L 3 U 108/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 59/20
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 108/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 143/22 B
Datum
Kategorie
Urteil

I.    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 17. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die 1965 geborene Klägerin begehrt die Feststellung weiterer Unfallfolgen auf Grund eines anerkannten Arbeitsunfalls.

Die Klägerin, die seinerzeit als Reinigungskoordinatorin beim Hessischen Immobilienmanagement beschäftigt war, rutschte am 21. Oktober 2012 auf der Außentreppe des Amtsgerichts C-Stadt aus, knickte mit dem linken Fuß um und stürzte auf ihre linke Körperseite. In der Unfallanzeige vom 28. Oktober 2013 wird zum Unfallhergang ausgeführt, die Klägerin sei die 6 Stufen der Treppe zum Bürgersteig hinuntergegangen, auf dem Bürgersteig auf eine kleine Schnapsflasche getreten und dabei umgeknickt. 

Der Durchgangsarzt (D-Arzt) Dr. S. stellte bei seiner ersten Untersuchung am Unfalltag die Diagnosen: Verstauchung der (HWS), Prellung beider Knieescheiben, Verstauung linkes Sprunggelenk. Äußere Verletzungszeichen seien nicht erkennbar; es bestehe ein Druck- und Kopfschmerz über der Dornfortsatzreihe der HWS mit endgradig schmerzhafter Bewegungs-einschränkung; grob neurologisch seien keine Auffälligkeiten gegeben. Hinsichtlich der Knie bestehe ein Druckschmerz über beiden Kniescheiben „kein Erguss bei freier Beweglichkeit“. Bezüglich des linken Sprunggelenkes sei eine endgradige, mäßige Bewegungsschmerzhaftigkeit festzustellen bei erkennbarer zarter reizloser Narbe streckseitig, die Bandführung sei fest. Als vorbestehende unfallunabhängige Erkrankungen stellte Dr. S. u. a. eine rheumatoide Arthritis und eine Fibromyalgie fest. Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bescheinigte der Arzt zunächst für 5 Tage, bis zum 26. Oktober 2013; sie wurde bis zum 30. Oktober verlängert. 

Der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. E. diagnostizierte in seiner ärztlichen Unfallmeldung 14. November 2013 Verstauchungen des linken Kniegelenks und des linken Sprunggelenks.

In seinem Nachschaubericht (bei allgemeiner Heilbehandlung) vom 6. Februar 2014 berichtete Dr. S., bei der Nachuntersuchung am 6. November 2013 habe sich klinisch ein Befund unverändert zur Erstuntersuchung gezeigt. Die Klägerin habe aber weiterhin über Schmerzen in den Schultern sowie im Sprunggelenk geklagt, eine weitere Schmerzmedikation indessen abgelehnt. Wegen der vorbestehenden rheumatologischen Arthritis habe er eine rheumatologische Behandlung empfohlen. Die Klägerin sei arbeitsfähig und verbleibe nicht in allgemeiner Heilbehandlung.

In einem weiteren Bericht vom 20. Juli 2015 teilte Dr. S. mit, die Klägerin klage weiterhin über ein unverändertes Beschwerdebild. Inzwischen sei in der Kerckhoff-Klinik eine rheumatologische Diagnostik und Behandlung durchgeführt worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin ließen sich dem Entlassungsbericht der Klinik keine unfallbedingten Veränderungen entnehmen. Die Klägerin sei weiter arbeitsfähig.

Die Ärzte der Kerckhoff-Klinik (Direktor Abt. Rheumatologie Prof. Dr. D., Oberarzt Dr. F., Assistenzärztin G.) stellten in ihrem Entlassungsbericht vom 30. August 2015 die Diagnose einer Arthritis psoriatica von derzeit sehr geringer Aktivität. Ein vorbekanntes Fibromyalgiesyndrom habe sich demgegenüber hochaktiv gezeigt, weshalb eine zeitnahe schmerz-therapeutische Anbindung zum Erlernen von Schmerzbewältigungsstrategien und ggf. medikamentöse Einstellung sowie eine baldige psychotherapeutische Anbindung zur Krankheitsbewältigung empfohlen worden sei. Nebenbefundlich habe sich in der MRT (Magnetresonanztomographie) der Lendenwirbelsäule (LWS) ein Bandscheibenvorfall LWK4/5 gefunden. Bezüglich der anamnestisch angegebenen zeitweise auftretenden Gefühlsstörungen im Bereich der Zehen des rechten Fußes werde eine neurologische Abklärung empfohlen.

Mit Bescheid vom 7. Mai 1965 erkannte die Beklagte einen Arbeitsunfall mit (ausgeheilten) Prellungen beider Knie an. Die Behandlung der rheumatoiden Arthritis und der Fibromyalgie sei nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden im Bereich beider Knie über den 6. November 2013 hinaus und dem Arbeitsunfall könne nicht begründet werden.

Die Klägerin erhob Widerspruch und machte u. a. geltend, auch die Schäden an der HWS seien als Unfallfolge anzuerkennen, da sie bei dem Unfall nicht nur auf das Knie gestürzt sei, sondern auch Kopf über die Treppe heruntergefallen sei.

Die Beklagte zog daraufhin die Behandlungsunterlagen der behandelnden Ärzte und die Ergebnisse der durchgeführten bildgebenden Verfahren bei. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin sowohl vor dem Unfall vom 21. Oktober 2013 als auch danach, zahlreiche private Stürze und Unfälle erlitten hat. 

So erlitt sie im Oktober 2011 einen Treppensturz und fiel auf das Schulterblatt (s. anamnestische Angaben in den Berichten des Dr. J., Orthopädie Bad Hersfeld GmbH, vom 2. November 2011 und des Dr. L. vom 29. November 2011). Bei einem Unfall im Jahre 2012 verletzte sie sich die Zehen des rechten Fußes (Internistischer Entlassungsbrief der Ärzte des Kreiskrankenhauses Rotenburg a. d. Fulda, Dr. M., Dr. Dr. K., vom 10. Oktober 2012; MRT der Radiologie des Kreiskrankenhauses vom 11. Oktober 2012). Bei einem Verkehrsunfall am 4. Mai 2016 erlitt sie eine Thoraxprellung sowie eine BWS- und eine HWS-Kontusion (Bericht der Ärzte des Klinikums Bad Hersfeld vom 15. Juni 2016; MRT des Klinikums vom 17. Juni 2016; Arztbrief des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. vom 2. August 2016). Weiterhin wird über Sturzunfälle vom 31. Mai 2017 (Sturz in der Stadt „an einem nicht abgesicherten Brunnen“ mit Teilruptur desvorderen Kreuzbandes links) und vom 10. November 2017 (Sturz „auf einem schlecht beleuchteten Gehweg“ mit Verletzung beider Knie und einer HWS-Distorsion). In dem Entlassungsbericht der Ärzte der Fachklinik Bad Bentheim vom 29. März 2016, in der die Klägerin zu Lasten des Rentenversicherungsträgers wegen Psoriasis-Arthritis und Psoriasis vulgaris behandelt worden ist, wurde anamnestisch über psychische Belastungen auf Grund eines Sorgerechtsstreits um den Sohn berichtet und als Nebendiagnosen festgestellt, „bekannte mittelgradige reaktive depressive Episode, bekannte anhaltende somatoforme Schmerzstörung“. 

Zudem ließ die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme auf radiologischem Fachgebiet von Dr. P. erstellen. Der Radiologe stellte unter dem Datum vom 7. April 2020 nach Auswertung der Ergebnisse der bildgebenden Verfahren fest, aus der Befundkonstanz der MRT der HWS von 2011 und 2013 seien Veränderungen nicht zu erkennen, die auf das Unfallereignis vom 21. Oktober 2013 bezogen werden könnten. Die MRT der Knie seien im Jahr 2017 erfolgt und damit 4 Jahre nach dem angeschuldigten Ereignis. Kausalbezüge zu einem Trauma von 2013 ließen sich daher nicht herleiten, zumal ein erneuter Sturz auf die Knie im Jahr 2017 stattgefunden habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2020 half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin teilweise ab, indem sie unfallbedingt auch Verstauchungen der HWS und des linken Sprunggelenkes feststellte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Die weiterhin geäußerten Beschwerden im Bereich der HWS, der Kniescheiben und des linken Sprunggelenkes seien über den Zeitpunkt der Beendigung des Heilverfahrens durch Dr. S. hinaus nicht mehr auf den Arbeitsunfall vom 21. Oktober 2013 zurückzuführen.

Die Klägerin hat am 7. Juli 2020 Klage beim Sozialgericht Fulda (Sozialgericht) erhoben und ihr Begehren auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen über den 6. November 2013 hinaus weiterverfolgt und dazu vorgelegt den Entlassungsbericht der Orthopädischen Klinik Hessisch Lichtenau vom 22. September 2014 und den Arztbrief des Dr. R., Chefarzt im Bereich Wirbelsäulenchirurgie dieser Klinik vom 1. September 2014.

Das Sozialgericht hat das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse der Klägerin zum Verfahren beigezogen sowie die Schwerbehindertenakte, die Behandlungsunterlagen der behandelnden Ärzte Dr. Q., Dr. T. und E. Weiterhin hat das Sozialgericht einen aktuellen Befundbericht des Dr. N. vom 17. August 2020 eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Prof. Dr. H. vom 21. Januar 2021. Der Sachverständige hat bei der Klägerin eine abgeklungene Verstauchung der HWS, eine abgeklungene Prellung beider Kniegelenke sowie eine abgeklungene Verstauchung des linken Sprunggelenks sowie zahlreiche unfallunabhängige Diagnosen wie eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren festgestellt. Die Folgen des Ereignisses vom 21. Oktober 2013 seien zum Abschluss des Heilverfahrens am 6. November 2013 ausgeheilt gewesen. Das Unfallereignis habe keine bleibenden Folgen hinterlassen. Es habe auch keine vorbestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen vorübergehend, dauerhaft oder richtungsweisend verschlimmert.

Mit Urteil vom 17. Mai 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich dabei insbesondere auf das Gutachten von Prof. Dr. H. gestützt. Die Klägerin habe keine strukturellen Erstschäden nachweisen können, die ihre aktuell bestehenden Veränderungen und Beschwerden erklären könnten. 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 21. Mai 2021 zugestellte Urteil am 2. Juni 2021 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Sie trägt vor, sie sei seit dem erlittenen Arbeitsunfall niemals beschwerdefrei gewesen. Die Kniebeschwerden, insbesondere die Veränderung des Bandapparates und Gonarthrose seien auf diesen Unfall zurückzuführen. Sie habe sich auch vor dem Arbeitsunfall im Jahr 2013 nicht in ärztlicher Behandlung befunden. Die Gonarthrose sei rund 6 Monate nach dem Arbeitsunfall im Jahr 2014 radiologisch bestätigt worden. Auch die Beschwerden im rechten Fuß würden fortbestehen.

Die Klägerin beantragt, 

das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 17. Mai 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 12. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2020 zu verurteilen, ihr die aktuellen Beschwerden an der Halswirbelsäule, an den Knien und am rechten Fuß als Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Oktober 2013 anzuerkennen. 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 2. August 2022 mit einer Entscheidung durch die Vorsitzende anstelle des Senats sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten (Band I und II) sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten (Band I und II) verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden ist.


Entscheidungsgründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte die Entscheidung durch die Vorsitzende anstelle des Senats sowie ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 155 Abs. 3, § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten und das ihn bestätigende erstinstanzliche Urteil sind zu Recht ergangen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen. Die von der Beklagten als Gesundheitserstschäden bzw. Unfallfolgen anerkannten Prellungen beider Knie sowie die Verstauungen der HWS und des linken Sprunggelenks sind ausgeheilt. 

Der auf Feststellung von Unfallfolgen gerichtete Klageantrag ist kombiniert mit der Anfechtungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig (BSG, Urteil vom 28. Juni 1984 – 2 RU 64/83 – juris; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 55 Rn. 13c). Der erst im Berufungsverfahren gestellte Antrag auf Feststellung von Beschwerden am rechten Fuß als Unfallfolge ist schon unzulässig. Die Beklagte hat über das Vorliegen einer solchen Unfallfolge gar nicht entschieden.
Soweit die Klägerin die Feststellung ihrer aktuellen Veränderungen und Beschwerden der HWS und den Knien als Unfallfolgen geltend macht, ist ihr Antrag unbegründet, da die Voraussetzungen für eine solche Feststellung nicht vorliegen.
Gesundheitsstörungen müssen, um als Unfallfolge (d. h. länger andauernder unfallbedingter Gesundheitsschaden) anerkannt zu werden, zunächst im Vollbeweis nachgewiesen sein, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (§ 128 SGG; BSGE 103, 99, 104).

Nach den umfangreichen Ermittlungen durch die Beklagte und das Sozialgericht und der dadurch vorliegenden umfassenden medizinischen Dokumentation geht der Senat davon aus, dass die von der Klägerin aktuell geklagten Beschwerden an der HWS und den Knien ein Korrelat in organischen Veränderungen haben, wenngleich sich das von der Klägerin geäußerte Ausmaß der Beschwerden klinisch nicht verifizieren lässt. So wird schon in den von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen der Orthopädischen Klinik Hessisch Lichtenau eine chronische Cervicobrachialgie beidseits beschrieben (u. a. in dem Entlassungsbericht vom 22. September 2014). Der Sachverständige Prof. Dr. H. hat bei der aktuellen Untersuchung 2021 nach dem bildgebenden Befund multiple Protrusionen im Bereich der HWS festgestellt, wenngleich keine sichere Myelopathie (Durchblutungsstörung des Rückenmarks) Klinisch beschreibt Prof. Dr. H. bezüglich der HWS abgesehen von einem ausgeprägten Hartspann der Trapeziusmukulatur keinen pathologischen Befund.; er schildert einen lotgerechten Aufbau der HWS, symmetrisch entwickelte Nackenmuskulatur sowie freie Beweglichkeit. In Übereinstimmung mit dem die Klägerin seit 2012 behandelnden Neurologen Dr. N. (Befundbericht vom 17. August 2020) verneint Prof. Dr. H. das Vorliegen neurologischer Ausfälle im Bereich der oberen Extremitäten Im Bereich der Schultern beschreibt der Sachverständige eine endgradige Bewegungseinschränkung. Hinsichtlich der von der Klägerin beklagten Beschwerden an beiden Knien hat Prof. Dr. H. bezüglich des linken Kniegelenkes eine deutliche Bewegungseinschränkung bei Diagnose einer initialen Gonarthrose links und dem Zustand nach vorderer Kreuzbandruptur festgestellt sowie Arthralgie (Gelenkschmerz) des rechten Kniegelenks bei Chondropathia patella. 
Diese Veränderungen und Beschwerden der Klägerin an der HWS und den Knien sind indes keine Unfallfolgen. Es fehlt der dafür notwendige Zusammenhang (die haftungsausfüllende Kausalität) mit dem Arbeitsunfall vom 26. August 2013. 

Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Arbeitsunfalls basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer 1. Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d. h. - so die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Auf dieser Stufe der Tatsachenfeststellungen ist zudem zu prüfen, ob mehrere versicherte und nicht versicherte Ursachen zusammen objektiv wirksam geworden sind, ggf. sind deren Mitwirkungsanteile festzustellen (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R – juris). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass ein möglicherweise aus mehreren Schritten bestehender Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 - Deppermann-Wöbbeking in: H. (Hrsg), Personenschäden und Unfallverletzungen, Referenz Verlag Frankfurt 2015, Seite 630). In einer 2. Stufe der Kausalitätsprüfung ist sodann die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die für den Erfolg rechtlich verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a. a. O.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für alle Kausalitätsbeziehungen im Bereich der Unfallversicherung der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - juris).

Vorliegend fehlt es schon an dem naturwissenschaftlichen Zusammenhang (1. Prüfungsstufe). 

Ein Zusammenhang der aktuellen Beschwerden und Veränderungen mit dem Arbeitsunfall lässt sich nicht herstellen, da die Klägerin bei diesem Unfall nur geringfügige Verletzungen erlitten hat und keine strukturellen Verletzungen, die als Anknüpfung in Betracht kommen. Für diese Feststellung stützt sich der Senat wie das Sozialgericht auf die Ausführungen des Prof. Dr. H. Der Sachverständige hat unter Auswertung der erhobenen Erstbefunde des behandelnden Arztes E. und dessen Behandlungsdokumentation, sowie den D-Arztberichten des Dr. S. für den Senat überzeugend ausgeführt, dass nach diesen Erstbefunden davon auszugehen ist, dass die Klägerin bei dem Arbeitsunfall nur Prellungen bzw. Verstauchungen der HWS, Knie und des linken Sprunggelenks erlitten hat. Diese Verletzungen sind nach dem Sachverständigen bis zum Ende der Heilbehandlung am 6. November 2013 ausgeheilt, so dass sich die aktuellen Veränderungen und Beschwerden der Klägerin an der HWS und den Knien (sowie an den Extremitäten) nicht darauf zurückführen lassen, und zwar weder in Sinne der Entstehung noch im Sinne einer Verschlimmerung. Dies steht im Einklang mit den Feststellungen des Radiologen Dr. P. vom 7. April 2020, der vorliegenden Bildbefunde ausgewertet und verglichen hat. So führt der Radiologe für den Senat nachvollziehbar aus, die weitgehende Befundkonstanz der MRT der HWS von 2011 und 2013 spreche dagegen, dass der Arbeitsunfall Veränderungen in diesem Bereich bewirkt habe. Hinsichtlich der Kniegelenke weist Dr. P. schlüssig daraufhin, dass die bildgebenden Verfahren erst 2017 durchgeführt worden seien, also 4 Jahre nach dem Arbeitsunfall. Aus radiologischer Perspektive – so der Arzt – könnten daher unmöglich Kausalbezüge hergeleitet werden, zumal es im Jahre 2017 zu einem neuerlichen Stürzen auf die Knie gekommen sei (am 31. Mai 2017 auf das linke Knie und am 10. November 2017 auf beide Kniegelenke). Die Ärzte der Klinik Hessisch Lichtenau, auf die die Klägerin sich im Wesentlichen für ihr Begehren stützt, haben hinsichtlich der Kausalität gar keine Ausführungen gemacht. Die Klägerin trägt die Feststellungs- und Beweislast für die von ihr behaupteten, für sie günstigen Tatsachen.

Der Senat weist im Übrigen daraufhin, dass sich auch die von den im Verfahren gehörten Ärzten übereinstimmend diagnostizierte chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (erstmalige Feststellung in der Kerckhoff-Klinik 2015, zuletzt durch Prof. Dr. H. 2021) nicht auf den Arbeitsunfall zurückführen lässt. Es handelt sich dabei um eine unfallunabhängige Diagnose, wie Prof. Dr. H. zutreffend ausgeführt hat. Nach der S2k-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF-Register Nr. 051-029, 2. Aktualisierung 2019), die den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand auf dem betreffenden Gebiet zusammenfasst, hat eine somatoforme Schmerzerkrankung in der Regel eine multifaktorielle Genese. Die Anerkennung als psychoreaktive Folgestörung nach einmaligen Schädigungsereignissen kommt nach der Leitlinie (AWMF-Leitlinie Teil III S. 32, 44) nur ausnahmsweise in Betracht, da im Verlauf der Schmerzerkrankung zunehmend psychosoziale Kontextfaktoren in den Vordergrund treten. Solche unfallunabhängigen Faktoren lassen sich nach der ärztlichen Dokumentation auch hier feststellen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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