverhältnisses über die Wohnung negativ ausfällt (vgl. Geiger in: Münder, SGB II, 7. Auflage 2021, § 22 Rn. 263 m.w.N.). Der Antragsteller beteuert zwar, seine Fehler einzusehen, und versichert, dass sich dies nicht wiederholen werde. Dennoch ist nicht erkennbar, wie er allein und ohne die Wahrnehmung der ihm unterbreiteten Hilfsangebote – wie etwa die der P gGmbH zu einer rechtlichen Betreuung – in Zukunft selbst die regelmäßige Antragstellung und Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sicherstellen will. Selbst die für seinen unmittelbaren Lebensunterhalt fehlenden Leistungen haben ihn in der Vergangenheit nicht bewogen, die Leistungen des Antragsgegners zeitnah zu beantragen. Zudem war der Antragsteller offenbar nicht durch die mehrfach drohende Kündigung und bereits einmal ausgesprochene Kündigung des Mietverhältnisses hinreichend gewarnt und hat auch nicht das ihm bereits einmal gewährte Darlehen zum Anlass genommen, künftig die Zahlung der Miete selbst sicher zu stellen. Es ist auch nicht mit genügender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Antragsteller künftig aus einer Beschäftigung hinreichende Finanzmittel zur Zahlung der Miete hat, zumal sich auch dann nicht mit einiger Sicherheit annehmen lässt, dass er seine Miete tatsächlich zahlen wird.

 

4. Die Kostenentscheidung folgt entsprechend aus § 193 SGG.

 

5. Die Entscheidung ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.

 

gez. Dr. Harks                        gez. Wulff                               gez. Dr. Schmidt

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