L 9 R 3342/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1024/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3342/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Juli 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung und Erstattung einer Hinterbliebenenrente streitig. Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten, mit dem diese an ihn geleistete Hinterbliebenenrente für die Zeit vom 01.07.1998 bis 30.06.2019 in Höhe von insgesamt 67.227,64 Euro zurückfordert.

Der 1963 geborene Kläger reiste am 09.10.1995 als Spätaussiedler mit seinen beiden 1989 bzw. 1992 geborenen Kindern aus (dem ehemaligen) Russland, wo er als Orchestermusiker tätig war, in das Bundesgebiet ein. Er war verheiratet mit der 1993 in Russland vorverstorbenen S, geb. D (im Folgenden: Versicherte).

Am 20.10.1995 beantragte der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), im Folgenden: Beklagte, ihm eine Hinterbliebenenrente zu gewähren. In einer Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente gab er an, über kein eigenes Einkommen zu verfügen. Durch Bescheid vom 04.03.1996 gewährte die BfA dem Kläger unter der Versicherungsnummer (VSNR) der Verstorbenen Bearbeitungskennzeichen <BKZ> 5535) eine große Witwerrente, beginnend ab 09.10.1995 in Höhe von zunächst monatlich 746,14 DM brutto/693,17 DM netto. Dabei berücksichtigte die Beklagte kein Erwerbseinkommen. Im Bewilligungsbescheid vom 04.03.1996 heißt es im Abschnitt "Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" unter anderem:
„Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind
- Arbeitsentgelt,
- Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit,
- vergleichbares Einkommen,
oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.
….
Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung.“
Auf Seite 5 des Bescheids unter „Hinweise“ heißt es: „Trifft eine Witwenrente oder Witwerrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so ist auf die Rente Einkommen in Höhe von 40 v.H. des Betrages anzurechnen, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt.“

Am 22.07.1997 teilte der Kläger der Beklagten unter Vorlage eines Dienstvertrages die Aufnahme einer Tätigkeit als freiberuflicher Musiklehrer an der Musikschule L ab Juni 1997 mit und beantragte die Ausstellung eines Sozialversicherungsausweises. Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit, dass die Vergabe einer Versicherungsnummer für ihn veranlasst worden sei und ihm anschließend ein Sozialversicherungsnachweisheft zugestellt werde. Auf Nachfrage der Beklagten legte er die Gehaltsabrechnungen für Juni und Juli 1997 vor. In weiteren Schreiben vom 23.10.1998 und 17.06.1999 teilte der Kläger der BfA mit, die Tätigkeit bei der Musikschule weiterhin als freiberuflicher Musiklehrer auszuüben. Auf Nachfrage der Beklagten legte er wiederum Einkommensnachweise vor (Einkommen 1997 ab Juni 11.556,18 DM, Einkommen 1998 bis einschließlich Oktober 21.556,36 DM). Das mitgeteilte Einkommen lag in den Folgejahren jeweils unter dem Freibetrag.

Am 01.10.2001 nahm der Kläger eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Musikschule P als Musiklehrer auf. Eine Mitteilung des Klägers über die Aufnahme der abhängigen Beschäftigung bzw. über das ab diesem Zeitpunkt erzielte Einkommen ist in der Witwerrentenakte der Versicherten nicht aktenkundig.

Mit Bescheid vom 17.08.2004 berechnete die Beklagte die Rente wegen einer Änderung des Beitragssatzes zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner ab 01.09.2001 neu. Für die Zeit ab 01.10.2004 wurde eine monatliche Rente i.H.v. 391,50 € sowie eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.09.2001 bis 30.09.2014 in Höhe von 17,19 € festgesetzt. Auch im Zuge der Neuberechnung der Rente erfolgte keine Anrechnung von Erwerbseinkommen. Im Bescheid vom 17.08.2004 wird unter „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“ ausgeführt, dass die im früheren Rentenbescheid genannten Mitteilungspflichten nach wie vor gelten. Deshalb seien Umstände, die den Leistungsanspruch oder die Höhe der Leistung beeinflussen können, der Rentenversicherung umgehend mitzuteilen. Diese behalte sich vor, überzahlte Beträge zurückzufordern.

Im Januar 2019 wurden dem Witwerrentenkonto der Versicherten zusätzliche Entgeltmeldungen aus abhängiger Beschäftigung ab dem Jahr 2001 aus dem eigenen Versichertenkonto des Klägers per maschineller Meldung übermittelt.

Durch Rentenbescheid vom 11.06.2019 berechnete die Beklagte die Witwerrente des Klägers für die Zeit ab 01.01.1998 neu unter Berücksichtigung des ab diesem Zeitpunkt erzielten anrechenbaren Einkommens. Für die Zeit vom 01.07.1998 bis 30.06.2019 bestehe eine Überzahlung in Höhe von insgesamt 67.227,64 Euro. Der Rentenbescheid vom 04.03.1996 in Form aller Folgebescheide werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.07.2001 aufgehoben. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. Die Verhältnisse hätten sich wesentlich geändert. Der Kläger habe ab 01.10.2001 Arbeitsentgelt erzielt, das über dem Einkommensfreibetrag liege. Er sei seiner Meldepflicht nicht nachgekommen, so dass auch die Voraussetzungen für eine Aufhebung für die Vergangenheit erfüllt seien. Für die Berechnung der Erstattungsforderung werde auf die Anlage des Bescheides vom 11.06.2019 verwiesen.

Dagegen erhob der Kläger am 01.07.2019 Widerspruch und führte aus, er habe stets darauf hingewiesen, dass er freier Mitarbeiter in einer Musikschule sei. Zuletzt sei noch 2001 korrespondiert worden wegen der Krankenkasse. Im Jahr 2004 sei bekannt gewesen, dass er in einem Angestelltenverhältnis und bei der AOK pflichtversichert war. Dann finde sich zwischen 2004 und 2019 nichts mehr in der Rentenakte; die Rentenversicherung sei über 15 Jahre untätig geblieben.
Zur weiteren Begründung legte er Kopien eines handschriftlichen Schreibens vom 17.10.2001 (Verwaltungsakte Bd. II S. 387) sowie eines Meldenachweises zur Sozialversicherung vor, welche er der Beklagten im Oktober 2001 postalisch übermittelt und in welchem er diese darüber informiert habe, dass er seit 01.10.2001 bei der Musikschule P angestellt sei. Er habe damals auch den Meldenachweis Sozialversicherung überlassen.

Die Beklagte teilte daraufhin mit, diese Schreiben seien in dem Verwaltungsvorgang der Versicherten zur Witwerrente nicht enthalten und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 04.03.2020 zurück. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligung auch für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) seien erfüllt. Die Änderung in den Verhältnissen sei am 01.10.2001 mit dem Hinzutritt des Arbeitsentgelts aus einer abhängigen Beschäftigung eingetreten. Die Voraussetzungen einer rückwirkenden Aufhebung nach Ablauf der Zehnjahresfrist (§ 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X) lägen vor. Die Aufhebung sei auch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der die Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen vorgenommen worden. Sichere Kenntnis von den tatsächlichen Umständen habe die Beklagte im Februar 2019 erlangt; die Jahresfrist sei zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 11.06.2019 daher noch offen gewesen. Eine Ermessensentscheidung im Rahmen des § 48 SGB X für die rückwirkende Aufhebung des Bescheids sei nur in atypischen Fällen vorzunehmen. Ein solcher atypischer Fall sei gegeben, wenn ein Verschulden der Deutschen Rentenversicherung Bund oder sonstige Umstände vorlägen, die eine Aufhebung für die Vergangenheit und den damit verbundenen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X als unbilligen Eingriff erscheinen ließen. Es genüge aber nicht jede mit der Rückforderung verbundene Härte. Es liege hier kein atypischer Fall vor, da die Deutsche Rentenversicherung Bund kein Verschulden am Eintreten der Überzahlung treffe. Die Aufhebung sei daher sowohl für die Zukunft als auch für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SGB X zutreffend erfolgt.

Am 03.04.2020 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, es sei bereits fraglich, ob er einer Mitwirkungspflicht im Hinblick auf sein Beschäftigungsverhältnis und die damit verbundene Einkommenserzielung ab Oktober 2001 unterlegen habe. Denn die Beklagte sei nicht nur der zuständige Rentenversicherungsträger der Versicherten, sondern auch des Klägers, so dass sie die benötigten Informationen durch eine Verknüpfung der beiden Versichertenkonten jederzeit selbst hätte erlangen können, was sie im Januar 2019 schließlich auch getan habe. Jedenfalls habe der Kläger aber nicht grob fahrlässig gehandelt, denn im Bewilligungsbescheid vom 04.03.1996 werde hinsichtlich der Mitteilungspflichten ausgeführt, dass sich die Meldung von Veränderungen von Erwerbseinkommen u.a. bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erübrige. Die Rechtsprechung habe anerkannt, dass hieraus die Schlussfolgerung zulässig sei, dass die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland nicht mitzuteilen sei. Allerdings habe der Kläger die Beklagte mit dem Schreiben vom 17.10.2001 ohnehin über sein Beschäftigungsverhältnis bei der Musikschule P informiert. Jedenfalls liege in seinem Fall ein „atypischer Fall“ vor, welcher die Beklagte zur Ausübung von Ermessen hätte zwingen müssen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Kläger habe seine Mitwirkungspflichten nicht erfüllt. Das Schreiben vom 17.10.2001 sei ihrer Rechtsvorgängerin nicht zugegangen. Die Meldung sei nur bei der „Veränderung“ von bereits erzieltem Erwerbseinkommen entbehrlich gewesen, nicht aber bei Hinzutreten von Erwerbseinkommen wie hier. Ein atypischer Fall liege nicht vor.

Mit Urteil vom 23.07.2021 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 11.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2020 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, dieser sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nach § 48 Abs. 1 i.V.m. § 50 SGB X seien nicht vollständig erfüllt. Zwar handele es sich bei der mit Bescheid vom 04.03.1996 erfolgten Bewilligung von Witwerrente um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung und es sei ab 01.10.2001 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen erfolgt, die beim Erlass des Bewilligungsbescheides vorlagen, da der Kläger ab diesem Zeitpunkt Einkommen aus abhängiger Beschäftigung oberhalb des Freibetrages erzielt habe und dieses Einkommen nach § 97 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) auf die Witwerrente anzurechnen war, so dass der Kläger nicht mehr Anspruch auf Auszahlung der Witwerrente in voller Höhe hatte. Die Aufhebung gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, der über § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X entsprechend anzuwenden sei, sei auch innerhalb eines Jahres ab Kenntnis der Beklagten von der wesentlichen Änderung der Verhältnisse. Denn das für die Witwerrente zuständige Dezernat der Beklagten und damit der zuständige Sachbearbeiter habe erst im Januar 2019 von dem Einkommen des Klägers aus abhängiger Beschäftigung ab 01.10.2001 Kenntnis erhalten (s. u.a. BSG, Urteil vom 31.01.2008 - B 13 R 23/07 R - juris m.w.N.). Allerdings sei die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides erst nach Ablauf von zehn Jahren seit dem Eintritt der wesentlichen Änderung erfolgt. In diesem Fall sehe § 48 Abs. 4 SGB X mit seiner Verweisung auf § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X zwar vor, dass auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren ein Bescheid über die Bewilligung laufender Geldleistungen zurückgenommen werden könne, wenn - wie hier – diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Allerdings beziehe sich diese Regelung auf die Fälle des Satzes 3. Dort wiederum sei eine Rücknahme bis zu zehn Jahren nach Bekanntgabe nur in den Fällen der Bösgläubigkeit (vorsätzliche oder grob fahrlässige unrichtige Angaben bzw. Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit) oder bei einem - hier nicht erklärten - Vorbehalt des Widerrufs vorgesehen. Der Verweis in § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X auf § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X als Rechtsgrundverweisung erfordere eine folgerichtige Übertragung der in Bezug genommenen Regelungen auf § 48 SGB X, mit der Konsequenz, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 2 (vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht) oder der Nr. 4 (Kenntnis oder grob fahrlässige Nichtkenntnis vom Ruhen oder Wegfall des sich aus dem Verwaltungsakt ergebenden Anspruchs) des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X die Aufhebung eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse auch nach Ablauf der von diesem Zeitpunkt an laufenden Zehnjahresfrist in Betracht komme, wenn ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung vorliege und diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung gezahlt wurde. Dies bedeute zugleich, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X (Erzielung von Einkommen) für die Aufhebung nach Ablauf der Zehnjahresfrist nicht ausreiche (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2018 - L 10 R 3025/17 - mit Verweis auf BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 77/09 R - juris). Die somit hier erforderlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X seien nicht erfüllt. Da die Beklagte vorliegend einen Anspruch auf Aufhebung der Rentenbewilligung und Erstattung überzahlter Rente behaupte, treffe sie die Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen, also auch für ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers. Nach den Einlassungen des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung sei das Gericht davon überzeugt, dass es diesem vor dem Zugang des streitgegenständlichen Bescheides nicht bekannt war, dass er wegen seines Einkommens aus seiner abhängigen Beschäftigung bei der Musikschule P keinen Anspruch mehr auf die volle Witwerrente hatte. Er sei davon ausgegangen, dass es mit der gezahlten Witwerrente seine Richtigkeit hatte. Zur Überzeugung des Gerichts liege aber auch keine grobe Fahrlässigkeit vor. Angesichts der Komplexität der Anrechnungsvorschriften musste der Kläger, der nach seinen nachvollziehbaren Angaben nicht über besondere Kenntnisse und Fertigkeiten in Bezug auf Rentenbe- oder -anrechnungen verfügt, nicht von sich aus erkennen, dass ihm die Witwerrente nicht in voller Höhe, sondern nur unter Abzug eines Anrechnungsbetrages zustand. Anhand der Informationen im Bewilligungsbescheid von 04.03.1996 sei der Kläger nicht in der Lage gewesen, eigenständig eine auch nur näherungsweise Anrechnung vorzunehmen, denn es werde lediglich darauf hingewiesen, dass Einkommen in Höhe von 40 v.H. des Betrages anzurechnen ist, um den das Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt. Zur Höhe dieses Freibetrages fänden sich keinerlei Informationen. Dementsprechend musste sich nicht sofort der Verdacht aufdrängen, das erzielte Einkommen könne einen Freibetrag überschreiten. Erst wenn ein solcher Verdacht beim Rentenbezieher aufkomme bzw. sich aufdränge, sei er gehalten, ggf. durch Nachfrage eine Klärung herbeizuführen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2018, a.a.O.). Der Kläger habe aber davon ausgehen dürfen, dass der Beklagten sein abhängiges Beschäftigungsverhältnis ab Oktober 2001 bei der Musikschule P und das damit verbundene monatliche Einkommen bekannt war und sie dieses bei der Rentenberechnung berücksichtigt hatte. Denn selbst falls er das Schreiben vom 17.10.2001 tatsächlich nicht an die Beklagte geschickt haben sollte, so durfte er aufgrund des Verhaltens der Beklagten davon ausgehen, dass diese über das ab 01.10.2001 erzielte Einkommen Bescheid wusste. Wie aus der Vergleichsakte des Klägers bzw. dem dort enthaltenen Versicherungsverlauf zu entnehmen sei, sei dem für das Versicherungskonto des Klägers zuständigen Dezernat der Beklagten das abhängige Beschäftigungsverhältnis des Klägers und das daraus erzielte Einkommen bekannt gewesen. Die Vergleichsakte sei zwar erst im Jahr 2012 erstellt worden. Allerdings sei ihr zu entnehmen, dass bereits im Jahr 2003 eine Kontenklärung und die Ausgabe eines Versicherungsverlaufes an den Kläger erfolgt war, wobei das abhängige Beschäftigungsverhältnis des Klägers ab Oktober 2001 nach dessen Angaben bereits bekannt war. Ob diese Tatsache zutreffe oder nicht, könne das Gericht nicht weiter aufklären, da die Beklagte aus nicht nachvollziehbaren Gründen über keine Akten des Versicherungskontos des Klägers vor dem Jahr 2012 mehr verfüge. Da hier der Einfluss- und Verantwortungsbereich der Beklagten betroffen sei, gehe dieser Aufklärungsmangel zu Lasten der Beklagten. Darüber hinaus habe der Kläger nachvollziehbar ausgeführt, dass er von der Kenntnis der Beklagten um sein Erwerbseinkommen ausgegangen sei, da ab Beginn der abhängigen Beschäftigung keine Rückfragen der Beklagten zu seinem Erwerbseinkommen mehr erfolgten. Ausgehend von der Tatsache, dass die Beklagte sowohl die Witwerrente zahle, als auch das Versicherungskonto des Klägers führe, verbunden mit dem für juristische Laien und für mit Verwaltungsvorgängen bei der Beklagten nicht vertraute Versicherte nachvollziehbaren Schluss, dann werde auch die Höhe der Renten unter Berücksichtigung ggf. bestehender Anrechnungsregeln geprüft (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2018, a.a.O.), durfte der Kläger von der Richtigkeit der Zahlungen ausgehen, jedenfalls ohne dass ihm grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne.
Der Kläger habe auch seine Mitteilungspflichten nicht schuldhaft verletzt. Zwar sei er gesetzlich verpflichtet, den Bezug von Einkommen aus abhängiger Beschäftigung der Beklagten mitzuteilen. Selbst falls der Kläger dieser Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei und das vorgelegte Mitteilungsschreiben vom 17.10.2001 tatsächlich nicht an die Beklagte geschickt haben sollte, liege kein Verschulden vor. Eine abschließende Klärung dieser Frage sei nicht möglich, weil es durchaus möglich sei, dass die Beklagte das Schreiben erhalten und der Vergleichsakte des Klägers zugeordnet habe, was mangels Vorlage von Verwaltungsvorgängen vor dem Jahr 2012 nicht überprüft werden könne.
Da die Beklagte vorliegend einen Anspruch auf Aufhebung der Rentenbewilligungen und Erstattung überzahlter Rente behaupte, treffe sie die Beweislast für die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen, also auch für ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2018, a.a.O.). Da nicht nachweisbar sei, dass der Kläger die Beklagte nicht über sein Erwerbseinkommen ab Oktober 2001 informiert habe, lasse sich ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers nicht begründen. Dabei lasse es das Gericht offen, ob der Kläger den Hinweis im Bewilligungsbescheid vom 04.03.1996, die Meldung von Veränderungen von Erwerbseinkommen u.a. bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erübrige sich, so verstehen durfte, dass auch das Hinzutreten von Erwerbseinkommen hiervon umfasst war. Denn aus den bereits oben angeführten Gründen durfte der Kläger jedenfalls davon ausgehen, dass die Beklagte um sein Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung ab Oktober 2001 wusste. Es müsse einem nicht mit den internen Zuständigkeiten vertrauten Versicherten nicht einleuchten, dass ein Rentenversicherungsträger, dem der Bezug von (rentenrelevantem) Einkommen offensichtlich bekannt sei, diese Informationen nicht verwerte, also intern nicht weitergebe (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2018, a.a.O.). Dass dies durchaus möglich sei und auch durchgeführt werde, werde auch im Fall des Klägers deutlich, da die Weitergabe der Einkommensinformation ab Oktober 2001 im Januar 2019 schließlich doch ohne erkennbaren Anlass maschinell erfolgte. Anhaltspunkte dafür, dass dies im Jahr 2001 technisch nicht möglich gewesen sein sollte, seien von der Beklagten nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

Gegen das ihr am 28.09.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.10.2021 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG sei nicht die Beklagte, sondern vielmehr der Kläger für den Zugang des Schreibens vom 17.10.2001 beweispflichtig. Nach der Rechtsprechung sei der Rentenversicherungsträger in einem Sozialgerichtsverfahren nicht dafür beweispflichtig, dass ein Kläger seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist. Im Gegenteil sei es Sache des Klägers nachzuweisen, dass die Mitteilung gemacht wurde und auch dort angekommen ist. Eine Mitteilungspflicht sei erst dann erfüllt, wenn die Mitteilung beim zuständigen Rentenversicherungsträger angekommen sei (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2019 - L 13 R 1523/17 -; LSG Hessen, Urteil vom 24.11.2017 - L 5 R 12/14 -). Das vom Kläger behauptete Mitteilungsschreiben per Post vom 17.10.2001 über die Beschäftigungsaufnahme sei aber in den Verwaltungsakten der Beklagten nicht enthalten. Es finde sich keinerlei Hinweis auf den Eingang eines derartigen Schreibens bei der Beklagten. Der Kläger müsse auch bemerkt haben, dass auf das behauptete Schreiben - anders als sonst - keine Reaktion erfolgte und die Beklagte nicht wie bereits mehrfach zuvor in eine Einkommensermittlung eingestiegen sei. Ihm musste erinnerlich sein, dass sich die Beklagte in der Vergangenheit unverzüglich an ihn gewandt und um Mitteilung der Höhe des Einkommens gebeten habe, wenn er auf seine freiberufliche Tätigkeit hingewiesen hatte (vgl. Verwaltungsakte Bl. 151 f. und 207 f.). Auch in der Folgezeit habe der Kläger keinen Rentenbescheid erhalten, der erkennbar eine Berücksichtigung seines erzielten Arbeitsentgelts zum Inhalt hatte. Vor diesem Hintergrund habe sich dem Kläger der Gedanke aufdrängen müssen, dass das behauptete Schreiben bei der Beklagten nicht eingegangen sein könnte und er daher Veranlassung hatte, bei der Beklagten entsprechend nachzufragen. Das Schreiben hätte z.B. auf dem Postweg verlorengegangen sein können.
Der hier in Rede stehende Hinweis auf die Mitteilungspflicht sei entgegen der Auffassung des Klägers unmissverständlich. Die Ausnahme von der Mitteilungspflicht beziehe sich klar erkennbar allein auf die „Veränderung“ von Einkommen und nicht auf den „Hinzutritt“ von Einkommen. Insoweit sei der Hinweis auf die Mitteilungspflicht eindeutig und unmissverständlich. Dies werde auch durch die Rechtsprechung der Landessozialgerichte und Sozialgerichte bestätigt.
Der Kläger habe auch nicht den geringsten Anlass zu der Annahme gehabt, dass ein Datenabgleich zwischen seinem Versicherungskonto, zu dem die Arbeitsentgelte gemeldet werden, und dem Versicherungskonto der Verstorbenen, aus dem die Witwerrente gezahlt wird, bestehe. Dem Rentenbewilligungsbescheid vom 04.03.1996 lasse sich an keiner Stelle entnehmen, dass ein Hinzutritt von Arbeitsentgelt wegen eines bestehenden Datenabgleichs nicht mitzuteilen sei. Wenn der Kläger gleichwohl vom Bestehen eines Datenabgleichs ausgegangen sei, begründe gerade dieses Verhalten grobe Fahrlässigkeit. Nach der Rechtsprechung obliege die primäre Verpflichtung zur Einkommensanzeige allein dem Kläger. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass sich die Beklagte die nötigen Informationen zum Einkommen über Entgeltmeldungen zu seinem eigenen Versicherungskonto beschaffen würde (LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 12.10.2020 - L 11 R 4263/19 - und 06.05.2014 - L 13 R 481/13 -, Rn. 41, juris m.w.N.; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.09.2018 - L 1 R 171/17 - Rn. 49, juris). Dass in der Vergangenheit kein Datenabgleich zwischen dem Versicherungskonto eines Hinterbliebenen und dem Versicherungskonto des Verstorbenen erfolgte, stelle kein Versäumnis dar, weil eine Verpflichtung zu einem solchen Datenabgleich nach der Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Urteile vom 12.07.2016 - L 9 R 4396/13 -, 13.08.2008 - L 6 R 5271/07 -, 06.05.2014 - L 13 R 481/13 -, 22.10.2020 - L 7 R 2895/17 -, 10.11.2021 - L 2 R 749/21 und 23.05.2022 - L 5 R 2792/21 -) und der anderer Landessozialgerichte und Sozialgerichte nicht bestehe. Ein atypischer Fall, der zu einer Ermessensausübung Veranlassung gegeben hätte, liege daher nicht vor. Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung nur bei einem groben Verwaltungsfehler von einem atypischen Fall auszugehen (BSG, Urteil vom 30.12.2013 - B 12 R 14/11 R - Rn. 32 f, juris; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.09.2018 - L 1 R 171/17 -). Die Nichtberücksichtigung bekannten Einkommens stelle lediglich einen einfachen oder normalen Fehler im Rahmen der Bescheiderstellung dar, jedoch keinen groben Fehler (LSG Rheinland-Pfalz, Urteile von 12.07.2017 - L 4 R 438/16 -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.04.2017 - L 8 R 1083/14 -).
Auch aus dem vorgelegten Feststellungsbescheid vom 18.11.2003 zur Versicherungsnummer des Klägers ergebe sich kein Beweis für den Zugang des behaupteten Schreibens vom 17.10.2001. Der Bevollmächtigte des Klägers ziehe aus dem Umstand, dass darin eine Änderung vom 01.10.2001 bis 31.12.2001 aufgeführt sei, die sich mit der Mitteilung des Klägers vom 17.10.2001 über die Beschäftigungsaufnahme am 01.10.2001 decke, den fehlerhaften Schluss, dass das Schreiben der Beklagten zugegangen sein müsse. Er habe offensichtlich die Abkürzung „DEÜV“ übersehen, die bedeute „Nach der Datenerfassungs- und Übermittlungsverordnung gemeldete Zeiten; hierüber hat der Arbeitgeber einen Nachweis erteilt“. Die angeführte Änderung vom 01.10.2001 bis 31.12.2001 beruhe also nachweislich allein auf der sogenannten „Arbeitgebermeldung“ und nicht auf der behaupteten Mitteilung des Klägers vom 17.10.2001.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Juli 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die ergangene Entscheidung des SG für zutreffend.

Hinsichtlich des Zugangs des Briefes des Klägers vom 17.10.2001 sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte über viele Jahre untätig geblieben sei und zwischenzeitlich, nachdem die Akteninhalte aus der Versicherungsakte des Klägers erst ab dem Jahr 2012 vorlägen, ein Nachweis aus der Akte der Beklagten nicht mehr erbracht werden könne. Wäre die Beklagte nicht zu lange untätig geblieben, hätte ein Nachweis zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen können, als die Akten Inhalte noch vorlagen.
Aus dem Feststellungsbescheid der BfA nach § 149 Abs. 6 SGB VI vom 18.11.2003, den der Kläger in seinen Unterlagen wiedergefunden habe und dem als Anlage beigefügten Versicherungsverlauf ergebe sich, dass der BfA eine Änderung, die am 01.10.2001 eingetreten sei, bekannt gewesen sei. Es ergebe sich nämlich im Versicherungsverlauf eine Änderung vom 01.10.2001 bis 31.12.2001. Dies decke sich mit der Mitteilung des Klägers in seinem Schreiben vom 17.10.2001, wonach er eben ab 01.10.2001 bei der Musikschule P angestellt sei. Das Schreiben müsse also der Beklagten zugegangen sein. Der Kläger durfte daher auch davon ausgehen, dass die Beklagte diese Informationen verwerte und intern weitergebe. Insoweit sei auch nochmals auf den Hinweis der Beklagten in ihrem Rentenbescheid vom 04.03.1996 zu verweisen, aufgrund dessen der Versicherte davon ausgehen dürfe, dass sich weitergehende Meldungen bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erübrigen. Es liege daher insgesamt ein ganz erheblich überwiegendes Verschulden der Beklagten vor, das einen atypischen Fall begründe. Er wäre der Beklagten ohne Weiteres möglich gewesen, einen entsprechenden Informationsaustausch in ihrem Hause durchzuführen und auf diese Weise das Entstehen einer derartigen Überzahlung über 15 Jahre zu verhindern.

Der Vorsitzende des Senats hat am 27.06.2022 mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstandes durchgeführt.
Der Kläger hat im Termin angegeben, er habe das Schreiben vom 17.10.2001 an die Beklagte übersandt und sich hiervon auf seinem Kopierer eine Kopie gefertigt und diese aufbewahrt und nun nochmals vorgelegt. Er habe damals dem Schreiben den Sozialversicherungsnachweis über die Beschäftigung beigefügt und sei aufgrund dessen davon ausgegangen, dass alles seine Ordnung habe. Er habe in der Folge auch nichts mehr von der Beklagten gehört und von dieser keine Nachfragen zu erzieltem Einkommen oder Ähnlichem erhalten und auch nicht bei dieser wegen des Zugangs des Schreibens und der Rentenberechnung nachgefragt.

Die Beteiligten haben im Termin einen für beide Seiten widerruflichen Vergleich des Inhalts geschlossen, dass die Beklagte die Rückforderung auf die Hälfte des geforderten Betrages aus 67.227,64 €, also auf 33.613,82 € reduziert und die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Der Kläger hat den Vergleich fristgerecht widerrufen und sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

Die Beteiligten haben für den Fall des Widerrufs des Vergleichs einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da sich die Beklagte gegen die erstinstanzliche Aufhebung ihrer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung von mehr als 750,00 € wendet (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist auch begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 11.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2020, mit welchem die Beklagte die dem Kläger gewährte große Witwerrente für die Zeit 01.01.1998 neu berechnet, für die Zeit vom 01.07.1998 bis 30.06.2019 eine Überzahlung von 67.227,64 € errechnet und unter Aufhebung des Rentenbescheids vom 04.03.1996 in Form aller Folgebescheide vom Kläger die Erstattung dieses Betrages gefordert hat.

Entgegen der Auffassung des SG ist der Bescheid vom 11.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.03.2020 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für die erfolgte Aufhebung ist § 48 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X).

In den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 04.03.1996 vorgelegen haben, ist in Bezug auf die ab Juni 1998 zunächst freiberufliche Erwerbstätigkeit des Klägers durch die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Musikschule P zum 01.10.2001 eine Änderung eingetreten. Diese Änderung ist auch bezogen auf die Rentenhöhe ab 01.07.2001 wesentlich. Bei dem bezogenen Arbeitsentgelt handelt es sich um Erwerbseinkommen, das auf die Witwerrente gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI anzurechnen ist. Die näheren Anrechnungsmodalitäten sind dabei in § 97 Abs. 2 SGB VI geregelt. Dafür, dass die von der Beklagten nach der zum Bescheid vom 11.06.2019 dem Versicherungskonto des Klägers entnommenen, auf entsprechenden Arbeitgebermeldungen beruhende Arbeitsentgelte nicht zutreffen würden, ist nichts ersichtlich. Dies hat der Kläger auch nicht geltend gemacht. Die Berechnung des Anrechnungsbetrages wurde von der Beklagten im Bescheid vom 11.06.2019 ebenfalls zutreffend dargestellt. Diesbezüglich hat der Kläger ebenfalls keine sachlichen Einwendungen erhoben. Damit ist der Rentenzahlungsanspruch rechnerisch in der Zeit vom 01.07.2001 teilweise und ab 01.07.2018 ganz weggefallen.

Gemäß § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 3 SGB X soll ein rechtswidrig gewordener begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Hiervon werden jene Leistungen berührt, deren Anspruchsvoraussetzungen durch gesetzlich festgelegte Einkommensgrenzen beschränkt werden (z.B. § 34 Abs. 2 SGB VI) oder deren Höhe von anzurechnendem Einkommen oder Vermögen abhängig ist (z.B. § 97 SGB VI). Soweit Einkommen oder Vermögen zum Wegfall oder zur Minderung der Leistung führt, kommt es bei Nr. 3 auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nicht an. Denn bei dieser Art von Sozialleistungsansprüchen kennt jeder Berechtigte von Anfang an die Auswirkungen eines nachträglich oder künftig erzielten Einkommens, weil er den Sozialleistungsanspruch als Ersatz für weggefallenes oder fehlendes Einkommen erworben hat (vgl. BSGE 89,13). Da der Kläger nach Erlass des Bescheides vom 04.03.1996 Einkommen erzielt hat, das zum teilweisen bzw. später sogar vollständigen Wegfall des Rentenzahlungsanspruchs geführt hat, war die Witwerrente für die Zukunft unter Aufhebung der Bewilligungsbescheide bezogen auf die Rentenhöhe neu zu berechnen. Da die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vorliegen, war die Beklagte war auch berechtigt, den Witwerrentenbescheid mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben und die Überzahlung festzustellen.

Der Kläger ist der ihm obliegenden Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Veränderungen der Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht nachgekommen. Für die sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ergebende Pflicht zur Mitteilung von Änderungen in den für die Leistungsgewährung wesentlichen Verhältnissen, auf welche er in den Bescheiden vom 04.03.1996 und 17.08.2004 umfassend und unmissverständlich hingewiesen worden ist, kommt es nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.02.1980 - 7 RAr 13/79 -, juris) nicht darauf an, ob der Rentenversicherungsträger bereits auf anderem Wege – hier durch die unter der eigenen Versicherungsnummer des Klägers angelegte Versicherungsakte Kenntnis von der Änderung der Verhältnisse hatte oder hätte haben können. Denn es ist gerade Zweck der Mitteilungspflicht des Leistungsempfängers, auch eine – von der Kenntnis des Amtes unabhängige – Überprüfung des Leistungsfalls zu veranlassen. Der erkennende Senat teilt die Auffassung, dass die Hinweispflicht im Bescheid vom 04.03.1996 im Abschnitt „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" (noch) hinreichend deutlich und unmissverständlich konkretisiert war. Danach war das „Hinzutreten" von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen. Um einen solchen Fall des „Hinzutretens" handelt es sich vorliegend beim erstmaligen Erzielen von Einkommen aus abhängiger Beschäftigung ab 01.10.2001. Der nachfolgende Hinweis im Bescheid, wonach sich die Meldung von Veränderungen erübrige bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, steht dem nicht entgegen. Denn diese Formulierung bezieht sich erkennbar nur auf „Veränderungen" in Bezug auf bereits bekannte Anrechnungskonstellationen. Das ergibt sich daraus, dass es im Abschnitt „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" – wie ausgeführt - zuvor heißt, dass das „Hinzutreten" von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen sei (ebenso LSG Hessen, Urteil vom 30.01.2015 - L 5 R 390/12 - juris m.w.N.).

Unabhängig von der (Un-)Missverständlichkeit des Hinweises war die Verpflichtung zur Mitteilung der Aufnahme einer Beschäftigung dem Kläger jedenfalls auch bekannt, was er selbst einräumt. Dass eine solche Mitteilung bei der Beklagten eingegangen ist und der Kläger seiner Mitteilungspflicht nachgekommen ist, ist allerdings nicht feststellbar. Soweit der Kläger vorträgt, der Beklagten durch das Schreiben vom 17.10.2001, dem der Meldenachweis zur Sozialversicherung vom 02.10.2001 beigefügt gewesen sei, den Beginn des Beschäftigungsverhältnisses am 01.10.2001 mitgeteilt zu haben, fehlt es an einem Nachweis für den Zugang dieses Schreibens bei der Beklagten. Die dem Rentenbezieher obliegende Mitteilungspflicht ist allerdings erst erfüllt, wenn die Mitteilung bei dem Rentenversicherungsträger ankommt und zugeht. Hierfür hat er Sorge zu tragen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2019, a.a.O. -; LSG Hessen, Urteil vom 24.11.2017 - L 5 R 12/14 - juris). Ein dahingehender Nachweis lässt sich nicht führen. Das mit der Versicherungsnummer der Hinterbliebenenrente gekennzeichnete Schreiben findet sich in der - durchgängigen und vollständigen – Witwerrentenakte der Versicherten nicht. Ob das Schreiben möglicherweise zur eigenen Versichertenakte des Klägers (sog. Vergleichsakte) gelangt sein könnte, ist spekulativ und lässt sich nicht feststellen, da diese Akte nur (noch) ab dem 2012 vorhanden ist und für die Zeit davor offenbar gelöscht wurde. Dies ist allerdings nicht entscheidungserheblich. Denn selbst ein – unterstelltes – versehentliches Gelangen der Mitteilung vom 17.10.2001 zur Vergleichsakte des Klägers würde nichts an der Verteilung der Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen im Verhältnis zwischen ihm und der Rechtsvorgängerin der Beklagten geändert haben. Denn diese wäre auch in diesem Fall nicht rechtlich verpflichtet gewesen, einen Datenabgleich zwischen den verschiedenen Konten durchzuführen, d.h. die Meldungen der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten durch den Arbeitgeber bei der Berechnung der Witwenrente zu berücksichtigen. Vielmehr ist es Sache des Klägers, nachzuweisen, dass er die Mitteilung an die Beklagte gemacht hat und diese dort eingegangen ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2019, a.a.O.). Allein die Unvollständigkeit der Vergleichsakte ersetzt nicht den dem Kläger obliegenden Zugangsnachweis in Bezug auf die maßgebliche Witwerrentenakte der Versicherten. Entgegen der Auffassung des SG liegt auch keine Umkehr der Beweislast dergestalt vor, dass die Beklagte beweispflichtig dafür wäre, dass der Kläger seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen ist. Denn den Beweis für negative, außerhalb ihres Verantwortungsbereichs liegende Tatsachen (Nichterfüllung einer Mitteilungspflicht des Klägers) könnte sie nicht erbringen. Angesichts der im Rentenbescheid vom 04.03.1996 aufgeführten Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten bestand für Vorkehrungen der Beklagten, eine Rückkopplung der Witwerrente zum eigenen Versicherungskonto des Klägers vorzunehmen, auch kein Anlass. Dass die Beklagte eine solche Kontenverbindung theoretisch erstellen kann – und dies im Jahr 2019 auch getan hat -, begründet jedenfalls kein grobes relevantes Verschulden oder gar eine Umkehr der Beweislast. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass ein solcher Datenabgleich zwischen den Konten technisch vermutlich deutlich früher möglich gewesen wäre. Denn die primäre Verpflichtung zur Einkommensanzeige obliegt allein dem Kläger (LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 12.07.2016 - L 9 R 4396/13 - und vom 06.05.2014 - L 13 R 481/13 -; LSG Hessen, Urteil vom 02. 07.2013 - L 2 R 51/13 -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 19.01.2012 - L 1 R 36/09 -; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13.12.2012 - L 10 R 360/10 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.01.2004 - L 13 RJ 115/01 -). Die Mitwirkungsverpflichtung des Leistungsberechtigten, deren Versäumnis Nachteile zur Folge hat, verdeutlicht, dass vom Bürger eigenverantwortliches Handeln gefordert wird. Dadurch wird grundsätzlich eine überwachende und nachforschende Verwaltung entbehrlich. Unterlässt die Verwaltung eine regelmäßige Kontrolle, kann ihr kein Fehlverhalten durch Unterlassen vorgeworfen werden (BSG, Urteil vom 03.07.1991 - 9b RAr 2/90 -, juris). Bei der Verpflichtung, Einkommen mitzuteilen, gibt es auch keine Differenzierung zwischen Einkommen, das zur Beitragszahlung beim Rentenversicherungsträger führt und sonstigen Einkommen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.08.2008 - L 6 R 5271/07 -). Schließlich wird ein Zugangsnachweis auch nicht durch den zur Versicherungsnummer des Klägers ergangenen Feststellungsbescheid vom 18.11.2003 und die dortigen Eintragungen im Versicherungsverlauf geführt, da die Mitteilung der erzielten Entgelte durch Arbeitgebermeldungen erfolgte, wie der Zusatz DEÜV belegt.

Dass der Kläger zur Anzeige des Einkommens aus abhängiger Beschäftigung verpflichtet war und dieser für ihn höchstpersönlichen Mitteilungspflicht jedenfalls nicht nachweislich nachgekommen ist, berechtigt gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X allerdings nur dann zu einer rückwirkenden Aufhebung der Bewilligungsentscheidung, wenn er die Anzeigepflicht auch subjektiv zumindest grob fahrlässig verletzt hat.

Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X, wer erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Dies ist dann der Fall, wenn der Betroffene bereits einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSG SozR 3-1300 § 45 SGB X Nr. 45; BSGE 62, 32, 35; 42, 184, 187). Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ist nicht von einem objektiven, sondern von einem subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab auszugehen (BSG, Urteil vom 09.02.2006 - B 7a AL 58/05 R -; vgl. auch BSG, Urteile vom 25.04.1990 - 7 RAr 20/89 - und vom 24.04.1997 - 11 RAr 89/96 -, juris). Das Maß der Fahrlässigkeit ist insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit sowie dem Einsichtsvermögen des Beteiligten zu beurteilen (BSGE 35, 108, 112; 44, 264, 273). Ob ein dementsprechender Verschuldensvorwurf gerechtfertigt ist, richtet sich nach seiner persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, seinem Einsichtsvermögen und Verhalten sowie nach den besonderen Umständen des Einzelfalls. Grobe Fahrlässigkeit liegt nur im Falle einer Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes vor, d.h. es muss sich um eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung handeln. Hiervon ausgehend lässt sich eine grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf die Erfüllung der Mitteilungspflicht nicht verneinen. Wie ausgeführt ist das Schreiben des Klägers vom 17.10.2001 nicht aktenkundig. Dass von der Beklagten auf die von ihm behauptete Mitteilung keine Arbeitgeberbescheinigung zur Höhe seiner Einkünfte angefordert worden ist, wie dies zuvor mehrfach nach Mitteilung seiner freiberuflichen Tätigkeit erfolgt war und auch keine sonstige Rektion erfolgte, hätte ihm - worauf die Beklagte hingewiesen hat - auffallen und gegebenenfalls Veranlassung zu Nachfragen hinsichtlich des Zugangs seines Schreibens geben müssen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2019, a.a.O.). Denn der Leistungsbezieher hat im Rahmen seiner Mitteilungspflichten dafür Sorge zu tragen, dass die Information bei der Beklagten ankommt (LSG Hessen, Urteil vom 24.11.2017 - L 5 R 12/14 -, juris).

Unabhängig von der Frage der schuldhaften Verletzung der Mitteilungsobliegenheit liegen auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vor, weil der Kläger wusste oder, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, nicht wusste, dass der sich aus dem Verwaltungsakt der Rentenbewilligung ergebende Anspruch kraft Gesetzes aufgrund der Erzielung von Einkommen ganz oder teilweise weggefallen war. Denn auf Grund der Hinweise im Bewilligungsbescheid vom 04.03.1996 musste dem Kläger bekannt sein, dass die Aufnahme der abhängigen Beschäftigung am 01.10.2001 zur Anrechnung von Einkommen und je nach Einkommenshöhe zum teilweisen oder ganzen Wegfall des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente führt. Dem steht es nicht entgegen, dass der Kläger als Laie den Hinweis im Bescheid vom 04.03.1996, dass Einkommen in Höhe von 40 v.H. des Betrages auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen ist, um den das Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt, dessen Höhe allerdings im Bescheid nicht genannt war, nicht ohne Weiteres nachvollziehen konnte (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2018, a.a.O., juris). Denn in diesem Falle wäre er gehalten gewesen, durch Nachfragen bei der Beklagten eine nähere Klärung über die Höhe der Freibeträge und damit über die Höhe der ihm zustehenden Rente herbeizuführen (LSG Hessen, Urteil vom 30.01.2015 - L 5 R 390/12 -, juris). Aufgrund des Umstandes, dass der Kläger nach Aufnahme der abhängigen Beschäftigung im Oktober 2001 in den Folgejahren ein sozialversicherungspflichtiges Jahreseinkommen zwischen 35.000 und 38.000 € erzielte, während sein Einkommen aus freiberuflicher Tätigkeit davor bis einschließlich des Jahres 2000 bei ca. 24.000 DM gelegen – und sich damit nach Aufnahme der abhängigen Beschäftigung nahezu verdreifacht hatte -, hätten ihm Zweifel an der Richtigkeit der unverändert anrechnungsfreien Bewilligung der Hinterbliebenenrente kommen können bzw. müssen, was wiederum Veranlassung zu Nachfragen bei der Beklagten hätten geben können oder gar müssen. Dass der Kläger dies unterlassen und mehr oder weniger die Augen davor verschlossen hat, dass die Witwerrente ohne Einkommensanrechnung weitergezahlt wird, begründet insoweit den Vorwurf grober Fahrlässigkeit.

Ein sog. atypischer Fall im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, der eine Ermessensausübung der Beklagten zwingend erforderlich gemacht hätte, lag nicht vor. Nach dieser Vorschrift „soll“ der Verwaltungsakt unter den weiteren Voraussetzungen der Nrn. 1 bis 4 aufgehoben werden. Der Begriff „soll“ ist dahin zu verstehen, dass dies grundsätzlich zu erfolgen hat, allerdings dann nicht, wenn ein atypischer Fall vorliegt (BeckOGK/Steinwedel, 01.12.2020, SGB X § 48 Rn. 35). Dabei bestimmen die Umstände des Einzelfalles, ob ein atypischer Fall gegeben ist. Die Annahme einer Atypik kommt nur dann in Betracht, wenn der Einzelfall aufgrund seiner besonderen Umstände signifikant von dem Regelfall des Tatbestandes nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X abweicht, der die Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit gerade rechtfertigt. Ob der unbestimmte Rechtsbegriff eines atypischen Falles vorliegt, ist gerichtlich zu überprüfen und zu entscheiden (BSG, Urteil vom 29.04.1992 - 7 RAr 4/91 - juris). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, welche der in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X aufgeführten Alternativen erfüllt ist.

Die Beklagte hat den Aufhebungsbescheid vom 11.06.2019 ausdrücklich auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützt und ausgeführt, dass ab 01.10.2001 Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung erzielt werde, das sich auf die Höhe der Rente auswirkt. Bezogen auf diese Tatbestandsalternative ist ein atypischer Fall von der Rechtsprechung nur ausnahmsweise dann angenommen worden, wenn der Betroffene die zu erstattende Leistung verbraucht hat und ohne die entfallene Sozialleistung im Nachhinein vermehrt sozialhilfebedürftig geworden wäre (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 10 RKg 9/95 - SozR 3-1300 § 48 Nr. 42). Eine solche Situation wurde vom Kläger weder vorgetragen noch ist sie nach Aktenlage ersichtlich. Außerdem ist der Kläger bei einer zwangsweisen Beitreibung der Rückforderung der Beklagten durch die Aufrechnungs- und Pfändungsvorschriften des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) geschützt. Nach Auffassung des Senats ist vorliegend vielmehr die vom Gesetzgeber in § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB X gerade als typisch angesehene Sachlage gegeben, dass wegen des erzielten Einkommens die Sozialleistung nicht beim Empfänger verbleiben soll. Dabei kann ein gutgläubiger Verbrauch der Sozialleistung ohnehin nur dann schützenswert sein, wenn der Empfänger zur Zeit des Verbrauchs mit einer Erstattung nicht zu rechnen hatte, weil er sich etwa auf eine entsprechende Zusage oder Auskunft der Behörde hat verlassen können (LSG Hessen, Urteil vom 02.07.2013 - L 2 R 51/13 -, juris Rn. 31). An einem solchen vertrauensbildenden Verhalten der Beklagten fehlt es hier.

Ein atypischer Fall liegt wie ausgeführt auch nicht aus anderen Gründen, etwa wegen Mitverschuldens der Beklagten vor. Ein grobes Mitverschulden der Beklagten, das kausal zur Überzahlung geführt hat, ist für den Senat nicht ersichtlich. Daraus, dass die Beklagte keinen (früheren) Datenabgleich mit dem Rentenversicherungskonto des Klägers durchgeführt hat, d.h. die Meldungen der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Witwerrente nicht berücksichtigt hat, ergibt sich jedenfalls kein relevantes grobes Mitverschulden der Beklagten. Angesichts der im Rentenbescheid vom 04.03.1996 eindeutig aufgeführten Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten bestand für Vorkehrungen der Beklagten, eine Rückkopplung der Witwerrente zum eigenen Versicherungskonto des Klägers vorzunehmen, kein Anlass. Dass die Beklagte eine solche Kontenverbindung theoretisch erstellen kann - was sie schließlich auch getan hat – und sie im Falle eines besseren Informationsaustausches zwischen den verschiedenen Dezernaten ihres Hauses schon zu einem früheren Zeitpunkt in der Lage gewesen wäre, in eine Prüfung der gemäß § 97 SGB VI auf die Hinterbliebenenrente anzurechnenden Einkünfte des Klägers einzutreten und auf diese Weise das Entstehen einer mehrere Jahre umfassenden Überzahlung zu verhindern, ist sicher zutreffend, begründet aber für sich genommen keinen atypischen Fall (LSG Hessen, Urteil vom 30.01.2015 - L 5 R 390/12 -). Weitergehende Gesichtspunkte, die für die Annahme eines atypischen Falles sprechen könnten, vermochte auch der Kläger nicht aufzuzeigen. Hierfür genügt auch nicht der Hinweis auf sein Schreiben an die BfA vom 01.04.2004, wonach er entgegen deren Bescheid vom 08.03.2004 als Rentner bei der AOK P und nicht bei der DAK krankenversichert sei. Denn auch aus diesem Schreiben ergibt sich kein klarer Hinweis auf die Erzielung von Einkommen aus abhängiger Beschäftigung, dem seitens der Beklagten nachzugehen gewesen wäre. Die primäre Verpflichtung zur Einkommensanzeige obliegt allein dem Kläger (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.08.2008 - L 6 R 5271/07 - juris Rn. 41 m.w.N.).

Die gesetzlichen Fristen für eine Aufhebung sind gewahrt. Wie sich aus § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X ergibt, kann der Verwaltungsakt grundsätzlich nur bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe aufgehoben werden. Gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X kann der Verwaltungsakt allerdings auch nach Ablauf der Frist von 10 Jahren noch zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. Dies ist hier der Fall. Die Beklagte durfte die Bewilligung auch mit Wirkung ab dem 01.07.2001 teilweise bzw. ganz aufheben gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X, da bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Aufhebung die Witwerrente laufend gezahlt wurde. Hierbei bedarf keiner anschließenden Entscheidung, ob es sich bei dieser Verweisung um eine Rechtsgrundverweisung (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 - B 13 R 77/09 R -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.05.2018, a.a.O.) oder eine Rechtsfolgenverweisung (vgl. Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 08/17, § 48 SGB X Rn. 113) handelt. Denn selbst für eine Rechtsgrundverweisung wären die Voraussetzungen erfüllt, da der Kläger „bösgläubig" war und jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Weiterbewilligung der Hinterbliebenenrente ohne Einkommensanrechnung hatte.

Auch die für Aufhebungsbescheide zu beachtende Jahresfrist ist eingehalten. Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X gilt § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entsprechend. Nach dieser Vorschrift muss ein Verwaltungsakt von der zuständigen Behörde innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurückgenommen werden, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Unter Tatsachen sind dabei alle tatsächlichen Umstände zu verstehen, die zur Aufhebbarkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes erforderlich sind. Dies sind zunächst alle Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass ein begünstigender Verwaltungsakt ohne Rechtsgrund erlassen worden ist, also ganz oder teilweise rechtswidrig ist. Dabei kommt es bei einer Überzahlung wegen der Nichtkenntnis der genauen Einkommenshöhe auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnis an (vgl. Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 Rdnr. 94 m.w.N.). Die Tatsache der Einkommenserzielung muss dabei bei der für die Sachbearbeitung zuständigen Stelle der Behörde aktenkundig werden (Schütze, a.a.O. Rdnr. 98), da nur diese Stelle prüfen kann, ob die Tatsachen die Rücknahme des betreffenden Verwaltungsaktes rechtfertigen. Unbeachtlich ist daher, wann die das eigene Versichertenkonto des Klägers führende Sachbearbeitung im Hause der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin Kenntnis von der Beschäftigungsaufnahme hatte. Denn dieser Stelle war eine „Kenntnis“ im Sinne der Vorschrift des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht möglich. Der für die Sachbearbeitung der Rückforderung zuständigen Stelle der Beklagten ist die Tatsache der Erwerbseinkommenserzielung durch den Kläger erst im Zuge des Datenabgleichs im Januar 2019 durchgeführten Abgleich mit deren Versicherungskonto bekannt geworden, so dass der Aufhebungsbescheid vom 11.06.2019 innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ergangen ist.

Da sonach die Aufhebung der Bewilligung rechtmäßig ist, durfte der Beklagte die überzahlte Leistung nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückfordern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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